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German Pages 334
Jenny Preunkert Chancen für ein soziales Europa?
VS RESEARCH Organization & Public Management Herausgegeben von Prof. Dr. Petra Hiller, Fachhochschule Nordhausen Prof. Dr. Georg Krücken, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
Jenny Preunkert
Chancen für ein soziales Europa? Die Offene Methode der Koordinierung als neue Regulierungsform
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Martin Heidenreich
VS RESEARCH
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Dissertation Universität Oldenburg, 2009
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Dorothee Koch / Anita Wilke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16879-1
Geleitwort
Die vorliegende Studie greift eine hochaktuelle Frage in der europawissenschaftlichen Debatte auf: Wie beeinflussen europäische Koordinierungsverfahren die Reformprozesse nationaler Sozialschutzsysteme? Am Beispiel dreier Länder, die bei der Reform ihrer wohlfahrtsstaatlichen Sicherungssysteme mit erheblichen Beharrungsmomenten konfrontiert sind (Deutschland, Frankreich und Italien), wird in der Arbeit diskutiert, ob ein europäisches, vor allem auf Freiwilligkeit und wechselseitigem Lernen beruhendes Koordinierungsverfahren, die Offene Methode der Koordinierung (OMK), die Nationalstaaten beim Kampf gegen soziale Ausgrenzung unterstützen kann. Die Arbeit stützt sich auf über 50 Interviews, die die Autorin von 2005-2007 in den drei genannten Ländern und auf der europäischen Ebene durchgeführt hat. Auf europäischer Ebene werden die zentrale Stellung der Kommission als Katalysator des Prozesses und die nur begrenzten Lern- und Partizipationsmöglichkeiten für die Regierungen nachgewiesen. Auf nationaler Ebene zeigt die Studie, dass der Einfluss des europäischen Verfahrens nur verstanden werden kann, wenn die nationalen Rahmenbedingungen bekannt sind. Angesichts der Zersplitterung sozialpolitischer Kompetenzen in Deutschland kommt europäischen Zielen und Indikatoren nur eine geringe Bedeutung für nationale Reformprozesse zu – auch wenn die Wohlfahrtsverbände erheblich von den neuen Lernund Partizipationschancen profitieren. Ganz anders ist die Situation in Frankreich, wo die nationalen Entscheidungsträger in der Verwaltung auch in die europäischen Koordinierungsprozesse einbezogen werden und damit die Wirksamkeit des Verfahrens institutionell sicherstellen. Paradoxerweise scheinen gerade die zentralistisch-expertokratischen Strukturen der französischen Sozialpolitik eine wichtige Voraussetzung für neue Partizipations- und Lernchancen zu sein. Der italienische Fall hingegen zeigt, dass ohne einen politischen Willen zur Reform, ohne einen handlungsfähigen Staat und ohne die Bereitschaft zur zentralen Moderation sozialpolitischer Reformprozesse die OMK kaum wirksam ist. Im Gegensatz zu vielen Arbeiten, die euphorisch die mit der OMK verbundenen Lern- und Partizipationsmöglichkeiten hervorheben, folgert die Verfasserin, dass die OMK/Inklusion „keinen Beitrag dazu leisten konnte, den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung umfassend und nachhaltig zu stärken und auszubau-
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Geleitwort
en.“ (S. 352) Vielmehr nutzen die Regierungen die europäischen Koordinierungsprozesse jeweils im Rahmen der eigenen Problemwahrnehmungen, Reformstrategien und Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen. Die Arbeit von Frau Dr. Preunkert leistet somit einen sowohl in theoretischer wie auch in empirischer Hinsicht überzeugenden Beitrag zur Debatte um die Wirksamkeit weicher europäischer Regulierungsinstrumente. Sie belegt auf beeindruckende Weise, dass die untersuchten Koordinierungsverfahren ihre Wirkung nur unter Berücksichtigung der nationalen Rahmenbedingungen, Strukturen und Interessen entfalten kann. Daher wünsche ich dieser Arbeit eine breite Rezeption. Prof. Dr. Martin Heidenreich Jean Monnet Centre for Europeanisation and Transnational Regulations, Oldenburg
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort ............................................................................................................ 5 Inhaltsverzeichnis ............................................................................................... 7 Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 13 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................... 15 1 Einleitung .................................................................................................. 17 2 Debatten um die Offenen Methode der Koordinierung im Bereich soziale Eingliederung ............................................................................... 27 2.1 Rahmenbedingungen einer europäischen Sozialpolitik ........................ 28 2.2 Die Offene Methode der Koordinierung als Regulierungsverfahren .... 36 2.2.1 Die organisatorischen Besonderheiten der Offenen Methode ....... 37 2.2.2 Die Lernprozesse im Rahmen weicher Regulierungsverfahren .... 41 2.2.3 Auswirkungsmöglichkeiten der OMK-Prozesse ........................... 45 2.3 Schlussfolgerungen und offene Fragen ................................................. 50 3 Die Offene Methode der Koordinierung: Die wechselseitigen Irritationen von nationalen und europäischen Feldern ........................ 53 3.1 Kennzeichen eines sozialen Feldes ....................................................... 55 3.2 Entstehung eines europäischen Raums ................................................. 60 3.2.1 Die soziale Konstruktion eines europäischen Feldes .................... 61 3.2.2 Die Kopplungsprozesse zwischen europäischen und nationalen Feldern .......................................................................................... 63 3.2.3 Zwischenresümee: Voraussetzungen für die Wirksamkeit europäischer Regulationsstrukturen .............................................. 66 3.3 Die nationale Implementierung europäischer Impulse ......................... 67 3.3.1 Exkurs: Das Prinzip der Pfadabhängigkeit ................................... 68 3.3.2 Individuelles, organisationales und institutionelles Lernen .......... 69 3.3.3 Der europäische Prozess als Anreiz und Ressource ...................... 72 3.3.4 Zwischenresümee: Mögliche Auswirkungen von europäischen Impulsen ....................................................................................... 74 3.4 Schlussfolgerungen und Hypothesen .................................................... 75
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Inhalt
4 Ansatz und Methoden............................................................................... 77 4.1 Methodenprobleme der OMK-Forschung............................................. 77 4.2 Qualitativ-komparative Fallstudien ...................................................... 80 4.3 Länderauswahl und zeitliche Einschränkungen .................................... 81 4.4 Instrumentenmix ................................................................................... 85 4.5 Material in den Länderstudien .............................................................. 87 4.6 Schlussfolgerungen ............................................................................... 89 5 Soziale Eingliederung in Europa ............................................................. 91 5.1 Der historische Kontext der OMK/Inklusion ........................................ 92 5.1.1 Aktionsprogramme in den 1970er bis 1990er Jahren.................... 93 5.1.2 Diskussionen auf europäischer Ebene........................................... 95 5.1.3 Zwischenresümee: Von der Armutsbekämpfung hin zum Kampf gegen soziale Ausgrenzung............................................... 98 5.2 Die Organisation des europäischen Felds ........................................... 100 5.2.1 Die rechtliche Verankerung der OMK/Inklusion in den Verträgen von Amsterdam und Nizza ......................................... 102 5.2.2 Das Zentrum der OMK/Inklusion: Der Sozialschutzausschuss .. 104 5.2.3 Begrenztes Interesse: Der Ausschuss des Aktionsprogramms .... 109 5.2.4 Koordinator und Stratege: Die Kommission ............................... 109 5.2.5 Impulsgeber: Die Rolle der Ratspräsidentschaft ......................... 113 5.2.6 Hierarchische Partizipation: Einbindung von nichtstaatlichen, wissenschaftlichen Organisationen und dem Europäischen Parlament .................................................................................... 115 5.2.7 Zwischenresümee: Interaktionsmuster ........................................ 122 5.3 Die Instrumente der OMK/Inklusion .................................................. 124 5.3.1 Vorbehalte gegen quantifizierbare Ziele: Die Erstellung gemeinsamer Ziele ...................................................................... 125 5.3.2 Wissenschaftlich robuste Indikatoren ohne ein Ranking der Politikansätze .............................................................................. 129 5.3.3 Abstraktes Kennenlernen ohne substanzielle Analyse: Die PeerReview-Verfahren ....................................................................... 132 5.3.4 Mehr als der kleinster Nenner, aber nur bedingt kritisch: Die Gemeinsamen Berichte ............................................................... 133 5.3.5 Problembezogenes Lernen und Aufbau von transnationalen nichtstaatlichen Beziehungen: Das Aktionsprogramm ............... 137 5.3.6 Zwischenresümee: Abstrakte und konkrete Lernchancen ........... 142 5.4 Die Leitbilder der OMK/Inklusion ..................................................... 143 5.5 Schlussfolgerungen ............................................................................. 149
Inhalt
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6 Die Offene Methode der Koordinierung in Deutschland .................... 153 6.1 Soziale Eingliederung in Deutschland ................................................ 154 6.1.1 Armut als bekämpftes Phänomen und die Aktivierung von Leistungsempfängern .................................................................. 155 6.1.2 Der Armuts- und Reichtumsbericht ............................................ 160 6.1.3 Breite Kompetenzverteilung ....................................................... 162 6.1.4 Zwischenresümee: Zwischen Wandel und nicht-hinterfragten Gegebenheiten ............................................................................ 165 6.2 Die Organisation der Offenen Methode der Koordinierung ............... 166 6.2.1 Skeptisches Koordinationszentrum: Die Bundesregierung ......... 167 6.2.2 Föderale Machtkämpfe: Die Einbindung der Bundesländer ....... 172 6.2.3 Ausgeschlossen: Die Kommunen ............................................... 174 6.2.4 Aktiv handelnde und beratende Organisationen: Die Zivilgesellschaft .......................................................................... 175 6.2.5 Zwischenresümee: Die OMK/Inklusion als Nebensache ............ 178 6.3 Die Umsetzung des europäischen Verfahrens .................................... 179 6.3.1 Unpassende Vorgaben: Die Ziele und Indikatoren der OMK/Inklusion ........................................................................... 180 6.3.2 Die Umsetzung der Nationalen Aktionspläne als europäische Berichte ....................................................................................... 184 6.3.3 Selbstdarstellung ohne Folgen: Die Beteiligung an den Gemeinsamen Berichten mit den bewährten Praxisbeispielen und den Peer-Review-Verfahren ................................................. 188 6.3.4 Punktuelles Lernen in den staatlichen Stellen, breitere Nutzung durch die Zivilgesellschaft: Das Aktionsprogramm ..... 191 6.3.5 Zwischenresümee: Punktuelle Impulse ....................................... 197 6.4 Schlussfolgerungen ............................................................................. 198 7 Die Offene Methode der Koordinierung in Frankreich ...................... 201 7.1 Soziale Eingliederung in Frankreich................................................... 202 7.1.1 Das Konzept der sozialen Kohäsion ........................................... 203 7.1.2 Eine Politik der sozialen Kohäsion ............................................. 204 7.1.3 Ausbau von staatlichen Maßnahmen .......................................... 208 7.1.4 Ein neues Budgetrecht ................................................................ 212 7.1.5 Zentralistische Kompetenzverteilung.......................................... 213 7.1.6 Zwischenresümee: Feld zur Stärkung der sozialen Kohäsion ..... 218 7.2 Die Organisation der Offenen Methode der Koordinierung ............... 219 7.2.1 Die Rolle der Regierung und ihrer nationalen Verwaltung ......... 219 7.2.2 Die Informierung der übrigen Organisationen ............................ 223 7.2.3 Zwischenresümee: OMK/Inklusion als administrativer Prozess. 226
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Inhalt
7.3 Die Umsetzung des europäischen Verfahrens .................................... 227 7.3.1 Politisches Präsentieren und administratives Lernen: Die Nutzung der Ziele und Benchmarkingverfahren ......................... 228 7.3.2 Argumente und Lernhilfe für das neue Budgetrecht: Die Nutzung der Indikatoren ............................................................. 231 7.3.3 Stärkung der interministeriellen Zusammenarbeit und Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie: Die Erstellung der Aktionspläne ............................................................................... 233 7.3.4 Generelles Kennenlernen und Anregungen für weitere Lernprozesse: Die Teilnahme an den Peer-Reviews ................... 237 7.3.5 Lernmöglichkeit für die Administration und einzelne Mitarbeiter des nichtstaatlichen Sektors: Das Aktionsprogramm ................................................................ 239 7.3.6 Zwischenresümee: Administrative Nutzung bei fehlendem politischen wie nichtstaatlichen Interesse ................................... 242 7.4 Schlussfolgerungen ............................................................................. 244 8 Die Offene Methode der Koordinierung in Italien............................... 247 8.1 Soziale Eingliederung in Italien .......................................................... 248 8.1.1 Die patriarchale Familie als Leitbild ........................................... 249 8.1.2 Erster Wendepunkt: Das Gesetz 328/2000 im Jahr 2000 ............ 253 8.1.3 Der zweite Wendepunkt: Das Weißbuch im Jahr 2003 .............. 255 8.1.4 Dezentrale Kompetenzverteilung ................................................ 258 8.1.5 Zwischenresümee: Ein fragmentiertes Feld ................................ 262 8.2 Die Organisation der Offenen Methode der Koordinierung ............... 263 8.2.1 Schwaches Koordinationszentrum: Die Regierung..................... 264 8.2.2 Die geringe Einbindung der lokalen Ebenen .............................. 267 8.2.3 Unabhängig von der Regierung: Der nichtstaatliche Sektor ....... 269 8.2.4 Zwischenresümee: Fehlendes staatliches Interesse ..................... 270 8.3 Die Umsetzung des europäischen Verfahrens .................................... 271 8.3.1 Strategische, einseitige Nutzung und fehlende Akzeptanz: Die Ziele und Indikatoren der OMK/Inklusion ................................. 272 8.3.2 Fehlendes Konzept und mangelndes Interesse: Die Nutzung der Aktionspläne ......................................................................... 275 8.3.3 Weder gegenseitiges Lernen noch informeller Handlungsdruck: Benchmarking auf europäischer Ebene .......... 279 8.3.4 Nutzung des Aktionsprogramms durch den nichtstaatlichen Sektor ................................................................ 281 8.3.5 Zwischenresümee: Zwischen Legitimation und tatsächlichem Handeln ....................................................................................... 285 8.4 Schlussfolgerungen ............................................................................. 286
Inhalt
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9 Die Neuausrichtung der Offenen Methode der Koordinierung .......... 289 9.1 Synchronisierung und Straffung ......................................................... 289 9.2 Chancen und Risiken .......................................................................... 293 9.3 Kritische Prognose: Tendenz zur Verallgemeinerung und Ausrichtung auf wirtschaftliche Interessen ......................................... 297 10 Fazit ......................................................................................................... 299 Literatur .......................................................................................................... 311 Rechtsakte ....................................................................................................... 339
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Mechanismen der Kopplung zwischen sozialen Feldern ........... 66 Abbildung 2: Ebenen, die beeinflusst werden können ..................................... 71 Abbildung 3: Europäische Impulse in ein nationales Feld ............................... 73 Abbildung 4: Auswahl der Gesprächspartner................................................... 90 Abbildung 5: Armutsrisiko für einzelne Bevölkerungsgruppen in Deutschland ............................................................................. 157 Abbildung 6: Formen der sozialen Hilfe nach den Hartz-IV-Reformen ........ 159 Abbildung 7: Erstellung der Nationalen Aktionspläne in Deutschland .......... 185 Abbildung 8: Armutsrisiko für einzelne Bevölkerungsgruppen in Frankreich................................................................................ 206 Abbildung 9: Erstellung der Nationalen Aktionspläne in Frankreich ............ 235 Abbildung 10: Armutsrisiko für einzelne Bevölkerungsgruppen in Italien ..... 251 Abbildung 11: Zentrale Punkte des Weißbuches ............................................. 256 Abbildung 12: Erstellung der Nationalen Aktionspläne in Italien ................... 278
Abkürzungsverzeichnis
ALG II ARGE ASMK ASS AStV ATD AWO BAEI BAGFW BMAS BMFSFJ BMGS BMWA CES CIG CILAP CILE CNLE DGAS DGEFP DPT DREES EAPN EBS EP E-Referat ESF ESN EWSA
Arbeitslosengeld II Arbeitsgemeinschaften Arbeits- und Sozialministerkonferenz Allocation speciale que de solidarité Ausschuss der Ständigen Vertreter All Together for Dignity Arbeiterwohlfahrt Bureau des affaires européennes et internationales Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege e.V. Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Bundesministerium Familien, Senioren, Frauen und Jugend Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Conseil économique et social Cassa Integrazione Guadagni Collegamento Italiano di Lotta alla Povertà Comité interministériel de lutte contre des exclusions Conseil nationale des politique de lutte contre la pauvreté et l’exclusion sociale Direction générale de l’action sociale Délégation générale à l’emploi et à la formation professionnelle Document de politique transversale Direction de la recherche, des études, de l'évaluation et, des statistiques European Anti-Poverty Network Europäische Beschäftigungsstrategie Europäisches Parlament Europareferat Europäischer Sozialfond Europäischen Sozialen Netzwerk Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
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Abkürzungsverzeichnis
European Federation of National Organisations working with the Homeless FORTEIL Forum Teilhabe und soziale Integration GD Generaldirektion INPS Istituto Nazionale della Previdenza Sociale KOM Europäische Kommission LOLF Loi Organique Relative aux Lois de Finances NAK Nationalen Armutskonferenz NAP/Inklusion Nationale Aktionspläne Soziale Eingliederung NAPsens Nationale Sensibilisierungsmaßnahmen zum Thema ‚Soziale Integration’ NGO Nichtregierungsorganisation OMK Offene Methode der Koordinierung OMK/Inklusion Offene Methode der Koordinierung Soziale Eingliederung PROGRESS Gemeinschaftsprogramms für Beschäftigung und soziale Solidarität RAT Rat der Europäischen Union RETIS European Transregional Network for Social Inclusion RMI Revenu Minimum d’Inseration RUI Reddito di Ultima Istanza SGAE Secrétariat général des affaires européennes SPC Ausschuss für Sozialschutz oder Sozialschutzkomitee UNEDIC Union national pour l’emploi dans l’industrie et le commerce – Arbeitslosenversicherungsverwaltung UNIOPSS Union nationale interfédérale des œuvres et organismes privés sanitaires et sociaux
1 Einleitung
Nicht erst seit der Wirtschafts- und Finanzkrise wird in Europa diskutiert, ob und inwieweit der bestehende Lebensstandard erhöht bzw. zumindest gehalten werden kann. Der sich abzeichnende Wandel der Bevölkerungsstruktur, die wirtschaftlichen und technischen Umbrüche sowie die Lockerung der innereuropäischen Grenzen verändern nicht nur die Arbeitsmarktstrukturen sondern stellen auch die bisherigen Konzepte zur sozialen Eingliederung in Frage (vgl. Castells 2000, Rhodes 1996, Goul Andersen/Jensen 2002). Nichtkontinuierlich verlaufende Berufskarrieren und das Anwachsen von atypischen, nur gering abgesicherten Arbeitsmarktsequenzen erhöhen die Gefahr einer Prekarisierung von ganzen Bevölkerungsgruppen (vgl. Lessenich 2008). Sollen die negativen sozialen Konsequenzen der gesellschaftlichen Umbrüche abgefedert werden, bedarf es somit neuer Antworten auf die Frage, wie Bürger in die Gesellschaft integriert werden können und wie soziale Ausgrenzung bekämpft werden kann. Eine besondere Stellung nehmen in den Debatten die Sozialstaaten ein (vgl. Lessenich 2008, Leibfried/Obinger im Erscheinen, Kaufmann 2005). An ihnen wird auf der einen Seite bemängelt, dass ihre bisherige Ausrichtung Erwerbslose in eine passive Abhängigkeit zum Staat treibe und sie nicht ermutigt, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ferner ist vorgebracht, dass sie zu teuer für die zunehmend global vernetzten und alternden Staaten seien. Deshalb wird gefordert, sie an die neuen wirtschaftlichen, politischen und demografischen Gegebenheiten anzupassen. Auf der anderen Seite wird kritisiert, dass die bisherigen sozialen Sicherungssysteme nicht mehr genügen, um die neuen Berufskarrieren und –verläufe ausreichend und umfassend abzusichern. Auch hätten sich die Normalbiografien grundlegend geändert, weshalb der bestehende Sozialschutz nicht mehr den Bedürfnissen einer Bevölkerung mit vielfältigen Lebenskonzepten entsprechend würde. Gefordert werden neue Formen der sozialen Inklusion, die den allgemeinen Lebensstandard und das bestehende Sozialschutzniveau halten sollen. Die Sozialstaaten sollen somit künftig sowohl die Eigenverantwortung der Bürger stärken und finanzierbar bleiben als auch auf die neuen sozialen Risiken eingehen und einen ausreichenden Sozialschutz in den zunehmend unsicheren Zeiten bieten. Aber nicht nur die Inhalte sondern auch die Organisation der Sozialstaaten ist umstritten. Diskutiert wird, wie Sozialpolitik künftig organisiert sein sollte. Als Konsens gilt, dass die nationalen Sozialstaaten
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in einer zunehmend europäisierten und globalisierten Wirtschaft immer weniger Handlungsspielraum hätten. Die nationalen Sozialpolitiker müssten folglich Konzepte entwickeln, wie die gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten wieder gewonnen werden können. Ein möglicher Lösungsweg wäre der Aufbau von sozialstaatlichen Strukturen auf europäischer Ebene. Durch einen europaweit einheitlichen Sozialschutz könnte der Handlungsspielraum gegenüber der Wirtschaft wettgemacht werden, da jene die Staaten nicht mehr gegeneinander ausspielen könnte – ein Argument, das gerade seit dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten an Bedeutung dazugewonnen hat. Allerdings zeigte sich in der Vergangenheit deutlich, dass die Chancen für einen europäischen Sozialstaat gering sind. Die Regierungen sind nicht bereit, diesen Kompetenzbereich aufzugeben, da er einen erheblichen Anteil an ihrer nationalen Legitimität ausmacht. Des Weiteren verhindern scheinbar unüberbrückbare Differenzen zwischen den Staaten eine solche Entwicklung. So ist es unwahrscheinlich, dass ein Konsens über einen „richtigen“ gemeinsamen Handlungsansatz gefunden wird, da die unterschiedlichen Sozialstaatsformen in ihren jeweiligen Staaten fest institutionalisiert sind. Daneben ist wenig vorstellbar, dass sich die Regierungen darauf einigen, auf welchem Niveau ein europäischer Sozialstaat anzusiedeln ist. Während die nord- und westeuropäischen Staaten mit großer Wahrscheinlichkeit ein hohes Niveau anstreben würden, um mögliche Standortnachteile zu eliminieren, würden sich die süd- und osteuropäischen Staaten vermutlich wegen eben jenes wirtschaftlichen Vorteils der eigenen Systeme dagegen aussprechen (vgl. Mau 2003). Auch muss die Frage der Finanzierung gestellt werden, denn die reichen Mitgliedsstaaten versuchen schon jetzt ihrer Beiträge zu den Agrar- und Strukturfonds zu senken, die momentan als die wohlfahrtsstaatlichen Elemente der EU bezeichnet werden (vgl. Leibfried/Obinger im Erscheinen: 4). Weder die Regierungen noch die Bevölkerung wären in diesen Staaten davon zu überzeugen, größere Ausgleichszahlungen an die europäischen Partner zu zahlen. Nicht zuletzt spricht gegen einen europäischen Sozialstaat sein bürokratischer Aufwand. Die Chancen eines sozialen Europa mit einem sozialstaatlichen Charakter sind somit minimal. Vielmehr wird der Schutz der Bürger vor Armut und anderen sozialen Risiken innerhalb der EU als ein originäres Aufgabenfeld der Nationalstaaten gewertet. Im Vertrag der Europäischen Gemeinschaften heißt es denn auch, dass die „anerkannten Befugnisse der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen,“ bei allen europäischen Maßnahmen unberührt bleiben müssen (Art. 137 EG-Vertrag). Auf europäischer Ebene konzentrierte man sich daher bisher im sozialpolitischen Bereich auf eine Regulation, d.h. im Umgang mit bestimmten sozialen Problemen wurden gemeinsame Standards entwickelt. Von Vorteil war hierbei, dass diese Regelungen nicht einstimmig verabschiedet werden müssen und die Regierungen sie mit
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wenig finanziellem Aufwand umsetzen können, da die Kosten von Dritten (z.B. den Arbeitnehmern und Arbeitgebern) getragen werden müssen (vgl. Leibfried/ Obinger im Erscheinen: 14). Allerdings schließt ein solcher Ansatz redistributive Maßnahmen aus, „dieser Weg endet dort (...), wo eine Kernaufgabe des Wohlfahrtsstaates, nämlich re-distributive Politik, erst beginnt“ (Leibfried/ Obinger im Erscheinen: 19). Damit ist er nur bedingt geeignet zur Lösung der hier besprochenen Probleme. Daneben wurden die Sozialstaaten in den letzten zwanzig Jahren auf der Grundlage des europäischen Rechts an die Prinzipien des Binnenmarktes angepasst (Leibfried/Pierson 2005: 276-284). Auch dieser Weg erweist sich als untauglich zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung, vielmehr scheint er Teil des Problems zu sein. Als Antwort auf das Spannungsfeld aus national fest verankerten Wohlfahrtskompetenzen und dem Ziel, gemeinsam Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen, entschieden sich die Staats- und Regierungschefs im Jahr 2000, die nationalen Reformbemühungen durch die Einführung der Offenen Methode der Koordinierung im Bereich der sozialen Eingliederung (OMK/Inklusion) zu unterstützen. Unter einer OMK ist ein mehrdimensionales reflexives Regulierungsverfahren zu verstehen (vgl. Trubek/Trubek 2007), bei dem sich die Regierungen gemeinsame Ziele setzen, die sie selbstständig in ihren Staaten implementieren (vgl. de la Porte et al. 2001). Unterstützt werden diese Bemühungen auf europäischer Ebene durch Benchmarking- und Peer-Review-Verfahren, wodurch die Regierungen eine kritische Reflexion der eigenen Politik erhalten und von den Erfahrungen der anderen Staaten profitieren können. Die OMK scheint somit eine Möglichkeit zu sein, ein soziales Europa aufzubauen, das sämtliche Bereiche des Sozialstaates betrifft und gleichzeitig unabhängig von der wirtschaftlichen Integration Europa ist und die nationalen Kompetenzen bzw. die nationale Vielfalt wahrt. Das Wirkungspotenzial eines solchen weichen und sanktionsfreien Verfahrens ist in der Wissenschaft allerdings umstritten (vgl. Radaelli 2003, Heidenreich/Bischoff 2008). Während die OMK für einige Forscher eine neue Form des Regierens darstellt und besonders die kognitiven Lernmöglichkeiten betont werden (vgl. Jacobsson 2004; Zeitlin 2005a), sehen andere in dem Verfahren symbolische Gesprächsrunden ohne Auswirkungen, da die Umsetzung der europäischen Erkenntnisse nicht erzwungen werden könne (Scharpf 2002, 2003, Hartlapp 2006, Leibfried/Obinger im Erscheinen). Erste empirische Studien ergaben (vgl. Zeitlin et al. 2005, Heidenreich/Zeitlin 2008), dass für den Erfolg bzw. Misserfolg der OMK/Inklusion in einem Land die nationalen Rahmenbedingungen entscheidend sind. Allerdings gibt es bisher keine vergleichende Studie, die herausarbeitet, welche Effekte das Verfahren in verschiedenen nationalen Systemen erzielt, welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten die nationale Nutzung aufweist und wie sich diese erklären lassen.
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Einleitung
Mit der vorliegenden Studie soll diese Lücke geschlossen werden, indem die Implementierung der OMK/Inklusion und ihre Auswirkungen auf den Bereich soziale Eingliederung in Deutschland, Frankreich und Italien für die Jahre 2000 bis 2005 untersucht werden. Hierbei wird zunächst analysiert, ob es im Rahmen des Verfahrens möglich war, europäische Konzepte zur Lösung der anstehenden sozialen Probleme zu finden. Der Ansatz der sozialen Eingliederung erscheint auf den ersten Blick erfolgsversprechend, da er die neuen sozialen Risiken weder auf Armut und Bedürftigkeit reduziert noch davon ausgeht, dass sämtliche Probleme durch ein Wirtschaftswachstum gelöst werden. Darauf aufbauend werden die Folgen auf der nationalen Ebene betrachtet. Analysiert wird, wie das Verfahren auf nationaler Ebene organisiert und implementiert wurde. Konnte es zu einer Europäisierung der Sozialpolitik führen oder kann gar eine Konvergenz der nationalen Systeme erwartet werden? Der Vergleich der drei Staaten erscheint aus drei Gründen besonders interessant und aufschlussreich: Erstens gelten die nationalen Handlungsansätze der drei Staaten im Kampf gegen soziale Ausgrenzung als fest institutionalisiert. Trotz teilweise weitreichender Reformen war es bisher nicht möglich, den eingeschlagenen Entwicklungspfad zu verlassen und neue Wege der sozialen Eingliederung zu beschreiten. Die OMK/Inklusion stellt für sie eine Chance, den eigenen Reformbemühungen neue Impulse zu geben und neue Lösungskonzepte kennenzulernen. Zweitens muss aber auch angenommen werden, dass die nationalen Reformblockaden die Implementierung der OMK/Inklusion behindern und es sich um drei Länder handelt, in denen das Verfahren auf besonders große nationale Barrieren stößt. Daher kann argumentiert werden, dass – wenn die OMK/Inklusion hier Erfolg hat – sie auch in anderen Staaten erfolgreich innovative Impulse setzen kann. Drittens unterscheiden sich die drei Sozialstaaten erheblich in ihrem organisatorischen Aufbau und ihrem Handlungsansatz, auch wenn sie von Esping-Andersen (1990) zu einer Wohlfahrtsfamilie gerechnet werden. Denn während in der hier untersuchten Zeitperiode im zentralistischen Frankreich nationalstaatliche Programme zur Stärkung von sozialer Kohäsion auf nationaler Ebene umgesetzt wurden, waren die Kompetenzen im föderalen Deutschland auf viele Organisationen verteilt. Ferner existierte hier im Untersuchungszeitraum keine ganzheitliche Politik der sozialen Eingliederung, da Armut durch die Sozialhilfe als bekämpftes Phänomen galt und soziale Ausgrenzung vor allem mithilfe der Arbeitsmarktpolitik überwunden werden sollte. Schließlich waren in Italien bis zum Jahr 2005 die lokalen Behörden, lokale NGOs und die Familien selbst die entscheidenden Kräfte im Kampf gegen soziale Ausgrenzung, wobei sowohl im Lebensstandard als auch im sozialstaatlichen Leistungsniveau ein starkes Nord-Süd-Gefälle bestand.
Einleitung
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In der vorliegenden Studie wird untersucht, ob die OMK/Inklusion zu einem sozialen Europa beitragen konnte, in dem gemeinsam auf europäischer Ebene Lösungskonzepte entwickelt werden, die helfen, die nationalen Sozialstaaten fit für die neuen sozialen Risiken zu machen und so den Lebensstandard in Europa zu verbessern oder zumindest zu halten. Die Ergebnisse werden jedoch wenig positiv sein. Denn für die europäische Ebene wird sich zeigen, dass Sozialpolitiker das Verfahren vor allem nutzten, um ihre Positionen in die europäischen Debatten einzubringen, wobei angezweifelt werden darf, dass sie hierbei im größeren Ausmaß erfolgreich waren. Daneben wurden kaum gemeinsame Konzepte oder eine echte Zusammenarbeit zur Lösung der sozialen Probleme auf nationaler Ebene angestrebt. Für die drei Staaten wird nachgewiesen, dass die Umsetzung der OMK/Inklusion geprägt war von organisatorischen Problemen und nationalen Vorbehalten gegenüber der europäischen Ebene. Nur einzelne staatliche und nichtstaatliche Akteure und Organisationen nutzten das Verfahren, um die eigene Arbeit im Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu verändern und zu stärken. Die OMK/Inklusion war ausschließlich bei einzelnen Projekten erfolgreich. Es wurde nicht geschafft, den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung umfassend und dauerhaft zu beeinflussen. In dieser Arbeit werden daher die Faktoren benannt, die den Aufbau eines sozialen Europas verhinderten. Die Arbeit gliedert sich in zehn Kapitel: Im Anschluss an die Einleitung wird im zweiten Kapitel die bisherige OMK-Debatte resümiert. Herausgearbeitet wird, dass die OMK eine neue Form des Regierens darstellt, die sich in ihrer Organisation, ihrem Entscheidungsprozess und ihren Ergebnissen von der Classical Community Method unterscheidet. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass jede OMK auf einem prozessimmanenten Paradox beruht. Denn sie muss auf der einen Seite offen für neue Ideen sein, andererseits sind die Chancen für eine nachhaltige Nutzung um so größer, je kleiner der Teilnehmerkreis ist. Bezogen auf die OMK/Inklusion wird deutlich, dass sie tendenziell als offenes und daher wenig effizientes Verfahren zu werten ist. Darüber hinaus wird gezeigt, dass die OMK-Prozesse theoretisch kognitive, regulative und strategische Lernprozesse anstoßen und in multidimensionalen Effekten münden können. Allerdings wird auch offensichtlich, dass bisher keine Studien existieren, die systematisch herausarbeiten, unter welchen Bedingungen das hier untersuchtes Verfahren die Lernprozesse angeregt und welche nationalen Faktoren ihre Effekte ermöglichen bzw. verhindern. Ein Dreiländervergleich scheint eine Möglichkeit, durch eine komparative Analyse diese Lücke zu schließen. Im dritten Kapitel wird ein eigener Ansatz entwickelt, wobei die Erkenntnisse aus der institutionellen und organisationssoziologischen Europaforschung aufgegriffen werden (vgl. Heidenreich/Bischoff 2008, Fligstein/Stone Sweet 2002, Fligstein 2001, Stone Sweet et al. 2001). Denn die bisher entwickelten Integrati-
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onstheorien, welche die EU entweder als ein supranationales Gebilde begreifen oder von einer intergouvernementalen Konstruktion ausgehen, erscheinen für die OMK und den damit verbundenen Kopplungen von nationalen und europäischen Ebenen unzureichend (vgl. Behning 2004). Weiter muss nach meiner Auffassung eine Analyse und Interpretation der OMK über die kognitiven Lernkonzepte hinausgehen, die bisher im Zentrum der theoretischen OMK-Ansätze standen (u. a. Jacobsson 2004a/b), und auch die strategisch-machtbezogenen und die regulativen Dimensionen von Interaktionen berücksichtigen (vgl. Barbier 2004, Zeitlin 2005b). In dieser Arbeit wird dafür der neoinstitutionelle Feldbegriff aufgegriffen. Soziale Felder werden hier als geschlossene soziale Räume definiert, die voneinander abgegrenzt sind, sich aber gleichzeitig wechselseitig beeinflussen. Die OMK/Inklusion wird als ein Mehrfelderkonstrukt verstanden, bei dem ein europäisches Feld entstanden ist, das mit den nationalen, bereits bestehenden Feldern gekoppelt wird. Die Felder können sich hierbei gegenseitig irritieren, ohne unmittelbar ineinanderzugreifen (vgl. Heidenreich/Bischoff 2008). Für die Auswirkungen der OMK/Inklusion auf die nationalen Sozialordnungen bedeutet dies, dass sie bestimmte Impulse aussenden kann, diese werden jedoch auf Basis der nationalen Ordnungen aufgegriffen und verarbeitet. Es kann daher nicht – wie in der OMK-Debatte oftmals geschehen – angenommen werden, dass die europäischen Debatten einen unmittelbaren Einfluss auf die nationalen Reformen haben. Das Verfahren kann vielmehr nur erfolgreich sein, wenn die durchsetzungsstarken Akteure und Organisationen bereit sind, die nationale Ordnung in Frage zu stellen. Des Weiteren muss es von ihnen als eine an die bestehenden Debatten anschlussfähige Lernmöglichkeit gewertet werden. Wenn diese Bedingungen gegeben sind, kann die OMK/Inklusion nicht nur dazu beitragen, dass neue Ideen und Leitbilder auf nationaler Ebene implementiert werden, sondern auch dazu führen, dass die nationale Politik effizienter gestaltet oder der Regierungsansatz verändert wird. Die OMK/Inklusion wird in dieser Arbeit somit als externer Faktor verstanden, der die nationalen Entwicklungen beeinflussen kann. Gleichzeitig wird aber auch argumentiert, dass ihre Implementierung von den nationalen Rahmenbedingungen bedingt und geprägt. Die verwendeten Methoden und das genutzte Material werden im vierten Kapitel vorgestellt. Hierfür werden zunächst die methodischen Probleme diskutiert, vor denen die Analyse eines europäischen Verfahrens mit seinen Auswirkungen auf die nationalen Entwicklungen steht, und dargelegt, wie in dieser Arbeit mit ihnen umgegangen wird. Im Anschluss daran werden die hierbei verwendeten Erhebungsinstrumente vorgestellt und begründet, warum für die Untersuchung ein vergleichender qualitativer Fallstudienansatz gewählt und fünfzig Leitfadeninterviews sowie eine umfassende Primär- und Sekundäranalyse durchgeführt wurden. Abschließend werden die verwendeten Quellen genannt.
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Der Fokus des fünften Kapitels richtet sich auf das europäische Feld der OMK/Inklusion. Gezeigt wird, dass das Verfahren im Untersuchungszeitraum Teil eines größeren Konfliktes war, in dessen Zentrum die Frage stand, welche Sozialpolitik künftig in Europa gebraucht wird und dabei finanzierbar ist. Das Verfahren wurde von den Sozialpolitikern als Möglichkeit betrachtet, auf europäischer Ebene ihre Positionen gegenüber wirtschafts- und finanzpolitischen Kräften einzubringen und durchzusetzen, wobei sie allerdings nur begrenzt erfolgreich waren. Weiter wird deutlich, dass viele Regierungen verhindern wollten, dass das Verfahren einen zu starken Einfluss auf ihre nationale Politik gewinnen kann. Sie blockierten daher die Entwicklung solcher Instrumente, die sie kritisch bewerten würden, und sprachen sich selbst viel Interpretationsspielraum zu. Die OMK/Inklusion war somit in der hier untersuchten Zeitperiode ein sehr weiches und nicht-bindendes Verfahren. Allerdings unterschied sie sich auch von anderen OMK-Prozessen, da sie mithilfe von speziellen Maßnahmen die nationalen und die europäischen NGOs förderte. Das Wirkungspotenzial der OMK/ Inklusion lag demnach besonders in einer Stärkung des nichtstaatlichen Sektors. In den anschließenden Länderkapiteln wird die Implementierung der OMK/Inklusion jeweils in drei Schritten untersucht. Zunächst werden für jedes Feld seine soziale Ordnung und ihre aktuellen Entwicklungen dargelegt. Gefragt wird, welche gesellschaftspolitischen Strukturen existierten und wie sie sich im Untersuchungszeitraum veränderten. In diesen Abschnitten werden die Veränderungen herausgearbeitet, welche von den Verfahren beeinflusst werden sollten und die umgekehrt die Implementierung der OMK/Inklusion prägten. Für Deutschland wird deutlich, dass es sich um ein subsidiäres Feld handelt, in dem Armut als weitgehend bekämpftes Phänomen galt und sich die aktuellen Reformen vor allem auf eine Reduktion von versteckter Armut und einer Aktivierung der erwerbsfähigen Erwerbslosen konzentrierten. Dagegen wurde im zentralistischen Frankreich der nationalstaatliche Ansatz zur Stärkung von sozialer Kohäsion modifiziert und ausgebaut. Hierfür wurden Hilfsprogramme aufgelegt und das Budgetrecht reformiert. Schließlich werden im dezentralen Italien gerade im Jahr 2000 Versuche der damaligen Regierung ausgemacht, eine Politik der sozialen Eingliederung aufzubauen. Gleichwohl wird sich auch zeigen, dass diese nach einer Verfassungsreform und einem Regierungswechsel nicht weiter verfolgt wurden. Vielmehr definierte die zweite Berlusconi-Regierung die Familie und die Regionen als zentrale Instanzen gegen soziale Ausgrenzung, weswegen von einem national finanzierten Mindesteinkommen und einer nationalen Koordinierung des Kampfes gegen soziale Ausgrenzung Abstand genommen wurde. In einem weiteren Schritt wird in den drei Länderkapiteln untersucht, wer an der OMK/Inklusion partizipierte, wie die beteiligten Akteure und Organisationen sie bewerteten und über welche nationalen Durchsetzungskapazitäten sie verfüg-
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ten. Hierbei wird deutlich, dass sie in allen drei Staaten ein administrativer und kein politischer Prozess war. Allerdings werden auch Unterschiede offensichtlich: Denn in Deutschland und Italien verhinderten die föderalen bzw. dezentralen Strukturen in Verbindung mit den Vorbehalten der Regierungen gegenüber europäischen Initiativen im sozialpolitischen Bereich bzw. gegenüber einer nationalen Politik der sozialen Eingliederung eine erfolgreiche Verknüpfung der OMK/Inklusion mit den nationalen Prozessen. Dagegen ermöglichten der französische Zentralismus und der Gestaltungsspielraum der federführenden Beamten eine Impulssetzung durch die OMK/Inklusion in die administrativen Debatten und Pläne. Schließlich wird aber auch herausgearbeitet, dass in Italien und Deutschland viele NGOs und in Teilen auch die lokalen Behörden unabhängig von der Regierung an dem Prozess partizipierten und darin eine Chance sahen, die eigene Arbeit zu verbessern, während sich die französischen NGOs und lokalen Behörden kaum engagierten. Im letzten Teil der Länderkapitel werden die Auswirkungen des Verfahrens untersucht. Dabei wird nachvollzogen, wie die europäischen Impulse in die nationalen Debatten und Reformprozesse verarbeitet wurden. Ferner wird herausgearbeitet, ob und wie sich nationale Entwicklungen durch die OMK/Inklusion veränderten. Gezeigt wird Folgendes: In Deutschland konnten nur einzelne Beamte und Organisationseinheiten innerhalb der Regierung durch die Vorgaben der Offenen Methode der Koordinierung neue Definitionen der sozialen Eingliederung und neue Instrumente zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung kennenlernen, ohne dass dies jedoch zu einem kollektiven Lernen in der Regierung führte. Wohl aber hatte der Prozess einen Einfluss auf die Debatten der nichtstaatlichen Organisationen. Diese nutzten das Verfahren, um das eigene Denken zu reflektieren sowie neue Kontakte untereinander und zu einzelnen lokalen und nationalen Behörden zu stärken. In Frankreich trieb die politische Spitze mithilfe des Verfahrens die Weiterentwicklung eines sozialen Europas voran, ohne die europäischen Ergebnisse bewusst in der politischen Politik umzusetzen. Dagegen griff die nationale Administration die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Prozess auf, um die Entwicklung und Implementierung der sozialpolitischen Reformen im Rahmen ihrer Möglichkeiten voranzutreiben. In den Debatten auf lokaler Ebene und bei den Nichtregierungsorganisationen spielte das Verfahren kaum eine Rolle. In Italien hatte der Prozess so gut wie keine Auswirkungen auf die staatlichen Reformen und Debatten. Vielmehr verwies die Mitte-rechtsRegierung nur auf ihn, um die eigenen, nicht umgesetzten Reformpläne zu rechtfertigen. Dafür wurden seine Impulse von Teilen der lokalen Behörden und dem nichtstaatlichen Sektor aufgegriffen. Sie gestalteten mit seiner Hilfe das eigene Handeln effektiver. Ferner bauten sie sich durch die europäischen Projekte und Konferenzen nationale wie europäische Kommunikationsnetzwerke auf.
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Im neunten Kapitel wird in einem Ausblick auf die aktuellen Reformen der OMK/Inklusion eingegangen. Denn im Jahr 2006 wurde das Verfahren sowohl mit den anderen beiden sozialpolitischen OMK-Prozessen zusammengefasst, als auch an den Zyklus der beschäftigungs- und wirtschaftspolitischen Säulen der Lissabon-Strategie angepasst. Herausgearbeitet wird, dass sich die Einflusschancen der OMK/Inklusion durch ihre Modifizierung nicht erhöhten, da die Ziele des Prozesses nicht konkretisiert bzw. die Evaluierungsinstrumente nicht verbessert wurden. Auch wird deutlich, dass sich bei den Reformen die wirtschaftsorientierten Kräfte durchsetzen konnten und daher zu erwarten ist, dass die OMK/Inklusion künftig stärker als bisher auf wirtschaftspolitische Aspekte ausgerichtet sein wird. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und herausgearbeitet, welche Erkenntnisse die vorliegende Studie über die Entwicklungsmöglichkeiten eines sozialen Europas liefert. Argumentiert wird, dass die Chancen für ein soziales Europa momentan gering sind, da die Regierungen nach wie vor nicht bereit sind, die europäischen Kompetenzen nachhaltig zu stärken und die nationalen Strukturen grundlegend zu verändern. Die OMK/Inklusion konnte nicht dazu beitragen, das Dilemma des sozialen Europa zu überwinden, vielmehr war jenes ein Teil des Verfahrens. Denn einige Regierungen verhinderten, dass kritische Evaluierungsinstrumente im sozialpolitischen Bereich auf europäischer Ebene eingeführt und ein konkretes Konzept von sozialer Inklusion entwickelt wurden. Das weiche Verfahren konnte in keinem der drei hier untersuchten Staaten dazu beitragen, die bestehenden Strukturen zu überwinden, vielmehr wurden nationale Reformblockaden zu Hindernissen bei der erfolgreichen Umsetzung der OMK/Inklusion. Die vorliegende Dissertation ist im Anschluss an ein Forschungsprojekt entstanden, das unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Heidenreich in den Jahren 2005 bis 2007 an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg durchgeführt wurde. Finanziert wurde das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. In dem Projekt wurden der Einfluss der Europäischen Beschäftigungsstrategie und der OMK/Inklusion auf die Systeme in Deutschland, Frankreich und Italien untersucht und miteinander verglichen. Hierfür wurden hundert Experteninterviews durchgeführt, von denen mehr als Fünfzig in dieser Arbeit ausgewertet werden.
2 Debatten um die Offenen Methode der Koordinierung im Bereich soziale Eingliederung
Die Offene Methode der Koordinierung im Bereich soziale Eingliederung (OMK/Inklusion) wurde im Jahr 2000 auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Lissabon ins Leben gerufen (vgl. Europäischer Rat 2000a: Nr. 32-34). Sie soll dazu beitragen, die gesellschaftlichen Inklusionsprozesse europaweit zu stärken. Zu diesem Zweck baut sie auf einem Set an Instrumenten auf, das zusammenspielen und sich gegenseitig ergänzen soll (vgl. Chalmers/Lodge 2003: 2-8, Trubek/Trubek 2005b: 348, Daly 2006: 465-467): ¾ „Festlegung von Leitlinien für die Union mit einem jeweils genauen Zeitplan für die Verwirklichung der von ihnen gesetzten kurz-, mittelund langfristigen Ziele; ¾ gegebenenfalls Festlegung quantitativer und qualitativer Indikatoren und Benchmarks im Vergleich zu den Besten der Welt, die auf die in den einzelnen Mitgliedstaaten und Bereichen bestehenden Bedürfnisse zugeschnitten sind, als Mittel für den Vergleich der Bewährten Praktiken; ¾ Umsetzung dieser europäischen Leitlinien in die nationale und regionale Politik durch Entwicklung konkreter Ziele und durch den Erlass entsprechender Maßnahmen unter Berücksichtigung der nationalen und regionalen Unterschiede; ¾ regelmäßige Überwachung, Bewertung und gegenseitige Prüfung im Rahmen eines Prozesses, bei dem alle Seiten voneinander lernen.“ (Europäischer Rat 2000a, Nr. 37) Mit der Offenen Methode der Koordinierung wurde ein Verfahren gewählt, das sich von der bestehenden Classic Community Method grundlegend unterscheidet. Zu klären ist nun, warum sich die Staats- und Regierungschefs entschieden, diesen neuen Weg einzuschlagen. Im ersten Teil dieses Kapitels wird dafür der Entstehungshintergrund der OMK/Inklusion untersucht und dargelegt, dass sie eine mögliche Lösung für widersprüchliche Entwicklungen in Europa ist (2.1). Denn auf der einen Seite definieren die europäischen Regierungen einen gemeinsamen Handlungsbedarf, da sie vor ähnlichen sozialstaatlichen Herausforderungen stehen. Auch wird die bisherige europäische Sozialpolitik von vielen als
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Debatten um die OMK/Inklusion
unzureichend empfunden, da sie einseitig auf eine Anpassung der sozialen Sicherungssysteme auf die Prinzipien des Binnenmarktes ausgerichtet ist. Eine europäische Lösung im Sinne einer Vergemeinschaftung scheint jedoch ausgeschlossen, da weder die Regierungen bereit sind, ihre sozialstaatlichen Kompetenzen abzugeben, noch Chancen auf ein gemeinsam geteiltes europäisches Sozialmodell bestehen. Im zweiten Schritt wird auf die Offene Methode der Koordinierung als ein neues Regulierungsverfahren eingegangen und die in sie gesetzten Erwartungen diskutiert (2.2). In diesem Zusammenhang wird offensichtlich, dass unterschiedliche theoretische Konzepte die Wirkungsmöglichkeiten der OMKProzesse verschieden einstufen. Unklar ist hierbei noch, was von der OMK/ Inklusion erwartet werden kann. Ferner wird herausgearbeitet, dass die bisherigen theoretischen Modelle die empirischen Ergebnisse nur unzureichend erklären können. Schließlich wird die OMK sowohl von den bestehenden europäischen Entscheidungsverfahren unterschieden und herausgearbeitet, warum diese Herangehensweise gewählt wurde. Dabei wird deutlich, dass es bisher noch an empirischen Studien mangelt, die sowohl den zeitlichen Verlauf als auch nationale Unterschiede umfassend und vergleichend berücksichtigen.
2.1 Rahmenbedingungen einer europäischen Sozialpolitik Entstanden sind die Sozialstaaten in Westeuropa als Reaktion und Gegengewicht auf die wirtschaftlichen, politischen und technologischen Umbrüche des 19. Jahrhunderts und die damit verbundenen gesellschaftlichen Prozesse (vgl. Immerfall 1994, Alber 1988). Damals führten die Bevölkerungsexplosion, das Entstehen von kapitalistischen und industriellen Wirtschaftsformen und die damit einhergehende Bildung einer lohnabhängigen Arbeiterschicht zur Verelendung von breiten Bevölkerungsschichten und deshalb zu sozialen Spannungen (vgl. Kaelble 2004: 34, Kronauer 2002: 108). Durch die Einführung von sozialen Sicherungssystemen sollten die sozialen Probleme zumindest teilweise gemildert und die neuen Gesellschaftsstrukturen stabilisiert werden. Maßgeblich ausgebaut und ihrer heutigen Form entwickelt wurden die modernen Sozialstaaten in Westeuropa vor allem in den 1950er und 1960er Jahren, was auch die „Blütezeit des modernen Wohlfahrtsstaates“ (Kaelble 2000: 41) bezeichnet wird. Ihr Aufbau und ihre Zielsetzung sind deshalb auch komplementär ausgerichtet auf nationale Wirtschaftssysteme, eine industrielle Massenproduktion und kontinuierliche Erwerbskarrieren (vgl. Kaelble 2004: 35, Raphael 2004: 54). Zu ihren primären Aufgaben gehört die Sicherung der Bevölkerung gegenüber den sozialen Risiken der modernen kapitalistischen Marktwirtschaft (vgl. Kaufmann 1997: 34-46, Vobruba 1983: 99f, Treib 2006: 257, Heidenheimer et al. 1990: 229). Des Weite-
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ren sollen sie die Gleichheit in der Gesellschaft stärken, worunter entweder eine Angleichung des allgemeinen Lebensstandards (vgl. Schulte 2004: 77, SeeleibKaiser 2001: 41) oder der Abbau von „Anrechtsschranken“ (Mau 1997: 8) verstanden wird. The Welfare State is the institutional outcome of the assumption by a society of legal and therefore formal and explicit responsibility for the basic well-being of all of its members. (Girevetz 1968: 512, zitiert nach Kaufmann 2005: 247)
Sie sorgen somit für eine Integration des Einzelnen in die Gesellschaft und stärken dabei den gesellschaftlichen Zusammenhalt (Kaufmann 2005: 226, Lahusen/Stark 2003: 353). Die modernen Sozialstaaten greifen demnach mit dem Ziel in den Markt ein „to supersede, supplement or modify operations of the economic system in order to achieve results which the economic system would not achieve on its own (...)“ (Marshall 1975: 15). Aus systemtheoretischer Sicht wird dabei positiv hervorgehoben, dass die Sozialstaaten die desintegrativen Folgen der Moderne abmildern und daher eine wichtige Voraussetzung für weitere funktionale Ausdifferenzierungen in der Gesellschaft sind (vgl. Vobruba 1991, Huf 1998). Dagegen argumentieren Neo-Marxisten, dass „der Kapitalismus weder mit dem Sozialstaat noch ohne ihn fortbestehen kann“ (Offe 1984: 331, H.i.O.). Das Verhältnis der Sozialstaaten zu den wirtschaftlichen Systemen gilt hier als ambivalent. Auf der einen Seite bewahren sie die Bürger vor einer totalen Verarmung und Verelendung und garantieren damit den sozialen Frieden (vgl. Lahusen/Stark 2003: 369). Auf der anderen Seite stabilisieren sie die Erwerbsfähigkeit der Bevölkerung und legitimieren die kapitalistische Gesellschaftsordnung (vgl. Offe 1984, Offe 1985, Gough 1979: 12). Die Sozialstaaten sind demnach eine zentrale Voraussetzung für eine Marktintegration. Denn sie übernehmen politische und wirtschaftliche Aufgaben, weshalb diese gesellschaftlichen Teilsysteme auch komplementär aufeinander ausrichtet sind und sich wechselseitig beeinflussen (vgl. Hall/Soskice 2001, Hall/Gingerich 2004, Höpner 2005). Für die Reformmöglichkeiten der westeuropäischen Sozialstaaten bedeutet dies, dass die Chancen für einen inkrementellen Wandel im Einklang mit den Reformen in anderen Teilbereichen größer sind als ein radikaler Umbruch, der die gesamtgesellschaftliche Ordnung gefährden würde (Streeck/Thelen 2005: 1, 4-9). Umgekehrt kann es jedoch auch zu einem „Dominoeffekt“ (Beyer 2006: 31) kommen, d.h. Reformen aus einen Politikbereich lassen Maßnahmen in einem anderen notwendig erscheinen. Trotz der gemeinsamen Grundausrichtung und der ähnlichen historischen Entwicklung sind die westeuropäischen Sozialstaaten nicht einheitlich, vielmehr differieren sie in der Ausbalancierung der Grundprinzipien und bei der Wahl ihrer Instrumente (vgl. Aust et al. 2002: 274-282, Ebbinghaus 1999: 24). Zur
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Systematisierung der europäischen Sozialstaaten wurden immer wieder verschiedene Typologien entwickelt bzw. herangezogen (vgl. Arts/Gelissen 2002, Schmidt 1998, Ferrera et al. 2000). So wird zwischen dem deutschen Sozialversicherungsansatz (Bismarck-System) und der britischen universalistischen Staatsbürgerversorgung (Beveridge-Modell) unterschieden (vgl. Schmid 2002: 88, Obinger/Wagschal 1998: 132). Als gängigstes Modell können jedoch EspingAndersens „Drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus“ (1990, 1998) bezeichnet werden, demzufolge es in Europa drei unterschiedliche Sozialstaatstypen gibt: In den konservativ-kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten gewähren die Sozialversicherungen relativ weitreichende Leistungen (vgl. Esping-Andersen 1998: 39f, 44). Allerdings „sichert dies nicht automatisch wirkliche De-Kommodifizierung, weil viel von der Ausgestaltung von Zugangsregeln und Leistungsvoraussetzungen abhängt“ (Esping-Andersen 1998: 37). In diesem Regimetyp werden somit die Arbeitnehmer und ihre Familien auf Basis einer institutionalisierten Statusdifferenzierung vor den Risiken des Marktes geschützt, wobei der Leistungsumfang an Vorbindungen geknüpft ist (vgl. Mückenberger 1985, Bosch et al. 2001, Pfau-Effinger 1996). Eine negative Folge dieses Sozialstaatsmodels ist, dass sich hier bestimmte Armutsmilieus und gruppenspezifische Armutsrisiken verfestigen (vgl. Hauser 1995, Neumann/Schaper 1998). In der sozialdemokratisch-skandinavischen Wohlfahrtsfamilie erhalten die Bürger vom Staat eine universelle Grundsicherung, sodass sie relativ unabhängig vom Markt sind (vgl. Benner/Vad 2000, Esping-Andersen 1998: 38, 41, 44). Das Armutsrisiko ist daher in diesen Staaten relativ gering. In den liberal-angelsächsischen Staaten wird die Sozialfürsorge bei einem nachweisbaren Bedarf gewährt, während Sozialversicherungsleistungen eine geringere Rolle spielen. Dafür ist das Absicherungsniveau relativ niedrig (vgl. Esping-Andersen 1998: 37, 42, 43). Die Bürger erhalten somit ihre sozialstaatlichen Leistungen unabhängig ihrer Schichtzugehörigkeit, sind jedoch weiterhin abhängig vom Markt (vgl. Schmid 2002, King 1992). Diese Form der Absicherung resultiert in einem relativ hohen Armutsrisiko bei Erwerbslosigkeit und verfestigten Armutsmilieus (vgl. Rhodes 2000). Ausgehend von den drei Sozialstaatsmodellen wurde diese Typologie von verschiedenen Forschern aufgegriffen und um weitere Regimetypen erweitert. Oft wird in diesem Zusammenhang auf die südeuropäischen Staaten abgezielt. In deren familaristischen Sozialstaaten ist ein öffentlicher Sozialschutz nur rudimentär vorhanden, weshalb oftmals die Familie eine entscheidende Sicherung gegen die sozialen Risiken ist (vgl. Rhodes 1996: 315, Ferrera 1996: 4-7, Klammer 2001: 279). Das Armutsrisiko ist daher in diesen Staaten sehr hoch und kann durch staatliche Maßnahmen kaum eingedämmt werden.
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Die Typologie von Esping-Andersen ist jedoch umstritten (vgl. u.a. Lessenich/Ostner 1998). So wurde bemängelt, dass die komplexen Sozialstaaten sehr vereinfacht dargestellt werden (vgl. Rieger 1998: 76-79) und sich die vorgenommene Zuordnung der einzelnen Sozialstaaten zu den Idealtypen empirisch nicht bestätigen würde (vgl. Obinger/Wagschal 1998). Auch wurde herausgearbeitet, dass sich die Sozialstaaten gegenseitig beeinflussen (vgl. Immerfall 1994: 91, Kaelble 2004: 41f) und sich gerade seit dem Zweiten Weltkrieg bezüglich ihrer Ausgaben und Instrumente annäherten (vgl. Tomka 2004, Raphael 2004: 53. Kaelble 2004: 37-40). Aufbauend auf dieser Diskussion kann festgehalten werden, dass die Modelle nur beschränkt die konkreten Sozialstaaten beschreiben. Gleichwohl wird deutlich, dass sich die westeuropäischen Sozialstaaten bei den Formen und dem Umfang der Absicherung, den Versichertenkreis und den Finanzierungsprinzipien voneinander unterscheiden. Die Sozialstaaten weisen demzufolge in Europa gemeinsame Ziele auf, haben eine gemeinsame Historie und sind in einen ähnlichen gesamtgesellschaftlichen Kontext verwurzelt (vgl. auch Rokkan 1973, van Kersbergen 2000). Sie grenzen sich sowohl im Umfang ihrer Sozialausgaben als auch in ihrer Bedeutung für das gesamtgesellschaftliche Gefüge von nicht-europäischen Sozialstaatsformen ab (vgl. Kaelble 2004: 40f, Schulte 2004: 77). Gleichzeitig wurde jedoch auch deutlich, dass die Umsetzung der Ziele auf verschiedenen Handlungsansätzen beruht, weshalb das jeweilige Set an Instrumenten und die Organisation des Sozialstaates zwischen den Nationalstaaten variieren. Auch wenn die westeuropäischen Sozialstaaten fest institutionalisiert sind und ihre Existenzberechtigung nicht hinterfragt wird (vgl. Marshall 1992, Flora et al. 1983: 24-26, Alber 1992: 549, Kaufmann 2000: 176-179)), begann nach der Wirtschaftskrise in den 1970er Jahren eine Diskussion, inwieweit sie mit ihrer starken Ausrichtung auf eine nationale Industriewirtschaft in Anbetracht der sich abzeichnenden gesellschaftlichen Entwicklungen noch adäquat sind (vgl. Adnett 2001, Vobruba 1999: 37, Heinze et al. 1999, Scharpf 2002, 2000, Ferrera et al. 2000, Pierson 1996, Alesina/Giavazzi 2006). Dabei werden vor allem vier Herausforderungen genannt, die den modernen Sozialstaat in Frage stellen. Erstens wird betont, dass die Sozialstaaten durch die zunehmende Globalisierung und Europäisierung der Wirtschaft unter Druck geraten (vgl. Rhodes 1996: 308-311, Swank 2001: 201-205). Europa befindet sich in der Zange zwischen der Konkurrenz hochentwickelter Industrieländer und den Niedriglohn-Schwellenländern, welche immer stärker neue Technologien einsetzen, und steht vor den wachsenden Herausforderungen des Wettbewerbs. (EWSA 2004: 4)
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Durch die verbesserten Kommunikations- und Verkehrssysteme sowie die Aufgabe von nationalen Wirtschaftsgrenzen gewinnen die Unternehmen an Mobilität und konkurrieren nun auf internationalen Märkten (vgl. Castells 2000: 101-162, de la Porte 2005). Dies hat zur Folge, dass die Sozialstaaten verstärkt als Kostenfaktor und damit als Standortproblem gewertet werden (vgl. Ebbinghaus 1999: 5). Die Regierungen sehen sich zur Wahrung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit gezwungen, die sozialen Abgaben zu senken und damit den sozialpolitischen Handlungsspielraum zu verringern (vgl. Chassard 2001: 291f, Bonoli et al. 2000, Hirsch 1995, Jessop 1999), was in vielen Staaten zu einer Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich führt (vgl. Goul Andersen/Jensen 2002: 4). Zweitens wird der Umbau der Produktion und des Arbeitsmarktes thematisiert (vgl. Ferrera et al. 2000: 6f, 8-11). Die westeuropäischen Wirtschaften haben sich durch die neuen technologischen Möglichkeiten und die globale Arbeitsteilung von Industrie- in Dienstleistungsgesellschaften gewandelt (vgl. Ferrera et al. 2000: 11-15, Mayes 2001: 2f, Kaufmann 1997: 49-62). Handwerkliche und industrielle Kompetenzen verlieren an Bedeutung (vgl. Jessop 1999), während immer mehr flexible einsetzbare Dienstleistungsanbieter gesucht werden (vgl. Esping-Andersen et al. 2002: 2f). Dieser Umbruch beeinflusst die nationalen Sozialstaaten insofern, als die Zahl der kontinuierlichen Erwerbsbiografien abnimmt. Das Risiko, zumindest temporär bedürftig zu werden und öffentliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, steigt für breite Bevölkerungsschichten. Aber nicht nur die Veränderungen in den Wirtschaftssystemen und auf dem Arbeitsmarkt stellen die bisherigen Sozialstaatsmodelle in Frage. Drittens stehen die Sozialstaaten aufgrund des demografischen Wandels vor der Aufgabe, einer steigenden Zahl an älteren, nicht erwerbstätigen Menschen ein ausreichendes Einkommen zu sichern, ohne die übrige Bevölkerung zu sehr zu belasten (vgl. Chassard 2001: 289ff, Mayer/Hillmert 2003: 87f). Schließlich wird in der Literatur auf den Wertewandel und die sich verändernden Familienstrukturen als weitere Herausforderungen für die europäischen Sozialstaaten verwiesen (vgl. Schulte 2004: 82f, Kaufmann 2005: 254-257). Allerdings müssen hier zwei Entwicklungen unterschieden werden. Zum einen wird betont, dass durch das Aufbrechen der traditionellen Wertemodelle Themen wie individuelle Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung wichtiger geworden sind (vgl. EspingAndersen et al. 2002: 2). Damit verbunden ist auch die Emanzipation der Frauen (vgl. Vobruba 1999: 28). Jene drängen stärker als bisher auf den Arbeitsmarkt, wodurch sie unabhängiger und besser sozial abgesichert werden. Gleichzeitig erhöht diese Entwicklung die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und widerspricht der Logik der sozialen Sicherungssysteme, die noch auf die Familien mit einem männlichen Ernährer ausgerichtet sind (vgl. Klammer 2001: 279-282, Kaufmann 2005: 256). Ein zweiter Argumentationsstrang betont dagegen, dass
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die Eigenverantwortung der Bürger wichtiger geworden ist (vgl. Serrano Pascual 2007: 19-21, Lahusen/Stark 2003: insb. S. 370f, Esping-Andersen et al. 2002: 4f). In diesem Zusammenhang wird an den bisherigen Sozialstaatsmodellen kritisiert, dass diese die Versicherten in eine soziale Abhängigkeit gebracht und nicht ihre eigene Erwerbsfähigkeit gefördert hätten. Allerdings sind die genannten Herausforderungen1 umstritten. So wird bezweifelt, ob die einzelnen Herausforderungen die postulierten Folgen für die Sozialstaaten haben (vgl. Alber/Standing 2000). Gerade in der Globalisierungsdebatte wird von vielen Skeptikern angezweifelt, dass die wirtschaftlichen Beziehungen sich in den letzten Jahren so nachhaltig verändert haben, dass sie die bisherigen nationalen Konstellationen in Frage stellen (vgl. Hirst/Thompson 1999a, 1999b, Fligstein 2001b: 199-222, Zürn 1998). Vielmehr wird betont, dass viele Unternehmen lokal verwurzelt und danach weniger mobil sind, als von vielen Globalisierungsforschern unterstellt wird. Aufgelöst werden kann dieser Konflikt in Hinblick auf meine Forschungsfrage mit Pierson (2001: 99), der feststellt, dass entscheidend ist, wie die Regierungen die anstehenden Probleme wahrnehmen und damit das bisherige sozialstaatliche Gefüge in Frage stellen (vgl. Butterwegge 2006: 107-109). Des Weiteren wird herausgearbeitet, dass in den nationalen Debatten zwar ähnliche Entwicklungen problematisiert werden, die diskutierten Lösungsansätze und der akute Handlungsbedarf zwischen den einzelnen Regimetypen jedoch divergieren (vgl. Esping-Andersen et al. 2002: 13-17, Goul Andersen/Halvorsen 2002, Hemerijck 2002, Heidenreich 2004). Während Hemerijck (2007) betont, dass es in den konservativen Staaten besonders die Segmentierung des Arbeitsmarktes und die daraus resultierende Exklusion von bestimmten Bevölkerungsgruppen zu überwinden gilt, kommt de la Porte (2002b: 55) zu dem Ergebnis, dass die sozialen Risiken für die Bevölkerung und damit der staatliche Handlungsdruck vor allem in Südeuropa und Großbritannien gestiegen sind. Somit kann festgehalten werden, dass die europäischen Sozialstaaten aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt werden, wobei offen bleibt, welche sozialen Folgen aus den veränderten Rahmenbedingungen hervorgehen und welche Konsequenzen und Maßnahmen für die einzelnen Regimetypen daraus abgeleitet werden müssen (vgl. Zürn/Leibfried 2005). Da europaweit, d.h. in allen Mitgliedstaaten, ein Handlungsbedarf im sozialpolitischen Bereich definiert wird, und einige Herausforderungen auch aus dem Einigungsprozess abgeleitet werden, könnte ein europäisches Handeln in diesem Bereich als ein möglicher Lösungsansatz sein (vgl. Esping-Andersen et al. 2002: 17ff). Im nächsten Schritt wird nun diskutiert, welche sozialpolitischen Ansätze vor der 1
Daneben stellt Chassard (2001: 292ff, 289ff) heraus, dass die Migrationsströme aus ärmeren Staaten nach der Erweiterung der EU die westeuropäischen Sozialstaaten vor große Probleme stellen.
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Einführung der OMK/Inklusion auf europäischer Ebene bestanden, wie sich diese zu den Sozialstaaten verhielten und inwieweit sie helfen konnten, den sozialen Umbrüchen innerhalb der EU gerecht zu werden. Bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsunion waren die Regierungen davon ausgegangen, dass sich durch die wirtschaftliche Integration der allgemeine Wohlstand steigern würde, und es daher keiner europäischen Sozialpolitik bedürfe (vgl. Knelangen 2005: 22). Auch betrachtete zu dieser Zeit die Mehrheit in Wissenschaft und Politik die Märkte und die Sozialstaaten als zwei getrennte Sphären (vgl. Raphael 2004: 59ff, Cantillon 2004: 6, Scharpf 1998b: 328-332). Diese Differenzierung geriet jedoch bereits in den 1970er Jahren in die Kritik. Seitdem gilt es als Konsens, dass das Ziel einer europaweiten Wohlstandssteigerung nur erreicht wird, wenn eine wirtschaftliche und eine soziale Integration angestrebt werden (vgl. Hemerijck 2002: 174). Gleichzeitig ist umstritten, welche Form die sozialpolitische Integration haben soll (vgl. Schulte 2004: 84, Streeck 1998: insb. 397-406). In Anlehnung an Scharpf lassen sich zwei sozialpolitische Integrationsmechanismen auf europäischer Ebene unterscheiden. Zum einen sorgt die negative Integration dafür, „dass die vorhandenen Wohlfahrtsstaaten – ohne Rücksicht auf ihre Gestalt und ihre Unterschiede – ‚Schnittstellen‘ haben, die sie miteinander kompatibel machen“ (Leibfried 2001: 202). Hierbei werden die Sozialstaaten in bestimmten Bereichen durch europäische Regeln als Teil des Binnenmarktes definiert, dessen Prinzipien sie entsprechen müssen (vgl. Schulte 2004: 91-96). Neben dieser Beteiligung der Sozialstaaten an der wirtschaftlichen Integration werden auch europäische Regeln entwickelt, die den sozialpolitischen Bereich auf europäischer Ebene stärken. So einigten sich die Mitgliedstaaten und die Kommission in einigen Bereichen auf europäische Sozialstandards, was auch als positive Integration bezeichnet wird. Allerdings beziehen sich diese aktiven sozialpolitischen Kompetenzen der Gemeinschaft hauptsächlich auf eine Verbesserung des Schutzes am Arbeitsplatz (Art. 95, 137 EG-V), die Gleichstellung der Geschlechter im Berufsleben (Art. 141 EG-V) und eine Förderung des sozialen Dialogs (Art. 138f EG-V) (vgl. Leibfried/Pierson 2005: 271f).2 Als dritte Variante einer europäischen Integration im Bereich der Sozialpolitik nennen Leibfried und Pierson (2005: 284-286) mittelbar wirkende Handlungszwänge. Die Wirtschaftspolitik der EU und der Druck der nationalen gesellschaftlichen Akteure und Probleme nötigen die nationalen Wohlfahrtsstaaten dazu, ihre Sozialleistungssysteme anzupassen. Diese Folgen sind, da indirekt, weit schwerer zu greifen, tragen aber dennoch zu der allgemeinen Entwicklung bei, nationale Sozialpolitik immer stärker in supranationale Vorgaben einzubinden. (Leibfried/Pierson 1998: 83) 2
Einen Überblick über sämtliche sozialpolitischen Kompetenzen der Gemeinschaft geben Leibfried/Pierson 2000 und Eichenhofer 2003.
Rahmenbedingungen einer europäischen Sozialpolitik
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Hiermit ist gemeint, dass durch die voranschreitende Wirtschaftsintegration sozialpolitische Handlungszwänge auf die nationalen Sozialstaaten einwirken. Deutlich geworden ist, dass sich die Grenzen zwischen dem Binnenmarkt und den Sozialstaaten sowie zwischen der EU und den Nationalstaaten seit den 1970er Jahren verändert haben. Im Zuge des Aufbaus eines europäischen Binnenmarktes gaben die Regierungen Kompetenzen sowohl an den Markt als auch an die europäische Ebene ab. Auch übt der europäische Einigungsprozess einen mittelbaren Handlungszwang auf die nationalen Sozialsysteme aus. Daher kommen Amitsis et al. (2003: 33) zu dem Ergebnis, dass „social policy is no longer the ‚stepchild' of European integration“. Allerdings lässt sich auch erkennen, dass der Aufbau eines europäischen Sozialstaates aus inhaltlichen wie machtstrategischen Gründen unrealistisch ist (vgl. Leibfried/Pierson 2005: 287), was als ein „sozialpolitisches Defizit“ der EU (Schmid 2002: 62) bezeichnet wird. Ein Sozialstaat Europa war nie ein plausibler Entwicklungspfad, da die EU in einem anderen historischen Zusammenhang als die Nationalstaaten entstanden ist und institutionalisierte, zudem ganz unterschiedlich zugeschnittene Sozialpolitikstrukturen in den Mitgliedstaaten vorfand. (Pierson/Leibfried 1998: 423)
Vielmehr galten die beschriebenen positiven und negativen Mechanismen lange Zeit als die einzig realistischen sozialpolitischen Handlungsweisen der EU. Das Entstehen der OMK im Bereich der sozialen Eingliederung ist nur vor dem Hintergrund von mehreren teilweise parallel verlaufenden Entwicklungen zu verstehen: Auf nationaler Ebene ist das Prinzip der Sozialstaatlichkeit festverwurzelt in allen europäischen Staaten, auch wenn sich die nationalen Modelle in ihrer Struktur, ihrem Set an Instrumenten und ihrem Niveau grundlegend unterscheiden (vgl. Scott/Trubek 2002: 6f), sodass eine Einigung auf ein europäisches Sozialstaatsmodell unwahrscheinlich ist. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass sämtliche nationalen Sozialstaaten vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Die Regierungen müssen demnach, wollen sie die Sozialstandards halten und die neuen sozialen Risiken wirkungsvoll bekämpfen, die Sozialstaaten reformieren. Auf europäischer Ebene entwickelte sich im Zuge des Einigungsprozesses eine positive und negative Integration im Bereich der Sozialpolitik. Die nationalen Sozialstaaten wurden als Teil des Binnenmarktes definiert und mussten sich teilweise entsprechend des Freizügigkeitsprinzips öffnen. Umgekehrt wurden aber auch die Rechte der Bürger (insbesondere der Arbeitnehmer) durch den Aufbau von sozialpolitischen Regulierungen auf europäischer Ebene gestärkt. Damit entstand eine europäische Sozialpolitik, auch wenn kein Aufbau einer Sozialstaatlichkeit stattfand. Somit zeigte sich, dass ein europaweiter Handlungsbedarf existiert, auch wenn die Regierungen nicht bereit sind, ihre sozialstaatlichen Kompetenzen aufzugeben, und die einzelnen Sozialstaaten ent-
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sprechend ihrer jeweiligen sozialen Ordnung vor besonderen Problemen stehen, bzw. nationalspezifische Lösungsansätze benötigen. Offen ist allerdings, inwieweit die OMK/Inklusion tatsächlich geeignet ist, die Dilemmata des soziales Europas zu überwinden.
2.2 Die Offene Methode der Koordinierung als Regulierungsverfahren Die Offene Methode der Koordinierung gilt in den wissenschaftlichen Diskussionen oft als ein innovatives europäisches Regulierungsverfahren, das die europäische und die nationale Ebene miteinander verknüpft, ohne dass dadurch ein europäischer, supranationaler Staat entstehen würde (vgl. Armstrong 2008, Sabel/Zeitlin 2007, de la Porte/Pochet 2005). Für Arrowsmith et al. ist sie daher “one of the most important problem-solving tools for the EU in recent years” (2004: 323). Denn durch sie verliert der nationale Sozialstaat seinen geschlossenen Charakter, gleichzeitig wird er aber nicht durch einen supranationalen Raum ersetzt, vielmehr entwickelt sich ein Wechselspiel der verschiedenen Ebenen, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Mit dem Verfahren wird dabei nicht nur das bisherige politische Raumverständnis aufgebrochen, sondern die OMK gilt auch als eine Form des „experimentalist governance“ (Sabel/Zeitlin 2007: 22) bzw. als „model of soft policy co-ordination” (Jacobsson 2004a: 83), die von den „‚classical’, ‘regulatory’ or ‘redistributive’ mode of EU governance“ zu unterscheiden ist (Büchs 2008: 21). Anstelle der bisherigen feststrukturierten und festgelegten politischen und administrativen Entscheidungsverfahren sollen Benchmarkingverfahren, Lernplattenformen und transnationale wie nationale Erfahrungsaustauschforen treten (vgl. Armstrong 2006b, Begg 2008: 434). Durch offene Debatten sollen auf europäische Ebene gemeinsame Ziele entwickelt, besonders effiziente Maßnahmen herausgearbeitet und die bisherigen Maßnahmen der Nationalstaaten über-prüft werden. Auf nationaler Ebene soll sich die Politik an den europäischen Vorgaben anlehnen und durch eine Nutzung von transnationalen wie nationalen Erfahrungsaustauschprozessen die eigene Instrumente verbessert werden. Um die Besonderheiten des Prozesses gerade im Vergleich zu den bisherigen politischen Entscheidungsverfahren auf europäischer und nationaler Ebene verstehen zu können, wird im Folgenden zunächst die Organisation der OMK/ Inklusion diskutiert (2.2.1). Dabei wird deutlich, dass an das Verfahren zwei Anforderungen gestellt werden: Sie soll ein offenes Verfahren sein, in dessen Verlauf neue Ideen entwickelt bzw. innovative Lösungskonzepte ausgetauscht werden. Gleichzeitig soll sie ein effizientes und wirkungsvolles Verfahren sein. In der wissenschaftlichen Debatte ist allerdings umstritten, ob eine OMK dem
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gerecht werden kann (vgl. Jacobsson/Vifell 2007a: 65f, 2007b: 186, de la Porte/Pochet 2002a: 7, Heidenreich/Bischoff 2008, Smismans 2004). Daher ist zu klären, wie die OMK/Inklusion in der Praxis organisiert ist. Anschließend wird herausgearbeitet, dass die OMK-Prozesse im Gegensatz zu den klassischen Entscheidungsverfahren nicht in formal bindenden Entscheidungen sondern in offenen Lernprozessen münden sollen (2.2.2). Gleichwohl ergeben empirische Studien, dass jedes OMK-Verfahren auf einem speziellen Set an Instrumenten beruht, weshalb die Lernchancen zwischen den Verfahren unterschiedlich ausfallen können. Abschließend auf mögliche Auswirkungen der OMK-Verfahren eingegangen (2.2.3). Hier wird ersichtlich, dass die europäischen Vorgaben nicht nur die nationalen Leitbilder und den Handlungsansatz sondern auch die Regierungsstrukturen beeinflussen können. Empirisch wird jedoch auch offensichtlich, dass die OMK/Inklusion in jedem Staat aufgrund der dort bestehenden Strukturen zu nationalspezifischen Ergebnissen führt.
2.2.1 Die organisatorischen Besonderheiten der Offenen Methode Die Offene Methode der Koordinierung wird auf organisatorischer Ebene charakterisiert durch ihre enge Verknüpfung der Ebenen und durch ihren breiten Teilnehmerkreis unterschieden (vgl. Scott/Trubek 2002: 8f, 15f, Francis 1993: 44f, de Búrca 2003). So wird angenommen, dass die beteiligten Ebenen im Rahmen einer OMK stärker als bei den ansonsten üblichen legislativen Entscheidungsverfahren der EU miteinander interagieren (vgl. Jacobsson 2004b: 357, Jacobsson/Vifell 2007a: 68ff). Im Zuge des neuen Regulierungsverfahrens seien Diskussionsrunden und Netzwerke sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene gebildet worden (vgl. Harlow/Rawlings 2006), die sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Trubek/Trubek 2005b: 358). Büchs spricht auch von einem „two-level game“, bei dem „the top-down and bottom-up perspectives need to be combined in order to comprehend the complexity of the OMC’s operation” (2008: 8). Ausgehend von diesem Multiebenen-Ansatz wird argumentiert, dass sowohl die OMK an sich als auch ihre jeweiligen Instrumente das Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen den beteiligten Ebenen sind (vgl. Schäfer 2004, de la Porte/Pochet 2002b; Goetschy 2003b). Kritisch wird an diesem Ansatz allerdings gesehen, dass die Verantwortung für einzelne Entscheidungen nicht mehr klar zugeordnet werden kann und die Gefahr von Intransparenz besteht (vgl. Harlow/Rawlings 2006, Hatzopoulos 2007: 22). Des Weiteren wird betont, dass für OMK-Prozesse der Teilnehmerkreis der bestehenden europäischen Entscheidungsverfahren modifizieren wurde (vgl. u.a. Borrás/Jacobsson 2004: 189, Szyszczak 2006: 501, Jacobsson/Schmid 2003:
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113, Armstrong 2006b: 16, Scott/Trubek 2002: 1, Szyszczak 2006: 498f). So werden bei den OMK-Prozessen die nichtstaatlichen und lokalen Organisationen durch eine neue „government-stakeholder network structure“ (Stewart 2003) explizit an den Verfahren beteiligt (vgl. u.a. Jacobsson/Schmid 2003: 117), wohingegen die Gerichte und Parlamente auf beiden Ebenen weitgehend ausgeschlossen sind (vgl. Borrás/Jacobsson 2004: 188f, Büchs 2008: 12). Daher steht das Europäische Parlament den Verfahren daher auch kritisch gegenüber (vgl. Frykman/Mörth 2004). Wie auch andere weiche Regulierungsverfahren wird die OMK nur als Ergänzung gewertet für solche Bereiche, wo die EU/EG bisher kaum bis keine Kompetenzen hatte (vgl. Frykman/Mörth 2004: 163-165). Hinter der Einbindung neuer Akteure und Organisationen in die Entscheidungsprozesse steht der Gedanke, dass die staatlichen Organe in einer komplexer werdenden Welt nicht mehr über alle relevanten Informationen verfügen. Um mit öffentlichen Regelungen angemessen und nachhaltig auf die neuen Gegebenheiten reagieren zu können, erscheint daher die Einbindung nichtstaatlicher Experten in den politischen Entscheidungsfindungsprozess notwendig (vgl. Trubek/Trubek 2005b: 347). Umstritten ist indes, wie viele und welche Akteure und Organisationen eingebunden werden sollten. Ausgehend von dem directly deliberative polyarchy Model (vgl. Cohen/Sabel 1997, Sabel/Zeitlin 2007, Armstrong 2006b, Overdevest 2002, Eberlein/Kerwer 2002) wird auf der einen Seite betont, dass die OMK ein möglichst offenes Verfahren sein soll, d.h. möglichst alle relevanten politischen, administrativen, nichtstaatlichen und lokalen Akteure und Organisationen sollen eingebunden werden (vgl. Gerstenberg/Sabel 2002: 292). Sie wird daher auch von Armstrong (2008: 421) bzw. Hodson und Maher (2001: 728) als „radicalization of subsidiarity” bezeichnet. Befürworter einer solchen „decentralised cooperation“ (Trubek/Trubek 2005b: 352) erwarten dadurch eine Öffnung der Debatten gegenüber neuen Ideen und Argumenten (vgl. Eberlein/Kerwer 2004: 133). Auch wird angeführt, dass sich nur durch die Einbindung verschiedener Akteure und Ebenen Lernprozesse anstoßen lassen, die europaweit Wirkung zeigen (vgl. Neyer 2003: 250f). Schließlich betont gerade Zeitlin (2002, vgl. auch Berghman/Okma 2003), dass die OMK nur eine nachhaltige Wirkung haben könne, wenn auch die politische Ebene involviert sei. Allerdings wird auch erwartet, dass die OMK erst langfristig Auswirkungen haben kann (vgl. Jacobsson 2004b: 366). Durch die Einbindung sämtlicher Akteure sei es schwierig, einen Konsens zu erreichen, auch dauere dadurch deren Umsetzung auf breiter Ebene länger (vgl. Daly 2007: 16). Im Gegensatz dazu steht der deliberative expertokratische Ansatz, demzufolge es vor allem in einem engen Zirkel an nichtpolitischen Experten zu einem Lernprozess kommen kann (vgl. de la Porte/Nanz 2004: 284, Nedergaard 2005a: 84f, Schäfer 2004). Dieses Modell wird von der Komitologie von Joerges (vgl. Joerges 1999, 2003, 2006 Joer-
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ges/Neyer 1997) beeinflusst und versteht die Beteiligten an einer OMK als eine epistemic community (vgl. Jacobsson/Vifell 2003: 19f, Bohman 2005: 51-55, Goetschy 2004: 7). Dabei wird argumentiert, dass nur unter nichtpolitischen Experten fruchtbare Debatten und Lernprozesse entstehen könnten, die nicht von machtstrategischen Kalkülen geprägt sind. Den politischen Akteuren wird unterstellt, dass sie “are not seeking the truth, but power and the consensus required for re-election“ (Citi/Rhodes 2007: 16). Des Weiteren wird argumentiert, dass die Einbindung einer zu großen Zahl an Akteuren die Effekte der OMK-Prozesse verringere. Denn eine wichtige Voraussetzung für mögliche Lernprozesse ist nach diesem Modell, dass die Akteure die gleichen Interessen verfolgen und Vertrauen zueinander haben (vgl. Hartlapp 2006: 6, Jacobsson/Schmid 2003: 122f). Das Ziel ist kein gesellschaftlicher, sondern ein ausschließlich expertokratischer Lern- und Austauschprozess. Die Offene Methode der Koordinierung basiert somit im Gegensatz zu den klassischen Entscheidungsverfahren auch relativ offenen Debatten zwischen staatlichen, lokalen und nichtstaatlichen Akteuren und Organisationen. Strittig ist jedoch, wie groß der Teilnehmerkreis sein sollte. Erste empirische Ergebnisse zeigen, dass zwischen den Verfahren Unterschiede bestehen (vgl. Jacobsson 2004a: 84, Hartwig/Meyer 2002). So werden bei der EBS kaum die Sozialpartner auf europäischer Ebene in das Verfahren eingebunden (vgl. Goetschy 2003a: 68, Chalmers/Lodge 2003: 7, Héritier 2003: 119, 118f). Dagegen zeigen Untersuchungen zur OMK/Inklusion (vgl. u.a. Ferrera/Sacchi 2005: 166, Ferrera et al. 2002), dass hier auf europäischer Ebene eine große Zahl an Akteuren eingebunden ist. Dementsprechend weist de la Porte (2005) für die Entstehungsgeschichte der OMK/Inklusion nach, dass diese von der Kommission und den Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit einigen europäischen Netzwerken mitentwickelt wurde. Offen blieb bisher allerdings, inwieweit die NGOs bei der Umsetzung des Prozesses auf europäischer Ebene beteiligt sind. Denn zeigt eine Analyse von Berghman und Okma (2003) über mehrere Konferenzen, die zu Beginn der OMK/Inklusion abgehalten wurden und auf denen die Ziele und die Gestalt des Prozesses konkretisiert werden sollten, dass die große Zahl an beteiligten Akteuren nicht zwangsläufig zu einer großen Offenheit führt. Vielmehr kam es nach ihrem Dafürhalten bei den Konferenzen zu Schließungstendenzen, da nur bestimmte Positionen vertreten und angehört wurden, während andere Meinungen und Ideen ausgeschlossen wurden. Auch innerhalb der einzelnen Verfahren lassen sich auf nationaler Ebene Unterschiede ausmachen. So weist Idema (2004: 196, 198) für die Niederlande nach, dass hier die Einbindung der nichtstaatlichen Akteure in die NAP/Inklusion nur bedingt funktionierte.
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Debatten um die OMK/Inklusion Participation, another criterion of deliberative democracy, seems to be mainly a one-way process. Although input from civil society is asked for and received, there is a lack of responsiveness to this input. (Idema 2004: 196)
Die Regierung baten zwar die NGOs um ihre Positionen zu bestimmten Fragen und nahmen diese auch in die NAP/Inklusion auf, gleichwohl hätte dies keine weiteren nachprüfbaren Folgen für die staatlichen Debatten. Schließlich wird noch deutlich, dass zwischen nichtstaatlichen Organisationen und lokalen Behörden unterschieden werden muss. Für Großbritannien zeigt Armstrong (2006a), dass die sozial orientierten NGOs hier an den NAP/Inklusion beteiligt waren, während die regionalen Behörden nicht eingebunden wurden. Auch Scott beklagt (2005) für Schottland fehlende Involvierung der regionalen Ebene in das Verfahren. Ähnliches berichteten Kröger (2006) und Hamel und Vanhercke (2009) für Frankreich, wobei Letztere auch herausarbeiten, dass in Belgien durch die OMK/Inklusion sowohl die vertikale als auch die horizontale Zusammenarbeit gestärkt wurde. Die Zahl der beteiligten Akteure variiert somit zwischen den Verfahren und prozessintern zwischen den Ebenen, wobei die OMK/Inklusion im Vergleich zu anderen OMK-Prozesse (z.B. der Europäischen Beschäftigungsstrategie) als ein offenes Verfahren gilt. Zusammenfassend kann gesagt werden, innerhalb der OMK-Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass sich die offen Organisation der OMK/Inklusion von der Classic Community Method unterscheidet.3 Allerdings wurde eine OMKimmanente Paradoxie sichtbar: Auf der einen Seite wird ein Bedarf an neuen Ideen gesehen, wozu nichtstaatliche und lokale Organisationen einen Beitrag leisten können. Ferner scheint für einen gesamtgesellschaftlichen Wandel eine Einbindung möglichst vieler Kräfte sinnvoll zu sein. Auf der anderen Seite ist ein geschlossener Rahmen notwendig, damit ein vertrauensvolles Arbeitsklima geschaffen werden kann. Darüber hinaus wird angenommen, dass die Impulse des Verfahrens nur effizient umgesetzt werden, wenn nur wenige Akteure involviert sind, die die Ergebnisse der OMK ohne größere Aushandlungsprozesse 3
In den Politikwissenschaften ist ferner auch umstritten ist auch, ob die OMK ein demokratisches Verfahren ist. Für die Kritiker kann das Verfahren nur ein Zusatz zu den harten Entscheidungsverfahren sein (vgl. Kaloeropoulou 2006). Denn seine demokratische Legitimität wird in Zweifel gezogen (vgl. Radaelli 2003: 49, Scharpf 2001: 11) und sie fürchten, dass solche weichen Verfahren hartes und demokratisch legitimiertes Recht ersetzt (vgl. Hatzopoulos 2007: 22f, Idema/Kelemen 2006: 118f, Berghman/Okma 2003: 6). Dem wird vonseiten der OMK-Befürworter entgegengehalten, dass die OMK eine neue Form der Demokratie darstellt, da alle relevanten Kräfte daran beteiligt werden (vgl. Sabel/Zeitlin 2007: 49-52), was in Anlehnung an Sabel (2004, vgl. auch Cohen/Sabel 1997, Sabel/Dorf 1998) „democratic expertimentalism“ oder „pragmatist democracy“ genannt wird (Zeitlin 2005c: 11). Diese Diskussion soll in der vorliegenden Arbeit nicht weiter aufgegriffen werden.
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umsetzen können. Erste empirische Erfahrungen zeigten, dass sich das konkrete Zusammenspiel zwischen den einzelnen Verfahren unterscheidet. Des Weiteren muss auch zwischen den Nationalstaaten differenziert werden. Für die OMK/Inklusion kann festgehalten werden, dass sie als ein relativ offenes Verfahren gilt. So wird versucht, auf europäischer und nationaler Ebene nichtstaatliche Akteure und Organisationen mit einzubinden, auch wenn sich gerade auf nationaler Ebene Unterschiede andeuten. Offen blieb jedoch, wie die OMK/ Inklusion im Einzelnen funktioniert, wie sie den Zielkonflikt aus Effektivität und Effizienz im Detail ausbalanciert und inwieweit sich dies auf ihre Umsetzung auf nationaler Ebene auswirkt.
2.2.2 Die Lernprozesse im Rahmen weicher Regulierungsverfahren Die OMK-Prozesse unterscheiden sich von den klassischen Entscheidungsverfahren nicht nur in ihrer Organisation, sondern auch durch ihren nichthierarchischen und sanktionsfreien Verfahrensansatz (vgl. de la Porte/Pochet 2003: 7, Jacobsson/Vifell 2007b: 165f, Radaelli 2003, Lodge 2007: 344, 348).4 Angeregt werden sollen Lernprozesse, die den nationalen Debatten und Reformprozessen Impulse geben, ohne dass eine fehlende Umsetzung sanktioniert werden würde (vgl. Dehousse 2002: 4, Begg/Berghman 2002: 192). Hierbei werden drei verschiedene Lerntypen unterschieden, die durch informelle Druckmittel verstärkt werden sollen (vgl. u.a. Trubek/Trubek 2005a, Zeitlin 2005b). Erstens kann es zur Entwicklung einer gemeinsamen Sprache auf europäischer Ebene kommen. Erreicht werden kann dies, indem die beteiligten Akteure und Organisationen im Rahmen der OMK neue Modelle und Begrifflichkeiten kennenlernen (vgl. Jacobsson 2004a: 90, de la Porte 2002a: 345), die später im nationalen Kontext umgesetzt werden. Lernen wird hier als ein kognitiver Prozess verstanden, bei dem (…) relevant actors accept or become convinced that new concepts or combination of concepts are more suitable as descriptions of the social reality. (Nedergaard 2005b: 2).
Innerhalb dieses Lerntypus lassen sich drei Lernprozesse unterscheiden, die sich teilweise ergänzen, teils gegensätzlich zueinander sind. Einmal wird angenommen, dass auf europäischer Ebene Lösungsmodelle zu bestimmten Problemen entwickelt werden, die neu sind und an die sich die Nationalstaaten dann anpassen (vgl. Amitsis et al. 2003: 12). Das Ziel ist hier eine Mimesis (vgl. Trubek/ 4
Damit gleicht die OMK vielen anderen weichen Regierungsverfahren, die ausführlich von Rhodes 1995, 1997 beschrieben wurde.
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Trubek 2005b: 357). Dagegen wendet gerade Jacobsson (2004a: 91) ein, dass die Regierungen ihre Modelle und Probleme in die europäischen Debatten einbringen. Demzufolge entstehen auf europäischer Ebene Konzepte und Modelle, die sich an den Erfahrungen der Mitgliedstaaten anlehnen und die bestimmten nationalen Systemen ähnlich sind (vgl. Jacobsson 2004a: 90-92, 2004b: 360-361, Trubek/Trubek 2005b: 357f). Trubek und Trubek (2005b: 357) sprechen hierbei auch von einer Diffusion von Ideen und Konzepten. Schließlich wird betont, dass auf europäischer Ebene nicht nur eine Sprache mit gemeinsamen Begrifflichkeiten und Modellen entwickelt, sondern auch ein gemeinsames Wissen über die statistisch erfassbare Realität in Europa generiert wird (vgl. Jacobsson 2004b: 361-363). Jenes kann genutzt werden, um die eigene Politik zu reflektieren und die eigenen Maßnahmen zu evaluieren. Entsprechend diesem kognitiven Lerntypus werden durch die OMK eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames statistisches Wissen entwickelt, die später auf nationaler Ebene aufgegriffen und genutzt werden können. Zweitens kann ein transnationaler Erfahrungsaustausch installiert und institutionalisiert werden, dessen Ergebnisse die nationalen Debatten und Reformen beeinflussen können (vgl. Ferrera et al. 2002: 14, Cohen/Sabel 2003: 368, Overdevest 2002: 18f). Stand beim ersten Lernmodell die Entwicklung eines gemeinsamen Nenners im Zentrum konzentriert sich dieser zweite Lerntypus auf den transnationalen Austausch an Informationen bezüglich der nationalen Systeme und ihrer bisherigen Erfahrungen bei der Bekämpfung von bestimmten Problemen (vgl. Nedergaard 2005a, Regent 2003:191, Hartlapp 2006: 5). The OMC provides an opportunity for regular meetings and information exchange between member state governments and the European Commission. Regular reports and evaluations contain a pool of ‘best practices’ from which national actor can learn. (Büchs 2008: 25)
Die nationalen Akteure erhalten dabei Nedergaard (2006b: 438) zufolge durch die europäische Peer-Review und Benchmarkingverfahren die Chance, von den Erfolgsmodellen anderer Staaten zu lernen. Die Lernmöglichkeiten können jedoch auch breiter gefasst werden. Nach Jacobsson (2004a: 94f) kann es zu einem wechselseitiger Erfahrungstausch kommen, bei dem die Regierungen sowohl von den Erfolgs- als auch Misserfolgsgeschichten der anderen Staaten lernen können. Allerdings werden gerade auch die Grenzen dieses Lerntypus deutlich. So arbeiteten Casey und Gold (2005: 36f) heraus, dass von den Peer-Review-Verfahren der Europäischen Beschäftigungsstrategie vor allem einzelne Technokraten profitierten, da deren europäische Netzwerke gestärkt wurden, ohne dass umgekehrt auf nationaler Ebene politische Wandlungsprozesse angestoßen wurden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass der zweite Lerntypus das Ziel verfolgt, dass die Akteure die Handlungsansätze der anderen Beteiligten sowie deren Erfolge
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bzw. Probleme kennen lernen und daraus Rückschlüsse für das eigene Handeln ziehen. Während bisher transnationale Lernprozesse im Zentrum standen, wird beim dritten Lerntypus betont, dass durch eine OMK nationale Diskussionen angeregt werden können, die helfen, das eigene Handeln zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen (vgl. de la Porte et al. 2001: 299f, Ferrera et al. 2002: 14, Overdevest 2002: 17f). Die OMK-Prozesse können demzufolge auch primär nationale Lernprozesse anregen. Hierbei wird unterstellt, dass die nationalen Akteure, wenn sie gemeinsam die europäischen Vorgaben und Erkenntnissen sowie die anstehenden Herausforderungen diskutieren, durch diesen Erfahrungsaustausch wichtige Schlüsse für ihr weiteres Handeln ziehen (vgl. Hartlapp 2006: 12f). Dieser Lerntypus wird daher auch als eine neue Form des Experimentierens bezeichnet (vgl. Trubek/Trubek 2005a: 93). Besonders nachhaltig und wirkungsvoll sind diese nationalen Debatten nach Einschätzung von Mosher und Trubek (2003: 76f) vor allem dann, wenn sich alle relevanten Akteure und Organisationen daran beteiligen. Verstärkt werden können die Lernprozesse nach einer gängigen Meinung in der OMK-Debatte durch informelle Druckmittel (vgl. Trubek/Trubek 2005b, Jacobsson 2004b, Hamel/Vanhercke 2009). Denn es wird davon ausgegangen, dass im Rahmen der OMK ein Handlungsdruck für die Beteiligten entsteht, durch den sie sich genötigt sehen, die Erkenntnisse aus der OMK umzusetzen. Auch hierbei lassen sich verschiedene Formen differenzieren (vgl. Nedergaard 2005a: 82f). So wird einmal angenommen, dass die Lernerfolge bei den OMKProzessen durch ein öffentliches Shaming verstärkt werden (vgl. Trubek/Trubek 2005b: 357, Büchs 2008: 6, de la Porte et al. 2001: 301). Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass eine Regierung unter Handlungsdruck gerät, wenn die Ergebnisse der OMK-Prozesse öffentlich diskutiert werden und die nationalen Systeme im europäischen Vergleich nicht gut abschneiden. In anderen Konzepten wird argumentiert, dass die Lerneffekte durch einen Gruppenzwang innerhalb der OMK-Gremien unterstützt werden (vgl. Nedergaard 2006b: 318). Diesem Argumentationsstrang folgend kann argumentiert werden, dass die Akteure durch die kontinuierliche Zusammenarbeit und den ähnlichen Expertenhintergrund, aus dem sie alle entstammen, in den europäischen Gremien ein WirGefühl entwickeln und daher versuchen, ihre nationalen Systeme so zu gestalten, dass sie in den Gremien gut dastehen (vgl. Jacobsson 2004a: 94, Ferrera et al. 2002: 237). Die Lernprozesse können demzufolge dadurch verstärkt werden, dass sich die Beteiligten einem Handlungsdruck ausgesetzt sehen, der entweder durch öffentliche Diskussionen oder eine gremieninterne Gruppendynamik ausgelöst wird.
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In der OMK-Debatte werden demzufolge verschiedene Mechanismen aufgezeigt, mit denen die an dem Verfahren beteiligten Akteure und Organisationen lernen können. In den wissenschaftlichen Debatten sind ihre Ergebnischancen jedoch umstritten. So führen Kritiker an, dass die OMK-Prozesse dadurch ihre Durchsetzungsmöglichkeiten verlieren und zu rein symbolischen Gesprächen werden (vgl. Scharpf 2002: 654-656, 2003: 102, Chalmers/Lodge 2003: 17-19, Sapir 2006: 386f, Rhodes 2006: 19). No government today takes guidelines on employment policies as an even remotely constraint; and we do not know of any country where the National Action Plans have any role in guiding policy. Governments seem to participate because, after all the enthusiasm and the media attention on the “Lisbon process”, they are caught in a bad Nash equilibrium in which a withdrawal would qualify them as Euro-villains. (Alesina/Perotti 2004: 36).
Denn die Regierungen hätten nicht automatisch ein Eigeninteresse daran, die europäischen Vorgaben umzusetzen. Dagegen argumentieren andere (vgl. Sabel/ Zeitlin 2007, Jacobsson/Vifell 2007b, de la Porte/Nanz 2004), dass Regeln in den komplexer werdenden Gesellschaften nicht mehr mit einer „top-down control“ (Trubek/Trubek 2007: 543), „under which government imposes detailed prohibiltions or requirements on the conduct of individual actors (...)“ (Stewart 2003: 438), umgesetzt werden können. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit eines regelkonformen Verhaltens größer wird, wenn sich alle relevanten Akteure freiwillig an den Entscheidungsprozessen beteiligen (vgl. Scott/Trubek 2002: 15, Ferrera et al. 2000: 23). Die Sanktionsfreiheit wird somit als ein Vorteil und nicht als ein Nachteil angesehen, „because it forsters learning and provides flexibility to policy process“ (Radaelli 2003: 22). Der commandand-controll Ansatz wird zugunsten einer intrinsischen Selbstbindung der Beteiligten aufgegeben. Ferner wird unterstellt, dass die „regulated self-regulation“ (Müller/Platzer 2003: 58) zumindest in der Theorie effektiver arbeiten können als die traditionellen Regierungsansätze (vgl. Héritier 2002, 2003: 107-113, für die OMK aber auch skeptisch 2003: 117ff). Da keine langen, formal vorgegeben Aushandlungsprozeduren bestehen, kann es zu einer schnellen unbürokratischen Konsensfindung unter allen beteiligten und betroffenen Organisationen kommen. Empirische Studien zeigen, dass sich das Set an Instrumenten zwischen den verschiedenen OMK-Prozessen unterscheidet, sodass mit Borrás und Greve (2004: 330) zu sagen ist: „there seem to be as many types of OMCs as there are policy areas“. Besonders deutlich wird dies, wenn die informellen Druckmittel verglichen werden (vgl. Borrás/Greve 2004: 330f, Hartwig/Meyer 2002: 5). Beispielweise besteht bei der OMK/Wirtschaft und der EBS das Instrument der Empfehlungen (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 168), mit denen die Regierungen kritisch beurteilt werden. Hierauf wurde bei den sozialpolitischen OMK-Verfahren
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verzichtet, weshalb sich nur im geringen Maße ein Handlungsdruck aufbauen lässt (vgl. Lodge 2007: 354, Pochet 2005: 73, Umbach 2004, Meyer 2005). Des Weiteren wird von Jacobsson und Borrás (2004) herausgearbeitet, dass den Regierungen bei den Verfahren ein unterschiedlicher Freiraum gelassen wird. Denn während bei der OMK/Inklusion die Regierungen vor allem den Schwerpunkt auf unverbindliche Kooperation legen, weist die EBS „very strong functional interdependences with the EU level“ auf (Borrás/Jacobsson 2004: 192). Die OMK/Inklusion gilt somit im Vergleich zu anderen Verfahren als ein Prozess, bei dem die Beteiligten viele Handlungsfreiräume haben und nur wenig Handlungsdruck verspüren. Somit wurde deutlich, dass die bisherigen Erklärungsansätze vor allem auf abstrakter Ebene die möglichen Lernprozesse beschreiben. Offen blieb jedoch, inwieweit das konkrete Set an Instrumenten diesen Erwartungen entspricht.
2.2.3 Auswirkungsmöglichkeiten der OMK-Prozesse Nicht nur die Lernprozesse, sondern auch die Auswirkungen, die durch die OMK-Prozesse angeregt werden, gelten als multidimensional. Auf theoretischer Ebene muss grundsätzlich unterschieden werden zwischen solchen Ansätzen, die vor allem den Nutzen des europäischen Verfahrens für die beteiligten Akteure und Organisationen betonen, und solchen, die auf strukturelle Veränderungen abzielen. Für die akteurszentrierten Ansätze hat eine OMK vor allem „the objective of strengthening national institutional capacity“ (Ferrera/Sacchi 2005: 168). Diesen Konzepten folgend werden die Erkenntnisse aus den Verfahren von den Beteiligten aufgegriffen, um die eigene Planung, Handlungsweise und Entscheidungsprozesse effizienter zu gestalten (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 140, Zeitlin 2005b: 458, López-Santana 2005: 35f, 2006: 494). Ferner können die Akteure die Resultate dazu verwenden, die eigene Argumentation in den nationalen Debatten zu legitimieren (vgl. Radaelli 2003: 8). Sie ist „a fertile environment for domestic policy change by providing legitimacy to domestic reformers” (Jacobsson 2004a: 89). Die OMK kann folglich dazu beitragen, dass die beteiligten Akteure und Organisationen lernen, effizienter zu handeln bzw. ihre Position im nationalen Kontext zu stärken. Offen bleibt bei diesen Ansätzen jedoch, welche Folgen dies für die nationalen Systeme hat. So merkt Barbier an, dass die europäischen Debatten “would remain a pure fiction (a pure symbol, in a way) were it not explicitly grafted onto national policies” (Barbier 2004: 4, vgl. auch Barbier 2005, 2002, Barbier/Sylla 2002). Neben den akteursbezogenen Auswirkungen wird auch erwartet, dass eine OMK einen institutionellen Wandel anregt. Erstens wird angenommen, dass es
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zu „cognitive shifts“ (Hamel/Vanhercke 2009: 85) kommt, d.h. dass die eigenen Denkmodelle in den Nationalstaaten durch die OMK-Prozesse kritisch hinterfragt und modifiziert werden. Policy reform is not merely ‚a contest for power’ but depends also on the extent to which policy actors agree over the cognitive definition of policy problems and the normative benchmarks for effective solutions. (Hemerijck/Visser 2003: 48)
Zeitlin (2005c: 15) spricht hierbei von „broad shifts in policy orientation and thinking“. Auslöser können sowohl die europäischen Debatten und Austauschprozesse als auch die nationalen Diskurse sein (vgl. de la Porte/Pochet 2004: 73). Zweitens kann der nationale Handlungsansatz modifiziert werden. Die OMK/Inklusion gilt als “system of governance with the potential to transform the practices of member states” (Jacobsson 2002: 1). Demgemäß kann der institutionalisierte Erfahrungsaustausch auf Basis von bewährten Praxisbeispielen und Peer-Review Instrumenten zu einer Reformierung des politischen Handlungsansatzes oder zumindest einiger Instrumente führen (vgl. Zeitlin 2005b: 470-476). Drittens wird erwartet, dass der nationale Governance-Ansatz verändert wird. So kann mittels der OMK-Prozesse die interministerielle Zusammenarbeit gestärkt werden. Ferner können die politischen Entscheidungsprozesse für weitere Akteure geöffnet werden, die bisher nur schwach oder gar nicht involviert waren (vgl. Zeitlin 2005c: 16f, Jacobsson 2004a: 95-97, Ferrera/Sacchi 2005: 138-141). Viertens kann der Handlungsansatz der OMK an sich übernommen werden, denn „what is at stake is domestic adaptation to the OMC technique itself. It refers to the very possibility of governance through OMC.” (Armstrong 2006a: 84). In diesem Zusammenhang hebt Jacobsson hervor (2004b: 362, 364f), dass statistische Prüfungen des eigenen Vorgehens nicht nur Teil eines europäischen Verfahrens, sondern generell Teil eines modernen Regierungsansatzes sein müssen. Die Instrumente der reflexiven Evaluierung und Kontrolle sollen damit im nationalen Kontext aufgegriffen werden und den Regierungsansatz verändern. Aufbauend auf den vielfältigen Resultatsmöglichkeiten ist die OMK für Zeitlin (2002: 1) ein „highly promising governance instrument for EU policy making in several respects.“. Allerdings stellt sich die Frage, welche Folgen dies für die nationale Vielfalt in Europa hat. Nach Atkinson (2002: 631) strebt gerade die OMK/Inklusion eine inhaltliche Konvergenz an, ohne dabei in einer „Systemkonvergenz“ (Schulz-Weidner 2002: 2) zu resultieren. Das Verfahren wird als eine Chance gesehen „to move towards common solutions to common problems without demanding the sort of harmonisation that would be anathema to many governments“ (Begg/Berghman 2002: 317). Anvisiert wird somit keine „Harmonisierung der Institutionen“, sondern eine „Harmonisierung der Politikziele“
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(Gerlinger/Urban 2004: 271), wobei offen ist, inwieweit dieses Ziel erreicht werden kann. Erste empirische Studien weisen darauf hin, dass die mittels der OMK/Inklusion angeregten Lernprozesse nicht automatisch zu den erwarteten Auswirkungen führen müssen (vgl. Room 2007, Goul-Andersen 2007, de la Porte/Pochet 2002a, Hemerijck/Visser 2003, Dehousse 2003). Von mehreren Forschern wird angemerkt, dass bei den sozialstaatlichen Reformen weitere interne und externe Faktoren eine oder die zentrale Rolle spielen (vgl. Trubek/Trubek 2005a: 91-95, Zohlnhöfer/Ostheim 2005:149, López-Santana 2006: 495). Auch wird offensichtlich, dass jeder Staat die OMK/Inklusion auf spezifische Weise implementiert. Studien mit einem akteurszentrierten Ansatz konzentrieren sich vor allem auf die Frage, inwieweit die beteiligten Akteure durch die OMK/Inklusion lernen können. Ihre Ergebnisse weisen daraufhin, dass die untersuchten Regierungen die Erkenntnisse aus dem europäischen Verfahren vor allem aufgreifen, um die eigenen Reformen zu rechtfertigen. Beispielsweise arbeitet Armstrong (2006a: 96) heraus, dass die Ziele der OMK/Inklusion und ein Vergleich mit anderen Staaten von der britischen Regierung in den eigenen NAP/Inklusion genutzt wurden um die eigene Politik zu legitimieren, ohne die Vorgaben und Erkenntnisse aus dem Verfahren im nationalen Kontext tatsächlich umzusetzen. In Einklang damit weist Kröger (2006: 5) für Frankreich auf ein erfolgreiches „uploading“ hin. Der französischen Regierung sei es gelungen, der europäischen Sozialpolitik ihre eigenen Stempel aufzudrücken. Die OMK wird somit nicht nur genutzt, um die eigenen Vorhaben zu rechtfertigen und zu legitimieren; die Regierungen versuchen auch, auf die europäische Ebene Einfluss zunehmen, um später die entsprechenden Vorgaben national verwenden zu können (vgl. Erhel, Mandin et al. 2005). Offen blieb bei diesen Studien jedoch, welche Folgen die strategische Nutzung hatte, d.h. ob man hier von einer Beeinflussung der nationalen Politik sprechen kann. Studien, die gesellschaftlichen Folgen der OMK/Inklusion im nationalen Kontext untersuchen, konzentrieren sich meist auf die Frage, inwieweit die OMK/Inklusion zur Einführung eines neuen Governance-Ansatzes beitragen konnte. Beispielsweise arbeitet Jacobsson (2005: 124-129, 130-133) heraus, dass für die Nationalen Aktionspläne (NAP/Inklusion) der OMK/Inklusion die Kontakte zwischen der Regierung und den nichtstaatlichen Organisationen in Schweden und Dänemark verbessert wurden. Gleichwohl weist sie daraufhin (vgl. Jacobsson 2005: 126), dass in beiden Staaten die NAP/Inklusion im Untersuchungszeitraum als Regierungsberichte galten und die nationalen Folgen noch nicht einschätzbar waren. In einer anderen Studie untersucht Visser (2005: 201206), inwieweit die Menschen in den Niederlanden gegen soziale Ausgrenzung geschützt sind. Dabei kommt er auf Basis der Gemeinsamen Berichte zu dem Ergebnis, dass die Armutsrate hier im Europavergleich sehr niedrig ist. Gleich-
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zeitig untersucht er auch die Organisation der OMK/Inklusion in den Niederlanden. Er kommt zu dem Resultat, dass ihre Erkenntnisse dort in der hier untersuchten Zeitphase kaum bekannt waren (vgl. Idema 2004), weshalb er abschließend urteilt: „I concur that the potentials of the OMC as a reflexive learning process are not appreciated or realised in the Netherlands (…)“ (Visser 2005: 207). Der Einfluss der OMK/Inklusion auf die erfolgreiche niederländische Sozialpolitik gilt damit als gering. Für Irland zeigt eine Studie, dass die OMK/Inklusion dazu beitrug, das Verhältnis zwischen den nichtstaatlichen Akteuren und der Regierung zu stärken (vgl. O’Donnell/Moss 2005: 340). Auch für Großbritannien betont Armstrong (2005), dass sich die interadministrative Zusammenarbeit durch die OMK/Inklusion verbessert wurde, und die NGOs ihre Kontakte zur beteiligten Administration ausbauen konnten. In beiden Untersuchungen bleibt jedoch unbeantwortet, welche Folgen dies für die nationalen Kommunikationsstrukturen hat. Für Italien kommen Ferrera und Sacchi zur selben Frage zu einem nüchternen Ergebnis. [T]he poor quality and the improvised way the 2003 NAP/Incl. was drafted testify to the detrimental influence of the changes occurring since 2001 on the process of institutional capability building. Causality can then be reversed, insofar as the necessity of preparing the NAP/Incl. is not used as an instrument of institutional capability building and as means for better governance of the chaotic social assistance sector in Italy. (Ferrera/Sacchi 2005: 165f)
Ein zweischneidiges Ergebnis ergibt eine Studie von Büchs und Friedrich für Deutschland (vgl. Büchs/Friedrich 2005, Friedrich 2006). Ihren Interviews zufolge fanden die NAP/Inklusion kaum Beachtung bei den administrativen Stellen. Vielmehr bestehe „a skeptical and resistant attitude of the civil servants in the various participating federal ministries“ (Büchs/Friedrich 2005: 274). Auch sei die Erstellung der NAP/Inklusion geprägt von wenig Begeisterung und „quarrels about competencies between different levels of a multi-level system“ (Friedrich 2006: 376). Zwar interessieren sich die unmittelbar beteiligten Beamten für den Prozess, gleichwohl betonen Büchs und Friedrich, dass auch diese Beamten „do not perceive it as relevant to their work rather as a reporting mechanism to the EU“ (2005: 269). Dagegen sahen die befragten NGOs in den NAP/Inklusion eine Chance, Deutschland aktiv zu analysieren und einen breiten Dialog zwischen allen relevanten Akteuren anzuregen (vgl. Friedrich 2006: 376f). Allerdings machte sich hier eine Desillusionierung breit, denn die Ergebnisse des Prozesses blieben gerade bezogen auf die Regierung hinter den Erwartungen zurück (vgl. Büchs/Friedrich 2005: 272f). Auf der Grundlage dieser Resultate kommen die beiden Politologen zu einem ernüchternden Ergebnis: „a direct impact on policy instruments seems unlikely and could, not in fact be found“ (2005: 273). Konzentrieren sich Büchs und Friedrich nur auf Deutsch-
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land, vergleicht Kröger (2006) in ihrer Studie Deutschland und Frankreich. Auch sie kommt für Deutschland zu einem ernüchternden Resultat. So würde die deutsche Regierung dem Prozess skeptisch gegenüberstehen und großen Widerstand gegen shaming und andere Druckmittel leisten (vgl. Kröger 2006: 5). Für Frankreich betont sie, dass die Administration der OMK/Inklusion gegenüber nicht negativ eingestellt sei, trotzdem nutze sie deren Ergebnisse im nationalen Kontext kaum. (…) Counter-intrusively, the French implementation record has not been better than the German one. True, within the administration, there is greater enthusiasm about this OMC than in the neighbouring country. But even here, knowledge of other member states’ practices was practically inexistent nor did there seem to be much interest, in both countries, to learn from abroad. Consequently, the process did not lead to the introduction of approaches from abroad. (Kröger 2006: 13)
Auch seien kaum weitere Akteure neben der Regierung an dem Verfahren beteiligt (vgl. Kröger 2006: 6). Dieses Ergebnis ist allerdings umstritten. Denn Hamel und Vanhercke (2009) kommen in einer Analyse von Frankreich und Belgien zu dem Ergebnis, dass die OMK/Inklusion in beiden Staaten sowohl die Regierungsstrukturen als auch politische Debatten beeinflusste. Erklärt werden kann der Unterschied zwischen den Studien, indem berücksichtigt wird, dass Kröger vor allem die Anfangsjahre analysiert, während die zweite Untersuchung jüngeren Datums ist. Damit zeigt sich, dass die OMK/Inklusion und ihre Effekte nicht statisch zu sehen sind, sondern auch die zeitlichen Entwicklungen beachtet werden müssen. Abschließend kann festgehalten werden, dass die OMK/Inklusion in den Nationalstaaten unterschiedliche Ergebnisse erzielt. Gleichwohl zeigte sich auch, dass die bisherigen empirischen Studien Lücken ausweisen. So blieb in den meisten Fällen ungeklärt, welche Folgen die Organisation der OMK/Inklusion in einem nationalen Feld für dessen Strukturen hat. Die nationalen Reformprozesse und die Implementierung des Verfahrens werden in den Studien oft nur unzureichend miteinander verknüpft, weshalb jene auch nicht erklären können, ob und wenn ja, welchen Einfluss das Verfahren auf die aktuellen Reformen hat. Auch ist noch auf theoretischer und empirischer Ebene zu klären, welche nationalen Faktoren die Umsetzung der OMK-Prozesse konkret beeinflussen. Zwar wird in den nationalen Fallstudien immer wieder auf bestimmte nationale Rahmenbedingungen verwiesen, jedoch besteht weder ein umfassender Erklärungsansatz dazu noch eine systematische Untersuchung. Damit wird deutlich, dass die Umsetzung der OMK/Inklusion nur verstanden werden kann, wenn ihr Design und die nationalen Aneignungsstrategien und deren Folgen bekannt sind. Demnach muss ein Konzept entwickelt werden, das verständlich macht, wie die nationalen Gegebenheiten die Umsetzung der OMK/Inklusion mit ihrem speziellen Set an Instrumenten prägen, und wie sie
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gleichzeitig wiederum von dieser Implementierung beeinflusst werden. Ferner muss noch untersucht werden, welche Lernprozesse in den drei Staaten stattfanden, wie sich diese im zeitlichen Verlauf wandelten, und ob sie die nationalen Reformen beeinflussen. Denn es gibt bisher weder einen systematischen Ländervergleich (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 166-169) noch umfassende Wirkungsanalyse der OMK/Inklusion (vgl. Hartlapp 2006: 11).
2.3 Schlussfolgerungen und offene Fragen Es wurde deutlich, dass die Sozialstaaten ein wichtiger Bestandteil der westeuropäischen Gesellschaften sind, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, von denen sie jedoch im unterschiedlichen Ausmaß betroffen sind. Der Umbau der Sozialstaaten gilt auch als europäisches Projekt, da ansonsten der europäische Integrationsprozess gefährdet werde. Gleichwohl stoßen die bisherigen europäischen Mechanismen an Grenzen. Denn es bedarf Maßnahmen, die die nationalen Kompetenzen nicht infrage stellen und die nationale Vielfalt berücksichtigen, gleichzeitig aber helfen, gemeinsame Standards in Europa zu entwickeln. Die OMK/Inklusion stellt hierbei eine mögliche Lösung dar. Sie ermöglicht eine europäische Zusammenarbeit, belässt aber gleichzeitig Kompetenzen auf nationaler Ebene und ist nicht verbunden mit einem Sozialstaatsmodell. In der OMKDebatte wird das Verfahren sowohl als neue Form des Regierens als auch als multidimensionales Lerninstrument diskutiert. Hierbei wird sie von der bisherigen Classical Community Method abgrenzt, da anstelle eines formalisierten Entscheidungsverfahren zwischen den europäischen Organen mit verbindlichen Regeln offene Diskussionen zwischen allen relevanten Experten angestrebt werden. Auch sollen diese Debatten nicht zu restriktiven Regeln sondern zu flexiblen und innovativen Ideen und Denkanstößen führen. Gleichwohl zeigten erste empirische Studien, dass nationale Barrieren ihren Erfolg behindern können, und die Resultate der OMK/Inklusion durch den nationalspezifischen Weg der Umsetzung differieren. Aufbauend auf den Ergebnissen lassen sich fünf Lücken in der bisherigen OMK-Forschung ausmachen, die in dieser Arbeit gefüllt werden: 1. In den bisherigen Debatten wurde oftmals versucht, auf abstrakter Ebene zu begründen, warum die OMK prinzipiell großes Potenzial hat bzw. warum sie zwangsläufig keinen Erfolg haben kann. In der Arbeit hier soll ein Ansatz entwickelt werden, der deutlich macht, unter welchen Bedingungen sie erfolgreich sein kann. 2. Bei den dargelegten Ausführungen wurde entweder vor allem die europäische Ebene untersucht und gefragt, welche Auswirkungen die jeweilige OMK aufgrund ihrer rechtlichen Verankerung und ihrem Instrumentenset
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haben kann, oder es wurden vor allem die nationalen Wege der Implementierung betrachtet. In dieser Arbeit sollen beide Ebenen miteinander verknüpft werden. Es wird sowohl im theoretischen Teil als auch im empirischen Teil gefragt, welche Auswirkungen die besondere Ausgestaltung der OMK/Inklusion auf ihre Umsetzung hat, und welche Konsequenzen die jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen mit sich bringen. Bezogen auf die Impulse, die von einer OMK ausgehen, wurde deutlich, dass sie auf der einen Seite ein sehr offenes und flexibles Verfahren ist, das viele Lernchancen bietet. Gleichzeitig zeigte sich auch, dass dieser Mechanismus auf Grenzen stößt, da die OMK nur erfolgreich sein kann, wenn es zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit kommt. Bei der Untersuchung der OMK/Inklusion wird somit im Folgenden gefragt, wie sie dieses Paradox löst und welche nationalen Implikationen dies mit sich bringt. Bei der nationalen Umsetzung des Verfahrens wurden vielfältige Lernprozesse erwartet, die in umfassenden Effekten münden sollen. Gleichzeitig zeigte sich auch, dass der Prozess jeweils auf Basis der bestehenden Rahmenbedingungen verarbeitet wurde. Dies hatte zur Folge, dass jeder Staat spezifische Lehren aus der OMK/Inklusion zog bzw. das Verfahren ohne weitere Folgen blieb. Deshalb wird in dieser Arbeit ein Ansatz erarbeitet und später geprüft, der herausarbeitet, wie das Verfahren in den nationalen Feldern verarbeitet wird, welche nationalen Faktoren eine OMK/Inklusion begünstigen bzw. behindern, und welche Effekte zu erwarten sein. In dieser Arbeit wird der Einfluss der OMK/Inklusion somit erstmals aus zwei Perspektiven betrachtet: Auf der einen Seite wird untersucht, welche Lernchancen das Verfahren bietet. Auf der anderen Seite wird die nationale Implementierung betrachtet. Abschließend soll daher festgestellt werden können, inwieweit das Design der OMK/Inklusion ihre Auswirkungen beeinflusst, welche Rolle die nationale Rahmung spielt, und wie sich das Verhältnis der beiden Ebenen im Lauf der Zeit veränderte.
3 Die Offene Methode der Koordinierung: Die wechselseitigen Irritationen von nationalen und europäischen Feldern
Im vorangegangenen Kapitel wurden verschiedene Konzepte und Studien vorgestellt, mit denen die Möglichkeiten aber auch die Schwächen des europäischen Verfahrens diskutiert werden können. Die folgenden, eigenen theoretischen Überlegungen greifen auf diese Erkenntnisse zurück. Gleichzeitig wird ein Ansatz entwickelt, der sich insbesondere in drei Punkten von den bestehenden Erklärungsversuchen unterscheidet bzw. diese weiterentwickelt: Erstens wird die OMK/Inklusion als ein Zusatz zur bestehenden nationalen Politik gegen soziale Ausgrenzung verstanden. Nach meinem Dafürhalten ist sie nur ein Impuls unter mehreren, mit deren Hilfe die gesellschaftlichen Inklusionsprozesse gestärkt werden sollen, und muss auch entsprechend analytisch erfasst werden. Zweitens wird das Verhältnis von nationaler und europäischer Ebene zueinander stärker als bisher problematisiert. Denn die meisten Ansätze zur Erklärung der OMKProzesse differenzieren nicht zwischen den Ebenen, während empirische Studien ergaben, dass die OMK/Inklusion auf unterschiedlichen Ebenen verschieden organisiert wird. In den folgenden Ausführungen wird argumentiert, dass die OMK ein europäisches Verfahren ist, das die nationalen Entwicklungen nur mittelbar beeinflusst. Um den Prozess verstehen zu können, erscheint es daher notwendig, sowohl die europäische als auch die nationale Ebene und ihre wechselseitigen Einflussmöglichkeiten zu verstehen. Drittens wird argumentiert, dass eine Asymmetrie zwischen dem jungen und offen europäischen Verfahren und den fest institutionalisierten nationalen Feldern im Kampf gegen soziale Ausgrenzung besteht. Denn während die europäischen Debatten leicht durch die nationalen Bedürfnisse beeinflusst werden können und hier keine Sanktionsmittel zur Verfügung stehen, sind die nationalen Strukturen fest institutionalisiert und meist nur pfadabhängig veränderbar. Daher ist zu klären, wie die europäischen Impulse trotz dieser Unterschiede Einfluss auf die nationalen Reformprozesse nehmen können bzw. wie sie im nationalen Kontext aufgegriffen und verarbeitet werden.
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Die OMK: Die wechselseitigen Irritationen von Feldern
Die Kämpfe der europäischen Ebene bzw. der Nationalstaaten gegen soziale Ausgrenzung werden im Folgenden als soziale Felder definiert, die zwar voneinander abgegrenzt sind, sich aber wechselseitig beeinflussen können (vgl. Heidenreich/Bischoff 2008). Unter einem Feld wird ein sozial konstruierter Raum verstanden, in dem mehrere Akteure und Organisationen gemeinsam ein kollektives Problem bearbeiten (vgl. DiMaggio/Powell 1991b, Fligstein 2001a, Stone Sweet et al. 2001). Kennzeichnend für ein Feld ist seine soziale Ordnung, die definiert werden kann als „construction over time of a social definition of reality such that certain ways of action are taken for granted as the ‚right’ if not the only way to do things“ (Scott/Meyer 1994: 234). Sie strukturiert das Vorgehen und die Interaktionen innerhalb des Feldes. Zugleich begrenzt sie das Feld aber auch, indem sie Regeln enthält, welche Akteure, Organisationen, Themen und Interaktionen als Teil des Felds zu werten sind. Durch diese Grenzziehung wird das Feld in sich geschlossen und autonom von anderen Feldern (vgl. Heidenreich/Bischoff 2008: 506). Dies bedeutet jedoch nicht, dass seine soziale Ordnung starr und unbeweglich ist, vielmehr muss sie, um langfristig bestehen zu können, flexibel und dynamisch sein, sodass sie immer wieder an neue Herausforderungen angepasst werden kann (vgl. Scott 1994a, Fligstein/Stone Sweet 2002). Denn ein Feld kann durch ein anderes Feld nicht direkt gesteuert oder determiniert werden, wohl aber können sie sich gegenseitig irritieren (vgl. Luhmann 2002). Hierbei nehmen die Akteure und Organisationen Veränderungen in anderen Feldern auf Basis der eigenen Ordnungsvorstellungen wahr, definieren diese als Herausforderung für die eigene soziale Ordnung und modifizieren jene entsprechend. Das Verhältnis von zwei oder mehreren Feldern zueinander ist folglich geprägt von einer permanenten Abgrenzung voneinander bei einer gleichzeitigen wechselseitigen Beeinflussung. Ausgehend von diesen Überlegungen wird hier argumentiert: Durch einen OMK-Prozess entsteht ein neues europäisches Feld, in dem gemeinsame Ziele entwickelt, transnationale Austauschprozesse angestoßen und Analysen der Reformen durchgeführt werden. Die sozialen Ordnungen der nationalen Felder müssen sich wegen dieser europäischen Entwicklungen nicht zwangsweise verändern, gleichwohl besteht die Möglichkeit, dass die Vorgaben und Erfahrungen aus den europäischen Feldern auf nationaler Ebene Lernprozesse anstoßen bzw. bestimmte Reformprozesse beeinflussen. Diese Argumentationskette wird in vier Schritten nachvollzogen: Im ersten Schritt werden mein Feldkonzept sowie die möglichen Wandlungsprozesse eines sozialen Feldes vorgestellt (3.1). Der Fokus eines weiteren Abschnitts richtet sich auf das Entstehen von neuen Feldern (3.2). Zentral sind dabei die Fragen: Wie und unter welchen Bedingungen werden soziale Felder entwickelt und wie sind sie mit den anderen Feldern gekoppelt? Anschließend werden die möglichen Effekte der OMK auf die nationalen Felder
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der sozialen Eingliederungspolitik dargestellt (3.3). Dabei wird herausgearbeitet, dass eine OMK individuelle, organisationale und institutionelle Lernprozesse anstoßen bzw. prägen kann, die sich wechselseitig beeinflussen können, sich jedoch nicht gegenseitig voraussetzen. Ferner wird deutlich, dass die drei Lernprozessformen an unterschiedliche Bedingungen und Voraussetzungen geknüpft sind. Abschließend sollen die Ergebnisse zusammengefasst und eigene Hypothesen entwickelt werden (3.4).
3.1 Kennzeichen eines sozialen Feldes Die OMK wird in den verschiedenen Politikbereichen nicht eingeführt, um unmittelbar durchsetzbare politische Maßnahmen für die nationalen Felder zu entwickeln. Vielmehr sollen die nationalen Entwicklungen und Reformprozesse mithilfe eines Sets an Instrumenten im Sinne der von den Staats- und Regierungschefs und der Europäischen Kommission gemeinsam definierten Ziele beeinflusst werden (vgl. Berghman/Sakellaropoulos 2004). Die Auswirkungen des Verfahrens auf die nationalen Debatten und Reformen werden daher in meinen Augen nur verständlich, wenn zuvor die innere Struktur von sozialen Feldern und ihr Verhältnis zueinander untersucht werden. Gemäß einer Definition von Fligstein und Stone Sweet. (2002: 1211) bestehen soziale Felder daher aus folgenden Bestandteilen: In their most generic guise, such fields are composed of (1) organizations seeking to structure their environments, (2) pre-existing rules (i.e., existing institutions) that operate to constrain and enable actors in the arena, and (3) skilled strategic actors who work within organizations to help attain cooperation among disparate groups and interests.
In Anlehnung an diese Definition wird im ersten Schritt auf die Regeln eines Feldes eingegangen. Aufbauend auf dieser Makroebene werden die Organisationen und Akteure betrachtet, die in einem Feld agieren. Anschließend richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen der Felder zu ihrer jeweiligen Umwelt und auf die externen Einflussmöglichkeiten. Die Regeln eines Feldes legen nicht nur fest, über welches Durchsetzungspotential die einzelnen Akteure und Organisationen verfügen und welche Handlungen in dem Feld als angemessen gelten (vgl. Crozier/Friedberg 1979). Sie geben auch vor, wie bestimmte Ereignisse zu verstehen und zu bewerten sind, weshalb hier auch von der sozialen Ordnung eines Feldes gesprochen wird. Damit wird hervorgehoben, dass das Regelwerk die Interaktionen nicht nur in strategischer und regulativer sondern auch in kognitiver Hinsicht prägt (vgl. Ortmann et al. 1997: 324ff, Scott 2001). In ihrer kognitiven Dimension beinhal-
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tet eine soziale Ordnung sowohl die generell in der jeweiligen Gesellschaft verankerten Werte- und Interpretationsschemata als auch feldspezifische Wahrnehmungs-, Analyse- und Wertungsmuster (vgl. Willke 1993: 42, Bourdieu 1993: 122ff). Sie ermöglicht den Akteuren und Organisationen, beobachteten Phänomenen einen Sinn zu geben und in einen bestimmten Kontext einzuordnen (vgl. Luhmann 2000: 52, Scott 2001: 47). Handlungen, die nicht den kollektiven Rationalitätsvorstellungen entsprechen, gelten denn auch innerhalb des Kollektivs als nicht sinnvoll bzw. als unrealistisch (vgl. Bourdieu 1993, DiMaggio/Powell 1991a, Giddens 1984, 1990). Auf Grundlage dieser kognitiven Ordnungsvorstellungen klärt die regulative Dimension der sozialen Ordnung, welche Handlungsoptionen in einem Feld als kollektiv angemessen und damit als zulässig gelten (vgl. Scott 1986). Eine Missachtung oder eine Verletzung dieser Vorgaben wird mit großer Wahrscheinlichkeit bei Entdeckung von den anderen Akteuren und Organisationen des Feldes mit einer materiellen oder immateriellen Bestrafung geahndet. Unerheblich ist dabei, dass der Einzelne mit den Bestimmungen übereinstimmt, vielmehr muss eine allgemeine, personenungebundene Akzeptanz und Kontrolle gewährleistet sein (vgl. Jepperson 1991). In strategischer Hinsicht sind soziale Felder durch machtbezogene Regulationsmuster gekennzeichnet, die bestimmen, welches Durchsetzungspotential ein Akteur oder eine Organisation in bestimmten Positionen für sich beanspruchen kann (vgl. Crozier/Friedberg 1979, Friedberg 1995, Hall/Taylor 1996: 937). Den Akteuren und Organisationen garantiert die soziale Ordnung folglich eine Handlungssicherheit (vgl. DiMaggio 1988: 8), d. h. eine Kalkulierbarkeit ihrer Gewinnchancen. Denn insbesondere wenn die Ordnung fest institutionalisiert ist, haben die Akteure und Organisationen eine relativ große Sicherheit, dass ihre Interaktionspartner ihre Pflichten und Rechte kennen und achten. Dementsprechend können sie ihre eigene Strategie darauf ausrichten und die eigenen Transaktionskosten senken (vgl. Ebers/Gotsch 1995). Eine Stabilisierung des Interaktionsclusters liegt daher auch im Interesse der individuellen und kollektiven Akteure, weshalb diese meistens bereit sind, sich den Vorgaben der sozialen Ordnung anzupassen (vgl. March/ Olsen 1998). Die institutionelle Ordnung ist somit kennzeichnend für ein soziales Feld, da sie dieses in kognitiver, regulativer und strategischer Hinsicht strukturiert. Dabei ist sie nicht von der Akzeptanz des einzelnen Akteurs oder einer Organisation abhängig, vielmehr wird sie kollektiv reproduziert und kann daher eine individuen- und organisationsungebundene Eigendynamik entwickeln (vgl. Jepperson 1991, Scott 1994b). Gleichzeitig behält sie nur ihre Gültigkeit bei, wenn sie reproduziert wird. Denn die Akteure und Organisationen können die Regeln jederzeit in ihren Handlungen missachten (vgl. Giddens 1984). Eine soziale Ordnung kann demnach weder die Akteure noch die Organisationen zu etwas zwin-
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gen. Sie ist ein soziales Konstrukt, dem nicht zwangsweise Folge geleistet werden muss. Auch gibt sie meist nur allgemeine Vorgaben vor, deren konkrete Interpretation in der Hand der Beteiligten liegt. Das Verhältnis einer sozialen Ordnung zu den Akteuren und Organisationen kann folglich als eine wechselseitige Beeinflussung beschrieben werden (vgl. Giddens 1984). In Bezug auf die aktiv Handelnden wird in einem sozialen Feld zwischen individuellen Akteuren und kollektiven Akteuren (Organisationen) unterschieden. Organisationen werden in dieser Arbeit als soziale Gebilde definiert, die eigenständige Interessen und Ziele verfolgen (vgl. Kieser/Walgenbach 2003, Zucker 1988: 31-33), welche nicht auf einzelne Akteure zurückzuführen sind (vgl. Scott 1998). Dabei grenzen sie sich nach außen durch fest definierte Zugehörigkeitsregeln ab (vgl. Argyris/Schön 2002: 24). Intern werden ihre Ziele und Handlungsstrategien auf Basis von formellen und informellen Kommunikations- und Entscheidungsprozessen entwickelt und festgelegt. Auf der Mesoebene von sozialen Feldern agieren somit Organisationen, deren Anliegen von einzelnen Repräsentanten in die Debatten eingebracht werden. Gleichzeitig müssen ihre Ziele und Interesse nicht deckungsgleich mit den Vorstellungen ihrer einzelnen Mitglieder sein. Besonders deutlich wird dies, wenn zwischen dem organisationalen und individuellen Wissen differenziert wird (vgl. Argyris/Schön 2002: 27-30). Auf der einen Seite verfügen die Mitarbeiter einer Organisation über ein Wissen, das dem organisationalen Gedächtnis fehlt. Denn der einzelne Akteur kann sein Wissen zurückhalten, oder es ist ihm nicht möglich, die Informationen in den organisationalen Kommunikationsfluss nachhaltig einzubringen. Auf der anderen Seite kann das organisationale Gedächtnis über ein Wissen verfügen, was dem Einzelnen entgeht, weil er entweder für seinen Besitz keine Befugnisse hat, oder nicht an den entsprechenden organisationsinternen Debatten teilnimmt. Zu den entscheidenden Organisationen im Rahmen der OMK/Inklusion zählen die Regierungen, die europäischen Organe, nichtstaatliche Organisationen und lokale Behörden (vgl. de la Porte/Pochet 2005, Scott 2001: 126f). Die Akteure vertreten die Interessen einer Organisation nach außen und versuchen gleichzeitig, die Ergebnisse aus den Interaktionen in den sozialen Feldern in ihrer Organisation umzusetzen. „Incumbent actors have certain tools that they can use to maintain control both internally in their group and externally (Fligstein 1997: 401. Sie sind auf der einen Seite die Repräsentanten der Organisationen und daher angehalten, die Interessen derselben unabhängig von ihren persönlichen Einstellungen zu vertreten. Andererseits lassen sie sich aufgrund ihrer persönlichen Ordnungsvorstellungen nicht auf die Interessen und Ziele derselben reduzieren (vgl. de la Porte 2002a). So ist ihre Repräsentantenrolle zwar meist personenungebunden, d. h. die Mitgliedschaft in dem Feld ist in der Regel nicht an eine bestimmte Person geknüpft, dennoch können sie ihre Rolle bis zu einem
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gewissen Grad individuell interpretieren. Auf der Mikroebene eines Feldes wirken einzelne Akteure, deren Positionen sowohl von der feldspezifischen Ordnung als auch den Vorgaben ihrer Organisation bestimmt sind, die aber auch über einen gewissen Handlungs- und Interpretationsspielraum verfügen. Festgehalten werden kann, dass die Akteure sich nicht auf ihren Repräsentationsauftrag reduzieren lassen, während die Organisationen mehr als die Summe ihrer Mitglieder sind. Um das Verhältnis von den individuellen und kollektiven Akteuren verstehen zu können, muss demzufolge das Spannungsfeld aus kollektiven Vorgaben und individuellen Entscheidungsspielraum berücksichtigt werden. Gerade in großen Organisationen bestehen meist nur allgemeine und abstrakte Ziele, deren konkreter Umsetzungsweg variabel ist und zwischen den Akteuren bzw. verschiedenen Organisationsteilen umstritten sein kann. Dies kann zu scheinbar paradoxen Verhaltensweisen der Organisationen in den sozialen Feldern führen. Denn einzelne Akteure, die intern differente Positionen vertreten, können als Repräsentanten ihrer Organisationen in einem Feld verschiedene Akzente setzen, sodass die Organisation scheinbar keine einheitlichen Ziele verfolgt. Daneben kann der Anschein entstehen, dass ein und derselbe Akteur widersprüchliche Positionen einnimmt. Dies lässt sich damit erklären, dass – wenn ihre Organisation als Ganzes geschlossen auftritt – ein Akteur solche Ziele und Interessen vertritt, für die organisationsintern ein Konsens besteht. In anderen Zusammenhängen kann derselbe Akteur die Positionen seiner Organisationseinheit repräsentieren, die vom gemeinsamen Nenner der Gesamteinheit differiert. In dieser Arbeit wird somit davon ausgegangen, dass die Akteure einerseits eine wichtige Schnittstelle zwischen den Organisationen und den Feldern sind. Denn sie versuchen sowohl die Entscheidungen im Feld im Sinne der Organisationsziele zu beeinflussen als auch die Ergebnisse des Feldes in die Organisation zu vermitteln und dort gegebenenfalls umzusetzen. Andererseits werden Organisationen nicht als konfliktfreie Einheiten verstanden, vielmehr wird angenommen, dass die kollektiven Ziele und Interessen von organisationsinternen Konflikten geprägt sind. Die Interaktionen können in einem Feld folglich nur verstanden werden, wenn zwischen Meso- und Mikroebene unterschieden wird: Die Organisationen verfolgen in dem Feld bestimmte Interessen und Ziele, die auch von den Akteuren vorangetrieben werden, wobei Letztere bei den konkreten Entscheidungen über einen mehr oder weniger großen Interpretationsspielraum verfügen. Bisher wurde vor allem das interne Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen eines Felds untersucht, wird nun der Frage nachgegangen, wie sich ein Feld nach außen abgrenzt bzw. ob seine Strukturen außen beeinflusst werden können. Eine soziale Ordnung legt nicht nur intern die anerkannten Handlungsoptionen fest, sie grenzt das Feld auch ein (vgl. Lamont/Molnár 2002). So sind nur bestimmte Akteure, Organisationen, Handlungsweisen und Themen zugelassen und
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positiv sanktioniert. Diese Beschränkungen sind dabei sowohl das Produkt als auch eine zentrale Voraussetzung für ein funktionierendes Feld. Denn durch jede Interaktion, die eine soziale Ordnung reproduziert, wird die Grenzziehung erneuert und bekräftigt. Gleichzeitig kann eine soziale Ordnung nur dort Wirkung erlangen, wo sie kollektiv anerkannt ist, was nur in einem begrenzten Raum möglich ist (vgl. Scott 1986: 247). Die Geschlossenheit der Felder kann daher auch nicht graduell sein (vgl. Luhmann 2000: 51). Alle Interaktionen, die außerhalb des Feldes liegen, werden in dieser Arbeit als seine Umwelten bezeichnet (vgl. Willke 1993). Sie haben für das Feld zunächst keine Bedeutung, da sie für den Fortbestand der sozialen Ordnung nicht relevant sind. Von Belang werden sie erst, wenn die Akteure und Organisationen sie auf Basis der bestehenden sozialen Ordnung wahrnehmen (vgl. Weick 1995: 226, 1985: 22), hierbei eine Diskrepanz zwischen der bestehenden Ordnung und der erlebten Realität ausmachen (vgl. Argyris/Schön 1978, March/Olson 1975) und daher einen Wandel der sozialen Ordnung anstreben. Die wahrgenommenen Umwelten führen allerdings nicht zwangsläufig zu einem Wandel der sozialen Ordnung. Vorstellbar ist auch, dass die Akteure und Organisationen Veränderungen in einer Umwelt feststellen, aber keinen Handlungsbedarf für die soziale Ordnung sehen (vgl. Crozier/Friedberg 1979: 70f, DiMaggio 1988: 9-17, Friedberg 1995: 180). Oder die Möglichkeit besteht, dass sich der Einzelne mit seinen Änderungsvorschlägen im Feld nicht durchsetzen kann (in Anlehnung an Elkjaer 1999). Schließlich kann von außen nicht vorgegeben werden, in welcher Form die Umwelten das Feld beeinflussen, da die Akteure und Organisationen die Veränderungen der Umwelt nicht nur auf Basis der bestehenden Ordnung betrachten, sondern sie auch verarbeiten. Es lässt sich festhalten, dass die sozialen Felder hier als geschlossene Einheiten verstanden werden (vgl. Luhmann 1976). Externe Einflüsse können nur im Rahmen der national geltenden Ordnung aufgenommen und verarbeitet werden. Die europäischen Felder können somit die nationalen Felder nicht unmittelbar beeinflussen oder gar dominieren. Vielmehr werden Vorgaben vonseiten der europäischen Ebene entsprechend des jeweiligen nationalen Regelwerks wahrgenommen und ggf. verarbeitet. Die nationale Politik der sozialen Eingliederung wie auch die europäischen Maßnahmen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung werden somit mithilfe des organisationssoziologischen Feldbegriffs analysiert. Ein soziales Feld beruht in dieser Arbeit auf einer dreidimensionalen sozialen Ordnung, welche das Feld nach außen abgrenzt und intern die Interaktionen der Organisationen und Akteure strukturiert. Die feldspezifische Ordnung prägt damit auf der einen Seite die Handlungen und Interaktionen der Beteiligten. Auf der anderen Seite kann sie keinen objektiven Zwang auf die Akteure und Organisationen ausüben, weshalb sie bei der Reproduktion auch verändert werden kann. Die Akteure und Organi-
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sationen können auf Basis der bestehenden kognitiven, regulativen und strategischen Ordnungsvorstellungen alle Entwicklungen, die außerhalb des Feldes liegen, wahrnehmen und analysieren. Wenn sie dabei eine Diskrepanz zwischen der bestehenden sozialen Ordnung und den wahrgenommenen Phänomenen feststellen, können sie dies als einen Handlungsbedarf an die soziale Ordnung, definieren. Im Anschluss daran können sie versuchen, die institutionelle Ordnung an die neu definierten Bedingungen anzupassen. Entscheidend für diese permanente Weiterentwicklung ist, dass es sich um keinen zwangsläufigen Prozess handelt. Vielmehr liegt es im Entscheidungsspielraum der Beteiligten, ob sie die Veränderungen aufgreifen. Auch muss beachtet werden, inwieweit sich die Einzelnen in den Interaktionsspielen durchsetzen können. Für die Offene Methode der Koordinierung hat dies zur Folge, dass die europäischen Entwicklungen nicht unmittelbar auf die nationalen Reformen einwirken können. Vielmehr sind sie eine Umwelt, die entsprechend der nationalen Leitbilder, Handlungsansätze und Machtstrukturen wahrgenommen und bewertet wird. Für den Wirkungsradius der europäischen Entwicklungen bedeutet dies, dass sie immer national interpretiert und umgesetzt werden und ihr Einfluss europaweit variiert. Darüber hinaus können sie nur Impulse setzen, wenn sie kollektiv als eine Herausforderung für die bestehende Ordnung wahrgenommen werden.
3.2 Entstehung eines europäischen Raums Die OMK wird in solchen Politikbereichen eingeführt, in denen sämtliche Mitgliedstaaten der EU vor ähnlichen Herausforderungen stehen, jedoch kein politischer Wille bzw. keine Einigkeit für ein gemeinsames europäisches Handeln existiert. Die europäischen Organe erhalten bei der Einführung eines OMKProzesses keine weiteren oder neuen Regulationskompetenzen. Wohl aber wird für jedes OMK-Verfahren auf europäischer Ebene ein eigenes Feld mit gemeinsamen Zielen, Handlungsinstrumenten und Kommunikationsstrukturen aufgebaut (vgl. Büchs 2008, de la Porte/Pochet 2005, Eberlein/Kerwer 2004, Jacobson 2004b). Die darin agierenden Akteure und Organisationen werden demnach auf europäischer Ebene in einen mehrdimensionalen Interaktionsprozess involviert, in dem sie nicht nur ihre Interessen und Ziele einbringen, sondern der sie auch verändern und formen kann. Im Folgenden wird zunächst betrachtet, wie ein solches soziales Feld auf europäischer Ebene entstehen und seine soziale Ordnung mit der Zeit eine Eigendynamik aufbauen kann, sodass sie nicht mehr von einzelnen Akteuren und Organisationen dominiert wird (3.2.1). Darauf aufbauend ist zu fragen, welche Verbindungen zwischen dem europäischem und den nationalen Feldern bestehen (3.2.2). Hierbei wird herausgearbeitet, dass sich die
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Felder nicht unmittelbar beeinflussen können, auf kognitiver, regulativer und strategischer Ebene aber Kopplungsmechanismen bestehen, mit denen sich die Felder wechselseitig prägen können.
3.2.1 Die soziale Konstruktion eines europäischen Feldes Ein soziales Feld wird entwickelt, wenn ein kollektives Problem (bzw. eine neue kollektive Aufgabe) definiert wird, das nicht von einzelnen Organisationen oder innerhalb der bestehenden Felder gelöst werden kann (vgl. Fligstein 2001b). Hierbei werden in einem Zusammenspiel von einigen Akteuren und Organisationen erste Ordnungsvorstellungen entwickelt, welche das Feld intern regulieren und nach außen abgrenzen. Diese Konstrukteure können (müssen aber nicht) später Mitglieder des Feldes werden. Gleichzeitig beschränkt sich die Anzahl der in einem Feld agierenden Akteure und Organisationen nicht auf dieselben, vielmehr können weitere Handelnde hinzukommen. Zunächst besitzen die Konstrukteure einen großen Gestaltungsspielraum, da sie die ersten kollektiven Vorgaben in ihrem Sinne definieren und damit auch ihre eigenen Gestaltungsmöglichkeiten in dem Feld festlegen. Geprägt werden ihre Handlungen hierbei erstens von ihren jeweiligen Interessen und Zielen, die sie mit dem Feld durchsetzen wollen (vgl. March/Olson 1998). Zweitens spielen ihre Erfahrungen aus anderen Feldern eine wichtige Rolle. So werden sie dazu tendieren, solche Regeln abzulehnen, die an anderer Stelle gegen sie verwendet wurden, bzw. werden sie derartige Regeln und Vorgaben unterstützen, die sich in einem anderen Kontext bereits als nützlich und sinnvoll für sie erwiesen haben. Schließlich beeinflussen aber auch die bereits bestehenden Regeln das Zusammenspiel der beteiligten Akteure und Organisationen. Denn die Felder entstehen nicht in einem leeren Raum (vgl. Lawrence/Phillips 2004: 692), vielmehr existieren meistens bereits Vorläuferfelder oder eine allgemeine Regelung für den Bereich (vgl. Scott 1994a). Das neue Feld und seine soziale Ordnung müssen somit anschlussfähig an die bereits vorhandenen kollektiven Ordnungsvorstellungen sein, d. h., sie müssen den bestehenden kollektiven Wahrnehmungs- und Wertungsmustern entsprechen, im Rahmen der allgemein anerkannten regulativen Vorgaben bleiben und mit den bestehenden strategischen Interaktionsmustern im Einklang stehen. Folglich können auch nur etwa solche Akteure und Organisationen ein Feld entwickeln, die von den bereits bestehenden Ordnungsvorstellungen als legitime Konstrukteure anerkannt werden. Im Feld selbst können die ersten Entscheidungen der Konstrukteure im Lauf der Zeit von den Akteuren und Organisationen bei der Reproduktion der Regeln modifiziert, verkleinert oder erweitert werden. Folglich verlieren die Vorgaben
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der Konstrukteure nach und nach an Einfluss, auch wenn bestimmte grundsätzliche Entscheidungen den Verlauf eines Feldes über einen langen Zeitraum beeinflussen bzw. Entwicklungen in bestimmte Richtungen verhindern können. Hinzu kommt, dass die von Konstrukteuren aufgestellten Regeln für dieselben die gleiche Gültigkeit haben wie für andere Akteure und Organisationen des Feldes, d.h. sie können ihre Interessen im Feld nur gemäß ihrer festgelegten Rolle einbringen und durchsetzen. Um das Durchsetzungspotential eines einzelnen Konstrukteurs in einem Feld richtig einschätzen zu können, muss ferner beachtet werden, dass sich die Interessen und Ziele der Konstrukteure mit der Zeit verändern können. Denn auch wenn diese bei der Bildung des Feldes eine Einigung erzielen konnten, kann es später zu unterschiedlichen Interpretationen und Vorstellungen über das weitere Gestalten des Feldes kommen. Eine Allianz der Konstrukteure ist somit keine zwangsläufige Notwendigkeit. Vielmehr können neue Interessenkoalitionen entstehen, sodass der Einzelne sich immer wieder neue Partner suchen muss und daher auch über divergierende Durchsetzungschancen verfügt. Bezogen auf die OMK/Inklusion kann festgehalten werden: Sein Feld entspringt auf europäischer Ebene vor allem einem Zusammenspiel von Kommission und Rat. Gemeinsam haben sie die Möglichkeit, die ersten Weichen für das jeweilige Verfahren zu stellen. Damit können sie eine OMK auf europäischer Ebene in eine bestimmte Richtung lenken, etwa indem sie bestimmte Inhalte und Instrumente kategorisch ausschließen oder den Akteurskreis festlegen. Hierbei werden sie sowohl von ihren Interessen als auch von ihren Erfahrungen bei anderen OMK-Verfahren bzw. deren Vorläufern beeinflusst. Dies bedeutet aber nicht, dass sie bei der Entwicklung des Verfahrens vollkommen freie handhaben. Denn müssen sie auch den bereits bestehenden Regelrahmen, d.h. die EG- und EUVerträge sowie das sekundäre Recht beachten. Ferner können sie die Weiterentwicklung der OMK nicht determinieren. Denn später werden die Ziele und Instrumente des europäischen Feldes permanent und kontinuierlich an die von den nun beteiligten Akteuren und Organisationen formulierten Herausforderungen angepasst. Die entscheidenden Organisationen und Akteure bleiben dabei zwar weiterhin die Regierungen und ihre Repräsentanten, welche die Ergebnisse in letzter Instanz verabschieden, sowie die Kommission und ihre Mitarbeiter, die eine koordinierende Funktion haben (vgl. Behning 2004). Darüber hinaus kommen auch Nichtregierungsexperten sowie Mitarbeiter von Sozialpartnern und den nichtstaatlichen Organisationen dazu und versuchen die Weiterentwicklung zu beeinflussen (vgl. de la Porte/Pochet 2005). Die Fortschritte in einem europäischen Feld obliegen somit nicht mehr ausschließlich den Konstrukteuren. Auch kann es passieren, dass diese keinen Konsens erzielen, sodass ihre Durchsetzungskraft bei einer Weiterentwicklung nicht gegeben sein muss.
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Zusammenfassend kann gesagt werden, dass soziale Felder entstehen, wenn kollektiv ein Handlungsbedarf gesehen wird. Die Konstrukteure werden dabei sowohl von ihren Interessen als auch von den bestehenden Ordnungsvorstellungen geprägt. Das europäische Feld der OMK/Inklusion ist somit nicht nur das Ergebnis des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschef in Lissabon im Jahr 2000, sondern knüpft auch an bestehende Strukturen an. Hinzu kommt, dass die Konstrukteure die weiteren Entwicklungsprozesse innerhalb eines Felds zu Beginn nicht vorgeben können. Weder die Staats- und Regierungschefs noch die Kommission konnten somit beim Einsetzen des OMK/Inklusion-Feldes vorhersehen, in welche Richtung es sich entwickelten würde.
3.2.2 Die Kopplungsprozesse zwischen europäischen und nationalen Feldern Nachdem im letzten Abschnitt erläutert wurde, wie ein europäisches Feld entstehen kann, ist nun zu untersuchen, welche Kopplungsprozesse zwischen ihm und den nationalen Feldern bestehen. Noch ist die Frage offen, mittels welcher Mechanismen die europäischen Entwicklungen die nationalen Reformen und Diskussionen irritieren können. Auch muss geklärt werden, wie die nationalen Entwicklungen die europäischen Vorgaben prägen. Denn nur wenn die europäischen Ziele und Instrumente an die sich wandelnden nationalen Probleme und Herausforderungen angepasst werden, können sie helfen, dieselben zu bekämpfen. An answer to this question has to start with the assumption that national policies and the European co-ordination processes are two relatively autonomous social fields which cannot interfere directly with each other’s operations. This is true even if national actors are closely involved in OMC processes. Social fields cannot be steered directly from the outside, because they operate according to their own logic, standards, criteria, languages, problem definitions, regulatory structures, patterns of interpretations and success criteria (…). (Heidenreich/Bischoff 2008: 506)
Da die sozialen Felder als geschlossene Systeme verstanden werden, kann kein Feld unmittelbar von einem anderen beeinflusst werden. Allerdings können sich die Felder wechselseitig irritieren, d. h. Veränderungen in einem Feld können von den individuellen und kollektiven Akteuren eines anderen wahrgenommen und als Herausforderungen definiert werden. Ausgehend von einer dreidimensionalen sozialen Ordnung lassen sich dabei drei Kopplungstypen unterscheiden (vgl. Heidenreich/Bischoff 2008: 507). Von kognitiven Kopplungen wird gesprochen, wenn die Modelle und Begriffe eines Feldes in einem anderen aufgegriffen werden. Dies kann zum einen geschehen, wenn die Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata eines Feldes
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von den dort agierenden Akteuren und Organisationen verinnerlicht werden und sie diese in die Diskussionen eines anderen Feldes einbringen. Zum anderen können die Leitbilder eines Feldes in den Debatten eines anderen ausgegriffen werden, um mit ihnen die eigenen Begriffe und Modelle kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu modifizieren. So können durch die Aushandlungsprozesse über Ziele und Indikatoren oder den Erfahrungsaustausch in den europäischen Feldern gemeinsame Standpunkte entwickelt werden, wie bestimmte Phänomene zu verstehen und zu bewerten sind (vgl. Jacobsson/Vifell 2007b, Neyer 2003). Diese kognitive Übereinstimmungen5 können später in die nationalen Debatten aufgegriffen werden, um die eigenen nationalen Leitbilder kritisch zu hinterfragen. Dabei gilt: Je stärker die europäischen Modelle und Definitionen von den Akteuren und Organisationen verinnerlicht werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie dieselben in den nationalen Debatten verwenden. Umgekehrt bringen die nationalen Akteure und Organisationen ihre meist internalisierten nationalen Denkmodelle und Definitionen in die europäischen Debatten ein, bzw. können bestimmte Ideen aus den nationalen Feldern in den europäischen Diskussionen aufgegriffen und in die europäischen Wahrnehmungs-, Deutungsund Wertungsschemata eingefügt werden. Zweitens kann in einem Feld ein Handlungsdruck aufgebaut werden, der bestimmte Handlungen in einem anderen Feld notwendig erscheinen lässt, was im Folgenden auch als eine regulative Kopplung bezeichnet wird (vgl. Jacobson 2004a). Da im Rahmen einer OMK ein Verstoß gegen die Regeln formal nicht geahndet wird, handelt es sich hierbei um weiche Druckmittel. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang der Aufbau eines Gruppenzwanges (Peer pressure), d. h. durch die kontinuierliche gemeinsame Arbeit in den europäischen Gremien wird eine „loose form of community-based control“ (Héritier 2002: 5) hergestellt. Eine Folge kann sein, dass die in einem Komitee aktiven Akteure und Organisationen versuchen, bestimmte Prozesse in den nationalen Feldern anzustoßen, da sie eine schlechte Reputation vermeiden und gegenüber den anderen Teilnehmern nicht als „Verlierer“ dastehen möchten (vgl. Jacobson 2004a, Scott 2001). Des Weiteren ist von einer regulativen Kopplung zu sprechen, wenn die Akteure und Organisationen die Ergebnisse der Benchmarkingverfahren aufgreifen (vgl. de la Porte et al. 2001, de la Porte 2002a) und sich bemühen, die Vorgaben zu erfüllen, da sie ein negatives Image im eigenen Land fürchten. Allerdings müssen hierfür die Ergebnisse des europäischen Feldes in den jeweiligen Ländern öffentlich diskutiert 5
An dieser Stelle wird oft eingewandt, dass hier nur ein machtpolitischer Kompromiss vorliegt (vgl. Barbier 2004). Dagegen kann allerdings argumentiert werden, dass auch durch strategisch motivierte Interaktionen gemeinsame Begriffe erarbeitet werden. Denn auch ein ausgehandelter Kompromiss, dem sämtliche Akteure zustimmen, stellt die Entwicklung von kollektiv geteilten Wahrnehmungs- und Wertungsschemata dar.
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werden (vgl. Jacobson 2004a). Gleichzeitig kann es auch passieren, dass die nationalen Akteure aufgrund eines Drucks vonseiten ihrer Organisation oder der Öffentlichkeit versuchen, bestimmte Vorgaben und Instrumente in den europäischen Feldern einzuführen. Sie können angehalten werden, bestimmte Themen auf europäischer Ebene einzubringen oder umgekehrt bestimmte Entwicklungen zu verhindern. Drittens kann es zu strategischen Kopplungen kommen. Hierbei führen die Akteure und Organisationen die Begriffe und Modelle des einen Feldes zur Stärkung der eigenen Position in den Debatten eines Zweiten an. Oder sie nutzen die finanziellen Ressourcen eines Feldes zur Durchsetzung der eigenen Interessen in einem anderen Feld. So können die Akteure und Organisationen in den nationalen Feldern die Resultate des europäischen Feldes aufgreifen, um das eigene Handeln im nationalen Kontext zu legitimieren. Auch können sie die finanziellen Ressourcen des europäischen Feldes zur Stärkung der eigenen Position im nationalen Feld verwenden. Umgekehrt können die Akteure und Organisationen die eigenen Positionen in den europäischen Debatten mit einem Verweis auf nationale Probleme und Entwicklungen bekräftigen. Ferner ist anzunehmen, dass sie bei den Entscheidungen auf europäischer Ebene solche Bestimmungen unterstützen werden, die ihre Position in den nationalen Feldern stärken oder zumindest nicht schwächen. Somit bestehen wechselseitige Irritationsprozesse zwischen den Feldern, was auch eine wichtige Voraussetzung für einen dauerhaften Erfolg der jeweiligen OMK ist (siehe auch Abbildung 1). Denn auf europäischer Ebene können nur nützliche und hilfreiche Lernhilfen für die nationalen Felder entwickelt werden, wenn hier permanent die nationalen Entwicklungen Berücksichtigung finden. Gleichzeitig werden jedoch auch die Grenzen der Einflussmöglichkeiten deutlich. So muss es nicht automatisch und zwangsweise zu einer wechselseitigen Beeinflussung kommen. Auch können die Folgen für die einzelnen Felder nicht vorhergesagt werden. Vielmehr ist es von der jeweiligen institutionellen Ordnung sowie den Interessen der Akteure und Organisationen abhängig, wie jene mit den Irritationen umgehen. Des Weiteren können die Kopplungen zu Konflikten und Blockaden zwischen den Feldern führen. Beispielsweise können die nationalen Akteure und Organisationen versuchen, unangenehme Entscheidungen in die europäischen Gremien zu verlagern, um im eigenen Land keine politische Verantwortung für unpopuläre Entwicklungen übernehmen zu müssen. Dies kann zur Folge haben, dass aus inhaltlichen Differenzen in einem Feld ein Ebenenkonflikt wird, d. h. was zuvor ein Disput zwischen z. B. der Regierung und der Opposition war, gilt jetzt als ein Streitpunkt zwischen den Ebenen.
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Kognitiver Kopplungsmechanismus Irritation der Konzepte aus den nationaeuropäischen len Feldern werden in die europäischen DiskussioFelder durch die Nationalen nen eingebracht
Normativer Kopplungsmechanismus Es entsteht ein Druck, bestimmte Vorgaben der nationalen Ebenen umzusetzen
Irritation der In den nationalen Debatten eines Feldes werden nationalen Felder durch diedie Erkenntnisse aus Europäischen einem europäischen Gremium aufgegriffen
Die Evaluierungsergebnisse aus den europäischen Gremien werden im nationalen Kontext aufgegriffen und erzeugen so einen Druck, bestimmte Instrumente und Vorgaben zu verbessern
Strategischer Kopplungsmechanismus Bestimmte Argumente aus den nationalen Feldern werden zur Stärkung der eigenen Position in die europäischen Gremien eingebracht Erkenntnisse aus den europäischen Feldern oder die dort bereit gestellten finanziellen Ressourcen werden zur Stärkung von bestimmten Positionen in den nationalen Diskussionen genutzt
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 1: Mechanismen der Kopplung zwischen sozialen Feldern
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass verschiedene kognitive, normative wie strategische Kopplungsmechanismen existieren, mit denen sich die nationalen Reformen und Debatten auf der einen Seite und die europäischen Austauschprozesse, Vorgaben und Instrumente auf der anderen Seite wechselseitig irritieren. Gleichzeitig wurde jedoch auch deutlich, dass keiner dieser Mechanismen zwangsweise zu einem Wandel in einem Feld führen muss.
3.2.3 Zwischenresümee: Voraussetzungen für die Wirksamkeit europäischer Regulationsstrukturen Im Rahmen einer OMK entsteht auf europäischer Ebene ein Feld, in dem die gemeinsamen Ziele und Instrumente des Verfahrens entwickelt werden und das auf einem formalen und informalen Entscheidungs- und Kommunikationsverfahren beruht. Da das Feld geschlossen ist, können nur wechselseitige Irritationen zwischen ihm und den nationalen Feldern zustande kommen. Diese mittelbare wechselseitige Beeinflussung führt dazu, dass jedes europäische OMK-Feld auf einem organisatorischen Paradox beruht, das sowohl eine seiner Stärken darstellt, als auch zu Blockaden bei der Umsetzung der kollektiven Vorgaben führen kann. Denn einerseits müssen die Ziele und Instrumente eines europäischen Feldes flexibel sein, da sie nur so an die sich wandelnden nationalen Probleme und Herausforderungen angepasst werden können. Andererseits ist zu erwarten, dass die Akteure und Organisationen die Vorgaben vor allem dann implementie-
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ren, wenn diese institutionalisiert sind. Die Ordnungsvorstellungen müssen somit sowohl flexibel und anpassungsfähig als auch stabil und kontinuierlich sein, um den Anforderungen der nationalen Felder gerecht zu werden (vgl. Heidenreich 2000). Für dieses organisatorische Dilemma (Heidenreich unveröffentlicht: 11) muss in jeder OMK immer wieder eine Balance gefunden werden. Ansonsten kann es passieren, dass die europäischen Felder eine zu große Eigendynamik entwickeln, um nationale Veränderungen noch ausreichend wahrnehmen zu können, wodurch das Ziel der OMK, nationale Reformprozesse zu unterstützen, verfehlt werden würde. Oder es besteht die Gefahr, dass die Ziele und Instrumente so schwach institutionalisiert werden, dass sie zu Spielbällen der Eigeninteressen der Akteure werden, was letzten Endes die Entwicklung von gemeinsamen Leitbildern sowie das Entstehen von gegenseitigen Lernprozessen verhindern kann.
3.3 Die nationale Implementierung europäischer Impulse Im vorangegangenen Abschnitt war herausgearbeitet worden, dass sich soziale Felder wechselseitig irritieren können. Unklar blieb jedoch, welchen Einfluss die Kopplungen mit dem europäischen Feld auf die nationalen Entwicklungen haben können. Um diese black-box aufzulösen, erfolgt nun ein Perspektivenwechsel und es untersucht wird, wie die europäischen Impulse auf nationaler Ebene verarbeitet werden. Argumentiert wird dabei, dass europäische Impulse Veränderungen auf allen drei Ebenen der nationalen Felder anstoßen können. Allerdings wird nicht angenommen, dass individuellen und organisationalen Lernerfahrungen automatisch zu einem institutionellen Wandel führen. Vielmehr werden nach meinem Dafürhalten die Umgestaltungen auf allen drei Ebene von bestimmten, ebenenspezifischen Bedingungen beeinflusst. Auch kann eine OMK nicht vorgeben, welche Resultate die europäischen Impulse auf nationaler Ebene zu erzielen haben. Denn es liegt bei den nationalen Akteuren und Organisationen, ob und wie sie das Verfahren im nationalen Kontext verwenden, bzw. beeinflussen die nationalen Strukturen, ob und wie die Impulse aufgriffen und umgesetzt werden. Ausgehend von dieser Argumentationslinie wird zunächst untersucht, wie sich soziale Ordnungen prinzipiell wandeln können (3.3.1). Anschließend werden die individuellen, organisationalen und institutionellen Lernmöglichkeiten betrachtet und herausgearbeitet, inwieweit sie sich gegenseitig beeinflussen können (3.3.2). Darauf aufbauend wird der Frage nachgegangen, wie die europäischen Impulse auf institutionellen Entwicklungen in einem nationalen Feld einwirken können und welche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Beeinflussung notwendig sind (3.3.3).
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3.3.1 Exkurs: Das Prinzip der Pfadabhängigkeit Die gesellschaftliche Entwicklungsprozesse stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen den Beharrungstendenzen der sozialen Ordnung, durch die das Entstehen von stabilen Interaktionsmustern erst möglich wird, und einem vonseiten der Akteure und Organisationen definierten Anpassungsbedarf an die wahrgenommenen Herausforderungen. Im Folgenden wird dargestellt, wie sich das Feld und seine soziale Ordnung verändern und entwickeln können. In den Mittelpunkt der Betrachtung rückt zunächst das Prinzip der Pfadabhängigkeit, das den kontinuierlichen, evolutionären Wandel eines Feldes maßgeblich prägt. Darauf aufbauend richtet sich der Fokus auf den Institutionalisierungsgrad und den damit verbundenen wahrgenommenen Handlungsspielraum der Akteure und Organisationen. Bei einem evolutionären, pfadabhängigen Wandel wird eine soziale Ordnung in den Interaktionen sowohl reproduziert als auch neu interpretiert und modifiziert. Eine Handlung beruht hier sowohl auf einem stabilisierenden als auch einem irritierenden Moment. Pfadabhängigkeit heißt somit in dieser Arbeit in Anlehnung an Mahoney (2000) und Thelen (1999, 2003), dass die Veränderungen anschlussfähig an die in dem jeweiligen Moment bestehende Ordnung sein müssen. Gleichwohl ist ein pfadabhängiger Wandel weder linear noch vorhersehbar (vgl. Héritier 2000: 4f, Stone Sweet/Sandholtz 1998: 17, Thelen 2003: 219). Vielmehr kann er nur ex post festgestellt werden (vgl. North 1992). Denn ein Entwicklungspfad kann sich in eine andere Richtung entwickeln, als dies ursprünglich von den Akteuren und Organisationen geplant war (vgl. Mahoney 2000: 511). Auch gibt die soziale Ordnung nicht in determinierender Weise vor, wie mit wahrgenommenen Umweltherausforderungen umgegangen werden soll. Sie favorisiert bestimmte Handlungsoptionen bzw. grenzt andere aus, ohne dass hier ein telelogischer Prozess vorliegt (vgl. Pierson 2000a: 253). Die Entwicklungsprozesse eines sozialen Feldes sind denn meist pfadabhängig, auch wenn es zu Brüchen kommen kann. Entscheidend für die Frage, welche Handlungsalternativen die Akteure und Organisationen für sich selbst bei ihren Entscheidungen wahrnehmen, ist der Institutionalisierungsgrad der sozialen Ordnung in einem Feld (vgl. DiMaggio/Powell 1991a: 9). Je stärker eine soziale Ordnung institutionalisiert ist, umso mehr verstehen die beteiligten Akteure und Organisationen die soziale Ordnung als eine nicht hinterfragbare, scheinbar objektive Handlungsorientierung (vgl. Bourdieu 1993: 124f, Meyer/Rowan 1977: 343). Gerade für Westeuropa wird erwartet, dass die nationalen sozialpolitischen Felder von einem hohen Institutionalisierungsgrad gekennzeichnet sind (vgl. Lepsius 1995). Demnach besteht durchweg ein fest verankertes Wahrnehmungs- und Wertungsmuster, welchen Handlungen überhaupt Beachtung geschenkt wird und wie sie
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zu bewerten sind. Auch hat sich mit den Jahren ein Rollenmuster herausgebildet, sodass die verschiedenen politischen, administrativen wie auch sozialen Akteure und Organisationen miteinander in fest gefügten Austauschprozessen agieren. Das Durchsetzungspotenzial des Einzelnen ist dabei entsprechend ihrer Rollen relativ klar definiert. Bei solchen stark institutionalisierten Ordnungen sind innovative Weiterentwicklungen zwar möglich, gleichzeitig sind ihnen aber Grenzen gesetzt und die Chancen für einen Pfadbruch relativ gering. Obgleich muss berücksichtigt werden, dass sich der Institutionalisierungsgrad einer sozialen Ordnung ändern kann (vgl. Zucker 1987: 447). Die Akteure und Organisationen können sie nicht nur immer stärker verinnerlichen, sondern ihr auch kritischer gegenüberstehen. Zusammenfassend ist zu sagen: Im Rahmen eines evolutionären Wandels6 wird die soziale Ordnung über einen langen Zeitraum als Ganzes verändert, indem bei einzelnen Handlungen und Interaktionen Teile von ihr modifiziert werden, während der Rest reproduziert wird. Der Entwicklungsprozess besteht hier aus vielen einzelnen, nicht notwendigerweise aufeinander abgestimmten oder zwangsweise sich auseinander ergebenden Einzelschritten. Gemeinsam ist allen Handlungen und Interaktionen in diesem Kontext nur, dass sie anschlussfähig an die zum jeweiligen Zeitpunkt bestehende soziale Ordnung sind.
3.3.2 Individuelles, organisationales und institutionelles Lernen Entwicklungen können sich in einem sozialen Feld auf allen drei Ebenen abspielen. Dementsprechend kann es durch europäische Impulse zu einem individuellen, organisationalen oder institutionellen Lernen kommen. Um die Ergebnisse einer OMK im Detail verstehen zu können, müssen deshalb zunächst die Lernprozesse auf den drei Ebenen genauer betrachtet werden. Daran anschließend wird dargelegt, wie sich die Lernprozesse der einzelnen Ebene beeinflussen können. Individuelles Lernen meint auf kognitiver bzw. regulativer Ebene, dass die europäischen Ideen, der transnationale Austausch und die Vorgabe auf natio6
In Gegensatz zu dem hier beschriebenen evolutionären Wandel werden bei einem Bruch Alternativen gesucht, die nicht anschlussfähig an die bestehenden Ordnungsvorstellungen sind, d. h. bei denen die geltenden Ordnungsvorstellungen grundsätzlich von den Beteiligten in Frage gestellt werden (vgl. Ebbinghaus 2005). Ein solcher radikaler Wandel ist dann wahrscheinlich, wenn die Beteiligten zu dem Ergebnis kommen, dass die Kosten für eine Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung den Preis ihres Umsturzes übersteigen. In diesen Fällen sind die Brüche das Endresultat eines Entfremdungsprozesses der Akteure gegenüber den kollektiven Ordnungsvorstellungen. Neben solchen ungeplanten und unvorhersehbaren Entwicklungen können Brüche aber auch von den Akteuren und Organisationen bewusst geplant und institutionalisiert werden (vgl. Ebbinghaus 2005).
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naler und/oder europäischer Ebene die eigene Arbeit darzulegen dazu führen, dass die eigenen Leitbilder bzw. die eigene Arbeitsweise in Frage gestellt und/oder verändert werden (vgl. Jacobsson 2004a, Zeitlin 2005a). Ferner kann eine OMK in einem strategischen Lernen der Akteure resultieren. So können im Rahmen des Verfahrens neue Kontakte auf nationaler und europäischer Ebene geknüpft werden, durch die die eigenen Durchsetzungschancen im Feld und in der eigenen Organisation erhöht werden (in Anlehnung an Simon 1991: 125). Von einem organisationalen Lernen ist die Rede, wenn die europäischen Impulse auf Basis der bestehenden organisationalen Ordnung aufgegriffen werden und dazu beitragen die organisationalen Strukturen zu verändern (vgl. Heidenreich 2000). So können europäische Impulse auf kognitiver Ebene dazu führen, dass die organisationsspezifischen Leitbilder kritisch hinterfragt oder ihre bereits angestoßenen Wandlungsprozesse in eine bestimmte Richtung hin beeinflusst werden. Auf normativer Ebene kann das Verfahren einen Reiz darstellen, der in einer Veränderung des organisationsspezifischen Handlungsansatzes resultiert. Des Weiteren können die Erfahrungen mit einer OMK genutzt werden, um eine Reform des organisationsspezifischen Handlungsansatzes zu beeinflussen. Strategisches Lernen meint schließlich, dass mithilfe von europäischen Impulsen eine Reform der organisationsinternen Kommunikations- und Entscheidungsprozesse angeregt bzw. geprägt wird. Ein institutioneller Wandel bedeutet im kognitiven Bereich, dass die kollektiven Leitbilder hinterfragt und verändert werden. So können die Debatten und Austauschprozesse auf europäischer und nationaler Ebene im Rahmen einer OMK dazu führen, dass die bestehenden Vorstellungen und Modelle kritisch hinterfragt und verändert werden. Des Weiteren können die Ergebnisse und Erkenntnisse aus Debatten einer OMK Impulse darstellen, die bei einem Leitbildwandel eingesetzt werden, um den Reformprozess in eine bestimmte Richtung zu lenken. Durch die OMK kann sich weiter die Frage, mit welchen Instrumenten ein Problem in einem Feld bekämpft werden soll, kann in modifizierter Form oder vollkommen neu beantwortet werden. So können im Rahmen des europäischen Prozesses neue Instrumente kennengelernt werden, oder die Vorgaben der EU können dazu anregen, den bestehenden Regulationsansatz in Frage zu stellen. Ferner können die Instrumente einer OMK selbst Vorbilder in den Reformprozessen sein oder als Argumente genutzt werden, um bestimmte Reformentwicklungen zu stärken oder zu schwächen. Des Weiteren können die Finanzmittel einer OMK für die Entwicklung und das Testen von neuen Instrumenten verwendet werden. Schließlich kann sich der Governance-Ansatz durch OMKImpulse wandeln. Auch hier können die Vorgaben und Erkenntnisse aus den europäischen und nationalen Debatten im Rahmen einer OMK dazu führen, dass sich die Akteure und Organisationen kritisch mit den bestehenden Entschei-
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dungsprozessen auseinandersetzen und diese reformieren. Daneben können die argumentativen und finanziellen Impulse in eine Reform der Kommunikationsstrukturen einfließen. Dabei können sich die bestehenden Machtstrukturen verändern, neue Akteure und Organisationen eingebunden oder bereits Beteiligte ausgegrenzt werden. Kognitive Ebene Regulative Ebene Modifizierung der eigenen Modifizierung des Ordnungsvorstellungen eigenen Handlungsansatzes Modifizierung des Organisationales Modifizierung der organisationalen Ordorganisationalen HandLernen lungsansatzes nungsvorstellungen Wandel der institutionelWandel des institutionelInstitutioneller len Ordnungsvorstellunlen Handlungsansatzes Wandel gen Lernen der Akteure
Strategische Ebene Stärken der eigenen Position im Feld Neue organisationsinterne Kommunikationsstrukturen Wandel des Governance-Ansatzes
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 2: Ebenen, die beeinflusst werden können
Zu einem institutionellen Wandel, d.h. einer Veränderung der feldspezifischen Ordnung kommt es durch ein Zusammenspiel von Akteuren und Organisationen, was auch als „Evolution ohne Führung durch Anpassungsverbesserungen“ (Luhmann 2000: 351) bezeichnet werden kann. Demzufolge ist es wahrscheinlich, dass einem institutionellen Wandel individuelle und/oder organisationale Lernprozesse vorausgehen (vgl. Bourdieu 1993). Allerdings handelt es sich hierbei niemals um einen Automatismus oder teleologische Prozesse (vgl. Levitt/March 1988: 326f). Denn erstens müssen die Impulse nicht auf den anderen Ebenen aufgegriffen werden. Es kann geschehen, dass sich die lernenden Akteure und/oder Organisationen auf einer höheren Ebene nicht durchsetzen können oder ihre Anregungen nicht anschlussfähig an die bestehenden organisationalen oder institutionellen Strukturen sind (Kopp-Malek 2004: 29). Zweitens können auch die Akteure und Organisationen nur Impulse setzen, sie können die weitere Verarbeitung derselben in den institutionellen oder organisationsinternen Kommunikations- und Entscheidungsprozessen nicht dominieren und damit nicht das Resultat bestimmen. Schließlich müssen einem organisationalen oder institutionellen Lernen keine individuellen Lernerfahrungen vorausgehen. Beispielweise können sich die Akteure und/oder Organisationen einem Druck ausgesetzt sehen, bestimmte Elemente der organisationalen oder institutionellen Ordnung zu verändern, ohne dass sie zuvor die europäischen Vorgaben verinnerlicht hätten. Vielmehr werden die Impulse entsprechend der bestehenden organisationalen und institutionellen Ordnungen aufgegriffen und verarbeitet.
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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine OMK individuelle, organisationale und institutionelle Lernprozesse anstoßen oder beeinflussen kann und damit zu einem Wandel der kognitiven, regulativen und strategischen Veränderungen auf allen drei Ebenen eines Feldes beitragen kann (siehe Abbildung 3). Hierbei wurde auch deutlich, dass sich die Lernprozesse wechselseitig beeinflussen können, ohne dass es sich hierbei um einen zwangsläufigen Prozess handelt. Vielmehr sind die Lernprozesse sowie die gegenseitige Beeinflussung der Ebenen an bestimmte kognitive, normative und strategische Voraussetzungen gebunden.
3.3.3 Der europäische Prozess als Anreiz und Ressource Ziel der OMK/Inklusion ist es, die gesellschaftlichen Inklusionskräfte zu stärken, d.h. die institutionellen Strukturen des nationalen Feldes sollen beeinflusst werden. Das europäische Verfahren hat somit dann als voller Erfolg zu gelten, wenn es zu institutionellen Lernprozessen kommt. Als Teilerfolg kann es gerechnet werden, wenn zumindest einzelne Organisationen durch das europäische Verfahren lernen, auch wenn diese Lernerfahrungen nicht in einem institutionellen Wandel münden. Als relativ erfolglos ist dagegen zu werten, wenn nur individuelle Lernprozesse angeregt werden, die in keinem weiteren kollektiven Lernen resultierten. Bisher waren vor allem alle mögliche Lernerfolge auf den drei Ebenen eines Feldes betrachtet. Nun wird genauer analysiert, wann und unter welchen Bedingungen eine OMK einen institutionellen Wandel beeinflussen kann. Hierfür werden die institutionellen Reformprozesse aufgegliedert und es wird unterschieden zwischen den Auslösern von institutionellen Reformen, den Wandlungsprozess und dem Wandlungsresultat (siehe Abbildung 2). Ausgelöst werden Veränderungen einer sozialen Ordnung, wenn auf Basis der bestehenden Ordnungsvorstellungen zu einer Differenz zwischen der erwarteten und der erlebten Realität kommt (vgl. Agyris/Schön 2002). Bezogen auf eine OMK bedeutet dies: Die Irritationen von nationalen Feldern durch ihre europäischen Felder können dazu beitragen, dass die nationale Ordnung kritisch hinterfragt wird. Beispielsweise können die auf europäischer Ebene behandelten Leitbilder und Handlungsansätze als Vergleichsmaßstab für die eigene soziale Ordnung dienen, oder es kann ein Druck durch die europäischen Debatten wahrgenommen werden, der ein nationales Handeln notwendig erscheinen lässt. Diese Reize sind allerdings nicht ‚objektiv‘ vorhanden, sondern werden durch die organisatorischen Wahrnehmungsmuster ‚gefiltert‘ bzw. konstruiert. (Heidenreich unveröffentlicht: 7)
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Die nationale Implementierung europäischer Impulse
Voraussetzung für eine solche Beeinflussung der nationalen Entwicklungsprozesse ist, dass die externen Einflüsse im Rahmen bestehenden Ordnungsvorstellungen erfasst und hierbei als Chance für das eigene Feld gewertet werden (vgl. Heidenreich unveröffentlicht: 9). Auch kann nicht vorherbestimmt werden, wie die Reize wahrgenommen werden und zu welchen Reformprozessen sie führen. Wurde ein Handlungsbedarf festgestellt, wird die soziale Ordnung auf Grundlage der kollektiv akzeptierten Aushandlungsverfahren bearbeitet. Eine OMK kann diese Reformprozesse insofern beeinflussen, als dass sie Ressourcen zur Verfügung stellt, mit deren Hilfe bestimmte Handlungsoptionen gestärkt werden. Demgemäß können ihre Ziele und die Ergebnisse der europäischen Debatten und transnationalen Austauschprozesse als Vorbilder begriffen werden, auf die die nationale soziale Ordnung ausgerichtet wird. Des Weiteren können die Erkenntnisse aus den europäischen Kommunikations- und Aushandlungsprozessen in den Reformprozessen als Argumente genutzt werden, um bestimmte Positionen zu untermauern oder zu schwächen. Auch können mithilfe der europäischen Finanzressourcen bestimmte Entwicklungen realisiert werden. Eine OMK stellt somit Ressourcen zur Verfügung, die innerhalb von Reformprozessen aufgegriffen werden können. Allerdings ist auch diese Nutzung nur möglich, wenn diese Impulse anschlussfähig an die Reformdebatten sind, sie von den Akteuren und Organisationen auf Basis der weiterhin bestehenden Ordnung als hilfreiche Unterstützung gewertet werden und jene sie auch tatsächlich in die Entscheidungsprozesse einbringen können. Als Resultat können diese Wandlungsprozesse dazu führen, dass sich die soziale Ordnung in bereits beschriebener kognitiver, regulativer oder strategischer Hinsicht verändert. OMK als Ressource
ModifizieDiskrepanz Lernrung der zwischen ergebnis: OMK sozialen Anforderung Veränderte Ordnung im als Reiz und sozialer soziale Quelle: eigene Darstellung Zuge des Ordnung Ordnung Abbildung 3: Entwicklungsprozesse im Feld und die Impulse der OMK/Inklusion dabei Lernprozeswahrgenomses men T0
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Quelle: eigene Darstellung Abbildung 3: Europäische Impulse in ein nationales Feld
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Die OMK: Die wechselseitigen Irritationen von Feldern
Zusammenfassend ist zu sagen, dass eine OMK an zwei Stellen Impulse in einen institutionellen Wandel auf nationaler Ebene setzen kann. Sie kann Anreize für mögliche Veränderungen geben oder als Ressourcen auf die Wandlungsprozesse einwirken. Da der Wandel jedoch immer auf Basis der jeweils eigenen Strukturen geschieht, kann sie kein bestimmtes Resultat erzwingen.
3.3.4 Zwischenresümee: Mögliche Auswirkungen von europäischen Impulsen In einem Feld kann es sowohl zu einem institutionellen Wandel als auch zu individuellen und organisationalen Lernprozessen kommen. In der bisherigen OMKDebatte wurde vor allem darauf verwiesen, dass die individuellen Lernprozesse zu einem institutionellen Wandel führen. Des Weiteren wurde untersucht, ob die nationalen institutionellen Veränderungen „consistent with the emergent beliefs at the OMC table“ (Radaelli 2003: 49) sind, ohne dass geklärt wurde, wie die einzelnen Prozesse auf den unterschiedlichen Ebenen zusammenhängen (vgl. Jacobsson/Vifell 2007a/b, Zeitlin 2005b). In dieser Arbeit wird dagegen argumentiert, dass sich die Lernprozesse auf den verschiedenen Ebenen gegenseitig prägen können, d.h. die Chancen für einen institutionellen Wandlungsprozess sind höher, wenn es zuvor ein individuelles/organisationales Lernen gab. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Lernprozesse nicht aufeinander aufbauen müssen. So kann es geschehen, dass sich einzelne Akteure nicht in ihrer Organisation oder im Feld durchsetzen können und so ihre individuellen Lernerfahrungen nicht in kollektive Lernprozesse münden. Auch kann es möglich, dass die individuellen oder organisationalen Lernerfahrungen als nicht anschlussfähig oder durchsetzbar auf institutioneller Ebene gelten. Denn sowohl die Übertragung von individuellen und organisationalen Lernerfahrungen als auch die grundsätzliche Nutzung einer OMK auf die Makroebene sind an Bedingungen geknüpft: Das europäische Verfahren oder die lernenden Akteure und Organisationen können nur dann Impulse auf der institutionellen Ebene setzen, wenn ihre Ideen und Anregungen sowohl als innovativ wie auch als anschlussfähig an die bestehenden Debatten und Strukturen gewertet werden (vgl. Jepperson/Meyer 1991). Ferner können sie nur verarbeitet werden, wenn sie von durchsetzungsstarken Akteuren und Organisationen aufgegriffen werden, die die Entwicklungen zwar nicht dominieren können, aber in der Lage sind, die entsprechenden Prozesse anzuregen bzw. umsetzen. Wenn diese Bedingungen gegeben sind, kann die OMK/Inklusion die institutionellen Entwicklungen an zwei Stellen beeinflussen: Zum einen kann sie einen Anreiz geben, der Veränderungsprozesse anstößt, zum anderen kann sie in Reformprozessen eine Ressource sein, welche genutzt wird, um die Entwicklung zu beeinflussen.
Schlussfolgerungen und Hypothesen
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3.4 Schlussfolgerungen und Hypothesen Die europäischen und die nationalen Sozialpolitiken werden in dieser Arbeit als soziale Felder verstanden. Jedes Feld wird auf Basis der feldspezifischen Wahrnehmungs- und Deutungsschemata, eines eigenen Handlungsansatzes und spezieller Machtbeziehungen reproduziert. Alle Interaktionen, die außerhalb des Feldes liegen, sind zunächst irrelevant für seinen Fortbestand. Demnach können sich die europäischen und die nationalen Felder nicht unmittelbar beeinflussen; wohl aber kann es zu wechselseitigen Irritationen kommen. So können die nationalen Akteure und Organisationen das europäische Feld als externe Umwelt wahrnehmen und auf der Grundlage ein Modifizierungsbedarf für die nationale Ordnung definieren. Umgekehrt können auch die nationalen Prozesse in dem europäischen Feld beobachtet werden und gegebenenfalls kann auch dort wegen dieser Beobachtungen ein Handlungsbedarf definiert werden. Durch eine OMK/Inklusion entwickelt sich demnach ein europäisches Feld, das in einem wechselseitigen Irritationsverhältnis mit den nationalen Feldern stehen kann. Ziel des Verfahrens ist es, die nationalen Reformprozesse in eine bestimmte Richtung zu lenken. Seine europäischen Debatten und Instrumenten müssen daher auf der einen Seite flexibel und offen sein, um permanent an die sich wandelnden nationalen Probleme angepasst werden zu können. Auf der anderen Seite werden seine Irritationschancen auf die nationalen Entwicklungen um so größer, je konkreter und fester institutionalisiert die europäischen Vorgaben sind, und je kontinuierlicher und enger die europäische Zusammenarbeit verläuft. Dieses Paradox ist jeder OMK immanent, wobei bei der konkreten Ausgestaltung der einzelnen OMK-Prozesse die eine oder die andere Seite überwiegen kann. Bezogen auf die OMK/Inklusion kann angenommen werden: Die OMK/Inklusion lässt den Regierungen viel Handlungsspielraum, da ihre Vorgaben vage sind und auf direkt vergleichende Instrumente verzichtet wurde. Dafür besitzt sie auch das Potenzial, Nichtregierungsorganisationen zu stärken. Entscheidend für die Frage, ob das Verfahren überhaupt einen Einfluss auf ein nationales Feld hat, ist die jeweilige nationale Umsetzung. Denn jede OMK wird auf Basis der bestehenden nationalen Ordnungsvorstellungen wahrgenommen, beurteilt und organisiert. Dies bedeutet zum einen, dass die OMK/Inklusion in unterschiedlichen nationalen Feldern divergierende Ergebnisse erzielt. Zum anderen hat dies die Folge, dass sie in einem nationalen Feld nur erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn sie in kognitiver, regulativer und strategischer Hinsicht anschlussfähig an die bestehende nationalspezifische Ordnung ist:
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Die OMK: Die wechselseitigen Irritationen von Feldern
Es können nur Impulse in die nationalen Diskussionen gesetzt werden, wenn die Akteure und Organisationen bereit sind, die jeweilige Ordnung zu hinterfragen und die europäischen Vorgaben und Erkenntnisse als innovative Herausforderung werten (kognitive Voraussetzung). Ferner müssen die Impulse als anschlussfähig an die bestehenden Strukturen bzw. Debatten gelten (regulative Voraussetzung) und von den nationalen Kompetenzträgern aufgegriffen werden (strategische Voraussetzung). Wenn diese nationalen Bedingungen gegeben sind, kann dies zu einem Wandel der feldspezifischen Ordnungen führen. Denn diese sind trotz des Umstandes, dass sie in den nationalen Feldern oftmals als hinterfragbare Tatsache gelten, keine starren Konstruktionen. Vielmehr können Teile von ihr in einem Zusammenspiel der hierzu legitimierten Akteure und Organisationen auf Basis der weiterhin bestehenden Ordnungsvorstellungen ausgebaut, verkleinert oder verändert werden. Eine OMK kann dazu beitragen, dass die nationalen Wahrnehmungsund Deutungsschemata modifiziert werden, es zu einem Wandel des nationalen Handlungsansatzes mit seinem Set an Instrumenten kommt, oder sich der nationale Governance-Ansatz verändert.
4 Ansatz und Methoden
Die OMK/Inklusion hat das Ziel, den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu unterstützen. Gleichzeitig wurde in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet, dass der Prozess auf Basis der bestehenden nationalen Strukturen wahrgenommen und implementiert wird. Er kann die nationalen Entwicklungen nur mittelbar, in einer nicht-teleologischen Weise prägen. Ferner war zu erkennen, dass er nur ein Einflussfaktor unter mehreren ist. Im Folgenden wird deshalb zunächst diskutiert, wie die Auswirkungen der OMK/Inklusion erhoben und nachgewiesen werden können (4.1). Hierbei werden die methodischen Probleme der OMK-Forschung diskutiert und der Umgang damit in dieser Arbeit aufgezeigt. In einem weiteren Schritt richtet sich das Augenmerk auf den Forschungsansatz (4.2). Dabei sind die Vor- und Nachteile von qualitativen, vergleichenden Fallstudien zu diskutieren und darauf aufbauend wird begründet, warum sie in der vorliegenden Untersuchung genutzt werden. In einem nächsten Schritt werden die in dieser Arbeit verwendeten Instrumente dargelegt (4.3). Gezeigt wird, welche Möglichkeiten Leitfadeninterviews und eine Analyse der Primärliteratur bieten und wo ihre Grenzen sind. Anschließend wird auf die Länderauswahl und den untersuchten Zeitabschnitt eingegangen (4.4). Es werden die Kriterien offengelegt, nach denen die drei nationalen Fallstudien ausgewählt wurden, und herausgearbeitet, warum sich die Untersuchung auf die Zeitspanne von 2000 bis 2005 konzentriert. Im letzten Schritt wird die erhobene Empirie skizziert (4.5) und dargelegt, welche Experten befragt und welche Dokumente in den drei Staaten der vorliegenden Arbeit herangezogen wurden.
4.1 Methodenprobleme der OMK-Forschung In der OMK-Debatte ist nicht nur umstritten, welchen Einfluss ein OMK-Prozess auf die nationalen Entwicklungen haben kann, sondern auch ob und wie dieser erfasst bzw. nachgewiesen werden kann (vgl. Zeitlin 2007, Nedergaard 2004). Denn erstens wird kritisch betont, dass eine OMK nur ein Faktor unter mehreren ist, der zu nationalen Reformen führen bzw. diese beeinflussen kann. Daher ist zu fragen, ob und wie der Einfluss des europäischen Verfahrens isoliert werden kann. Zweitens ist zu diskutieren, wie die wechselseitigen Beeinflussungen von
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Ansatz und Methoden
europäischen Prozessen und nationalen Entwicklungen operationalisiert können. Drittens ist in Rechnung zu stellen, dass es sich bei den OMK-Prozessen noch um relativ junge Verfahren handelt. Im Folgenden werden damit zentrale Herausforderungen vorgestellt, vor denen eine Untersuchung der nationalen OMKImplementierung steht, um anschließend herauszuarbeiten, wie die vorliegende Arbeit sie handhabt. In den bisherigen Kapiteln wurde festgestellt, dass die nationalen Sozialstaaten vor vielfältigen endogenen und exogenen Herausforderungen stehen. Daher kann erstens gefragt werden, ob der Einfluss der OMK/Inklusion auf die nationalen Entwicklungen überhaupt erfasst und analysiert werden kann. Des Weiteren ist sicherzustellen, dass seine Auswirkungen im Verhältnis zu den anderen Faktoren weder über- noch unterschätzt wird. In dieser Arbeit wird versucht, den Einfluss der OMK/Inklusion auf die nationalen Systeme herauszuarbeiten, indem die Umsetzung des Verfahrens aus zwei Perspektiven beleuchtet wird: Zum einen werden die bei der OMK/Inklusion federführenden Akteure und Organisationen betrachtet. Untersucht wird, ob und wenn ja, inwieweit sie den Prozess in ihrer Arbeit aufgreifen können und welchen Einfluss sie auf die nationalen Reformdebatten und Entscheidungsprozesse haben. Zum anderen wird untersucht, inwieweit die nationalen Kompetenzträger an dem europäischen Verfahren beteiligt sind, wie sie es einschätzen und die dort gewonnenen Erkenntnisse für ihre nationale Arbeit nutzen. Somit richtet sich das Augenmerk nicht nur auf die Frage, welchen Nutzen die unmittelbar daran beteiligten Akteure aus dem Verfahren ziehen. Sondern es wird auch untersucht, inwieweit die nationalen Entscheidungsträgern an dem Prozess beteiligt sind und seine Ergebnisse für die eigene Arbeit verwenden. In der vorliegenden Studie wird weder argumentiert, dass die OMK/Inklusion die einzige Größe ist, welche die nationalen Reformprozesse beeinflusst, noch wird in Anspruch genommen, alle Einflussfaktoren benennen und ihr Verhältnis zueinander abschließend beurteilen zu können. Schließlich werden in dieser Arbeit auch nicht die nationalen Reformprozesse zur Gänze bewertet und erklärt werden können. Des Weiteren wird berücksichtigt, dass die OMK/Inklusion kein monokausales Verhältnis zu den nationalen Entwicklungen hat. The national influence and effectiveness of OMC processes is notoriously difficult to assess, (…) because of the methodological problems involved in disentangling the independent causal impact of an iterative policy-making process based on collaboration between EU institutions and Member State governments without legally binding sanctions. (Zeitlin 2007: 4)
Denn die nationalen und europäischen Entwicklungen können sich wechselseitig beeinflussen. Diesem Problem wird in dieser Arbeit Rechnung getragen, indem
Methodenprobleme der OMK-Forschung
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die OMK/Inklusion nicht als ein reiner Top-down- oder Bottom-up-Prozess verstanden wird (Barbier 2004: 22). Vielmehr gilt die wechselseitige Beeinflussung der beiden Ebenen als Ausgangspunkt für ein Verständnis der OMK. Empirisch bedeutet dies, dass der Einfluss in beide Richtungen rekonstruiert wird. So wird sowohl die Prägung der nationalen Feldern durch das europäische abgefragt, als auch der nationale Einfluss auf die europäischen Entwicklungen untersucht, um abschließend die beiden Prozesse in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Zusätzlich wird gefragt, wie sich die nationalen Entwicklungen und die Implementierung der OMK/Inklusion auf nationaler Ebene wechselseitig beeinflussen. So wird das europäische Verfahren auf Basis der bestehenden Strukturen umgesetzt, gleichzeitig besteht sein Ziel darin, diese zu verändern. Als Antwort auf diese Herausforderung wird das Verfahren in den einzelnen Staaten in drei Schritten untersucht: Am Anfang steht die Betrachtung der nationalen Rahmenbedingungen, gefolgt von einer Untersuchung der Organisation des europäischen Prozesses in einem nationalen Feld. In diesem Abschnitt richtet sich die Perspektive auf die Frage, wie die nationalen Bedingungen die Implementierung beeinflussen. Abschließend wird analysiert, wie die OMK/Inklusion umgekehrt die nationalen Strukturen prägt und welche Probleme hierbei entstanden. Schließlich verweist gerade Jacobsson (2005) darauf, dass die OMK noch zu jung sei, um in tief greifende Veränderungsprozesse resultieren zu können. Dieser Einwand wird hier insoweit berücksichtigt, als nicht der Anspruch erhoben wird, eine endgültige Aussage über den Einfluss der OMK/Inklusion auf die nationale Politik der sozialen Eingliederung zu treffen. Vielmehr konzentriert sich die vorliegende Untersuchung auf die erste Implementierungsphase und versucht herauszufinden, welche Faktoren bei einem jungen Verfahren entscheidend sind. Zusammenfassend ist zu sagen, dass eine Wirkungsanalyse der OMK/ Inklusion vor der Herausforderung steht, dass hier ein junger, multikausaler Prozess stattfindet, bei dem sich die verschiedenen Ebenen wechselseitig beeinflussen und mehrere Entwicklungen gleichzeitig nebeneinander laufen. Bei der Untersuchung müssen diese Prozesse daher zunächst analytisch getrennt voneinander betrachtet und anschließend in ihrem Verhältnis zueinander untersucht werden. Hierbei wird sowohl der Einfluss der nationalen Prozesse auf die europäische Ebene als auch auf die europäische Prägung der nationalen Entwicklungen geblickt. Einschränkend muss für die vorliegende Analyse jedoch festgehalten werden, dass weder abschließende Aussagen über die nationalen Reformen und ihre Einflussfaktoren getroffen werden können, noch endgültig beurteilt werden kann, ob die OMK/Inklusion im zeitlichen Verlauf ein Erfolg bzw. ein Misserfolg in den drei Feldern sein wird.
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Ansatz und Methoden
4.2 Qualitativ-komparative Fallstudien In dieser Arbeit wird die Frage, welchen Einfluss die OMK/Inklusion auf die nationalen Reformen hat, mithilfe von qualitativen und komparativen Fallstudien untersucht. Für einen qualitativen Ansatz spricht nach meinem Dafürhalten, dass die Aufgabe darin besteht, „die erforschte Realität treffend zu deuten“ (Kromey 2006: 535, H.i.O.). Denn während quantitative Studien individuelle Besonderheiten ausblenden und vor allem darauf ausgerichtet sind, die Stärke von bestehenden Strukturen zu messen (vgl. Kromrey 2006: 535-540), zielt eine qualitative Herangehensweise auf die „Rekonstruktion deutungs- und handlungsgenerierender Strukturen“ ab (Seipel/Rieker 2003: 214; vgl. auch Gerring 2004: 348f, Flick et al. 2004: 20f). Im Zentrum der Untersuchung steht somit das Nachvollziehen und Verstehen von möglichen Kausalzusammenhängen zwischen der OMK/Inklusion und den nationalen Debatten und Reformen. Auch besitzt der hier gewählte Ansatz die notwendige Offenheit (vgl. Lamnek 2005: 312ff), um neue Entdeckungen während der Feldforschung in der Auswertung berücksichtigen zu können. Gleichwohl muss die Wirkungskraft der vorliegenden Studie insoweit eingeschränkt werden, als nur die kausalen Beziehungen betrachtet werden und keine quantifizierbaren Aussagen darüber getroffen werden können, wie stark der Einfluss der OMK/Inklusion im Vergleich zu anderen Faktoren ist (vgl. Gerring 2004: 348f). Ein Fallstudienansatz bietet im Gegensatz zu anderen qualitativen Forschungsansätzen die Möglichkeit, für einen fest definierten sozialen Raum „ein ganzheitliches und damit realistisches Bild der sozialen Welt zu zeichnen“ (Lamnek 2005: 299). Case studies, if well constructed, allow one to peer into the box of causality to the intermediate causes lying between some cause and its purported effect. Ideally, they allow one to “see” X and Y interact. (Gerring 2004: 348)
Mithilfe der Fallstudien lassen sich die wechselseitigen Kausalzusammenhänge zwischen der OMK/Inklusion und den nationalen Debatten und Reformen aufdecken und verstehen. Als Population7 gelten hierbei die westeuropäischen Sozialstaaten, von denen drei für einen Zeitraum von fünf Jahren untersucht werden. In den Fallstudien selbst werden sowohl die aktuellen nationalen Debatten und Reformen rekonstruiert als auch die Implementierung des europäischen Verfahrens auf nationaler Ebene nachvollzogen, um darauf aufbauend den wechselseitigen Einfluss der beiden Entwicklungen zu untersuchen. Abschließend werden 7
Population meint dabei alle ausgewählten und nicht auswählten Fälle (vgl. Gerring 2004: 342).
Länderauswahl und zeitliche Einschränkgungen
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die drei nationalen Fallstudien miteinander verglichen und die entscheidenden europäischen und nationalen Faktoren bestimmt, die in den drei Feldern die nationale Umsetzung der OMK/Inklusion beeinflussten und prägten. Dieser abschließende Vergleich erscheint hierbei besonders wichtig, um Erkenntnisse in einen breiteren Kontext stellen und generalisierende Aussagen treffen zu können. Im Gegensatz zu einer singulären Fallstudie geht es in dieser Arbeit folglich nicht darum, ein Feld in allen Details zu durchdringen (vgl. Flick 2004: 254), sondern herausgearbeitet werden sollen „durch fallinterne Vergleichsanalysen“ (Jahn 2007: 19) jene Faktoren, die für einen Erfolg/Misserfolg der OMK/ Inklusion auf nationaler Ebene verantwortlich sind. Insgesamt ist zu sagen, dass diese Arbeit auf dem qualitativen Ansatz von komparativen Fallstudien beruht. Das Ziel besteht somit darin, die kausalen Zusammenhänge zwischen der OMK/Inklusion und den nationalen Reformen bzw. Debatten herauszuarbeiten und zu deuten. Eine Quantifizierung der festgestellten Kausalzusammenhänge ist mit dem hier benutzten Forschungsdesign nicht möglich. Da die Fallstudien immer nur einen regional und zeitlich begrenzten Raum umfassen und daher eine Verallgemeinerung nur unter bestimmten Kriterien möglich ist, werden im nächsten Schritt die Staatenwahl und der untersuchte Zeitraum begründet.
4.3 Länderauswahl und zeitliche Einschränkungen Entscheidend für den hier gewählten Ansatz ist, dass die Fallauswahl und der untersuchte Zeitraum bestimmt und offen gelegt werden (vgl. Gerring 2006: 710). Zeitlich wurde die Untersuchung auf fünf Jahre begrenzt. Ausgangspunkt war das Jahr 2000, in dem das europäische Verfahren eingeführt wurde. Der Untersuchungszeitraum endet mit dem Jahr 2005. Hintergrund hierfür war, dass die OMK/Inklusion danach grundlegend neu ausgerichtet wurde und in den Jahren 2005 und 2006 in allen drei Staaten ein Regierungswechsel stattfand. Bei der Reformierung der OMK/Inklusion wurden nicht nur ihre Ziele und Instrumente überarbeitet; der Prozess wurde auch stärker mit anderen sozialpolitischen Verfahren verknüpft. Schließlich wurde diese dritte Säule der Lissabonstrategie stärker an dessen wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Säulen angelehnt, woraus eine neue Gewichtung der drei Bereiche erwuchs. Daher ist anzunehmen, dass die OMK/Inklusion seit dem Jahr 2006 neue bzw. modifizierte Impulse an die nationalen Felder abgibt und neue Formen der Implementierung entstehen. Das Jahr 2005 stellt somit eine Zensur für die OMK/Inklusion dar, da sich zu diesem Zeitpunkt nicht nur die nationalen Felder, sondern gerade das europäische Feld veränderten.
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Ansatz und Methoden
Bei der Auswahl der Fälle wird in den meisten vergleichenden Studien auf den most similar bzw. most different Ansatz zurückgegriffen (vgl. Jahn 2007: 17f). Ersterer meint, dass solche Fälle ausgewählt werden, die sich möglichst ähnlich sind, da so der Einfluss von unterschiedlichen unabhängigen Variablen getestet werden kann. Dagegen geht der andere Ansatz davon aus, dass mithilfe von möglichst unterschiedlichen Fallstudien eine unabhängige Variable auf ihre Wirkungsweise in verschiedenen Kontexten geprüft werden kann. An den Ansätzen wurde kritisiert, dass bereits eine Einordnung der möglichen Fälle in eine Typologie die Auswertung beeinflusst und lenkt, da die Fallstudien bezüglich einzelner Faktoren (vor-) sortiert werden (vgl. Büchs 2005). Auch würden die meisten Fälle beides – Gemeinsamkeiten und Differenzen – aufweisen. Da die drei hier ausgewählten Staaten Mitglieder der konservativen Wohlfahrtsfamilie darstellen, liegt die Vermutung nahe, dass ein most similar Ansatz genutzt wird. In dieser Arbeit wird jedoch eine andere Herangehensweise gewählt und argumentiert, dass es sich bei den ausgewählten Staaten um besonders kritische Fälle handelt. There is a variety of ways in which single unit studies can credibly claim to provide evidence for causal propositions of broad reach—e.g., by choosing cases that are especially representative of the phenomenon under study or by choosing “crucial” cases. (Gerring 2004: 346)
Im Zentrum stehen drei Wohlfahrtsstaaten, die vor – ähnlichen – großen Herausforderungen stehen und sich gleichzeitig lange Zeit durch starke Beharrungskräfte ausgezeichneten. Da sie weitgehend auf dem Prinzip der Normalarbeit beruhen, sind ihre sozialen Sicherungssysteme auf eine unbefristete, sozialversicherte Vollzeitbeschäftigung ausgerichtet. Alle Bedürftigen, die nicht von diesen Systemen erfasst werden (z.B. nicht-sozialversicherte, atypische Beschäftigte oder Langzeitarbeitslose), sind dagegen auf die stigmatisierte staatliche Fürsorge angewiesen (vgl. Lahusen/Stark 2003). Gleichzeitig sind die Beschäftigungsordnungen in diesen Staaten relativ restriktiv, sodass Randgruppen oftmals vom Arbeitsmarkt und damit den sozialen Sicherungssystemen ausgegrenzt sind (vgl. Heidenreich 2004). Geprägt sind die drei Wohlfahrtsstaaten somit von einer relativ hohen gesellschaftlichen Differenzierung zwischen den Beschäftigten und solchen Gruppen, die keinen Zugang auf den Arbeitsmarkt finden. Hinzu kommt, dass durch den sich abzeichnenden Arbeitsmarktwandel die Zahl an diskontinuierlichen Erwerbsbiographien steigt und damit die Zahl an Bedürftigen und sozial Ausgegrenzten wächst (Ferrera et al. 2000). Trotz dieser wachsenden Herausforderungen sind die drei Wohlfahrtsstaaten von einer sehr hohen Pfadabhängigkeit gekennzeichnet, d.h. es handelt sich um Systeme, die Probleme haben, den eingeschlagenen Entwicklungspfad zu verlassen. Die OMK/Inklusion stellt für
Länderauswahl und zeitliche Einschränkgungen
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die Staaten somit eine besonders große Chance dar. Denn gerade diese Wohlfahrtsstaaten können von externen Impulsen und Reformanregungen profitieren. Allerdings ist auch zu erwarten, dass die Reformresistenz sich bei der Implementierung der OMK/Inklusion bemerkbar macht. Daher wird an dieser Stelle argumentiert, dass die drei hier gewählten Staaten eine besondere Herausforderung für die OMK/Inklusion darstellen. Aufbauend auf dem Prinzip des Extremfalls wird deshalb angenommen, dass das Verfahren auch in anderen Mitgliedsstaaten der EU erfolgreich sein müsste, wenn es in diesen drei Staaten Erfolge erzielen kann. Daneben wird trotz der bekannten Schwächen der most different Ansatz herangezogen, auch wenn einschränkend zu sagen ist, dass hierbei nicht die von Lijphart (1971) geforderte hohe Fallzahl zustande kommt. Begründet wird diese Wahl damit, dass sich die drei Staaten in Bezug auf die hier untersuchten Aspekte grundlegend unterscheiden. So besitzen drei Staaten ein jeweils eigenes Verständnis von sozialer Eingliederung, auch wenn die im Folgenden beschriebenen Leitbilder noch nichts über den Erfolg der jeweiligen Politik aussagen und die tatsächlich durchgeführten Maßnahmen noch überprüft werden müssen. In Frankreich wird soziale Ausgrenzung mit einem Aufweichen der gesellschaftlichen Solidarität gleichgesetzt. The term originated in France, where they rejected the ‘Anglo-Saxon’ idea of ‘poverty’ as patronizing or denigrating equal citizens. French Republican thinkers refer to social exclusion as a ‘rupture of the social bond’ or ‘solidarity’. (Silver/Miller 2005: 59)
Eine Politik der sozialen Eingliederung wird daher als ein multidimensionaler Prozess verstanden, der verschiedene gesellschaftliche Bereiche umfasst. Dagegen wird soziale Exklusion in Deutschland oftmals als eine Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt definiert (vgl. Lahusen/Stark 2003). Eine Politik der sozialen Eingliederung konzentriert sich deshalb insbesondere auf den Beschäftigungssektor. Das zentrale Merkmal der italienischen Maßnahmen zur sozialen Eingliederung ist schließlich sein Familiarismus. Die zentrale Instanz gegen soziale Ausgrenzung bildet somit die Familie, weshalb Familienpolitik traditionell mit einer Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung gleichgesetzt wird (vgl. Ostner/Saraceno 1998). Zum anderen kann die Organisation im Bereich Sozialpolitik differenziert werden. Des Weiteren lassen sich die Staatskonstruktionen in den drei hier untersuchten Feldern auf Basis einer Typologie von López-Santana (2005: 10-14) unterschiedlichen Prinzipien zu ordnen. In zentralistischen Staaten wie z.B. Frankreich konzentriert sich die Verantwortung für die Sozialpolitik vor allem auf die nationalstaatliche Ebene, während bei anderen eine föderale Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen besteht (Deutschland) bzw. die Kompetenzen primär auf den regionalen und lokalen Ebenen
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Ansatz und Methoden
liegen (Italien). Hinzu kommt, dass sich das Verhältnis und die Aufgabenteilung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen in den drei Staaten grundlegend unterscheiden. So liegt in staatszentrierten Systemen (Frankreich) der nationale Kampf gegen soziale Ausgrenzung vor allem in der Hand der staatlichen Behörden, während nichtstaatliche Organisationen entsprechend nur eine marginale Rolle einnehmen (vgl. Estèbe 2005, Bouget/Brovelli 2002). Dagegen leisten nationale und lokale Wohlfahrtsverbände in Deutschland einen entscheidenden Beitrag zur Sozialpolitik (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1995). Auch kommt es hier zu einer engen und auch rechtlich verankerten Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen und freien Wohlfahrtsträgern, was auch als „duales System der Wohlfahrtspflege“ (Sachße/Tennstedt 1988: 152) bezeichnet wird. In Italien hat der Nationalstaat kaum sozialpolitische Kompetenzen, während lokale Behörden zusammen mit den nichtstaatlichen Organisationen zentral im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung sind (vgl. Graziano 2004). Die drei hier untersuchten Staaten unterscheiden sich aber nicht nur in ihrem nationalspezifischen Kampf gegen soziale Ausgrenzung. Sie tendieren auch dazu, europäische Impulse jeweils in einer eigenen Weise umzusetzen (Falkner et al. 2007). So bewerten Staaten wie Deutschland die europäischen Impulse auf Basis von nationalen Interessen und Zielen und implementieren sie nur dann, wenn sie mit denselben im Einklang stehen, weshalb Falkner et al. (2007) hier von ‚world of domestic politics‘ sprechen. In anderen Staaten wie Frankreich werden europäische Vorgaben solange wie möglich ignoriert, was auch als ‚world of transposition neglect‘ bezeichnet wird. Schließlich existieren Staaten wie Italien, in denen die externen Vorgaben auf formaler Ebene zwar nahezu wörtlich umgesetzt werden, bei der praktischen Anwendung allerdings eine sehr selektive Interpretation stattfinden, was ‚world of dead letter‘ genannt wird. Schließlich spricht für den most different Ansatz nach meinem Dafürhalten, dass in dieser Arbeit nach einer unabhängigen Variable und ihren möglichen Effekten in den nationalen unterschiedlichen Kontexten gefragt wird. Herausgearbeitet werden soll, ob die Implementierung der OMK/Inklusion in den nationalen Feldern unterschiedliche oder ähnliche Wirkungen erzielen kann. Das Sampling sind somit drei Sozialstaaten in einem Zeitraum von 2000 bis 2005. Auswählt wurden sie, weil sie besonders schwierige Fälle sind. Argumentiert wird hierbei, dass – wenn die OMK/Inklusion hier erfolgreich ist- sie sich auch in anderen Feldern durchsetzen kann. Daneben wird auch darauf verwiesen, dass sich die drei Fälle hinsichtlich in ihrer Politik der sozialen Eingliederung und ihrer Nutzung von europäischen Vorgaben grundlegend unterscheiden. Hinter den beiden hier gewählten Auswahlkriterien steht der Gedanke, dass mithilfe dieser Herangehensweise generalisierende Aussagen über die nationale Implementierung der OMK/Inklusion möglich sind. Denn aufbauend auf den
Instrumentenmix
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nationalen Problemen und Unterschieden kann untersucht und herausgearbeitet werden, welche generellen Faktoren Voraussetzung für einen Erfolg des europäischen Verfahrens sind und welche sie bremsen.
4.4 Instrumentenmix In den bisherigen Studien wurden die OMK/Inklusion und ihre nationale Implementierung auf Basis von Dokumentenanalysen (vgl. Atkinson 2002, Ferrera et al. 2002, Marlier et al. 2007, Daly 2007, Laffan/Shaw 2005) oder mithilfe von Experteninterviews (z.B. de la Porte 2005, Ferrera/Sacchi 2005, Friedrich 2006) untersucht. Kritisiert wird an diesen Erhebungsverfahren, dass sowohl die Dokumente als auch die Antworten bei den Interviews politisch motiviert sein können (vgl. Barbier 2004: 19). Denn die offiziellen Papiere stellen zum einen das Ergebnis von politischen Aushandlungsprozessen dar (z.B. zwischen der Kommission und der Regierung auf europäischer Ebene oder zwischen den Ministerien im nationalen Kontext). Zum anderen dienen sie zur Rechtfertigung und Legitimierung von bestimmten politischen Zielen und Handlungsweisen. Sie spiegeln somit machtpolitische Positionen wieder und stellen keine wissenschaftlich fundierten Dokumente dar. Auch die Interviewpartner geben nicht unreflektiert ihre Erfahrungen wieder. Aufbauend auf der politischen Zielsetzung und den strategischen Interessen ihrer Organisation können sie die Bedeutung von bestimmten Prozessen überbetonen bzw. unterschätzen. Trotz dieser Schwäche wird in der vorliegenden Arbeit auf beide Instrumente zurückgegriffen. Gerechtfertigt wird dieses Vorgehen mit dem Verweis, dass bei der Wahl, der Durchführung und der Auswertung der Interviews darauf geachtet wurde, dass politische Aussagen offengelegt werden. Ferner werden die Primärquellen als politische Stellungnahmen verstanden und als solche verwendet. Empirische Grundlage dieser Arbeit sind 51 leitfadengestützte Experteninterviews, die in den Jahren 2005 und 2006 in Deutschland, Frankreich, Italien und Brüssel durchgeführt wurden. Diese nicht-standardisierten Leitfadeninterviews ermöglichen es auf der einen Seite, so offen zu sein, dass den Interviewten ein Gedankenspielraum gelassen wird. Hierdurch können sie ihre Haltung gegenüber der OMK/Inklusion formulieren, ohne durch ein standardisiertes Vorgehen vorhersehen zu können, welche Antworten erwartet werden. Gleichwohl werden die Gespräche mithilfe des Leitfadens strukturiert und auf diese Weise wird vermieden, dass die Interviewpartner in allgemeine und daher wenig aussagekräftige Aussagen abschweiften bzw. nur Bekanntes und daher nur wenig Interessantes beschrieben (vgl. Hermans 2004, Hopf 2004: 351). Indem das Instrument der Experteninterviews gewählt wurde, werden die Gesprächspartner nicht als Per-
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Ansatz und Methoden
sonen, sondern als Repräsentanten befragt (Flick 2005: 139). Ausgewählt wurden hierfür sowohl die unmittelbar involvierten Akteure als auch nationale Experten, die den Prozess begleiten. Um die bereits angesprochenen politischen Stellungnahmen herauszufiltern und hinterfragen zu können, wurde bei der Auswahl der Gesprächspartner nicht nur auf eine Vielzahl, sondern auch auf die Vielfalt an nationalen und europäischen Experten geachtet. So wurde nicht eine einzelne Akteursgruppe (Regierungsbeamte, NGOs etc.) interviewt, sondern befragt wurden Repräsentanten von verschiedenen Gruppen, deren Ziele und Interesse an der OMK/Inklusion teilweise diagonal zueinander liegen. Ferner wurden auf europäischer Ebene die an dem Verfahren beteiligten Spezialisten zu ihren Erfahrungen mit den drei Staaten befragt und umgekehrt die nationalen Experten zu ihrer Einschätzung der europäischen Ebene. Mithilfe dieses Vorgehens wird versucht, politische Stellungnahmen als solche zu isolieren und kritisch zu beleuchten. Ein weiteres zentrales Problem bei der hier gewählten Form der Datenerhebung ist, dass in einer vergleichenden Studie die Interviews nur bedingt in der Muttersprache durchgeführt werden können (vgl. Barbier 2004: 19). Dies hat zur Folge, dass sich entweder der Interviewer oder der Interviewte weniger spontan und differenziert ausdrücken können. In den nationalen Fallstudien wurde in dieser Arbeit mit einer Kombination aus Landessprache und Englisch gearbeitet, wobei meinen Interviewpartnern immer die Option gelassen wurde, in der Muttersprache zu sprechen. In Brüssel wurden die Interviews in einer der drei üblichen Verkehrssprachen Deutsch, Englisch und Französisch geführt. Somit wurde den Interviewten die Möglichkeit gelassen, in ihrer Muttersprache oder zumindest in einer von ihnen präferierten Sprache zu sprechen. Zusätzlich zu den Interviews wurde die vorhandene Primärliteratur ausgewertet, wobei berücksichtigt wurde, dass diese Quellen keine neutralen Dokumente, sondern politische Stellungnahmen sind (Wolff 2004: 344f). Sie dienten dazu, die Selbstdarstellung der einzelnen Akteure und Organisationen studieren zu können und diese mit den Ergebnissen der Interviews abzugleichen. Ferner wurden sie als Zeitdokumente genutzt, um Aushandlungsprozesse über die Jahre nachvollziehen zu können. Mithilfe von Sekundärliteratur und quantitativen Studien ließ sich die eigene Argumentation schließlich kritisch hinterfragen oder ggf. untermauern. Erhoben wurde die Empirie also mittels leitfadengestützter Experteninterviews und einer Auswertung von Primär- und Sekundärliteratur. Dabei wurde versucht, ein möglichst differenziertes Bild zu erhalten, indem eine Vielzahl an Interviewpartnern aus verschiedenen Organisationen und Positionen ausgewählt und die verfügbaren, primären wie sekundären Literaturquellen ausgewertet wurden. Der Datenerhebung liegt somit ein Instrumentenmix zugrunde, auch „um wissenschaftliche Artefakte zu vermeiden“ (vgl. Lamnek 2005: 317). Ver-
Material in den Länderstudien
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hindert werden soll, dass das offene Forschungsdesign aufgrund einer ungeprüften und unreflektierten Nutzung von verschiedenen Instrumenten zu willkürlichen Ergebnissen führt (vgl. Mayring 2002).
4.5 Material in den Länderstudien Diese Arbeit ist im Anschluss an ein Forschungsprojekt entstanden, das unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Heidenreich an der Otto-Friedrich Universität von April 2005 bis November 2007 durchgeführt und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurde. Sofern nicht anders erwähnt wurden die 51 Interviews von der Autorin selbst durchgeführt (siehe Abbildung 5).8 In Deutschland wurden 19 Experten interviewt, wovon bei sechs der DiplomSoziologe Sascha Zirra anwesend war und zwei per Telefon durchgeführt wurden. Bei den Gesprächspartnern handelt es sich um vier Beamte9 aus dem damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, einen Beamten aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zwei Beamte aus dem Bayrischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, vier Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und einen Mitarbeiter der SPDBundestagsfraktion. Des Weiteren wurden jeweils drei Mitarbeiter der Sozialpartner, der Wohlfahrtsverbände sowie ein Wissenschaftler interviewt. Zusätzlich zu diesen Expertengesprächen wurden folgende Quellen ausgewertet: Die deutschen Nationalen Aktionspläne, die Europäischen Berichte, sämtliche Dokumente, die im Rahmen des Aktionsprogramms für oder in Deutschland erstellt wurden, die vorliegenden Armuts- und Reichtumsberichte und die Sozialberichte der Bundesregierung sowie zahlreiche Stellungnahmen der Wohlfahrtsverbände und des Bundestages. Schließlich nahm die Autorin an zwei durch das Aktionsprogramm finanzierten Konferenzen teil. Die hier gewonnenen Erkenntnisse dienten als Hintergrundinformation über die Nutzung des Aktionsprogramms in Deutschland. In Frankreich wurden zwölf Interviews durchgeführt. Im Detail handelte es sich um vier Beamte der Direction générale de l’action sociale, zwei Beamte der Direction de la Recherche, des Etudes, de l'Evaluation et, des Statistiques und einen Beamten der Délégation générale à l’emploi et à la formation professionnelle. Daneben wurde noch jeweils ein Mitarbeiter der Nationalversammlung, 8
9
Bei der Codierung der Interviews, die unseren Gesprächspartnern die zugesicherte Anonymität sicherstellen soll, wurde auf die Codierungsliste des DFG-Projektes zurückgegriffen, um die Nummerierung der Auswertungen transparent zu halten. Um den Gesprächspartnern ihre Anonymität zu garantieren, wird im Folgenden nicht nach Geschlechtern differenziert.
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Ansatz und Methoden
der Vertreter einer Gewerkschaft, zwei der NGOs befragt. Ferner wurde ein Interview mit einem wissenschaftlichen Experten als Hintergrundgespräch geführt. Gespräche mit Vertretern der lokalen Ebene konnten nicht stattfinden, da die angesprochenen Stellen den Prozess nicht kannten und daher auch keinen Gesprächsbedarf sahen. Zusätzlich wurden in der Auswertung noch vier Gespräche berücksichtigt, in denen die Interviewpartner von der Autorin im Rahmen des DFG-Projektes primär zur Europäischen Beschäftigungsstrategie befragt wurden, sich aber auch zur OMK/Inklusion äußerten. Dabei handelt es sich um jeweils einen Beamten aus dem Secrétariat Général des Affaires Européennes und dem Bildungsministerium sowie jeweils zwei Mitarbeiter der Sozialpartner. Ferner wurden auch hier die französischen Nationalen Aktionspläne, die europäischen Berichte und Papiere, in denen auch die Entwicklungen in Frankreich ausgewertet und besprochen werden, Stellungnahmen und Dokumente der Regierung und der Wohlfahrtsverbände studiert und in den Analysen aufgegriffen. Schließlich nahm die Autorin im März 2005 an einer Versammlung des Conseil nationale des politique de lutte contre la pauvreté et l’exclusion sociale teil. Die auf der Konferenz gesammelten Informationen stellen eine Momentaufnahme dar und dienten als Hintergrundinformation über das Verhältnis von Regierung, nichtstaatlichen Sektor und OMK/Inklusion. In Italien interviewte Sascha Zirra acht italienische Experten, die in dieser Arbeit ausgewertet werden. Gespräche geführt wurden mit zwei Mitarbeitern aus der Direzione Generale per l’Impiego, l’orientamento e la Formazione und einem Beamten aus dem Büro des Premierministers. Ferner wurde ein Mitarbeiter einer Rentenversicherungsanstalt und jeweils ein Mitarbeiter von zwei Nichtregierungsorganisationen interviewt. Schließlich wurden noch zwei an dem Verfahren beteiligte Forscher befragt. Auch in Italien wurde Kontakt mit der lokalen Ebene aufgenommen, wobei diese Interviews ablehnten. Zusätzlich wurden auch für Italien die Nationalen Aktionspläne, europäische Dokumente, Regierungserklärungen und Stellungnahmen von Nichtregierungsorganisationen ausgewertet. Neben den Gesprächen auf nationaler Ebene wurden zwölf Interviews in Brüssel geführt, die sich sowohl mit der Organisation der OMK/Inklusion auf europäischer Ebene als auch mit der Implementierung des Verfahrens in einem oder mehreren Staaten befassten. Im Einzelnen handelt es sich um fünf Mitarbeiter der Generaldirektion Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, jeweils einem Mitarbeiter von zwei europäischen Netzwerken und den europäischen Sozialpartner sowie jeweils einem Beamten aus der Ständigen Vertretung Frankreichs und Deutschlands. Zusätzlich führte Sascha Zirra im Rahmen des DFG-Projekts ein Gespräch mit einem Mitglied des Europäischen Parlaments durch, in dem auch die OMK/Inklusion zur Sprache kam und das bei den Auswertungen genutzt wurde. Des Weiteren wurden zur Rekonstruktion der
Schlussfolgerungen
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OMK/Inklusion auf europäischer Ebene Dokumente der verschiedenen europäischen Organe (Europäische Kommission, Europäisches Parlament, Europäischen Rat und Rat der Europäischen Union) analysiert. Eine zentrale Stellung nahm in diesem Zusammenhang eine Umfrage der Kommission ein, die diese im Jahr 2005 durchgeführt hatte. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die folgenden Ausführungen auf 51 Interviews basieren, die mit verschiedenen Experten geführt wurden, die dabei unterschiedliche Interessen vertreten, über divergierende Einflussmöglichkeiten auf das Verfahren verfügen und die OMK/Inklusion daher aus jeweils einer eigenen Perspektive wahrnehmen und beurteilen. Auch hatte die angeführte Dokumentenanalyse vor allem das Ziel, die mannigfachen Einschätzungen und Interpretationen herausarbeiten sowie den zeitlichen Verlauf der Aushandlungsprozesse nachvollziehen zu können. Sie wurden demzufolge nicht als objektive Analysen, sondern als Zeitzeugnisse verwendet.
4.6 Schlussfolgerungen Eine Untersuchung über die Implementierung der OMK/Inklusion auf nationaler Ebene steht vor den methodischen Herausforderungen, den Einfluss der OMK/Inklusion auf die nationalen Entwicklungen isolieren und die wechselseitige Beeinflussung von nationalen und europäischen Prozessen in Rechnung stellen zu müssen. In der vorliegenden Arbeit wurde deshalb auf qualitative Fallstudien zurückgegriffen. Dieser Ansatz ermöglicht es, in den Fallstudien die einzelnen Prozesse offenzulegen und ihre Kausalbeziehungen zueinander herauszuarbeiten. Für eine komparative Herangehensweise spricht, dass sich auf diese Weise die ermittelten Einflussfaktoren vergleichen lassen, auch wenn die kleine Fallzahl nur eine begrenzte Generalisierung erlaubt. Diese Arbeit erhebt daher nicht den Anspruch, die OMK/Inklusion und ihre Auswirkungen für ganz Europa erklären zu können. Wohl wird jedoch angenommen, dass ein Dreistaatenvergleich zeigt, dass bestimmte nationale Faktoren typischerweise eine Implementierung unterstützen bzw. behindern.
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Ansatz und Methoden
Land
Direkte Interviews
Deutschland
Frankreich
Italien
Brüssel
Zusätzliche Gespräche
Frankreich
Institution/ Funktion Experten insgesamt davon BMGSS BMFSFJ BMAS Kommunale Spitzenverbände Bundestag Gewerkschaften Arbeitgeberverbände Wohlfahrtsverbände Wissenschaft Experten insgesamt davon Direction gènèrale de l’action sociale Direction de la Recherche des Etudes, de l’Evalation et, des Statistiques Dèlègation gènèrale à l’emploi et à la formation professionnelle Nationalversammlung Gewerkschaft Nichtstaatliche Netzwerke Wissenschaft Experten insgesamt davon Büro des Premierministers Direzione Generale per l’Impiego, l’orientamento e la Formazione Rentenversicherungsanstalt NGOs Wissenschaft Experten insgesamt davon Generaldirektion Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit Europäische Netzwerke Sozialpartner Ständige Vertretung Frankreichs Ständige Vertretung Deutschlands Europäisches Parlament Experten insgesamt davon Büro des Premierministers Bildungsministerium Gewerkschaft Arbeitgeberverband
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 4: Auswahl der Gesprächspartner
Anzahl 19 4 1 2 4 1 1 2 3 1 12 4 2 1 1 1 2 1 8 1 2 1 2 2 12 5 2 2 1 1 1 4 1 1 1 1
5 Soziale Eingliederung in Europa
Das Ziel der OMK/Inklusion besteht darin, den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu stärken. Dafür ist auf europäischer Ebene vorgesehen, die bestehenden nationalen Leitbilder und Handlungsansätze zu diskutieren und gleichsam eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, die später in den nationalen Debatten und Reformen aufgegriffen und genutzt werden kann (Zeitlin 2005a, 2005b, Marlier et al. 2007). Auch sollen die europäischen Benchmarkingprozesse und Peer-Review-Verfahren helfen, dass die Mitgliedstaaten voneinander lernen und die nationalen Reflexionsprozesse neue/weitere Impulse erhalten. Schließlich wird in der OMK-Debatte angedacht, dass in den europäischen Gremien ein informeller Handlungsdruck aufgebaut wird, der die nationale Nutzung der OMK verstärkt (vgl. Jacobsson 2004a: 94). Im Zentrum des folgenden Kapitels steht nun die Frage, ob und inwieweit die OMK/Inklusion diesen Erwartungen gerecht werden kann. Die bisherige OMK-Debatte hat gezeigt, dass solche Prozesse nicht abstrakt auf dem Reißbrett entwickelt wurden, sondern das Ergebnis von Aushandlungsprozessen sind (vgl. für die OMK/Inklusion de la Porte 2005, für die EBS Jacobsson/Schmid 2003). Darauf aufbauend wird nun argumentiert, dass durch die OMK/Inklusion ein neues sozialpolitisches Feld auf europäischer Ebene entstanden ist, dessen Organisation auf bestehenden Strukturen aufbaut und von einem Zusammenspiel der nationalen Delegationen und der Kommission geformt wird. Seine inhaltliche Ausrichtung wird geprägt von einem Kompetenzkonflikt zwischen den nationalen und den europäischen Organisationen auf der einen Seite und einem Machtkampf zwischen den sozial- und wirtschaftspolitisch ausgerichteten Akteuren und Organisationen auf der anderen Seite. Im Folgenden wird zunächst der Entstehungskontext der OMK/Inklusion untersucht (5.1). Gezeigt wird, dass sie an bestehende Maßnahmen und Debatten anknüpfte, ohne dass es sich hierbei um einen linearen und telelogischen Prozess handelt. Danach wird die Organisation der OMK/Inklusion betrachtet (5.2). Dabei wird herausgearbeitet, dass der Prozess von keinem der beteiligten Akteure und Organisationen dominiert werden kann. Vielmehr basiert er auf Aushandlungsprozessen zwischen den gemeinsamen, sozialpolitischen Zielen auf der einen Seite und den organisationspezifischen Machtinteressen auf der anderen. Im nächsten Abschnitt wird die konkrete Umsetzung des Verfahrens und seiner Instrumente im europäischen Feld analysiert (5.3). Hier wird gezeigt, dass das Wirkungspotenzi-
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Soziale Eingliederung in Europa
al (vgl. de la Porte/Pochet 2003: 48ff) zwischen den Instrumenten variiert. Während bei einigen Instrumenten soziale Inklusion als multidimensionales Phänomen erfasst wird, sie dafür aber wenig konkrete Reflexions- und Lernmöglichkeiten und viel Interpretationsspielraum für die Regierungen bieten, konzentrieren sich die übrigen Instrumente auf einzelne Aspekte von sozialer Ausgrenzung und liefern in Bezug darauf konkrete Lösungsvorschläge bzw. Handlungsanreize. Anschließend werden die Leitbilder des Prozesses nachgezeichnet (5.4). Herausgearbeitet wird, dass das europäische Konzept von sozialer Eingliederung die verschiedenen nationalen Ansätze kombiniert und daher sehr weit aufgestellt ist. Des Weiteren wird aber auch gezeigt, dass es die bekannten Policy-Ansätze um ein Governance-Element erweitert. Abschließend werden die Besonderheiten der OMK/Inklusion auf europäischer Ebene diskutiert und die feldspezifischen Handlungsmuster, die Einbettung des Felds in den europäischen Kontext und die Kopplung zu den nationalen Feldern nachgezeichnet (5.5).
5.1 Der historische Kontext der OMK/Inklusion Die Offene Methode der Koordinierung gilt im Bereich der sozialen Eingliederung mit ihrer Organisation und Zielsetzung als eine Innovation (vgl. Behning 2003, Friedrich 2006). Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass es bereits in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren Diskussionen und Projekte gab, mit denen soziale Ausgrenzung durch gemeinschaftliche Maßnahmen bekämpft werden sollte (vgl. Ferrera et al. 2002). Daher wird im Folgenden nachgewiesen, dass der Prozess nicht in einem Vakuum entstanden ist; vielmehr flossen in seine Konzeption bereits gemachte Erfahrungen und die bestehenden Strukturen ein. Die OMK/Inklusion ist demnach im Bereich der europäischen Sozialpolitik insofern eine Neuheit, als durch sie eine neue Form des europäischen Handelns institutionalisiert wurde. Gleichzeitig ist sie in ihrer Zielsetzung und Gestalt geprägt von vorangegangenen Diskussionen und Prozessen. Das Verfahren und sein Aufbau werden folglich nur verständlich, wenn zuvor sein Entstehungskontext untersucht wird. So bestanden bereits vor der OMK/Inklusion Aktionsprogramme zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (5.1.1). Daneben führten der Rat und die Kommissionen seit den 1970er Jahren Diskussionen miteinander, welche Maßnahmen auf europäischer Ebene zur Stärkung von sozialer Eingliederung angemessen sind (5.1.2). Abschließend wird herausgearbeitet (5.1.3), welche Kompetenzen die Akteure und Organisationen im Bereich der sozialen Eingliederung auf europäischer Ebene im Vorfeld der OMK/Inklusion hatten, welche Instrumente benutzt und welche Vorstellungen zum Thema soziale Eingliederung diskutiert wurden.
Der historischer Kontext der OMK/Inklusion
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5.1.1 Aktionsprogramme in den 1970er bis 1990er Jahren Mit den Aktionsprogrammen wurden bis Anfang der 1990er Jahre verschiedene Maßnahmen gefördert, die den nationalen Kampf zunächst gegen Armut und später gegen soziale Ausgrenzung stärken sollten. Dabei wurden Strukturen geschaffen, die den weiteren Verlauf der europäischen Politik zur sozialen Eingliederung und damit auch die Gestalt der OMK/Inklusion beeinflussten. Vorausgegangen war den Programmen ein Bewusstseinswandel unter den Staatsund Regierungschefs. Waren diese bei der Unterzeichnung der Römischen Verträge davon ausgegangen, dass die Errichtung eines gemeinsamen Marktes zu einem Wirtschaftswachstum und damit automatisch zur Hebung des allgemeinen Lebensstandards führen würde, kamen sie auf einem Gipfeltreffen in Paris im Jahr 1972 zu dem Ergebnis, dass eine wirtschaftliche Expansion nicht per se in eine Verbesserung des Lebensstandards münden würde (vgl. Armstrong 2003: 174). Zwei Jahre später stellte der Rat in einer Resolution fest (vgl. Rat 1974), dass das Ziel der damaligen EWG, „eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung“, nur durch ein koordiniertes Handeln der Regierungen im Bereich der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes erreichen werden könne. Auf Basis dieses Dokuments wurde im Juli 1975 das Programm von Modellvorhaben und Modellstudien zur Bekämpfung von Armut (1975-1981) ins Leben gerufen. Als arm galten hierbei „Einzelpersonen oder Familien, die über so geringe Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in den Mitgliedstaaten als Minimum annehmbar ist, in welchem sie leben“ (Rat 1974, Art. 1, Abschnitt 2). Mit dem Maßnahmenkatalog sollte „das Fortbestehen von Lebensverhältnissen in der Gemeinschaft, die von Armut gekennzeichnet sind“ (75/458/EWG) bekämpft werden, da dies mit dem Selbstverständnis der europäischen Staaten und der EWG nach einstimmiger Meinung der damaligen Mitgliedstaaten unvereinbar sei. Erreicht werden sollte dieses Ziel, indem die nationalen Reformen durch eine Förderung von innovativen Modellvorhaben und die Anfertigung von Modellstudien im Bereich der Armutsbekämpfung neue Impulse erhalten. Dabei wurde die Anzahl der unterstützten Projekte im Lauf des Programms von ursprünglich 21 auf 36 Projekten ausgedehnt (77/779/EWG, 80/1270/EWG). Die entscheidende Organisation für die Abwicklung der Maßnahmen war nach dem Willen des Rates die Europäische Kommission, auch wenn sie sich mit den Regierungen absprechen musste. Mit dem zweiten Programm Gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut auf Gemeinschaftsebene (1985- 1988) wurde der Maßnahmenkatalog erweitert. Gefördert wurden nun 65 Projekte, die „der Erprobung oder Entwicklung neuer Methoden“ (85/8/EWG Art. 1, Abschnitt 1) im Kampf gegen soziale Ausgrenzung dienen, die Entwicklung von geeigneten Instrumenten zur Messung von Armut auf europäischer
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Soziale Eingliederung in Europa
Ebene voranbringen und einen transnationalen Erfahrungsaustausch anregen sollten. Hatten sich die ersten beiden Programme auf eine Bekämpfung von Armut konzentriert, zielte das Mittelfristige Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung der in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht benachteiligten Personengruppen (89/457/EWG) auf eine Stärkung der nationalen Maßnahmen gegen soziale Ausgrenzung ab. Zu den Aufgabenbereichen dieses dritten Programms gehörten die Unterstützung von nationalen Präventivmaßnahmen und die Entwicklung von innovativen Organisationsmodellen zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung. Außerdem wurde ein transnationaler Austausch sowie die Erhebung von Daten zu dem Thema angestrebt (vgl. Carmichael 2001: 234ff). Gleichzeitig wurde in dem entsprechenden Ratsbeschluss das erste Mal relativ detailliert ausgeführt, welche Instrumente hierzu verwendet werden sollen. So war vorgesehen, konkrete Modellmaßnahmen zu finanzieren, die bisher auf nationaler Ebene gemachten Erfahrungen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung auszuwerten und einen kontinuierlichen Austausch von vergleichbaren Daten auszubauen. Ferner wurde eine Beobachtungsstelle für nationale Maßnahmen zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung10 (1990-1994) gegründet, in der das Ausmaß von sozialer Ausgrenzung erfasst und erforscht werden sollte (vgl. Hirtz et al.1992: 334f). In seine Erhebungen und Analysen band das Observatorium auch nationale Experten ein, da sich die europäischen Expertisen auf deren nationales Wissen stützten (vgl. Vleminchx/Berghman 2001: 29). Schließlich wurden mehrere europäische Nichtregierungsorganisationen ins Leben gerufen, etwa das European Anti-Poverty Network (kurz EAPN).11 Diese von der Europäischen Kommission finanziell unterstützten Netzwerke sollten helfen, die nationalen nichtstaatlichen Aktivitäten stärker miteinander zu koordinieren, und den nationalen Organisationen eine Plattform auf europäischer Ebene geben. Ein viertes Programm, mit dem die Kommission plante, die Projekte und Maßnahmen des Dritten fortzusetzen und auszubauen, wurde von der deutschen und der britischen Regierung im Rat abgelehnt (vgl. Armstrong 2003: 175). Die beiden Staaten begründeten ihre Weigerung mit Hinweisen auf das Subsidiaritätsprinzip und eine fehlende Effizienz der Maßnahmen (vgl. Marlier et al. 2007: 18). Der Versuch der Kommission, einzelne Projekte als nicht-signifikante Maßnahmen ohne Zustimmung des Rates zu fördern und finanzieren, scheiterte an einem Urteil des EuGH. Das Gericht kam auf Grundlage einer Klage der briti10 11
Oberservatory on National Policies to Combat Social Exclusion. Gefördert werden: Caritas Europa, Eurochild, European Anti-Poverty Network (EAPN), Europäischen Sozialen Netzwerk (ESN), European Federation of National Organisations working with the Homeless (FEANTSA), European Transregional Network for Social Inclusion (RETIS).
Der historischer Kontext der OMK/Inklusion
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schen Regierung zu dem Schluss, dass auch solche Maßnahmen signifikant und damit genehmigungspflichtig sind (C-106/96). Die Aktionsprogramme sind bis heute aus zwei Gründen wichtig und prägend für die OMK/Inklusion. Sie können als erste Ansätze eines gemeinsamen Handelns im europäischen Kontext zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung verstanden werden. Denn auch wenn die Regierungen in allen drei Programmen eine Vetoposition innehatten, entwickelten sich erste gemeinsame Ziele und ein gemeinsames Verständnis, wie soziale Ausgrenzung im nationalen wie im europäischen Kontext bekämpft werden kann (vgl. Schoukens/Carmichael 2001: 80). Daneben wiesen sie in die Richtung der späteren OMK/Inklusion-Instrumente: Die beteiligten Akteure und Organisationen konzentrierten sich auf die Erforschung von sozialen Problemen und eine Vernetzung der nichtstaatlichen Sektoren sowie der Wissenschaft, ausgeschlossen wurden dagegen redistributive Ansätze.
5.1.2 Diskussionen auf europäischer Ebene Parallel zu den Aktionsprogrammen, aber auch nach deren Ende wurden auf europäischer Ebene Diskussionen zu der Frage geführt, wie Armut und soziale Ausgrenzung auf europäischer Ebene bekämpft werden können. Das erste bedeutende Papier in diesem Zusammenhang ist die bereits erwähnte Resolution des Rates aus dem Jahr 1974, die als Grundlage für die späteren Aktionsprogramme diente. In den folgenden Jahren kam jedoch eine weiterführende Debatte wegen der internen Krise der EWG und den durch die Ölkrise bedingten Problemen der Sozialstaaten zum Erliegen (vgl. Schulte 2004: 86). Erst Ende der 1980er Jahre entwickelte der Rat auf Grundlage eines Kommissionsvorschlages ein weiteres Papier, in dem sich auch die Aufbruchsstimmung dieser Zeit widerspiegelte. In dieser Empfehlung betonte er im September 1989, dass der Kampf gegen soziale Ausgrenzungen „als ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Dimension des Binnenmarktes angesehen werden kann“ (Rat 1989). In diesem Zusammenhang verwies er auch auf die Notwendigkeit, sowohl die europäischen Handlungen fortzusetzen, als auch in den nationalen Feldern einen koordinierten und kohärenten Ansatz zu entwickeln, an dem sämtliche (d.h. auch lokale und nichtstaatliche) Akteure und Organisationen beteiligt werden. Das Papier war damit für die weitere Entwicklung insofern von besonderer Bedeutung, als dass es erstmals im Bereich der sozialen Ausgrenzung explizit einen neuen Regierungsansatz skizziert (vgl. Marlier et al. 2007: 18f).
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Soziale Eingliederung in Europa
Durch die Verabschiedung einer Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte im Dezember Jahr 1989 wurde die Diskussion weiter vorangetrieben (vgl. Chassard 2001: 281f). So schlug die Kommission in einer Mitteilung im Jahr 1991 vor, gemeinsame Ziele (objectives) für den Bereich der sozialen Eingliederung zu entwickeln, an denen sich die nationale Politik orientieren sollte. Als Reaktion auf das Kommissionspapier einigte sich der Rat im Jahr 1992 auf zwei Empfehlungen (vgl. Armstrong 2003: 174, Ferrera et al. 2002: 230f). In den Papieren, die im Juni bzw. im Juli 1992 verabschiedet wurde, definierte er erste gemeinsame Kriterien, an denen die Regierungen ihre Handlungsstrategien anlehnen sollten.12 Des Weiteren kam er zu dem Schluss, dass vor dem Hintergrund der gemeinsamen Herausforderungen auf europäischer Ebene eine konvergente Handlungsstrategie entwickelt werden müsse, wobei die Umsetzung in den Händen der Regierungen bleiben und so die nationale Vielfalt gewahrt werden solle. Die Kommission erstellte daraufhin einen Bericht, in dem sie die möglichen Auswirkungen der Empfehlungen analysierte. Europäischen Initiativen werden darin als (ökonomischer) Zusatznutzen für die Nationalstaaten dargestellt, was Atkinson und Davoudi (2000: 431) als „purposeful opportunism“ bezeichnen. Anfang der 1990er Jahre wurden somit weitreichende Konzepte entwickelt, die jedoch aufgrund der folgenden politischen Veränderungen nicht verwirklicht wurden. Bei der Aushandlung des Vertrags von Maastricht wurde deutlich, dass die Regierungen nicht gewillt waren, dem Kurs von Delors zu folgen und der EG mehr Kompetenzen im sozialpolitischen Bereich zu zusprechen. This reflects a feeling that the Commission had over-reached itself in the social policy arena and was seeking to encroach on policy areas that were the prerogative of Member State. (Atkinson/Davoudi 2000: 430).
Nachdem die britische Regierung abgelehnt hatte, die Sozialcharta im Vertrag von Maastricht zu akzeptieren, kam die Integrationsbereitschaft im Rat zu erliegen bzw. wurde ein Konsens unter den Mitgliedstaaten über eine europäische Sozialpolitik unmöglich. Auch wenn die Kommission zusammen mit den europäischen Netzwerken versuchte, ihre Konzepte weiterzuentwickeln und die Diskussion in Gang zu halten, konzentrierten sich die Staats- und Regierungschefs in dieser Zeit primär auf die Fortsetzung der wirtschaftlichen Integration. Erst Ende der 1990er Jahre erlebten die sozialpolitischen Entwicklungen auf europäischer Ebene neue Impulse (vgl. de la Porte 2005). Ausgelöst wurden sie durch 12
Die Nationalstaaten werden zur Berücksichtigung folgender Grundsätze angehalten: Errechnung und Festlegung von Mindesteinkommen, Berücksichtigung von besonderen Bedürfnissen, Aktivierung, Monitoring durch Indikatoren, ob Bedürfnisse befriedigt werden, Begleitung und Information, Angebot zur Weiterbildung (92/442/EWG).
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Regierungswechsel u.a. in Großbritannien und Deutschland. In Anlehnung an die Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS) legte die Kommission13 im Jahr 1999 ein Konzept vor, das in seiner Grundstruktur der OMK/Inklusion ähnlich ist (vgl. Europäische Kommission 1999). Darin werden vier Ziele einer europäischen Armutspolitik genannt, die identisch mit den späteren Zielen der OMK/Inklusion sind. Weiter wird in dem Papier gefordert, eine hochrangige Gruppe einzusetzen und einen Regulierungsprozess im Bereich soziale Eingliederung anzustoßen, der parallel zur EBS verlaufen sollte (vgl. Marlier et al. 2007: 20f). In seinen Schlussfolgerungen von Amsterdam im Dezember 1997 begrüßte der Europäische Rat das Kommissionspapier. Die Mitgliedstaaten betonten dabei erneut, dass die Europäische Union wirtschaftliche und soziale Entwicklungen verknüpfen sollte, auch wenn sie gleichzeitig hervorhoben, dass die Organisation und Finanzierung des Sozialschutzes bei den Regierungen liegen müsse und die Gemeinschaft nur eine komplementäre Kompetenz haben könne. Die entscheidenden Handlungsmöglichkeiten der europäischen Ebene lagen nach der einstimmigen Meinung der Regierung darin, einen europäischen Dialog zu initiieren und transnationale Austauschprozesse zu entwickeln. Darauf aufbauend setzte der Rat eine Expertengruppe unter der Federführung der Kommission ein für die Themen making work pay, Sicherungen der Rentensysteme und Verbesserung der sozialen Eingliederung (vgl. Schoukens/Carmichael 2001: 83).14 Im Anschluss an diese Schlussfolgerungen konkretisierte die Kommission ihren Ansatz zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung. In einer weiteren Mitteilung im März 2000 betonte sie noch einmal die Notwendigkeit einer koordinierten Zusammenarbeit der Regierungen. Die bisherigen Maßnahmen seien sehr positiv zu bewerten und würden eine Weiterentwicklung rechtfertigen. Soziale Ausgrenzung definierte sie als multidimensionales Problem (vgl. Europäische Kommission 2000a: 6f), das durch die strukturellen Entwicklungen (Wandel der Arbeitswelt, Wissensgesellschaft, sozialer und demografischer Wandel) in den letzten Jahren noch einmal verschärft worden sei. Als wichtige Dimensionen von sozialer Ausgrenzung gelten ein kaum vorhandener oder gänzlich fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt, zur Ausbildung, zu einem gesunden Wohnraum, zu öffentlichen Dienstleistungen und zur medizinischen Versorgung sowie fehlende Mittel für 13
14
Auch hier stützte sie sich auf die bereits zuvor erfolgreiche Zusammenarbeit mit EAPN (vgl. de la Porte 2005). Gleichwohl betont gerade Parlier (2004, 23f), dass das Papier nicht nur einer Positionierung gegenüber den Regierungen diente, sondern auch die Folge eines internen Richtungsstreits in der Kommission war. Mit dem Vorschlag wollte die DG Beschäftigung und Soziales die soziale Dimension auf europäischer Ebene gegenüber den wirtschaftsfreundlichen Argumenten der übrigen Kommission stärken. Für den Bereich Gesundheit entschloss er sich, entgegen dem Kommissionspapier, für ein separates Ratsgremium.
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ein Existenzminium. Zu seiner Bekämpfung auf europäischer Ebene schlug die Kommission vor, eine gemeinsame Strategie entwickeln, deren Umsetzung in einem Mehrjahresprogramm erfolgen und mit einem Benchmarkingverfahren unterstützt werden sollte. Mit dem neuen Programm sollten keine redistributiven Projekte gefördert, sondern ein transnationaler Erfahrungsaustausch und ein politischer Dialog angeregt sowie ein gemeinsames Verständnis von sozialer Ausgrenzung sowie europäische Datenerfassungsmöglichkeiten entwickelt werden. Die Kommission erarbeitete damit nach eigener Einschätzung ein Konzept, mit dem gemeinsam auf europäischer Ebene gehandelt werden könnte, ohne dass die wohlfahrtsstaatlichen Kompetenzen der Regierungen in Frage gestellt würden oder für die Mitgliedstaaten neue Kosten entstehen würden (vgl. Europäische Kommission 2000a: 15f). Zusätzlich zu den Aktionsprogrammen fand demnach eine Debatte vor allem zwischen der Europäischen Kommission und dem Rat statt. Im Lauf der Zeit wurden darin verschiedene Konzepte diskutiert, wobei trotz der zeitweiligen Krisen ein Trend zu immer umfassenderen und konkreteren Modellen festzustellen ist. Hierbei kristallisierten sich einige Handlungsansätze heraus, die später für die OMK/Inklusion aufgegriffen wurden. So wurden bereits in den 1980er Jahren erste gemeinsame Vorgaben entwickelt, an die die nationalen Reformen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung ausgerichtet werden sollten. Ferner bestand schon vor der OMK/Inklusion ein Konsens zwischen Kommission und Rat, dass soziale Ausgrenzung nur durch eine Einbindung sämtlicher Akteure und Organisationen nachhaltig bekämpft werden kann und die nationalen Entwicklungen durch transnationale Austauschprozesse gefördert werden können. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass die Kompetenzhoheit der Regierungen in wohlfahrtsstaatlichen Fragen ein nicht-hinterfragtes Grundprinzip aller Konzepte war.
5.1.3 Zwischenresümee: Von der Armutsbekämpfung hin zum Kampf gegen soziale Ausgrenzung Die bisherigen Ergebnisse lassen sich unter drei Fragestellungen zusammenfassen. Erstens wurden die Interaktionen untersucht und herausgearbeitet, wer die Maßnahmen und Debatten prägte. Dabei zeigte sich, dass die Kommission oft eine Vorreiterrolle übernahm, d.h. der Rat entwickelte seine Konzepte meist auf der Basis von Kommissionsvorschlägen und Mitteilungen. Ihre Papiere gingen dabei in der Regel über den bestehenden Konsens im Rat hinaus, auch wenn in ihnen auch immer die Nützlichkeit eines solchen gemeinsamen Handelns für die Regierungen betont wird. Darüber hinaus bemühte sie sich gerade in den
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1970er und 1990er Jahren, die Debatte zu dem Thema aufrecht zu halten. Sie kann daher als die dynamische Kraft der europäischen Diskurse bezeichnet werden. Jedoch wurde auch deutlich, dass Diskussionen nicht linear verliefen, sondern es durch nationale Vetos zu Brüchen kam. So waren bereits zu Beginn der 1990er Jahre weit reichende Modelle entwickelt worden, deren Verwirklichung jedoch erst Ende der 1990er praktisch angegangen wurde. Dazwischen lagen einige Jahre des nationalen Widerstandes im Rat. Neben dem wichtigen Zusammenspiel von Kommission und Regierungen wurden im Lauf der Zeit auch andere Akteure und Organisationen auf der europäischen Ebene in die Entwicklungen eingebunden. So wurde in den Aktionsprogrammen darauf geachtet, von sozialer Ausgrenzung Betroffene möglichst weit in die Gemeinschaftsprojekte zu integrieren. Auch bildeten sich auf europäischer Ebene mit finanzieller Hilfe der Kommission nichtstaatliche Netzwerke, die der Kommission bei der Entwicklung ihrer sozialpolitischen Papiere als Berater zur Seite standen. Schließlich kamen im dritten Aktionsprogramm wissenschaftliche Experten als weitere Akteure hinzu. Gemein ist allen drei Akteurs- und Organisationsgruppen, dass sie keinen rechtlichen Anspruch darauf hatten, angehört zu werden. Ihr Einflussbereich ist somit begrenzt und vom Willen der Kommission und des Rates abhängig. Die Vorgeschichte der OMK/Inklusion war demzufolge von einem Zusammenspiel von verschiedenen Akteuren und Organisationen geprägt. Damit stellt sich zweitens die Frage, welche Handlungsansätze entwickelt wurden, die später auch bei der OMK/Inklusion eine Rolle spielen. Schon im ersten Aktionsprogramm wurde ein gemeinsames Verständnis darüber angestrebt, was unter Armut zu verstehen ist und wie Armut in Europa gemessen werden kann. Seitdem gilt die Entwicklung von gemeinsamen Definitionen und Indikatoren sowie die Förderung einer europaweit vergleichbaren Datenerhebung als ein zentraler Handlungsansatz auf europäischer Ebene (1). Mit dem zweiten Aktionsprogramm wurde der transnationale Austausch als weiterer Handlungsansatz eingeführt (2). Daneben existierten immer auch Instrumente, mit deren Hilfe die nationale Politik unmittelbar unterstützt werden sollte (3). So wurde in den ersten Aktionsprogrammen versucht, durch die Finanzierung von Modellvorhaben bewährte Praxisbeispiele zu entwickeln. Ähnlich wie beim ESF förderten die Kommission und die Mitgliedstaaten damals konkrete Projekte auf nationaler Ebene. Später wurde dieses Instrument aufgegeben und stattdessen gemeinsame Ziele entwickelt, an denen sich die Regierungen anlehnen sollten (vgl. Europäische Kommission 2000a: 15f). Des Weiteren wurde hervorgehoben, dass soziale Ausgrenzung auf europäischer Ebene nur bekämpft werden kann, wenn die Programme und Projekte evaluiert werden (4). Schließlich wurde bereits in der ersten Empfehlung des Rates im Jahr 1974 betont, wie wichtig die Integration so-
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wohl der Betroffenen als auch der Sozialpartner sei (5). In Anlehnung an den Sozialen Dialog initiierte die Kommission daher in den 1990er Jahren einen Zivilen Dialog (vgl. Atkinson/Davoudi 2000: 433). Darüber hinaus finanzierte die Kommission auch nach dem Ende der Aktionsprogramme die von ihr mit gegründeten europäischen Netzwerke weiter. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen kann abschließend die Frage beantwortet werden, welche Leitbilder und Ideen hinter den Instrumenten standen. Bis Ende der 1980er Jahre suchten die Regierungen und Kommission nach Möglichkeiten Armut zu bekämpfen. Später rückte das Problem der sozialen Ausgrenzung in den Mittelpunkt der europäischen Debatten. Der Armutsbegriff (im Sinne einer ungenügenden Existenzsicherung) wurde ersetzt durch ein Konzept der sozialen Ausgrenzung, worunter eine mangelhafte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (insbesondere am Arbeitsmarkt) verstanden wird (vgl. Bartelheimer 2004: 47f). Diese erste Definition kann als ein europäisches Modell gewertet werden, das mit unterschiedlichen Schwerpunkten und verschiedenen Weiterentwicklungen bis heute Gültigkeit hat. Die Analyse der Vorgeschichte der OMK/ Inklusion zeigte deutlich, dass diese weder in einem leeren Raum entstanden ist noch ein ausschließliches Ergebnis der Aushandlungsprozesse auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Lissabon im Jahr 2000 war. Vielmehr baute sie auf bestehenden Strukturen und Debatten auf bzw. werden mit ihr bestimmte Entwicklungen fortgeführt. Die Entwicklungen hin zur OMK/Inklusion verliefen dabei weder teleologisch noch linear. 5.2 Die Organisation des europäischen Felds Der Bereich der sozialen Eingliederung wurde durch die Verträge von Amsterdam (1999) und Nizza (2003) ein Teil des Europarechts. Angemahnt werden eine unverbindliche Zusammenarbeit und ein Erfahrungs- und Informationsaustausch, ohne dass konkrete Instrumente oder ein fest umrissenes Handlungsziel genannt werden. Im vorangegangenen Abschnitt über die Vorgeschichte der OMK/ Inklusion zeigte sich deutlich, dass sowohl die Kommission als auch die Mitgliedstaaten mit ihren jeweiligen Zielen und Interessen die Maßnahmen und Modelle, die der OMK/Inklusion vorausgingen, beeinflussten. Auf diesen Ergebnissen aufbauend wird nun untersucht, welche Aushandlungsprozesse zwischen den beteiligten Akteuren und Organisationen die Entstehung und die Implementierung der OMK/Inklusion auf europäischer Ebene prägten und prägen. Ausgehend von den formal-rechtlichen Kompetenzen wird somit der Frage nachgegangen, welche Ziele, Interessen und Handlungsstrategien die involvierten Akteure und Organisationen verfolgen und über welche Durchsetzungsmöglichkeiten sie verfügen.
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Dabei werden drei in der OMK-Literatur diskutierte Fragen aufgegriffen (vgl. Radaelli 2003). Erstens ist umstritten, wer die Entwicklungen des Verfahrens bestimmt. Sind es die Mitgliedstaaten, die ihre Souveränität im Bereich der Sozialpolitik rechtlich verankert haben? Oder prägt die Kommission als Katalysator die europäischen Debatten? Im Folgenden wird argumentiert, dass die OMK/ Inklusion von keinem der Beteiligten dominiert wird. Vielmehr besteht ein dynamisches Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Akteuren und Organisationen, bei dem der Einzelne durch variable Handlungsstrategien versucht, die Entscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Zweitens wird diskutiert, ob die OMK/Inklusion in der Entwicklung von gemeinsamen Visionen zur Stärkung von sozialer Eingliederung mündet oder einen machtstrategischen Interessenkonflikt darstellt. Hierbei wird im Folgenden nachgewiesen, dass dieses Spannungsfeld zwischen Lernen und Interessenskampf ist jeder OMK immanent ist. Dabei gilt: Je weniger die Debatten und Themen einer OMK nationalspezifische Sensibilitäten berühren, desto höher sind die Chancen für Lernprozesse. Drittens geht es um die Frage, ob eine Politik der sozialen Eingliederung eine soziale oder eine wirtschaftliche Ausrichtung hat. Es wird im Folgenden dargelegt, dass die Sozialpolitiker gelernt haben, die OMK/Inklusion als Chance betrachten, die soziale Dimension auf europäischer Ebene zu stärken, und daher die Kompromissbereitschaft im zeitlichen Verlauf zugenommen hat. Die Aushandlungsprozesse im Rahmen des Verfahrens werden somit sowohl von organisationsspezifischen Zielen als auch durch ein gemeinsames Verständnis von Sozialpolitik geprägt. Im nächsten Abschnitt wird zunächst der rechtliche Rahmen herausgearbeitet, der bestimmt, was die Akteure und Organisationen im Rahmen des Verfahrens von Rechtswegen tun dürfen (5.2.1). Anschließend wird auf das wichtigste politische Gremium der OMK/Inklusion – das Sozialschutzkomitee – sowie deren Arbeitsgruppe Indikatoren eingegangen (5.2.2). Danach wird der Ausschuss des Aktionsprogramms vorgestellt (5.2.3). Im Anschluss an diese beiden Abschnitte ist zu fragen, wie sich die Kommission bei den verschiedenen Aushandlungsprozessen und Debatten einbringen kann (5.2.4). In einem nächsten Schritt wird die besondere Bedeutung der Ratspräsidentschaft für den Prozess und die Gestaltungsfreiräume der einzelnen Mitgliedstaaten dabei herausgearbeitet (5.2.5). Abschließend werden die Einflussmöglichkeiten von nichtstaatlichen, wissenschaftlichen und legislativen Akteuren und Organisationen untersucht (5.2.6).
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5.2.1 Die rechtliche Verankerung der OMK/Inklusion in den Verträgen von Amsterdam und Nizza Bis zum Vertrag von Amsterdam (1999) wurden Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Eingliederung auf europäischer Ebene legitimiert, indem entweder auf ihre Nützlichkeit für den Binnenmarkt oder eine angestrebte Hebung des allgemeinen Lebensstandards verwiesen wurde. Mit dem Vertrag wurden durch die (Neu-) Formulierung der Artikel 136, 137 und 140 EG-Vertrag erste Kompetenzen der europäischen Ebene im Bereich der sozialen Eingliederung definiert (vgl. Ferrara et al. 2002: 229). Erweitert wurde diese rechtliche Rahmung mit dem Vertrag von Nizza im Jahr 2003, der im Artikel 144 die Rolle des Ausschusses für Sozialschutz (Social Protection Comittee, kurz SPC) genauer regelte. Die beiden Verträge schufen somit die Grundlage für eine europäische Politik der sozialen Eingliederung, ohne die OMK namentlich zu erwähnen. Im Folgenden wird gezeigt, dass die entsprechenden Artikel des Europarechts die Handlungsmöglichkeiten der Kommission und der Mitgliedstaaten einschränken, innerhalb dieser Grenzen aber ein Handlungsspielraum gewahrt bleibt. Weiter werden dem Rat, der Kommission und dem SPC bestimmte Aufgaben übertragen, ohne dass jedoch ein konkreter Handlungsauftrag definiert oder ihre Zusammenarbeit genauer geregelt wird. Der Rechtsrahmen grenzt somit nur ein, was die Organisationen und Ausschüsse im Bereich der sozialen Eingliederung nicht dürfen bzw. was sie auf abstrakter Ebene tun sollen. Die konkrete Ausgestaltung der OMK/Inklusion ist dagegen offen für Verhandlungen. Das Ziel einer europäischen Politik der sozialen Eingliederung besteht darin, die allgemeinen Lebensbedingungen verbessern, „um dadurch auf dem Weg des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen“, wobei die „Vielfalt der einzelstaatlichen Gepflogenheiten“ berücksichtigt werden soll (Art. 136 EG-Vertrag). Zum Erreichen dieses Ziels kann einmal der Rat Maßnahmen beschließen, mit deren Hilfe eine Zusammenarbeit sowie ein Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten gestärkt, innovative Ansätze gefördert und die nationalen Erfahrungen ausgewertet werden können. Unberührt bleiben hierbei jedoch die „anerkannten Befugnisse der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen“ (Art. 137 EG-Vertrag). Des Weiteren soll die Kommission eine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialpolitik fördern und die Abstimmungsprozesse der Regierungen erleichtern (Art. 140 EG-Vertrag). Schließlich ist seit dem Vertrag von Nizza der Ausschuss für Sozialschutz ein rechtlich verankertes Gremium im Bereich soziale Eingliederung (Art. 144 EG-Vertrag). Dieser wird vom Rat nach einer Anhörung des Europäischen Parlaments eingesetzt und setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission zusammen. Zu seinen Aufgaben gehört es,
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sämtliche Maßnahmen im Bereich Sozialschutz als Berater unterstützen. Dies bedeutet im Einzelnen: ¾ Er verfolgt die soziale Lage und die Entwicklung der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes in den Mitgliedstaaten und der Union; ¾ er fördert den Austausch von Informationen, Erfahrungen und bewährten Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten und mit der Kommission; ¾ er arbeitet unbeschadet des Artikels 240 auf Ersuchen des Rates oder der Kommission oder von sich aus in seinem Zuständigkeitsbereich Berichte aus, gibt Stellungnahmen ab oder wird auf andere Weise tätig. (Art. 144 EG-Vertrag) Darüber hinaus ist der Ausschuss angehalten, bei der Erfüllung seiner Aufgaben „geeignete Kontakte“ zu den Sozialpartnern herzustellen. Entscheidend für den Bereich soziale Eingliederung sind demzufolge der Rat, die Kommission und der Ausschuss für Sozialschutz, wobei ihnen in den Rechtstexten unterschiedliche Aufgaben zugeschrieben werden. Während der Rat den Rahmen für die europäischen Handlungen vorgibt, sollen der Ausschuss und die Kommission als Berater und Koordinatoren fungieren. Dagegen kommt sowohl dem Europäischen Parlament als auch den Sozialpartnern eine eher untergeordnete Rolle zu. Des Weiteren ist die Entwicklung einer europäischen Wohlfahrtspolitik (im Sinne eines supranationalen Staates) auf Basis des rechtlichen Rahmens nicht möglich (u.a. Behning 2004; Trubek/Trubek 2005a). Vielmehr sollen die Mitgliedstaaten durch die europäischen Maßnahmen angehalten werden, voneinander und miteinander zu lernen, um die Probleme im Bereich des Sozialschutzes zu lösen, wobei kaum konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele genannt werden.15 Offen bleibt auch, wie die beteiligten Akteure und Organisationen innerhalb des rechtlichen Rahmens agieren. In den nächsten Schritten wird daher herauszuarbeiten sein, zu welchen Aushandlungsprozessen es kommt und wie dadurch die OMK/Inklusion entwickelt und umgesetzt wird.
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Die OMK/Inklusion wird im Europarecht nicht explizit genannt. Dies kann damit begründet werden, dass es sie bei der Entwicklung des Vertrages von Amsterdam noch nicht gab. Auch wollten die Regierungen auch später beim Vertrag von Nizza den Prozess nicht durch eine rechtliche Verankerung zu viel politisches Gewicht geben. Gleichwohl scheint die OMK/Inklusion schon im Vertrag von Amsterdam implizit skizziert worden zu sein. Hierfür lassen sich vor allem zwei Gründen nennen: Erstens beruhten die Aushandlungsprozesse für den Vertrag auf den gleichen Konzeptpapieren wie die spätere Entwicklung der OMK/Inklusion. Zweitens musste der Prozess so konzipiert werden, dass er rechtlich legitim war, deshalb wurde er an den Handlungsrahmen des Vertrages angepasst.
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5.2.2 Das Zentrum der OMK/Inklusion: Der Sozialschutzausschuss Der Ausschuss für Sozialschutz (SPC) ist bei der praktischen Umsetzung das wichtigste Gremium der OMK/Inklusion auf europäischer Ebene. Hier diskutieren und analysieren Vertreter der Mitgliedstaaten und der Kommission die Ergebnisse der OMK-Prozesse im Bereich Sozialschutz (d.h. neben der OMK/Inklusion die OMK/Pension sowie OMK/Gesundheit und Langzeitpflege) und planen weitere Schritte (vgl. de la Porte 2005). Zu unterscheiden ist das SPC als Plenum von seiner Arbeitsgruppe, die sich ausschließlich mit den Indikatoren beschäftigt und dabei Ersterem zuarbeitet. Da in den beiden Gremien konsensorientiert gearbeitet wird, d.h. sich die Regierungen die größtmögliche Vetoposition vorbehalten haben, ist davon auszugehen, dass die Vertreter solange kooperieren, solange es zu keiner Kollision mit grundlegenden nationalen Interessen kommt. Gleichwohl kann auch angenommen werden, dass die Ergebnisse sowohl des Plenums als auch der Arbeitsgruppe durch die Mitarbeit der Kommission mehr sind als der kleinste gemeinsame Nenner der Mitgliedstaaten. Im Folgenden wird zunächst das Plenum und im Anschluss daran die Arbeitsgruppe untersucht. Gefragt wird, wie die Abstimmungsprozesse verlaufen, welche strategischen und inhaltlichen Interessen von den Beteiligten verfolgt werden und welche gemeinsamen Ziele sich herausgebildet haben. Das Plenum des SPC wurde im Jahr 2000 in Nizza gegründet, es ersetzte die seit 1999 bestehende „Hochrangige Expertengruppe“. Zu seinen Aufgaben u.a. zählt, die OMK/Inklusion auf europäischer Ebene zu organisieren und zu koordinieren und damit dem Rat (Beschäftigung und Soziales) zuzuarbeiten. Das Gremium ist das unterste Glied einer Aushandlungskette. Kommt hier keine Einigung zustande, werden die strittigen Punkte an dem Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) und damit an die nächst höhere Ebene verwiesen, was dem üblichen europäischen Aushandlungsverfahren entspricht. Also da [d.h. im Ausschuss der Ständigen Vertreter] wird das Gleiche gemacht wie im SPC. (…) Also dann wird [in dem Ausschuss] solange geredet [bis ein Konsens erzielt wird], oder es wird komplett wieder zurückgeschickt, was selten passiert, aber passiert. (EU16)
Nach einer Einigung im SPC bzw. im AStV werden die jeweiligen Dokumente an den Rat (Beschäftigung und Soziales) weitergeleitet, der diese formal verabschiedet und dem Europäischen Rat auf dessen Frühjahrsgipfeln vorlegt. Der Europäische Rat kann dann weitere Schritte über den Verlauf des Prozesses festlegen, wobei in der Praxis die entscheidende Vorarbeit in den vorgelagerten Distanzen geschehen ist.
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Das Plenum setzt sich aus nationalen Delegierten, Vertretern der Kommission sowie seinem Sekretariat zusammen. Den Mitgliedstaaten ist dabei freigestellt, wen sie in das Gremium entsendet. Meist stammen die Delegierten jedoch aus den Sozialministerien. Die Kommission wird von zwei Mitarbeitern der Generaldirektion Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit (GD Beschäftigung und Soziales) repräsentiert. Die Generaldirektion hat damit eine Doppelfunktion im SPC: Sie stellt das Sekretariat und vertritt gleichzeitig die Interessen der Kommission. Zunächst war angedacht gewesen, das Sekretariat beim Rat anzusiedeln, wie es in anderen Politikbereichen der Fall ist. Da der Rat jedoch nur über begrenzte Kapazitäten verfügt, entschieden sich die Regierungen in Absprache mit der Kommission, den Ausschuss wie schon zuvor die Hochrangige Expertengruppe bei der GD Beschäftigung und Soziales anzusiedeln. Die Vorbereitungen der Sitzungen obliegen im europäischen Feld dem Sekretariat. Die Ausschussmitglieder reichen bei diesem ihre Positionspapiere ein, woraus es ein Arbeitsprogramm für die Treffen16 erstellt. Geleitet werden die Sitzungen vom Vorsitzenden des Komitees, der von den Delegierten aus ihrer Mitte gewählt wird. Konkrete Ergebnisse können meist erst nach mehrmaligen Zusammenkünften erzielt werden. Denn zum einen ist die Mehrheit der Delegierten weisungsgebunden und muss vor endgültigen Entscheidungen Rücksprache mit ihren jeweiligen Ministerien bzw. den anderen Generaldirektionen nehmen. Zum anderen wird im SPC im Konsens entschieden. Diese Regelung beruht auf einer Übereinkunft im Ausschuss selbst und leitet sich nach Angaben von Delegierten von der hohen Sensibilität der dort behandelten Themen für die Mitgliedstaaten ab. Formal ist diese Frage weder im Europarecht noch im Statut des SPC geregelt. Die einzelnen Mitglieder verfügen somit über eine starke Vetoposition. Gleichwohl sind die Beteiligten bei den Diskussionen um einen Konsens bemüht. Denn trotz der jeweiligen nationalen Eigeninteressen und der unterschiedlichen Politikansätze stimmen alle Delegierten darüber ein, dass das Gremium eine der wenigen Möglichkeiten für Sozialpolitiker ist, sich auf europäischer Ebene aktiv an einem Agenda Setting zu beteiligen (vgl. Ferrera et al. 2002: 232). [I]t is much easier to reach consensus in the social protection committee than it is in the employment committee (…) because the social policy actors (…) are prepared to have such a policy discussion with the Commission because they realize that they do not have otherwise a voice at the European level. (EU12)
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Das Komitee trifft sich zwischen zehn und zwölf Mal im Jahr für ein bis zwei Tage.
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Angeregt wurde das SPC zwar von der Kommission, die nationalen Sozialpolitiker reagierten dabei eher zurückhaltend (vgl. Jacobsson/Vilfell 2003: 16). Mittlerweile nützen jene nach Angaben von Beamten der GD (Beschäftigung und Soziales) das Plenum jedoch aktiv, um sozialpolitische Themen auf die europäische Tagesordnung zu setzen und auf diesem Wege in den nationalen Feldern präsenter zu machen. Denn in vielen Staaten kommt es bei den Reformen der sozialen Sicherungssysteme zu einem Machtkampf zwischen dem Finanzministerium, das die monetären Aspekte hervorhebt, und dem Sozialministerium, das sichernde Komponenten der Systeme wahren und stärken möchte. In this way they [the national social policy actors] know that they are getting [an opportunity] to make policy on European level which they otherwise would not have. And I think that’s the point, that’s useful and important to them. (…) Maybe they are more consensual because social ministry have a difficult time in the national ministerial structure over recent years. Social ministries are important in terms of costs, of public expenditures. They have never been seen as important in terms of policy setting. (…) But a lot of the times, social policy setting was made in finance ministries as it would be in social ministries. So here we have a policy making process which gives them a voice. (EU12)
Die Arbeit im SPC wird somit von vielen nationalen Sozialministerien als eine Chance verstanden, die eigenen Ansätze in die europäischen Debatten einzubringen und so die eigene Position auf europäischer und nationaler Ebene zu stärken. Über die Sitzungen hinaus besteht in der Regel kaum Austausch zwischen den nationalen Delegierten.17 Als Begründung wird auf die eigenen knappen zeitlichen Kapazitäten verwiesen. Auch genügen den Delegierten die bestehenden transnationalen Kontakte (vgl. Europäische Kommission 2006). Schließlich ist die Arbeit für das Komitee bei mehreren Mitgliedstaaten von einer hohen Fluktuation geprägt, was ein persönliches Kennenlernen verhindert. Die Arbeitsgruppe wurde auf dem Gipfel in Laken im Jahr 2001 ins Leben gerufen. Sie berät das Plenum bei der (Weiter-)Entwicklung der Indikatoren im Bereich Sozialschutz. Jenes vergibt je nach Bedarf Arbeitsaufträge an die Gruppe und bestimmt den Vorsitzenden,18 dieser ist der Ansprechpartner für das Plenum und übermittelt ihm auch die Expertisen. Die Arbeitsgruppe erarbeitet ausschließlich Empfehlungen, die jedoch vom Plenum oft ohne Änderungen angenommen werden, da die meisten Konflikte bereits in der Arbeitsgruppe geregelt werden. Die Gruppe19 setzt sich zusammen aus Mitgliedern der GD (Beschäftigung und Soziales), bei der auch das Sekretariat angesiedelt ist, sowie Delegierten der Mitgliedstaaten. Die Tagesordnung der Sitzungen bestimmt das Sekreta17
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Die Angaben beziehen sich hier vor allem auf Deutschland, Frankreich und Italien, kann aber nach Auskunft unserer Interviewpartner in der Kommission verallgemeinert werden. Der Vorsitzende wird jeweils für ein Jahr gewählt. In der Regel tagt die Gruppe einmal im Monat.
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riat. Der entsprechende Kommissionsmitarbeiter erstellt in der Regel auch die Arbeitspapiere für die einzelnen Sitzungen. Darüber hinaus erarbeitet er das langfristige Arbeitsprogramm des Gremiums, das zunächst in der Arbeitsgruppe diskutiert und anschließend vom Plenum verabschiedet wird. Schließlich koordiniert er die Arbeit der Statistikeinheiten innerhalb der Kommission, in denen die meisten Indikatoren erarbeitet werden. Ausgangspunkte für die Diskussionen in der Arbeitsgruppe sind zum einen die bestehenden Indikatoren, hierbei wird gefragt, wie sie verbessert werden können. Zum anderen wird analysiert und diskutiert, wie in den Nationalen Aktionsplänen mittels nationaler Indikatoren mit bestimmten Problemen umgegangen wird und ob diese verallgemeinert werden können. Auch in diesem Gremium wird konsensorientiert gearbeitet. Wenn sich ein Delegierter in der Debatte gegen einen Indikator ausspricht, wird dieser dem SPC nicht empfohlen bzw. ein Modell mit mehreren Optionen entwickelt. Well, we do not have a vote. (...) if there are really strong objections then the conclusion will be that we need more work or the conclusion could be that we cannot reach an agreement. However, it is more or less consensual, (...) we always try to find a compromise and if we do not find it we find a way of phrasing the description of the indicator that reflects the different positions. The latest example is about the situation of immigrants. We have not adopted an indicator as such, because (...) what should be summarized under "immigrant" differs from country to country. Therefore, we have a definition of an indicator with different options. (EU13)
Durch die Vetoposition der Delegierten können demzufolge bestimmte Entwicklungen verhindert werden. Wenn allerdings eine Entscheidung getroffen wird, wird diese auch dauerhaft von allen Beteiligten getragen. Des Weiteren wird einvernehmlich nach den Grundprinzipien gearbeitet, dass die Indikatoren ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit und Eindeutigkeit haben sollen. Nach Angaben des Sekretariats sowie nationaler Delegierter unterscheidet sich die Gruppe damit von anderen Arbeitsgruppen. So würde das entsprechende Gremium der EBS mehr Wert auf eine breite thematische Abdeckung und weniger auf Vergleichbarkeit legen. Ermöglicht wird dieses gemeinsame Selbstverständnis nach Einschätzung von Beteiligten dadurch, dass hier ein Expertengremium agiert, dessen Mitglieder über einen ähnlichen wissenschaftlichen Hintergrund verfügen. Auch ist die Arbeit von einer hohen Kontinuität geprägt. Viele Delegierte gehören von Beginn an dem Gremium an. Sie kennen sich und pflegen rege – teilweise auch informelle – Kommunikationsnetzwerke. In der wissenschaftlichen OMK-Debatte nehmen die europäischen Gremien eine herausragende, aber auch umstrittene Stellung ein. So bezeichnet KohlerKoch (2002) die europäischen Komitees „as transnational spaces of communication and as social systems with a social logic of their own, characterised commitments to finding common solutions”. Aus dieser Perspektive bilden sich
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durch die Zusammenarbeit Communities heraus (vgl. Trubek/Trubek 2005a), deren Mitglieder denselben professionellen Hintergrund haben, die über eine gemeinsame Sprache verfügen und zusammen Lösungskonzepte für bestimmte kollektiv geteilte Probleme erarbeiten (vgl. Jacobsson 2004b). Dagegen definiert Kröger die europäischen Gremien als einen Aushandlungsort, dessen Mitglieder „do pursue certain interests, have certain preferences and are equipped with different levels of resources, be they material or not, to defend their opinions and interests” (2005: 15). Meine Ergebnisse zeigen, dass die Delegierten bei den sozialpolitischen sensiblen Themen eine Vetoposition innehaben. Somit kann keine Entscheidung gegen den Willen von einem Mitwirkenden gefällt werden. Geprägt ist die Arbeit in den beiden Gremien jedoch auch durch die Vorarbeit der Kommission und dem Interesse der nationalen Sozialpolitiker an einer Zusammenarbeit, die über den kleinsten gemeinsamen Nenner hinausgeht. Das Plenum ist geeint in dem Ziel, die sozialpolitische Dimension auf europäischer wie nationaler Ebene zu stärken, während sich in der Arbeitsgruppe Indikatoren ein gemeinsam geteiltes Wissenschaftsverständnis entwickelt hat. Die Arbeit auf der europäischen Ebene ist somit sowohl von nationalen Machtinteressen als auch von den gemeinsamen Interessen, Handlungsprinzipien und dem daraus resultierenden Konsenswillen bestimmt. Vergleicht man das Plenum und die Arbeitsgruppe, so werden gravierende Unterschiede deutlich. Ersterem wird von den Beteiligten eine größere politische Bedeutung zugeschrieben, weshalb das Konflikt- und Blockadepotenzial dort größer ist. Dagegen verstehen sich die Delegationen der Arbeitsgruppe als Experten mit gemeinsam geteilten wissenschaftlichen Prinzipien. Es kann zu politischen Konflikten kommen, jedoch seltener als im Plenum. Weiter ist das Plenum von einer hohen Fluktuation gekennzeichnet, während sich in der Arbeitsgruppe ein reges und stabiles Netzwerk entwickelt hat. Nedergaard (2004, 2006a, 2006b) wies für den EMCO nach, dass die Chancen eines fruchtbaren Austauschs umso größer sind, je stabiler die Beziehungen zwischen den Beteiligten sind. Im Einklang mit diesen Ergebnissen kann für die Arbeitsgruppe festgehalten werden: Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit lernen sich die Beteiligten gut kennen. Es bildeten sich Netzwerke und informelle Verhaltensregeln heraus. Die Arbeitsgruppe kann daher als eine epistemic community bezeichnet werden, deren Einflussbereich jedoch auf ein Instrument der OMK/Inklusion beschränkt ist. Dagegen ist das Sozialschutzkomitee als politisch bedeutenderes Plenum zwar mehr als eine reine Interessenvertretung der Mitgliedstaaten, gleichzeitig aber auch weniger als eine Gemeinschaft.
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5.2.3 Begrenztes Interesse: Der Ausschuss des Aktionsprogramms Bis Ende 2006 war das Aktionsprogramm der zweite Handlungsstrang der OMK/Inklusion. Danach wurde es mit anderen Programmen zum Gemeinschaftsprogramm PROGRESS zusammengefasst. Das Aktionsprogramm wurde sowohl vom Rat (Beschäftigung und Soziales) als auch dem Europäischen Parlament gebilligt und verabschiedet. Federführend bei der Organisation sowie der Durchführung des Programms war die GD (Beschäftigung und Soziales). Unterstützt und überwacht werden sollte sie von einem eigens dafür eingerichteten Ausschuss (vgl. Rat 2002c), der im Jahr 2006 mit dem Ende des Programms aufgelöst wurde. Er setzte sich zusammen aus Vertretern der beteiligten Staaten sowie einem Sekretariat, das bei der GD (Beschäftigung und Soziales) angesiedelt war. Zu seinen Aufgaben zählten die Genehmigung von Projekten (unter Berücksichtigung des Budgetrahmens), das Festlegen des Programmablaufs sowie die Einberufung von Experten, die das Programm und seine Projekte evaluieren. Auch in diesem Gremium herrschte das Prinzip der Einstimmigkeit. Es tagte drei bis vier Mal im Jahr, wobei selten alle Delegierten anwesend waren. Die Durchsetzungskraft des Ausschusses gegenüber der Kommission muss als begrenzt eingestuft werden. Erstens bereitete das Sekretariat die Ausschusstreffen vor, erstellte die Mehrheit der Positionspapiere, hielt den Kontakt zu anderen Organisationen und kümmerte sich um die Umsetzung der Beschlüsse. Zweitens wurde der Mitgliedschaft in dem Ausschuss in den nationalen Ministerien und Administrationen eine eher untergeordnete Rolle zugeschrieben. Normally, people in the SPC are more seniors. And I mean the sense is evident because the SPC is more [important in the] the policy context. (EU15)
Das Interesse der Regierungen an dem Ausschuss ist somit relativ gering, weshalb sie auch selten von ihrem Vetorecht Gebrauch machen. Drittens lag es gemäß der Satzung im Aufgabenbereich der Kommission, die Tagesordnung und die Entscheidungen des Ausschusses an das Europäische Parlament zur Kenntnisnahme weiterzuleiten. Das Aktionsprogramm wurde demzufolge formal von seinen Mitgliedstaaten und der Kommission gemeinsam abgewickelt und organisiert. Faktisch dominierte jedoch die Kommission diese europäische Initiative.
5.2.4 Koordinator und Stratege: Die Kommission Die Kommission übernimmt eine entscheidende Koordinierungsfunktion bei der Umsetzung der OMK/Inklusion, da sie das Sekretariat des SPC, der Arbeitsgruppe Indikatoren sowie für das Aktionsprogramm stellt bzw. stellte. Zusätzlich
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ist sie noch mit eigenen Delegationen in den Gremien vertreten. Federführend bei sämtlichen Prozessen ist die GD (Beschäftigung und Sozialpolitik). In deren Referat E2 (Inklusion, sozialpolitische Aspekte der Migration, Straffung der Prozesse im Bereich der Sozialpolitik) sind sowohl das Sekretariat als auch die Delegation des SPC angesiedelt. Auch wurde von dort die Arbeit des Aktionsprogramms koordiniert. Das Sekretariat für die Arbeitsgruppe Indikatoren befindet sich im Referat E1 (Demografische und Soziale Analysen). Die Länderexperten arbeiten in den Referaten der Direktionen A bis C derselben Generaldirektion. Nachdem bereits gezeigt wurde, dass Entscheidungen bezüglich der OMK/ Inklusion von Kommission und Mitgliedstaaten zusammengetroffen werden, werden im Folgenden die Durchsetzungsmöglichkeiten der Kommission sowie ihre Handlungsstrategien im Einzelnen untersucht. Argumentiert wird dahin gehend, dass sich die beteiligten Kommissionsbeamten bei den grundlegenden Weichenstellungen nur bedingt gegen die Mitgliedstaaten durchsetzen können. Sie können dafür aber die Umsetzung sowie die inkrementellen Veränderungen des Prozesses beeinflussen. In einem weiteren Schritt wird herausgearbeitet, dass die Kommission kein kohärentes Gebilde ist, sondern dass es auch hier zu Machtkämpfen kommt. Das Forcieren der OMK/Inklusion durch die GD (Beschäftigung und Soziales) kann daher auch als Positionierung innerhalb eines kommissionsinternen Konfliktes gesehen werden. Zur Begründung der beiden Annahmen wird zunächst die Rolle der Kommission in den verschiedenen Gremien untersucht, anschließend ihre internen Aushandlungsprozesse analysiert. Das Sekretariat des Sozialschutzkomitees hat vor allem die Aufgabe, dessen Sitzungen vorzubereiten und in den Diskussionen den Vorsitzenden bei der Konsensfindung zu unterstützen. Dagegen vertritt die Kommissionsdelegation die Haltung der GD (Beschäftigung und Sozialpolitik) und versucht diese gegenüber den nationalen Delegierten durchzusetzen, wofür sie eigene Positionspapiere einreicht. Eine personelle Trennung der beiden Aufgabenfelder ist aufgrund der unterschiedlichen Funktionen unabdingbar, auch wenn durch die räumliche Nähe und das enge informelle Kommunikationsnetz innerhalb des Referats E2 ein reger Austausch zwischen den entsprechenden Mitarbeitern herrscht (vgl. Jacobsson/Vilfell 2003: 15ff). Da die Kommissionsdelegation die Mehrheit der Positionspapiere verfasst und einen engen Kontakt zu dem Sekretariat hat, kann sie die Entscheidungen des Plenums im bestimmten Maße in eine Richtung lenken. Denn ihre Arbeitspapiere können zwar im Plenum verworfen werden, oftmals bleiben sie jedoch zumindest in ihrer Grundausrichtung erhalten, sodass viele Ergebnisse des Ausschusses ihren Ursprung in den Konzepten der GD (Beschäftigung und Soziales) haben. Darüber hinaus bauen die Kommissionsbeamten mögliche Widerstände der nationalen Delegationen gegenüber ihren Papieren ab, indem sie jenen frühzeitig ihre Entwürfe zur Diskussion vorlegen.
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Before the Commission comes to public and draft, it has developed this practice for working within an open method of coordination of letting the member states have an advance look at its thinking in form of an outline. In formal terms, it has been nothing. In reality, it is very important. So that when the Commission comes and publish its draft for a joint council report, the member states have already seen it broadly what is in it. So there shouldn’t be any surprises. (EU12)
Die an der Arbeitsgruppe Indikatoren beteiligten Kommissionsmitarbeiter haben sogar einen noch größeren Handlungsspielraum, da die nationalen Delegationen weit weniger Positionspapiere als im Plenum einreichen. Sie können quasi im Alleingang die Sitzungen und Arbeitsprogramme vorbereiten, auch wenn hier ihre Vorschläge abgelehnt werden können. In dem Aktionsprogramm bereiteten das Sekretariat und damit die Mitarbeiter der GD (Beschäftigung und Soziales) nicht nur die Sitzungen des Ausschusses durch eigene Konzeptpapiere und der Festlegung einer Tagesordnung vor. Sie kümmerten sich auch um die Umsetzung seiner Beschlüsse und die Abwicklung der Projekte. Das Aktionsprogramm wurde daher auch eine „Spielwiese“ der Kommission bezeichnet (D23). Da das Programm im begrenzten Maß zivilgesellschaftliche Entwicklungen unmittelbar auf europäischer und nationaler Ebene förderte, konnte die Generaldirektion hier ein Agenda Setting betreiben und im sehr begrenzten Maße die Prozesse in den nationalen Feldern direkt beeinflussen. (...) it has spotted opportunities for European initiatives in the interstices of member states’ social policies. It has been particularly drawn towards initiatives which bypass national governments, for example in developing cross-European networks of NGOs. (Mabett 2004: 8)
Zusätzlich zu diesen Handlungsmöglichkeiten entwickelt die GD (Beschäftigung und Soziales) weitere Konzeptpapiere zur OMK/Inklusion, die zumindest teilweise vom Rat aufgegriffen werden. Beispielsweise diente das von ihr bereits im Jahr 1999 vorgelegte Regulierungsmodell als Grundlage für die Konzeption der OMK/Inklusion im Jahr 2000. Das letzte Wort bei der Gestaltung des Prozesses haben sich demnach zwar die Regierungen vorbehalten. Indem die GD (Beschäftigung und Soziales) aber mehrheitlich die Vorlagen für die Aushandlungsprozesse liefert, hat sie eine oftmals erfolgreiche Strategie entwickelt, die Umsetzung der OMK/Inklusion in die von ihr gewünschte Richtung hinzu beeinflussen. Dabei gilt, dass ihr Einfluss umso größer ist, je unbedeutender die Gremien den Regierungen erscheinen. Bevor die Delegierten den Ausschüssen ihre Vorschläge vorlegen, findet eine interne Abstimmung innerhalb der Kommission statt, wofür nach den allgemeinen, fest institutionalisierten Abspracheregeln verfahren wird.
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Soziale Eingliederung in Europa Also die Koordinierung verläuft nach den ganz normalen Regeln, wie sie die Kommission für alles Mögliche hat. Also die haben sich keine neuen Regeln ausgedacht. Es gibt eine Gruppe an Verantwortlichen und die anderen arbeiten zu, (...) insofern ist [es] die Koordination wie immer. (...). Das ist business as usual. (EU16)
Allerdings sind diese Koordinierungsprozesse oftmals geprägt von internen Richtungsstreitigkeiten. Denn die Kommission tritt zwar nach außen mit einer Stimme auf, intern vertreten die einzelnen Generaldirektionen jedoch unterschiedliche Politikansätze. So tritt die GD (Beschäftigung und Sozialpolitik) für eine Stärkung der Sozialkräfte ein, weshalb sie manchmal nur schwer mit den anderen Generaldirektionen einen Konsens findet bzw. sich nur bedingt durchsetzen kann. So some people within the Commission or some commentators in Brussels would consider this [DG employment, social affairs and gender mainstreaming, die Verfasserin] to be the sort of last left wing DG. (...) That it represents an old social concern, like the rest of the DGs do not. (EU12)
Die OMK/Inklusion wird somit nicht nur von den nationalen Sozialministerien, sondern auch von den sozialpolitischen Kräften innerhalb der Kommission als Chance verstanden, die eigenen Positionen auf europäischer Ebene zu stärken. Gerade Vertreter der europäischen Netzwerke bemerken in diesem Zusammenhang, dass bei der GD (Beschäftigung und Soziales) zwischen den offiziellen Verlautbarungen und der praktischen Arbeit („technical work“ EU17) unterschieden werden muss. In den politischen Stellungnahmen würde sich die GD an die offizielle Linie der Kommission halten, in der alltäglichen Arbeit würde sie sich jedoch eher an den eigenen Prinzipien eines starken Sozialschutzes orientieren. Der interne Machtkampf bildet für die NGOs eine nicht unerhebliche Herausforderung. Das Verhältnis zur GD (Beschäftigung und Soziales) wird allgemein als sehr gut beschrieben, allerdings stellt sich bei den Organisationen auch die Frage, wie sich dieselben innerhalb der Kommission durchsetzen können. (...) die GD Employment [führt] im Augenblick einen schweren Kampf (...) in der Kommission. Also (...) ich habe schon auch das Gefühl, dass die GD Employment gegenüber Industrie und Competition gerade sehr kämpft, um überhaupt noch was vorbringen zu können. (EU18)
Das Dilemma für die NGOs besteht damit darin, dass sie nicht sicher sein können, ob ihre Positionen, die sie gegenüber der GD (Beschäftigung und Soziales) vorbringen, Gehör innerhalb der Kommission als Einheit finden, weshalb viele verstärkt auch den Kontakt zu anderen GDs suchen.
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Die GD (Beschäftigung und Soziales) spielt demzufolge eine vielseitige und wichtige Rolle bei der OMK/Inklusion, weswegen sie sich nach meinen Ergebnissen zu Recht als „Katalysator“ des Prozesses definiert (vgl. Europäische Kommission 2003b: 13). Mit ihren Konzeptpapieren prägt sie die Entwicklung und Gestaltung der OMK/Inklusion. Sie kann sowohl in ihre Rolle als Sekretariat als auch durch die Vorarbeiten und den engagierten Einsatz der eigenen Delegierten die Entscheidungen des SPC und seiner Arbeitsgruppe beeinflussen. Mithilfe des Aktionsprogramms, in dem sie eine herausragende Stellung innehatte, konnte sie sowohl auf europäischer Ebene als auch im begrenzten Umfang auf nationaler Ebene Agenda Setting im nichtstaatlichen Sektor betreiben. Meine Ergebnisse zeigen demnach im Einklang mit der Mehrzahl der OMK-Analysen (z.B. Jacobsson 2004a: 359, Szyszczak 2006: 491f, Wincott 2003: 535), dass die Kommission die Entwicklung des OMK-Prozesses durchaus nachhaltig prägen konnte und kann. Dagegen muss dem Argument von Scharpf (2002) widersprochen werden, wonach die gesamte Kommission eine Liberalisierung des Sozialstaates anstrebt. Bislang trat die federführende Generaldirektion in den Diskussionen für eine Stärkung des Sozialschutzes der Bürger ein. Allerdings besteht ein interner Machtkampf in der Kommission, bei dem sie relativ isoliert und in der Defensive ist, sodass sie teilweise gezwungen ist, zumindest formal nach außen Positionen zu vertreten, die nicht der Haltung der Generaldirektion entsprechen.
5.2.5 Impulsgeber: Die Rolle der Ratspräsidentschaft Entsprechend des EG-Vertrags verabschiedet der Rat die europäischen Maßnahmen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung. So war es seine Aufgabe, auf Vorschlag der Kommission unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Europäischen Parlamentes den Ausschuss für Sozialschutz einzusetzen (vgl. Rat 2000b). Darüber hinaus muss er die Umsetzung und Weiterentwicklung der OMK/Inklusion durch den SPC billigen, was jedoch aufgrund der intensiven Vorarbeiten und Aushandlungsprozesse in dem Komitee selbst vorwiegend eine Formsache ist. Im Folgenden wird nun die Rolle der Ratspräsidentschaft bei der OMK/Inklusion untersucht und argumentiert, dass die Mitgliedstaaten dem Verfahren in ihrer Präsidentschaftszeit zusätzliche Impulse geben können. Denn die jeweilige Ratspräsidentschaft bereitet die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs inhaltlich wie organisatorisch vor und setzt hierbei Schwerpunkte. Es liegt folglich auch in der Hand der jeweiligen Ratspräsidentschaft, in welche Richtung die Diskussionen zur OMK/Inklusion auf den Ratstreffen gehen.
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So beeinflusste die damalige französische bzw. belgische Regierung in ihren Präsidentschaftszeiten den Entstehungsprozess der OMK/Inklusion in den Jahren 2000 und 2001. Erstere prägte die Ziele des Verfahrens (siehe 5.3.1), während Letztere die Definition der Indikatoren vorantrieb (siehe 5.3.2), für deren Entwicklung sie eine vorbereitende Studie in Auftrag gab (vgl. de la Porte 2002b: 2, Armstrong 2003). Aber auch die Umsetzung des Prozesses kann von interessierten Ratspräsidentschaften bis zu einem gewissen Grad geprägt werden. Beispielsweise verlagerte die spanische Ratspräsidentschaft im Jahr 2002 den Schwerpunkt des Lissabon-Prozesses in ihren Schlussfolgerungen auf die Themen Wachstum und Beschäftigung. Diese Festlegung war zum einen ihren nationalen Interessen (im Sinne eines möglichst liberalen Markts mit wenig europäischen Sozialstandards) geschuldet, entsprach zum anderen aber auch einem allgemeinen Trend in den europäischen Hauptstädten hin zu einer stärkeren Wirtschaftsausrichtung der EU (vgl. de la Porte 2002b). Durch diese Ausrichtung verlor die OMK/Inklusion (zumindest zeitweise) an Bedeutung. Umgekehrt hob die Regierung von Luxemburg bei ihrer Präsidentschaft im Jahr 2005 in ihren Schlussfolgerungen die Wichtigkeit der sozialpolitischen Dimension und damit der OMK/Inklusion hervor und stärkte so das Verfahren. Einzelne Ratspräsidentschaften fungierten demzufolge im Untersuchungszeitraum sowohl als Förderer als auch als Bremser des Verfahrens. Daneben hat eine Ratspräsidentschaft die Möglichkeit, mithilfe des Aktionsprogramms (und später mit dem Folgeprogramm PROGRESS) bestimmte Projekte umzusetzen. Als Regel hat sich dabei institutionalisiert, dass jede Ratspräsidentschaft entweder einen Workshop mit Betroffenen im ersten Halbjahr oder einen Runden Tisch mit Vertretern der Zivilgesellschaft im zweiten Halbjahr ausrichtet. Die beiden Veranstaltungen werden von der Administration der jeweiligen Ratspräsidentschaft zusammen mit der GD (Beschäftigung und Sozialpolitik) und den europäischen Netzwerken organisiert. Die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Ratspräsidentschaft kann nach Angaben von NGOs sehr innovative Themen zur Folge haben und zu konstruktiven Diskussionen führen. So wird der britische Runde Tisch aus dem Jahr 2005 über Obdachlosigkeit sowohl von der GD (Beschäftigung und Soziales) als auch von den europäischen NGOS als ein wichtiger Impulsgeber für eine konstruktive Diskussion gewertet, durch die das Thema europaweit präsenter wurde. Die freie Ausrichtung kann aber auch zu Konflikten führen. Beispielsweise legte italienische Präsidentschaft im Jahr 2004 den Schwerpunkt bei dem von ihr ausgerichteten Runden Tisch ausschließlich auf das Thema Familie, was von vielen Beteiligten als einseitig kritisiert wurde. The Italian [roundtable] was difficult because the Italian government want to give it a particular political focus and the NGOs were not particular happy with that. Almost focus on the familiar responsibility and perhaps the privatization of welfare. (EU12)
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Festgehalten werden kann, dass die Entscheidungen über die OMK/Inklusion meist im Vorfeld der Ratstreffen ausgehandelt wurden. Dennoch konnten einige Ratspräsidentschaften Akzente setzen, etwa indem sie bestimmte Themen besonders betonten oder die Fragestellung der von ihnen ausgerichteten Veranstaltungen bestimmten. Jede Ratspräsidentschaft muss daher für sich untersucht werden. Meine Ergebnisse weisen im Einklang mit Ferrera et al. 2002, Atkinson et al. 2004 und de la Porte 2005 auf die besondere Rolle der Ratspräsidentschaft bei der OMK/Inklusion hin, die in der allgemeinen OMK-Debatte (u.a. Arrowsmith et al. 2004, Zeitlin 2005a) bislang außer Acht gelassen wurde.
5.2.6 Hierarchische Partizipation: Einbindung von nichtstaatlichen, wissenschaftlichen Organisationen und dem Europäischen Parlament Das vierte Ziel der OMK/Inklusion besteht in der Aktivierung aller Akteure. Diesem Grundsatz folgend werden im europäischen Feld nichtstaatliche und wissenschaftliche Akteure und Organisationen konsultiert und teilweise an den Projekten beteiligt. Besonders vorangetrieben wird diese Einbindung von der GD (Beschäftigung und Soziales). Allerdings müssen alle Entscheidungen im Feld der OMK/Inklusion einstimmig getroffen werden, und es ist nicht zu erwarten, dass alle Regierungen an einer Partizipation interessiert sind. Im Folgenden wird daher argumentiert, dass vor allem drei Faktoren bestimmen, in welchen Umfang weitere Akteure und Organisationen an der OMK/Inklusion beteiligt werden. Erstens ist anzunehmen, dass insbesondere solche Akteure und Gruppen eingebunden werden, zu denen die Kommission intensive Kontakte pflegt und von denen sie sich eine Stärkung der eigenen Stellung verspricht. Allerdings können die Mitgliedstaaten ein Veto einlegen. Dies hat zweitens zur Folge, dass eher solche Gruppen an dem Verfahren beteiligt werden, die als politisch unbedeutend gelten bzw. deren Einbindung politisch wenig brisant ist. Schließlich ist entscheidend, ob und inwieweit mögliche weitere Akteure und Organisationen ein Interesse an der OMK/Inklusion haben. Aufbauend auf diesen Annahmen lassen sich fünf Gruppen differenzieren, die sich sowohl im Umfang als auch in der Art der Beteiligung unterscheiden. Relativ eng in das Verfahren eingebunden sind die europäischen Netzwerke (1), die europäische Fördergelder erhalten. Daneben versucht die GD (Beschäftigung und Soziales) die Sozialpartner (2) in die OMK/Inklusion einzubeziehen, die ebenfalls über traditionell enge Kontakte zur Kommission verfügen, deren Interesse an dem Verfahren jedoch nur im begrenzten Maße vorhanden ist. Des Weiteren interessieren sich für den Prozess auch nicht geförderte europäische Netzwerke (3). Ihnen fehlen jedoch die Verbindungen zur Kommission. Neben diesen
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Nichtregierungsorganisationen sind Wissenschaftler und Forschungsinstitute (4) an dem Aktionsprogramm beteiligt. Die Partizipation erfolgt hier aber nur projektbezogen und ist daher in vielen Fällen nicht kontinuierlich. Schließlich versucht die Kommission auch das Europäische Parlament (5) in den Prozess einzuziehen, was jedoch wegen des Widerstandes einiger Mitgliedstaaten nur bedingt möglich ist. In den 1980er Jahren wurden im Zuge der damaligen Aktionsprogramme mehrere europäische Netzwerke gegründet, die seitdem von der GD (Beschäftigung und Sozialpolitik) finanziell gefördert werden (seit dem Jahr 2001 durch das Aktionsprogramm der OMK/Inklusion). Aufgrund dieser engen Bindung gehören diese Organisationen zu den wichtigsten nichtstaatlichen Ansprechpartnern der Kommission sowie des SPC bei der Umsetzung des Verfahrens. Sie sind hierfür auf verschiedenen Ebenen an dem Prozess beteiligt: Erstens werden die Netzwerke am Vorabend der SPC-Sitzungen zu einem Treffen mit dem Vorsitzenden und dem Sekretariat des Gremiums eingeladen und können hier ihre Position darlegen. Zweitens werden die europäischen Netzwerke gelegentlich auch als Experten in die Plenarsitzungen eingeladen. Drittens werden vier bis fünf Mal pro Jahr informelle Treffen mit den entsprechenden Mitarbeitern der GD (Beschäftigung und Soziales) einberufen, bei denen der bisherige Verlauf des Aktionsprogramms sowie geplante Projekte diskutiert werden. Bei den europäischen Maßnahmen des Aktionsprogramms werden die Netzwerke nicht nur konsultiert, sie können viertens sowohl an den Vorbereitungen der Runden Tische und der Konferenzen mitwirken als auch an den Veranstaltungen selbst teilnehmen. Fünftens nehmen sie an den halbjährlichen Gesprächen zwischen der Kommission und interessierten europäischen NGOs und an den öffentlichen Konsultationsverfahren teil. Nach eigener Einschätzung können die Netzwerke sowohl die SPC-Sitzungen als auch die Positionen der Generalsdirektion im zunehmenden Maße beeinflussen. Since a couple of years, we moved from the situation where we have been treated like technical assistance on social-issues for the Commission. We have moved from technical advisors to more confrontational type of relation. (...) Despite the limited results of the OMC, it is an improvement regarding the consultation processes on the EU-level concerning social inclusion issues. (EU17)
Sie seien von technischen Assistenten zu politischen Beratern aufgestiegen, deren Vorschläge aufgegriffen werden und in die sozialpolitischen Maßnahmen der EU einfließen. Von anderen europäischen NGOs wird die Sonderstellung der Netzwerke ambivalent beurteilt. Als Vorteil wird gewertet, dass die europäischen Netzwerke durch die finanzielle Unterstützung der Kommission über ein relativ großzügiges Budget verfügen, was ihnen beispielsweise ermöglicht, NGOs aus
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den neuen Mitgliedstaaten anzuwerben. Diese hätten zwar ein reges Interesse an einer europäischen Zusammenarbeit, könnten sich jedoch viele Aktivitäten nicht leisten. Also wenn wir [eine nicht geförderte NGO] ein Meeting in Brüssel organisieren, dann sind das unsere Mitglieder, die ihre eigenen Kosten übernehmen, (...) wohingegen das bei den kommissionsfinanzierten Organisationen so ist, dass die ein Budget haben und die können auch Organisationen einladen und übernehmen die Reisekosten und die Hotelkosten in Brüssel. (EU18)
Auch könnten diese Netzwerke im größeren Umfang Einfluss auf die OMK/Inklusion nehmen als die Nicht-Geförderten, da sie häufiger konsultiert würden und stärker in die Projekte des Aktionsprogramms eingebunden seien. Als Nachteil wird allerdings gewertet, dass die geförderten Netzwerke ihren jährlichen Arbeitsplan und ihren Budget der GD (Beschäftigung und Soziales) vorlegen müssen und auch inhaltliche Vorgaben von dieser bekämen. Wir [eine nicht geförderte NGO, die Verfasserin] sind (...) privilegiert dadurch, dass wir der Kommission unser Arbeitsprogramm nicht vorlegen müssen. Also wir können sagen, das ist von unseren Mitgliedern finanziert und wenn die auf der Generalversammlung beschließen, dass wir das machen, dann machen wir das auch. Wohingegen (...), es im Prinzip auch Bereiche gibt, wo manche finanzierten Netzwerke gesagt bekommen haben, also da müsst ihr jetzt nicht arbeiten, also das ist nicht eure Aufgabe. Dafür zahlen wir auch nicht. (EU18)
Die durch das Aktionsprogramm geförderten Netzwerke nehmen somit eine privilegierte Konsultationsstellung im Rahmen der OMK/Inklusion ein. Auch verfügen sie über ein relativ großes Budget, das sie gleichzeitig zu einem gewissen Grad von der Kommission abhängig macht. Die Sozialpartner besitzen durch den Sozialen Dialog gute Kontakte zur GD (Beschäftigung und Soziales). Auf Basis dieser Strukturen werden sie für die OMK/Inklusion konsultiert. So treffen auch sie sich am Abend vor den SPCSitzungen mit dessen Vorsitzenden und Sekretariat. Ihren Einfluss auf das Gremium durch diese Konsultationen stufen die Sozialpartner allerdings als geringfügig ein, da sie sich nur mit einem kleinen Teil des Gremiums austauschen können. Auf Wunsch der Sozialpartner wurde deshalb im Jahr 2004 ein jährlich stattfindendes Treffen der Sozialpartner mit dem Plenum eingeführt. For a long time, we have not met in the plenary but then we said it is useful that everybody sees and hears us. So now, every year we are meeting the SPC. Firstly in 2004 and we met them in last October. Once a year we find an appropriate moment to meet the plenary and then we go on with the SPC in a smaller format. (EU5)
Die Sozialpartner erhoffen sich von diesen Zusammenkünften, dass sie mehr Einfluss auf den Ausschuss nehmen können, da sie hierbei mit allen Delega-
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tionen direkt diskutieren. Weiter nehmen sie an den Runden Tischen der Ratspräsidentschaften teil. Sie sehen in den Veranstaltungen eine Möglichkeit, sich mit anderen nichtstaatlichen Organisationen und den beteiligten staatlichen Behörden auszutauschen. Ansonsten sind sie nicht weiter an dem Aktionsprogramm beteiligt. Ein Vergleich des Engagements der Sozialpartner zeigt, dass das Interesse der europäischen Gewerkschaftsverbände an dem Prozess größer ist als das der europäischen Arbeitgeberverbände (vgl. de la Porte 2005). Ein Grund hierfür ist, dass für Letztere die OMK/Inklusion ausschließlich unter dem Gesichtspunkt Beschäftigung interessant ist. We were not involved in all the objectives. Our main aim is to say "employment is the key to get people out of poverty and to fight social exclusion". Our message is almost the same as for the EES: Create new jobs and thus more people will be included into the labour market and make work pay thus all those who are able to work are working. (EU5)
Andere Bereiche werden nicht zu den Aufgabenbereichen ihrer Mitglieder gezählt und gelten darum als irrelevant. Die europäischen Spitzenverbände der Gewerkschaften definieren sich dagegen als Vertreter der arbeitenden Bürger und interessieren sich daher auch für die anderen Themen der OMK/Inklusion. Zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden bestehen in Bezug auf das Verfahren keine weiteren Kontakte. Dagegen halten die Gewerkschaften (im Gegensatz zu den Arbeitgeberverbänden) über die formellen Termine hinaus Kontakt zu den europäischen Netzwerken. Also, es ist viel einfacher zwischen den Gewerkschaften und den NGOs als zwischen den Arbeitgeberverbänden und diesen Organisationen, das ist klar. Auch wurden hier gegenseitige Vorurteile aufgegeben oder es haben sich die Verhaltensweisen geändert. (EU20, Übersetzung durch die Verfasserin)
Da sich diese Verbindungen jedoch im Aufbau befinden, begegnen sich die Parteien nach Einschätzung von Beteiligten stellenweise noch mit Vorbehalten. Die Frage ist sehr relevant, weil das Bild, das man häufig von Gewerkschaften hat, ist, dass sie sich nur mit denen beschäftigen, die einen Arbeitsplatz haben, und sich nicht um die kümmern, die keine Beschäftigung haben oder nicht mehr haben. Aber dies ist nur ein Bild, während es in der Realität diesbezügliche Entwicklungen gibt. Denn wir sind überzeugt, dass auch diese Probleme gelöst werden müssen. (EU20, Übersetzung durch die Verfasserin)
So sehen sich die Gewerkschaften gelegentlich dem Verdacht ausgesetzt, nur auf die Belange ihrer Mitglieder bzw. der Wirtschaft zu schauen. Allerdings sind meine Interviewpartner bei den Gewerkschaften und den Netzwerken optimistisch, dass diese Irritationen mit der Zeit und durch ein besseres Kennenlernen verschwinden werden. Die GD (Beschäftigung und Soziales) ist somit bemüht,
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die Sozialpartner in das Verfahren auf europäischer Ebene einzubinden. Die Resonanz ist jedoch ambivalent. Auf der einen Seite betonen sämtliche Sozialpartner, dass sie angehört werden wollen, und drängten auch darauf die Kontakte zum SPC zu intensivieren. Auf der anderen Seite zeigen gerade die Arbeitgeberverbände kaum ein Interesse an nichtstaatlichen Debatten und setzen soziale Eingliederung ausschließlich mit einer Steigerung der Beschäftigungsquote gleich. Die europäischen Netzwerke, die nicht von der Kommission finanziert werden, haben geringere Einflussmöglichkeiten auf die OMK/Inklusion als die beiden bereits besprochenen Gruppen. Sie können sich oftmals nur über die allgemeinen, offiziellen Kommunikationskanäle einbringen. So nehmen sie an den öffentlichen Konsultationsverfahren und halbjährlichen Treffen zwischen interessierten NGOs und der Kommission teil. Hier können sie ihre Standpunkte vortragen, die nach ihren Einschätzungen auch aufgenommen werden, wobei in meinen Interviews immer wieder betont wird, dass die Vorschläge der durch die OMK/Inklusion finanzierten Netzwerke eine höhere Resonanz fänden. Mit dem SPC selbst stehen sie in keinem Kommunikationsverhältnis. Allerdings beteiligen sie sich an den Vorbereitungen der Runden Tischen des Aktionsprogramms, auch wenn sie kritisieren, dass sie sich nicht sicher sein können, inwieweit ihre Vorschläge aufgenommen werden. [Bei] der ganzen Vorbereitung zum Round Table [sollen die interessierten NGOs, die Verfasserin] Kommentare und Vorschläge schicken, (...), aber dann bekommt man keine Rückmeldung. Und man weiß nicht, was damit passiert, und man hat das Gefühl, man müsste jetzt dort ganz oft anrufen und fragen, was damit passiert ist. (EU18)
Schließlich nehmen sie auch an den Veranstaltungen selbst teil, wobei kritisiert wird, dass die Runden Tische nicht zu Empfehlungen führen, die an anderer Stelle aufgegriffen werden müssen. Nationale NGOs werden für die OMK/Inklusion auf europäischer Ebene nicht konsultiert. Vielmehr können sie versuchen, sich über ihre europäischen Dachverbände einzubringen. Des Weiteren können sie sich an den europäischen Maßnahmen des Aktionsprogramms beteiligen, wobei auch hier die Kontakte meist über die europäischen Netzwerke zustande kommen. Zur Kommission bestehen kaum selbstständige Kontakte und wenn, dann meist im Rahmen von Informationsgesprächen, bei denen Kommissionsmitarbeiter darlegen, wie die EU und ihre Organe funktionieren. Die Mitarbeiter der GD (Beschäftigung und Sozialpolitik) berichten von einem wachsenden Interesse der nationalen NGOs an der OMK/Inklusion. Allerdings verweisen sie auch auf ihre begrenzten Kapazitäten. Die Kommission könne nicht zu allen interessierten nationalen NGOs Kontakt halten, sondern müsse sich auf eine Zusammenarbeit mit den europäischen Dachverbänden konzentrieren. Die nicht geförderten Netzwerke zeigen
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somit ein großes Interesse an dem Verfahren, allerdings ist ihr Einfluss in der Regel auf die offiziellen Konsultationsprozesse beschränkt, was von ihnen auch kritisiert wird. Nahezu ausgeschlossen von den europäischen Debatten sind nationale NGOs, die sich meist nur über ihre Dachverbände einbringen können. Nicht nur europäische Nichtregierungsorganisationen werden von der Kommission in die OMK/Inklusion eingebunden, eine besondere Rolle nehmen auch Wissenschaftler und Forschungsinstitute ein. Erstens werden Ausschreibungen vorgenommen, bei denen sich Wissenschaftler und Forscher aus den Mitgliedstaaten des Aktionsprogramms bewerben können. Werden sie ausgewählt, erstellen sie Expertisen zu bestimmten Fragestellungen. Diese sollen dann von den Mitgliedern des Sozialschutzkomitees genutzt werden, um bestimmte Probleme besser verstehen und bekämpfen zu können. Allerdings ist diese Verbindung nach Einschätzung von Kommissionsbeamten bisher nur im begrenzten Umfang gelungen (siehe auch 5.3.5). Wichtiger sind zweitens die nationalen Nichtregierungsexperten. Sie erstellen parallel zu den Nationalen Aktionsplänen Gutachten über die Situation in dem jeweiligen Staat. Damit bilden sie eine wichtige zusätzliche Informationsquelle für die Kommission bei der Erstellung ihres Gemeinsamen Berichts. Die Kommission legt deshalb großen Wert darauf, dass diese Experten aus dem nationalen OMK/Inklusion-Prozess ausgeschlossen werden. Wir waren im Frühjahr gefragt worden, wie wir die OMK [für die Kommission] einschätzen [können]. Unsere Berichte gehen nach Brüssel und von Brüssel an die Bundesregierung und dann dürfen die drüber gucken (...) und daraufhin haben wir dann mit der Bundesregierung vereinbart, wir kommen dann mal dahin und reden drüber (...). Das hatte natürlich den Vorteil, dass man sich mit der Bundesregierung austauschen konnte, das ist [von der Kommission] aber nicht gewünscht und da ist nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen worden: Auftragsgeber ist die Kommission und die entscheidet, wer was bekommt, also so offen ist die Koordinierungsmethode dann wieder nicht. (D17)
Die Kommission versucht folglich, sich mithilfe des Aktionsprogramms regierungsunabhängig Informationsquellen über die nationalen Entwicklungen zu finanzieren. Drittens werden bestimmte Forscher gezielt von einzelnen Ratspräsidentschaften beauftragt, Expertisen zu bestimmten Bereichen der OMK/ Inklusion zu erstellen. So gab die belgische Ratspräsidentschaft eine Studie in Auftrag, die sich mit möglichen Indikatoren zum Bereich Sozialschutz auseinandersetzte. Dieses Dokument diente später als Grundlage für die Entwicklung der Laeken-Indikatoren. Wissenschaftliche Experten werden somit von einzelnen Organisationen als eine unabhängige Informationsquelle in die OMK/Inklusion eingebunden, wenn es der Stärkung der eigenen Position dient. Da die OMK/Inklusion ein freiwilliges Verfahren für die Mitgliedstaaten ist, das parallel zum klassischen Mitentscheidungsverfahren verläuft, wird das Europäische Parlament (EP) nur im sehr begrenzten Umfang in seine Entwicklung
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und Umsetzung einbezogen. Bei der Einsetzung der Instrumente und Gremien kann das Parlament gemäß dem europäischen Gemeinschaftsrecht (Art. 137 und Art. 251 EG-Vertrag) Stellungnahmen abgeben, die vom Rat berücksichtigt werden müssen. Bisher hat es von diesem Recht jedoch nur in einzelnen Fällen Gebrauch gemacht. In die Arbeit des SPC und seiner Arbeitsgruppe ist es nicht involviert. Allerdings werden die Berichte vom SPC-Sekretariat an die entsprechenden Ausschüsse des Parlaments weitergeleitet und dort auch diskutiert. An dem Aktionsprogramm und dem Folgeprogramm ist das Parlament insofern beteiligt, als dass es sie zusammen mit dem Rat verabschiedet und ihren Gesamtbudgets zustimmte. Darüber hinaus wird von der GD (Beschäftigung und Soziales) über den Verlauf der Programme, die geförderten Projekte, deren Zeitplan und deren Evaluierungsbericht unterrichtet. Schließlich lädt die Generaldirektion interessierte Parlamentarier zu den großen Veranstaltungen der Programme ein. Die GD (Beschäftigung und Soziales) spricht sich (wie auch zahlreiche NGOs) für eine stärkere Einbindung des Europäischen Parlaments in die OMK-Prozesse aus. So sollte dem EP nach ihrem Dafürhalten (u.a. Kommission 2000b: 13) die Möglichkeit eingeräumt werden, Stellungnahmen zu den Gemeinsamen Jahres abzugeben. Verbunden ist diese Forderung mit der Hoffnung, dass eine Beteiligung des Parlaments die soziale Säule der Lissabon stärken würde. Auch das Parlament selbst fordert eine größere Einbeziehung in das Verfahren. Allerdings konnten sich in meinem Untersuchungszeitraum weder die GD (Beschäftigung und Sozialpolitik) noch das Parlament selbst mit diesen Forderungen durchsetzen. Vielmehr verwiesen die Regierungen auf den starken intergovernmentalen Charakter der OMK/Inklusion, der eine Einbindung des EP nicht über das bestehende Maß hinaus erforderlich mache. Das vierte Ziel der OMK/Inklusion Mobilisierung aller Akteure wird demnach nicht nur für die nationalen Felder vorgegeben, es wird im europäischen Feld auch umgesetzt. Allerdings weisen meine Ergebnisse auf fünf Besonderheiten hin, die in den bisherigen Analysen kaum oder nur am Rande herausgearbeitet wurden (vgl. Armstrong 2006b, de la Porte 2005, Kröger 2006): Erstens wird für die Einbindung der nichtstaatlichen Organisationen vor allem auf bestehende Strukturen zurückgegriffen. Dementsprechend entsteht durch die OMK/Inklusion weniger eine neuartige, europäische Zivilgesellschaft, sondern es werden primär die bereits vorhandenen Kontakte intensiviert. Dies hat zweitens zur Folge, dass einige privilegierte Partner (z.B. die europäischen Arbeitgeberverbände) nur ein geringes Interesse an der OMK/Inklusion zeigen, während andere, höchst motivierte Organisationen sich nur im sehr beschränkten Maße in den Prozess einbringen können. Drittens werden gerade die besonders eng eingebundenen Organisationen durch das Aktionsprogramm finanziell gefördert, sodass sie nur bedingt als unabhängig gelten können. Viertens zeigte sich gerade im Umgang mit
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der wissenschaftlichen Expertise, dass die Kommission teilweise versucht, ihre Informationen exklusiv zu bekommen. Aufbauend auf diesen Ergebnissen kann schließlich festgehalten werden, dass die GD (Beschäftigung und Soziales) die Einbeziehung von weiteren Akteuren und Organisationen vor allem dazu nutzt, sich selbst starke Partner zu schaffen. Bei der Einbindung zielt sie somit nicht primär darauf ab, eine europäische Zivilgesellschaft zu schaffen, sondern die eigene Position im Feld der OMK/Inklusion zu stärken. Möglich wird dies, weil die nationalen Sozialministerien eine Partizipation der nichtstaatlichen Organisationen weder als politisch ungefährlich erachten oder dies sogar begrüßen. Dagegen scheiterte die von der Generaldirektion gewünschte Einbindung des EP, da die Regierungen hier fürchteten, dass die OMK/Inklusion dadurch politisch aufgewertet und verbindlicher werden würde.
5.2.7 Zwischenresümee: Interaktionsmuster Die OMK/Inklusion beruht auf Aushandlungsprozessen zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission, wobei die Ratspräsidentschaft zusätzliche Impulse setzen kann und nichtstaatliche und wissenschaftliche Akteure und Organisationen als Berater den Prozess begleiten. Marginalisiert ist dagegen das Europäische Parlament, ausgeschlossen sind Ausschuss der Regionen und der Wirtschafts- und Sozialausschuss. Das politisch bedeutsamste Gremium ist der Ausschuss für Sozialschutz. Hier wird die OMK/Inklusion nicht nur auf europäischer Ebene umgesetzt, sondern auch wichtige Vorarbeiten für den Rat (Beschäftigung und Soziales) geleistet. Jener verabschiedet die Entscheidungen des SPC meistens ohne Veränderungen und legt sie dem Europäischen Rat vor. Die rechtliche Aufgabenteilung zwischen dem Rat (als Initiator von Maßnahmen) und dem Ausschuss (als Berater) verschwimmt demnach oftmals in der Praxis. Die Kommission nutzt dabei ihre rechtlich verankerte Rolle als Koordinator (de la Porte et al. 2001: 293), um Agenda Setting zu betreiben und den Handlungsspielraum der europäischen Ebene zu erhöhen (vgl. Frykman/Mörth 2004: 161f). Daneben nehmen interessierte Regierungen eine besondere, rechtlich nicht geregelte Rolle während ihrer Ratspräsidentschaft ein, etwa indem sie durch eigene Beiträge Impulse setzen. Schließlich zeigte sich, dass nichtstaatliche und wissenschaftliche Akteure und Organisationen mittels verschiedener Konsultationsprozesse in das Verfahren eingebunden werden. Aufbauend auf den rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich demzufolge vielschichtige Aushandlungsprozesse entwickelt, wobei einige Beteiligte den Handlungsspielraum nutzen, um die eigene Position zu stärken und weitere Akteure einzubinden, während andere ihre rechtlichen Kompetenzen oft nur formal wahrnehmen.
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Abschließend soll noch einmal auf die eingangs skizzierten Forschungsdebatten eingegangen werden. Erstens gibt es verschiedene Positionen zu der Frage, wer die OMK/Inklusion beherrscht. Gezeigt wurde, dass der Prozess auf einem Zusammenspiel zwischen nationalen Sozialpolitikern und der Kommission beruht (vgl. auch Borrás/Jacobsson 2004), wobei weder die eine noch die andere Seite dominieren kann. Die nationalen Delegierten können zwar aufgrund ihres Vetorechts bestimmte Entwicklungen verhindern. Gleichzeitig bestimmt aber die GD (Beschäftigung und Soziales) als Sekretariat sämtlicher Ausschüsse deren Arbeitsabläufe, ohne bestimmte Ergebnisse erzwingen zu können. Darüber hinaus basieren viele Entscheidungen auf den Positionspapieren der Generaldirektion, die in den Komitees an die Bedenken der nationalen Delegierten angepasst und konsensfähig gemacht werden. Damit widersprechen meine Ergebnisse Héritier (2003: 113), die annimmt, dass die OMK auf einem principal- und agent-Verhältnis beruht. Vielmehr kann im Einklang zu den Ergebnissen von Gornitzka (2006: 16) für die OMK/Erziehung festgehalten werden, dass die Kommission „prepared, organised and orchestrated the practical implementation of OMC (...)“. Zweitens ist umstritten, ob die OMK ein Lernforum darstellt oder ob Machtinteressen ihre Umsetzung prägen. Meine Ergebnisse ergaben für die OMK/Inklusion, dass in den einzelnen Gremien beides eine Rolle spielt. So konnte ein gemeinsames Verständnis zu der Frage entwickelt werden, was in dem jeweiligen Ausschuss erreicht werden soll. Gleichwohl spielen bei konkreten Entscheidungen organisationsspezifische Interessen eine Rolle. Dabei gilt, dass die partikularen Interessen umso stärker vertreten werden, je politisch wichtiger das jeweilige Gremium angesehen wird. In diesem Zusammenhang ließen sich auch Indizien dafür bestimmen, dass dies nicht nur für die Regierungen, sondern auch die Kommission gilt, die den eigenen Kompetenzrahmen zu erweitern versucht (vgl. auch Eberlein/Kerwer 2004: 124). So sind nicht nur viele nationale, sondern auch die Kommissionsdelegierten des SPC weisungsgebunden. Auch wird hier von allen Delegierten am häufigsten ein Veto eingelegt. Dagegen lassen die Verantwortlichen in den Regierungen und der Kommission den Mitglieder der Arbeitsgruppe Indikatoren einigen Entscheidungsspielraum. Die Machtinteressen wirken sich dabei nicht nur auf die Ergebnisse des jeweiligen Gremiums aus, sie haben auch Folgen für seine Arbeitsweise. Denn während im Plenum des SPC kaum Kontakte aufgebaut werden, entwickelte sich in der Arbeitsgruppe Indikatoren ein gemeinsames Expertenselbstverständnis. Diese Beobachtung bestätigt sowohl die Annahme von Casey und Gold (2005), wonach die Entscheidungen umso effizienter getroffen werden, je weniger politisiert ein Sachverhalt ist, als auch die These von Joerges und Neyer (1997), der zufolge eine epistemic community umso wahrscheinlicher wird, je depolitisierter ein Gremium ist. Gleichzeitig kann diese Beobachtung als ein erstes Indiz für ein
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grundlegendes Dilemma der OMK/Inklusion gewertet werden: Je politisch wichtiger die Entscheidungen werden, desto weniger sind die Regierungen bereit, sich starken und klaren europäischen Entscheidungen in Bezug auf ihren Wohlfahrtsstaat zu beugen. Schließlich wurde auch die Frage untersucht, von welchen politischen Einstellungen die OMK/Inklusion beeinflusst wird. Gerade die Position der unterschiedlichen Ratspräsidentschaften zeigt im Einklang mit de la Porte (2005: 1), dass die Akzente von den einzelnen Beteiligten unterschiedlich gesetzt werden. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass die politische Positionierung in einem größeren Kontext gesehen werden muss. So eint die Befürchtung, dass sozialpolitische Aspekte in den nationalen und europäischen Debatten marginalisiert werden, die Sozialpolitiker und erhöht ihre Kompromissbereitschaft. Das Verfahren beruht folglich auf einem Spannungsfeld aus gemeinsamen sozialpolitischen Zielen und organisationsspezifischen Interessen. Herausgebildet haben sich gemeinsame Ziele (z.B. Stärkung von sozialer Eingliederung im Lissabon Prozess), auch wenn die Beteiligten damit primär versuchen, die Position ihrer Organisationseinheit in den nationalen und europäischen Debatten zu stärken. Im Rahmen der OMK/Inklusion geht es demnach sowohl um den Aufbau von Lernprozessen und die Entwicklung von europäischen zivilgesellschaftlichen Strukturen als auch um einen Kompetenzkonflikt der Ebenen und einen ebenenübergreifenen Streit, was soziale Eingliederung heißt. Im Folgenden ist nun zu untersuchen, welche Instrumente und Leitbilder durch diese Aushandlungsprozesse entstanden sind.
5.3 Die Instrumente der OMK/Inklusion Die OMK/Inklusion basiert auf zwei Handlungsstränge, da bei ihr „einzelstaatliche Aktionspläne mit einem Gemeinschaftsprogramm zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung“ (Europäischer Rat 2000b) kombiniert werden. Die Verwendung sämtlicher Instrumente durch die Regierungen erfolgt auf freiwilliger Ebene (vgl. Radaelli 2003). Zwar betonen u. a. Jacobsson (2004a) und Ferrera et al. (2002), dass der Handlungsdruck auf die Regierungen steigt, wenn es zu einer kritischen Beurteilung der nationalen Reformen kommt, dem sie sich auf europäischer Ebene stellen müssen. Allerdings ergab meine bisherige Analyse der OMK/Inklusion, dass einige Regierungen die Einführung von kritischen Evaluierungsmechanismen im Bereich der Sozialpolitik ablehnen. Auf diesen Ergebnissen aufbauend werden in den folgenden Abschnitten die verschiedenen Instrumente der OMK/Inklusion auf europäischer Ebene untersucht und darlegt, welche Lernchancen das Verfahren den beteiligten Akteuren und Organisationen im Untersuchungszeitraum bot und welcher Handlungsdruck aufgebaut wurde. Be-
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zogen auf den Benchmarkingprozess (den ersten Handlungsstrang) wird argumentiert, dass dieser bis zu seiner Reform im Jahr 2005 den Mitgliedstaaten einen großen Interpretationsspielraum ließ, da es nur vage Vorgaben gab, nationale Besonderheiten betont wurden, Sanktionsinstrumente fehlten und auf eine kritische Analyse verzichtet wurde. Ferner wird sich in Kapitel 9 noch zeigen, dass diese offene, den Regierungen viel Handlungsspielraum gebende Ausrichtung des Handlungsstrangs mit den Reformen der OMK/Inklusion eher verstärkt als abgebaut wurde. Ausgangspunkt des iterativen Benchmarkingsprozesses waren im Untersuchungszeitraum vier gemeinsame Ziele (5.3.1) und 18 bzw. 23 Indikatoren (5.3.2), die in den Nationalen Aktionsplänen umgesetzt werden sollten. Anschließend wurden auf Basis der NAP/Inklusion Peer-Review-Verfahren durchgeführt (5.3.3). Beendet wurde der Zyklus mit der Erstellung eines Gemeinsamen Berichts, in dem sämtliche Analysen der NAP/Inklusion münden und auf dessen Grundlage die Ziele und Indikatoren des Verfahrens gegebenenfalls modifiziert werden (5.3.4). In einem weiteren Abschnitt wird auf den zweiten Handlungsstrang eingegangen (5.3.5). Das hier untersuchte Aktionsprogramm war von Beginn an auf fünf Jahre angelegt und endete somit im Jahr 2005. Allerdings werden seine Instrumente in weitgehend unveränderte Form seit dem Jahr 2006 von einem Gemeinschaftsprogramm weiter geführt, sodass meine Ergebnisse bis heute Gültigkeit haben. Hier wird nachgewiesen, dass die Gemeinschaftsprogramme problembezogene Lernprozesse für das staatliche Handeln bieten bzw. sie dem nichtstaatlichen Sektor verschiedene transnationale wie nationale Lernprojekte ermöglichen. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und herausgearbeitet (5.3.6), inwieweit die einzelnen Instrumente zusammenwirkten.
5.3.1 Vorbehalte gegen quantifizierbare Ziele: Die Erstellung gemeinsamer Ziele Im Frühling 2000 forderten die Staats- und Regierungschefs den Rat (Beschäftigung und Soziales) auf, Ziele für die OMK/Inklusion zu definieren (vgl. de la Porte 2002b: 2). Im Auftrag des Rates und auf Basis eines Kommissionsvorschlages erarbeitete der Ausschuss für Sozialschutz daraufhin vier ergebnisorientierte Ziele: (1) Förderung der Teilnahme am Erwerbsleben und des Zugangs aller zu Ressourcen, Rechten, Gütern und Dienstleistungen, (2) Vermeidung der Risiken der Ausgrenzung, (3) Maßnahmen zugunsten der sozial am stärksten gefährdeten Personen, (4) Mobilisierung aller Akteure. Diese wurden zusammen mit ihren Unterzielen in Nizza vom Europäischen Rat auf Vorschlag des Rates (Beschäftigung und Soziales) angenommen (vgl. Europäischer Rat
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2000c). Die Umsetzung der Vorgaben in der ersten Generation der Aktionspläne analysierte das SPC im Jahr 2002. Hierbei kam das Gremium zu dem Ergebnis, dass diese nach wie vor Gültigkeit und Relevanz für die nationalen Reformen hätten. Es empfahl daher dem Rat, die vier Hauptziele der OMK/Inklusion für die zweite Generation der NAPs beizubehalten, und schlug nur drei Veränderungen bei den Unterzielen vor (vgl. Rat 2002b), was vom Rat auch umgesetzt wurde. Im Jahr 2006 wurden die vier Ziele dann in die gemeinsamen Ziele des Bereichs Sozialschutz integriert, bestehen dort aber als OMK/Inklusion spezifische Vorgaben weiter. Mithilfe der Ziele sollen europäische Vorgaben entwickelt werden, an denen die Regierungen später ihre nationale Politik auszurichten (vgl. de la Porte 2002a: 345). Umstritten ist in der OMK-Debatte allerdings, ob dies in einer System- oder einer Ergebniskonvergenz münden wird (vgl. Atkinson 2002: 631, Begg/Berghman 2002: 317). Im Folgenden wird gezeigt, dass es im Untersuchungszeitraum zu einer von den Regierungen gewollten Differenzierung zwischen den europäischen Debatten und deren Nutzung auf nationaler Ebene kam, die im Laufe der Zeit noch verstärkt wurde. Auf europäischer Ebene entwickelte sich ein gemeinsames Verständnis von sozialer Eingliederung, mit dem sich die Sozialpolitiker gegenüber den beschäftigungs- und wirtschaftspolitischen Kräften positionieren wollten. Dagegen wurden bei der nationalen Umsetzung den Mitgliedstaaten Wahl- und Selektionsmöglichkeiten gelassen. Daher kann weder eine Konvergenz der nationalen Systeme noch die Entwicklung von europaweit gültigen Standards erwartet werden. Die vier Ziele der OMK/Inklusion sollten nach dem Willen der SPCDelegierten ein fester Bestandteil aller nationalen und europäischen Maßnahmen werden (vgl. Rat 2000b: 3, Rat 2002b: 5). Entsprechend dieses mainstreamingAnsatzes sollte der Prozess nicht nur Einfluss auf die Sozialpolitik, sondern auf die Politik insgesamt haben. Mit den vier Zielen wollten die beteiligten Sozialpolitiker somit nicht nur den sozialstaatlichen Reformen neue Impulse geben. Sie erhoben auch einen gesamtpolitischen Handlungsanspruch und bezogen gegenüber den im Lissabon-Prozess dominierenden beschäftigungs- und wirtschaftspolitischen Ansätzen Stellung. Die Ziele des Verfahrens und ihre Konzeption werden damit nach meinem Dafürhalten nur verständlich, wenn sie als Teil eines grundsätzlichen Konfliktes zwischen sozialpolitischen Positionen auf der einen Seite und den beschäftigungs- und wirtschaftspolitischen Kräften auf der anderen Seite begriffen werden. Besonders deutlich wird die Auseinandersetzung mit den beschäftigungspolitischen Interessen bei den Ausführungen zum ersten Ziel: So sollte die Förderung einer Teilnahme am Erwerbsleben im „Rahmen der europäischen Beschäftigungsstrategie und insbesondere der Umsetzung der Leitlinien“ erreicht werden; hierzu wurde die „Erarbeitung von begleitenden Programmen
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für die Angehörigen der sozial schwächsten Bevölkerungsgruppen“ angeregt (Rat 2000b: 7, 2002b: 9). Diese explizit genannte Überschneidung der beiden Prozesse war nach meinen Ergebnissen nicht nur inhaltlichen Übereinstimmungen geschuldet, sie muss auch als Teil eines politischen Richtungsstreites innerhalb des Lissabon-Prozesses verstanden werden. Denn in einigen Teilen der Kommission und der Regierungen wurde (und wird bis heute) gegen die OMK/Inklusion vorgebracht, dass diese nicht nötig sei, da soziale Eingliederung durch die EBS erreicht werden könne. Mit der Nennung der EBS im Rahmen des Verfahrens wurde dieser Haltung Rechnung getragen. Gleichwohl versuchten die Sozialpolitiker auch, eigene sozialpolitische Akzente zu setzen. Ihrer Argumentation folgend ist die Beschäftigungspolitik ein wichtiger Bestandteil einer Politik der sozialen Eingliederung, allerdings ist hierfür auch eine bestimmte soziale Ausrichtung derselben vonnöten. Ferner wurde betont, dass Beschäftigung nur ein Teilaspekt von sozialer Inklusion ist und dieselbe nicht ersetzen kann. Des Weiteren wurde in den Ausführungen zu den Zielen der OMK/Inklusion angemerkt, dass sich Wirtschaftswachstum und sozialer Zusammenhalt gegenseitig bedingen. Im Einklang mit den vorherrschenden Ansichten in der Kommission und vielen Regierungen wurde angemahnt, dass der Sozialstaat ein Wirtschaftswachstum zu unterstützen und den Zugang zur Beschäftigung zu erleichtern hat. Gleichzeitig wurde auch betont, dass der Sozialstaat nicht auf seinen Nutzen bzw. seine Kosten für die Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik reduziert werden darf. Eine soziale Stabilität könne nur durch die „Gewährleistung ausreichender Einkünfte“ erreicht werden (Rat 2000b: 3, 2002b: 5). Die Zieldefinition der OMK/Inklusion wurde demnach von den Sozialpolitikern gemeinsam genutzt, um die Bedeutung eines sozialen Europas aufzuzeigen bzw. die soziale Dimension des Lissabon-Prozesses zu legitimieren und gegenüber den Bereich Wirtschaft und Beschäftigung zu stärken oder zumindest zu verteidigen. Trotz des aufgezeigten Konsenses wurde im SPC darauf verzichtet, einen konkreten Handlungsansatz zu entwickeln, der Modellcharakter für die nationalen Systeme hätte. Vielmehr wurde soziale Eingliederung auf europäischer Ebene als ein multidimensionaler Ansatz definiert, der die unterschiedlichen Konzepte und Vorstellen der Mitgliedstaaten widerspiegelt. Right from the start, the discussion said that we must not oversimplify the issue of poverty; we must make sure that it is multidimensional. (...) Now within that multidimensionality you had different viewpoints what the important dimensions are. Therefore, if you look at the common objectives, (...) you will find in the very first sentence (...) the labour market; enhance people’s chances in the labour market and to get them access to rights and resources. Therefore, in other words there is not one priority, it is two. However, what does that reflect? It reflects the fact that we had once countries that said, first priority is employment and another saying no, the firs priority is access to good benefit systems and rights and social policies and services. So we had a good compromise (…). (EU12)
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Es wurden verschiedene Aspekte aufgezählt, die summarisch eine Politik der sozialen Eingliederung ausmachen und die den Regierungen eine große Wahlfreiheit lassen. Zurückzuführen ist diese Vorgehensweise vor allem darauf, dass die unterschiedlichen Ansätze von sozialer Eingliederung auf nationaler Ebene fest verankert sind. Aus demselben Grund wurde den Regierungen bei der Implementierung der Ziele ein relativ großer Handlungsfreiraum eingelassen. So wurde in sämtlichen Dokumenten betont, dass die Akteure und Organisationen die Ziele entsprechend der nationalen Gegebenheiten umsetzen sollen. Die Durchführung der Ziele der Bekämpfung der Armut und sozialen Ausgrenzung kann je nach Art, nach den Auswirkungen für die Mitgliedstaaten und nach den Begünstigten unterschiedlich ausfallen. Ferner werden sich die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei den hier behandelten Problemen in Lösungen und Prioritäten niederschlagen, die auf die Situation des einzelnen Mitgliedstaates zugeschnitten sind. (Rat 2000b: 5, 2002b: 7)
Dagegen wurde eine detaillierte und kritische Reflexion der nationalen Entwicklungen auf europäischer Ebene weitgehend vermieden. Die Vergleichsmöglichkeiten wurden darüber hinaus noch dadurch verringert, dass von Beginn an auf eine Quantifizierung der Ziele verzichtet wurde. In ihrem Konzeptpapier hatte die Kommission im Jahr 2000 das Festschreiben von quantitativen Zielvorgaben vorgesehen, z. B. die Halbierung der Anzahl von Kindern in Armut (vgl. Europäische Kommission 2000b: 25). Nachdem allerdings in den Diskussionen des Sozialschutzkomitees deutlich geworden war, dass einige nationale Delegationen, auch wegen der Erfahrungen mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie, keinen quantifizierbaren Zielen zustimmen würden (vgl. Marlier et al. 2007: 22ff), entschied sich der Ausschuss, den Begriff Zielvorgabe (target) durch das Wort Ziele (objective) zu ersetzen und auf eine Quantifizierung zu verzichten. Auch später führte die unterschiedliche Umsetzung der Ziele in den ersten Nationalen Aktionsplänen nicht dazu, von diesem Handlungsansatz abzurücken. Stattdessen konzipierte der Ausschuss einen gemeinsamen Leitfaden für die Erstellung von weiteren NAPs (Armstrong 2003). Darin wurde erstmals der Aufbau der Nationalen Aktionspläne festgelegt. Neben diesen formalen Vorgaben wird an die Mitgliedstaaten appelliert, genauer darzulegen, welche Maßnahmen sie anstreben, „um den Zielsetzungen von Lissabon entsprechen zu können“ (SPC 2001: 1), ohne dass allerdings die Wahl- und Selektionsspielräume der Regierungen angetastet werden. Auf diesen Leitfaden aufbauend werden die Mitgliedstaaten in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Barcelona (Europäischer Rat 2002, Nr. 24) aufgefordert, sich selbst Zielvorgaben im Hinblick auf die gemeinsamen Ziele zu setzen. Diese Forderung nach quantifizierbaren Zielvorgaben wurde später vom SPC bei der Zielfestlegung für die zweite Runde der Nationalen Aktionspläne wiederholt und in deren Durchset-
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zungsmodalitäten verankert (Rat 2002b: 8). Im Einklang mit dem Ansatz, dass die nationalen Besonderheiten die Umsetzung der europäischen Ziele prägen und daher ein europäischer Vergleich nur begrenzt möglich ist, sollten die Reformbemühungen durch nationalspezifische Zielvorgaben intensiviert werden. Abschließend kann in Bezug auf die in der OMK-Debatte formulierten Anforderungen an die Ziele festgehalten werden: Im Bereich der sozialen Eingliederung bestand unter den Beteiligten ein Konsens darüber, dass die Ziele genutzt werden sollen, um sich im Rahmen des Lissabon-Prozesses zu positionieren. Soziale Eingliederung wurde als ein Querschnittthema definiert, das für alle Politikbereiche relevant ist und eine Vielzahl an Aspekten umfasst. Allerdings entstand gleichzeitig nur ein begrenzter Anpassungsdruck auf nationaler Ebene. Denn die Ziele wiesen zwar eine hohe Kontinuität auf, was die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen Ausrichtung der nationalen und europäischen Maßnahmen auf dieselben erhöht. Gleichwohl wurde auch deutlich, dass sich die Delegierten weder auf quantifizierbare Standards noch auf eine Konvergenz der nationalen Politiken in Hinblick auf die soziale Eingliederung einigen konnten und wollten; vielmehr wurde die nationale Vielfalt betont. Es war explizit vorgesehen, dass die Nationalstaaten sich solche Ziele herausgreifen können, die ihrer Situation entsprechen. Schließlich wurde dargelegt, dass eine vergleichende Prüfung der Anpassungsprozesse nur begrenzt möglich war. Die nationalen Akteure und Organisationen wurden angehalten, sich selbst Zielvorgaben zu setzen, weshalb die nationale Lage individuell eingeschätzt werden konnte, wenn die nationalen Beteiligten der Forderung nachkamen. Komparative Analysen waren bei diesem Vorgehen jedoch nur begrenzt möglich. Die Ziele der OMK/Inklusion beruhten demzufolge auf einem qualitativen, multidimensionalen Ansatz, der den Mitgliedstaaten bewusst und explizit Wahl- und Selektionsmöglichkeiten lässt.
5.3.2 Wissenschaftlich robuste Indikatoren ohne ein Ranking der Politikansätze Die ersten Indikatoren der OMK/Inklusion entwickelte der Sozialschutzausschuss im Jahr 2001, gebilligt wurden sie auf einem Treffen des Europäischen Rates von Laeken im selben Jahr, weshalb sie oftmals auch als LaekenIndikatoren bezeichnet werden. Seit Laeken wurden die ursprünglich 18 Indikatoren bis zum Jahr 2005 auf 23 erweitert. In der wissenschaftlichen Debatte wird den Indikatoren eine wichtige Rolle beim Monitoring der nationalen Entwicklungen auf europäischer Ebene zu geschrieben (vgl. Marlier et al. 2007: 38, Jacobsson 2004b: 361, 2004a: 92f). Da sie die Ziele einer OMK operationalisieren, wird erstens angenommen, dass sie einen Beitrag dazu leisten, eine gemeinsame Sprache auf europäischer Ebene zu entwickeln. Darauf aufbauend soll durch sie
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zweitens ein gemeinsames Wissen über die Probleme der sozialen Ausgrenzung in Europa geschaffen werden. Drittens wird erwartet, dass sie die Erfolge bzw. Probleme der nationalen Politikansätze sichtbar und vergleichbar machen und so einen Handlungsdruck auf die weniger gut abschneidenden Regierungen ausüben (vgl. Mabett 2004: 2). Die Erhebungen sollen schließlich auf nationaler Ebene dazu beitragen, die eigenen Probleme zu erkennen, die Reformbemühungen zu intensivieren und sich an besser abschneidenden Systemen zu orientieren (vgl. Hemerijck/Visser 2003: 48). Im Folgenden wird allerdings deutlich, dass der Fokus der Laeken-Indikatoren vor allem auf einer wissenschaftlich fundierten Erfassung der Wirklichkeit lag, wohingegen auf einen unmittelbaren Vergleich der nationalen Politikansätze verzichtet wurde. Gründe für diese Ausrichtung der Indikatoren, die im Lauf der Zeit verstärkt wurde, sind sowohl nationale Vorbehalte gegen ein Ranking von politischen Handlungsansätzen als auch das Selbstverständnis der Arbeitsgruppe Indikatoren. Die Laeken-Indikatoren waren in drei Gruppen unterteilt (Hauser 2002, SPC 2001): Mit den primären Indikatoren wurden die wichtigsten Bestandteile von sozialer Eingliederung abgedeckt (Armutsrisiko20, Einkommen, Arbeitslosigkeit, Bildungsniveau, Lebenserwartung und Gesundheitsstatus). Die sekundären Indikatoren sollten „die Leitindikatoren unterstützen und andere Dimensionen des Problems darstellen“ (SPC 2001) (z. B. das Phänomen von working poor). Darüber hinaus hatten die Regierungen die Möglichkeit, selbst die tertiären Indikatoren zu definieren, mit denen sie nationale Besonderheiten nachzeichnen und aufdecken können. Die Zahl an Indikatoren war im Vergleich zu anderen OMKProzessen relativ gering. So wurden die beschäftigungspolitischen Entwicklungen im Jahr 2003 mithilfe von 66 Indikatoren gemessen. Grund hierfür war ein Konsens in der Arbeitsgruppe Indikatoren, nur solche Indikatoren zu schaffen, die „robust and statistically validated“ (Atkinson et al. 2004: 52) sind. Die Delegierten grenzten sich diesbezüglich bewusst von der Arbeitsgruppe der EBS ab (D21). Während Letztere darauf abzielen würde, möglichst viele Themen abzudecken, versuchten sie nach eigenen Angaben bei der (Weiter-) Entwicklung der Indikatoren, ein hohes Maß an Eindeutigkeit und eine europaweite Relevanz zu erlangen. Die Arbeit in dem Gremium wird jedoch bis heute nicht nur von den wissenschaftlichen Ansprüchen der eigenen Mitglieder bestimmt. Da diese oft weisungsgebunden sind, spielen auch nationale Befindlichkeiten eine Rolle. So wehrten sich einige Regierungen im Untersuchungszeitraum massiv dagegen, dass die eigenen Politikansätze mithilfe von europäischen Indikatoren evaluiert und bewertet werden. Vordergründig wurde angeführt, die europäischen Indikatoren könnten die nationalen Besonderheiten nicht genügend berücksichtigen. 20
Definition von Armutsrisiko: Ein geringeres Einkommen als 60% des Medianes vom nationalen Durchschnittseinkommen.
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Dahinter stand aber auch die Befürchtung, durch eine vergleichende Analyse der eigenen Politik in einem sensiblen Bereich wie der Sozialpolitik auf europäischer und vor allem auf nationaler Ebene blamiert zu werden. Aufbauend auf den wissenschaftlichen und den machtpolitischen Ansprüchen wurden die Indikatoren von vier Prinzipien geprägt: Erstens entschied sich schon der Ausschuss für Sozialschutz für einen ergebnisorientierten Ansatz (Atkinson et al. 2004: 51), der später von der Arbeitsgruppe übernommen wurde. Somit wurde vor allem geprüft, zu welchen Resultaten die nationalen Reformen führen, während die politischen Handlungsansätze und deren Ausrichtung nicht weiter untersucht werden. However, for the social inclusion we have decided to focus on outcome indicators and not to evaluate specific policies. (EU13)
Aus wissenschaftlicher Sicht wurde diese Entscheidung damit begründet, dass aufgrund der verschiedenen Handlungsansätze in Europa ansatzorientierte Indikatoren nicht vergleichbar seien. Ferner leistete eine solche Herangehensweise auch den politischen Vorgaben einiger Regierungen Genüge, die einen Vergleich der nationalen Handlungsansätze nicht akzeptieren. Zweitens schlug die Arbeitsgruppe dem Ausschuss für Sozialschutz nur solche Indikatoren vor, deren Aussage für alle Staaten relevant war. Dies entsprach dem wissenschaftlichen Selbstverständnis der Gruppe, auch wenn sich das Gremium durchaus bewusst war, dass die nationalen Umsetzungen unterschiedlich verlaufen können (vgl. Atkinson et al. 2004: 59). Gleichzeitig wurde so verhindert, dass die Regierungen die Indikatoren als irrelevant ablehnten bzw. die nationalen Besonderheiten nicht gewahrt sahen. Drittens konzentrierte sich die Arbeitsgruppe auf qualitative Indikatoren, da sich die Mehrheit der Regierungen gegen eine Quantifizierung der Ziele und daher auch gegen quantitative Indikatoren stellte (vgl. Marlier et al. 2007).21 Schließlich wurde bei der Analyse der Indikatoren auf ein Ranking verzichtet. Entscheidend war auch hier das Veto einiger nationaler Delegationen, da diese schlechte Ergebnisse für die eigene Ordnung befürchteten. Deutschland hat ja vor allen Dingen einen Wunsch, kein Ranking, kein Einschätzen und keine Vergleiche. Die wollen, dass man da beste Erfahrungen austauscht, aber keine Hitparaden. (EU16)
Die Prinzipien hatten nach Einschätzung der nationalen Delegierten den Vorteil, dass auf diese Weise nationale Besonderheiten ausreichend gewürdigt werden können (vgl. Europäische Kommission 2006). Gleichwohl wurde an dieser Her21
Quantitative heißt hier, dass absolute Kennzahlen erhoben werden, während qualitativ meint, dass Entwicklungen gemessen werden (de la Porte/Pochet 2003: 10).
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angehensweise vonseiten externer wissenschaftlicher Experten wie Atkinson et al. (2004) oder Hauser (2002) kritisiert, dass so den Regierungen ein großer Interpretationsspielraum bleibe und kaum Möglichkeiten für eine umfassende Evaluierung bestünden, da nach den genannten Prinzipien die nationalen Reformen nur bedingt verglichen und bewertet werden können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Indikatoren helfen sollten, die Umsetzung der OMK/Inklusion-Vorgaben in den einzelnen Staaten zu evaluieren. Entsprechend der Ziele wurde ein umfangreiches Set an ergebnisorientierten Indikatoren entwickelt, wobei die beteiligten Experten einen hohen Wert auf Aussagekraft und allgemeine Relevanz legen (vgl. auch Mabett 2004). Allerdings zeigten meine Ergebnisse ähnlich wie die Analysen von Atkinson et al. (2004, vgl. auch Marlier et al. 2007) auch, dass die Regierungen das Wirkungspotenzial der Indikatoren stark einschränkten. So behielten sie sich auch bei diesem Instrument die Möglichkeit vor, Besonderheiten des eigenen Systems berücksichtigen zu können. Des Weiteren verhinderten sie die Einführung eines Ranking.
5.3.3 Abstraktes Kennenlernen ohne substanzielle Analyse: Die Peer-ReviewVerfahren Mithilfe von Peer-Review-Verfahren sollen Akteure und Organisationen angeregt werden, voneinander zu lernen. Dahinter steht die Idee, dass die Teilnehmer ihre Erfahrungen zur Lösung von bestimmten, gemeinsam geteilten Problemen austauschen und so bewährte Verfahren von anderen kennenlernen und später im eigenen Feld nutzen können (Ferrera et al. 2002: 14, Büchs 2008: 7). Jacobsson (2004a: 94f, 2004b: 363) geht in ihrer Analyse der Peer-Review-Verfahren im Rahmen der EBS sogar noch einen Schritt weiter und argumentiert, dass die Regierungen angehalten werden, die eigene Situation zu reflektieren, indem sie sich vor anderen rechtfertigen müssen; darüber hinaus werde durch die gegenseitige Kritik ein Handlungsdruck aufgebaut. Im Folgenden wird jedoch gezeigt, dass sich die Peer-Review-Verfahren zu den Nationalen Aktionsplänen nur bedingt für einen Erfahrungsaustausch zu konkreten Problemen eigneten. Auch fand weder eine kritische Selbstreflexion statt noch wurde ein Handlungsdruck aufgebaut. Vielmehr stand ein generelles gegenseitiges Kennen lernen ohne praktische Konsequenzen im Mittelpunkt dieses Verfahrens. In den Peer-Review-Verfahren wurden bis zum Jahr 2005 die Nationalen Aktionsplänen von den nationalen Delegierten des SPC gegenseitig ausgewertet. Das Instrument war durch den Ausschuss selbst im Jahr 2001 eingeführt worden, um die nationalen Konzepte besser auswerten zu können. Angelegt worden war es jedoch bereits in dem Ratsbeschluss zur Einsetzung des SPC aus dem Jahr
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2000. Dort heißt es, dass der Ausschuss „den Austausch von Informationen, Erfahrungen und bewährten Praktiken zwischen den Mitgliedstaaten und mit der Kommission“ fördern soll (Rat 2000a: Art. 1). Bei den Reviews untersuchten jeweils zwei Delegationen den NAP eines dritten Staates hinsichtlich eines breit gefassten Themas und stellten ihre Ergebnisse auf einer zweitägigen Konferenz in einen etwa zehnminütigen Beitrag vor. Beteiligt war auch die GD (Beschäftigung und Soziales) als Moderator. Aus Sicht der GD (Beschäftigung und Soziales) und der nationalen Delegierten war die Hauptfunktion dieser Peer-Reviews ein allgemeines Kennenlernen der verschiedenen nationalen Systeme. Die Mitgliedstaaten hätten so die Möglichkeit, ein Verständnis für die Probleme und Situationen der anderen Staaten zu entwickeln (vgl. Europäische Kommission 2006). In generally, it contributes to share the understanding and produce a shared understanding to what is going on [in the member states]. (EU16)
Die Peer-Reviews waren somit weder dafür bestimmt, dass die nationalen Delegationen konkrete Lösungskonzepte für bestimmte Probleme austauschen, noch wurde durch kritische Beurteilungen ein Handlungsdruck aufgebaut. Die NAP/Inklusion wurden keiner substanziellen Evaluierung unterzogen bzw. kam es auch zu keiner kritischen Auseinandersetzung mit den nationalen Entwicklungen. Vielmehr stand ein gegenseitiges und unverbindliches Kennenlernen im Vordergrund.
5.3.4 Mehr als der kleinster Nenner, aber nur bedingt kritisch: Die Gemeinsamen Berichte In den beiden Gemeinsamen Berichten über soziale Eingliederung wurden bis 2004 sowohl die europaweiten Entwicklungen im Bereich der sozialen Inklusion als auch die Konzepte der Regierungen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung analysiert. Seit 2005 werden die Bereiche soziale Eingliederung, Pension und Gesundheit & Langzeitpflege zusammen in den Gemeinsamen Berichten über Sozialschutz und Sozialer Eingliederung untersucht. Die Berichte haben das gemeinsame Ziel, einen transnationalen Lernprozess zwischen den Regierungen anzuregen, indem sie aktuelle Entwicklungen analysieren und innovative Ansätze bzw. bewährte Praktiken herausarbeiten (vgl. Rat 2002b: 6, 9). Darüber hinaus werden auch die Berichte in der OMK-Forschung mit der Erwartung verbunden, dass ein Handlungsdruck für die Regierungen aufgebaut wird (vgl. Borrás/Jacobsson 2004: 194, Jacobsson 2004b: 363, Trubek/Trubek 2005b: 357). Ähnlich wie bei den Peer-Review-Verfahren wird argumentiert, dass kritische
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Rückmeldungen auf europäischer Ebene in einer Intensivierung der Reformbemühungen resultieren können, da kein Politiker gerne gegenüber seinen europäischen Kollegen bloßgestellt wird. Manche Autoren gehen sogar noch weiter und erwarten, dass die Berichte zu einer kritischen Beurteilung durch die Öffentlichkeit führen, was den Reformdruck auf die Regierungen noch weiter verstärken kann (vgl. Trubek/Trubek 2005a: 91f, Hodson/Maher 2001: 723). Jedoch wird im Folgenden nachweisen, dass die Gemeinsamen Berichte über soziale Eingliederung nur in dem Maß kritisch waren, in dem die Regierungen gewillt waren, sich kritisieren zu lassen. Denn die Berichte waren das Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen der GD (Beschäftigung und Soziales) und den Mitgliedstaaten. Während Erstere darum bemüht war, auf der Basis von regierungsunabhängigen Expertisen den Berichten eine kritische Note zu geben, versuchten Letztere, die eigene Politik in einem möglichst positiven Licht erscheinen zu lassen. Schließlich wurde ein öffentliches naming and shaming von den Regierungen einstimmig abgelehnt. Die Erarbeitung der Gemeinsamen Berichte über soziale Eingliederung erfolgte in mehreren Stufen: Nachdem die Nationalen Aktionspläne beim Sekretariat des Sozialschutzkomitees eingereicht worden waren, erarbeitete die GD (Beschäftigung und Soziales) einen Berichtsentwurf. Hierbei nahm sie für sich in Anspruch, eine eigene Sichtweise auf die Situation in den einzelnen Staaten zu entwickeln. Und meine Aufgabe ist es die Situation in Deutschland zu analysieren und zu bewerten. (...) Wir haben als Kommission natürlich auch immer eine eigene Meinung, es sollten aber keine groben Widersprüche drin sein zur deutschen Meinung. (EU 16)
Die Mitarbeiter der Kommission stützten sich daher bei ihrer Arbeit nicht nur auf die Nationalen Aktionspläne, die als Regierungspapiere galten, sondern berücksichtigten auch die Expertisen, die sie von wissenschaftlichen Experten hatten erstellen lassen (siehe auch 5.3.4). In einem zweiten Schritt wurde der Berichtsentwurf den nationalen Delegierten des SPC vorgelegt. Diese hatten die Gelegenheit, Bedenken bzw. Einsprüche anzumelden. Die Kommission bot neben diesen Aussprachen im Plenum seit dem Jahr 2001 auch bilaterale Gespräche an, wobei sie dieses Kommunikationsinstrument in seiner Form und Gestalt an die bilateralen Gespräche innerhalb der Europäischen Beschäftigungsstrategie anlehnte (vgl. Ferrera et al. 2002: 234). Bei den Gesprächsrunden, die von den Regierungen nicht in Anspruch genommen werden mussten, hatten Delegationen22 aus den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, mit dem jeweiligen Länderex22
Bei den Abordnungen handelte es sich nicht zwangsweise um die Mitglieder des SPC. Vielmehr konnte jedes Land frei entscheiden, wen es zu den Treffen entsendet.
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perten der Kommission die Darstellung des eigenen Landes in dem Gemeinsamen Berichtentwurf zu diskutieren und Unstimmigkeiten zu klären. One thing you [member of the European Commission, die Verfasserin] will always do (...) is reading the facts correctly that we understand thing correctly, when member states report something that we do not misread it. Therefore, you correct facts and you would also correct interpretations and the member states want you to say nice things about them. So you go through a very degree of negotiation. (EU 12)
Sie konnten dabei sowohl die kritischen Analysen der Kommission mit derselben erörtern als auch die Sichtweise ihrer Regierung darlegen und deren Interpretationen der nationalen Situation vorstellen. Ziel war es, einen Kompromiss zu finden, auch wenn die Ergebnisse der Gespräche für keine Seite bindend waren. Anschließend wurde der Bericht erneut im Plenum diskutiert. Da meistens in Vorabsprachen bzw. den bilateralen Gesprächen eine Einigung zwischen der GD (Beschäftigung und Soziales) und den Regierungen erzielt werden konnte, wurde das Dokument in der Regel nach zwei Sitzungen einstimmig angenommen. Möglich war aber auch, dass bestimmte Kritikpunkte vonseiten der Mitgliedstaaten (erneut) vorgebracht wurden und geklärt werden mussten. (...) also wenn die Deutschen sagen, das hatten wir aber in bilateralen Gesprächen anders besprochen und wir haben das nicht eingefügt, dann muss ich sagen, wir sehen das halt anders. (...) Wir hatten letztes Jahr ein solches Problem, ich glaube nicht, dass das dieses Jahr am 14. Dezember [im Jahr 2005] einfach gehen wird, (...) Also die müssen sich letztlich erst am 14. Dezember festlegen, aber wir wollen schon, dass sie sich vorher äußern. Man will ja auch nicht so eine 25-köpfige Delegation mit deutschen Sachen belästigen. Aber entscheidend ist, dass sie am 14. sprechen. Wenn sie am 14. nicht sprechen, haben sie akzeptiert. (EU16)
Konnte im SPC ein Konsens erzielt werden, wurde der Bericht dem Rat (Beschäftigung und Soziales) übermittelt, der ihn dem Europäischen Rat auf seinem Frühlingsgipfel vorlegte. Jener nahm ihn zur Kenntnis und leitete gegebenenfalls auf seiner Grundlage Schritte zur Modifizierung der OMK/Inklusion bzw. eine weitere Runde der Nationalen Aktionspläne ein. Die Gemeinsamen Berichte über Soziale Eingliederung teilten sich in zwei große Blöcke: Im ersten Teil wurden die europaweiten Veränderungen im Bereich soziale Eingliederung generell dargelegt (horizontaler Teil). Hierbei wurden zunächst auf Basis der gemeinsamen Indikatoren und der NAPs die soziostrukturellen Entwicklungen innerhalb der EU zum Thema soziale Ausgrenzung untersucht und gemeinsame Herausforderungen für die Zukunft herausgearbeitet. Daran anschließend wurden gefragt, inwieweit die NAPs den europäischen Vorgaben gerecht werden. Schließlich wurden im ersten Teil die Reformstrategien zur Erfüllung der vier Ziele dargelegt und Bewährte Praxisbeispiele genannt. Im zweiten Teil der Berichte wurden die sozialpolitische Situation in den einzelnen
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Ländern sowie die wichtigsten Ergebnisse aus den jeweiligen NAPs im Detail vorgestellt (Länderteil). In den Berichten wurde dementsprechend bis zum Jahr 2004 sowohl die europaweiten als auch die nationalen Entwicklungen im Bereich soziale Eingliederung untersucht. Seit der Straffung der drei OMK-Prozesse im Jahr 2005 werden in den Gemeinsamen Berichten über Sozialschutz und soziale Eingliederung die Bereiche soziale Eingliederung, Rente sowie Gesundheit und Langzeitpflege zusammen besprochen (siehe 9.1). Die Teilung der Berichte in die zwei Blöcke wurde beibehalten. Auch werden die Entwicklungen in den drei Bereichen getrennt untersucht. Allerdings fallen die Analysen und Bewertungen für den Bereich soziale Eingliederung deutlich kürzer aus, als dies bei den eigenständigen Berichten der Fall war. Untersucht man, inwieweit die Gemeinsamen Berichte über soziale Eingliederung die nationalen Entwicklungen kritisch hinterfragten und bewerteten. So zeigt sich, dass die GD (Beschäftigung und Soziales) mit dem Versuch scheiterte, die Ergebnisse der Gemeinsamen Berichte in Empfehlungen münden zu lassen, da sich die meisten Regierungen nach ihren Erfahrungen mit dem „Blauen Brief“ bei den Maastricht-Kriterien nicht mehr auf ein solches öffentlichkeitswirksames Instrument einlassen wollten. Mehrheitlich abgelehnt wurde von ihnen auch der Vorstoß der Kommission, in dem Gemeinsamen Bericht ein naming, shaming and blaming einzuführen, da sie negative Konsequenzen für die eigene Position in den Heimatstaaten befürchteten (vgl. Armstrong 2003: 21f). Dieser Bericht stellt nicht den Anspruch, die Effektivität der Sozialsysteme in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu bewerten. Er konzentriert sich vielmehr auf die Analyse der verschiedenen Ansätze (...). Der Bericht untersucht die NAP (Eingliederung), indem er sich auf die Qualität der Analyse, die Klarheit der Ziele, die Prioritäten und Zielvorgaben konzentriert sowie auf den Umfang eines strategischen und integrierten Ansatzes. In dieser Weise bekundet der Bericht das politische Engagement der Mitgliedstaaten, den neuen Prozess zur Förderung der sozialen Eingliederung anzuwenden, um ihre Bemühungen zu verstärken im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung. (Rat Beschäftigung und Sozialpolitik 2001: 5)
In den Berichten wurde somit qua Definition auf eine explizite Bewertung der Politiksysteme bzw. die Durchführung von Benchmarkingverfahren mit einem Ranking verzichtet. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Gemeinsamen Berichte über soziale Eingliederung (wie später die Gemeinsamen Berichte über soziale Eingliederung und Sozialschutz) die zentralen Dokumente für die OMK/Inklusion auf europäischer Ebene waren. In ihnen wurden die Entwicklungen in den nationalen Feldern analysiert und das weitere Vorgehen im europäischen Feld vorbereitet. Geprägt waren sie von einem Zusammenspiel zwischen der GD (Beschäftigung und Soziales) und nationalen Delegationen. Auf der einen Seite beeinflusste die
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Generaldirektion durch die Erstellung eines Berichtentwurfs die Grundausrichtung der Papiere, sodass sie mehr waren als der kleinste gemeinsame Nenner der Regierungen. Auf der anderen Seite spielten die nationalen Mitglieder ihre Vetoposition im SPC aus. Die Gemeinsamen Berichte über soziale Eingliederung konzentrierten sich primär darauf, ein gemeinsames Wissen über die aktuellen Entwicklungen im Bereich der sozialen Eingliederung aufzubauen und Bewährten Praktiken darzulegen, während kritische Analysen der nationalen Reformen oder der Aufbau eines Handlungsdrucks auf die Regierungen tendenziell selten waren. Auch wurden sämtliche Vorstöße der Generaldirektion, die zu einem kritischen Hinterfragen der Regierungsprogramme hätten führen könnten, von den nationalen Delegationen verhindert. Dies wird von wissenschaftlicher Seite oft kritisiert, da der Bericht nur einen Nutzen habe, „if it goes beyond simple, purely descriptive reporting. It has to meet the challenge of providing a sound critical analysis“ (Atkinson et al. 2004: 49).
5.3.5 Problembezogenes Lernen und Aufbau von transnationalen nichtstaatlichen Beziehungen: Das Aktionsprogramm Das Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung (2002-2006) war der zweite Handlungsstrang der OMK/Inklusion (vgl. Ferrera et al. 2002: 11ff, Rat 2002c). Verabschiedet wurde der Kommissionsvorschlag des Programms im Dezember 2001 durch den Rat (Beschäftigung und Soziales) und das Europäische Parlament. Es startete im Januar 2002 für fünf Jahre. Beteiligt daran waren neben den Mitgliedstaaten der EU auch mögliche Beitrittskandidaten und die EFTA-Staaten. Mit dem Programm wurden drei Ziele verfolgt, die seit dem Jahr 2007 als Teil des Gemeinschaftsprogramms für Beschäftigung und soziale Solidarität (PROGRESS) weitergeführt werden: ¾ Aktionsbereich 1: Das Verständnis von sozialer Ausgrenzung und Armut zu verbessern, ¾ Aktionsbereich 2: Die konzeptionelle Zusammenarbeit und den Austausch der gegenseitig gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen der nationalen Aktionspläne zu fördern, ¾ Aktionsbereich 3: Die Fähigkeiten der Akteure, soziale Ausgrenzung und Armut wirksam zu bekämpfen, auszubauen und durch Netzwerkarbeit auf europäischer Ebene einen Dialog zwischen allen zuständigen Akteuren und Organisationen aufzubauen (Rat 2002c, Europäische Kommission 2003a). Im Gegensatz zu dem Europäischen Sozialfond sollen mit den Programmen „keine spezifischen Projekte vor Ort“ (Europäische Kommission 2002d:2) unter-
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stützt werden, vielmehr geht es um die Förderung transnationaler Lernprojekte von staatlichen Stellen und von NGOs. In diesem Abschnitt wird nachgewiesen, dass die Regierungen durch das Programm und seinen Nachfolger die Möglichkeit erhalten, von anderen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen in Hinblick auf konkrete Fragestellungen zu lernen und sich im Rahmen der Ratspräsidentschaft im sozialpolitischen Bereich zu profilieren. Ferner ermöglichen die Programme, den nichtstaatlichen Akteuren und Organisationen transnationale und nationale Beziehungen untereinander und zu anderen Organisationen aufzubauen und sich an den europäischen Debatten zu beteiligen. Schließlich nutzt die Kommission Instrumente wie das Aktionsprogramm, um die eigene Position im europäischen Feld zu stärken. Auf diesen Thesen aufbauend werden im Folgenden zunächst solche Maßnahmen untersucht, die das europäische Wissen über soziale Ausgrenzung vergrößern, bzw. die transnationale Austauschprozesse anregen sollen. Anschließend werden die Maßnahmen analysiert, die den europäischen nichtstaatlichen Sektor stärken sollen. Herausgearbeitet wird in beiden Abschnitten, wem diese Maßnahmen am meisten auf europäischer Ebene nutzen. In einem weiteren Schritt wird der Evaluierungsbericht des Aktionsprogramms dargestellt, und auf seiner Basis werden die Erfolge und Schwächen des Aktionsprogrammes aufgezeigt. Ein Ziel des Aktionsprogramms und später von PROGRESS ist, das Wissen über die Merkmale und Ursachen von sozialer Ausgrenzung auszubauen. Hierfür werden von der GD (Beschäftigung und Soziales) – in Abstimmung mit den beteiligten Regierungen – Aufträge an Wissenschaftler bzw. wissenschaftliche Institute vergeben, die ausgemachte Erkenntnislücken über die Situation und die Hintergründe von sozialer Ausgrenzung in den Mitgliedstaaten schließen sollen. Ferner werden Forschungsprojekte von Eurostat über die Einkommens- und Lebensbedingungen in der EU unterstützt, mit deren Hilfe die Situation in den Mitgliedstaaten stärker vergleichbar gemacht werden soll (vgl. Europäische Kommission 2005b: 5). Genutzt werden die wissenschaftlichen Studien vor allem von der Generaldirektion, die damit die eigene Argumentation in den europäischen Debatten unterfüttert. Darüber hinaus gibt die Generaldirektion Studien über die nationalen Reformen und Entwicklungen in Auftrag. Erstellt werden sie zumindest für die westeuropäischen Staaten überwiegend von solchen nationalen Wissenschaftlern, mit denen die Kommission schon im Zuge der früheren Armutsprogramme Kontakt hatte. Diese regierungsunabhängigen Berichte dienen den Kommissionsbeamten später als eine wichtige Informationsquelle für die Erstellung ihres Gemeinsamen Berichtentwurfs (siehe auch 5.3.4). Ein weiteres Ziel der Programme besteht darin, innovative Handlungsansätze zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung unter den staatlichen, lokalen und nichtstaatlichen Akteuren und Organisationen zu verbreiten. Dafür werden ver-
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schiedene Maßnahmen unterstützt, die einem transnationalen und seit dem Jahr 2004 auch einem nationalen Lernen dienlich sind. Erstens werden im Rahmen der Programme Peer-Review-Verfahren durchgeführt, die sich vor allem in drei Punkten von den Peer-Reviews im SPC unterschieden. Einmal nehmen nicht alle, sondern nur einige an dem Thema interessierte Staaten teil. Neben der Regierung, die als Gastgeber das Verfahren organisiert, sind dies in der Regel zwischen sechs und acht Regierungen. Weiter werden lokale und nichtstaatliche Akteure in das Verfahren einbezogen.23 Bei den Treffen werden schließlich konkrete Probleme und Sachfragen untersucht und diskutiert, d. h. ein problembezogenes Lernen steht im Mittelpunkt. Therefore, in the case of Belgium it was activation, in the case of France it would be mainstreaming social inclusion (...) in their budget. (...) So they present a policy other member states are effected. (EU14)
Das Ziel der Reviews liegt somit in einem Austausch von konkreten Lösungsmodellen durch nationale Experten zu bestimmten Problemen.24 Zweitens soll mithilfe transnationaler Austauschprogramme sowohl die nichtstaatliche Zusammenarbeit grenzüberschreitend verbessert als auch die Verbreitung von Innovationen gefördert werden. Die GD (Beschäftigung und Soziales) unterstützt hierbei finanziell und organisatorisch auswählte Projekte von nichtstaatlichen Organisationen. In den Projekten können sich NGOs zusammen neue Arbeitstechniken (z.B. die Nutzung von neuen Technologien) erarbeiten oder wechselseitig die jeweiligen Lösungskonzepte zu bestimmten Themen kennenlernen. Seit dem Jahr 2004 werden drittens sogenannte Sensibilisierungsprojekte gefördert. Mit den hier finanzierten Projekten soll eine nationale Öffentlichkeit für die OMK/Inklusion geschaffen bzw. die Medien für das Thema sensibilisiert werden. Diese Projekte stellen insofern eine Besonderheit des Programms dar, als durch sie erstmals ausschließlich nationale Maßnahmen finanziert werden. Möglich wurde dies, da die GD (Beschäftigung und Soziales) auf eine solche Ausdehnung des Programmes drängte und die Sozialpolitiker in den Maßnahmen keine Gefahr für die eigenen Kompetenzen sahen. Vielmehr werteten sie sie als Chance, die eigene Position im nationalen Feld zu stärken. Festgehalten werden kann, dass durch die beiden Aktionsbereiche versucht wird, das Wissen auf eu23
24
An einem Review nehmen gemäß dem Leitfaden teil: Jeweils ein Beamter und ein nationaler Experte aus dem Gastgeberland sowie aus jedem Peer-Land; bis zu drei Beamte der Europäischen Kommission und bis zu vier nationale wie europäische Repräsentanten der Interessenvertretungen, die in dem untersuchten Politikfeld tätig sind. Anschließend werden die Ergebnisse der Reviews von wissenschaftlichen Instituten ausgewertet, mit denen diesbezügliche Verträge abgeschlossen wurden und besondere Erfolgsgeschichten auf einer speziellen Seite im Internet veröffentlicht.
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Soziale Eingliederung in Europa
ropäischer Ebene über die Situation in den Mitgliedstaaten zu verbessern, einen transnationalen Austausch zu konkreten Fragestellungen zwischen staatlichen, nichtstaatlichen und lokalen Akteuren zu fördern und seit dem Jahr 2004 nationale Projekte zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu unterstützen, wobei bei einzelnen Projekten auf bestehende Strukturen zurückgegriffen wird. Hauptprofiteure der Maßnahmen sind die GD (Beschäftigung und Soziales), die damit ihre Position im europäischen Feld und im geringeren Maß auch in den nationalen Feldern stärken konnte, und interessierte Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und lokale Behörden, die durch die Projekte von anderen lernen können bzw. die mithilfe der Sensibilisierungsprojekte die soziale Dimension in den nationalen Diskussionen stärken können. Das dritte Ziel der Programme besteht darin, den Aufbau einer transnationalen Zivilgesellschaft zu unterstützen. Dafür werden europäische Netzwerke finanziell gefördert, die teilweise im Zuge des dritten Armutsprogramms Ende der 1980er Jahre gegründet worden waren (siehe 5.2.6).25 Diese Organisationen sollen nach dem Dafürhalten der Kommission dazu beitragen, die Kontakte zwischen den nationalen NGOs zu stärken sowie dem nichtstaatlichen Sektor mehr Gewicht auf europäischer Ebene zu verleihen. Sie sind somit Dachverbände für nationale NGOs und Lobbygruppe gegenüber den europäischen Organen, ohne praktische wohlfahrtsstaatliche Aufgaben zu übernehmen. In vielen Fällen wurden in den 1990er Jahren Unterorganisationen gegründet, die auf nationaler Ebene die Arbeit der dort agierenden NGOs koordinieren und den intraorganisationalen Austausch stärken, wobei sie keine finanzielle Unterstützung durch die Programme erhalten. Weiter werden Runde Tische mit dem Ziel initiiert, die Kontakte der nationalen wie der europäischen NGOs untereinander sowie zu den politischen Akteuren und den Sozialpartnern auszubauen und zu verbessern. Bei den zweitägigen Konferenzen diskutieren interessierte NGOs, Sozialpartner und politische Akteure ein bestimmtes Thema im Bereich soziale Eingliederung. Entscheidenden Einfluss auf einen Runden Tisch hat die jeweilige Ratspräsidentschaft, die sowohl das Thema vorgibt als auch die Veranstaltung im eigenen Land mithilfe der Kommission sowie der Europäischen Netzwerke organisiert. Neben den Diskussionsrunden werden in der Regel auch Beispiele von bewährten Praktiken des Gastgeberlandes besucht. Die Initiative zu dem ersten Runden Tisch kam im Oktober 2002 von der dänischen Ratspräsidentschaft. Seitdem hat es sich eingebürgert, dass jede Ratspräsidentschaft des zweiten Halbjahres eine solche Konferenz organisiert. Dagegen richtet die Ratspräsidentschaft des ersten 25
Gefördert werden: Caritas Europa, Eurochild, European Anti-Poverty Network (EAPN), Europäischen Sozialen Netzwerk (ESN), European Federation of National Organisations working with the Homeless (FEANTSA), European Transregional Network for Social Inclusion (RETIS).
Die Instrumente der OMK/Inklusion
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Halbjahres mit Unterstützung der GD (Beschäftigung und Soziales) und der Europäischen Netzwerken einen Workshop mit Betroffenen in Brüssel aus. Mit dieser Maßnahme soll von sozialer Ausgrenzung Betroffenen eine Plattform auf europäischer Ebene gegeben werden. Der Anstoß zu den Treffen kam in diesem Fall von der belgischen Ratspräsidentschaft im Jahr 2001 (siehe auch 5.2.5). Es kann festgehalten werden, dass auf Initiative der GD (Beschäftigung und Soziales) sowie einiger interessierter Ratspräsidentschaften versucht wird, eine europäische Zivilgesellschaft zu etablieren und zu stärken. Auf bestehende Kontakte und Strukturen aufbauend werden einige ausgewählte europäische Netzwerke unmittelbar finanziell gefördert und den nationalen wie den europäischen nichtstaatlichen Organisationen und Akteuren eine Plattform auf europäischer Ebene gegeben. Von Beginn an war geplant, das Aktionsprogramm nach zwei Jahren von externen Experten evaluieren zu lassen (vgl. Europäische Kommission 2001a/b). Die beauftragten Wissenschaftler besuchten dafür sämtliche Projekte und werteten die bestehende Projektdokumentation aus. Mit der Evaluierung sollten die Programmausschreibungen und die Betreuung der Projekte durch die Kommission verbessert werden. Sie begann im Jahr 2003 und endete im Jahr 2005. In dem Evaluierungsbericht werden besonders die Berichte der Nichtregierungsexperten sowie die Europäischen Netzwerke als ein Erfolg gewertet (vgl. Europäische Kommission 2005b). Die regierungsunabhängigen Berichte würden ein umfassendes und kritisches Bild über die Situation in den Nationalstaaten liefern, und auch die Netzwerke würden ihrer Aufgabe als Bindeglied zwischen den nationalen und der europäische Ebene gerecht werden (vgl. Europäische Kommission 2005b). Die übrigen Maßnahmen werden generell als befriedigend bis sehr gut beurteilt, auch wenn einzelne Projekte als verbesserungswürdig beanstandet werden. Kritisiert wird an dem Programm, dass die Fragstellungen für die Maßnahmen und Initiativen in allen drei Aktionsbereichen oftmals sehr weit gefasst seien. Auch würden die Ergebnisse einzelner Projekte (besonders der wissenschaftlichen Studien) größtenteils keine Resonanz im SPC bzw. bei den Regierungen finden (vgl. Europäische Kommission 2005b). Die offizielle Evaluierung zeigte demnach, dass gerade die nichtstaatlichen Netzwerke und die regierungsunabhängige Berichterstattung erfolgsversprechend sind. Als Hauptprobleme kristallisierte sich heraus, dass die Programmbeschreibungen oft weit gefasst und nur unzureichend mit den Debatten im Sozialschutzkomitee verknüpft sind. Mit den Programmen werden drei Ziele verfolgt. Erstens soll das Wissen über die sozialen Probleme in den einzelnen Staaten auf europäischer Ebene ausgebaut werden. Weiter soll ein Austausch zu bestimmten Themen und Problemen zwischen den nationalen und lokalen Behörden und den nichtstaatlichen Organisationen angeregt werden. Schließlich werden bestimmte Teile des euro-
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päischen Nichtregierungssektors gestärkt. In diesen Zielsetzungen spiegelt sich auch das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure und Organisationen wieder. So versucht die GD (Beschäftigung und Soziales) durch die Maßnahmen, ihre Durchsetzungsfähigkeit im europäischen Feld zu verbessern. Sie baut ihr Wissen über die Mitgliedstaaten aus und stärkt damit die eigene Argumentation. Weiter verwendet sie die Gelder der Programme, um ihre nichtstaatlichen Partner auf europäischer Ebene zu festigen. Die hierdurch finanzierten europäischen Netzwerke haben sich denn auch zu wichtigen Kräften im europäischen Feld entwickelt, die maßgeblich den transnationalen Austausch zwischen den nationalen NGOs mitgestalten. Darüber hinaus werden mit den Sensibilisierungsprogrammen auch unmittelbar in den nationalen Feldern wirkende Kampagnen unterstützt, wodurch die Kommission versuchen kann, direkt die nationalen Diskussionen zu beeinflussen. Dagegen nutzen interessierte Regierungen die Instrumente vor allem, um zu bestimmten Themen von anderen zu lernen. Auch kann ein Austausch mit nichtstaatlichen Organisationen zustande kommen. Schließlich können sie sich im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaften mithilfe der Programme im Bereich der sozialen Eingliederung profilieren und im gewissen Maße ein Agenda Setting betreiben. Gleichzeitig wurden aber auch die Grenzen deutlich: So verhinderten die Mitgliedstaaten schon bei der Konzeption der Maßnahmen den Aufbau eines Förderprogrammes für nationale Projekte zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung, also eine Art Europäischer Sozialfond für den Bereich soziale Eingliederung. Auch handelt es sich bei allen Maßnahmen um punktuell wirkende Projekte, die daher nur im begrenzten Ausmaß die nationalen Entwicklungen beeinflussen können. Schließlich weist gerade der Evaluierungsbericht darauf hin, dass es bis zum Jahr 2005 nicht gelungen war, beide Handlungsstränge der OMK/Inklusion effizient und wirkungsvoll miteinander zu verknüpfen.
5.3.6 Zwischenresümee: Abstrakte und konkrete Lernchancen In der Literatur wird mehrheitlich angenommen, dass die Instrumente einer OMK zu verschiedenen Lernprozessen auf europäischer Ebene führen, die durch informelle Druckmittel verstärkt werden (vgl. u.a. Zeitlin 2005a, Trubek/Trubek 2005a, Jacobsson 2004b, Borrás/Jacobsson 2004). Dagegen zeigten meine Ergebnisse im Einklang mit Atkinson et al. (2004: 49f), dass der Prozess den nationalen Akteuren und Organisationen zwar Lernchancen bot. Gleichzeitig blieb den Regierungen aber ein relativ großer Interpretationsspielraum erhalten und der Handlungsdruck, der auf sie ausgeübt wurde, war relativ gering (siehe ähnliche Ergebnisse für die OMK/Pension Schludi 2003). Die Chancen, dass der Prozess die Sozialpolitiker nachhaltig beeinflusst, waren somit umso höher, je
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größer deren intrinsische Motivation war. Meine Analyse ergab auch, dass sowohl die Lernchancen als auch die Lernadressaten zwischen den einzelnen Instrumenten variieren. Besonders deutlich wurde dies beim Vergleich der beiden Handlungsstränge. Im Zentrum des ersten standen die Regierungen: Sie entwickelten im Rahmen des Verfahrens ein gemeinsames Verständnis von sozialer Eingliederung. Ferner erhielten sie die Möglichkeit, von anderen zu lernen und die eigenen Reformpläne zu reflektieren. Allerdings hatten sie sich auch die Möglichkeit vorbehalten, nationale Besonderheiten in den Mittelpunkt ihrer Analysen zu rücken und so einen Vergleich mit anderen zu vermeiden. Dagegen bot und bietet der zweite Handlungsstrang nicht nur den Regierungen, sondern auch lokalen Behörden und nichtstaatlichen Organisationen Lernchancen. Sie können von- und miteinander lernen, wie sie ihren Kampf gegen soziale Ausgrenzung effizienter und effektiver gestalten. Dabei konzentrieren sich allerdings sämtliche Maßnahmen auf konkrete Probleme, d.h. lediglich eine punktuelle Beeinflussung wird angestrebt. Auch richten sie sich nur an interessierte Akteure und Organisationen, d.h. der Handlungszwang ist hier noch geringer.
5.4 Die Leitbilder der OMK/Inklusion Sämtliche Instrumente der OMK/Inklusion beruhen auf einer bestimmten Vorstellung von sozialer Eingliederung, d.h. in den Zielen, Indikatoren und Gemeinsamen Berichten wird definiert, was soziale Eingliederung auf europäischer Ebene bedeutet. Somit entstehen europäische Leitbilder oder, um es mit Atkinson (2002: 632) zu sagen, „there are conceptual issues that need to be adressed.“ Die nationalen Akteure und Organisationen sind angehalten, ihre eigenen Maßnahmen danach auszurichten, auch wenn sie dieselben interpretieren und sie in den nationalen Kontext einordnen. Eine Analyse der europäischen Leitbilder erscheint aus zwei Gründen als notwendig: Zum einen soll herausgearbeitet werden, was mit der OMK/Inklusion inhaltlich erreicht werden soll und welches europäische Sozialmodell angestrebt wird (vgl. Amitsis et al. 2003: 83ff), zum anderen können nach meinem Dafürhalten nur so die nationalen Auseinandersetzungen mit dem Prozess verstanden werden. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass im Rahmen der OMK/Inklusion auf europäischer Ebene kein konkreter Handlungsansatz entwickelt wurde, wie eine Politik der sozialen Eingliederung auf nationaler Ebene zu gestalten ist, an den sich die nationalen Ebenen anlehnen sollen. Vielmehr wurde soziale Eingliederung im Untersuchungszeitraum als ein multidimensionales Phänomen verstanden, das den „Einsatz einer breit gefächerten Politik“ notwendig macht (Europäische Kommission 2000a: 6). Gezeigt wird nun, dass die europäischen Leit-
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bilder im Untersuchungszeitraum eine Kombination von verschiedenen nationalen und europäischen Vorstellungen waren. Folglich bildete sich nicht der kleinste gemeinsame Nenner heraus, sondern es wurden die unterschiedlichen Ideen addiert. Die Leitbilder verfügten dabei sowohl über eine inhaltliche als auch eine organisatorische Dimension. Auf der inhaltlichen Ebene wurde eine Doppelstrategie verfolgt: Zum einen wurden Bereiche herausgearbeitet, in denen die Anstrengungen zur sozialen Eingliederung verstärkt werden müssen. Zum anderen wurde angenommen, dass bestimmte Personengruppen in besonderem Maße von sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Ausgehend von dieser Herangehensweise wird im folgenden Abschnitt argumentiert, dass die thematischen Leitbilder sehr breit angelegt waren und damit vage blieben, während die Definition von besonders schützenswerten Personengruppen im Lauf der Zeit ausgedehnt und institutionalisiert wurde. Somit fand eine personenbezogene Konkretisierung der Leitbilder statt, was das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses war zwischen der Kommission, die eine Verfeinerung der europäischen Leitbilder anstrebte, und den Regierungen, die aufgrund der unterschiedlichen nationalen Handlungsansätze die Themenvielfalt gewahrt sehen wollten. Im zweiten Abschnitt wird dargelegt, dass die europäischen Leitbilder auch über eine organisatorische Dimension verfügten. Auf dieser Ebene wurde ein Modell entwickelt, welche Akteure daran beteiligt werden sollen. Im Gegensatz zu dem breiten Themenansatz wird hier nachgewiesen, dass sich ein relativ konkretes Leitbild herausbildete, wie soziale Ausgrenzung bekämpft werden soll. So galten die Stärkung des nichtstaatlichen Sektors, die Einbindung von Betroffenen und die Entwicklung von interministeriellen Strukturen als wichtigste Instrumente zur Förderung von sozialer Eingliederung. Dieses Leitbild konnte entwickelt werden, da die Regierungen hierin keinen Eingriff in ihren nationalen Wohlfahrtsstaat sahen und sich die Kommission dafür besonders einsetzte. Soziale Eingliederung wurde inhaltlich als ein mehrdimensionaler Prozess verstanden, bei dem den Bürgern die Möglichkeit gewährt wird, durch eine Beschäftigung an der Gesellschaft zu partizipieren. Darüber hinaus sollte ihnen vonseiten der nationalen Gesellschaften ein gewisser Lebensstandard garantiert, der Zugang zu sämtlichen wichtigen Ressourcen gesichert, präventive Maßnahmen eingeleitet und die Chancengleichheit zur Verwirklichung ihrer eigenen Ziele angeboten werden. In diesen Wahrnehmungs- und Deutungsschemata spiegelten sich sowohl nationale und europäische Ideale als auch verschiedene Interessen der beteiligten Akteure und Organisationen wieder, die im Folgenden genauer untersucht werden: Erstens wurde in sämtlichen europäischen Dokumenten betont, dass eine Erwerbslosigkeit das Hauptrisiko für soziale Ausgrenzung sei (u. a. Kommission 2000a, 2002a). Dies entsprach der in sämtlichen europäischen Gesellschaften verbreiteten, aber auch von der Kommission geteil-
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ten Vorstellung, dass Arbeit einer der zentralen Integrationsfaktoren in einer modernen Gesellschaft ist (vgl. Europäische Kommission 2000a, Kaelble 2004, Supoit 2004). Soziale Eingliederung sollte demnach durch eine aktivierende Beschäftigungspolitik gefördert werden. Gleichzeitig wurde jedoch auch darauf verwiesen, dass soziale Ausgrenzung mehr ist als der Verlust des Arbeitsplatzes. Sie wird sichtbar in einer oder mehreren Arten von Benachteiligungen und von Hemmnissen, die der vollen Beteiligung in Bereichen wie z. B. Bildung, Gesundheitsversorgung, Umwelt, Wohnungswesen, Kultur, Zugang zu Rechten oder Familienzulagen sowie Berufsbildung und Beschäftigungsmöglichkeiten entgegenstehen. (Europäische Kommission 2000c: 6f)
Darauf aufbauend wurde zweitens hervorgehoben, dass eine Politik der sozialen Eingliederung auch bedeutet, dass die Gesellschaft einen gewissen Lebensstandard garantiert. Hierbei wurde gefordert, dass den Menschen die notwendigen Mittel für ein menschenwürdiges Dasein zur Verfügung stehen. Ferner sollten Maßnahmen umgesetzt werden, die den Menschen einen ausreichenden Zugang zu einem gesunden Wohnraum, dem Gesundheitssektor, Ausbildung, Justiz etc. ermöglichen. Dieser Ansatz lehnte sich an das französische Leitbild der sozialen Kohäsion an, das vor allem die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber dem Bürger betont (vgl. Aust et al. 2002, Engels 2006)26. Diese Verzahnung lässt sich vor allem durch zwei Faktoren erklären (vgl. Marlier et al. 2007): Zum einen baute der Ansatz auf Kommissionsvorschlägen auf, die in den 1980er und 1990er Jahren entwickelt worden waren – einer Zeit, in der die Kommission stark von ihrem damaligen Präsidenten, dem Franzosen Jacques Delors, geprägt wurde (Atkinson/Davoudi 2000: 429, Aust et al. 2002, Palier 2004). Zum anderen wurden die ersten Vorgaben der OMK/Inklusion maßgeblich unter französischer Ratspräsidentschaft entwickelt. The term of social inclusion is French, (...), the French were the presidency in the second half of the year of 2000 when this was being created, so they were very energetic in creating the common objectives. (EU12)
Gleichwohl wurde der französische Ansatz nicht eins zu eins übernommen. Vielmehr zeigt sich hier eine Addition von verschiedenen Zielen und Interessen. So wurde in den Unterzielen der OMK/Inklusion nicht nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert, was dem französischen Leitbildern nahekommt, sondern auch hervorgehoben, dass der Erhalt der Solidarität in der Familie in allen ihren Formen besonderem Schutz bedürfe – eine Perspektive, die Staaten 26
Soziale Kohäsion besagt, dass dem Kollektiv die Aufgabe zukommt, für eine umfassende Absicherung eines jeden Bürgers und für einen (materiellen) Ausgleich zwischen den Bürgern zu sorgen (Neumann und Veil 2004: 15).
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wie Italien, aber auch Deutschland geschuldet ist. Drittens wurde betont, dass eine Politik der sozialen Eingliederung auf Prävention setzen sollte (vgl. u.a. Rat 2002b: 11f). Erklären lässt sich diese Ausrichtung maßgeblich mit einem Trend in vielen europäischen und nationalen Debatten seit Ende der 1990er Jahre weg von reaktiven hin zu präventiven Sozialmodellen. Viertens bestand ein Konsens unter den beteiligten Sozialpolitiker darüber, dass soziale Eingliederung nur auf Basis einer Chancengleichheit sichergestellt werden kann, was sich an dem angelsächsischen Sozialmodell orientiert (vgl. Palier 2004). Hintergrund für diese Entwicklung war auch hier eine Hinwendung vieler nationaler Regierungen und von Teilen der Kommission hin zu diesem individualistischen Modell von sozialer Eingliederung (vgl. Atkinson/Davoudi 2000, Palier 2004). Neben diesen allgemeinen Vorgaben wurde die Unterstützung von besonderen Gruppen betont. So war im ersten Ziel der OMK/Inklusion die Erarbeitung von begleitenden Programmen für die Angehörigen der sozial schwächsten Bevölkerungsgruppen angemahnt, bis diese eine Beschäftigung gefunden haben. Darüber hinaus wurde die Unterstützung von Gruppen, die am stärksten von sozialer Ausgrenzung bedroht sind, mit dem dritten Ziel Für die sozial Schwachen handeln als eigene Vorgabe definiert, die auch ein gesamtpolitisches Querschnittthema sein sollte. In der ersten Zeit der OMK/Inklusion waren in diesem Zusammenhang insbesondere Maßnahmen für Kinder, für Menschen mit Behinderung und für strukturschwache Regionen gefordert worden. Auch war von Beginn an die Gleichstellung von Mann und Frau als ein europäisches Anliegen definiert worden, das Bestandteil einer Politik der sozialen Eingliederung sein müsse. Die Schutzbedürftigkeit dieser Gruppen wurde im Lauf der OMK/Inklusion immer wieder bekräftigt und in den Dokumenten festgeschrieben (vgl. Rat 2002a, Europäische Kommission 2004). Des Weiteren wurden seit dem Jahr 2002 zu den besonders gefährdeten Gruppen Menschen mit Migrationshintergrund gezählt. Diese Institutionalisierung und Ausdehnung eines gruppenbezogenen Ansatz von sozialer Eingliederung kann auf einen Konflikt zwischen der GD (Beschäftigung und Soziales) und den nationalen Delegierten bei der Weiterentwicklung der europäischen Ziele zurückgeführt werden. Dem Vorhaben der Generaldirektion, die Themenziele zu konkretisieren, standen einige Regierungen kritisch gegenüber, weshalb der SPC an den allgemeinen Zielen festhielt und sich stattdessen auf das Herausarbeiten von Personengruppen konzentrierte, von denen einstimmig angenommen wurde, dass sie einen besonderen Schutz benötigen (u. a. Rat 2002a). Dabei wurde auf Debatten aus den nationalen bzw. aus anderen europäischen Feldern zurückgegriffen. So konstatierte die Mehrheit der Regierungen – unabhängig voneinander – eine besondere Schutzbedürftigkeit von Einwanderern in der ersten Generation der NAPs (Europäische Kommission 2002c). Diese Erkenntnis wurde im SPC herausgearbeitet und zu einer allgemeinen europäischen
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Leitidee umgewandelt. Dagegen ist Gender Mainstreaming ein rechtlich verankertes und wichtiges Thema auf europäischer Ebene (vgl. Ostner/Lewis 1998), das für die OMK/Inklusion aufgegriffen und in die Ziele eingearbeitet wurde. Die Betonung der Geschlechterfrage kann daher als ein Zugeständnis der Regierungen an die Kommission verstanden werden. Festgehalten werden kann, dass nur allgemeine Themenleitbilder entstanden, da sich einige nationale Regierungen gegen eine Konkretisierung aussprachen. Zu kritisieren ist an diesen Leitbildern daher im Einklang mit de la Porte 2005, dass sie keine konkreten Vorgaben für nationale Reformprozesse enthalten. Vielmehr behielten sich die Regierungen die Möglichkeit vor, eine Vielzahl an Maßnahmen unter dem Label „Soziale Eingliederung“ zu subsumieren. Wohl aber wurden durch die Übernahme von gemeinsamen Erkenntnissen und europäischen Rahmenbedingungen Personengruppen herauskristallisiert, die als besonders hilfsbedürftig identifiziert wurden. Bei der organisatorischen Frage, welche Akteure soziale Ausgrenzung in einer Gesellschaft bekämpfen können, wurde im europäischen Feld der OMK/Inklusion davon ausgegangen, dass der Staat eine Verantwortung seinen Bürgern gegenüber trägt. Gleichzeitig bestand jedoch auch ein Konsens unter den Beteiligten darüber, dass der Staat alleine nicht über ausreichende Ressourcen verfügt, alle seine Einwohner in die Gesellschaft zu integrieren. Vielmehr wurde betont, dass für eine umfassende soziale Eingliederungspolitik eine Mobilisierung aller Akteure notwendig sei. Gezeichnet wurde ein gesellschaftliches Bild, in dem staatliche, nichtstaatliche und lokale Organisationen soziale Ausgrenzung gemeinsam bekämpfen (vgl. Europäische Kommission 2002c, 2005b, Scott/Trubek 2002: 15). Dem Staat fiel bei dieser Arbeitsteilung vor allem die Aufgabe zu, die eigenen Kräfte zu bündeln und die verschiedenen gesellschaftlichen Prozesse zu koordinieren. So sollten die Regierung den Maßnahmen der übrigen Akteure und Organisationen einen rechtlichen Rahmen geben und – wenn nötig – finanzielle Unterstützung leisten. Auch bezüglich der OMK/Inklusion wurden die Regierungen angehalten, intraministerielle Kommunikationsstrukturen aufzubauen, die nichtstaatlichen, lokalen wie regionalen Akteure einzubinden und aktiv an der Gestaltung der NAPs zu beteiligen. Dieses Leitbild war im Vergleich zu den inhaltlichen Themen relativ konkret. Erklären lässt sich dies durch verschiedene Aspekte: Erstens war nach Palier (2004) eine Betonung und Stärkung der Zivilgesellschaft ein Steckenpferd der Kommission. Schon bei den vorangegangenen Aktionsprogrammen entwickelte die Kommission den Ansatz, wonach anstelle der bisherigen nationalen Systeme, die von den Regierungen dominiert werden, Netzwerke mit staatlicher und nichtstaatlicher Beteiligung treten sollten, welche die Eigenverantwortung de Bürger stärken (vgl. Atkinson/Davoudi 2000). Zweitens wurde eine Stärkung der nichtstaatlichen wie der lokalen Kräfte gerade von solchen Regierungen gefördert, deren
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Staatswesen auf dem Subsidiaritätsprinzip aufgebaut ist und bei denen die herausragende Rolle eben solcher Organisationen zum eigenen Staatsverständnis zählt. Drittens ließen sich Dezentralisierungstendenzen in ganz Europa im Bereich des Sozialschutzes ausmachen (z. B. in Großbritannien und Frankreich vgl. Armstrong 2006a, Neumann/Veil 2004), sodass das Leitbild auch als ein Abbild allgemeiner nationaler Trends gewertet werden kann. Durch die OMK/Inklusion entstanden im Untersuchungszeitraum sowohl inhaltliche wie organisatorische Leitbilder, die jedoch einen unterschiedlichen Konkretisierungsgrad aufwiesen. Relativ vage und allgemein gehalten war die inhaltliche Themenwahl. Betont wurden die Wichtigkeit des Arbeitsmarktes, die Sicherung eines gewissen Lebensstandards sowie eines Zuganges zu wichtigen Ressourcen, eine auf Prävention ausgerichteter Beschäftigungs- und Sozialpolitik und die Chancengleichheit. Konzentriert man sich nur auf diesen Aspekt, so wird deutlich, warum de la Porte et al. (2001: 299) an der OMK/Inklusion bemängeln, dass noch kein Leitbild existierte. Allerdings beschränkten sich die Leitbilder der OMK/Inklusion nicht auf die Themenauswahl, sondern umfassten auch Personengruppen, die als besonders schützenswert galten. Dieser Ansatz wurde im Untersuchungszeitraum nicht nur ausgedehnt sondern auch institutionalisiert. Neben diesen inhaltlichen Leitbildern wurden bei der OMK/Inklusion auch organisatorische Leitbilder entwickelt, was im Bereich der sozialen Eingliederung als Innovation zu gelten hat oder mit Armstrong (2003: 187) auch als „unique nature of the OMCinclusion“ bezeichnet werden kann. Einem inklusiven Regierungsmodell folgend wurden die Regierungen angehalten nicht nur die eigenen Anstrengungen zu erhöhen und stärker zu koordinieren, sondern auch regionale und lokale wie auch nichtstaatliche Kräfte in die OMK/Inklusion einzubinden und im Feld zu stärken. Geprägt wurden die europäischen Leitbilder von verschiedenen Faktoren: Erstens bestand ein Wechselspiel zwischen den europäischen Debatten und den nationalen Entwicklungen, da die nationalen Delegationen ihre Leitbilder, Probleme und Herausforderungen in die europäische Zusammenarbeit einbrachten. Es wäre somit einseitig, bei der OMK/ Inklusion nur von einer Europäisierung der nationalen Felder zu sprechen; denn auch die europäischen Prozesse werden von nationalen Entwicklungen geprägt. Zweitens entstanden sie in Diskussionen zwischen den nationalen Delegierten und der GD (Beschäftigung und Soziales). Sie waren daher mehr als der kleinste gemeinsame Nenner der Regierungen, da sie auch von GD Beschäftigung und Soziales beeinflusst wurden, die einen eigenen Ansatz einbrachte und vertrat. Schließlich wurden in die kollektiv geteilten Vorstellungen auch ebenenübergreifende Diskussionstrends und allgemeine, nicht hinterfragte Grundeinstellungen eingearbeitet.
Schlussfolgerungen
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5.5 Schlussfolgerungen Mit der OMK/Inklusion ist ein neues Feld im Bereich Sozialpolitik entstanden. Im Einklang mit meinem theoretischen Konzept kann festgehalten werden, dass sich das europäische Feld der OMK/Inklusion in einem Spannungsfeld aus europäischer Eigendynamik und nationalen Impulsen entwickelt hat. Im Zentrum meiner Untersuchung stand daher das Zusammenspiel von der GD (Beschäftigung und Soziales), den nationalen Delegierten, mehreren interessierten Ratspräsidentschaften und einigen europäischen Nichtregierungsorganisationen, die als Berater fungieren. Deren Kommunikationsprozesse weisen zum einen eine gewisse Eigendynamik auf, d.h. sie sind mehr als die Summe der nationalen Positionen. Besonders wichtig war hierfür die GD (Beschäftigung und Soziales), die durch kontinuierliche Vorarbeiten Akzente setzen konnte. Gleichwohl wurden auch Kopplungen mit den nationalen Feldern deutlich. So versuchten einige Ratspräsidentschaften erfolgreich, die Entwicklung der OMK/Inklusion in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ferner blockierten die nationalen Delegierten primär mithilfe ihrer Vetomöglichkeit bzw. der Androhung eines Vetos für ihre Regierungen unliebsame Entscheidungen. Für die Organisation der OMK/Inklusion bedeutet dies, dass vor allem die politisch wenig brisanten Netzwerke eingebunden wurden. Allerdings nutzt die GD (Beschäftigung und Soziales) für diesen zivilen Dialog bestehende Kontakte, weshalb es neue oder unabhängige NGOs schwerer haben, in die Kommunikationsprozesse eingebunden zu werden, als die durch die EG finanziell unterstützten europäischen Netzwerke und die (nur bedingt interessierten) europäischen Sozialpartner. Auch muss die Wirkung der nichtstaatlichen Organisationen insofern als eingeschränkt beurteilt werden, als dass sie nur eine konsultative Funktion haben. Dagegen sprach sich eine Mehrheit der Regierungen gegen eine Einbindung des Parlaments aus, da sie fürchtete, dass dies den nationalen Handlungsdruck erhöhen würde. Dass es gerade in Bereichen, die als politisch brisant gelten, zu starken Kopplungen zwischen dem europäischen und den nationalen Feldern kommt, bestätigte sich auch bei der Analyse der europäischen Instrumente. So spielten die nationalen Delegierten bei den politisch als bedeutsam geltenden Benchmarkingprozess rund um die Gemeinsamen Berichte oftmals ihre Vetoposition aus. Sie schrieben in den Umsetzungsmodalitäten der Ziele und Indikatoren fest, dass diese nur unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten angewandt werden können. Auch behielten sie sich bei der kritischen Beurteilung der nationalen Entwicklungen eine Vetoposition vor. Ferner wurde von ihnen ein öffentliches Ranking bzw. ein naming and shaming verhindert. Dagegen konnte sich die GD (Beschäftigung und Soziales) mit ihren Bemühungen nicht durchsetzen, möglichst konkrete Vorgaben zu erarbeiten, die kritischen Elemente der Instrumente zu stärken und
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den Prozess für möglichst viele Akteure und Organisationen zu öffnen. Bei Gemeinschaftsprogrammen hat die GD (Beschäftigung und Soziales) indes bis heute einen größeren Handlungsspielraum. Denn die Maßnahmen hier werden als politisch unbedeutend gewertet. Auch konnte hier auf bestehende Strukturen zurückgegriffen werden. Die Programme zielen darauf ab, auf europäischer und nationaler Ebene das Wissen über soziale Ausgrenzung zu vergrößern, einen transnationalen Austausch zwischen den staatlichen und den nichtstaatlichen Organisationen anzuregen und dem Thema auf europäischer Ebene eine Plattform zu geben. Die beiden Handlungsstränge unterscheiden sich vor allem in zwei Punkten. Einmal finanzieren die Programme nur einzelne Projekte, d.h. im Zentrum stehen problembezogene, zeitlich begrenzte Maßnahmen. Ferner richten sie sich an eine Vielzahl von staatlichen und nichtstaatlichen Adressaten. Die Auswirkungen der OMK/Inklusion auf nationaler Ebene werden somit nur deutlich, wenn sowohl der staatliche als auch der nichtstaatliche Sektor betrachtet werden. Die Kopplungen mit den nationalen Feldern beeinflussten jedoch nicht nur die Organisation des Feldes und seine Instrumente sondern auch die im europäischen Kontext verwendeten Leitbilder. So ist bis heute unklar, was eine Politik gegen soziale Ausgrenzung inhaltlich ausmachen soll. Denn hier wurden verschiedene nationale Ansätze addiert, ohne dass ein Gesamtbild entstand. Vielmehr wurden auch auf Basis von nationalen Irritationen Gruppen benannt, die als besonders schützenswert galten. Eine europäische Eigendynamik entwickelte sich dagegen bei der Frage, wie eine Politik der sozialen Eingliederung organisiert sein sollte. Bei der Analyse des europäischen Feldes offenbarte sich somit das organisatorische Paradox der OMK/Inklusion sehr deutlich: Mehrere Regierungen waren nur bereit an der OMK/Inklusion teilzunehmen, wenn auf evaluierende und die nationalen Systeme vergleichende Instrumente sowie konkrete Ziele verzichtet wird. Bezogen auf die in den OMK-Debatten oft betonten Lernchancen kann deshalb festgehalten werden: Sie waren sowohl für die staatlichen als auch die nichtstaatlichen Akteure und Organisationen gegeben, allerdings wurde den Regierungen ein großer Interpretationsspielraum gelassen (erster Handlungsstrang) bzw. war die Teilnahme nicht obligatorisch (zweiter Handlungsstrang). Folglich wurde nur ein geringer Handlungsdruck ausgeübt, deshalb war eine hohe intrinsische Lernbereitschaft der Regierungen notwendig, damit diese von der OMK/Inklusion profitieren konnten. Es wurde keine Konvergenz der nationalen Felder angestrebt, vielmehr wird eine Politik der sozialen Eingliederung unter Berücksichtigung der nationalen Eigentümlichkeiten vorangetrieben. Schließlich wurde auch deutlich, dass das europäische Feld nicht nur mit seinen Kopplungen zu den nationalen Feldern gesehen und verstanden werden darf. Vielmehr wurde das europäische Feld der OMK/Inklusion auch genutzt, um auf
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europäischer Ebene eigene sozialpolitische Akzente setzen zu können. Diesem gemeinsamen Interesse ist es auch zu verdanken, dass sich alle Regierungen an dem Verfahren beteiligen. Damit zeigt sich, dass die OMK/Inklusion nicht nur als eine sozialpolitische Lernchance wahrgenommen wird, sondern Teil eines umfassenderen Machtkampfes zwischen den sozialpolitischen und den beschäftigungs- bzw. wirtschaftspolitischen Kräften auf europäischer Ebene ist, der innerhalb der Kommission und den Regierungen geführt wird. Die OMK/ Inklusion und ihr Fortbestand können somit nur verstanden werden, wenn nicht nur das Verhältnis von nationalen Feldern und europäischer Arena sondern auch die europäischen Kopplungen berücksichtigt werden.
6 Die Offene Methode der Koordinierung in Deutschland
Eine flächendeckende soziale Absicherung der Bevölkerung und eine durch die staatlichen Leistungen erfolgreiche Bekämpfung von Armut gelten im deutschen Feld als grundlegende Errungenschaften des modernen Nationalstaates und als Garant für einen langfristigen sozialen Frieden (vgl. Bonß/Ludwig-Mayernhofer 2000). Auch aufgrund dieser gesellschaftlich fest verankerten hohen Wertschätzung der nationalen Wohlfahrtspolitik zählt die Bundesregierung bei sozialpolitischen Initiativen der EU oftmals zu den zögernden Organisationen. So legte sie Anfang der 1990er Jahre gemeinsam mit der britischen Regierung ein Veto gegen das vierte Armutsprogramm ein. Auch betonte sie in vielen europäischen Debatten das Subsidiaritätsprinzip, für dessen Verankerung im Vertrag von Maastricht sie sich mit Erfolg einsetzte (vgl. Kaufmann 1997). Die Haltung der deutschen Politiker gegenüber einer europäischen Sozialpolitik muss somit als eher skeptisch bezeichnet werden. Europäische Initiativen werteten sie oftmals als eine unangemessene Einflussnahme auf den eigenen Sozialstaat, was gegen eine positive Aufnahme der OMK/Inklusion im deutschen Feld spricht. Hinzu kommt, dass der deutsche Sozialstaat in der Mehrheit der Bevölkerung und in der Politik als Erfolgsmodell galt, indem Bedürftigkeit und Arbeitslosigkeit vor allem als Folge von Systemlücken gewertet wurden. So wurde zwar seit Ende der 1990er Jahren über Armut und die hohe Zahl an staatlichen Leistungsempfängern debattiert, jedoch war die Regierung der Ansicht, dass die bereits angestoßenen Reformen ausreichen würden, um diese Systemfehler zu beheben und damit die bestehenden sozialen Probleme zu lösen. Bezüglich der OMK/ Inklusion wird deshalb angenommen, dass den europäischen Maßnahmen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung von nationalstaatlicher Seite mit Zurückhaltung begegnet bzw. kein Handlungsbedarf für das eigene Feld gesehen wurde und der Prozess daher kaum Auswirkungen auf die nationale Politik hatte. Umgekehrt hatten sich die deutschen Wohlfahrtsorganisationen bereits in den 1980er Jahren aktiv an der Entwicklung von europäischen nichtstaatlichen Netzwerken beteiligt. Sie waren schon damals offen für einen transnationalen Erfahrungsaustausch gewesen, da sie in den europäischen Debatten eine Chance sahen, die nationale Situation sowie die eigenen Leitbilder kritisch zu hinterfragen und
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Die OMK/Inklusion in Deutschland
mithilfe eines internationalen Vergleichs zu reflektieren. Auf Basis dieser Rahmenbedingungen wird daher argumentiert, dass die Akteure und Organisationen aus dem nichtstaatlichen Sektor aktiv an den europäischen Debatten und Lernprozessen partizipierten und die Ergebnisse in die eigenen Diskussionen einbrachten. Gezeigt wird, dass die OMK/Inklusion zu keiner grundlegenden Neuausrichtung der nichtstaatlichen Debatten und Maßnahmen führte, wohl aber zu einer Modifizierung der Leitmodelle beitrug. Darüber hinaus stärkte sie die nationalen und internationalen Austauschbeziehungen der NGOs. Im Folgenden wird zunächst das bisherige Feld skizziert und herausgearbeitet, welche Reformen im Untersuchungszeitraum durchgeführt wurden (6.1). Im Anschluss daran wird untersucht, wie die OMK/Inklusion in Deutschland organisiert wurde und welche Haltung die beteiligten Akteuren und Organisationen ihr gegenüber einnehmen (6.2). Darauf aufbauend werden die Auswirkungen des Prozesses auf die Debatten und Reformen in Deutschland, aber auch mögliche Barrieren analysiert (6.3). Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und die wichtigen Faktoren, die die Implementierung der OMK/Inklusion im deutschen Feld beeinflussen (im positiven wie im negativen Sinn) herausgearbeitet (6.4).
6.1 Soziale Eingliederung in Deutschland Der deutsche Sozialstaat wird der konservativen Wohlfahrtsfamilie zugerechnet (vgl. Esping-Andersen 1999), d. h. er ist darauf ausgerichtet, den Lebensstandard der sozialversicherten Arbeitnehmer sowie ihrer Familienangehörigen zu sichern. Soziale Ausgrenzung wird im deutschen Feld traditionell mit Armut und Arbeitslosigkeit gleichgesetzt, wobei diesen beiden Probleme lange Zeit mit einer kontinuierlichen Erhöhung und Expansion der Leistungen bekämpft wurde (vgl. Zacher 2000). Seit Ende der 1990er Jahre werden jedoch in der öffentlichen und staatlichen Wahrnehmung verstärkt die Grenzen dieses Handlungsansatzes problematisiert (vgl. Kaufmann 1997). So galten im Untersuchungszeitraum insbesondere die konstant hohe Zahl an Leistungsempfängern und das hohe Armutsrisiko von körperlich schwachen Menschen als inakzeptabel und ein gesellschaftliches Problem (vgl. BMAS 2001b: XXII, 19). In den Jahren 2000 bis 2005 konzentrierten sich die damaligen Regierungen deshalb auf die Integration von Langzeitarbeitslosen bzw. Sozialhilfeempfängern in den Arbeitsmarkt und die Bekämpfung von verdeckter Armut. In diesem Abschnitt wird nun nachgewiesen, dass die beiden Entwicklungen in einer Modifizierung der staatlichen Maßnahmen mündeten. Gleichwohl wird aber auch deutlich, dass dies weder inhaltlich noch organisatorisch zur Bildung einer holistischen Politik der sozialen Eingliederung führte. Dafür werden zunächst die Reformen untersucht (6.1.1).
Soziale Eingliederung in Deutschland
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Herausgearbeitet wird, dass die Bekämpfung von (verdeckter) Armut und die Aktivierung von Erwerbslosen in einem inkrementellen Wandel der sozialen Sicherungssysteme resultierten, ohne dass hierbei ein umfassender Handlungsansatz zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung entwickelt wurde. Anschließend wird gezeigt, dass oftmals einzig der Armuts- und Reichtumsbericht die verschiedenen Maßnahmen im Bereich der sozialen Eingliederung miteinander verknüpfte (6.1.2). Die abschließende Analyse der Kompetenzverteilung legt offen (6.1.3), dass in der hier untersuchten Zeitperiode nicht nur der politische Ansatz von sozialer Eingliederung zergliedert blieb, sondern auch die Kompetenzen breit verteilt sind.
6.1.1 Armut als bekämpftes Phänomen und die Aktivierung von Leistungsempfängern Die Sozialpolitik ist in Deutschland geprägt von arbeits- und berufsethischen Werten (vgl. Lahusen/Stark 2003: 367). Gesellschaftlicher Konsens ist, dass sich die Bürger ihr Einkommen und ihre Ansprüche auf eine soziale Absicherung durch eine Arbeitsstelle verdienen sollen und so vor Armut27 geschützt werden (vgl. Eichenhofer 2003: 143ff). Following this social policy conception, status preservation rather than redistribution is the central objective of the welfare schemes. (Alber 1988: 100)
All den Staatsbürgern, die aufgrund ihrer verminderten Erwerbsfähigkeit nicht selbst für sich sorgen können und daher über kein ausreichendes Einkommen verfügen, soll dagegen eine staatliche Unterstützung in Höhe eines gesetzlich definierten soziokulturellen Existenzminimums gewährt werden. Wer nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder in besonderen Lebenslagen sich selbst zu helfen und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält, hat ein Recht auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem besonderen Bedarf entspricht, ihn zur Selbsthilfe befähigt, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert. (§ 9 SBG I)
Verhindert werden soll Armut demnach entweder durch die gesetzlichen Sozialversicherungen oder staatliche Fürsorgeleistungen. Erstere sichert insbesondere die sozialversicherten Arbeitnehmer und deren erwerbslose Familienangehörige
27
Grundsätzlich gilt, dass Armut in Deutschland als relativer Begriff verwendet wird, d.h., Armut wird in Abhängigkeit zum jeweiligen Wohlstandsniveau in Deutschland zu einem bestimmten Zeitpunkt definiert (vgl. Jacobs 2000: 243).
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Die OMK/Inklusion in Deutschland
gegen diverse soziale Risiken ab,28 wobei sie mit Ausnahme der Rentenversicherung darauf abzielen, möglichst schnell und nachhaltig die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen. Die monetären Leistungen aller Versicherungen orientieren sich an dem vorangegangenen Einkommen und dienen einer Sicherung des Lebensstandards. Sie stellen weder ein Mindesteinkommen dar, noch sind sie auf die Bedürfnisse der Betroffenen ausgerichtet (vgl. Schulte 2000: 26). Alle Bedürftigen, die nicht anderweitig unterstützt werden und deren Einkommen unterhalb einer gesetzlich definierten Grenze liegt, haben Anspruch auf staatliche Fürsorgeleistungen. Die im Jahr 1961 eingeführte Sozialhilfe gilt dabei als „letztes Auffangnetz“ (BMAS 2001b: XXII). Sie leitet sich aus der Fürsorgepflicht des Staats gegenüber seinen Bürgern ab (vgl. Eichenhofer 2003: 277ff) und soll eine vorübergehende Hilfe in Notlagen sein.29 Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Leistung soll sie so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; darauf haben auch die Leistungsberechtigten nach ihren Kräften hinzuarbeiten. Zur Erreichung dieser Ziele haben die Leistungsberechtigten und die Träger der Sozialhilfe im Rahmen ihrer Rechte und Pflichten zusammenzuwirken. (§1 SGB XII)
Finanziert wird sie durch Steuern, d. h. die Betroffenen müssen keine Vorleistungen in Form von Beiträgen oder Wartezeiten erbringen (vgl. Bäcker et al. 2000: 203-227).30 Allerdings ist sie nachrangig. Ferner wird verlangt, dass sich die Leistungsempfänger um eine Beschäftigung bemühen und zumutbare Arbeit annehmen (vgl. Eichenhofer 2003: 277-295). Aufgrund dieses umfangreichen Leistungsangebotes galt Armut bis in die 1990er Jahre in weiten Teilen der Öffentlichkeit und der Politik als ein in Deutschland bekämpftes Phänomen. Noch im Jahr 1995 antwortete die damalige Bundesregierung auf eine Anfrage aus dem Bundestag, ob es in Deutschland Armut gäbe: 28
29
30
Zwar wurden im Lauf der Zeit noch weitere Personengruppen in den Versicherungskreis aufgenommen, aber auch sie weisen eine gewisse Nähe zum Arbeitnehmerstatus auf (z. B. Rentner als ehemalige Arbeitnehmer, Studenten als künftige Arbeitnehmer etc.). Der Fokus auf den Arbeitnehmerstatus erweist sich auch bei der Absicherung gegenüber neuen Risiken als außergewöhnlich kontinuierlich. So hätten bei der Einführung der Pflegeversicherung neue Wege beschritten werden können. Die damalige Regierung entschloss sich jedoch, eine soziale Sicherung einzuführen, die sich an der Krankenversicherung orientiert und die somit der Erwerbs- und Familienfokussierung entspricht (vgl. Kohl 2000). Die Ausführungen beziehen sich auf die Sozialhilfe von Bundesbürgern, die besonderen Regelungen für die Absicherung von Asylbewerbern werden ausgeklammert. Die Höhe der Sozialhilfeleistungen ist an die Ausgaben der unteren Bevölkerungsgruppe angelehnt, wobei gemäß dem Lohnabstandsgebot (§22 BSHG) eine Differenz zwischen den unteren Lohn- und Gehaltsgruppen und den Leistungen der Sozialhilfe bestehen bleiben soll.
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Soziale Eingliederung in Deutschland
Die Sozialhilfe bekämpft Armut, sie schafft sie nicht. Wer die ihm zustehenden Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nimmt, ist nicht mehr arm. (Deutscher Bundestag 1995: 2).
Erst die im Jahr 1998 gewählte Mitte-links-Regierung erkannte die „Existenz von Armut, Unterversorgung und sozialer Ausgrenzung in einem wohlhabenden Land wie der Bundesregierung“ an (Deutscher Bundestag 2001b: 15). Diese Modifizierungen der staatlichen Problemwahrnehmung waren möglich geworden, da mit dem Regierungswechsel kritisch ausgerichtete politische Strömungen an Einfluss dazu gewannen. Auch wurden Armut und soziale Ausgrenzung durch die seit den 1990er Jahren steigenden Arbeitslosenzahlen in der breiten Öffentlichkeit stärker thematisiert (vgl. Buhr 2004). EU25
Deutschland
Frankreich
Italien
16
13
13
19
19
14b
14
24
Insgesamt
15
13
13
18
Männer
14
11
12
16
Frauen
16
15
13
20
Insgesamt
14
12
12
16
Männer
13
11
11
15
Frauen
15
14
12
18
Insgesamt
19
15
16
23
Männer
16
12
15
19
Frauen
21
18
18
26
Bevölkerung insgesamt Kinder (0-17 Jahre) Über 18 Jahre
18-64 Jahre
Über 65 Jahre
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 5: Armutsrisiko für einzelne Bevölkerungsgruppen in Deutschland
Aus Sicht der rot-grünen Regierung resultierte die festgestellte Armut vor allem daraus, dass insbesondere ältere Bedürftige die ihnen zustehenden Leistungen nicht abriefen (vgl. BMAS 2001b: XXII). Aufbauend auf dieser Annahme führte die Bundesregierung im Jahr 2003 eine neue, steuerfinanzierte Grundsicherung für ältere und dauerhaft erwerbsgeminderte Menschen ein. Antragsberechtigt sind Menschen über 65 Jahren und aus medizinischen Gründen dauerhaft voll Erwerbsgeminderte ab dem 18. Lebensjahr. Sie wird wie die Sozialhilfe gewährt, wenn das Einkommen unter einer bestimmten Grenze liegt. Im Gegensatz zu der
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Die OMK/Inklusion in Deutschland
bisherigen staatlichen Fürsorgeleistung werden bei ihrer Bewilligung jedoch keine Unterhaltsansprüche gegenüber Familienangehörigen berücksichtigt. Im Verhältnis zueinander ist die Grundsicherung vorrangig (vgl. BMAS 2001b: 118). Mit der Reform wurde eine mögliche materielle Notsituation von älteren bzw. dauerhaft erwerbsunfähigen Menschen über die Unterhaltspflicht der Familie gestellt und der staatliche Handlungsansatz modifiziert. Denn jener hatte staatliche Fürsorgeleistungen bisher grundsätzlich nur nachrangig gewährt. Gleichzeitig blieb die Reform auch im Rahmen der bestehenden Leitbilder, so wies die Regierung nachdrücklich darauf hin, dass diese Unterstützung „weder eine ‚Ersatz-’ noch eine ‚Mindestrente’“ sei (BMAS 2001b: 118). Ferner wurde an dem Gedanken festgehalten, dass Sozialhilfe Armut verhindere. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zeigt (...) nur das Ausmaß [an], in dem Teile der Bevölkerung einen zugesicherten Mindeststandard nur mit Unterstützung des Systems der sozialen Sicherung erreichen. Dies ist jedoch nicht mit Armut gleichzusetzen. (BMGS 2005b: XVI)
Schließlich wurde die Trennung zwischen einem Sozialschutz via Versicherung und den staatlichen Fürsorgeaufgaben in besonderen Fällen aufrechterhalten. Die festgestellte (verdeckte) Armut wurde folglich von der damaligen Regierung als eine Systemlücke angesehen, die durch die Reform geschlossen worden sei. Nicht nur verdeckte Armut wurde von der Mitte-links-Regierung angeprangert, auch die hohe Zahl an Sozialhilfeempfängern und Langzeitarbeitslosen wertete sie als ein gesellschaftspolitisches Problem. Im Rahmen der sogenannten Hartz-Reformen versuchte sie deshalb durch eine inhaltliche wie organisatorische Neuordnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, eine „gezielte und gestärkte Aktivierung der Potenziale des Einzelnen“ (BMGS 2003: 47) voranzutreiben (siehe auch Abbildung 7).31 Bestehen blieb das befristete Arbeitslosengeld der Arbeitslosenversicherung, das sich am letzten Einkommen orientiert, auch wenn die Bezugsdauer gekürzt wurde. Bis zum Jahr 1998 wurde im Anschluss an diese Versicherungsleistung eine zeitlich unbefristete, steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe durch die Arbeitsämter gewährt, deren Geldleistungen ebenfalls auf der Grundlage des letzten Einkommens errechnet wurden. An die Stelle dieser Leistung tritt nun das sogenannte Arbeitslosengeld II. Seine steuerfinanzierte Leistungen werden ohne Bezug auf das letzte Einkommen gemäß einem Berechnungssystem gezahlt, das sich an dem Regelsatz der Sozialhilfe orientiert. Diese 31
Vorbereitet wurden diese Reformen teils im Arbeitsministerium, teils im Sozialministerium. So war das Grundsatzreferat im damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung federführend für die Reformierung der Sozialhilfe und der Altersgrundsicherung, während die Reform der Arbeitslosenhilfe bzw. die Einführung des Arbeitslosengeldes II im Arbeitsministerium geplant wurde.
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Soziale Eingliederung in Deutschland
neue Grundsicherung kann von erwerbsfähigen, aber erwerbslosen Antragstellern bezogen werden. Sozialhilfe erhalten nur noch solche Menschen, die zeitweise voll erwerbsgemindert und aufgrund einer anderweitigen Versorgung bedürftig sind. Sie ist damit weiterhin nachrangig. Parallel zu den Umstrukturierungen der Geldleistungen wurden im Sozialrecht (SGB II) eine Reihe von Maßnahmen gesetzlich verankert, mit deren Hilfe die Empfänger des Arbeitslosengeldes II in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden sollen. So werden diese stärker als früher verpflichtet, sich aktiv um Arbeit zu bemühen (§§15, 30 SGB II). Anspruchsberechtigter Personenkreis Leistungen
Gesetz
Erwerbsfähige Personen ab dem 15. bis zum 65 Lebensjahr (inkl. Teilweise Erwerbsgeminderten, die drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein können)
Arbeitslosengeld II
SGB II
und die mit ihnen zusammenlebenden Angehörigen
Sozialgeld
SGB II
Kinder und Erwachsene unter 65 Jahre, die zeitweise voll erwerbsgemindert sind
Hilfe zum Lebensunterhalt/Sozialhilfe
SGB XII
Personen ab 65 Jahren und Volljährige, die dauerhaft voll erwerbsgemindert sind
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
SGB XII
Ausländische Personen ohne gewöhnlichen Aufenthalt und Bürgerkriegsflüchtlinge in den ersten drei Jahren ihrer Aufenthalts
Grundsätzlich Sachleistungen, nachrangig Wertgutscheine und Geldleistungen
Asylbewerberleistungsgesetz
Quelle: Bäcker 2004 Abbildung 6: Formen der sozialen Hilfe nach den Hartz-IV-Reformen
Die Reformen stellten eine Neuausrichtung des staatlichen Handlungsansatzes dar. So werden erwerbsfähige Arbeitslose nun nicht mehr wegen ihrer früheren Tätigkeiten finanziell differenziert unterstützt. Gleichzeitig blieb die damalige Regierung mit ihrem Maßnahmenkatalog den alten Leitideen verhaftet. Sie konzentrierte sich auf die Integration von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt, ohne mögliche soziale Kosten zu berücksichtigen oder eine mögliche Armut von staatlichen Leistungsempfängern zu problematisieren, was von einigen meiner Interviewpartner bei den Wohlfahrtsverbänden kritisiert wurde. Auch entwickelte die Regierung keinen umfassenden Handlungsansatz, mit dem soziale Ausgrenzung als ein multidimensionales Problem bekämpft werden könnte.
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Die OMK/Inklusion in Deutschland
Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 wurden verschiedene Reformen eingeleitet, die auf ein verändertes Problembewusstsein zurückzuführen sind und den bisherigen Handlungsansatz modifizierten. So ist es als Neuerung zu werten, dass verdeckte Armut wahrgenommen wurde und erwerbsfähige Erwerbslose stärker als bisher an den Arbeitsmarkt herangeführt werden sollten. Gleichzeitig wurde aber auch an einigen grundlegenden Leitprinzipien festgehalten: Nach wie vor argumentierten sämtliche Sozialpolitiker und die ihnen unterstehenden Behörden, dass die staatlichen Leistungen Armut bekämpfen würden. Des Weiteren setzten sie soziale Ausgrenzung mit einem Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt gleich und konzentrierten sich daher vor allem auf die berufliche Aktivierung von Erwerbslosen, ohne dass damit verbundenen Armutsrisiken zu problematisieren und andere Formen von sozialer Ausgrenzung zu thematisieren. In einigen Reformpunkten kam es sogar zu einer sozialen Verschärfung der bisherigen Leitideen. So differenziert das neue Leistungssystem stärker als zuvor zwischen erwerbsfähigen Bedürftigen, denen tendenziell ein Mangel an Arbeitswillen unterstellt wird, und erwerbsverminderten und damit unschuldigen Bedürftigen (vgl. Lahusen/Stark 2003, Mohr 2007: 208).
6.1.2 Der Armuts- und Reichtumsbericht Neben den Transferleistungen versuchte die Regierung im Untersuchungszeitraum nach eigenen Angaben (vgl. BMAS 2001b: 215-219, BMGS 2005a: 194198), soziale Probleme bzw. die Benachteiligung von bestimmten Bevölkerungsgruppen durch weitere Maßnahmen zu bekämpfen. Zu nennen ist hier als Beispiel eine Kooperation von Justiz- und Sozialministerium zur Änderung des Insolvenzrechts, um überschuldeten Haushalten den Abbau ihrer Schulden zu erleichtern (vgl. BMGS 2005c: 22f). Diese und ähnliche Reformen sollten helfen den Lebensstandard der breiten Bevölkerung zu sichern und zielten folglich implizit auf eine Stärkung der sozialen Eingliederung ab, wobei sie weder koordiniert noch aufeinander abgestimmt waren. Explizit zusammengefasst zu einer Politik der sozialen Inklusion wurden sie oftmals nur durch die Armuts- und Reichtumsberichte. Deren Einführung galt im Jahr 2001 als eine Innovation, mit der eine von den Nichtregierungsorganisationen kritisierte Lücke geschlossen wurde (vgl. Paritätischer Wohlfahrtsverband 2001).32 Die damalige rot-grüne Bundesregierung erfüllte damit auch eine Forderung aus Oppositionszeiten.
32
Die ersten Armuts- und Reichtumsberichte in den 1990er Jahren wurden von den nichtstaatlichen Organisationen finanziert (vgl. Paritätischer Wohlfahrtsverband 2001).
Soziale Eingliederung in Deutschland
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Es gehört also zu den Gesetzlichkeiten der Politik, dass man als Opposition den Armutsbericht fordert und ihn als Regierung ablehnt, ja und das ist in ganz Europa so. Da hat es in Deutschland einen Quantensprung gegeben. Rotgrün hat als Opposition damals einen Armuts- und Reichtumsbericht gefordert in der Großen Anfrage – große Antwort: Es gibt bei uns keine Armut und soziale Ausgrenzung. (D 17)
Mittlerweile sind drei solcher Berichte (aus den Jahren 2001, 2005 und 2008) von der Bundesregierung veröffentlicht worden. Für ihre Erstellung ist ein Referat im Sozialministerium33 federführend, das sich für diese Aufgabe eine eigene Kommunikationsstruktur aufgebaut hat: So wurde eine Projektgruppe im federführenden Ministerium geschaffen, mit der die Arbeit hausintern koordiniert wird. Des Weiteren wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe ins Leben gerufen; diese ist für eine regierungsinterne Abstimmung zuständig und leitet die Berichtsteile aus den einzelnen Ämtern an das federführende Referat weiter, da nicht dieses sondern die Ministerien für den Inhalt der Armuts- und Reichtumsberichte verantwortlich sind. Zusätzliche Expertisen holt sich das federführende Referat von zwei Beratergremien, die sich aus Nichtregierungsorganisationen bzw. wissenschaftlichen Experten zusammensetzen. Bei den Mitgliedern der beiden Gremien handelt es sich im Einzelnen um die freien Wohlfahrtsverbände, Selbsthilfegruppen, die Kirchen, die kommunalen Spitzenverbände, zwei Abgeordnete des Bundestages34, die Sozialpartner sowie Wissenschaftler. Da die Berichte Regierungsdokumente sind, sind weder der Bundesrat noch der Bundestag in ihre Erstellung eingebunden. Die Armuts- und Reichtumsberichte gliedern sich in zwei Teile. Im Ersten wird analysiert, welche sozialen Probleme momentan in Deutschland besonders akut sind. Im zweiten Teil werden Maßnahmen beschrieben, mit denen die Bundesregierung versucht oder versucht hat, die Situation von Bedürftigen zu verbessern. Das Ziel der Dokumente besteht darin, „materielle Armut und Unterversorgung sowie Strukturen der Reichtumsverteilung zu analysieren und Hinweise für die Entwicklung geeigneter politischer Instrumente zur Vermeidung und Beseitigung von Armut (…) zu geben“ (BMAS 2001b: XIV). Nach Einschätzung der Bundesregierung sind die Berichte eine Erfolgsgeschichte, da sie eine öffentliche Diskussion zu den Themen Armut und Reichtum anstoßen konnten (vgl. BMAS 2002: 221f). Vonseiten nichtstaatlicher Experten werden sie 33
34
Beim ersten Bericht war das Referat im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung angesiedelt, es wechselte im Jahr 2002 zum Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, um nach den vorgezogenen Bundeswahlen im Jahr 2005 wieder zum neu gegründeten Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu kommen. Hierbei handelte es sich um Mitglieder von Bündnis90/Grüne und der SPD. Diese Einbindung ging auf die Gründung des Armuts- und Reichtumsberichtes zurück: Da diese zwei Parteien den Bericht ins Leben riefen, wollten sie auch daran im besonderen Maße beteiligt werden.
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Die OMK/Inklusion in Deutschland
kritischer gesehen. Zwar werden die Einführung einer solchen Berichterstattung und die damit verbundene Belebung der Diskussion prinzipiell begrüßt (vgl. Paritätischer Wohlfahrtsverband 2001, BAGFW/NAK 2005). Die Mehrheit der Sozialverbände hätten allerdings lieber anstelle eines Regierungsberichts einen Expertenbericht nach dem Vorbild der Kinder- und Jugendberichte eingeführt, da sich jene nach ihrer Einschätzung besser für eine kritische Bestandsaufnahme eignen (vgl. AWO 2005, BAGFW/NAK 2005). So wird im zweiten Bericht viel Mühe darauf verwandt, die im Rahmen der „Agenda 2010“ konzipierte Reformpolitik der Bundesregierung zu begründen und in ein neu gefasstes Konzept der sozialen Gerechtigkeit einzubetten. (…) Allerdings bleibt der Bericht eine erste Abwägung oder gar eine differenzierte Analyse schuldig, inwieweit die bisherigen Reformen tatsächlich – wie behauptet – dazu beitragen können, Teilhabe- und Verwirklichungschancen der davon Betroffenen zu verbessern und Ausgrenzungsrisiken zu verringern. (Hanesch 2005: 21)
Weiter wird kritisiert, dass es den Berichten an einem „schlüssigen inhaltlichen Gesamtkonzept“ (Hanesch 2005: 20) mangele. Die Einführung der Armuts- und Reichtumsberichte war somit ein Novum in Deutschland. Durch sie wurden zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik von staatlicher Seite verschiedene Politikbereiche unter dem Aspekt der Armutsbekämpfung zusammengefasst und analysiert. Gleichzeitig merken jedoch wissenschaftliche Experten und Wohlfahrtsverbände an, dass die Bundesregierung in ihren Berichten ihre eigene Politik nur unbedingt kritisch hinterfragt.
6.1.3 Breite Kompetenzverteilung In organisatorischer Hinsicht basiert die deutsche Sozialpolitik auf dem Prinzip der Subsidiarität, d. h. „im Sozialbereich [gibt es] einen Vorrang für Formen der familialen Selbsthilfe und der sozialen Selbstorganisation“ (Backhaus-Maul 1998: 39). Der Staat soll nur eingreifen, wenn weder die Familie noch nichtstaatliche Organisationen einen ausreichenden Schutz sicherstellen können (vgl. Sachße 2003). Demzufolge sind nicht nur die Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzungen segmentiert; sondern in diesem Abschnitt wird auch nachgewiesen, dass die Kompetenzen sowohl horizontal als auch vertikal zwischen einer Vielzahl an Akteuren und Organisationen aufgeteilt sind. Dafür wird eine dreifache Differenzierung herausgearbeitet: Erstens sind verschiedene Bundesministerien innerhalb der Regierung für unterschiedliche Bereiche zuständig. Zweitens halten Länder und Kommunen sozialpolitische Kompetenzen und Gestaltungsräume inne. Drittens nehmen neben dem Staat die Wohlfahrtsverbände eine bedeutende Rolle im Bereich der sozialen Absicherung ein.
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Der Bund hat die Möglichkeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen der deutschen Sozialpolitik festzulegen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 und 11 GG). Dies geschieht auf Basis einer konkurrierenden Gesetzgebung, d. h. die Bundesländer können die einzelnen Themen solange selbstständig regeln, bis der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht. Dieser darf allerdings nur tätig werden, wenn dies der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit dient (Art. 72 GG). Hinzu kommt, dass Bundesentscheidungen von Bundestag und Bundesrat zusammenerarbeitet werden müssen (vgl. Rudzio 2003: 275). Im Bereich der öffentlichen Fürsorge und der Sozialversicherungen hat der Bundesrat zwar nur ein Einspruchsrecht. Folglich kann die Bundesregierung mit ihrer parlamentarischen Mehrheit seine Einwände abwenden (vgl. Ipsen 2005: 104f). Allerdings sind all jene Gesetzesvorlagen zustimmungspflichtig, die auch aus Steuermittel der Länder finanzierten werden. Inwieweit ein Gesetzesvorschlag der Zustimmung des Bundesrates bedarf, muss daher stets im Einzelfall geklärt werden. Innerhalb der Bundesregierung besteht durch die Ressortzuschnitte eine weitere Form der Aufgabenteilung. So ist das Sozialministerium für alle Fragen zuständig, die auf Bundesebene die Sozialhilfe betreffen. Auch verfügt es zusammen mit dem Arbeitsministerium und dem Gesundheitsministerium über entscheidende Kompetenzen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme. Dagegen sind die Verantwortlichkeiten bezüglich der Wohlfahrtspflege beim Bundesministerium Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) angesiedelt. Darüber hinaus sind verschiedene Ministerien für spezielle Bevölkerungsgruppen zuständig, z. B. für Migranten das Bundesinnenministerium. „Armut ist so ein starkes Querschnittthema, dass man dann irgendwo immer etwas damit zu tun hat.“ (D22) Die Ministerien handeln in ihren Aufgabenfeldern selbstständig und eigenverantwortlich (Art. 65 GG). Allerdings sind sie als federführende Behörden auch dazu verpflichtet, weitere Ministerien, die ebenfalls mit dem Thema zu tun haben, in ihre Planung einzubinden (§ 19 GGO). Bei der Zusammenarbeit mit der europäischen Ebene sind sie ebenfalls autonom (§ 37 GGO), auch wenn es zur Wahrung der einheitlichen deutschen Position auf europäischer Ebene zu einer Koordinierung insbesondere durch das Bundesfinanzministerium bzw. das Auswärtige Amt kommen kann (vgl. Bulmer et al. 2002). Geprägt wird die Arbeit der Bundesregierung folglich von einer interministeriellen Aufgabenteilung und einem damit verbundenen Koordinierungsaufwand. Neben der Bundesregierung haben die Bundesländer einen entscheidenden Einfluss auf die deutsche Sozialpolitik. Sie können erstens durch den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mitwirken. Auch sind sie an der Finanzierung von Sozialleistungen beteiligt (vgl. BMAS 1998). Zweitens verfügen die Länder über eigene Gesetzgebungskompetenzen, solange der Bund auf eine nationale
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Regelung verzichtet. Drittens haben sie im Rahmen der Bundesgesetze bestimmte Handlungsspielräume. Beispielsweise obliegt es ihnen, den Regelsatz der Sozialhilfe für ihr Landesgebiet festzulegen (§ 12 SBG XXII). Viertens können sie eigene Sozialleistungen in ihrem Territorium anbieten (vgl. Dörr/Francke 2002). Die Bundesländer können somit durch den Bundesrat bzw. in ihren eigenen Gebieten die sozialpolitische Gesetzgebung bis zu einem gewissen Grad (mit-)gestalten. Zusätzlich verfügen sie wie auch die Kommunen bei der Erfüllung ihrer gesetzlich definierten Aufgaben über einen gewissen Handlungsspielraum. Die Kommunen haben das Recht „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinde im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“ (Art. 28 Abs. 2 GG). Sie setzen daher zahlreiche Hilfsmaßnahmen und -angebote des Bundes eigenverantwortlich um. Zu nennen sind hierbei beispielsweise die kommunal finanzierten Leistungen der Gesundheits- und der Jugendämter (vgl. Bäcker et al. 2000: 34). Auch sind sie für die Organisation wie auch die Finanzierung der Sozialämter verantwortlich. Schließlich organisieren und finanzieren sie teilweise noch eigene Hilfsprogramme. Gemäß dem horizontalen Subsidiaritätsprinzip sollen öffentliche Einrichtungen nur solche Aufgaben übernehmen, die von den nichtstaatlichen Organisationen nicht geleistet werden können. Dieses im Sozialrecht verankerte Prinzip35 verhinderte zwar nicht den Ausbau der staatlichen Sozialleistungen, wohl aber haben die freien Träger deswegen eine bedeutende Rolle bei der Umsetzung der sozialstaatlichen Ziele inne (vgl. Sachße 2003: 207ff). So übernehmen die freien Wohlfahrtsverbände zahlreiche gesamtgesellschaftliche Aufgaben36, für die sie teilweise von staatlicher Seite finanzielle Unterstützung erhalten (vgl. Bäcker et al. 2000: 79). Aufbauend auf dem föderalen System Deutschlands sind sie meist dezentral organisiert. Gleichwohl haben sie sich unter nationalen Dachverbänden zusammengeschlossen, um auf nationaler Ebene mehr politisches Gewicht zu erlangen. Diese Spitzenverbände37 fungieren bei Gesetzesvorhaben oft auch als Politikberater, weshalb sich eine Kommunikationsstruktur zwischen ihnen und den staatlichen Stellen institutionalisiert hat.
35 36
37
§§ 10 Abs. 4, 93 Abs. 1 BSHG, § 5 Abs. 3 JWG, § 5 SGB XII. Die freien Wohlfahrtsverbände übernehmen zahlreiche staatliche Aufgaben, beispielsweise Integrationsprojekte für Menschen in sozialer Notlage wie Obdachlosenunterkünfte, Schuldnerberatung, Bahnhofsmission, Telefonseelsorge (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege 1997), wofür sie auch von den jeweiligen staatlichen Kompetenzträgern bezahlt werden. Arbeiterwohlfahrt (AWO), Deutscher Caritasverband (DCV), Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (DPWV), Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Diakonisches Werk (DW der EKD), Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).
Soziale Eingliederung in Deutschland
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In ihrer Funktion als Spitzenverbände aggregieren und repräsentieren Wohlfahrtsverbände die Interessen ihrer Mitgliedsorganisationen im Politik- und Gesetzgebungsprozess auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene. Diese Inkorporierung von Wohlfahrtsverbänden in die staatliche Sozialpolitik ist weitgehend institutionalisiert: Sei es in Ausschüssen, Anhörungen, Kommissionen oder Arbeitsgemeinschaften; hinzu kommt eine Vielzahl informeller Kooperationen und personeller Verflechtungen zwischen Verbänden und Sozialstaat. Für den Sozialstaat ergibt sich hieraus, dass ihm eine begrenzte Zahl verlässlicher und ressourcenstarker Verhandlungspartner gegenübersteht. (Backhaus-Maul 2000)
Weitere wichtige Organisationen im Bereich der sozialen Sicherheit sind die Sozialpartner, da sie maßgeblich an der Organisation und der Gestaltung der Arbeitslosenversicherung beteiligt sind. Ferner müssen die Kirchen genannt werden, die zahlreich caritative Einrichtungen unterhalten. Schließlich gibt es noch gemeinnützige Vereine, die insbesondere im Bereich der Selbsthilfe eine wichtige Rolle spielen. Auch wenn sie oftmals nur kleine Organisationen sind, die relativ eng umfasste Probleme zu lösen versuchen, ermöglichen sie einen erheblichen Teil der sozialen Beratungsstellen. Die nichtstaatlichen Organisationen übernehmen somit gesamtgesellschaftliche Verantwortung und sind gelegentlich als Berater gelegentlich an Gesetzesvorhaben beteiligt. Im Bereich der Armutsbekämpfung und der sozialen Eingliederung ist ein institutionalisiertes Zusammenspiel einer Vielzahl an Akteuren und Organisationen entstanden, die jeweils über bestimmten Kompetenzen verfügen und spezifische Aufgaben übernehmen. Die Bundesregierung bildet dabei die zentrale Organisation. Sie legt mithilfe ihrer Mehrheit im Bundestag und teilweise in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat die rechtlichen Rahmenbedingungen fest, wobei regierungsintern eine weitere Aufgabenteilung zwischen verschiedenen Ministerien stattfindet. Daneben haben die Länder und Kommunen aufgrund des vertikalen Subsidiaritätsprinzips bestimmte Mitentscheidungs- und Gestaltungsfreiheiten. Auf Basis des horizontalen Subsidiaritätsprinzips übernehmen schließlich nichtstaatliche Organisationen eine Vielzahl an gesellschaftspolitischen Aufgaben, wofür sie vom Bund finanziell entlohnt werden.
6.1.4 Zwischenresümee: Zwischen Wandel und nicht-hinterfragten Gegebenheiten Unsere Analyse zeigte, dass das deutsche Feld der sozialen Eingliederung im Untersuchungszeitraum von einer hohen inhaltlichen und organisatorischen Segmentation gekennzeichnet war. So wurde der Begriff der sozialen Ausgrenzung in zwei unterschiedlichen politischen Prozessen und damit in zwei verschiedenen Kontexten verwendet. Zum einen galt er als Synonym für eine finanzielle Bedürftigkeit, zum anderen wurde er mit der Ausgrenzung von Erwerbslo-
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Die OMK/Inklusion in Deutschland
sen aus dem Arbeitsmarkt gleichgesetzt. Ausgehend von diesen beiden Argumentationssträngen wird deutlich, warum es keine eigenständige Politik der sozialen Eingliederung gab. Soziale Inklusion sollte durch (passive) monetäre Sozialleistungen und als Nebenprodukt von anderen Politikbereichen (insbesondere der Arbeitsmarktpolitik) erzielt werden. Verklammert wurden die unterschiedlichen Maßnahmen oftmals nur durch die Armuts- und Reichtumsberichte, in denen die aktuelle Politik zur Bekämpfung von sozialen Problemen zusammengefasst wurde. Der staatliche Handlungsansatz wurde jedoch nicht von allen Akteuren und Organisationen des Feldes gutgeheißen, sondern besonders von einigen NGOs und Forschern kritisiert (vgl. Huster 1996: 24). Verstärkt wurde die Segmentierung durch die polyzentrische Organisation der Sozialpolitik. Die Bundesregierung hat hierbei vor allem die Rolle eines Koordinators und des Rahmengebers inne, wobei verschiedene Ministerien die unterschiedlichen politischen Bereiche betreuen. Daneben übernehmen die Bundesländer, die Kommunen sowie die nichtstaatlichen Organisationen selbstständig und eigenverantwortlich zahlreiche Aufgaben des Feldes. Die OMK/Inklusion wurde somit in ein Feld eingeführt, indem soziale Eingliederung nicht als eigenständiges Thema diskutiert wurde. Gleichwohl wurde in den vorangegangenen Abschnitten auch deutlich, dass es im Untersuchungszeitraum Debatten und Reformen gab, die auch in die Richtung der OMK/ Inklusion weisen. So stehen sowohl die Absicherung von besonders schutzbedürftigen Personengruppen als auch eine Aktivierung der Langzeiterwerbslosen und deren Integration in den Arbeitsmarkt im Einklang mit den Zielen des Verfahrens. Daher stellt sich die Frage, inwieweit diese Reformen von den Diskussionen auf europäischer Ebene beeinflusst und geprägt wurden.
6.2 Die Organisation der Offenen Methode der Koordinierung Entscheidend für einen OMK-Erfolg ist nach meinem Dafürhalten eine wirkungsvolle Verknüpfung der europäischen Vorgaben, Analysen und Austauschprozessen mit den nationalen Debatten und Reformbemühungen. Hierfür müssen die Impulse des Verfahrens sowohl anschlussfähig an die nationalen Debatten bzw. Reformen sein als auch als Verbesserungschance für die soziale Ordnung im Feld gewertet werden. Ferner bedarf es durchsetzungsstarker Akteure und Organisationen, die die neu gewonnenen Erkenntnisse im nationalen Kontext umsetzen können. Nun wird untersucht, wie die nationalen Kompetenzträger des deutschen Feldes die OMK/Inklusion einschätzten und beurteilten, und welche Durchsetzungschancen die an dem Verfahren beteiligten Kräfte im feldspezifischen Governance-Ansatz hatten. Es wurde bereits deutlich, dass in Deutschland
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bis zum Jahr 2005 keine holistische Politik der sozialen Eingliederung existierte und verschiedene Organisationen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung zusammenwirkten. Diese Segmentierung entspricht auf der einen Seite dem Ziel der OMK/Inklusion, sämtliche Kräfte zur Bekämpfung von sozialer Exklusion zu mobilisieren. Andererseits zeigen die Erfahrungen aus anderen Staaten (vgl. Armstrong 2006a für Großbritannien), dass die Benchmarkingprozesse der OMK/Inklusion nur dann Auswirkungen auf die staatlichen Reformen erzielen, wenn in der Regierung einige Akteure deren Ergebnisse aufgreifen und umsetzen können. An diesen Ergebnissen anknüpfend wird in diesem Abschnitt angenommen, dass im Untersuchungszeitraum auf staatlicher Seite die bestehenden sozialpolitischen Leitbilder, eine große Europaskepsis unter deutschen Sozialpolitikern sowie die Aufgabenteilung zwischen den amtlichen Stellen eine erfolgsversprechende Implementierung des Verfahrens verhinderten. Dagegen waren im nichtstaatlichen Sektor die nationalen Kompetenzträger nicht nur in den Prozess eingebunden, sondern auch offen für europäische Anregungen, weshalb die Ergebnisse aus dem europäischen Verfahren auch in ihren Diskussionen und Konzepten aufgegriffen werden konnten. Zur Analyse dieser Annahmen wird im Folgenden untersucht, welche Akteure und Organisationen des Feldes an den verschiedenen Instrumenten der OMK/Inklusion partizipierten und inwieweit sie die Ergebnisse aus dem Verfahren im nationalen Kontext umsetzen konnten. Dafür werden zunächst die Rolle der Bundesregierung (6.2.1) und daran anschließend die Beteiligung der Bundesländer (6.2.2) sowie der Kommunen (6.2.3) in dem Verfahren genauer betrachtet. Abschließend wird die Einbindung der nichtstaatlichen Organisationen analysiert (6.2.4).
6.2.1 Skeptisches Koordinationszentrum: Die Bundesregierung Die Staats- und Regierungschefs spielen für die OMK/Inklusion im europäischen Feld eine außerordentlich wichtige Rolle. Auch in Deutschland nahm die Bundesregierung in ihrer Organisation eine zentrale Stellung ein. So waren Beamte des Bundessozialministeriums federführend bei der Erstellung der NAP/Inklusion. Ferner stellt die Bundesregierung drei der vier deutschen Mitglieder des Sozialschutzkomitees und das Mitglied der Arbeitsgruppe Indikatoren. Schließlich vertrat sie Deutschland in den Gremien des Aktionsprogramms. Gezeigt wird nun, dass einzelne Organisationseinheiten innerhalb der Regierung die OMK/Inklusion als mögliche Hilfestellung im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung werteten, allerdings konnten sie sich im regierungsinternen Dialog nicht durchsetzen. Vielmehr überwogen hier eine sozialpolitische Selbstsicherheit und eine Europaskepsis, weshalb der europäische Prozess auch
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als wenig sinnvoll und nützlich im eigenen Feld galt. Auf diesen Annahmen aufbauend wird zunächst dargelegt, dass es für die Erarbeitung der NAP/ Inklusion zu einer Aufgabenteilung zwischen den bei den Plänen federführenden Beamten und den nationalen Kompetenzträgern kam. Anschließend wird nachgewiesen, dass die Arbeit für das SPC und seiner Arbeitsgruppe von der Weisungsgebundenheit der Delegierten geprägt wurde. Schließlich wird auf das geringe Interesse des federführenden Ministeriums am Aktionsprogramm eingegangen. Federführend für den ersten NAP/Inklusion war das Europareferat des damaligen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMAS). Nach der Spaltung der Behörde im Jahr 2002 wurde die Aufgabe dem Referat 524 (Wirtschaftliche und finanzielle Fragen der Sozialhilfe, Soziale Ausgrenzung) im damals neugegründeten Bundesministerium Gesundheit und Soziale Sicherung übertragen. Dieses Referat ist auch für die Armuts- und Reichtumsberichte verantwortlich und nutzte dessen Kommunikationsstruktur für die NAP/Inklusion.38 Die Erstellung der Aktionspläne war innerhalb der Regierung geprägt von einer Aufgabenteilung zwischen den auf nationaler Ebene entscheidenden Fachreferaten, einer an den NAP/Inklusion beteiligten interministeriellen Arbeitsgruppe und dem federführenden Referat 524. Letzteres war weder für die Inhalte der Pläne verantwortlich noch konnte es auf eine Umsetzung der in den Dokumenten beschriebenen Reformen dringen. Vielmehr koordinierte es die Arbeit der interministeriellen Arbeitsgruppe und der anderen an dem Verfahren beteiligten Gremien (siehe auch 6.3.2). Ferner war es für die Einhaltung der Formalitäten zuständig und übernahm die Verteidigung der Dokumente gegenüber der Kommission im Zuge der bilateralen Gespräche auf europäischer Ebene. Die Mitglieder der interministeriellen Arbeitsgruppe holten Auskünfte darüber ein, welche aktuellen Reformen oder Reformvorhaben in ihren Behörden für eine deutsche Politik der sozialen Eingliederung relevant sein könnten. Wir koordinieren den NAP, d. h., wir sind für nichts zuständig, was da drin steht, zumindest nicht fachlich. (...) Wenn es jetzt beispielsweise um Sozialhilfe ginge, dann würde ich sagen: O. k., Frau (...), Sie sind fachlich zuständig, jetzt sagen Sie mir, was machen Sie an der Stelle. Und wir schreiben das dann zusammen, das gilt für die anderen Themen auch. (D22)
Auf Basis dieser Informationen schrieben sie dann Berichte, die sie in der interministeriellen Arbeitsgruppe besprachen und auf deren Grundlage das Referat 524 einen NAP-Entwurf erstellte. Die nationalen Experten, die die Verant38
Seit September 2005 liegt die Verantwortung für die Pläne wieder beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, allerdings ist weiterhin das Referat (Wirtschaftliche und finanzielle Fragen der Sozialhilfe, Soziale Ausgrenzung) federführend, das erneut ins BMAS wechselte.
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wortung für die jeweilige Politik und damit für die Inhalte der Pläne trugen, waren weder in die Planung noch in die Erstellung der NAP/Inklusion als Ganzes eingebunden. Vielmehr dienten sie als Informationsquelle für die Koordinatoren. Nach seiner Fertigstellung wurde das Dokument der Bundesregierung vorgelegt und von dieser verabschiedet. Auch wurde es dem Bundestag zur Information übersandt, der an seiner Erstellung nicht beteiligt war. Für die Aktionspläne kam es folglich zu einem Zusammenspiel von verschiedenen Organisationseinheiten innerhalb der Regierung, die dabei unterschiedliche Aufgaben übernahmen. Damit wird auch verständlich, warum Mitarbeiter des federführenden Referats ihre Aufgabe an den NAP/Inklusion als „Koordinierung der Koordinierung“ (D23) bezeichneten. Nicht nur bei der Erstellung der NAP/Inklusion wurde zwischen den europäischen und den nationalen Kompetenzen differenziert. Im Folgenden wird sich zeigen, dass in der hier untersuchten Zeitperiode auch die Beamten, die verantwortlich waren für die deutsche Beteiligung an den europäischen Debatten, nur über begrenzte Durchsetzungsmöglichkeiten im nationalen Feld verfügten. Die zwei Delegierten und ein Stellvertreter für das SPC stammten bis 2005 aus dem BMGS und dem BMWA.39 Da die Beamten auf den Delegiertenposten häufig wechselten und somit nicht kontinuierlich in die europäischen Debatten involviert waren, waren sie auf Hilfe angewiesen. Vor- und aufbereitet wurden die Sitzungen des wichtigsten Gremiums der OMK/Inklusion vom Europareferat des BMGS (E-Referat), dessen Mitarbeiter die europäischen Entwicklungen beständig verfolgten. Daneben stellt das E-Referat auch den Delegierten der Arbeitsgruppe Indikatoren. Dieser ist Experte für Rentenversicherungen, vertrat Deutschland in dem europäischen Ausschuss jedoch ebenfalls zum Thema soziale Eingliederung. Das E-Referat war somit eine wichtige Organisationseinheit für die Präsentation der deutschen Positionen in den europäischen Gremien der OMK/Inklusion. Umgekehrt verfügte es kaum über nationale Durchsetzungskompetenzen. Seine Arbeit beschränkte sich hier auf „Koordinierungs- und Abstimmungstätigkeiten“ (D22). So holte es zu den in den beiden Ausschüssen anstehenden Entscheidungen vom Kanzleramt oder dem jeweils nationalzuständigen Ministerium die Position der Bundesregierung ein, wobei dem Delegierten der Arbeitsgruppe mehr Spielraum gelassen wurde als der Delegation des Plenums. Ferner gab das Referat die europäischen Ergebnisse weiter, ohne eine Umsetzung der Beschlüsse erzwingen zu können. Neben diesen strategischen Problemen gestaltete sich die Koordinierungsaufgaben des E-Referates aus zwei weiteren eng zusammenhängenden Gründen besonders delikat und schwierig. Zum einen gab es im Sozialministerium relativ 39
Seit Herbst 2005 stammen die zwei Delegierten aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, während ein Stellvertreter aus dem Bundesministerium für Gesundheit ist.
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große Vorbehalte gegenüber der Europäischen Union, die oft als sehr wirtschaftsfreundlich und damit als Bedrohung des Sozialstaates und der eigenen Kompetenzen wahrgenommen wurde. Die OMK/Inklusion wurde somit teilweise als ein Versuch der europäischen Ebene verstanden, die nationale Sozialpolitik stärker an wirtschaftliche Prinzipien auszurichten und daher abgelehnt. Zum anderen waren die Delegierten in den europäischen Gremien weisungsgebunden, denn Deutschland sollte auf europäischer Ebene einheitlich repräsentiert werden. Gleichwohl war die Positionierung der Bundesregierung im Bezug auf eine Politik der sozialen Eingliederung oftmals von Richtungsstreitigkeiten zwischen dem Sozialministerium auf der einen Seite und den Wirtschafts- und Finanzministerien auf der anderen Seite geprägt. Da die Entscheidungen im Kabinett sowie im Kanzleramt im Untersuchungszeitraum nach Einschätzung meiner Interviewpartner oftmals zuungunsten des Sozialministeriums ausfielen, waren die Delegierten teilweise verpflichtet, eine Position zu vertreten, die der ihres eigenen Ministeriums widersprach. Dies hatte zuweilen zur Folge, dass die Behörde gerade solchen Entscheidungen des SPC ablehnend gegenüberstand, die von der deutschen Delegation eingebracht oder zumindest unterstützt wurden. So war das Ministerium intern erleichtert gewesen, dass während der Reformierung der OMK/Inklusion im Jahr 2005 u. a. Luxemburg die Ratspräsidentschaft innehatte. Es hatte bei der deutschen Positionsabstimmung seine Vorstellungen nicht durchsetzen können; die für das BMGS entscheidenden Passagen waren aus dem deutschen Positionspapier gestrichen worden. Allerdings konnten sich die deutschen Delegierten bei eben diesen Punkten nicht auf europäischer Ebene durchsetzen, weshalb die Entscheidung im Sozialschutzkomitee letzten Endes der Haltung des BMGS entsprach. Dieses mitunter komplizierte und paradoxe Verhältnis des Ministeriums zur deutschen Position auf europäischer Ebene führte dazu, dass die Experten im Ministerium der OMK/Inklusion nur einen begrenzten Nutzen für die eigene Arbeit zusprachen. Verantwortlich für den zweiten Handlungsstrang der OMK/Inklusion war innerhalb der Bundesregierung zunächst das BMAS gewesen. Nach dessen Auflösung im Jahr 2002 war von der Regierung zunächst geplant gewesen, das Aktionsprogramm beim BMWA anzusiedeln. Dagegen erhob das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen, und Jugend (BMFSFJ) jedoch erfolgreich Einspruch mit dem Argument, es selbst sei auf nationaler Ebene für die Wohlfahrtspflege zuständig und damit ein wichtiger nationaler Kompetenzträger, dem die Federführung für das Programm zustehe. Ja, es gibt für diesen Bereich soziale Ausgrenzung nicht so ganz eindeutige Zuständigkeiten. Das BMGS hat tatsächlich hier die Oberhoheit über den NAP/Inklusion. Man hat sich dann so geeinigt, dass die den NAP/Inklusion machen, und dass wir dafür im Programmausschuss soziale Ausgrenzung [Ausschuss zum Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung
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der sozialen Ausgrenzung, die Verfasserin] sitzen. Wir haben ja (...) diese ganzen Verbindungen zu dem Bereich der Wohlfahrtspflege, der sehr wichtig ist im Bereich soziale Eingliederung, die laufen über unser Haus. (...). (D20)
Das BMFSFJ stellte damit bis zum Jahr 200540 den deutschen Vertreter im Ausschuss des Programms, wobei Beamte aus unterschiedlichen Referaten diese Aufgabe im Lauf der Zeit wahrnahmen. Daneben wurde eine Beamtin aus dem für die NAP/Inklusion federführenden Referat im BMGS zur Stellvertreterin ernannt, wobei sie kaum an den Sitzungen teilnahm. Aber der Ausschuss des Aktionsprogramms hat natürlich nicht den Stellenwert wie der SPC. Also das SPC ist der politische Ausschuss. Der Ausschuss des Aktionsprogramms ist nur ein organisatorischer Ausschuss, um dieses Aktionsprogramm umzusetzen. (D22)
Der Mitarbeit in dem Gremium wurde allerdings nicht nur von Stellvertreterin ein begrenztes Interesse entgegengebracht. Auch innerhalb des BMFSFJ selbst wurde dem Delegiertenposten nur eine untergeordnete Bedeutung zu geschrieben, was sich u.a. darin zeigte, dass die Stelle in den drei Jahren, in denen das Ministerium die Verantwortung trug, mehrmals neu besetzt wurde. Dieses Desinteresse mag auf dem ersten Blick überraschen. Denn zum einen hatte sich das Amt massiv um das Mandat beworben. Zum anderen ist es eine der europäischen Ebene aufgeschlossene Behörde, was damit zusammenhängt, dass ein beträchtlicher Teil ihrer Projekte mit europäischen Mitteln (insbesondere dem ESF) cofinanziert wird. Der Anteil der ESF Mitteln an unseren Finanzressourcen ist nicht so gering. Wir haben schon ein paar wohlhabende Abteilungen, da ist zum Beispiel die Jugendabteilung (...). Aber die anderen drei Abteilungen von mir, die haben weniger als 10 Mio. Euro Budget pro Jahr, wobei etliche von diesen Mitteln schon festgebunden sind für praktische Dauerprojekte, das heißt, die Verfügungsmasse ist noch kleiner. Das können sie mit ESF Mitteln verdoppeln, wo es passt. (D20)
Das begrenzte Interesse wird jedoch dann verständlich, wenn berücksichtigt wird, dass das Aktionsprogramm im Gegensatz zu den Strukturfonds explizit keine Mittel für Innovationsprojekte der staatlichen Stellen vorsah. Bei der Organisation der OMK/Inklusion innerhalb der Bundesregierung wurde im Untersuchungszeitraum an bestehende Strukturen und Leitbilder angeknüpft. So herrschte innerhalb des Sozialministeriums gegenüber der OMK/ Inklusion eine skeptische Haltung, die nur langsam abgebaut werden konnte. Der in der Regierung ausgetragene Richtungsstreit wurde oft als ein Ebenenproblem wahrgenommen. Des Weiteren verhinderte die Weisungsgebundenheit der Dele40
Seit dem Jahr 2006 liegt die Verantwortung für das neue Gemeinschaftsprogramm wieder beim neugegründeten BMAS.
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gierten mehrfach, dass das Sozialministerium mit den deutschen Positionen auf europäischer Ebene übereinstimmte, weshalb es den Prozess als nur begrenzt nützlich für die eigenen Vorhaben einstufte. Schließlich wurde zwischen den nationalen Kompetenzträgern und den federführenden Koordinatoren des Verfahrens eine differenziert. Die mit dem Prozess betrauten Beamten konnten weder die Erfüllung der europäischen Ziele noch eine Umsetzung der Erkenntnisse aus dem transnationalen Erfahrungsaustausch erzwingen, da sie keine Durchsetzungschancen gegenüber den nationalen Entscheidungsträgern hatten. Umgekehrt waren jene nur indirekt an der OMK/Inklusion beteiligt, sodass sie dessen Impulse oftmals kaum oder nur oberflächlich kannten.
6.2.2 Föderale Machtkämpfe: Die Einbindung der Bundesländer Die Bundesländer haben in zweifacher Hinsicht Einfluss auf das nationale Feld: Zum einen können sie durch den Bundesrat an der nationalstaatlichen Gesetzgebung mitwirken, zum anderen können sie länderspezifische Maßnahmen durchführen. Entsprechend ihrer großen Bedeutung für die deutsche Sozialpolitik sind sie relativ stark in die OMK/Inklusion eingebunden. So wirkten sie über eine Arbeitsgruppe an der Erstellung der NAP/Inklusion mit. Darüber hinaus benennt der Bundesrat einen Stellvertreter für den Ausschuss für Sozialschutz. Allerdings wird im Folgenden deutlich, dass die Mehrheit der Landespolitiker den Prozess im Untersuchungszeitraum entweder als einen Versuch der europäischen Organe wertete, die eigenen Kompetenzen auszubauen, oder darin eine Chance sah, sich auf europäischer Ebene zu präsentieren, in der Regel jedoch ohne die europäischen Ideen aufgreifen und umsetzen zu wollen. Die Bundesländer beteiligten sich mit eigenen Beiträgen an den Aktionsplänen. Bis ins Jahr 2004 koordinierte diese Arbeit eine Fachgruppe der Arbeitsund Sozialministerkonferenz (ASMK), die sich mit dem Thema Europa beschäftigt. Das Verfahren erwies sich jedoch als zeitaufwendig. Deshalb entschied das Bundessozialministerium für die Erstellung von weiteren Berichten, eine Arbeitsgruppe direkt mit den Sozialpolitikexperten der Länder zu gründen. Die Zusammenarbeit zwischen dem federführenden Bundesreferat und den beteiligten Beamten aus den Landesministerien verlief nach Angaben von Beteiligten in beiden Gremien relativ reibungslos, was auf die langjährigen Austauschbeziehungen zurückgeführt wurde. Allerdings variierte der Grad der Teilnahme zwischen den Bundesländern. Die Gründe hierfür lagen in den Ressourcen und Kapazitäten, über die die einzelnen Landessozialministerien verfügten.
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Die Länder ihrerseits sind auch unterschiedlich engagiert. Es gibt Länder, die sind immer präsent in unseren Runden, und die bringen sich immer ein, und andere bringen sich überhaupt nicht ein. Das muss man pragmatisch sehen, es hängt auch mit Kapazitäten zusammen, die manche haben oder nicht haben. (D23)
Die abschließende Verabschiedung der NAP/Inklusion im Bundesrat war nach Angaben von Experten nur eine Formsache. Denn die meisten inhaltlichen Konflikte wurden bereits im Vorfeld ausgeräumt. Auch wurde dem Bericht im Gegensatz zu anderen nationalen Projekten kaum eine Bedeutung beigemessen, sodass die politische Spitze auf eine inhaltliche Auseinandersetzung verzichtete. Analysiert man die Motive der Landesministerien, sich an den NAP/Inklusion zu beteiligen, wird deutlich, dass sie daran interessiert waren, sich mit einer Darstellung von eigenen Projekten auf der europäischen Ebene zu präsentieren. Neben der Verabschiedung der NAP/Inklusion benennt der Bundesrat einen Stellvertreter für den Sozialschutzausschuss, der aus einem Landesministerium stammt. Dass die Wahl auf das bayrische Sozialministerium fiel, hatte so mein Interviewpartner mit der internen Arbeitsteilung im Bundesrat zu tun und sei nicht politisch motiviert gewesen. Im Gegensatz zur Delegation der Bundesregierung wurde der Stellvertreterposten langfristig besetzt. So nimmt bis heute ein und derselbe Beamte an all den SPC-Sitzungen teil, bei denen die Länderinteressen betroffen sind. In seiner Arbeit für das Gremium hat er zwei Koordinierungsfunktionen inne: Zum einen versteht er sich als Repräsentant der Länder auf europäischer Ebene, ohne für eine Umsetzung der europäischen Beschlüsse auf Landesebene Sorge tragen zu können oder zu wollen. Er holt deshalb die Position des Bundesrates zu den im SPC anstehenden Entscheidungen einholt. Landespolitiker stehen europäischen Maßnahmen im sozialpolitischen Bereich oft kritisch gegenüber, da sie diese als einen Eingriff in ihre Zuständigkeiten werten. Im Einklang mit dieser europakritischen Haltung verwahrten sich auch einige Bundesländer gegen die OMK/Inklusion (siehe auch Bundesrat 2001, 2003, 2004), weshalb sich der Bundesrat vor allem für eine Schwächung des Verfahrens aussprach. Zum anderen stimmt der Delegierte der Länder die Position des Bundesrates mit der Bundesregierung ab. Ja, geht ja auch nicht anders. Also das ist auch eine der Devisen. Deutschland tritt als Deutschland auf, und Meinungsverschiedenheiten werden vorher gelöst. (D28)
Denn trotz möglicher machtpolitischer oder inhaltlicher Differenzen waren beide Organe darauf bedacht, auf europäischer Ebene mit einer Stimme zu sprechen. Zusammenfassend ist zu vermerken, dass die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und der Bundesregierung bezüglich der OMK/Inklusion meist gut verlief. Allerdings verfügten die beteiligten Landesbeamten in den eigenen Behörden nur über begrenzte Machtressourcen bzw. galten nationale Debatten und
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Landesprojekte allgemein als wichtiger, sodass die Erkenntnisse aus dem europäischen Verfahren in den meisten Landesministerien nur eine untergeordnete Rolle spielten. Hinzu kam, dass die Landesregierungen machtpolitische Vorbehalte gegenüber dem Prozess hatten. Denn sie fürchteten, dass die OMK/ Inklusion von den europäischen Organen genutzt wird, um die eigenen Kompetenzen auszudehnen.
6.2.3 Ausgeschlossen: Die Kommunen Trotz ihrer Bedeutung für das nationale Feld waren die Kommunen an der OMK/Inklusion nur indirekt über ihre Spitzenverbände und die Bundesländer beteiligt. Daher wird im Folgenden argumentiert, dass die OMK/Inklusion auf kommunaler Ebene ein weitgehend unbekannter und damit meist irrelevanter Prozess war, der noch dazu von den kommunalen Dachverbänden abgelehnt wurde. Bei der Erstellung ihrer Beiträge für die NAP/Inklusion wurden die Bundesländer von der Bundesregierung angehalten, die Kommunen einzubinden. Dies konnte zum einen durch die Arbeitsgruppe der Länder geschehen, die wiederum im Kontakt mit einem Arbeitskreis der Kommunen stand. Zum anderen oblag es jedem Land selbst, sich für die NAP/Inklusion mit den eigenen Kommunen abzusprechen. Aber wir [das Referat 524, die Verfasserin] haben keine direkten Beziehungen mit den Kommunen. (...) Auch die Länder wiederum können wir nur bitten dass sie sie wieder mit einbeziehen (...). (D23)
Ein wichtiger Grund für die fehlende unmittelbare Einbindung der kommunalen Behörden war nach Angaben von Mitarbeitern des BMGS, dass die Bundesregierung und die Kommunen nicht über genügend personelle Kapazitäten und Zeitressourcen verfügten, um auch noch diese Gruppe umfassend an der Erstellung der NAP/Inklusion teilnehmen zu lassen. Dies führte dazu, dass das Verfahren in den Kommunen weder sonderlich bekannt noch anerkannt war. Z.B. sagte eine Sozialdezernentin auf meine Frage hin, was sie von der OMK halte: Och wissen Sie, ich wäre schon froh, wenn ich wüsste, was meine Nachbarin macht. Also, was da in der [OMK/Inklusion, die Verfasserin] passiert, interessiert sie erst mal nicht. (D17)
Die Kommunen wurden somit nur mittelbar durch die Regierung an der OMK/Inklusion beteiligt. Allerdings nahmen einige wenige lokale Behörden an zwei nationalen Projekten des Aktionsprogramms teil und partizipierten so im geringen Ausmaß an dem Verfahren.
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Daneben wurden die drei Dachverbände41 der Kommunen von der Bundesregierung zu den Treffen des Ständigen Beratergremiums eingeladen, bei denen Beamte des Sozialministeriums die NAP/Inklusion mit nichtstaatlichen und lokalen Interessensvertretern diskutierte (siehe auch 6.2.4). Allerdings muss das Verhalten der kommunalen Spitzenverbände gegenüber der OMK/Inklusion als ambivalent bezeichnet werden. Denn auf der einen Seite versuchten sie, den Einfluss der kommunalen Ebene auf diese Pläne zu vergrößern. Aus ihrer Sicht sind die kommunalen Behörden politisch bedeutender als die übrigen Organisationen des Beratergremiums. Deshalb forderten sie die Bundesregierung auf, die Kommunen und sich selbst durch einen eigenen Ausschuss in die Erstellung der Aktionspläne einzubeziehen und ihnen damit mehr Gewicht zu zusprechen. Auf der anderen Seite betonten sie in meinen Interviews die Begrenztheit ihrer eigenen Kapazitäten und dass sie sich aus diesem Grund nicht stärker einbringen möchten. Die OMK/Inklusion wurde als ein marginaler Prozess dargestellt, für den sie keine Ressourcen verschwenden möchten. Erklärt werden kann diese zweischneidige Argumentation, wenn berücksichtigt wird, dass die kommunalen Spitzenverbände fürchteten, die europäischen Organe würden das Verfahren benutzen, um ihren Handlungsspielraum im deutschen Feld zu vergrößern. Sie versuchten daher, sowohl den Prozess in ihrem Sinne zu beeinflussen als auch seine Bedeutung für das deutsche Feld zu marginalisieren. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Kommunen waren nur mittelbar an den NAP/Inklusion beteiligt. Die Aktionspläne waren auf dieser Ebene weitgehend unbekannt. Das Verhältnis der kommunalen Spitzenverbände zu dem europäischen Prozess war äußerst kritisch, da sie einen Kompetenzverlust der Kommunen fürchten. Allerdings nahmen einzelne Kommunen an einigen Aktionen des Programms teil.
6.2.4 Aktiv handelnde und beratende Organisationen: Die Zivilgesellschaft Die nichtstaatlichen Organisationen und Akteure sind eine bedeutende Stütze der deutschen Sozialpolitik, da sie zahlreiche gesamtgesellschaftliche Aufgaben übernehmen. An der OMK/Inklusion sind sie auf zwei unterschiedliche Weisen beteiligt: Sie konnten einmal durch das Ständige Beratergremium an der Erstellung der NAP/Inklusion teilnehmen. Dies galt auch für interessierte Wissenschaftler, die über den wissenschaftlichen Beirat eingebunden wurden. Beide Ausschüsse waren im Zuge des ersten Armuts- und Reichtumsberichtes gegründet worden. Nachdem dem Referat 524 im Jahr 2002 die Federführung für beide 41
Namentlich der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städteund Gemeindebund.
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Dokumente übertragen worden war, wurden die zwei Gremien auch zu Fertigstellung der NAP/Inklusion herangezogen. Beim ersten Aktionsplan war die Zusammenarbeit zwischen den Nichtregierungsorganisationen und der Bundesregierung noch ad hoc erfolgt. Des Weiteren partizipierten die Wohlfahrtsverbände und einige kleinere gemeinnützige Vereine durch eigene sowie europäische Projekte im Zuge der Gemeinschaftsprogramme an der OMK/Inklusion. In diesem Abschnitt wird argumentiert, dass viele nichtstaatliche Organisationen aufgrund der traditionell engen Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium von diesem relativ stark in die Erstellung der NAP/Inklusion eingebunden wurden. Allerdings wurde die Haltung der beteiligten NGOs gegenüber den Plänen im Lauf der Zeit immer kritischer. Dafür sahen die Spitzen der Wohlfahrtsverbände und einiger gemeinnütziger Vereine das Aktionsprogramm als eine Chance an, um den eigenen Horizont zu erweitern. Im Folgenden wird Beteiligung der Wohlfahrtsverbände bzw. gemeinnützigen Vereine und anschließend der Sozialpartner an dem Verfahren untersucht. Mitarbeiter von gemeinnützigen Vereinen, der Wohlfahrtsverbände bzw. ihrer Spitzenverbände konnten in dem Ständigen Beratergremium erste Entwürfe des jeweiligen NAP/Inklusion mit den federführenden Mitarbeitern des BMGS diskutieren und Teile des Anhangs auch mitgestalten. Wir (...) als freie Wohlfahrtspflege sind (...) gut eingebunden gewesen. So haben wir die Aufgabe übernommen, für die Aktualisierung der NAP im Jahr 2005 den ganzen Anhang zu machen. Da haben sich alle Gruppen darstellen können, Best Practice, also diese ganzen Sachen (...). Und wir haben das auch ein bisschen mit koordiniert für die Bundesregierung, dass sich auch die Zivilgesellschaft angemessen darstellen kann. Das fanden wir gut. (D18)
Die NAP/Inklusion wurden von ihnen zunächst begrüßt, allerdings stellte sich gerade ab dem Jahr 2004 eine Ernüchterung ein. Denn die nichtstaatlichen Organisationen hatten sich von den Plänen einen Schub für die nationalen sozialpolitischen Diskussionen erhofft. Im Lauf der Zeit wurden für sie jedoch immer stärker die Umsetzungsprobleme innerhalb der staatlichen Behörden offensichtlich. Nicht wenige Verbände fragten sich daher, ob sich der zeitliche Aufwand im Beratergremium lohne. Neben dieser Arbeit für die NAP/Inklusion auf nationaler Ebene engagierten sich die freien Wohlfahrtsverbände und einige gemeinnützige Verbände in der hier untersuchten Zeitphase in zahlreichen Initiativen zur Förderung einer europäischen Zivilgesellschaft und zur Stärkung der nationalen nichtstaatlichen Sektoren im Zuge des europäischen Aktionsprogramms. Beteiligt waren an den Maßnahmen vor allem die Spitzen der Verbände und Organisationen oder enge Mitarbeiter von ihnen. Sie sahen darin eine Chance, das eigene Handeln sowie die eigenen Denkmuster zu hinterfragen und neue Kontakte zu knüpfen. Damit werden aber auch die Grenzen des europäischen
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Programmes deutlich, denn dieses wurde vor allem von nichtstaatlichen Akteuren genutzt, die in der politischen Planung und wenig in der tatsächlichen Umsetzung gebunden sind. Es ist daher zu erwarten, dass die OMK/Inklusion vor allem einen Einfluss in die Arbeit der politischen Spitze des nichtstaatlichen Sektors, in ihre politischen Positionsdebatten und weniger in die tatsächliche Wohlfahrtsarbeit hat. Auch die Sozialpartner waren an der OMK/Inklusion durch das Ständige Beratergremium beteiligt. Allerdings standen sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeberverbände der Arbeit im Rahmen des Beratungsgremiums tendenziell skeptisch gegenüber. Gerade die Mitarbeiter der Arbeitgeberverbände bemängelten in meinen Interviews, dass nicht nachvollziehbar sei, was von den eigenen Anregungen vom Sozialministerium aufgenommen würde. Daher nahmen sie nach eigenen Angaben an den Sitzungen des Ständigen Beratergremiums kaum teil, sie beteiligten sich vor allem am Schriftverkehr. Auch hätten die eigenen Einflussmöglichkeiten auf den Prozess seit dem Jahr 2002 abgenommen. Früher, als das BMAS für die OMK/Inklusion zuständig gewesen sei, hätten sie mehr Impulse setzten können, da dieses Ministerium die „Wichtigkeit der Sozialpartner erkannt“ (D26) hätte. Die Sozialpartner seien automatisch durch das BMAS informiert worden. Nach der Umstrukturierung im Jahr 2002 seien sie nur noch unterrichtet worden, wenn sie Eigeninitiative gezeigt hätten, „dabei ist doch das Ministerium in einer Bringschuld“ (D26). Dagegen beschrieben die Beteiligten der Gewerkschaften das Verhältnis zum Sozialministerium als gut. Gleichwohl sprachen auch sie den NAP/Inklusion nur eine geringe politische Bedeutung zu. Die Regierung sei nicht bereit, eine umfassende Politik der sozialen Eingliederung zu entwickeln, weshalb die Aktionspläne kaum mehr als eine „formale Pflichterfüllung“ (D7) gegenüber der europäischen Ebene seien. Zusätzlich zu der Arbeit im Ständigen Beratergremium waren einige Sozialpartner wie auch Wohlfahrtsverbände an den bilateralen Gesprächen mit der Kommission über die Darstellung Deutschlands in den Gemeinsamen Berichten beteiligt. Allerdings kritisierten sie an den Gesprächen, dass sie nicht die Möglichkeit hätten, der Kommission den eigenen Standpunkt zu erklären, da die Regierung darauf dränge, dass die deutsche Delegation mit einer einzigen Stimme spreche. Die Regierung band den nichtstaatlichen Sektor demzufolge auf Basis der bestehenden Strukturen in das Verfahren ein. Ein Vergleich der Bewertungen des Prozesses durch die verschiedenen Organisationsgruppen zeigt, dass die Vertreter der Wohlfahrtsverbände und der gemeinnützigen Vereine dem Verfahren den größten Nutzen zusprachen, danach folgten Mitarbeiter der Gewerkschaften, während die Mitarbeiter der Arbeitgeberverbände dem Verfahren kritisch gegenüberstanden. Allerdings wurden die stark engagierten Organisationen von dem Wirkungspotenzial des Verfahrens auf das staatliche Handeln ernüchtert, wes-
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halb der Sinn des Prozesses in diesem Zusammenhang mehr und mehr in Frage gestellt wurde. Daneben bewerteten die Spitzen der Wohlfahrtsverbände und der gemeinnützigen Vereine die Maßnahmen des Aktionsprogramms als positiv für die eigene Arbeit und partizipierten aktiv an den transnationalen Debatten und Projekten.
6.2.5 Zwischenresümee: Die OMK/Inklusion als Nebensache Im Untersuchungszeitraum waren zahlreiche Akteure und Organisationen des deutschen Feldes in die OMK/Inklusion eingebunden. So koordinierte die Bundesregierung die Erstellung des NAP/Inklusion und stellte Delegierte für sämtliche europäischen Gremien. Die Bundesländer waren an dem Verfahren mit eigenen Berichtteilen für die Aktionspläne und mit einem Abgesandten im SPC beteiligt. Des Weiteren wurden interessierte nichtstaatliche Organisationen für die NAP/Inklusion von der Regierung als Berater angehört. Darüber hinaus sind sie bis heute aktiv in den europäischen nichtstaatlichen Netzwerken engagiert. Die Kommunen waren dagegen nur vereinzelt bzw. indirekt durch ihre Landesregierungen und ihrer Spitzenverbände an der OMK/Inklusion beteiligt, der Bundestag dafür marginalisiert. Allerdings wird in dieser Arbeit argumentiert, dass eine reine Beteiligung der nationalen Akteure und Organisationen nicht ausreicht, damit die OMK/ Inklusion erfolgreich wird. Vielmehr kann das Verfahren nach meinem Dafürhalten nur nachhaltige Impulse setzen, wenn sie von den nationalen Kompetenzträgern als Hilfestellung bewertet werden. Meine Analyse ergab, dass auf staatlicher Seite ideologische und machtstrategische Konflikte in den Prozess getragen wurden, was eine wirkungsvolle Verknüpfung der OMK/Inklusion mit den national geführten Debatten oftmals erschwerte. So bewerteten viele deutsche Sozialpolitiker und ihre administrativen Behörden die europäische Integration als zu wirtschaftsfreundlich und standen dementsprechend sämtlichen europäischen Initiativen im sozialpolitischen Bereich kritisch gegenüber, da sie als Ergebnis einen Abbau von Sozialstandards fürchteten. Daneben sahen viele Bundesländer wie auch kommunale Spitzenverbände in der OMK/Inklusion einen Versuch der europäischen Organe, die sozialpolitischen Kompetenzen auf die höheren Ebenen zu verlagern. Friedrich (2006: 17) spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass das Verfahren als ein trojanisches Pferd wahrgenommen wurde. Auf Grundlage dieser Vorbehalte forderten sämtliche Sozialpolitiker aus dem Bundesministerium und den Landesministerien eine starke Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in der OMK/Inklusion bzw. versuchten den Prozess möglichst schwach und allgemein zu halten. Solche Ergebnisse zeigten sich auch in ande-
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ren Systemen. So arbeitete Armstrong (2006a: 91) für Schottland und Wales heraus, dass diese den NAP/Inklusion kritisch gegenüberstanden, da sie die Pläne vor allem als eine Maßnahme der britischen Regierung werteten, durch die eigenen lokalen Kompetenzen in Frage gestellt werden. Somit wird deutlich, dass die OMK/Inklusion nicht per se als Lernchance wahrgenommen wird, sondern auch als Bedrohung der eigenen Kompetenzen. Entscheidend bei der Bewertung des Verfahrens waren demnach nicht die von der OMK-Forschung (vgl. Trubek/Trubek 2005a, Jacobsson 2004a) ausgemachten Vorteile für die staatlichen Stellen, sondern Bedenken und Vorurteile auf Basis feldimmanenter Machtspiele. Dies bedeutet für eine erfolgreiche Umsetzung des Prozesses, dass nicht nur Lernangebote gemacht sondern auch Vorbehalte gegenüber der europäischen Ebene beseitigt werden müssen. Auf diesen kognitiven Barrieren aufbauend ergaben sich dann auch organisatorische Probleme, denn die bei der OMK/ Inklusion federführenden Referate und ihrer Mitarbeiter verfügten auf nationaler Ebene nur über geringe inhaltliche Befugnisse und waren weisungsgebunden. Dagegen zeigte sich im nichtstaatlichen Sektor, dass die freien Wohlfahrtsverbände wie auch einige gemeinnützige Verbände den Prozess als Chance verstanden, die eigene Arbeit zu verbessern und sie sich daher an dem Aktionsprogramm beteiligten. Es ist daher zu erwarten, dass die OMK/Inklusion vor allem einen Einfluss auf die Arbeit der nichtstaatlichen Organisationen und weniger auf die Reformpläne der Regierung hatte.
6.3 Die Umsetzung des europäischen Verfahrens Die OMK/Inklusion soll sowohl die staatlichen als auch die nichtstaatlichen Kräfte in ihrem Kampf gegen soziale Ausgrenzung stärken (vgl. auch de la Porte/Pochet 2005). Gleichwohl zeigte meine bisherige Analyse der OMK/Inklusion im deutschen Feld, dass das Verfahren kaum mit den staatlichen Debatten verknüpft war. Daher wird im Folgenden angenommen, dass die OMK/ Inklusion nur einen begrenzten Einfluss auf das staatliche Handeln hatte, da der Prozess bei den entscheidenden Stellen in den Behörden als nicht anschlussfähig an die bestehende institutionelle Ordnung bzw. die eigenen Reformpläne galt. Gezeigt wird, dass es auf staatlicher Ebene nur zu individuellen Lernprozessen bzw. zu einem Lernen in einzelnen Organisationseinheiten kam, ohne dass dies zu einem institutionellen Wandel führte. Bezogen auf den nichtstaatlichen Sektor wird jedoch argumentiert, dass das Verfahren von den Spitzen der Wohlfahrtsverbände und einigen gemeinnütziger Vereine als Chance betrachtet wurde, die nationale Situation und die eigenen Modelle zu reflektieren, und daher einen Einfluss auf die nichtstaatlichen Debatten hatte. Dementsprechend wird gezeigt,
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dass mithilfe der europäischen Maßnahmen im nichtstaatlichen Sektor neue Leitbilder entwickelt und nationale wie internationale Kontakte aufgebaut wurden. In einem ersten Schritt werden nun die Umsetzung der Ziele und die Verwendung der Indikatoren analysiert und herausgearbeitet, dass diese von staatlicher Seite nur bedingt als passend für das deutsche Feld gewertet wurde (6.3.1). Danach wird die Implementierung der NAP/Inklusion betrachtet und dargelegt, dass diese von den staatlichen Stellen als europäische Berichte ohne größere Bedeutung für das deutsche Feld bewertet wurden (6.3.2). Weiter werden die Auswirkungen des europäischen Benchmarkingprozesses und Peer-Review-Verfahren auf die deutschen Debatten untersucht und auch hier gezeigt, dass die Behörden versuchten, die deutsche Politik auf europäischer Ebene möglichst gut zu präsentierten, ohne umgekehrt die Impulse im nationalen Kontext aufzugreifen. Im zweiten Teil dieses Kapitels richtet sich der Fokus auf die Auswirkungen des Aktionsprogramms (6.3.3). Hierbei wird zunächst herausgearbeitet, dass es einen punktuellen Einfluss auf das Handeln der Administration hatte. In der anschließenden Untersuchung wird dargelegt, die europäischen und nationalen Projekte, die im Rahmen des Programms stattfanden, die Leitbilder und Analyseschemata vieler nichtstaatlicher Organisationen veränderten und dazu beitrugen, dass im nichtstaatlichen Sektor neue Kontakte auf nationaler und internationaler Ebene geknüpft wurden. Allerdings wird auch deutlich werden, dass sich der europäische Einfluss auf die Spitze der freien Wohlfahrtsverbände und einiger größerer gemeinnütziger Vereine konzentrierte, während die unteren Ebene der Organisationen oder kleineren NGOs kaum beteiligt waren.
6.3.1 Unpassende Vorgaben: Die Ziele und Indikatoren der OMK/Inklusion Im Rahmen der OMK/Inklusion ist vorgesehen, dass die Regierungen die europäischen Ziele bei der Entwicklung ihrer Konzepte aufgreifen. Ferner sollen sie sich selbst quantifizierbare Ziele setzen, die auf die nationalen Herausforderungen abgestimmt sind. Später soll ihre Implementierung mithilfe der LaekenIndikatoren evaluiert werden. Im Folgenden wird jedoch gezeigt, dass weder das Instrument der Zielsetzung noch die Indikatoren im deutschen Feld wirkungsvoll umgesetzt wurden. Vielmehr galten beide Instrumente im Untersuchungszeitraum innerhalb des Sozialministeriums auf Basis der bestehenden Ordnungsvorstellungen als begrenzt relevant für die deutsche Wohlfahrtspolitik und als nicht anschlussfähig an den eigenen Handlungsansatz. Sie wurden daher kaum in den staatlichen Debatten und Reformplänen aufgegriffen. In meinen Interviews wurde mehrmals auf den hohen Lebensstandard in Deutschland gerade im Vergleich zu einigen europäischen Nachbarn verwiesen.
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Sowohl die Mehrheit der bei der OMK/Inklusion federführenden Beamten als auch die nationalen Kompetenzträger sahen daher die vier Ziele des Verfahrens im deutschen Feld als weitgehend erreicht an und betonten, dass diese primär einen Nutzen für andere EU-Mitglieder haben. Aus Sicht der Regierung bestand deshalb auch keine Notwendigkeit, die europäischen Vorgaben in den eigenen Reformplänen aufzugreifen. Aber nicht nur die europäischen Ziele, sondern auch die Vorgabe sich selbst nationalspezifische Ziele zu setzen, stießen auf Ablehnung und Widerstand. So wurde von einigen staatlichen und nichtstaatlichen Interviewpartnern hervorgehoben, dass das Instrument der Zielvorgaben und deren spätere Erfolgsevaluation im Bereich der sozialen Eingliederung nicht anschlussfähig an den bestehenden nationalen Handlungsansatz sind. Ganz ausgeprägt ist das [Benchmarking; die Verfasserin] in den skandinavischen Staaten und gibt da extreme Transparenz, die in Deutschland nicht durchzusetzen wäre. (D21)
Ein solches Vorgehen entspreche nicht dem Politikansatz in Deutschland, der auf eine Bekämpfung der Ursachen und weniger auf bestimmte Ergebnisse ausgerichtet sei. Viele staatlichen Behörden wären daher auch nicht bereit, eine Analyse ihrer eigenen Arbeit durchzuführen. Hinzu kam, dass die federführenden Beamten aus strategischen Überlegungen dem Ansatz kritisch gegenüberstanden. Sie fürchteten, dass Bewertungen auf Basis von quantifizierbaren Zielen für die Regierung in einer „öffentlichen Schelte“ (D23) münden würden. Aber wir haben eben Schwierigkeiten zu sagen, wir wollen die Armut bis 2010 halbieren. Also, das beruht ein bisschen auf schlechten Erfahrungen, die man mit quantitativen Zielen gemacht hat, und es fehlt einfach die Tradition. (D23)
Denn die Regierung hatte in anderen Bereichen die Erfahrung gemacht, dass sie an ihren selbst gesteckten Zielen öffentlich gemessen und ggf. kritisiert wurde. Aus Sicht der Regierung waren quantifizierbare Ziele damit weder anschlussfähig an den bestehenden Handlungsansatz noch politisch erwünscht, weshalb sie ihre nationale Implementierung blockierte. Genutzt wurden die Ziele der OMK/Inklusion nur von den bei den NAP/Inklusion federführenden Beamten, die auch für die Erstellung der nationalen Armuts- und Reichtumsberichte zuständig sind. Sie verwendeten sie für die Entwicklung einer eigenen Definition von Armut und sozialer Ausgrenzung im ersten Teil der Armuts- und Reichtumsberichte. Armut bezieht sich demnach auf die Ungleichheit von Lebensbedingungen und die Ausgrenzung von einem gesellschaftlich akzeptierten Lebensstandard. Dies entspricht dem Ansatz der „social exclusion“ bzw. der „social inclusion“ in der Armutsbekämpfungspolitik der EU. (BMGS 2005b: 7)
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Allerdings wurden diese Begriffsbestimmungen nach Angaben meiner Interviewpartner weder in den politischen Debatten zu den Armuts- und Reichtumsberichten noch für die nationalen Reformen aufgegriffen. Diskutiert wurden vielmehr die Beschreibungen der aktuellen Entwicklungen und Reformen im zweiten Teil der Armuts- und Reichtumsberichte. Die Impulse, welche die Beamten im Rahmen ihrer Einflussmöglichkeiten zu setzen versuchten, blieben somit ohne größere Resonanz. Bezüglich einer nationalen Nutzung der Laeken-Indikatoren wurde im Sozialministerium argumentiert, in Deutschland gebe es bereits ein ausgeprägtes Statistikwesen, weshalb kein Bedarf an europäischen Indikatoren bestehe. Als notwendig und sinnvoll galt die Einführung der europäischen Indikatoren ausschließlich in solchen europäischen Mitgliedsstaaten, die noch kein ausreichendes Statistiksystem hätten. Einige Experten gingen in meinen Interviews sogar noch einen Schritt weiter und bezeichneten das deutsche Statistikwesen als ein Vorbild für diese Staaten. Auch würde das eigene Set an Indikatoren die aktuelle Situation genauer, aussagekräftiger und umfassender darzustellen als die OMK/Inklusion-Indikatoren. So beanstandete die Regierung in einer Stellungnahme die europäische Fokussierung auf die monetäre Einkommenslage und Beschäftigungssituation, da Deutschland dadurch schlechter abschneiden würde, als die Situation eigentlich wäre (vgl. Bundesregierung 2005). Sowohl die nationalen Kompetenzträger als auch die Mehrheit der bei der OMK/Inklusion federführenden Beamten standen den beiden Instrumenten nach meinen Ergebnissen auf Basis ihrer kognitiven und regulativen Ordnungsvorstellungen und aus machtstrategischen Überlegungen ablehnend gegenüber. Dies hatte zur Folge, dass die Ziele und Indikatoren kaum in den nationalen Debatten aufgegriffen wurden, einzig in den Armuts- und Reichtumsberichten wurde auf sie verwiesen. Aber selbst in den deutschen NAP/Inklusion wurden beide Instrumente nur im begrenzten Umfang genutzt. So basierten die Aktionspläne nur auf qualitativ gehaltenen Zielen (vgl. BMAS 2001a, BMGS 2003): ¾ Leitziel 1: Soziale Balance sichern – Verwirklichungschancen verbessern ¾ Leitziel 2: Teilhabe der Menschen organisieren – Armut und soziale Ausgrenzung verhindern ¾ Leitziel 3: Eigenverantwortung stärken und vorhandene Potenziale aktivieren, ¾ Leitziel 4: Soziale Sicherung armutsfest machen. In den einzelnen Unterkapiteln wurden nur einige wenige quantifizierbare Vorgaben aufgestellt, die sich meist an den Leitlinien der Beschäftigungsstrategie
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anlehnten.42 Ausschließlich zur Stärkung der sozialen Eingliederung wurden nur zwei quantifizierbare Absichtserklärungen genannt (und das nur im ersten NAP/Inklusion). Zum einen griff die Bundesregierung das Ziel des „Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter“ auf, demzufolge die Zahl von arbeitslosen Schwerbehinderten um rund 50 000 bis zum Oktober 2002 zu senken ist. Zum anderen stellte die Bundesregierung einen quantifizierbaren Plan im IT-Bereich vor.43 Im zweiten NAP/Inklusion wurde im Bezug auf die beiden Zielvorgaben darauf verwiesen, dass das Erste schon erreicht worden sei und das Zweite kurz vor der Erfüllung stehe. Im anschließenden Implementierungsbericht im Jahr 2005 ging die Regierung einzig auf die quantifizierbaren Ziele der EBS ein. Diese Vorgehensweise wurde sowohl vonseiten der Kommission als auch von nichtstaatlichen Organisationen kritisiert. Beide bemängelten den geringen Stellenwert der europäischen Ziele sowohl in den NAP/Inklusion als auch in der Arbeit der Bundesregierung. Also da [im NAP/Inklusion] hätten wir uns schon konkretere Zielformulierungen gewünscht und konkretere Abgleiche, was haben wir uns vorgenommen, was wurde erreicht. (D18)
Auch die Laeken-Indikatoren wurden in den NAPs nur im begrenzten Umfang verwendet, vielmehr konzentrierten sich die staatlichen Stellen die tertiären. Somit ist zu sagen, dass eine Organisationseinheit die europäischen Ziele in der eigenen Arbeit aufgriff. Allerdings konnte sie ihre Erkenntnisse nicht in die staatlichen Debatten einbringen. Denn die durchsetzungsstarken Kräfte werteten die Ziele als kaum relevant für das eigene Feld bzw. als nicht anschlussfähig an den bestehenden politischen Handlungsansatz. Auch die Laeken-Indikatoren galten als nur begrenzt angemessen für eine Evaluation der deutschen Situation. Vielmehr wurden die Passfähigkeit der eigenen Indikatoren betont.
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Ziele des Implementierungsberichtes sind im 2005 u.a. (vgl. BMGS 2005a: 8f, 11): eine Beschäftigungsquote von 70% der erwerbsfähigen Bevölkerung und eine Steigerung des Anteils vom BIP für Ausgaben im Bereich Bildung und Forschung auf 3 %. Bis zum Jahr 2004 stellte die Bundesregierung ca. 1,4 Mrd. DM für Maßnahmen innerhalb des Rahmenkonzeptes „Anschluss statt Ausschluss“ bereit. Das Geld sollte dazu beitragen, die Ziele dieses Aktionsprogramms [„Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“] umzusetzen, wie die Netzanbindung aller Schulen und berufliche Ausbildungsstätten bis 2001, Steigerung des Fachkräfteangebotes im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik um 250.000 bis zum Jahr 2005, Steigerung des Frauenanteils an den Ausbildungsplätzen in IT- und Medienberufen, an den Studienanfängern im Bereich Informatik, an Unternehmensgründungen sowie an der Internetgemeinde auf 40 % bis zum Jahr 2005 sowie die Gewährleistung der Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen an der umfassenden Nutzung von Informations- und Kommunikationstechniken (vgl. BMAS 2001a: 28).
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6.3.2 Die Umsetzung der Nationalen Aktionspläne als europäische Berichte Gemäß den Vorgaben des Europäischen Rates (2000a) sollen mit den Nationalen Aktionsplänen Konzepte entwickelt werden, wie die staatlichen Organe in der Zusammenarbeit mit lokalen wie nichtstaatlichen Organisationen die soziale Eingliederung in einer Gesellschaft stärken können. In den Dokumenten soll erstens dargelegt werden, wie die nationalen Organisationen die Vorgaben der OMK/Inklusion umsetzen möchten. Zweitens sollen die NAP/Inklusion nationale Debatten anregen, wie soziale Ausgrenzung nachhaltig im nationalen Feld bekämpft werden kann. Dies soll drittens damit einhergehen, dass alle national relevanten Akteure und Organisationen an den Plänen beteiligt werden. Auf den ersten Blick scheinen die NAP/Inklusion im deutschen Feld erfolgreich genutzt worden zu sein. So wurden hier deutlich mehr Akteure und Organisationen in ihre Erstellung eingebunden, als dies etwa in Frankreich oder Italien der Fall war. Auch wurden sämtliche formale Vorgaben eingehalten. Im Folgenden wird allerdings nachgewiesen, dass die NAP/Inklusion in Deutschland als europäische Berichte verstanden wurden, die kaum eine Auswirkung auf die nationalen Debatten oder Kommunikationsstrukturen hatten. Zunächst wird dargelegt, dass die primäre Aufgabe der federführenden Beamten darin bestand, ein Dokument zu erstellen, das der Kommission wenig Anlass zur Kritik gab, was auch den großen Koordinierungsaufwand erklärt. Schließlich werden die NAP/Inklusion mit den Armuts- und Reichtumsberichten verglichen und dargelegt, dass Erstere als europäische und Letztere als die national bedeutsamen Berichte gewertet wurden. Der erste NAP/Inklusion war noch vom E-Referat des damaligen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung erstellt worden, wobei andere Bundes- und Landesministerien ad hoc bzw. auf Basis bestehender Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Ländern einbezogen wurden. Im Jahr 2002 wurde das Referat 524 im Sozialministerium federführend.44 Dieses organisierte und koordinierte zum einen die Arbeit der beteiligten Gremien. Zum anderen hatte es dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland auf europäischer Ebene durch die Dokumente in einem positiven Licht erscheint. Diese Aufgabenstellung führte in Kombination mit seinen geringen nationalen Durchsetzungskompetenzen dazu, dass sich das Referat besonders auf die Umsetzung der formalen und organisatorischen Vorgaben konzentrierte. Also es wird formal schon ernst genommen von der Bundesregierung. (...) Und die nehmen das schon sehr ernst im BMGS. Die machen auch diese Koordination und die Federführung sehr, sehr gut. (D18)
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Das Referat ist auch heute für die sozialen Eingliederungsteile der Nationalen Strategieberichte zuständig.
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Während die federführenden Beamten die inhaltlichen Kritikpunkte der Kommission kaum beachteten, griffen sie deren organisatorische Anregungen auf. Jene hatte bemängelte, dass bei der Erarbeitung des erste NAP/Inklusion die übrigen nationalen Organisationen zu wenig einbezogen worden waren. Das federführende Referat achtete deshalb seitdem verstärkt darauf, möglichst viele Kräfte wenigstens formal einzubinden. K om m is s ion
B un d es r e gie ru n g
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K o m m un e n
In te r m i nis te ri elle A r be its g ru p pe
B er atu n g un d B e wä h rte P ra x is be is p ie le
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W is s e ns c h aftl ic he s B er ate r gr em iu m
W oh lfah rts v e rb ä nd e ,K irc h en , S o z ialp a rtn er,S e lb s thilfe g ru pp e n K o m m u n ale S p itz en v er b än d e P a rla m en ta rie r de r S P C un d B ü nd n is 90 /d ie G r ün e n
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 7: Erstellung der Nationalen Aktionspläne in Deutschland
Die Erstellung eines NAP/Inklusion wurde von Beteiligten als ein sich mehrmals wiederholender „Koordinationskreislauf“ beschrieben. Dieser begann, indem das federführende Referat die Arbeitsgruppen über die Vorgaben der europäischen Ebene informierte und aufforderte, in ihren jeweiligen Ministerien Berichte über die im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung geleistete Arbeit bzw. die entsprechenden geplanten Reformen einzuholen. Also schreibe ich die Kollegen aus dem BMF an, ob sie mir bitte mitteilen, was sie denn im Bereich der sozialen Integration, der sozialen Ausgrenzung für Maßnahmen beabsichtigen zu machen. Jetzt ist aber die Kollegin im BMF fachlich nicht zuständig, das ist auch ein großes Haus. Also wird sie im Haus wiederum die Abteilungen anschreiben, und die koordinieren das wiederum für sich. Dann bekommen wir eine Antwort von der zuständigen Fachabteilung über die Koordinierungsstelle im BMBF. Und wir nehmen das dann auf. (D22)
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Auf Grundlage dieser Texte erstellte das Referat einen formal korrekten NAP/Inklusion-Entwurf. Dieser wurde dann in sämtlichen Gremien diskutiert. An dieser Stelle konnten auch die beteiligten nichtstaatlichen Organisationen, die kommunalen Spitzenverbände bzw. Wissenschaftler ihre Stellungnahmen abgeben, Bewährte Praxisbeispiele nennen und damit Einfluss auf das Dokument nehmen (siehe Abbildung 8). Der überarbeitete Textentwurf zirkulierte anschließend solange zwischen den Beteiligten innerhalb der Bundesregierung und der Bundesländer, bis diese zustimmten bzw. keinen Widerspruch einlegten. Die Endfassung wurde sowohl dem Kabinett als auch dem Bundesrat zur Verabschiedung vorgelegt, was jedoch von den Beteiligten aufgrund des ausführlichen Koordinierungsprozesses zuvor als eine Formsache gewertet wurde. Auch wurden die Pläne an dem Bundestag zur Kenntnisnahme übersandt, der sie jedoch kaum beachtete. Demnach kann festgehalten werden, die federführenden Beamten versuchten, mit dem Wissen ihrer eigenen Durchsetzungsschwäche zumindest die formalen, europäischen Kriterien zu erfüllen. Die NAP/Inklusion und die Armuts- und Reichtumsberichte wurden teilweise von denselben Gremien und darin oftmals von denselben Akteuren erarbeitet. Sie galten daher zusammen als das deutsche Berichtwesen zur Armutspolitik. Dabei kam es zu einer formalen und einer faktischen Aufgabenteilung: Formal sollten sie komplementäre Schwerpunkte bei ihrer Ausrichtung haben. So war vorgesehen, dass mithilfe der Armuts- und Reichtumsberichte die aktuelle wie vergangene Politik analysiert wird und auf dieser Grundlage weitere Maßnahmen beschlossen werden. Die [NAP/Inklusion] haben ja nicht den Schwerpunkt auf der Analyse, sondern die haben den Schwerpunkt auf der Aktion, also auf die Frage, wie geht die Bundesregierung während der Laufzeit eines Aktionsplans diese oder jenes soziale Problem an. Er hat ja mehr so einen zukunftsorientierten Themencharakter, insofern sehen wir [das Referat 524] das eigentlich so, dass sich die beiden ergänzen. Nur das wird in der Öffentlichkeit nicht unbedingt so wahrgenommen. (D23)
Dagegen sollten die NAP/Inklusion zukunftsorientiert sein und geplante Reformen beschreiben. Allerdings war der faktische Mehrwert der Aktionspläne im Vergleich zu den Armuts- und Reichtumsberichten unter meinen Interviewpartnern umstritten. So betonten die federführenden Mitarbeiter im BMGS, dass sie durch die Pläne in eine europäische Diskussion eingetreten seien. Gleichwohl relativierten sie selbst diese Innovation, indem sie auch angaben, dass dies kaum Konsequenzen für die staatlichen Debatten und Reformpläne hatte. Als weiteren nationalen Vorteil nannten sie, dass im Gegensatz zu den Armuts- und Reichtumsberichten die Bundesländer in die Pläne einbezogen würden. Bund und Länder hätten so ihren Dialog über Armut und soziale Ausgrenzung ausbauen können. Dagegen wurde von Vertretern der Länder betont,
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dass der NAP/Inklusion für sie ein eher zweitraniges Instrument für einen Austausch mit der Regierung ist. Schließlich argumentierten die Beamten des federführenden Referates, dass mit den Plänen die nichtstaatlichen Organisationen noch weiter in das Berichtwesen eingebunden werden. Hiergegen wanden jedoch die Vertreter der Wohlfahrtsverbände ein, sie hätten schon vor der Einführung der NAP/Inklusion ein gutes Verhältnis zum Sozialministerium gehabt. Außerdem sahen sie ihren Einfluss auf die Armuts- und Reichtumsberichte als größer an. Auch konnten durch die Aktionspläne weder die Kontakte zwischen den NGOs intensiviert noch die traditionell schwachen Verbindungen zu den Sozialpartnern wesentlich ausgebaut werden. Der NAP/Inklusion hatte demnach einen geringen Stellenwert in den nationalen Debatten und für die Entwicklung von Maßnahmen sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Die Wertigkeit des NAP/Inklusion >ist@ ziemlich gering (...). Ich [Mitarbeiter einer Gewerkschaft, die Verfasserin] empfinde das mehr als ein formales Erfordernis, wo man sagt, das haben wir auch noch gemacht. Die sozialen Akteure dürfen auch noch mal eine Stellungnahme abgeben. Aber hat das eine praktische Relevanz? Sehr gering. (D7).
Als bedeutender wurde der Armuts- und Reichtumsbericht gewertet, der nach Angaben von Experten das Thema innerhalb der Bundesregierung präsenter gemacht und den Dialog mit den nichtstaatlichen Akteuren einen neuen Schub verliehen hatte. [Armut] ist seit 1998 sicherlich wegen des Armuts- und Reichtumsberichtes sehr stark zum politischen Thema geworden. (...) Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass dies ein Erfolg der OMK ist, es ist ein Erfolg der Politik dieser Regierung [der im Jahr 1998 gewählten MitteLinks-Regierung, die Verfasserin] gewesen, dass sie sich überhaupt dieses Themas angenommen hat. (D23)
Somit kann festgehalten werden, dass nicht nur formal unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt wurden. De facto wurden zwischen dem national relevanten Armuts- und Reichtumsbericht und dem NAP/Inklusion als europäischen Bericht differenziert. In Bezug auf die Erwartungen, die mit den NAP/Inklusion verbunden sind, muss gesagt werden, dass sie in Deutschland nicht erreicht wurden: Innerhalb des Berichtwesens wurde klar unterschieden zwischen den Armuts- und Reichtumsberichten als nationale Diskussionsgrundlage und den Aktionsplänen, die als europäische Berichte mit geringer nationaler Relevanz verstanden wurden. Auch veränderten sie nicht die Governance-Strukturen. Vielmehr wurden sie größtenteils auf Basis der bestehenden Strukturen erstellt. Damit unterscheiden sich meine Ergebnisse von Friedrich (2006: 18f). Dieser hatte argumentiert, dass
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die schwachen Armuts- und Reichtumsberichte durch die NAP/Inklusion profitieren könnten und die NGOs den Aktionsplänen positiver gegenüberstehen als den nationalen Berichten, die als „graveyard for data“ (Friedrich 2006: 18) verstanden würden. Dieser Unterschied lässt sich damit erklären, dass sich Friedrich vor allem auf den ersten NAP/Inklusion und die optimistische Anfangszeit der OMK/Inklusion konzentrierte. Dagegen berücksichtigen meine Ergebnisse sämtliche NAP/Inklusion und beziehen damit auch eine spätere Phase ein, in der die hohen Erwartungen schon durch erste empirische Erfahrungen relativiert worden waren und sich bereits eine Ernüchterung eingestellt hatte. Die Gründe für die weitgehend wirkungslose Umsetzung dieses europäischen Instrumentes sind nach meinen Resultaten in den nationalen kognitiven wie strategischen Rahmenbedingungen zu finden: So wertete die Regierung die Armuts- und Reichtumsberichte als ausreichender Impulsgeber für die nationalen Debatten. Daneben verfügten die federführenden Beamten der NAP/Inklusion nicht über die Kompetenzen, die in den Plänen beschriebenen Konzepte durchzusetzen. Dies führte dazu, dass sie sich vor allem auf die formalen und organisatorischen Vorgaben der europäischen Ebene konzentrierten.
6.3.3 Selbstdarstellung ohne Folgen: Die Beteiligung an den Gemeinsamen Berichten mit den bewährten Praxisbeispielen und den Peer-ReviewVerfahren Die nationalen Reformbemühungen sollen nicht nur durch europäische Vorgaben angeregt, mithilfe der NAP/Inklusion dokumentiert und auf Basis der LaekenIndikatoren überprüft werden. Vielmehr ist auch vorgesehen, sie durch europäische Benchmarkingprozesse und einen transnationalen Erfahrungsaustausch zu verstärken und in bestimmte Richtungen zu lenken. Hierfür wurden im Untersuchungszeitraum auf europäischer Ebene Gemeinsame Berichte mit bewährten Praxisbeispielen erstellt und Peer-Review-Verfahren durchgeführt (vgl. Jacobsson 2004b: 364). Im Folgenden wird jedoch gezeigt, dass keines dieser Instrumente Auswirkungen auf die staatliche Politik in Deutschland hatten, da sie primär zur Präsentation der eigenen Politik und Projekte auf europäischer Ebene genutzt wurden. Ermöglicht und verstärkt wurde dieser einseitige Gebrauch nach meinen Erkenntnissen auch durch die spezifische Ausgestaltung der OMK/Inklusion-Instrumente. Bereits in meiner Untersuchung zur Organisation der OMK/Inklusion im deutschen Feld (Abschnitt 6.2) deutete sich an, dass hier inhaltliche und machtstrategische Vorbehalte einer erfolgreichen Umsetzung der OMK/Inklusion entgegenstanden. Diese Annahmen werden nun in diesem Abschnitt bestätigt. So
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begegnete die Mehrheit der staatlichen Stellen auf Bundes- und Länderebene einem europäischen Benchmarking im sozialpolitischen Bereich mit Misstrauen, da sie das Verfahren als einen Versuch der europäischen Organe werteten, einen wirtschaftsliberalen Einfluss auf die nationalen Wohlfahrtsstaaten auszuüben. Die Einschätzung hing nach Angaben von Regierungsmitarbeitern vor allem damit zusammen, dass gerade die Europäische Kommission vom Sozialministerium und mehreren Länderministerien als sehr wirtschaftsfreundlich eingestuft wurde. Auch zweifelten die meisten Sozialpolitiker bzw. die zuständige Administration an, dass ein europäischer Vergleich der nationalen Wohlfahrtspolitiken möglich und sinnvoll sei. Jedes nationale System sei in einen bestimmten Kontext eingebunden und zu komplex, um adäquat mit anderen Modellen verglichen werden. Aus denselben Gründen wurde auch angezweifelt, dass die Staaten voneinander lernen können. Diese kritische bis ablehnende Haltung hatte zur Folge, dass die Arbeit für die Gemeinsamen Berichte im Sozialschutzkomitee einer Verteidigung und Durchsetzung der eigenen Interessen auf europäischer Ebene diente, ohne dass seine Ergebnisse in den nationalen Kontext übertragen wurden. Also Deutschland lehnt die OMK ab, (...) und wenn sie schon mitmachen müssen, dann wollen sie gut dastehen. Und wir [Beamten der Kommission, die Verfasserin] haben so lange zusammen mit der deutschen Delegation die Fakten gedreht, bis die dem zustimmen können. Wir haben uns über die Armutsziffer gestritten, wir können uns über begleitende Maßnahmen streiten. (EU16)
Das Ziel sämtlicher beteiligter Bundes- und Landesbehörden lag darin, in den Gemeinsamen Berichten die Situation in Deutschland positiv darzustellen. Dies führte dazu, dass die deutschen Vertreter im SPC und bei den bilateralen Gesprächen die Gemeinsamen Berichtsentwürfe sehr genau prüften und oftmals Widerspruch anmeldeten. Deutschland ist mit Abstand die widerspenstigste Nation. Wir müssen immer sehr viel und lange sprechen. Das dauert manchmal bis zu zehn Stunden. (EU16)
Die Zusammenarbeit mit der deutschen Delegation galt daher auch unter den Mitarbeitern der Kommission als äußerst schwierig. Aber nicht nur die Mitarbeit an den Gemeinsamen Berichten, sondern auch die Beteiligung an den PeerReview-Verfahren rund um die NAP/Inklusion und Nennung von bewährten Praxisbeispielen in den nationalen und später in den europäischen Berichten war geprägt von einer skeptischen Haltung gegenüber der europäischen Ebene. In meinen Interviews wurde ferner betont, dass es aufgrund der Vielschichtigkeit der nationalen Systeme und den nationalen Besonderheiten kaum möglich sei voneinander zu lernen. Hinzu kommt, dass nach Einschätzung meiner Gesprächspartner die bei der OMK/Inklusion verwendete Form der Peer-Review-
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Verfahren und der bewährten Praxisbeispiele nur bedingt für ein gegenseitiges Kennenlernen der nationalen Systeme auf europäischer Ebene geeignet ist. Denn die einzelnen Lösungskonzepte würden nur oberflächlich und ohne Bezug zum nationalen Kontext untersucht bzw. beschrieben werden. So hätten die Delegierten bei den Peer-Reviews durch den zeitlich straffen Ablauf des Verfahrens kaum Zeit für ein tiefer gehendes Kennenlernen der anderen Systeme. In der Stellungnahme für die Kommission übte die Bundesregierung (2005b) denn auch heftige Kritik an den Instrumenten: Diese hätten „bislang nur die Funktion einer Bestätigung für den durchführenden Mitgliedstaat“. Eine „Beispiel- und Anreizfunktion“ sei kaum gegeben: Also unsere Kritik im Nachhinein an diesen Peer-Review-Verfahren im Speziellen (...) ist eigentlich, dass sie zu generell sind, sie haben immer den ganzen NAP zu betrachten (...).[S]o ein Verfahren verläuft nur über zwei oder drei Tage, da bleibt dem einzelnen Mitgliedstaat nur 20 oder 25 Minuten, und das reicht überhaupt nicht, um in die Tiefe zugehen. Und deswegen haben wir jetzt auch im Zusammenhang mit der Evaluierung der OMK durch den Fragebogen der Kommission (...) gesagt, es wäre interessanter, wenn sich die "PeerReviews" auf Themen konzentrieren würden. (D23)
Die Folge war, dass beide Instrumente sowohl von dem Bundessozialministerium als auch von den Landessozialministerien vor allen zur Präsentation des eigenen Handelns auf europäischer Ebene verwendet wurden. Also bei der Best Practise kann man ja nur schmunzelnd sagen, dass offensichtlich Bundesländer, die sich im Bundesrat kritisch äußern zur OMK, meist bei den Best Practice Verfahren mitmachen. Diese Bundesländer sind da ganz begeistert zu dokumentieren, was sie da für gute Sachen machen. (D17)
Gerade die europaskeptischen Länderbehörden sahen in den bewährten Praxisbeispielen eine Chance, die eigenen Erfolge zu präsentieren und sich damit von der Bundesregierung abzugrenzen. Festgehalten werden kann, dass große Teile der deutschen Sozialpolitiker und ihrer Administration den nationalen Nutzen der Gemeinsamen Berichte, der bewährten Praxisbeispiele und der Peer-Review-Verfahren anzweifelten. Sie werteten die Instrumente entweder als einen Versuch der europäischen Organe, die nationale Wohlfahrtspolitik zu beeinflussen, oder sie hoben hervor, dass die nationalen Systeme zu vielschichtig seien, um voneinander lernen zu können. Schließlich wurde auch darauf verwiesen, dass die Peer-Review-Verfahren und die bewährten Praxisbeispiele in ihrer damaligen Form kaum kein ein gegenseitiges Voneinander Lernen geeignet sind. Die Beteiligten konzentrierten sich denn auch auf den Input in die europäischen Debatten (d. h. auf die Selbstpräsentation) und nicht auf den Output (d. h. die Übernahme von anderen Ideen).
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6.3.4 Punktuelles Lernen in den staatlichen Stellen, breitere Nutzung durch die Zivilgesellschaft: Das Aktionsprogramm Das Aktionsprogramm sollte bis zu seinem Ende die bereits untersuchten Instrumente unterstützen. Dafür war vorgesehen, mit speziellen Austauschprojekten ein problembezogenes Lernen der Regierungen von anderen Systemen anzuregen (vgl. Behning 2003). Darüber hinaus sollten transnationale wie nationale Projekte den nichtstaatlichen Sektor fördern und öffentliche Diskussionen über die Probleme der sozialen Ausgrenzung anregen. Aufbauend auf dieser Programmausrichtung in Kombination mit meinen Erkenntnissen über die Organisation des Aktionsprogramms im deutschen Feld wird im Folgenden argumentiert, dass dieses Set an Projekten im Untersuchungszeitraum primär einen Einfluss auf den nichtstaatlichen Sektor hatte. Das Projektangebot wurde von einzelnen Beamten genutzt und konnte daher zu individuellen Lernprozessen bzw. einem Lernen von einzelnen Organisationseinheiten führen, gleichwohl verhinderten nationale Kompetenzkonflikte und die Ausrichtung der Instrumente eine Verbreitung der dort gewonnenen Erkenntnisse. Dagegen nutzte gerade die Spitze der nichtstaatlichen Organisationen das Programm, um die deutschen Leitbilder kritisch zu hinterfragen und darauf aufbauend neue Konzepte zu entwickeln. Ferner bauten sie im nationalen Feld und im internationalen Kontext neue Kontakte auf. Zur Erläuterung der Annahmen werden im Folgenden drei Bereiche des Programms exemplarisch untersucht. Zunächst wird auf seine Peer-ReviewVerfahren eingegangen und dessen Auswirkungen auf das staatliche Handeln diskutiert. Daran anschließend werden zwei nationale Projekte zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit analysiert und gezeigt, wie mit ihrer Hilfe die bestehenden Kontakte punktuell gestärkt und ausgebaut wurden. In einem weiteren Schritt wird die Einbindung der deutschen nichtstaatlichen Organisationen und Akteure in die europäischen Netzwerke und Maßnahmen untersucht. Zum Schluss werden die wichtigsten Einflüsse und ihre Bedingungen, aber auch die größten Hindernisse zusammengefasst. Die Peer-Reviews des Aktionsprogramms und später des Gemeinschaftsprogramms sollen im Gegensatz zu den Verfahren im Rahmen der NAP/Inklusion helfen, dass interessierte Regierungen konkrete Lösungskonzepte für spezielle Probleme austauschen und besprechen. Das Instrument hatte im Untersuchungszeitraum nach meinen Ergebnissen punktuelle Auswirkungen auf die staatlichen Debatten, da die beteiligten Regierungsmitarbeiter ihre Erfahrungen aus diesem Austausch in die Arbeit der eigenen Organisationseinheiten einbringen konnten. Allerdings zeigt sich auch, dass nationale Kompetenzkonflikte und die Ausrichtung des Instruments an sich einen breiten Impuls auf die staatlichen Debatten und damit einen institutionellen Einfluss verhinderten. In Deutschland richtete
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Die OMK/Inklusion in Deutschland
das BMFSFJ im Jahr 2004 einen Peer-Review zum Thema "Die Allianz für die Familie: Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ aus. Das Verfahren wurde innerhalb des Ministeriums als Erfolg gewertet. Es hätte fruchtbare Diskussionen mit den anderen Teilnehmern gegeben. Diese seien später in den eigenen Debatten aufgegriffen und genutzt worden. Gleichwohl wurden bei der Umsetzung und der Ausrichtung erhebliche Kommunikationsbarrieren innerhalb der Bundesregierung sichtbar. Also bei diesem Peer-Review sind wir [eine Nichtregierungsorganisation, die Verfasserin] eigentlich gar nicht eingebunden gewesen. (...) Da war es sehr schwer, Informationen darüber zu bekommen, weil (...) für diesen Peer-Review war das Familienministerium [BMFSFJ, die Verfasserin], komplett alleine zuständig, und das Sozialministerium hatte damit überhaupt nichts zu tun. Die waren dort auch nicht mit eingebunden, und das finde ich schade. (D18)
Das Peer-Review-Verfahren wurde allein vom BMFSFJ ausgerichtet. Seine Ergebnisse und mögliche Erkenntnisgewinne wurden innerhalb der Regierung nur im sehr begrenzten Umfang verbreitet. Auch wurden nur solche NGOs an dem Verfahren beteiligt, die einen engen Kontakt zu dem federführenden Ministerium hatten. Interessierte Organisationen, die eher mit dem Sozialministerium zusammenarbeiten, hatten trotz Interessensbekundungen kaum die Möglichkeit bekommen, daran zu partizipieren. Aber nicht nur die selbst durchgeführten Reviews wurden von meinen Interviewpartnern als Erfolg gewertet, auch die Teilnahme an von anderen Staaten ausgerichteten Verfahren konnte Impulse setzen. Beispielsweise wurden die Erfahrungen einer Mitarbeiterin des damaligen BMGS aus einem Peer-Review zum Thema Schuldnerberatung in Großbritannien in den ministeriumsinternen Debatten aufgegriffen. Einschränkend wurde in meinen Interviews mit Beamten des Sozialministeriums jedoch auch angemerkt, dass die beteiligte Mitarbeiterin ihre Erfahrungen allein gemacht hatte und ihr neues Wissen nur in einem kleinen Rahmen erörtert werden konnte. Damit begrenzten nach Einschätzung des Sozialministeriums nicht nur die regierungsinternen Umsetzungsbarrieren sondern auch die Ausrichtung des Verfahrens an sich seine Wirkung. Da nur einzelne Beamte an dem Austausch Verfahren teilnahmen, sei es nur bedingt möglich gewesen, die Erkenntnisgewinne nachhaltig in die staatlichen Debatten einzubringen. Die Peer-Reviews wurden somit im deutschen Feld als nützliche Verfahren aufgefasst, um neue oder andere Lösungskonzepte zu konkreten Problemen kennenzulernen. Gleichwohl muss der Wirkungsmodus des Verfahrens aufgrund seiner engen Ausrichtung mit nur wenigen beteiligten Beamten als begrenzt eingestuft werden. Auch wurde deutlich, dass die deutschen Beteiligten ihre neu gewonnenen Erkenntnisse auf Basis der bestehenden nationalen Beziehungen weitergaben, wodurch der Ausbreitung des neuen Wissens enge Grenzen gesetzt wurden.
Die Umsetzung des europäischen Verfahrens
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Im Zuge des Aktionsprogramms wurden im deutschen Feld von 2005 bis 2006 zwei Projekte zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit gefördert: NAPsens (Nationale Sensibilisierungsmaßnahmen zum Thema ‚Soziale Integration’) und FORTEIL (Forum Teilhabe und soziale Integration). Die Initiatoren hofften mithilfe der Projekte, die Kommunen stärker in die OMK/Inklusion einbinden und das öffentliche Interesse an dem Verfahren und dem Thema soziale Ausgrenzung im Allgemeinen auf- bzw. ausbauen zu können. NAPsens wurde von einem Zusammenschluss verschiedener Nichtregierungsgruppen45 entwickelt, während der Antrag für FORTEIL vom Sozialministerium gestellt wurde, das sich mit seinen Ansprechpartnern bei den Nichtregierungsorganisationen abstimmte. Also die Idee, dieser Anstoß kam durchaus von uns [den Nichtregierungsorganisationen]. Die Bundesregierung hat das dann aufgegriffen und hat ihn dann konkretisiert und weiterentwickelt. Aber der Anstoß kam von uns. Und weil man in der Diskussion immer sagt, das ist ein Regierungsprojekt; das ist ein Regierungsprojekt, das wir aber mit angestoßen haben. (D18)
Alle Beteiligten waren nach Angaben des BMGS überrascht gewesen, dass beide Anträge, die sich in ihrer Konzeption sehr ähnlich sind, von der Kommission bewilligt wurden. Die beteiligten Organisationen versuchten daraufhin zusammen, unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte zu setzen bzw. zu verstärken. So haben wir jetzt zwei Geschichten, und damit das sich nicht doppelt, haben alle Beteiligten schnell gesagt, da kann man sich ja gut ergänzen. Die Ergänzung sieht jetzt so aus, dass die Bundesregierung mit FORTEIL eher die Struktur abarbeitet, also wie sind die Ebenen, Bund, Bundesländer und Kommunen, aber auch Zivilgesellschaft beteiligt an der Erstellung von NAP/Inklusion. NAPsens konzentriert sich auf die Inhalte, wie kommen eigentlich die großen Themen, also Arbeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gesundheit im Aktionsplan vor, wie werden die Themen abgearbeitet und was haben die Themen jeweils mit Armut zu tun? Und so glaube ich, ergänzt sich das ganz gut. (D18)
Bei der Umsetzung der beiden Projekte konnten einige Erfolge verzeichnet werden. So wurden bei den Workshops neue Kontakte zwischen den beteiligten kommunalen und den nichtstaatlichen Akteuren und Organisationen geknüpft bzw. die Bestehenden ausgebaut. Auch bekamen die Expertendebatten durch die Veranstaltungen nach Angaben von Beteiligten neue Impulse. Allerdings gab es auch Schwierigkeiten: So musste der erste Workshop von FORTEIL wegen einer zu geringen Zahl an Anmeldungen vonseiten der Kommunen abgesagt werden. Als enttäuschend wurde von Organisatoren auch das Medieninteresse bezeichnet; 45
Namentlich der Lawaetz-Stiftung, dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, dem Evangelischen Fachverband Arbeit und soziale Integration e. V., der Fachhochschule Darmstadt und der Nationalen Armutskonferenz.
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die meisten Treffen wurden primär von wissenschaftlichen wie praktischen Experten besucht, die geladene Presse verzichtete weitgehend auf eine Teilnahme. Nach Angaben von mitwirkenden Medienexperten muss dieses fehlende öffentliche Interesse neben einer negativen Konnotation des Themas auch auf die Organisation der Veranstaltungen zurückgeführt werden, da zumindest die Auftaktveranstaltung von NAPsens nicht medientauglich gewesen sei. Die Sensibilisierungsprojekte regten demnach einen Austausch zwischen einzelnen Kommunen, einigen Beamten des Bundesozialministeriums, den beteiligten Wohlfahrtsverbänden und einigen gemeinnützigen Vereinen an. Ferner lernten die daran teilnehmenden kommunalen Behörden die OMK/Inklusion kennen. Der Prozess konnte somit punktuell auf der lokalen Ebene bekannter gemacht werden, auch wenn bisher keine Indizien dafür festzustellen sind, dass dies zu einer größeren Partizipation derselben an den übrigen Instrumenten geführt hat. Offen bleibt auch, ob die angestoßenen Diskussionen weiter verfolgt wurden. Nicht erreicht werden konnte dagegen eine breite Öffentlichkeit. Der deutsche nichtstaatliche Sektor partizipierte nicht nur an den nationalen Projekten, sondern nahm in der hier untersuchten Zeitperiode auch an europäischen Projekten und Konferenzen der Gemeinschaftsprogramme teil. Die dort gewonnenen Erkenntnisse brachten die beteiligten NGOs in den nationalen Debatten ein und diskutierten auf ihrer Basis die nationalen Modelle. Auch nutzen sie die europäischen Netzwerke sowie ihre nationalen Ableger, um im In- und Ausland die Kontakte untereinander auszubauen. Die Mehrheit der deutschen nichtstaatlichen Akteure und Organisationen kritisiert das Leitbild der Regierung, wonach Armut ein bekämpftes Phänomen ist, bereits seit den 1970er Jahren. Daher galten schon die Aktionsprogramme der 1980er und 1990er Jahren als eine Chance, die Situation in Deutschland im Dialog mit anderen NGOs sowie der Kommission kritisch zu reflektieren und neue Konzepte zu entwickeln. Also zunächst mal, die Armutsprogramme der EU [die Aktionsprogramme, die Verfasserin] haben schlicht und einfach den nationalen Fokus auf einen europäischen Fokus angehoben. (...) Also das wäre so ein Punkt, und der zweite Punkt ist das über diese Armutsprogramme ein sogenanntes Agenda Setting betrieben wurde, (...) also das Thema ist auf die Tagesordnung gehoben worden. (D17)
Die früheren Aktionsprogramme veränderten die nichtstaatlichen Leitbilder in Deutschland. Sie waren ein Grund, weshalb die Mehrheit der Wohlfahrtsverbände nicht länger den Schwerpunkt auf das Problem von Armut legte, sondern begann, die sozialen Probleme mit dem Konzept der sozialen Ausgrenzung zu diskutieren. An diese Entwicklung knüpfen das Aktionsprogramm und seine Nachfolger an. Die in diesem Zusammenhang geführten europäischen Debatten bestärkte die Spitze der Wohlfahrtsverbände und einiger gemeinnütziger Vereine
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in ihren Bemühungen, nicht nur eine Bekämpfung von Armut, sondern umfassender von sozialer Ausgrenzung anzustreben. Des Weiteren nutzte sie die transnationalen Lernprojekte, um sich einen europäischen Vergleichsrahmen aufzubauen. Die sozialen Probleme und die staatlichen Lösungskonzepte im eigenen Feld werden nun verstärkt den Entwicklungen in anderen EU-Mitgliedstaaten gegenübergestellt und auf Basis dieses Vergleichs analysiert bzw. diskutiert. Daneben wurde das Programm genutzt, um nationale und europäische Kommunikationsstrukturen auf- bzw. auszubauen. So konnten gerade kleinere Vereine die transnationalen Projekte sowie die europäischen Konferenzen dazu verwenden, europäische Auslandskontakte zu knüpfen und zu intensivieren. Für die großen Wohlfahrtsverbände waren die Möglichkeiten dagegen nach eigenem Bekunden weniger wichtig, da sie durch ihre internationale Struktur bereits zuvor über zahlreiche Auslandskontakte verfügten. Also wir haben natürlich unsere Kontakte zu unseren Pendants, (...), aber die hätten wir auch ohne OMK gehabt. Insgesamt, was ich auch so erlebe, ist es etwas anders bei Selbsthilfegruppen. Also es gibt ja jetzt seit einiger Zeit diesen Gipfel der Armen [Treffen von Menschen mit Armutserfahrungen, die Verfasserin], wo Selbsthilfegruppen, aber auch Menschen, die konkret von Armut betroffen sind, zusammen kommen und sich austauschen. Und das ist was Neues. (D18)
Schließlich stärkten die Aktionsprogramme auch die nationalen Debatten zwischen den nichtstaatlichen Organisationen. Entscheidend für diesen Einfluss war der im Jahr 1991 gegründete deutsche Ableger des European Anti-Poverty Networks (EAPN): die Nationalen Armutskonferenz (NAK). Dieses Netzwerk ist ein Zusammenschluss einer Vielzahl an Nichtregierungsorganisationen, die sich mit dem Thema Armut beschäftigen.46 Mit ihrer Hilfe werden zum einen die europäischen Erkenntnisse auf nationaler Ebene bekannt gemacht, denn Vertreter des Netzwerkes sind in den europäischen Gremien von EAPN vertreten. Zum anderen wurden in ihrem Rahmen Kommunikationsstrukturen zwischen den nichtstaatlichen Experten auf nationaler Ebene institutionalisiert, deren Ergebnisse kontinuierlich in die nationalen Diskussionen einfließen und diese beleben. Die Hauptinstrumente der nationalen Armutskonferenz sind die sogenannten Sozialpolitischen Bilanzen. Hierbei nehmen wir zweimal im Jahr auf der Grundlage von Fachtagungen und eigenen Initiativen zu Einzelaspekten des Armutsthemas Stellung. (D31)
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Nach außen wird sie durch zwei Sprecher vertreten, wobei der Hauptsprecher von den Wohlfahrtsverbänden und sein Stellvertreter von den Selbsthilfegruppen gestellt werden. Die Sprecher werden für ein Jahr gewählt, allerdings mit der Option zur Wiederwahl. Das Büro der NAK liegt immer bei jenem Wohlfahrtsverband, der auch den ersten Sprecher stellt.
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Auch wurde durch sie der Austausch zwischen verschiedenen Organisationsgruppen intensiviert (z. B. die Wohlfahrtsverbände mit den Selbsthilfegruppen). Denn zuvor hatte es vor allem eine „Zusammenarbeit innerhalb des eigenen Blockes“ (D18) gegeben, während die Arbeit und die Ideen von anderen nichtstaatlichen Organisationen weitgehend unbekannt und unbeachtet waren. Es gibt eben so Blöcke, es gibt die Wohlfahrtsverbände, die Selbsthilfegruppen, verschiedene Initiativen, (...). Bevor es die europäischen Netzwerke gab, (...), sind die getrennt marschiert. Jetzt gibt es einen Ort – die nationale Armutskonferenz, wo ein Austausch möglich ist, wo auch gemeinsame Planungen bis hin zu Strategieentwicklungen möglich sind. (D18)
Das Aktionsprogramm konnte somit kognitive und strategische Impulse setzen. Allerdings werden auch seine Grenzen deutlich. So wurden seine kognitiven Anregungen vor allem von den großen NGOs und hier von deren Spitze aufgegriffen. In einem dezentralen Feld wie dem Deutschen bedeutet dies, dass die OMK/Inklusion einen Einfluss auf die politischen Debatten im nichtstaatlichen Sektor über Analyseschemata und eine geeignete Beschreibung der nationalen Wirklichkeit hatte, jedoch nur bedingt auf die tatsächliche Arbeit im Kampf gegen soziale Ausgrenzung einwirken konnte. Ferner müssen die Effekte der OMK/Inklusion insofern eingeschränkt werden, dass sie nur ein Einflussfaktor unter mehreren war. Schließlich werden die älteren Aktionsprogramme von vielen beteiligten NGOs als die eigentliche Innovation gewertet, während das hier untersuchte Programm oftmals nur als deren Fortführung verstanden wurde. Unsere Ergebnisse zeigten im Einklang mit Büchs und Friedrich (2005) sowie Kröger (2006), dass das Aktionsprogramm vor allem Impulse in die nationalen nichtstaatlichen Debatten gab. Durch die Projekte der Ratspräsidentschaften, transnationale Austauschprojekte sowie die Arbeit innerhalb von EAPN konnte das Wissen über die europäischen Prozesse und die wohlfahrtsstaatlichen Entwicklungen in anderen Staaten vergrößert werden. Dies führte dazu, dass die Spitze vieler nichtstaatlicher Organisationen die eigenen Leitbilder hinterfragte und die eigene Arbeit im transnationalen Vergleich reflektierte. Ferner vermochten gerade die Sensibilisierungsprojekte den Austausch zwischen den NGOs, den lokalen Behörden und dem Bundessozialministerium zu stärken. Allerdings wurde nicht die im Sinne ihrer Zielsetzung anvisierte Öffentlichkeit erreicht. Darüber hinaus knüpften gerade kleinere NGOs durch die Einbindung in die europäischen und die darauf aufbauenden nationalen Netzwerke transnationale und neue nationale Kontakte. Schließlich profitierte aber auch die Regierung im geringeren Maße von dem Programm, da die Erfahrungen aus dem praxisbezogenen Peer-Reviews in den ministerieninternen Debatten aufgegriffen werden konnten.
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6.3.5 Zwischenresümee: Punktuelle Impulse Mit der OMK/Inklusion sollen die nationalen Reformen unterstützt werden. In kognitiver Hinsicht soll die OMK/Inklusion zu einer Modifizierung der Leitbilder führen. Allerdings ergaben meine Untersuchungen, dass innerhalb der Regierung diesbezüglich nur ein Lernen von einzelnen Akteuren oder Organisationseinheiten stattfand. So wurden die europäischen Begriffe und Modelle vor allem von dem Referat 524 im Bundessozialministerium aufgegriffen; dieses konnte jedoch kein organisationales Lernen innerhalb der Regierung anstoßen. Die Gründe hierfür lagen nicht nur in seinen mangelhaften Durchsetzungskompetenzen, sondern auch in einer Europaskepsis und einem fehlenden Problembewusstsein unter den meisten deutschen Sozialpolitikern und der übrigen Administration. In regulativer Hinsicht ist vorgesehen, dass neue Instrumente aufgegriffen werden bzw. der bestehende Handlungsansatz verändert wird. Allerdings wurde in Deutschland vonseiten des Bundessozialministeriums kein Handlungsbedarf in diesem Zusammenhang gesehen, da das bereits bestehende Set an Maßnahmen als ausreichend galt. Ferner wurden einige europäische Instrumente als nicht anschlussfähig an die deutschen Gegebenheiten gewertet. In strategischer Hinsicht soll die OMK/Inklusion zu einer Veränderung in der Governance-Struktur führen. Auch hier zeigte sich, dass die bisherigen Strukturen von sämtlichen staatlichen Stellen als ausreichend gewertet wurden. Daher wurden die bestehenden Kommunikationswege für das Verfahren vor allem reproduziert und nur vereinzelt neue Kontakte aufgebaut bzw. die bestehenden Beziehungen gestärkt und ausgebaut. Meine Analyse der Umsetzung im deutschen Feld ergab somit ähnlich wie eine Studie von Büchs und Friedrich (2005) über die Implementierung der NAP/Inklusion, dass die Ergebnisse der OMK/Inklusion nur sehr begrenzt und punktuell in den staatlichen Debatten aufgegriffen wurden. Damit steht die Analyse auch im Einklang mit einer Stellungnahme der Bundesregierung, der zufolge die OMK/Inklusion bis 2005 keine Auswirkungen auf deutsche Reformprozesse hatte (vgl. Bundesregierung 2005). Im gesamtgesellschaftlichen Kontext konnte insbesondere das Aktionsprogramm Impulse geben. Auf der kognitiven Ebene entwickelten die Spitze vieler NGOs durch eine Einbindung in die europäischen Netzwerke und Projekte ihre Leitbilder weiter, sie vergrößerten ihr Wissen über die anderen Staaten sowie die Entwicklungen auf europäischer Ebene und nutzten diese Erkenntnisse für ihre Arbeit auf nationaler Ebene. Allerdings galt dieser Einfluss als geringer als der von früheren Programmen. In strategischer Hinsicht konnte die OMK/Inklusion den nationalen Austausch zwischen den Wohlfahrtsverbänden, den gemeinnützigen Vereinen und kommunalen Behörden stärken und ausbauen. Bezieht man die europäische Ebene mit in die Betrachtung ein, so wurde deutlich, dass durch das
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Aktionsprogramm die NGOs und hier gerade die gemeinnützigen Vereine in ein transnationales Netzwerk eingebunden wurden. Möglich wurde diese kognitive wie strategische Einflussnahme aus vier Gründen. Erstens wurde die EU von vielen NGOs als eine Chance und nicht als Gefahr betrachtet. Zweitens sahen sie einen Reformbedarf bei den bestehenden deutschen Leitbildern. Drittens waren im nichtstaatlichen Sektor richtungsweisende Spitze mit den europäischen Projekten beschäftigt. Viertens konnte an bestehende Verbindungen zwischen den nationalen Organisationen, den europäischen Netzwerken und der Kommission angeknüpft werden. Allerdings wurden auch Grenzen und Probleme deutlich. So zeigte sich, dass es trotz einiger Bemühungen nicht möglich war, eine breite öffentliche Debatte anzuregen. Schließlich wurde auch deutlich, dass das Wissen über die europäische Ebene bzw. aus anderen Staaten meist nicht unmittelbar in konkrete Projekte übersetzt werden kann, sondern dass hier eher ein mittelbares Lernen und generelles Kennenlernen gegeben ist.
6.4 Schlussfolgerungen Bis in die 1990er Jahre ignorierten die Regierungen sowie die breite Öffentlichkeit in Deutschland die Themen Armut und soziale Ausgrenzung weitgehend. Durch die konstant hohe Zahl an Leistungsempfängern und den Regierungswechsel kam es im Jahr 1998 zu einer Modifizierung der kollektiven Problemwahrnehmung. Die rot-grüne Regierung versuchte im Untersuchungszeitraum mit Reformen der sozialen Sicherungssysteme und der Arbeitsmarktpolitik, verdeckte Armut zu bekämpfen und die erwerbslosen Erwerbsfähigen ins Berufsleben zu integrieren. Beibehalten wurde jedoch die inhaltliche wie organisatorische Segmentierung des Feldes. So sollten Armut und soziale Ausgrenzung weiterhin durch die sozialen Sicherungen und als Nebeneffekt von anderen Politikbereichen reduziert werden. Auch existierte im Feld keine zentrale und durchsetzungsstarke Organisation für diese Probleme. Die Ergebnisse zur Implementierung der OMK/Inklusion in Deutschland bestätigten meine These, dass individuelles Lernen nicht automatisch in institutionellen Veränderungen mündet. Vielmehr verhinderten die institutionellen Strukturen eine erfolgreiche Kopplung von nationalem und europäischem Feld. So wurde dem Prozess entsprechend des in Regierungskreisen fest institutionalisierten Leitbilds, wonach Armut in Deutschland ein weitgehend bekämpftes Phänomen ist, für die eigene Arbeit nur ein geringer Nutzen zugesprochen. Ferner war innerhalb des Bundessozialministeriums ein Widerwillen gegenüber dem Prozess festzustellen, der als ein Versuch der europäischen Institutionen angesehen wurde, die nationalen Wohlfahrtssysteme in Richtung eines liberalen Modells zu beeinflussen. Neben diesen kogniti-
Schlussfolgerungen
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ven Barrieren wurden noch weitere regulative und strategische Hindernisse deutlich. So galten die Instrumente der OMK/Inklusion nur begrenzt anschlussfähig an den Handlungsansatz und die Organisationsstrukturen des deutschen Feldes. Auch war keine der federführenden Organisationseinheiten in der Regierung berechtigt, eine Umsetzung der inhaltlichen Vorgaben einzufordern. Ausgehend von diesen Ergebnissen kann meine Analyse genutzt werden, um die bisherigen Erklärungsmuster zu ergänzen (z. B. von Jacobsson 2004a/b oder Zeitlin 2005a). Denn es zeigte sich, dass die Auswirkungen einer OMK nur dann verstanden werden können, wenn das Verhältnis der beteiligten Akteure und Organisationen zur EU beachtet wird. Nach meinen Erkenntnissen kann demzufolge nicht weiter angenommen werden, dass europäische Initiativen per se in den nationalen Feldern begrüßt werden, bzw. dass die nationalen Beteiligten ihnen automatisch den gleichen Nutzen zuschreiben wie die Wissenschaft. Vielmehr können sie auch als Bedrohung für den eigenen Sozialstaat wahrgenommen werden. Das europäische Verfahren hatte im Untersuchungszeitraum kaum Auswirkungen auf die Handlungen der deutschen Regierungen. Der Prozess wurde weder bei der Entwicklung noch bei den Umsetzungen von Reformen aufgegriffen. Damit zeigen meine Ergebnisse auch, dass von der formalen Organisation der OMK/Inklusion nicht auf ihre Auswirkungen geschlossen werden kann. Denn die deutschen NAP/Inklusion erfüllten alle organisatorischen Vorgaben. Hierbei wurde auf ein bestehendes Kommunikationssystem zurückgegriffen, weshalb das Verfahren keine Governance-Impulse setzen konnte. Schließlich wurde offensichtlich, dass die Organisation der OMK/Inklusion vor allem damit erklärt werden kann, dass die Bundesregierung auf europäischer Ebene sich in einem positiven Licht präsentieren wollte und weniger als Chance für nationale Veränderungen eingeschätzt wurde. Meine Untersuchung über die Umsetzung der OMK/Inklusion auf lokaler und nichtstaatlicher Ebene ergab, dass hier zwischen den Handlungssträngen differenziert werden muss. Die Einbindung der Bundesländer und der Kommunen in die Erstellung der NAP/Inklusion und den damit einhergehenden europäischen Prozessen erfolgte vor allem auf der Grundlage von bestehenden Strukturen. Dies führte dazu, dass die Bundesländer sehr stark, die Kommunen dagegen kaum an dem ersten Handlungsstrang beteiligt wurden. Allerdings zeigte sich auch, dass sowohl die Mehrheit der Bundesländer als auch die kommunalen Spitzenverbände die NAP/Inklusion als ein Instrument betrachteten, mit dem die europäische Ebene versucht, ihren Kompetenzrahmen zu erweitern. Eine erfolgreiche Implementierung wurde folglich durch das Misstrauen der kommunalen Spitzenverbände und vieler Bundesländer gegenüber dem Prozess und aufgrund der fehlenden Einbindung der kommunalen Behörden verhindert. Auch die beteiligten NGOs betrachteten den NAP/Inklusion und die damit verbundenen In-
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strumente als ein Regierungsprojekt, wobei sie von der Umsetzung durch die Regierung enttäuscht waren. Dafür konnte das Aktionsprogramm der OMK/ Inklusion Impulse in den nichtstaatlichen Sektor und in einige kommunale Behörden setzen. So veränderten die Spitzen der beteiligten NGOs durch die Einbindung in die europäischen nichtstaatlichen und wissenschaftlichen Netzwerke ihre Leitbilder und vergrößerten ihr Wissen über andere Staaten und die europäische Ebene. Darüber hinaus wurde mit seiner Hilfe nationale Debatte und Kontakte zwischen den NGOs und einigen lokalen Behörden ausgebaut. Die vorliegende Studie zeigte somit, dass die OMK/Inklusion keinen Einfluss auf die Reformprojekte bzw. –debatten der deutschen Regierung in der hier untersuchten Zeitperiode hatte. Fragen nach einer möglichen Europäisierung der deutschen Sozialpolitik durch das Verfahren erübrigen sich damit. Dagegen kann im nichtstaatlichen Sektor von einer Europäisierung der Denkmuster gesprochen werden. Denn gerade die großen NGOs griffen das Konzept der sozialen Eingliederung auf und machten es sich zu eigen. Auch zogen sie die Entwicklungen in anderen Staaten als Vergleichsrahmen für die deutsche Situation heran. Allerdings darf auch hier der Einfluss der OMK/Inklusion nicht überschätzt werden, denn die Lernprozesse hatte größtenteils mit den Aktionsprogrammen in den 80er Jahren begonnen. Auch war es vor allem die Führungsebene, die sich mit dem Verfahren auseinandersetzte. Daher ist fraglich, ob sich die tatsächliche, praktische Arbeit der Wohlfahrtsverbände und der gemeinnützigen Vereine durch das Verfahren veränderte. Die OMK/Inklusion konnte demnach bis zum Jahr 2005 nur die nichtstaatlichen Debatten im deutschen Feld irritieren, während nationale Faktoren eine Beeinflussung der staatlichen Reformdiskussionen verhinderten. Meine Interviews sowie anschließende Folgegespräche deuteten jedoch darauf hin, dass sich die nationalen Rahmenbedingungen seitdem für das Verfahren verbessert haben. So konnten Vorbehalte innerhalb des Sozialministeriums abgebaut werden. Gerade die Ratspräsidentschaft Deutschlands im Jahr 2007 trug dazu bei, dass die OMK/Inklusion von der höchsten Führungsspitze des Sozialministeriums wahrgenommen und auch positiv bewertet wurde. Allerdings muss offen bleiben, welche Folgen diese Entwicklungen haben.
7 Die Offene Methode der Koordinierung in Frankreich
In der europäischen Sozialpolitik spielt Frankreich in zweifacher Hinsicht eine besondere Rolle. Zum einen gehen die vertraglich verankerten Kompetenzen der EU bei der Gleichstellung von Mann und Frau auf das Drängen der französischen Regierung zurück. Diese wollte mit einer solchen europäischen Harmonisierung einen befürchteten Wettbewerbsnachteil der eigenen Wirtschaft durch das weit ausgebaute französische Gleichstellungsrechtswerk ausgleichen (vgl. Leibfried/Pierson 2000). Zum anderen prägten die französischen Leitbilder in den 1980er Jahren die Kommission, was auf deren damaligen Präsidenten Jacques Delors und die Dominanz der französischen Beamten innerhalb dieses Organs zurückzuführen ist und sich in den zahlreichen Kommissionspapieren niederschlug (vgl. Atkinson/Davoudi 2000: 429). Umgekehrt gehört Frankreich aber auch zu den europäischen Mitgliedstaaten, die ihre nationalen (Wirtschafts-) Grenzen nur zögerlich öffneten (vgl. Toulemon 1999). Außerdem übte Frankreich mehrfach massiv Widerstand gegenüber möglichen Kompetenzausdehnungen der europäischen Organe, weil dies als eine Gefährdung der eigenen Sozialordnung gewertet wurde (vgl. Müller-Brandeck-Bocquet 2005). Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der OMK/Inklusion müssen demnach im Untersuchungszeitraum als zwiespältig eingestuft werden. Einerseits wurden die Ziele des europäischen Verfahrens vom französischen Sozialmodell geprägt, weshalb davon auszugehen ist, dass seine Problemdefinition anschlussfähig an die französischen Diskussionen war. Andererseits existierte jedoch ein latenter bis offener öffentlicher wie politischer Widerwille gegenüber einer europäischen Einflussnahme auf den nationalen Wohlfahrtsstaat. In diesem Kapitel wird daher argumentiert, dass die OMK/Inklusion innerhalb der französischen Regierung bei bestehenden Diskussionen als Katalysator wirken konnte, gleichzeitig aber die nationalen Probleme und Erkenntnisse absoluten Vorrang hatten. Des weiteren wird dargelegt, dass die OMK/Inklusion sowohl auf lokaler Ebene als auch im nichtstaatlichen Sektor ein weitgehend unbekannter Prozess war. Hinzu kam, dass die lokalen Behörden und die nichtstaatlichen Organisationen, die sie kannten, sie meist als Regierungsprojekt werteten und ihr daher nur einen geringe Bedeutung für die eigene Arbeit zusprachen. Deshalb ist
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anzunehmen, dass die französischen NGOs und die lokalen Ebenen die Möglichkeiten der OMK/Inklusion weit weniger nutzten als ihre deutschen oder italienischen Pendants. Zur Untersuchung der beiden Thesen werden zunächst die soziale Ordnung und ihre aktuellen Veränderungen skizziert, um später nachvollziehen zu können, ob und inwiefern das Verfahren einen Einfluss auf diese Entwicklungen hatte (7.1). Zweitens wird die Organisation der OMK/Inklusion in Frankreich analysiert und herausgearbeitet, in welchen Umfang der europäische Prozess mit den Debatten und Reformen verknüpft wurde (7.2). Abschließend werden die Auswirkungen der OMK/Inklusion und ihre Einflussfaktoren untersucht (7.3).
7.1 Soziale Eingliederung in Frankreich Der heutige französische Sozialstaat („Etat Providence“ = Versorgungsstaat) entstand als Konsequenz aus dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Estèbe 2005: 87). Auf- und ausgebaut wurde er komplementär zu einem Wirtschaftssystem, das traditionell auf den drei Leitbildern Etatismus, Fordismus und Korporatismus beruht (Uterwedde 2005, Hall 1986). Dabei stellt er eine Mischform der verschiedenen Wohlfahrtsmodelle nach der Typologie von Esping-Andersen (1999) dar (vgl. Barbier 2007: 4f, 20f). So sind die sozialen Sicherungssysteme erwerbsorientiert (salarisation), d.h. die Arbeitnehmer sind über ihren Arbeitsplatz entsprechend der Höhe ihres Lohns abgesichert. Gleichzeitig gibt es eine Vielzahl an staatlichen Fürsorgeleistungen, die gemäß dem Universalprinzip allen Bürgern zugutekommen. Im Folgenden wird gezeigt, dass die OMK/ Inklusion in Frankreich in ein Feld eingeführt wurde, das auf fest institutionalisierten Leitbildern beruhte. Gleichwohl wurden im Untersuchungszeitraum sein politischer Handlungsansatz und die Kompetenzverteilungen pfadabhängig ausgeweitet bzw. modifiziert. Zunächst wird dafür das französische Leitbild der sozialen Kohäsion analysiert und dargelegt, dass dieses im Untersuchungszeitraum einen zentralen Teil des gesellschaftlichen Selbstverständnisses darstellte, auch wenn sich die kritischen Stimmen mehrten, die es in seiner bestehenden Form in Frage stellten (7.1.1). Darauf aufbauend werden die Maßnahmen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung betrachtet und herausgearbeitet, dass sich seit Ende der 1990er Jahre ein holistischer Handlungsansatz herausgebildet hat, der durch die jüngsten Entwicklungen ausgedehnt bzw. pfadabhängig modifiziert wurde (7.1.2 bis 7.1.4). Schließlich wird auf die Organisation des Felds eingegangen und nachgewiesen, dass die Regierung trotz der Dezentralisierungstendenzen die entscheidende Organisation im Feld war (7.1.5).
Soziale Eingliederung in Frankreich
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7.1.1 Das Konzept der sozialen Kohäsion Das Konzept der sozialen Kohäsion ist eines der zentralen Leitbilder der französischen Politik. Der Bürger wird als Teil des Kollektivs verstanden, für dessen Zusammenhalt er Sorge zu tragen hat, das ihn aber gleichzeitig schützt und seine Entfaltungsmöglichkeiten fördert (vgl. Ughetto/Bouget 2002: 101ff). Eine Gesellschaft wird demnach von einer republikanischen Solidarität zusammengehalten, die vom Staat gesichert und gestärkt werden soll (vgl. Bode 1999: 73, Concialdi 2004: 158). Jener soll durch Eingriffe in die nationale Wirtschaftsund Beschäftigungsordnung für einen allgemein hohen Lebensstandard sorgen, was oft mit einem Verweis auf die sogenannten trente glorieuses gerechtfertigt wird. (...) sometimes I feel that public opinion did not change since 20 years and it is very static. French people focus on the end of the 60ths with many protected jobs and Keynesian way of doing things. (F14)
Rückblickend wird angenommen, dass in den Jahren 1945 bis 1975 zu Zeiten der keynesanische Arbeitsmarktpolitik Armut und soziale Ausgrenzung verschwunden waren (vgl. Choffé 2001). Seit den 1980er Jahren werden jedoch auch Stimmen laut, die die Eigenverantwortung des Einzelnen betonen (vgl. Leydier 1998: 14ff, Schmidt 2001: 256). Vertreten wird diese Haltung von einem Teil der politischen und wirtschaftlichen Elite, ohne dass es zu einer Modifizierung des gesellschaftlichen Leitbilds gekommen wäre. The French system has shown a certain capacity for resistance to doctrines inspired by ‚governance neo-liberalism‘ in particular. (Barbier 2007: 5)
Die bestehende Ordnung wird allerdings nicht nur von wirtschaftsorientierten Kräften kritisiert, auch sozialkritische Forscher und sozial orientierten Aktivisten monieren, dass das Leitbild der sozialen Kohäsion durch die faktisch herrschende Fragmentierung der Gesellschaft kontrastiert wird (vgl. Barbier 2007: 24f). Sie mahnen weitere Anstrengungen und radikale Modifizierungen des bestehenden Handlungsansatzes an, denn nur so könne eine soziale Kohäsion tatsächlich erreicht werden. Diese Argumentation fand in der Regierung Anklang und wurde zitiert, um anstehende Reformen zu begründen und zu legitimierten (vgl. eiroline 2004, Ministère de l’emploi, de la cohésion sociale et du logement 2006). Gleichwohl wurde bei vielen Maßnahmen – wie sich in den nächsten Abschnitten zeigen wird – an den Prinzipien eines intervenierenden und dirigierenden Staates festgehalten. Ausgehend von diesen Überlegungen kann Folgendes über das französische Leitbild gesagt werden: Ein starker Staat, der zum Wohl der Gesellschaft in die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt eingreift, gilt in weiten
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Die OMK/Inklusion in Frankreich
Teilen der französischen Gesellschaft als eines der Erfolgsrezepte der trente glorieuse.47 Diese Vorstellungen sind in den kollektiven Wahrnehmungs- und Deutungsschemata fest institutionalisiert, auch wenn seit den 1980er Jahren die Eigenverantwortung des Einzelnen in Teilen der politischen und der wirtschaftlichen Spitze betont wird (vgl. Uterwedde 2000). Die weiterhin bestehende Fragmentierung der Gesellschaft war daher auch eine Antriebkraft für die in den nächsten Schritten erläuternden Reformen und Maßnahmen.
7.1.2 Eine Politik der sozialen Kohäsion In Frankreich lag das Armutsrisiko mit 13% leicht unter dem EU-Durchschnitt (16%) siehe Abbildung 9). Im Zentrum der öffentlichen wie der politischen Debatten standen in den letzten Jahren jedoch die hohe Jugendarbeitslosigkeit (22,7%. Stand 2005) und das damit verbundene hohe Armutsrisiko von Menschen zwischen 16 und 24 Jahren (Europäische Kommission 2007e: 248). Gezeigt nun wird, dass sich im französischen Feld aufbauend auf dem bereits untersuchten Leitbild in den 1990er Jahren ein multidimensionales Set an Instrumenten mit einer zentralistischen Organisation herausbildete, mit dem soziale Kohäsion gestärkt werden sollte. Bei einem Verlust des Arbeitsplatzes werden bis heute – ähnlich wie in Deutschland vor den Hartz-Reformen – ein beitragsfinanziertes Arbeitslosengeld oder eine steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe (allocation speciale de solidarité) gezahlt.48 Beide Leistungen orientieren sich am letzten Einkommen, was die Bezugsdauer und die Höhe der gezahlten Unterstützung 47
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Als Ausgangspunkt für eine bereite Diskussion über das Thema soziale Ausgrenzung gelten die viel beachteten Bücher „Les exclus, un francais sur 10“ bzw. „Vaincre la pauvreté dans les pays riches“ von Lenoir bzw. von Stoleru aus dem Jahr 1974 (Révauger 1998: 35f). Bis dahin war die gesellschaftliche Debatte um soziale Ausgrenzung vor allem von links ausgerichteten Parteien sowie den kirchlichen Organisationen geführt worden. Zu den sozial Ausgegrenzten wurden zu dieser Zeit solche Gruppen gezählt, die nicht vom Wirtschaftswachstum profitieren konnten („forgotten by growth“ Choffé 2001: 204). In den 1980er Jahren verschob sich die Wahrnehmung von sozialer Ausgrenzung. Im Kontext einer wachsenden Zahl an Arbeitslosen und der Wirtschaftskrise bekam das Konzept der Prekarität mehr Bedeutung. Gemeint ist damit, dass nicht nur Randgruppen, sondern aufgrund der sich wandelnden (wirtschaftlichen) Umstände auch scheinbar abgesicherte Mittelschichten von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sein können (Choffé 2001: 205). Gleichzeitig setzte sich in der öffentlichen Debatte mehr und mehr die Haltung durch, dass soziale Kohäsion nur durch kontinuierliche, politische Maßnahmen erreicht werden könne. Aufgrund des wachsenden öffentlichen Interesses wurde das Thema auch fester Bestandteil von Regierungsplänen sowie Wahlkämpfen (vgl. eiroline 2002b). Das Arbeitslosengeld wird von einer von den Sozialpartnern geführten Einrichtung (Union nationale interprofessionnelle pour l'emploi dans l'industrie et le commerce) organisiert, während die Arbeitslosenhilfe vom Staat abgewickelt wird.
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betrifft (vgl. Neumann/Veil 2004: 11). Für Menschen, die weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe oder eine andere Form der Unterstützung erhalten, wurde im Jahr 1988 das revenu minimum d’inseration (RMI) als ein staatliches Mindesteinkommen eingeführt (vgl. Yépez del Castillo 1994: 622). Diese Maßnahme war notwendig geworden, nachdem in den 1980er Jahren bei einer Reform der Arbeitslosenversicherungen deren Zugangsvoraussetzungen verschärft worden waren und die Hilfsprogramme49, die jeweils eine bestimmte armutsgefährdete Personengruppe unterstützten, nicht mehr ausreichten, um einen umfassenden Schutz der breiten Bevölkerung zu gewährleisten. Anspruch auf diese Mindestsicherung haben alle Bürger ab dem 25. Lebensjahr, sofern sie bedürftig sind, sich in keiner Ausbildung befinden oder Anspruch auf andere Leistungen haben. Formal wird mit den Antragstellern ein Integrationsvertrag abgeschlossen, d. h. es wird von den Empfängern ein Eigenengagement zur (Wieder-) Eingliederung in den Arbeitsmarkt erwartet. Von einem tatsächlichen Auferlegen dieser Verpflichtungen sahen die meisten Behörden im Untersuchungszeitraum ab, da ein solches Handeln von der Öffentlichkeit als eine unverhältnismäßige Maßregelung von Bedürftigen durch den Staat verurteilt wurde (vgl. Concialdi 2004: 158, Barbier 2007: 8-11, Hamel/Vanhercke 2009).
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Bis zum Jahr 1998 gab es sieben verschiedene Programme, mit denen unterschiedlichen Personengruppen geholfen werden sollte.
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Männer
16
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18
18
26
Bevölkerung insgesamt Kinder (0-17 Jahre) Über 18 Jahre
18-64 Jahre
Über 65 Jahre
Quelle: Europäische Kommission 2007e, eigene Zusammenstellung Abbildung 8: Armutsrisiko für einzelne Bevölkerungsgruppen in Frankreich
Zusätzlich zu diesen materiellen Absicherungssystemen hat es bis zum Jahr 1998 verschiedene Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen und/oder Bedürftigen in den Arbeitsmarkt bzw. die Gesellschaft gegeben. Diese verliefen jedoch unkoordiniert parallel nebeneinander, sodass das französische Leitbild der sozialen Kohäsion „auf eigentümliche Weise mit der markanten Zergliederung des französischen Wohlfahrtsregimes“ (Bode 1999: 73) kontrastierte. Im Jahr 1998 wurden dann von der Regierung das programme triennal d'action pour la prévention et la lutte contre les exclusions50 eingeführt und einige Monate später das loi contre les exclusions51 von den beiden legislativen Kammern verabschiedet. Zusammen können sie als ein Meilenstein in der französischen Politik der sozialen Eingliederung betrachtet werden, denn mit ihnen wurden die verschiedenen Maßnahmen gemeinsamen Zielen und einer kohärenten Organisation unterworfen. Angeregt wurden sie durch Demonstrationen, mit denen im Dezember 1997 und im Januar 1998 nichtstaatliche Organisationen gegen die hohe Armutsrate und die geringe Absicherung vieler Bedürftiger protestierten. Hierbei 50 51
Ein dreijähriger Plan zur Verhinderung und Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung. Das Gesetz gegen soziale Ausgrenzung.
Soziale Eingliederung in Frankreich
207
war es ein Novum für Frankreich, dass die Regierung nicht nur auf die Proteste reagierte, sondern die NGOs auch nachhaltig in die Reformpläne einband. For the big battles of NGOs in 1998, the law on struggle against exclusion was a success, the big fight of NGOs occurred with some results (F19)
So besprachen die federführenden Beamten die Reformpläne mit Vertretern des nichtstaatlichen Sektors und nahmen deren Anregungen auch auf. Inhaltlich konzentrierten sich beide Maßnahmen auf acht Themen: die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten, eine Verbesserung der Wohnungs- und Gesundheitssituation für die breite Bevölkerung, eine Reformierung des Mindesteinkommens, eine Bekämpfung von Schuldenfallen, eine Stärkung von Kultur und Erziehung, eine Bekämpfung des Analphabetismus, eine Stärkung des Rechts von Obdachlosen auf eine Identitätskarte und eine Postadresse und schließlich der Auf- und Ausbau von Versorgungsunterkünften (vgl. Choffé 2001: 216ff). Erreicht werden sollten die unterschiedlichen Ziele erstens durch finanzielle Förderprogramme (etwa die Schaffung von subventionierten Arbeitsverträgen für Langzeitarbeitslose bzw. für junge und ältere Erwerbssuchende). Zweitens dehnte die Regierung den Gesundheitsschutz auf alle permanent in Frankreich lebenden Bürger aus. Drittens wurden zahlreiche Gesetze verabschiedet bzw. das bestehende Recht reformiert. Beispielsweise trat als Folge der beiden Initiativen zum 1. Januar 1999 ein Gesetz in Kraft, nach dem eine Steuer für länger (mehr als 18 Monate) leer stehende Wohnungsmöglichkeiten zu zahlen ist. Viertens wurde die wissenschaftliche Expertise zu dem Thema soziale Kohäsion ausgebaut. So nahm im Juni 1999 ein wissenschaftliches Observatorium52 seine Arbeit auf (vgl. Silvani 2003), in dem Wissenschaftler verschiedene Aspekte von sozialer Ausgrenzung genauer untersuchten. Zusätzlich zu dieser Einrichtung wurde auf administrativer Seite die direction de la recherche, des études, de l'évaluation et, des statistiques (DREES) zur Erhebung von sozialpolitischen Statistiken eingerichtet. The directorate for research [direction de la recherche, des etudes, de l'evaluation et, des statistiques, die Verfasserin] is quite young, created in 1998. In fact, there had been a statistical unit in the ministry before, but with our directorate, the mission of this unit was extended to research and policy evaluation also in relation to social exclusion. While the direction générale de l´action sociale is in charge of implementing social politics, we are in charge of developing statistical and assessment tools for assessing and measuring the outcomes of the policy. (F17)
52
Genannt wird es das observatoire national de la pauvreté et de l’exclusion sociale (Nationales Observatorium für Armut und Soziale Ausgrenzung).
208
Die OMK/Inklusion in Frankreich
Fünftens wurden die Kräfte zur Stärkung von sozialer Eingliederung innerhalb der Regierung gebündelt und eine interministerielle Generaldirektion gegründet. Die direction générale de l’action sociale (DGAS) ist seitdem die zentrale Stelle in der Regierung zur Stärkung der sozialen Kohäsion. Auch war eine Verstärkung der interministeriellen Zusammenarbeit im Kampf gegen soziale Ausgrenzung vorgesehen. Hierfür wurde das comité interministeriel de lutte contre des exclusions (CILE)53 eingerichtet, indem die Minister zusammenkommen sollten, um gemeinsam Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Kohäsion zu entwickeln bzw. koordinieren. Allerdings wurde das Gremium in den ersten Jahren so gut wie nicht genutzt. Im Gegensatz zu Deutschland und Italien hat sich in Frankreich auf staatlicher Ebene seit dem Ende der 1990er Jahren ein geschlossener Handlungsansatz zur Stärkung von sozialer Kohäsion herausgebildet. Er sah vor, dass nicht nur eine finanzielle Absicherung der Bürger sichergestellt wird, sondern auch weitere Dimensionen von sozialer Kohäsion (z. B. die Sicherung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung) berücksichtigt, koordiniert und damit gestärkt werden. Verbunden waren die regulativen Maßnahmen mit dem Aufbau einer Administration, die sich ausschließlich dem Thema soziale Ausgrenzung sowie seinen Ursachen und Folgen widmete. Allerdings zeigte sich in den folgenden Jahren, dass die Maßnahmen nicht ausreichten, um den Arbeitsmarkt nachhaltig für junge Erwerbssuchende zu öffnen und die angespannte Situation des Wohnungsmarktes insbesondere in den Großstädten zu entschärfen.
7.1.3 Ausbau von staatlichen Maßnahmen Als Reaktion auf die zunehmende öffentliche Kritik an der unzureichenden sozialen Integration von Jugendlichen und der weiterhin unzulänglichen Wohnungsmarktsituation legte die Regierung im Jahr 2004 den auf fünf Jahren aufgelegten plan cohésion sociale54 (sozialen Kohäsionsplan) vor. Er war unter der Führung des Ministers für Beschäftigung, Arbeit und Soziale Kohäsion Jean-Louis Borloo von einem kleinen Zirkel an Beamten entwickelt worden. Im Juni 2004 wurde er im Kabinett diskutiert, das ihn im September verabschiedet. Schließlich wurde er von der Nationalversammlung im Dezember 2004 als Rahmengesetz gebilligt. Um den politisch wichtigen Charakter des Plans zu unterstreichen, wurde er auf der bis dato einzigen Sitzung des bereits erwähnten comité interministeriel de lutte contre des exclusions veröffentlicht. Über das conseil économique et social 53 54
Ein interministerielles Komitee im Kampf gegen soziale Ausgrenzung. Im Jahr 2005 wurde der Plan mit dem loi de programmation pour la cohésion sociale bekräftigt und seine Fortführung sichergestellt.
Soziale Eingliederung in Frankreich
209
(CES) konnten sich die Sozialpartner umfangreich an seiner Entwicklung beteiligen. Dagegen wurden die nichtstaatlichen Organisationen entgegen der ursprünglichen Planung aufgrund einer Entscheidung des Sozialministers persönlich nur ad hoc bei wenigen informellen Konsultationsgesprächen zu dem Plan angehört. Ihre Vorschläge fanden daher nach eigener Einschätzung kaum Berücksichtigung. Im Folgenden wird gezeigt, dass der soziale Kohäsionsplan den bisherigen Entwicklungspfad folgt, auch wenn mit ihm neue Maßnahmen und Ziele eingeführt wurden. Er kann als ein Versuch verstanden werden, den bestehenden Handlungsansatz durch eine Akzentverschiebung weiterzuentwickeln. Der Plan zielt darauf ab, die Instrumente im Kampf gegen soziale Ausgrenzung auszubauen und noch stärker als bisher zu koordinieren. Damit sollen insbesondere die Beschäftigungssituation von Problemgruppen, der Wohnungsmarkt und die Chancengleichheit verbessert werden. Also, (...) die Idee des Ministers dahinter ist, dass es in den drei Bereichen gleichzeitig zu einer Verbesserung kommen muss, um die bestmöglichen Lebensbedingungen zu schaffen. (F19, Übersetzung der Verfasserin)
Zur Erhöhung der Beschäftigungsquote werden verschiedene staatliche Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramme weitergeführt bzw. (erneut) aufgelegt. So erhalten Erwerbslose mit den contrats d’activité (Zukunftsverträge) die Möglichkeit, einer Arbeit im nichtkommerziellen Sektor nachzugehen und sich gleichzeitig weiterzubilden. Neben solchen Maßnahmen, die für einen relativ großen Personenkreis bestimmt sind, werden spezielle Programme für arbeitslose Jugendliche entwickelt. Beispielsweise subventioniert der Staat eine berufsbegleitende Ausbildung von gering qualifizierten Schulabgängern im kommerziellen wie im nichtkommerziellen Sektor. Ferner soll die Betreuung von benachteiligten Jugendlichen verbessert werden. Die Regierung plante hierfür, jedem der 800.000 unqualifizierten Jugendlichen eine individuelle Kontaktperson zuzuteilen. Schließlich ist vorgesehen, dreihundert maison de l'emploi (Jobcenter) auf kommunaler Ebene zu finanzieren. In diesen „One-Stop Shops“ (OECD 2007: 65) erhalten (jugendliche) Arbeitslose personengerechte Beschäftigungsvorschläge und Weiterbildungsmaßnahmen. Auch müssen sie jede Woche (statt wie bisher alle sechs Monate) bei ihrem Berater vorsprechen, bis sie Arbeit gefunden hatten. Im Einklang mit dem bisherigen Handlungsansatz werden demzufolge verschiedene staatliche Förderprogramme aufgelegt, die jedoch um ein Set an beratenden und die Betroffenen unterstützenden Dienstleistungen erweitert werden, welche den (selbstorganisierten) Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern sollen.
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Die OMK/Inklusion in Frankreich
Zur Verbesserung der Wohnungssituation plante die Regierung, das staatliche Angebot an sozialen Wohnungsbau zu verdoppeln (vgl. eiroline 2004, OECD 2007: 69). Ferner wurden finanzielle Sanktionsmittel eingeführt, die von Vermietern gezahlt werden müssen, wenn sie Wohnungen ohne Grund leer stehen lassen. Des Weiteren wird die Erneuerung der französischen Städte durch den Abriss und Wiederaufbau von heruntergekommenen Wohnhäusern weiter vorangetrieben. Mit der Schaffung von neuem Wohnraum löste die damalige konservative Regierung ein Wahlversprechen ein; gleichzeitig kann diese Maßnahme auch als eine Fortführung des bisherigen Handlungsansatzes verstanden werden. Das erste Ziel des Bereichs Chancengleichheit in der Schule, zwischen den Regionen und für Einwanderer besteht darin, benachteiligte Kinder durch ein zusätzliches Hilfs- und Beratungsangebot zu fördern und so ihre Lernchancen zu erhöhen. Dafür ist geplant, eine Vielzahl an entsprechenden Zentren und Einrichtungen zu gründen. So sollen u.a. Jugendliche, die besonders gefährdet waren, ohne Abschluss die Schule zu verlassen, in équipes de réussite éducative (Bildungserfolgsteams) besondere Hilfe beim Lernen erhalten. Fernen werden durch die finanziellen Mittel des Plans Bildungs- und Beratungszentren in den benachteiligten Stadtteilen aufgebaut. Dies verweist auf das zweite Ziel: Die Förderung von strukturschwachen Regionen. Hierfür wurde u.a. der Haushalt der dotation de solidarité urbaine55 (Stadtsolidaritätsfonds), einer staatlichen Unterstützung für Städte, aufgestockt, die damit den Lebensstandard ihrer Bürgern verbessern können. Daneben wird mit den chartes territoriales de cohésion sociale den lokalen Behörden die Möglichkeit eingeräumt, regionale Strategien zur Stärkung der sozialen Kohäsion durchzuführen. Schließlich ist geplant, die Eingliederung von Einwanderern zu erleichtern. Hierzu wurde u.a. beschlossen, Eingliederungsverträge mit den Einwanderern, die im Jahr 2004 in einigen Departements eingeführt worden waren, auf die ganze Republik auszudehnen. In denselben werden die Pflichten sowohl vom Staat als auch von den Einwanderern festlegt (vgl. OECD 2007: 71). Im Einklang mit dem bisherigen Ansatz erhalten somit bestimmte Personengruppen besondere Hilfestellungen. Innovativ ist jedoch die explizite Einbeziehung von Einwandern in den Plan, auch wenn das Thema der ethnischen Minderheiten vermieden wurde. Die Reaktionen auf den Plan fielen bei seiner Einführung im Jahr 2003 gemischt aus: Die Arbeitgeberverbände unterstützten den Plan durchweg. Viele Gewerkschaftsmitglieder hielten ihn für ein leeres Symbol ohne praktische Konsequenzen. In den Augen meiner Interviewpartner von den nichtstaatlichen Netzwerken war der Plan zu begrüßen, weil er in eine von ihnen gewünschte politi55
Der Fond wurde später in dotation de solidarité urbaine et de cohésion sociale umbenannt.
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211
sche Richtung ging. „Das ist eine gute Sache, es geht in die richtige Richtung. Das ist es, was wir gefordert haben.“ (F15, Übersetzung der Verfasserin) Allerdings beanstandeten sie, dass einige andere Entscheidungen der Regierung den Zielen des Plans zuwiderlaufen würden. Als Beispiel wird der (gescheiterte) Versuch der Regierung genannt, flexiblere Arbeitsverträge für Jugendliche einzuführen. Nach Ansicht von NGO-Mitarbeitern wären diese Verträge den Bemühungen zuwidergelaufen, die Jugendliche dauerhaft in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Eine umfassende Evaluation der Maßnahmen mit ihren langfristigen Auswirkungen steht noch aus, gleichwohl deutet sich an, dass sie kritisch ausfallen würde. So wird in einer Studie der OECD festgehalten, dass die beschäftigungspolitischen Maßnahmen zwar schwierig zu vermittelnden Erwerbssuchenden eine Arbeitsmöglichkeit geben. Jedoch sei fraglich, ob dies eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt darstellt (vgl. OECD 2007: 65f, siehe auch Barbier 2007: 14, 25f). Auch wird in der Studie kritisiert, dass die Bildungsmaßnahmen an den Bedürfnissen von solchen Gruppen vorbeigehen, die am weitesten vom Arbeitsmarkt entfernt sind (OECD 2007: 64, Barbier 2007: 26). Schließlich wird konstatiert, dass die bisherigen Maßnahmen zur Integration von Einwanderern nicht ausreichen, um deren Ausgrenzung nachhaltig zu überwinden (OECD 2007: 72). Mit Verweis auf die immer wiederkehrenden Ausschreitungen in den banlieues stellt Barbier zusammenfassend fest: A ‚solidaristic’ dimension undoubtedly prevails in the dominant political discourse but social movements are testimony of its distance to the real situation of certain groups in society, groups who are certainly not marginal. (Barbier 2007: 24)
Er mahnt an, dass “[t]he measure (...) do not appear sufficient to bridge the gap with the rest of the country in terms of health care, education and delinquency“ (OECD 2007: 70). Abschließend kann der soziale Kohäsionsplan als ein Versuch gewertet werden, den bisherigen Handlungsansatz auszubauen und weiterentwickeln. Ganz im Sinne der bestehenden Strukturen konzentriert er sich auf eine staatliche Förderung von bestimmten Problemgruppen bzw. eine staatliche Regulierung bestimmter Bereiche (vgl. Coron/Parlier 2002, Levy 2005: 107-113). Zusätzlich zu diesen traditionellen Instrumenten wurde der Maßnahmenkatalog um verschiedene Dienstleistungen erweitert, mit denen die Eigeninitiative und die Beschäftigungsfähigkeit von Erwerbslosen gestärkt werden sollen. Der Plan wird von der Regierung als ein Erfolg und wichtiger Schritt zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung gewertet. Allerdings gab es auch erste kritische Studien, die darauf verweisen, dass soziale Ausgrenzung mit dem Maßnahmenkatalog vielleicht eingegrenzt nicht aber überwunden werden kann.
212
Die OMK/Inklusion in Frankreich
7.1.4 Ein neues Budgetrecht Bereits im Jahr 2001 verabschiedet das Parlament einen Gesetzesvorschlag, der eine Reform des Budgetrechts vorsah. Mit dem loi organique relative aux lois de finances (LOLF), das am 1. Januar 2006 in Kraft trat, kam es zu einer grundlegenden Modifizierung der bisherigen Budgetpolitik. Nach Darstellung des Sozialministeriums wurde mit der Reform der Gedanke aus dem Jahr 1998, wonach soziale Kohäsion ein Querschnittthema ist, aufgenommen und ausgedehnt (vgl. Ministère de l’emploi, de la cohésion sociale et du logement 2006: 8). Das neue Budgetrecht steht demzufolge im Einklang mit dem Leitbild des hier untersuchten Feldes, auch wenn es die staatliche Haushaltsorganisation grundlegend veränderte. Seit dem Jahr 2006 werden die Gelder des Staates nicht mehr nach Titeln sondern auf der Grundlage von Zielvorgaben vergeben, die sich an elf Querschnittsthemen anlehnen, wobei soziale Kohäsion eins davon ist. Entscheidend für eine Finanzierung von Maßnahmen ist, dass sie sich an fest definierten Zielen orientieren, wobei später auf der Grundlage von bestimmten Indikatoren ihrer Resultate überprüft werden. So now each minister is obliged to present to the parliament his actions and the budget, (...) associated with indicators and of course some preliminary results. (F17)
Dokumentiert werden die Entwicklungen zu einem Querschnittthema in dem jeweiligen document de politique transversale (Querschnittsbericht, DPT), die in regelmäßigen Abständen veröffentlicht und in denen die Geldausgaben aller Ministerien zu diesem einen Bereich aufgeführt werden (vgl. Hamel/Vanhercke 2009: 94). Das Gesetz wurde in meinen Gesprächen mit Kommissionsmitarbeitern und der nationalen Administration als grundlegende Innovation betrachtet. Denn es stellte nicht nur eine völlig neue Herangehensweise an die Verteilung der staatlichen Ressourcen dar, sondern war auch das erste Mal in der Geschichte Frankreichs, dass sämtliche Staatsausgaben auf Grundlage von sozialpolitischen Zielen und Indikatoren betrachtet und beurteilt werden. Zusammenfassend ist zu sagen, das neue Budgetrecht verpflichtete die Ministerien offen zu legen, welche Maßnahmen sie in dem Kampf gegen soziale Ausgrenzung finanzieren. Dies war auf der einen Seite ein Novum. Andererseits entsprach es dem bereits bestehenden Konsens, demzufolge soziale Kohäsion als ein multidimensionales Phänomen zu verstehen ist.
Soziale Eingliederung in Frankreich
213
7.1.5 Zentralistische Kompetenzverteilung In den vorangegangenen Abschnitten war deutlich geworden, dass die politische Verantwortung für den Bereich soziale Eingliederung in der öffentlichen Wahrnehmung der Regierung zugesprochen wird, während die lokalen Behörden und der nichtstaatliche Sektor nur untergeordnete Rollen spielen (vgl. Neumann/Veil 2004: 15, Barbier/Fargion 2004: 456). Des Weiteren deutete sich an, dass im Jahr 1998 nicht nur eine Politik der sozialen Eingliederung entwickelt, sondern auch eine entsprechende Administration innerhalb der Regierung geschaffen wurde. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wird im Folgenden nachgewiesen, dass die direction générale de l’action sociale die zentrale Organisationseinheit im nationalen Feld ist, auch wenn gerade die lokalen Behörden in den letzten Jahren an Kompetenzen dazugewannen. Dafür werden im Folgenden zunächst die Regierung, ihre Bürokratie und ihre interne Arbeitsteilung analysiert. Im Anschluss daran werden die unteren staatlichen Ebenen und nichtstaatlichen Organisationen und ihre Kompetenzen untersucht. Abschließend wird ein Gremium betrachtet, in dem sich die verschiedenen Akteure und Organisationen austauschen können. Die Regierung ist bis heute die zentrale Organisation in der französischen Sozialpolitik. Auf ihre Initiative wird der rechtliche Rahmen der Sozialversicherungen festgelegt. Weiter bestimmt sie die Höhe der staatlichen Mindestleistungen. Schließlich trägt sie die Verantwortung für sämtliche Maßnahmen im Bereich der sozialen Kohäsion auf nationaler Ebene. Innerhalb der Regierung sind seit dem Jahr 1998 der Sozialminister und die direction générale de l’action sociale (DGAS) für den Bereich der sozialen Eingliederung verantwortlich. Die Direktion erarbeitet sowohl auf Vorgabe des Ministers als auch in eigener Regie die nationalstaatlichen Initiativen zu Themen der sozialen Kohäsion. Ferner setzt sie auch Teile der Maßnahmen selbst um. Schließlich hält sie den Kontakt zu den anderen Direktionen, den sozial engagierten Nichtregierungsorganisationen und den lokalen Sozialpolitikern. Die Abstimmung zwischen den Ministern sollte durch das bereits erwähnte comité interministeriel de lutte contre des exclusions erfolgen. Der interministerielle Ausschuss wurde im Jahre 1998 durch das Gesetz zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung geschaffen und theoretisch sollte er sich jedes Jahr treffen. In der Tat kam er nur einmal im Juli 2004 zusammen. (F19, Übersetzung der Verfasserin)
Allerdings muss der Ausschuss zumindest bis zum Jahr 2005 primär als ein Symbol gewertet werden, mit dem die Regierung zeigen wollte, dass das Thema für sie von Relevanz ist und sie daher eine interministerielle Zusammenarbeit im Kampf gegen soziale Ausgrenzung für notwendig hält. Denn er tagte von seiner
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Die OMK/Inklusion in Frankreich
Gründung im Jahr 1998 bis zum Jahr 2005 nur einmal. Gleichwohl gab es auf administrativer Ebene eine Arbeitsgruppe, die de facto genutzt wurde. In ihr stimmten sich die für den Bereich relevanten Direktionen unter der Federführung der DGAS ab. Die Kompetenzen zur Stärkung von sozialer Kohäsion lagen demgemäß im Untersuchungszeitraum innerhalb der Regierung bei einer Direktion, eine anvisierte interministerielle Zusammenarbeit funktionierte dagegen nur auf administrativer Ebene. Gemäß Art. 72 Abs. 2 der Verfassung56 können die Gebietskörperschaften (d. h. Regionen, Departements und Gemeinden) in all jenen Bereichen Entscheidungen fällen, die sich am Besten auf ihrer Ebene regeln lassen. Bis in die 1990er Jahre wurde diese Regelung jedoch im sozialpolitischen Bereich kaum angewandt. Dann wurden allerdings zahlreiche Gesetze verabschiedet und Maßnahmen eingeführt, die die sozialpolitischen Kompetenzen der lokalen Ebenen stärkten und ausbauten. De facto, they created reforms of the welfare system (...). They decentralized the social and employment service and at the same time, they [have] also created a very powerful mechanism to ensure standards. (EU12)
Beispielsweise zahlen nun die Departements das staatliche Mindesteinkommen aus bzw. sind für seine Organisation zuständig, wobei die Höhe der Leistung von der Regierung vorgegeben wird (vgl. Barbier 2007: 10, 13). Erklärt werden kann diese Kompetenzverschiebung mit den sozialpolitischen Initiativen der Regierung, die teilweise nur mit großem bürokratischen und finanziellen Aufwand auf nationaler Ebene hätten implementiert werden können und daher an die unteren Ebenen delegiert wurden. Gleichwohl verlief sowohl die nationale Umsetzung der Dezentralisierungspläne als auch die lokale Nutzung der (neu-) gewonnenen Kompetenzen nicht ohne Probleme. So beabsichtigte die Regierung seit Ende der 1990er Jahre ein Gremium zu installieren, das die vertikale Kommunikation zwischen den staatlichen Ebenen verbessert. Denn bisher tauschten sich die Behörden vor allem auf einer eigenen Ebene aus, d.h., es existierten interregionale, interdepartementale oder interkommunale Gremien, in denen die Maßnahmen und Probleme der jeweiligen Ebene diskutiert wurden. Dieses Vorhaben wurde jedoch bis zum Jahr 2005 nicht realisiert. Es gab daher in der hier untersuchten Zeitspanne nur im begrenzten Maß eine Kommunikation zu den Themen der sozialen Kohäsion zwischen den Ebenen. Oftmals standen einzig die Vertreter der lokalen Ebenen im conseil nationale des politique de lutte contre la pauvreté et l’exclusion sociale (siehe unten) in einem begrenzten Informationsaustausch56
Ces collectivités territoriales ont vocation à prendre les décisions pour l'ensemble des compétences qui peuvent le mieux être mises en oeuvre à leur échelon. (Art. 72 Abs. 2).
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verhältnis mit der nationalen Administration zu den Themen der sozialen Kohäsion. Des Weiteren machten viele lokalen Behörden keinen Gebrauch von der seit dem Jahr 2004 bestehenden Möglichkeit, lokale Strategien zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung zu entwickeln, (vgl. Hamel/Vanhercke 2009: 96). Schließlich muss auch gesagt werden, dass die lokalen Ebenen – trotz ihrer durch die Verfassung garantierten Rechte und der Dezentralisierungstendenzen – weiterhin weit weniger Kompetenzen als ähnliche staatliche Ebenen in Deutschland oder Italien besaßen. And the relationship between regions and the central government, it is a very centralized administration; it doesn’t have the constitutional federalism or anything like, what Germany has. (EU12)
So wirkten die lokalen Behörden weder an der Ausarbeitung der nationalen Maßnahmen noch an der Erstellung von nationalen Reformen mit. Die Bedeutung der lokalen Ebenen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung wuchs demnach in den letzten 20 Jahren, sodass sie nun zahlreiche Maßnahmen ausführen bzw. eigene Pläne umsetzen können. Allerdings führte dies im Untersuchungszeitraum nicht dazu, dass sie in die politische Planung eingebunden wurden oder ein vertikales Kommunikationssystem aufgebaut wurde. Im nichtstaatlichen Sektor Frankreichs spielen vor allem zwei Organisationsgruppen eine Rolle im Kampf gegen soziale Ausgrenzung: die Nichtregierungsorganisationen und die Sozialpartner. So übernehmen die NGOs wohlfahrtsstaatliche Aufgaben, auch wenn sie aufgrund des fest institutionalisierten, staatszentrierten Leitbildes in Frankreich über weit weniger Kompetenzen verfügen als ihre Pendants in Deutschland und Italien. Ihr Tätigkeitsspektrum konzentriert sich auf die Interessenvertretung von sozial ausgegrenzten Menschen und die Organisation von Projekten für spezielle Randgruppen, wofür sie auch staatliche Unterstützung erhalten. Zur Stärkung ihrer Position in den öffentlichen Debatten schlossen sich die verschiedenen Wohlfahrtsverbände, Selbsthilfegruppen etc. schon in den 1940er Jahren zu nationalen Netzwerken zusammen. Diese sind denn auch die zentralen Ansprechpartner der nationalen Bürokratie. We have good contacts with the department of social affairs, and there is even an institutionalized contact between the NGOs and the national administration called conseil national de la lutte contre l´exclusion sociale, chaired by a member of the French senate and they have regular meetings. (F14)
Die Mitarbeiter der Netzwerke tauschen mit den Sozialexperten der Regierung in sporadischen Gesprächsrunden oder auf institutionalisierte Weise über das conseil nationale des politique de lutte contre la pauvreté et l’exclusion sociale (siehe unten) Informationen aus, wobei die Ergebnisse hier für keine Seite bin-
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Die OMK/Inklusion in Frankreich
dend sind. Neben den NGOs übernehmen die Sozialpartner sozialpolitische Aufgaben. So liegt die Verantwortung für die Arbeitslosenversicherung, die Arbeitsämter und die darin durchgeführten Integrationsmaßnahmen in ihrer Hand. Darüber hinaus verstehen sich die Gewerkschaften als zentrale sozialpolitische Kräfte der Gesellschaft, die sich gegenüber dem Staat für Benachteiligte einsetzen und dessen Sozialpolitik überwachen. Handeln die staatlichen Stellen in ihren Augen nicht sozialverträglich, äußern sowohl die Gewerkschaften als auch die NGOs ihren Protest meist in der Form von öffentlichen Kundgebungen. Denn dieses Druckmittel erwies sich in der Vergangenheit nach Einschätzung meiner Interviewpartner in der Regel als weitaus durchsetzungsstärker als die offiziellen Gesprächsrunden. Die NGOs und die Sozialpartner übernehmen somit bestimmte sozialpolitische Aufgaben, für die sie auch staatliche Unterstützung erhalten können. Des Weiteren verstehen sich die Gewerkschaften und die NGOs als Interessensvertretung von Sozialbenachteiligten. Ihre effizienteste Protestmittel sind dabei nach eigener Einschätzung öffentliche Kundgebungen. In dem Gremium Conseil nationale des politique de lutte contre la pauvreté et l’exclusion sociale57, das im Folgenden CNLE abgekürzt wird, kommen sämtliche wichtigen Akteure und Organisationen des nationalen Feldes zusammen, sodass es die zentrale Austauschplattform zwischen den nichtstaatlichen, administrativen und politischen Kräften im Bereich der sozialen Kohäsion ist. Gegründet wurde das Komitee im Zuge der Einführung des gesetzlichen Mindesteinkommens im Jahr 1988. Bei der Namensgebung ließ sich die damalige Regierung nach Angaben von Beteiligten von den damaligen Diskussionen auf europäischer Ebene inspirieren, was auch auf den engen Kontakt der damaligen Kommission zu Frankreich zurückgeführt werden kann. Das Komitee umfasst 54 Personen58 aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen: Sein Präsident, acht Repräsentanten der Regierung, acht der gewählten Organe (Senat, Nationalversammlung, Regionen, Departements, Rathäuser, die von den jeweiligen Organisationen selbst bestimmt werden), acht Repräsentanten von Wohlfahrtsverbänden59, acht Vertreter der nationalen Sozialpartner, acht bedeutende Personen aus dem Bereich (personnalités qualifiées), fünf Vertreter der nationalen Behörden im Bereich soziale Kohäsion (wie Arbeitsamt), acht Vertreter weiterer nationaler Organisationen (membres de droit). Das Gremium tagt einmal im Monat und sein Sekretariat ist bei der DGAS angesiedelt. 57 58
59
Nationales Komitee der Politik im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung Vorgeschlagen werden die Gruppen bzw. Personen dem Sozialminister von der DGAS, dieser präsentiert wiederum dem Premierminister eine Empfehlungsliste, der die Personen und Gruppen ernennt. Auch der Vorsitz wird durch den Premierminister für drei Jahre vergeben. Personnes morales de droit public ou privé, autres que l’Etat et les collectivités territoriales
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Das Gremium war im Untersuchungszeitraum ein reines Beratungs- und Diskussionsforum. Beispielsweise stellte die Administration hier sozialpolitische Reformpläne vor und versuchte damit, mögliche Reaktionen der hier vertretenen Organisationen auf die Initiativen abzuklären und so öffentliche Proteste zu vermeiden. Den Einfluss des Komitees auf die staatlichen Maßnahmen schätzten sämtliche meiner Interviewpartner als vorhanden, jedoch nicht übermäßig ein. Diese marginalen Auswirkungen wurden vor allem von Teilen der Administration kritisiert. We are aware that we need an exchange with the social partners and the NGOs. (...) But, the meetings of the CNLE are rather symbolic than substantial since the NGOs are satisfied only by the fact that they are sitting together with the minister. (F20)
Selbstkritisch wurde bemängelt, dass die Gespräche oftmals einen symbolischen Charakter hätten. Die Beamten sahen an dieser Stelle, aber auch die in dem Gremium vertretenen Gruppen in der Verantwortung, da sich diese mit solchen oberflächlichen und wirkungslosen Gesprächen zufriedengäben und nicht mehr Mitsprache fordern würden. Dem wurde von Vertretern der NGOs nicht widersprochen, da sie sich als Regierungsberater verstanden. Die politische Verantwortung für Reformen lag aus ihrer Sicht einzig bei der Regierung. Das Gremium diente im Untersuchungszeitraum einem unverbindlichen Austausch, zu dem Vertreter der verschiedensten Interessensgruppen zusammenkamen, ohne dass hier gesamtgesellschaftliche Ziele oder Pläne formuliert wurden. Im Einklang mit Barbier und Fargion (2004) kann festgehalten werden, dass die Regierung im Untersuchungszeitraum für die sozialpolitischen Grundsatzentscheidungen zuständig war. Innerhalb derselben koordinierte eine interministerielle Generaldirektion den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung und war der zentrale Ansprechpartner für andere Organisationen und Organisationseinheiten. Der Handlungsspielraum der lokalen Behörden vergrößerte sich im Untersuchungszeitraum für ihr Territorium. Gleichwohl verfügten sie und die nichtstaatlichen Gruppen im nationalen Kontext nur über ein marginales Gestaltungsvermögen des nationalen Kampfes gegen soziale Ausgrenzung. Diese Aufgabenteilung wurde von allen beteiligten Akteuren und Organisationen oftmals als eine nicht-hinterfragte Gegebenheit wahrgenommen, weshalb die Mehrheit der lokalen Behörden und der nichtstaatlichen Gruppen ihren (Konsultations-) Status auch als ausreichend wertete.
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Die OMK/Inklusion in Frankreich
7.1.6 Zwischenresümee: Feld zur Stärkung der sozialen Kohäsion In Frankreich war in den 1990er Jahren ein Feld zur Stärkung der sozialen Kohäsion entstanden. Geprägt wurde es von einem fest institutionalisierten Leitbild, nach dem es die Aufgabe des Nationalstaates ist, durch gesetzliche und materielle Hilfestellungen die soziale Kohäsion in der Gesellschaft zu stärken. Organisiert wird die Mehrheit der staatlichen Maßnahmen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung von einer interministeriellen Direktion, die damit die zentrale Organisationseinheit in der Regierung und im Feld zur Stärkung von sozialer Eingliederung ist. Die NGOs und die lokalen Behörden treten dagegen höchstens als Berater bzw. als ausführende Instanzen in Erscheinung, ohne in die Konzeption der Instrumente eingebunden zu sein. Der zentrale Handlungsansatz in dem hier untersuchten Feld war seit dem Jahr 1998 eine Kombination aus staatlicher Mindestsicherung, staatlichen Förderprogrammen für spezielle Problemgruppen und gesetzlichen Regelungen in diversen gesellschaftlichen Teilbereichen. Im Untersuchungszeitraum wurde er durch zwei Reformen weiterentwickelt. So setzte der soziale Kohäsionsplan zwar weiterhin auf staatlich subventionierte Arbeitsverträge, materielle Hilfsprogramme und staatliche Regulierungen. Diese ergänzte er jedoch um mehrere staatliche Dienstleistungen, welche die Kräfte des Einzelnen bzw. von bestimmten Personengruppen zur (eigenverantwortlichen) Integration in die Gesellschaft stärken sollten. Auch wurde versucht, die lokalen Kräfte stärker zu mobilisieren. Der soziale Kohäsionsplan gab somit dem nationalen Handlungsansatz neue Akzente, ohne dass die Leitbilder offen in Frage gestellt wurden. Daneben wurde mit dem neuen Budgetrecht ein staatliches Finanzierungssystem entwickelt, welches das Thema soziale Kohäsion zu einem finanziellen Querschnittthema machte und so das bestehende Leitbild stärkte. Die beiden Entwicklungen stellten die bestehende Ordnung des sozialen Felds nicht grundsätzlich in Frage, gleichwohl modifizierten sie sie. Auf den ersten Blick erscheinen die Veränderungen auch anschlussfähig an die OMK/Inklusion. So gehen sowohl die Ziele des Kohäsionsplans als auch der Handlungsansatz des neuen Budgetrechtes in dieselbe Richtung wie die Vorgaben und Instrumente der OMK/Inklusion. Im Folgenden ist nun zu klären, in welchem Verhältnis sie zueinanderstehen.
Die Organisation der OMK/Inklusion
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7.2 Die Organisation der Offenen Methode der Koordinierung Zentrale Voraussetzung über eine erfolgreiche Implementierung der OMK/ Inklusion ist nach meinem Dafürhalten, dass die durchsetzungsstarken Akteure und Organisationen eines Feldes die Erkenntnisse aus dem europäischen Verfahren als Möglichkeit und Chance zur Verbesserung der institutionellen Strukturen wahrnehmen und nutzen. Daher ist im Folgenden zu untersuchen, wer an dem Verfahren in Frankreich beteiligt war, wie sie es einstuften, und welche Durchsetzungschancen sie im Feld hatten. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass im Untersuchungszeitraum die großen Konzepte und Maßnahmenkataloge zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung allein von der Regierung mithilfe ihrer Administration entwickelt wurden, während die lokalen Behörden und die NGOs daran nur im geringen Umfang beteiligt waren und vor allem ausführende Funktionen übernahmen. Im Folgenden wird nun gezeigt, dass die Organisation der OMK/Inklusion an diese Kompetenzverteilung anknüpft. So trug nach der allgemeinen Wahrnehmung die Regierung die Verantwortung für das europäische Verfahren, wohingegen sich die lokalen Behörden und der nichtstaatliche Sektor nur bedingt einbrachten. Des Weiteren wird noch offensichtlich werden, dass die OMK/Inklusion innerhalb der Regierung als ein Prozess gewertet wurde, für den die Administration Sorge zu tragen hat. Auf administrativer Ebene wurden die nationalen Kompetenzträger stark in das Verfahren eingebunden. Ferner sahen sie viele Ergebnisse der OMK/Inklusion als Chance an, die eigenen Konzepte und Arbeitsweisen zu hinterfragen. Dagegen beteiligten sich die politische Spitze, die lokalen Ebenen und der nichtstaatliche Sektor nur wenig an dem Prozess und schrieben ihm auch nur eine geringe Bedeutung für die eigene Arbeit zu. Zunächst wird in diesem Abschnitt die Rolle der politischen Spitze und der nationalen Verwaltung in Rahmen der OMK/Inklusion betrachtet (7.2.1). Daran anschließend wird die Einbindung der lokalen Ebenen und der nichtstaatlichen Organisationen in den Prozess untersucht (7.2.2).
7.2.1 Die Rolle der Regierung und ihrer nationalen Verwaltung Innerhalb der französischen Regierung wird bei der Organisation von Maßnahmen zwischen der politischen Ebene, d.h. den Politikern und ihrer höchsten, politisch besetzten Beamten, und der übrigen Administration (der technischen Ebene) unterschieden. Die Minister geben zusammen mit den Leitern der Generaldirektionen die prinzipiellen Leitlinien vor und entwickeln die Grundzüge der Reformpläne. Dagegen bereitet die technische Ebene die Arbeit der politischen Ebene vor bzw. erarbeitet auf Basis der politischen Vorgaben konkrete Maß-
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Die OMK/Inklusion in Frankreich
nahmen und setzt diese teilweise auch um. Dabei tritt sie gegenüber der politischen Spitze selbstbewusst auf, da sie nach eigener Einschätzung über Erfahrungen verfügt, die diese nicht hat und aufgrund der wechselnden Regierungen haben kann. (...) we know what is important (...) we know the policies but the cabinets of the ministers do not know many things. (F2)
Die Verwaltung versteht sich somit als der zentrale Garant für eine Kontinuität in der Regierungsarbeit. Aufbauend auf dieser Differenzierung wird im folgenden Abschnitt herausgearbeitet, dass im nationalen Feld die technische Ebene entscheidend für die OMK/Inklusion war, wohingegen sich die politische Spitze kaum oder temporär an dem Verfahren beteiligte. Zur Prüfung dieser These werden zunächst die Kompetenzen bei der Erstellung der NAP/Inklusion und für das Aktionsprogramm untersucht. Anschließend wird auf die Delegierten des Sozialschutzkomitees und seiner Arbeitsgruppe Indikatoren eingegangen. Im französischen Feld ist die DGAS die zentrale Instanz im Kampf gegen soziale Ausgrenzung. Aufbauend auf diesen Kompetenzen wurde ihr auch die Verantwortung für die NAP/Inklusion und die Delegation des Aktionsprogramms übertragen, wobei innerhalb der Generaldirektion das bureau des affaires européennes et internationales (kurz BAEI) mit diesen Aufgaben betraut wurde. So ist das Büro seit dem Jahr 2000 federführend bei der Erstellung der Aktionspläne. Diese Aufgabe besaß sie faktisch bis zum Ende des Untersuchungszeitraums, auch wenn im Lauf der Zeit der Lissabon-Prozess auf nationaler Ebene neu organisiert wurde und die Regierung versuchte, die drei Säulen stärker interministeriell auszurichten. Formal war daher ab dem Jahr 2004 die Administration des Premierministers für das Instrument zuständig. Da den Plänen jedoch keine politische Bedeutung zugeschrieben wurde, verzichtete die Regierung de facto auf eine solche Verlagerung und beließ ihre Erstellung weiterhin bei dem BAEI. Die NAP/Inklusion wurden demzufolge als ein administratives Instrument gewertet und organisiert. Aber das Wichtigste ist, denke ich, dass die Verwaltung verantwortlich für die Koordinierung der Pläne ist (...). (F19, Übersetzung durch die Verfasserin)
Die politische Spitze war in der Regel nur insofern eingebunden, als die fertigen Pläne dem Leiter der DGAS übergeben wurden, der sie dem Kabinett zur Verabschiedung vorlegte, was meine Interviewpartner jedoch als Formsache bezeichneten. Im Gegensatz zu Deutschland war die federführende Direktion für den Inhalt der NAP/Inklusion verantwortlich, d.h. sie konnte entscheiden, welche Reformplänen und Maßnahmen darin beschrieben werden. Allerdings nutzten die Beamten der Generaldirektion die Aktionspläne auch, um die Zusammen-
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arbeit mit den sozialpolitischen Experten der anderen Direktionen zu intensivieren. So bezogen sie die auf technischer Ebene bestehenden interministeriellen Kommunikationsstrukturen mit in die Erstellung der Pläne ein. Bei solchen Treffen informierten sie sich bei anderen Direktionen über deren Arbeit zur Stärkung der sozialen Kohäsion und diskutierten mit ihnen die aktuelle Politik. Neben der Federführung bei den NAP/Inklusion stellte das Büro auch den Delegierten für den Ausschuss des Aktionsprogramms der Gemeinschaft zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung. Allerdings galt die Arbeit in dem Gremium als eine Formalität. Meine Interviews ergaben, dass die verantwortliche Beamtin die Bedeutung dieses Handlungsstrangs für das französische Feld als gering einstufte, weil sie die von dem Programm angestrebte Stärkung der Zivilgesellschaft nur bedingt als anschlussfähig an die staatszentrierte Struktur wertete. Festgehalten werden kann, dass sowohl die Redaktion des NAP/Inklusion als auch die Delegation für das Aktionsprogramm im bureau des affaires européennes et internationales angesiedelt war. Das Büro bildete somit eine entscheidende Schnittstelle zwischen der nationalen und der europäischen Ebene. Da es eng mit den nationalen Kompetenzträgern auf technischer Ebene zusammenarbeitete, hatte es die Chance, die Erkenntnisse aus der OMK/Inklusion in administrativen Debatten einzubringen. Das Sozialschutzkomitee und im geringeren Maße seine Arbeitsgruppe Indikatoren galten innerhalb der Regierung als Möglichkeiten, den eigenen Einfluss auf die europäischen Debatten zu stärken. An der Delegation für das Plenum nahmen daher im Untersuchungszeitraum der Direktor der DGAS und ein hoher Beamter der Direktion zur sozialen Sicherung (DSS) teil. Als Stellvertreter wurden ein weiterer Mitarbeiter der DGAS sowie ein Beamter der Ständigen Vertretung in Brüssel nominiert. Allerdings wechselten die Beamten auf den Delegationsposten relativ häufig. Aus diesem Grund waren auch hier die Mitarbeiter des BAEI von entscheidender Bedeutung. Denn sie waren teilweise seit Beginn an der OMK/Inklusion beteiligt. Sie sorgten für eine Kontinuität und einen reibungslosen Ablauf in der Gremiumsarbeit, indem sie die neuen Delegierten in die Arbeit im SPC einführten und ihnen zuarbeiteten. Eine weitere Folge des häufigen Delegiertenwechsels war, dass kaum ein Austausch mit den anderen Staaten stattfand. Die Hauptaufgabe der Delegation bestand aus Sicht der Sozialpolitiker darin, die Regierung im SPC zu vertreten und, wenn möglich, die französische Position durchzusetzen. Dabei waren die Delegierten weder weisungsgebunden, noch mussten sie sich mit den anderen Direktionen abstimmen, da die Regierung davon ausging, dass sie als nationale Kompetenzträger die französische Haltung zum Thema soziale Kohäsion am besten kennen würden. Im Normalfall wurden die Treffen des SPC daher auf informellem Weg vorbereitet.
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Die OMK/Inklusion in Frankreich It was very informal in fact; people knew each other and have been very close for long time (...). But this is not an organised process. It is definitely more informal. (EU22)
Die Delegierten informierten sich auf Basis von persönlichen Kontakten bei anderen Direktionen über deren Position zu bestimmten Fragestellungen, wobei es ihnen freistand, ob sie diese Haltungen aufgriffen. Nur bei grundsätzlichen Fragestellungen und politisch bedeutsamen Angelegenheiten kam es zu einer systematischen Abstimmung mit anderen Behörden. Beispielsweise wurden die Reformen des Lissabon-Prozesses in enger Zusammenarbeit mit den Bereichen Finanzen und Wirtschaft vorbereitet, da bei dieser Entwicklung alle drei Bereiche eine stringente Position auf europäischer Ebene vertreten sollten. Auf nationaler Ebene existierte demnach nur im begrenzten Umfang eine institutionalisierte interministerielle Koordinierung. Dafür war auf europäischer Ebene ein Beamter der Ständigen Vertretung an der Delegation beteiligt. My work is not to be the representative in the SPC in Brussels. (...) I do not speak at those meetings; I prepare them in Paris and take advantage from being in the SPC for (...) a coherent position in the groups where I am speaking. So, it is a French position to have always someone from here [der Ständigen Vertretung in Brüssel die Verfasserin], I think yes it is so because we stay (...) and it is important to have this cohesion. (EU 22)
Ziel dieser Einbindung war es, die französische Position in den verschiedenen sozialpolitischen Gremien auf europäischer Ebene kohärent zu gestalten. Nach meinen Ergebnissen verstärkte dieser Beamte aus Brüssel aber nicht nur die französischen Durchsetzungschancen auf europäischer Ebene. Er versuchte darüber hinaus auch, den europäischen Informationsfluss in die nationalen Debatten einzubringen. Denn er verfügte über eine europäische Perspektive auf die nationale Politik, da er nicht nur die europäischen Entwicklungen und Partner, sondern auch deren Einschätzung der französischen Politik sehr gut kannte. Seine Durchsetzungsmöglichkeiten waren jedoch begrenzt, da er nur bedingt in die nationalen Prozesse eingebunden war und als Einzelne auch nur über einen begrenzten Einflussradius verfügte. Gekennzeichnet war die Arbeit für das SPC im Bereich soziale Eingliederung somit nicht nur von dem relativ großen Spielraum der nationalen Delegierten, die weder weisungsgebunden noch verpflichtet waren, sich abzusprechen, sondern auch einer außergewöhnlich engen Verknüpfung mit den anderen europäischen Debatten. Die Delegation für die Arbeitsgruppe Indikatoren des SPC stammte aus der im Jahr 1998 gegründeten DRESS. Apart from me, there are four people working on international and European issues, two on health and disabled people and one on the elderly and pensions and one on social inclusion. So, we are the French delegation group of the indicators in the social protection committee. (F17)
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Auch diese Delegierten, die der technischen Ebene zugerechnet werden, waren nicht weisungsgebunden. Gleichwohl besprachen sie die Entwicklungen in der Arbeitsgruppe mit den anderen Statistikdirektionen und Experten des französischen Feldes, da sich diese daran interessiert zeigten. Im Gegensatz zur SPCDelegation war die Arbeit in der Arbeitsgruppe geprägt von einer kontinuierlichen Beteiligung. Die Delegierten waren teilweise seit der Gründung der Arbeitsgruppe dabei und pflegten einen regen Austausch mit den anderen Experten im eigenen Land wie im Ausland. However, the indicator group is a good network, which works quite well. One civil servant is working for this group since the beginning and I’ve been a member since 2002. So, (...) we have close relations with Italy, Luxembourg, and Germany. And it is a very helpful network to have some punctual information or more important in the forerun of conferences, having access to network of national experts. (F17)
Im Bereich der Indikatoren hatten sich die Delegierten sowohl auf nationaler Ebene als auch im europäischen Kontext durch die kontinuierliche Zusammenarbeit ein Netzwerk erarbeitet, das von fruchtbaren Diskussionen geprägt war. Die Organisation der OMK/Inklusion war in der Regierung auf einen kleinen Beamtenkreis konzentriert, der der technischen Ebene angehörte. Hierbei wurde die national zentrale Bürokratie relativ eng in den europäischen Prozess eingebunden. Erleichtert wurde dies vor allem dadurch, dass im Jahr 1998 mit der DGAS und der DRESS eine fachspezifische Administration geschaffen worden war. Auch konnte an die interministerielle Zusammenarbeit auf administrativer Ebene angeknüpft werden. Umgekehrt wurde jedoch auf eine Einbindung der politischen Spitze weitgehend verzichtet bzw. war deren Beteiligung von einem häufigen Personalwechsel geprägt.
7.2.2 Die Informierung der übrigen Organisationen Unsere Analyse der Kompetenzverteilung ergab, dass im französischen Feld seit den 1990er Jahren Dezentralisierungstendenzen stattfanden und die sozialpolitischen NGOs einige politische Erfolge feiern konnten und an Einfluss dazugewannen. Gleichwohl wurde auch deutlich, dass bisher kein umfassendes Kommunikationssystem zwischen sämtlichen Kräften aufgebaut wurde und eine klare Aufgabenteilung zwischen den einzelnen Organisationsgruppen erhalten blieb. Im Anschluss an diese Erkenntnisse wird im Folgenden argumentiert, dass die lokalen Behörden und die nichtstaatlichen Organisationen von der Regierung nur begrenzt in den Prozess eingebunden wurden und auch nur geringes Interesse an ihm zeigten. Analysiert wird in diesem Abschnitt zunächst die Rolle der
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lokalen Behörden bei der Organisation des Verfahrens. Anschließend wird die Partizipation der NGOs bzw. der Sozialpartner in dem Verfahren betrachtet. Trotz ihrer wachsenden sozialpolitischen Bedeutung partizipierten die Departements, Regionen und Gemeinden kaum aktiv an der OMK/Inklusion. Einzig durch ihre Vertreter im CNLE wurden sie über das Verfahren und hierbei besonders die NAP/Inklusion informiert. Allerdings ergaben meine Interviews und eine Analyse der Sitzungsprotokolle, dass der europäische Prozess in dem Gremium meist nur oberflächlich besprochen wurde, weshalb auch die lokalen Vertreter in dem nationalen Gremium ihn nur im begrenzten Maße kannten. Die OMK/Inklusion war daher auf lokaler Ebene weitgehend unbekannt. Entscheidender Grund für diese geringe Einbindung der lokalen Behörden war nach Angaben von Mitarbeitern der DGAS, dass es grundsätzlich an einer Kommunikationsstruktur zwischen den staatlichen Ebenen mangelte. In den vorgegangenen Abschnitten war bereits herausgearbeitet worden (siehe 7.1.5), dass schon seit den 1990er Jahren ein vertikal ausgerichtetes Komitee im Bereich der sozialen Kohäsion geplant war, in dem die staatlichen Behörden zusammenarbeiten können, das jedoch bis zum Jahr 200560 nicht realisiert worden war. So it is very difficult because the committee (...) we talked about does not exist also it normally should be working this year and it will take into account all the different aspects of the NAP. (F16)
Über dieses Gremium sollten die lokalen Ebenen stärker in die europäischen Prozesse eingebunden werden. Die lokalen Behörden wurden somit kaum in die OMK/Inklusion eingebunden, was vor allem den grundsätzlich im sozialpolitischen Bereich bestehenden vertikalen Kommunikationsproblemen geschuldet war. Die nichtstaatlichen Organisationen waren in Frankreich kaum an der OMK/ Inklusion beteiligt. Vonseiten der Regierungen wurden sie offiziell vor allem durch das CNLE an dem Verfahren beteiligt. Die acht hier vertretenen Wohlfahrtsverbände61 konnten im Plenum ihre Positionen zu den europäischen Verfahren vortragen. Daneben diskutierten die Beamten der DGAS noch in Ad-hocGesprächen ihre Aktionspläne mit den Vertretern der nationalen Netzwerke. 60
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Diese Gremien wurden im Jahr 2006 eingeführt (vgl. Swinen 2006: 8), allerdings waren viele lokale Behörden nicht bereit daran teilzunehmen, weil sie eine Einmischung der nationalen Ebene in die neu gewonnene Kompetenzfreiheit fürchteten (vgl. Hamel/ Vanhercke 2008: 13). Namentlich : Union nationale interfédérale des œuvres et organismes privés sanitaires et sociaux, ATD (All Together for Dignity) - Quart Monde, Fédération nationale des associations d'accueil et de réinsertion sociale, Secours catholiques, Secours populaire français, Union Nationale des Centres Communaux d'Action Sociale, Médecins du Monde, Fédération des Association pour la Promotion er l’Insertion per le Logement.
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Wenn der NAP/Inklusion von der Verwaltung erstellt wurde, komme ich [Vertreter eines französischen Netzwerkes, die Verfasserin] mit seinen Verfassern zusammen und wir besprechen das Papier. In diesem Jahr, 2006, (...) entschied sich die sozialpolitische Verwaltung, uns zu der Frage zu konsultieren: Welche Governance gibt es im Kampf gegen Ausgrenzung, wie kann diese verbessert werden und was lässt sich zu der Steuerung durch die Politik bei der Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung in Frankreich sagen? (F15, Übersetzung der Verfasserin)
Allerdings war der Einfluss sowohl der offiziellen als auch der informellen Gespräche auf die NAP/Inklusion nach Angaben von Beamten der DGAS gering. Vielmehr wollten die Beamten vor allem gegenüber der Kommission zeigen, dass sie auch den nichtstaatlichen Sektor in ihre Konzepte einbinden. Dass die OMK/Inklusion nicht zu einer institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien führte, wurde weder von staatlichen noch den nichtstaatlichen Interviewpartnern problematisiert. Das ist sicher so [bezogen auf die Frage, ob die NAP/Inklusion Zusammenarbeit zwischen den NGOs und der Regierung gestärkt haben, die Verfasserin], dass dies in anderen Staaten der Fall ist. (...) Ich glaube aber nicht, dass es hier in Frankreich einer Verbesserung bedarf, denn es gibt eine lange Tradition der Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung und den nichtstaatlichen Verbänden im Kampf gegen Ausgrenzung. Also, ich glaube nicht, dass die OMK die Abstimmungsprozesse verändert hat, sie existierten bereits zuvor. Dagegen konnte sie in den Ländern, in denen es solche Treffen praktisch nicht gab, Impulse setzen. (F15, Übersetzung durch die Verfasserin)
Denn aus ihrer Sicht reichte der bestehende Informationsaustausch aufgrund der fest institutionalisierten Rollenaufteilung aus. Neben dieser meist informellen Einbindung in die OMK/Inklusion durch die Regierung nahmen einige wenige NGOs am Aktionsprogramm teil. Auf Basis meiner Interviews lassen sich insbesondere drei Gründe für die spärliche Beteiligung an dem zweiten Handlungsstrang der OMK/Inklusion nennen. Erstens ist sein niedriger Bekanntheitsgrad anzuführen. Denn im europäischen Feld engagierten sich vor allem die Spitzen der nationalen Netzwerke und der großen Wohlfahrtsverbände, während die Mitarbeiter, welche die praktische Arbeit ausführten, das Programm kaum kannten. Ähnliches lässt sich über kleiner und lokalen NGOs berichten, die nur spärlich durch die Netzwerke über die OMK/Inklusion informiert wurden. Zweitens wurde das Verfahren von den Akteuren, die es kannten, als ein Instrument gewertet, mit dem primär die europäische Zivilgesellschaft gestärkt und ausgebaut würde. Drittens verfügten die meisten NGOs nur über sehr begrenzte Ressourcen, die sie bevorzugt in nationale und nicht in europäische Projekte investierten. Engagiert in den Projekten des Aktionsprogramms waren daher vor allem die Spitzen der großen, bereits international ausgerichteten Wohlfahrtsverbände und einzelne Mitarbeiter der nationalen Netzwerke. Während gerade die Vertreter der Wohlfahrtsverbände die Wichtigkeit des CNLE betonten und sich nach Ein-
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schätzung des Sekretariats stark in solche Diskussionen einbrachten, gestaltete sich die Einbindung der Sozialpartner und hier gerade der Arbeitgeberverbände weitaus schwieriger. Meist kamen zu den Sitzungen nur zwei der fünf großen Gewerkschaften und von den Arbeitgeberverbänden kaum ein Vertreter. Noch geringer war das Interesse an der OMK/Inklusion. Also es ist so, dass ich [Vertreter einer Gewerkschaft im CNLE, die Verfasserin] die OMK kaum kenne, ich habe keine Zeit ihre Dokumente zu lesen (...). (F13, Übersetzung die Verfasserin)
Die Sozialpartner sahen in ihr größtenteils einen europäischen Prozess, der für die nationalen Debatten und für die eigene Interessensvertretung ohne Belang war. Allerdings differierten die Gründe für diese Haltung: Meine Interviewpartner bei den Arbeitgeberverbänden argumentierten, sie seien ausschließlich für die wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Themen zuständig, während die Verantwortung für soziale Probleme in ihren Augen beim Staat und den karitativen Organisationen liege. Dagegen waren die Vertreter der Gewerkschaften durchweg europaskeptisch und werteten den Prozess als einen unerwünschten Versuch der europäischen Institutionen den nationalen Wohlfahrtsstaaten zu beeinflussen. Unter den Sozialpartnern war die OMK/Inklusion somit ein weitgehend unbekannter Prozess. Die wenigen Experten, die sie kannten, lehnten sie ab und beteiligten sich daher kaum an ihr. Die lokalen Behörden, die Wohlfahrtsverbände sowie die Sozialpartner wurden im CNLE über die OMK/Inklusion informiert und konnten Stellungnahmen abgeben. Diese Form der Einbindung wurde von allen Beteiligten als ausreichend empfunden, da dies der üblichen Vorgehensweise entsprach. Die Folge war, dass der Prozess bei den lokalen Behörden, den Sozialpartnern und den NGOs weitgehend unbekannt war. Hinzu kam, dass die Akteure und Organisationen, die ihn kannten, sahen in ihm nur einen geringen Nutzen für die eigene Arbeit.
7.2.3 Zwischenresümee: OMK/Inklusion als administrativer Prozess Gekennzeichnet war die Organisation des Verfahrens damit nach meinen Ergebnissen vor allem durch drei Merkmale: Erstens wurde an die bestehenden Kompetenzstrukturen in der Regierung angeknüpft. So war die bei der OMK federführende DGAS auch national die zentrale Organisationseinheit in der sozialen Kohäsionspolitik. Diese enge Zusammenführung erhöhte nach meinem Dafürhalten die administrativen Lernchancen. Allerdings war zweitens die politische Spitze nur an der Delegation des SPC beteiligt und auch hier erfolgte die Einbin-
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dung nur sporadisch und punktuell, da die Delegierten häufig wechselten. Konstant vor- und nachbereitet wurden die Sitzungen des Komitees wiederum von der Administration der DGAS. Die politische Ebene kannte die OMK/Inklusion daher in der Regel kaum bzw. betrachtete sie als einen administrativen Prozess mit wenig Nutzen für die eigene Arbeit. Es bestehen daher nur wenige Chancen, dass der Prozess von der politischen Spitze bei der Ausarbeitung der politischen Weichenstellungen unmittelbar aufgegriffen und genutzt wurde. Betrachtet man die Durchführung des Prozesses außerhalb der Regierung, so zeigte sich als drittes Merkmal, dass das Verfahren auch auf Basis der institutionalisierten Ordnungsvorstellungen wahrgenommen und organisiert wurde. Dementsprechend wertete die Mehrheit der lokalen Behörden, Sozialpartner und NGOs die OMK/Inklusion als ein Regierungsprojekt, für das sie nur begrenzt zuständig waren. Es nahmen daher auch nur wenige NGOs und so gut wie keine lokalen Behörden an dem Aktionsprogamm der OMK/Inklusion teil.
7.3 Die Umsetzung des europäischen Verfahrens Im Kapitel 5 war deutlich geworden, dass Frankreich eine herausragende Rolle bei der Implementierung der OMK/Inklusion auf europäischer Ebene spielte (vgl. auch de la Porte 2002b: 2). Daher könnte angenommen werden, dass der Prozess umgekehrt ein wichtiger Impulsgeber auf nationaler Ebene war. Zumal meine Analysen über die aktuellen Entwicklungen im nationalen Feld zeigten, dass die Reformen anschlussfähig an die Ziele und Ideen des europäischen Prozesses waren. Allerdings ergab meine Untersuchung über die Organisation der OMK/Inklusion im französischen Feld, dass nur die administrative Ebene der Regierung kontinuierlich an den Prozess partizipierte, wohingegen ihre politische Spitze nur punktuell und oberflächlich daran beteiligt war. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wird im Folgenden nachgewiesen, dass die politische Spitze den Prozess vor allem nutzte, um auf europäischer Ebene die soziale Integration weiter voranzutreiben, ohne seine Ergebnisse bewusst auf nationaler Ebene aufzugreifen. Allerdings veränderte die Implementierung der OMK/Inklusion das Problembewusstsein, die Arbeitsweise und im begrenzten Maße den interministeriellen Austausch innerhalb der Administration, ohne dass die Grundsätze der institutionellen Ordnung in Frage gestellt wurden. Ferner griffen die Beamten die dort gewonnenen Erkenntnisse auf, um die eigenen Konzepte in den regierungsinternen Abstimmungen zu untermauern und so das Thema der sozialen Kohäsion in den aktuellen Entwicklungen zu stärken. Das Verfahren beeinflusste so mittelbar über die Arbeit der Administration die Reform des Budgetrechts und im geringen Maße auch den sozialen Kohäsionsplan. Bezüglich des Einflusses
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der OMK/Inklusion auf die lokalen Behörden und den nichtstaatlichen Sektor wurde bereits festgestellt, dass sich beide nur begrenzt daran beteiligten. Auf den lokalen Ebenen war sie nahezu unbekannt, weshalb sie hier auch keine Impulse setzen konnte. Auf europäischer Ebene engagierten sich einige Mitarbeiter der französischen Netzwerke und Wohlfahrtsverbände. Auf nationaler Ebene spielte die OMK/Inklusion dagegen im nichtstaatlichen Sektor nur eine marginale Rolle; ihre Projektmöglichkeiten wurden kaum genutzt. Daher ist anzunehmen, dass im nichtstaatlichen Bereich Frankreichs, wenn überhaupt, nur ein individuelles Lernen stattfand. Zur Analyse dieser Thesen wird zunächst gefragt, wie die europäischen Ziele und die Ergebnisse aus den Benchmarkingprozessen aufgenommen wurden und welche Bedeutung sie in der nationalen Politik erlangten (7.3.1). Gezeigt wird, dass zwischen der politischen Nutzung auf europäischer Ebene und der nationalen Implementierung differenziert werden muss. Weiter werden die Indikatoren sowie ihre Nutzung im nationalen Feld betrachtet (7.3.2). Hier wird deutlich, dass die Erkenntnisse und Erfahrungen mit den Laeken-Indikatoren die Arbeit der Beamten für das neue Budgetrecht beeinflussten. Anschließend werden die Folgen des NAP/Inklusion im französischen Feld untersucht und herausgearbeitet, dass gerade der zweite Aktionsplan von zentraler Bedeutung für das Budgetrecht war (7.3.3). Eine Analyse der Peer-Reviews und des bewährten Praxisbeispiele steht im Zentrum des nächsten Abschnittes, wobei deutlich wird, dass es nur zu einem allgemeinen Kennenlernen der anderen Systeme kam (7.3.4). Abschließend wird auf das Aktionsprogramm eingegangen (7.3.5). Hier wird deutlich, dass auch dieser Handlungsstrang vor allem von der Administration zum Kennenlernen der anderen Staaten und ihrer Handlungsansätze und weniger von den NGOs genutzt wurde.
7.3.1 Politisches Präsentieren und administratives Lernen: Die Nutzung der Ziele und Benchmarkingverfahren Da eine französische Regierung die Entwicklung der europäischen Ziele maßgeblich vorangetrieben hatte, könnte angenommen werden, dass jene auch im nationalen Feld eine große Rolle spielen. Ferner könnte erwartet werden, dass die Regierungen dadurch besonders sensibel für die Erkenntnisse aus den europäischen Benchmarkingverfahren sind. Im Folgenden wird jedoch gezeigt, dass die politische Spitze die europäischen Diskussionen über die Ziele der OMK/ Inklusion vor allem nutzte, um die eigenen Konzepte über ein soziales Europa einzubringen. Dagegen führten die Ziele wie auch die europäischen Benchmarkingverfahren auf administrativer Ebene dazu, dass diese das eigene Denken
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in einigen Punkten kritisch hinterfragte und neue Akzente setzte. Zur Erläuterung dieser Annahmen wird zunächst das politische Engagement der Regierung auf europäischer Ebene betrachtet und anschließend die administrative Nutzung der beiden OMK/Inklusion-Elemente auf nationaler Ebene untersucht. Das Ziel, soziale Inklusion innerhalb der Gesellschaft zu stärken, nimmt in der französischen Regierungsagenda traditionell einen hohen Stellenwert ein, ungeachtet dessen, was tatsächlich an politischen Maßnahmen zum Kampf gegen soziale Ausgrenzung umgesetzt wird. Die politische Spitze versteht sich deshalb auch als Wahrer und Förderer eines sozialen Europas und setzte sich zusammen mit der Kommission und einigen anderen Regierungen für eine Einführung der OMK/Inklusion auf europäischer Ebene ein (vgl. Armstrong 2003). Mithilfe des Verfahrens wollte sie im Untersuchungszeitraum die soziale Integration der EU weiter vorantreiben. Das Sozialschutzkomitee wurde daher auch als ein Ort eingestuft, in dem sie ihre Vorstellungen eines sozialen Europas einbringen und ggf. durchsetzen kann. Die Motive für dieses europäische Engagement lagen nach meinen Ergebnissen vor allem auf nationaler Ebene. So war die politische Spitze darauf bedacht, sich gegenüber den eigenen Wählern als soziale Instanz im europäischen Kontext zu präsentieren. Gleichzeitig schrieb die französische Führung den Erkenntnissen aus den europäischen Debatten nur einen geringen praktischen Nutzen für die nationale Politik zu. Entweder stufte sie die Ziele als bereits erfüllt ein, oder sie wertete die Vorgaben bzw. die Erkenntnisse aus den Benchmarking-Verfahren als nicht anschlussfähig an die eigene soziale Ordnung (vgl. Hamel/Vanhercke 2009: 87f). Ferner wurde der eigene Wohlfahrtsstaat als ein nationaler Schutzraum verstanden, den es gegen mögliche europäische Einflussnahmen zu verteidigen galt (vgl. Schild 2005, Schild/Simon 2007). Die politische Spitze Frankreichs war demnach darauf bedacht, das eigene Image durch ein europäisches Engagement zu stärken, ohne umgekehrt an einer nationalen Implementierung der OMK/Inklusion interessiert zu sein. Dagegen nutzten die Beamten der DGAS, welche die Sitzungen des Ausschusses für Sozialschutz vor- und nachbereiteten, die Erkenntnisse aus den europäischen Debatten, um das eigene Denken und Handeln zu reflektieren. Ein Beispiel für einen solchen Reflexionsprozess, der durch die Debatten rund um die europäischen Ziele angestoßen wurde, ist die Problematisierung von Kinderarmut im nationalen Feld durch die Administration. Wegen der Vorgaben aus dem SPC waren die französischen Beam gezwungen gewesen, sich des Themas anzunehmen und Daten zu erheben. Hierdurch wurde ihnen das Ausmaß von Kinderarmut in Frankreich vor Augen geführt. Seitdem bemühen sie sich nach eigenen Angaben, das Problem im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu bekämpfen. Des Weiteren sensibilisierte das Verfahren die Administration gegenüber der Ausgrenzung von Migranten im nationalen Feld. Diese Thematik war in der
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ersten Runde der NAP/Inklusion von verschiedenen Regierungen angesprochen und daran anschließend von der Kommission auf die Tagesordnung des SPC gehoben worden. Dort wurde beschlossen, das Thema europaweit zu untersuchen. Auch hier führten die Erhebung und Beschaffung der entsprechenden Statistiken dazu, dass ein Problembewusstsein für dieses Phänomen innerhalb der beteiligten Administrationen auf- bzw. ausgebaut wurde. For example, the Commission suggests topics such as the situation of ethnic minorities and immigrants, which can be quite difficult topic for us, since we are not used to make these distinctions according to ethnic origin. But in the European context, you cannot oppose to these distinctions since we have these problems here in France with immigrants. So, (...) I think today we speak about ethnic problems in the context of social inclusion in a slightly different way than 10 years ago. (F17)
Die Beamten der DGAS reflektierten demnach auf Basis der europäischen Ziele und der europäischen Benchmarkingprozesse das eigene Problembewusstsein und modifizierten dieses an einigen Stellen. Untersucht man die Frage, inwieweit solche administrativen Lernprozesse die aktuellen Reformen prägten, muss festgehalten werden, dass – wenn überhaupt – nur ein mittelbarer Einfluss festzustellen ist. So betonten sämtlichen Interviewpartnern, dass die OMK/Inklusion keinen direkten Einfluss auf den sozialen Kohäsionsplan hatte. The social cohesion plan was not taken with consideration of the European process. Our minister wanted to make a rule at a certain moment, and he did not think of the European process. (F17)
Vielmehr gehe der Plan auf eine Initiative des Ministers zurück, der dabei allein die nationalen Probleme und nicht die europäischen Analysen im Auge hatte. Ferner war die Ausarbeitung des Plans durch den Minister und seinen engsten Mitarbeiterstab geprägt von einem Nationalzentrismus, ohne dass die Ergebnisse der europäischen Studien berücksichtigt wurden. Those are two parallel processes and they are going in the right direction if you think of the inclusion in social policy but you cannot say that they are exactly the same, they are not coordinated. (F16)
Gleichwohl kann eine mittelbare Beeinflussung angenommen werden. Denn die Gruppe um den Sozialminister griff bei der Entwicklung des Plans auch auf die Expertise der administrativen Ebene zurück. In fact, for the impact of the SPC in general I discovered we had many of these kinds of voting. Therefore, you are doing something without knowing and we have had impact without knowing. (F20)
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Somit konnte eine Beeinflussung der politischen Spitze stattfinden, ohne dass sich diese dessen unbedingt bewusst war. Gerade die Ziele der OMK/Inklusion konnten somit die Administration für bestimmte Probleme sensibilisieren, auch wenn die Beamten in meinen Gesprächen immer wieder betonten, dass dies nur für einzelne Themenfelder gelten würde. Die Arbeit der politischen Spitze auf europäischer Ebene diente vor allem der Stärkung eines sozialen Europas (vgl. auch Europäischen Kommission 2006a: 6). Umgekehrt sprach sie der OMK/Inklusion nur einen zweitrangigen Nutzen für die nationale Ebene zu. Gleichwohl zeigte meine Analyse auch, dass ihre Diskussionen z.B. für den sozialen Kohäsionsplan mittelbar von den europäischen Debatten geprägt wurden. Denn die Administration, auf deren Expertise sie zurückgriffen, verwendete jene, um das eigene Denken und Handeln kritisch zu reflektieren und zu verändern. Schließlich wird sich in Abschnitt 7.3.3 noch zeigen, dass die Ziele mittelbar über einen NAP/Inklusion auch die Implementierung des neuen Budgetrechtes prägten. Denn sie wurden von der Administration im Aktionsplan 2003-2005 aufgegriffen und genutzt, um eine nationale Strategie zu entwickeln, die später eine wichtige Grundlage zur Umsetzung des sozialpolitischen Teils im Budgetrecht war.
7.3.2 Argumente und Lernhilfe für das neue Budgetrecht: Die Nutzung der Indikatoren Statistische Untersuchungen der nationalen Sozialpolitik finden nach Angaben meine Interviewpartner seit den 1990er Jahren eine immer größere Beachtung in den politischen und öffentlichen Debatten Frankreichs. Mit dem neuen Budgetgesetz erfuhr die Nutzung von Indikatoren einen weiteren Bedeutungszuwachs. Denn seit dem Jahre 2006 werden staatliche Projekte und Maßnahmen auf Basis von fest definierten Indikatoren geprüft und – nur wenn sie erfolgreich sind – weiterfinanziert. Damit stellt sich die Frage, inwieweit die OMK/Inklusion die Ausarbeitung dieses Gesetzes im Bereich der sozialen Kohäsion prägte. Für eine Beeinflussung spricht, dass auch bei dem europäischen Prozess Indikatoren einen hohen Stellenwert haben und ein ähnlicher, ergebnisorientierter Handlungsansatz gewählt wurde. Ferner war die für den sozialpolitischen Teil des Budgetrechtes verantwortliche DGAS federführend an der OMK/Inklusion beteiligt. Gleichwohl ergab meine bisherige Analyse auch, dass von den Beteiligten immer wieder die Besonderheiten des französischen Sozialstaats betont wurden, die nur schwer mit europäischen Vorgaben in Einklang zu bringen seien, was gegen eine Übernahme der Laeken-Indikatoren sprechen würde. Im Folgenden wird deshalb die These vertreten, dass die bei der Entwicklung der sozialen Indikatoren betei-
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ligten Beamten nur selten die Laeken-Indikatoren unmittelbar ohne eine nationale Modifizierung nutzten, wohl aber die auf europäischer Ebene gewonnenen praktischen, statistischen Erfahrungen bei der Erarbeitung des Budgetrechts aufgriffen. Auch verwendeten sie die Erkenntnisse aus den europäischen Debatten als Argumente zur Stärkung der eigenen Position in den Abstimmungsprozessen über das neue Gesetz. Die Folge war, dass die Indikatoren des Bereichs soziale Eingliederung schnell entwickelt werden konnten und zum Vorbild für andere wurden. Erarbeitet wurden die Indikatoren der sozialen Kohäsion für das Budgetrecht in einer interministeriellen Arbeitsgruppe, deren Vorsitz der Leiter der DGAS innehatte. Mitglieder des nationalen Gremiums waren u. a. die Delegierten der Arbeitsgruppe Indikatoren des europäischen Sozialschutzkomitees. Diese brachten bei der Erstellung der neuen Indikatoren aktiv ihr Wissen und ihre praktischen Erfahrungen aus den europäischen Debatten rund um die Indikatoren ein. I think the SPC and the indicator group is a good place where the demand of statistical capacity and the improvement of the statistical system is expressed and I think – we have close links with our national administrations – that there are generally interested what the conclusion of the indicator sub-group are. (F17)
Des Weiteren stärkten die Delegierten der europäischen Arbeitsgruppe die eigene Argumentation mit Verweisen auf die Laeken-Indikatoren und deren Brauchbarkeitserfahrungen. In this context, the OMC and the selection of indicators for social inclusion and other issues have an important role and can help us to select indicators on the national level. Generally when we have to choose an indicator – if we have one, which has already been selected on the European level – it is a good argument. (F17)
Beides trug dazu bei, dass sich diese Beamten innerhalb der Arbeitsgruppe oftmals durchsetzen konnten bzw. treibende Kräfte bei den Diskussionen waren. Später wurden die Erfahrungen mit den Laeken-Indikatoren zur Stützung und Unterfütterung der sozialpolitischen Position in den allgemeinen Abstimmungsprozess innerhalb der Regierung verwendet. Die Indikatoren der OMK/Inklusion selbst wurden jedoch kaum unmittelbar für das neue Budgetrecht aufgegriffen. Denn sie galten als zu ungenau bzw. zu unspezifisch, um die französischen Probleme und Entwicklungen analysieren zu können. Vielmehr wurden sie als Grundlage gebraucht, auf deren Basis die Arbeitsgruppe dann eigene Indikatoren entwickelte, bei denen davon ausgegangen wurde, dass sie die Besonderheiten des französischen Systems ausreichend berücksichtigen. Die Erfahrungen mit den Laeken-Indikatoren wurden folglich bei der Erarbeitung des Budgetrechts als Expertise und Argumentationsstütze genutzt. Zum einen griffen die an der
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OMK/Inklusion beteiligten Beamten auf ihre Erkenntnisse aus den europäischen Prozessen zurück, sodass schnell Indikatoren für den Bereich soziale Kohäsion entwickelt werden konnten. Zum anderen wurden die Erfahrungen mit den europäischen Indikatoren als Argument zur Durchsetzung bestimmter Positionen vorgebracht. Die OMK/Inklusion war demzufolge ein Faktor, der dazu beitrug, dass der Bereich soziale Kohäsion eines der ersten Themenfelder war, in denen die Anwendung des neuen Rechtes organisiert werden konnte, weshalb auch ein Vorbild für andere wurde.
7.3.3 Stärkung der interministeriellen Zusammenarbeit und Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie: Die Erstellung der Aktionspläne Mit den Nationalen Aktionsplänen sollten auf Basis der europäischen Vorgaben Konzepte entwickelt werden, wie in den folgenden Jahren auf nationaler Ebene soziale Ausgrenzung bekämpft wird. Gesellschaftlich Relevanz sollten die Dokumente dabei erhalten, indem in ihre Erstellung alle national relevanten Akteure und Organisationen eingebunden werden. Seit dem Jahr 2003 wurden die Beteiligten ferner auch angehalten, sich selbst quantitative Ziele zu setzen, um so die nationalen Reformbemühungen zu erhöhen. Für das französische Feld, in dem trotz zunehmender Dezentralisierung kaum eine Kommunikation zwischen den Ebenen herrschte, hätten die NAP/Inklusion eine Chance darstellen können, die eigenen Governance-Strukturen zu verändern. Allerdings wird im Folgenden nachgewiesen, dass die Pläne zwar im gewissen Maße dazu beitrugen, die interministerielle Zusammenarbeit auf technischer Ebene zu verstärken. Das Ziel eines gesamtgesellschaftlichen Dialogs wurde jedoch verfehlt. Daneben spielte der zweite NAP/Inklusion bei der Umsetzung des neuen Budgetrechts eine bedeutende Rolle. Die federführenden Beamten schufen in dem NAP/Inklusion 2003-2005 eine Strategie, die sie später bei der Implementierung des sozialpolitischen Teiles des Budgetrechts und zur Unterstützung ihrer Standpunkte in den regierungsinternen Debatten heranzogen. Somit beeinflussten nicht nur die Laeken-Indikatoren, sondern auch die Aktionspläne den sozialpolitischen Teil im neuen Budgetrecht. Der erste NAP/Inklusion war von der DGAS noch in Eigenregie erstellt worden, während andere Direktionen oder der nichtstaatliche Sektor nur auf Basis von persönlichen Beziehungen in Ad-hoc-Gesprächen einbezogen wurden. Für die weiteren Pläne wurde dann auf die interministeriellen Kommunikationsstrukturen zurückgegriffen. Denn in der Tat nutzen wir den auf die administrative Ebene beschränkten interministeriellen Ausschuss als Koordinierungsstelle zwischen den verschiedenen Direktionen, um die Erstellung der NAP/Inklusion voranzutreiben, also wir redigieren hier die NAP/Inklusion.
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Die OMK/Inklusion in Frankreich Denn das Zusammenstellen der Informationen wird in den anderen Ministerien gemacht und deshalb organisieren wir diesen kleinen Ausschuss, in dem man sich allen drei Monate trifft. (...) Selbst wenn wir keinen interministeriellen Ausschuss [auf politischer Ebene, die Verfasserin] haben, das ist nicht schlimm, es wäre letzten Endes zwar besser, aber zumindest arbeitet man intern in der Verwaltung zusammen, gut. (F19, Übersetzung die Verfasserin)
Die Erstellung eines NAP/Inklusion begann nun damit, dass die jeweiligen Vorgaben des Sozialschutzkomitees von der französischen Delegation an das federführende BAEI weitergegeben wurden. Die zuständigen Beamten riefen daraufhin eine interministerielle Arbeitsgruppe zusammen, die sich aus den sozialpolitischen Fachleuten der verschiedenen Direktionen zusammensetzte. In der ersten Sitzung wurden vor allem die Vorgaben der europäischen Ebene besprochen. Darauf aufbauend erarbeiteten die Mitarbeiter der beteiligten Direktionen Beiträge, die sie an das federführende Büro leiteten. Jenes erstellte auf Basis dieser Dokumente und eigener Textbausteine einen Aktionsplanentwurf. Also ganz konkret, wir treffen uns in dem kleinen Kreis [der interministeriellen Arbeitsgruppe, die Verfasserin], von dem ich gesprochen habe. (...) Hier fragen wir die verschiedenen Verwaltungen, ob sie Teile des NAP/Inklusion verfassen und uns dann schicken können. Anschließend verfassen wir den strategischen allgemeinen Teil und überarbeiten die anderen Teile, die uns zugeschickt wurden, (...) um sie homogen zu machen. Das ist es. (F19, Übersetzung die Verfasserin)
Im nächsten Schritt kam die interministerielle Arbeitsgruppe erneut zusammen und erörterte den Berichtsentwurf. Die hier vorgetragenen Kritikpunkte wurden bei weiteren Überarbeitungen des Textes durch das federführende Büro berücksichtigt. Allerdings lag die letzte Entscheidung darüber, welche Gestalt ein Bericht konkret annehmen sollte, allein bei den Beamten des BAEI (siehe Abbildung 10). Parallel zu dieser administrativen Kommunikation besprach das federführende Büro in Ad-hoc-Gesprächen die NAP/Inklusion mit ihren Kontaktpersonen bei den sozialpolitischen Netzwerken. Das ist so, ich [Mitarbeiter einer NGO, die Verfasserin] schreibe nichts für die NAP/Inklusion, die werden von der Verwaltung verfasst. (...) Ja, es ist so, wir als Vertreter des nichtstaatlichen Bereichs diskutieren die Pläne gelegentlich mit der Administration, aber hierbei gibt es keinen Schriftverkehr. (F15, Übersetzung die Verfasserin)
Zusätzlich zu diesem spontanen, auf persönlichen Kontakten aufbauenden Austausch wurden die Aktionspläne auch im CNLE vorgestellt. Der Einfluss der informellen Gespräche wie auch der Aussprachen im Plenum auf die Pläne war jedoch umstritten. So gaben die federführenden Beamten an, dass gerade die Diskussionen mit den NGOs in den letzen Jahren intensiviert und ausgebaut worden seien. Denn sie wollten in den NAP/Inklusion – auch aufgrund einer Kritik vonseiten der Kommission – ein differenziertes Bild der aktuellen Situati-
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Die Umsetzung des europäischen Verfahrens
on wiedergeben. Dagegen wendeten Vertreter des nichtstaatlichen Sektors ein, nach ihren Erfahrungen würden weder die Ergebnisse der Ad-hoc-Gespräche noch die Stellungnahmen im CNLE größere Beachtung finden. Gleichwohl galten beide Formen der Einbindung allen Beteiligten als ausreichend, denn sie entsprachen der üblichen Rollenaufteilung zwischen der Regierung als politisch verantwortlicher Instanz und dem nichtstaatlichen Sektor als Berater (siehe auch 7.1.5). Auch schrieben die meisten lokalen und nichtstaatlichen Mitglieder des CNLE den NAP/Inklusion kaum eine Bedeutung für die gesamtgesellschaftlichen Debatten zu. Die Pläne galten nur bedingt als geeignet, die aktuelle Politik kritisch zu hinterfragen, da sie vor allem auf künftige Prozesse und Reformen abzielten (vgl. Hamel/Vanhercke 2009). Als zentrale Studien der nationalen Ebene wurden deshalb die Berichte des 1998 gegründeten Observatoriums gewertet, in denen die aktuelle Situation auf Basis von nationalen Indikatoren untersucht wurde. Kommission
Kabinett Bericht Legislative Kammern Bureau des affaires européennes et internationales
Erstellung von Berichtbausteinen
Informierung CNLE
Weitergabe der Vorgaben
Interministerielle Arbeitsgruppe bestehend aus den jeweiligen Fachexperten
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 9: Erstellung der Nationalen Aktionspläne in Frankreich
Nachdem deutlich wurde, dass die NAP/Inklusion in Frankreich vor allem als Dokumente der Administration verstanden wurden, wird im Folgenden untersucht, welche Auswirkungen sie auf deren Arbeit hatten. Das Arbeitsklima in der interministeriellen Arbeitsgruppe wurde gemeinhin als gut bezeichnet. Die Gruppe von Sozialexperten, die sich traf, kannte sich bereits durch andere interministerielle Projekte. Politische Konflikte bezüglich der NAP-Inhalte existierten
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Die OMK/Inklusion in Frankreich
kaum, denn unter den beteiligten Beamten bestand ein Konsens darüber, wie soziale Ausgrenzung bekämpft werden sollte. Die Einführung der Aktionspläne stellte nach Angaben von Beteiligten insofern einen Mehrwert dar, als die bestehenden Kontakte intensiviert und ausgebaut wurden. Hierbei erwies es sich als nützlich, dass sich die federführenden Beamten der DGAS einem Druck der europäischen Ebene ausgesetzt sahen. Ohne die europäischen Vorgaben und die Kritik der Kommission an der fehlenden interministeriellen Ausrichtung des ersten Aktionsplanes hätten sie nach eigenem Bekunden nur wenige Anreize gehabt, die Treffen zu organisieren. Der durch die Pläne angestoßene organisatorische Wandel lässt sich nach Einschätzung von Kommissionsmitarbeitern besonders im Vergleich zum Gesetz gegen soziale Ausgrenzung aus dem Jahr 1998 festmachen. Dieses war noch ausschließlich von dem damals zuständigen Minister und seinen Mitarbeitern erstellt worden, während die anderen Ministerien und Direktionen nur vereinzelt Beiträge dazu lieferten. Dagegen erfolgte die Vorbereitung und Erstellung gerade des zweiten NAP/Inklusion auf einer echten interministeriellen Zusammenarbeit. Durch die Pläne wurde aber nicht nur die administrative Zusammenarbeit gestärkt. Sie spielten auch bei der Umsetzung des Budgetrechtes eine bedeutende Rolle. In dem NAP/Inklusion 2003-2006 wurde eine multidimensionale Handlungsstrategie dargelegt, mit der soziale Ausgrenzung künftig im nationalen Feld bekämpft werden sollte (vgl. Ständige Vertretung 2003). Diese bildete später sowohl inhaltlich als auch in ihrem Aufbau den Grundstock für den ersten Querschnittbericht im Bereich soziale Eingliederung (DPT Inclusion Sociale) im Rahmen des neuen Budgetrechts. Auf dem NAP/Inklusion aufbauend wurden ferner drei an die OMK/Inklusion anlehnende Ziele in den Querschnittsbericht aufgenommen (vgl. Ministère de l’emploi, de la cohésion sociale et du logement 2006: 8): ¾ Förderung der Teilnahme am Arbeitsmarkt und Zugang zu allen wichtigen Ressourcen, Rechten und Gütern ¾ Schutz für die Schwächsten ¾ Mobilisierung aller relevanten politischen Akteure Die relativ apolitischen Debatten der sozialpolitischen Fachreferenten über den zweiten NAP/Inklusion wurden damit für das politisch bedeutsame Budgetrecht genutzt und beeinflussten dessen Struktur und Zielsetzung im sozialpolitischen Bereich, was von Legros (2006: 4) auch als fertilisations croisées bezeichnet wird. Mithilfe dieses Vorgehen konnte die DGAS jenseits einer parteipolitischen Profilierung und wahlstrategischen Kalkülen einen relativ starken sozialpolitischen Ansatz entwickeln und umsetzen. Auch vermied sie so einen Machtkampf innerhalb der Regierung zwischen der sozial orientierten Spitze des Sozialministeriums und den wirtschaftsorientierten Spitzen des Wirtschafts- bzw. des Finanzministeriums, der womöglich nicht zugunsten der eigenen Position und
Die Umsetzung des europäischen Verfahrens
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Vorstellungen ausgegangen wäre. Ablehnt wurde dagegen die Vorgabe, sich selbst in den NAP/Inklusion quantitative Ziele zu setzen. Die beteiligten Beamten argumentierten gegen diese Direktive, dass eine Entwicklung von solchen Zielen nicht zu den Kompetenzen der Administration zähle und daher in den französischen Plänen nicht angeführt werden könne. Ferner wurde argumentiert, dass soziale Ausgrenzung ein multidimensionales Phänomen sei, weshalb oft unklar bliebe, auf welche Weise selbst gesteckte Ziele erreicht werden können. In den NAP/Inklusion wurden denn auch keine quantifizierbaren Ziele vorgestellt. Vielmehr wurde in den Ausführungen darauf verwiesen, wie vielen Menschen die geplanten Maßnahmen zugutekommen sollen, wobei auf eine spätere Überprüfung verzichtet wurde. Zusammenfassend ist zu sagen, dass bei den NAP/Inklusion nicht von einer Aktivierung aller gesellschaftlichen Kräfte entsprechend dem vierten Ziel der OMK/Inklusion die Rede sein kann. Vielmehr entwickelte das federführende Büro die Kommunikationsstrukturen für die Aktionspläne auf Basis der bestehenden Ordnungsvorstellungen. Für die lokalen Behörden und den nichtstaatlichen Sektor bedeutete dies, dass sie sich nur sehr begrenzt in die Pläne einbringen konnten. Innerhalb der Regierung galten die Pläne als administrative Dokumente, während die politische Spitze kaum an ihrer Erstellung mitwirkte. Allerdings zeigte sich auch, dass die beteiligten Beamten diesen Handlungsspielraum politisch zu nutzen wussten. Sie bauten mithilfe der NAP/Inklusion nicht nur ihre interministerielle Zusammenarbeit aus. Im Rahmen des zweiten NAP/ Inklusion entwickelten sie auch eine Strategie, welche bei Erstellung des ersten DPT Inclusion Sociale als inhaltliche und argumentative Grundlage diente und damit die politisch wichtige Umsetzung des Budgetrechts beeinflusste.
7.3.4 Generelles Kennenlernen und Anregungen für weitere Lernprozesse: Die Teilnahme an den Peer-Reviews Mithilfe der Peer-Review-Verfahren im Sozialschutzausschuss konnten die beteiligten Delegierten die Systeme der anderen Staaten und deren Erfolge wie Schwäche kennen lernen. Ferner sollten die bewährten Praxisbeispiele in den NAP/Inklusion und den Gemeinsamen Berichten Impulse für einen transnationalen Erfahrungsaustausch liefern (vgl. Behning 2004). In Frankreich wurden die Peer-Review-Verfahren von den beteiligten französischen Beamten als Möglichkeit erlebt, die anderen Systeme prinzipiell kennen zu lernen und durch eine Präsentation der eigenen Arbeit auf europäischer Ebene das eigene Vorgehen kritisch zu reflektieren. Dem Instrument der Besten Praxisbeispiele standen sie dagegen kritisch gegenüber und werteten es als wenig nützlich.
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Beteiligt an den Peer-Review-Verfahren waren vor allem die für die NAP/Inklusion verantwortlichen Beamten der DGAS. Sie sahen das Instrument als eine Chance an, die anderen nationalen Sozialstaaten kennenzulernen. Denn als Folge des Lissabon-Prozesses war es „fashion“ (F4) geworden, bei der Vorbereitung von nationalen Reformen die Modelle der anderen EU-Mitgliedstaaten zu studieren. Ich haben an zwei dieser Reviews teilgenommen (...) Und ich fand, es war sehr interessant, mir die Präsentationen der Aktionspläne aus den verschiedenen Staaten anzuhören und (...) zu sehen, was ein Land bei der Evaluation eines anderen NAP/Inklusion festgestellt hat. (F19, Übersetzung die Verfasserin)
Allerdings wurde in meinen Interviews ausdrücklich betont, dass durch diesen transnationalen Austausch die anderen Staaten und deren Politik der sozialen Eingliederung generell kennengelernt wurden, ohne dass die Systeme im Detail studiert oder konkrete Instrumente in den eigenen Reformen übernommen wurden. Gegen ein konkretes Lernen voneinander sprach nach Einschätzung der französischen Beteiligten, dass solche allgemeinen gegenseitigen Analysen der nationalen Entwicklungen nicht ausreichen würden, um daraus konkrete Rückschlüsse für das eigene Feld ziehen zu können. Dazu seien die nationalen Handlungsansätze zu verschieden und zu vielschichtig. Die französischen Beamten sahen es somit gar nicht als das Ziel dieses OMK/Inklusion Instrumentes an, dass die Mitgliedstaaten zu konkreten Fragestellungen voneinander lernen. Die Austauschprozesse wurden jedoch nicht nur als eine Chance angesehen, von anderen zu lernen. Vielmehr wertete die beteiligte Administration die Reviews auch als eine Möglichkeit an, das eigene Handeln zu reflektieren. Denn indem die Beamten anderen ihre Arbeit vorstellten, seien sie gezwungen, diese selbst zu hinterfragen. Und dann präsentieren wir ja unseren NAP/Inklusion auch den anderen Mitgliedern (...) Und es ist immer sehr interessant (...), weil durch Fragen, die sie stellen, sind wir gezwungen, uns zu überlegen, warum wir bestimmte Instrumente nutzen und bestimmte Ziele verfolgen. (F19, Übersetzung die Verfasserin)
Die beteiligten Beamten der DGAS nutzten demnach diese Verfahren auch dazu, den eigenen Handlungsansatz kritisch zu reflektieren und die eigenen Ziele und Instrumente zu hinterfragen. Die bewährten Praxisbeispiele hatten dagegen im französischen Feld nur einen geringen Stellenwert, da sie in den Augen der Beamten zu allgemein und zu ungenau waren. In den NAP/Inklusion wurden sie nur aufgeführt, um sich damit auf europäischer Ebene zu präsentieren und weil dies vom SPC gefordert wurde. Aktiv aufgegriffen wurden die Beispiele aus anderen Staaten nicht. Zusammen-
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getragen wurden sie in der interministeriellen Arbeitsgruppe ohne Beteiligung der nichtstaatlichen Organisationen oder der lokalen Behörden. Insgesamt kann gesagt werden: Die beteiligten Beamten der DGAS nutzten das Peer-Review-Verfahren im Sozialschutzkomitee, um den eigenen Wissenshorizont über die anderen Sozialstaaten generell zu erweitern, ohne dass dies unmittelbar zu konkreten Maßnahmen führte. Des Weiteren wurde die Selbstdarstellung auf europäischer Ebene dazu gebraucht, dem eigenen Handeln einen kritischen Spiegel vorzuhalten. Die bewährten Praxisbeispiele galten dagegen als nicht aussagekräftig.
7.3.5 Lernmöglichkeit für die Administration und einzelne Mitarbeiter des nichtstaatlichen Sektors: Das Aktionsprogramm Das Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und sein Nachfolgeprogramm sind der zweite Handlungsstrang der OMK/Inklusion (vgl. Behning 2004). Mit ihnen wird zum einen ein problembezogenes, transnationales Lernen der Regierungen gefördert, zum anderen ist eine Stärkung der nationalen Zivilgesellschaft vorgesehen. Dass das Aktionsprogramm in der hier untersuchten Zeitperiode im Vergleich zu den anderen Instrumenten der OMK/Inklusion das geringste Ansehen innerhalb der Administration hatte, wurde bereits gezeigt. Gleichwohl wird im Folgenden argumentiert, dass auch dieser Handlungsstrang der OMK/Inklusion auf Basis und im Anschluss an die bestehende soziale Ordnung primär zu Lernprozessen in der Administration führte, während der Prozess kaum Impulse in die nichtstaatlichen Debatten geben konnte. Zunächst werden die Peer-Review-Verfahren und ihre Auswirkungen auf das staatliche Handeln in Frankreich untersucht und herausgearbeitet, dass sie einen Einfluss auf einzelne administrative Debatten hatten. Daran anschließend wird die Nutzung des Programms durch die nichtstaatlichen Organisationen analysiert und dargelegt, dass die NGOs zwischen den Ebenen differenzierten und in den Maßnahmen kaum einen Nutzen für die eigene Arbeit sahen. Bei den Peer-Review-Verfahren der Aktionsprogramme steht eine Analyse von konkreten Problemen im Mittelpunkt. Dadurch können nach Ansicht der französischen Administration die beteiligten Systeme, bezogen auf dieses eine Problem, genauer kennengelernt werden, als dies bei den Peer-Reviews im SPC der Fall war. Dementsprechend konnte eine französische Beamtin nützliche Erkenntnisse aus einem Verfahren gewinnen, das im Jahr 2004 von Großbritannien zum Thema Obdachlosigkeit ausgerichtet wurde, die später in die Planung einer neuen Strategie zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit einflossen.
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Die OMK/Inklusion in Frankreich Aber es gibt trotzdem ein positives Beispiel, den Peer-Review zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit in Großbritannien, sie haben dort eine Zahl fixiert, um die sie die Menschen von der Straße runter bringen wollen. [Die an dem Review beteiligte Beamtin] hat davon gelernt, gleichzeitig arbeitet sie auch zu diesem Thema an einem Dossier. Sie ist gerade dabei zu prüfen, wie und ob man die britische Methode auch hier [in Frankreich] anwenden kann. Allerdings können die britischen Instrumente nicht einfach so übernommen werden, weil der nationale Hintergrund sich nicht ähnlich ist. (F19, Übersetzung die Verfasserin)
Ein solcher transnationaler Erfahrungsaustausch kann in den Augen meiner Interviewpartner nur ein Impulsgeber sein. Eine unmittelbare Übertragung sei nicht möglich, denn es müsse immer der nationale Kontext beachtet werden. Vielmehr würden auf Basis der Erfahrungen aus einem anderen Staat eigene Modelle entwickelt werden, die auf den eigenen Staat zugeschnitten sind. Auch könnten die Reviews nur punktuelle Auswirkungen haben, da immer nur einzelne Beamte daran teilnehmen, deren Durchsetzungsmöglichkeiten innerhalb der Administration beschränkt sind. Neben der Administration beteiligten sich in der Vergangenheit auch nichtstaatliche Netzwerke an den von Frankreich ausgerichteten Peer-Reviews. Ihre Erfahrungen dabei beurteilten sie in meinen Gesprächen als gut, da sie sich einträglich hätten einbringen können. Sie werteten das Instrument als eine Chance, die eigene Arbeit der französischen Administration und deren europäischen Partnern zu präsentieren. Umgekehrt griffen sie jedoch nach eigenen Angaben die Ergebnisse aus den Reviews in den eigenen Debatten nicht auf. Lernen sollten aus ihrer Sicht bei den Workshops die Regierungen. Im französischen Feld wurde das Instrument demnach sowohl von der Administration als auch von den zivilgesellschaftlichen Netzwerken als nützlich und sinnvoll bewertet. Allerdings ergab meine Analyse auch, dass das Verfahren nur Impulse in die administrativen Debatten setzen konnte, während es die nichtstaatlichen Organisationen primär nutzten, um sich auf europäischer Ebene zu präsentieren. Die europäischen Programme sollen auch den nichtstaatlichen Sektor stärken. Hierfür ist vorgesehen, dass die NGOs durch transnationale und nationale Projekte von- und miteinander lernen. Ferner sollen sie durch spezielle Netzwerke in die europäischen Debatten eingebunden werden. Gerade für den schwachen französischen nichtstaatlichen Sektor könnten diese Maßnahmen eine Chance darstellen, die eigenen Ressourcen zu stärken und auszubauen. Allerdings wird im Folgenden gezeigt, dass sich zumindest bis zum Ende des hier untersuchten Zeitraums nur einzelne Akteure auf europäischer Ebene engagierten, während die Mehrheit der nichtstaatlichen Organisationen den Prozess entweder nicht kannten, nicht über ausreichende Ressourcen verfügten, um sich daran zu beteiligen, oder kein Interesse an dem Verfahren hatte. In meinen Interviews mit Kommissionsbeamten wurde betont, dass die GD (Beschäftigung und Soziales) in den 1980er Jahren mithilfe einiger französischer NGO-Mitarbeiter die Gründung der europäischen Netzwerke vorantrieb. Auch zeigte eine Studie von de la
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Porte (2005), dass einzelne Kommissionsbeamte zusammen mit dem damaligen französischen Vorsitzende von European Anti Poverty Network in den 1990er Jahren die sozialpolitische Agenda auf europäischer Ebene (weiter-) entwickelten. Umgekehrt wurde vonseiten der Kommissionsbeamten an den französischen NGOs auch kritisiert, dass sich diese im Vergleich zu Deutschland und Italien (aber auch zu den meisten anderen Staaten) nur wenig an den Maßnahmen des Aktionsprogramms beteiligten, auch wenn ein langsam wachsendes Interesse verzeichnet wurde. Genutzt wurden sie vor allem von Mitarbeitern der großen Wohlfahrtsverbände und der Netzwerke, die sich in den transnationalen Projekten engagierten und den europäischen Konferenzen teilnahmen. Sie werteten die Maßnahmen als eine Möglichkeit, die europäische Zivilgesellschaft zu stärken. Es wurde in meinen Interviews zwischen der OMK/Inklusion als einem europäischen Verfahren auf der einen Seite und den nationalen Entwicklungen mit ihrer feldspezifischen Pfadabhängigkeit auf der anderen Seite differenziert, ohne dass eine mögliche gegenseitige Beeinflussung der beiden Ebenen zueinander gesehen wurde. Dieser Nationalzentrismus prägte auch die Arbeit des französischen Ablegers von EAPN. Gegründet im Jahr 1990, sind in dem Netzwerk neben den großen Wohlfahrtsverbänden auch lokale Gruppen und kleine Selbsthilfegruppen etc. beteiligt. The EAPN in France is no personalité morale. Members only could be NGOs, struggling against social exclusion. The board: six representatives of national organisations and six are local networks, (...). We have no salaries, we have fees of our members and our action depends very much on the involvement of people who take their time to act on the programme. (F14)
Die Arbeit im französischen EAPN erfolgte im Untersuchungszeitraum ehrenamtlich durch interessierte Mitarbeiter der Mitgliederorganisationen. Einige von ihnen beteiligten sich auch an den europäischen Debatten und Konferenzen. Gleichwohl hatte dieses Engagement kaum Folgen für die nationalen Debatten, da sich der Einzelne nur bedingt in seiner Organisation bzw. in den nichtstaatlichen Debatten einbringen und durchsetzen kann. Für die Mehrheit seiner Mitglieder stellte das Netzwerk primär eine Möglichkeit dar, die nationalen Organisationen stärker miteinander zu vernetzen. Allerdings wurde der Zusammenschluss oft nur als ein Zusatz zu den bestehenden Strukturen gewertet, da mit dem Netzwerk Union nationale interfédérale des œuvres et organismes privés sanitaires et sociaux (UNIOPSS, gegründet 1947) und dem darauf aufbauenden Zusammenschluss "Collectif ALERTE" aus dem Jahr 1994 bereits funktionierende nationale Dachverbände existierten. Der nichtstaatliche Sektor nutzte somit das Angebot der OMK/Inklusion kaum, wobei kognitive und strategische Barrieren eine Rolle spielten.
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Die OMK/Inklusion in Frankreich
Meine Ergebnisse zeigten, dass nicht die Ausrichtung der europäischen Instrumente, sondern deren nationale Adaption entscheidend für seinen Erfolg oder Misserfolg ist. So bot das Aktionsprogramm trotz seiner starken Fokussierung auf den nichtstaatlichen Sektor im zentralistischen Frankreich vor allem der Administration Lernchancen. Diese nutzte die Peer-Review-Verfahren, um sich Anregungen für die eigene Arbeit zu holen. Dagegen wusste im nichtstaatlichen Sektor nur ein kleiner Zirkel an Interessierten über die europäischen Entwicklungen Bescheid und auch sie sahen in dem Verfahren nur einen begrenzten Nutzen für die eigene Arbeit. Wenn überhaupt kam es damit primär zu individuellen, nicht aber zu institutionellen Lernprozessen im nichtstaatlichen Sektor (vgl. Overdevest 2002: 16). Der einzige nachweisbare, institutionelle Effekt des französischen EAPN war, dass es die nationalen Verbindungen innerhalb des nichtstaatlichen Sektors stärkte, wobei auch hier unterstrichen wurde, dass dies ein wenig bedeutender Zusatz zu den bestehenden und aktiv genutzten Kommunikationsstrukturen war und keine Innovation darstellte.
7.3.6 Zwischenresümee: Administrative Nutzung bei fehlendem politischen wie nichtstaatlichen Interesse Die OMK/Inklusion war nach meiner Studie ein Faktor, der das Handeln und Denken der französischen Administration im Kampf gegen soziale Ausgrenzung formte. So trugen die Erfahrungen mit den Laeken-Indikatoren und die Debatten um sie auf europäischer Ebene dazu bei, dass die Administration des Bereichs soziale Kohäsion schnell und effizient die Indikatoren für das neue Budgetgesetz entwickeln konnte. Des Weiteren bildete ein NAP/Inklusion die Grundlage für den ersten DPT Inclusion Sociale. Die OMK/Inklusion beeinflusste somit über den Umweg der technischen Ebene die Umsetzung des neuen Budgetrechts und damit den Handlungsansatz der Regierung im Kampf gegen soziale Ausgrenzung. Dieser auch nach außen dokumentierte Einfluss auf das Budgetrecht wurde denn auch in meinen Interviews sowohl von der nationalen Administration als auch von der Europäischen Kommission als der größte Erfolg des Verfahrens in Frankreich gewertet. Zweitens prägte das Verfahren auch das Denken der beteiligten Beamten. Diese reflektierten auf Basis der europäischen Ziele und der Erkenntnisse aus dem europäischen Benchmarking die eigene Problemwahrnehmung und die eigenen Handlungsweisen. Auch flossen die Erfahrungen aus den Modellen der anderen Staaten mit in ihre Debatten ein. Diese Erkenntnisse aus der OMK/Inklusion hatten später einen mittelbaren Einfluss auf den sozialen Kohäsionsplan. Denn der Plan war zwar von der politischen Spitze ohne Bezug auf das europäische Verfahren entwickelt worden, wohl aber wurde hierfür die
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von der OMK/Inklusion beeinflusste Expertise der Administration verwendet. Allerdings müssen diese Impulse insofern eingeschränkt werden, als auch deutlich wurde, dass es auf der administrativen Ebene nur zu einer punktuellen Neuorientierung kam. Darüber hinaus wurde vonseiten der Administration betont, dass die Ergebnisse auf Basis der bestehenden nationalen Strukturen und Besonderheiten ausgewertet und daher nicht eins zu eins im eigenen Feld umgesetzt wurden. Schließlich zeigte sich auch, dass der Prozess die interministerielle Zusammenarbeit auf administrativer Ebene stärkte. Die Fachexperten der verschiedenen Direktionen erarbeiteten zusammen die Aktionspläne, auch wenn die inhaltliche Verantwortung und die Endredaktion allein bei der federführenden DGAS lagen. Durch das europäische Verfahren wurde somit der interministerielle Austausch verstärkt, ohne dass hierfür neue Strukturen aufgebaut oder die politische Ebene einbezogen wurden. Die OMK/Inklusion war in Frankreich somit wichtig bei der Erarbeitung und Umsetzung des sozialpolitischen Teils im neuen Budgetrecht. Ferner hatte es einen begrenzten (mittelbaren) Einfluss auf den sozialen Kohäsionsplan und stärkte die interministeriellen Strukturen. Allerdings stieß der Prozess auch an Grenzen: So verhinderten die bestehenden Leitbilder, die fest institutionalisierte Aufgabenteilung zwischen den einzelnen Akteursgruppen sowie die unzureichenden vertikalen Kommunikationsbeziehungen eine nachhaltige Einbindung der politischen, lokalen wie nichtstaatlichen Akteure und Organisationen. Die politische Spitze engagierte sich in dem Verfahren vor allem auf europäischer Ebene, ihre Arbeit auf nationaler Ebene wurde meist nur unwissentlich und mittelbar über die Administration von dem Prozess beeinflusst. Entgegen dem vierten Ziel der OMK/Inklusion (Mobilisierung aller Akteure) und den Ergebnissen von de la Porte und Pochet (2005), wonach der Prozess vor allem im nichtstaatlichen Sektor eine hohe Einflusswahrscheinlichkeit hat, nutzten die französischen NGOs das Verfahren nur vereinzelt. So engagierten sich eine Handvoll Akteure auf europäischer Ebene und zählte dort zu den treibenden Kräften (siehe auch de la Porte 2002a). Umgekehrt waren die Erkenntnisse aus den europäischen Debatten unter den nationalen und lokalen NGOs oftmals unbekannt bzw. galt der Prozess als ein europäisches Verfahren mit nur geringem Nutzen für die eigene Arbeit. Noch geringer war die Einbindung in und das Wissen über die OMK/Inklusion bei den lokalen Behörden, für deren Arbeit sie weitgehend folgenlos war. Sie war damit ein erfolgreicher administrativer Prozess, dessen gesamtgesellschaftliche Auswirkungen eher gering einzustufen sind.
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7.4 Schlussfolgerungen In Frankreich gibt es ein zentralistisch organisiertes Feld zur Stärkung von sozialer Kohäsion, worunter die multidimensionale Absicherung der Bürger durch den Staat verstanden wird. Im Untersuchungszeitraum gewann das Feld durch das neue Budgetrecht an Bedeutung hinzu. Auch wurden mit dem sozialen Kohäsionsplan der bestehende Handlungsansatz weiterentwickelt und teilweise modifiziert. Im Zentrum der aktuellen Entwicklungen standen demgemäß die Bemühungen der Regierungen, bestimmte Aspekte von sozialer Ausgrenzung zu bekämpfen und das Problem als Querschnittthema in allen Ministerien zu verankern. Angestoßen wurden beide Reformen von nationalen Beobachtungen und Debatten. Dieser Nationalzentrismus zeigte sich aber nicht nur bei der Problemdefinition, sondern auch (gerade beim Kohäsionsplan) bei der Wahl der Instrumente. Gleichwohl prägte die OMK/Inklusion die administrative Vor- und Nachbereitung der beiden Reformen, weshalb festgehalten werden kann, dass der Prozess einen (mittelbaren und von der politischen Spitze oft nicht erkannten) Einfluss auf die Entwicklungen hatte. Die beteiligten Beamten nutzten die Instrumente und Debatten rund um die OMK/Inklusion, um das eigene Denken und Arbeitsweise zu reflektieren sowie die fachspezifische, politisch nicht aufgeladene interministerielle Zusammenarbeit zu beleben. Die hier gewonnenen Erkenntnisse und Kommunikationsstrukturen wurden später bei der Reform des Budgetrechts und dem Kohäsionsplan als Ressource aufgriffen, um bestimmte sozialpolitische Positionen zu stärken. Meine Studie zeigte somit, dass kollektiven Lernprozessen individuelle Lernerfahrungen vorangestellt sein können aber nicht müssen. So wurden die Impulse des europäischen Verfahrens insbesondere von der Administration verwendet, deren individuelle Lernprozesse später in kollektiven Lernresultaten mündeten. Gleichzeitig wurde jedoch auch offensichtlich, dass die politische Spitze mittelbar die Impulse der OMK/Inklusion aufgriff, ohne dass sie zuvor durch das Verfahren gelernt hätte oder sie sich dieser europäischen Beeinflussung bewusst gewesen wäre. Sie nutzte das Verfahren unwissentlich über die administrativen Expertisen für die eigenen Reformpläne, sie selbst sah in dem Verfahren keinen weiteren Nutzen für die nationalen Prozesse. Die Gründe für die vor allem administrativen Lernprozesse liegen auch in Frankreich in den institutionellen Strukturen. Die Untersuchung bestätigte meine These, dass es für eine erfolgreiche Implementierung der OMK/Inklusion nicht nur zu einer kognitiven Übereinstimmung zwischen den europäischen Vorgaben und den nationalen Reformprozessen kommen muss sondern auch eine bestimmte strategische Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen. So war die Verantwortung für die OMK/Inklusion auf eine kleine Gruppe von Beamten konzentriert, die bei der Umsetzung des
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Verfahrens relativ frei und ungebunden waren. Sie konnten apolitische Fachdiskurse führen, ohne weisungsgebunden zu sein oder die öffentliche Europaskepsis berücksichtigen zu müssen. Hinzu kam, dass es ihnen die zentralistischen Strukturen des französischen Feldes ermöglichten, ihre Erfahrungen auch nachhaltig in die politischen Debatten einzubringen. Die enge strukturelle Zusammenführung aus nationalem Durchsetzungsvermögen und europäischen Kompetenzen begünstigten damit die unmittelbaren administrativen und die darauf aufbauenden mittelbaren politischen Lernprozesse. Umgekehrt führte diese auf den bestehenden Strukturen aufbauende Organisation der OMK/Inklusion dazu, dass die lokalen Behörden wie auch die NGOs von der Regierung oft nur über die NAP/Inklusion informiert wurden, ohne dass sie sich aktiv daran beteiligten konnten. Die großen nichtstaatlichen Netzwerke sahen in dem Prozess vor allem eine Chance für die europäische Ebene, für die eigene Arbeit auf nationaler Ebene werteten sie es als bedeutungslos. Kleine NGOs und die lokalen Behörden kannten den Prozess kaum oder waren nur mäßig daran interessiert bzw. fehlten ihnen die Ressourcen, um sich daran zu beteiligten. Dies führte dazu, dass die OMK/Inklusion kaum Impulse in die nichtstaatlichen und keine Impulse in die lokalen Debatten und Entwicklungen setzen konnte. Die französische Studie belegte nicht nur, dass die nichtstaatlichen Impulse der OMK/Inklusion nicht automatisch zu einer Stärkung eines inklusiven Regierungsansatzes auf nationaler Ebene führen. Es wurde auch deutlich, dass im Rahmen der OMK/Inklusion nicht nur die nationalen Felder mit dem europäischen Feld gekoppelt sind, sondern dass auch die nationalen Akteure und Organisationen versuchen, europäische Impulse zu setzen. Der europäische Prozess vor allem auf politischer Ebene und im nichtstaatlichen Sektor als eine Chance gewertet, die sozialpolitische Integration auf europäischer Ebene voranzutreiben. Daher setzten sich auch die politische Spitze und die Führungsebene der nichtstaatlichen Netzwerke auf europäischer Ebene für das Verfahren ein, wohingegen sie sich im nationalen Feld kaum daran beteiligten. Bezogen auf die Frage, inwieweit es zu einer Europäisierung der französischen Sozialpolitik durch die OMK/Inklusion kam, kann nach meinem Ergebnisse gesagt werden: Eine Konvergenz mit den europäischen Vorgaben oder anderen Systemen wurde weder angestrebt noch erreicht. Vielmehr konnte eine Hybridisierung festgestellt werden. So gingen von der europäischen Ebene oder den anderen Staaten Impulse aus, die im nationalen Kontext re-interpretiert und entsprechend der nationalen Ordnung verarbeitet wurden. Punktuell änderten sie demzufolge die soziale Ordnung des französischen Feldes, ohne dass es zu einem grundlegenden oder breit angelegten Wandel kam. Meine Ergebnisse stehen dabei im Einklang mit einer Studie von Hamel und Vanhercke (2009), die den Einfluss der OMK/Inklusion auf die französische Politik vor allem ab dem Jahr
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Die OMK/Inklusion in Frankreich
2005 untersuchten. Aufbauend auf ihren Ergebnissen kann als Tendenz für die weitere Entwicklung in Frankreich festgehalten werden, dass sich die nationalen Rahmenbedingungen noch weiter zugunsten des Prozesses verändert haben. So wurden auf politischer Ebene Akteure eingesetzt, die das Verfahren aus früheren Tätigkeiten kannten und seine Ergebnisse schätzten. Damit konnte der unmittelbare Einfluss der OMK/Inklusion auf die politische Spitze erhöht werden. Des Weiteren wurden auch u.a. die Kommunikationsstrukturen zwischen den staatlichen Stellen verbessert und so eine Verbreitung der Impulse ermöglicht.
8 Die Offene Methode der Koordinierung in Italien
In kaum einem anderen europäischen Staat herrscht ein so großes regionales Wohlstandsgefälle wie in Italien (vgl. Leonardi 1995). Während Norditalien zu den wohlhabendsten Gebieten Europas zählt, gehören die süditalienischen Regionen dem Armenhaus der EU an und werden teilweise mit dem höchsten Fördersatz von den europäischen Strukturfonds unterstützt (vgl. Tedesco 2006: 89ff, Zerbinati 2004: 1000f, John 2001). Erzeugt wird die soziale Schieflage nicht nur durch die unterschiedlichen regionalen Wirtschaftsstrukturen, sondern auch durch das Fehlen eines ausgleichenden Sozialstaates. Eine nationale Politik der sozialen Eingliederung existiert nur im geringen Umfang, vielmehr gelten die Familie, nichtstaatliche Initiativen sowie die lokalen Ebenen als zentrale Instanzen im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Die OMK/Inklusion könnte daher eine Chance sein, den allgemeinen Lebensstandard zu heben und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen. Auch könnte angenommen werden, dass die langen und umfangreichen Erfahrungen mit den europäischen Fördermitteln die italienischen Akteure und Organisationen für das Verfahren sensibilisiert haben. Die Mitte-Links-Regierung, die bis zum Jahr 2001 an der Macht war, erkannte Chancen, die die OMK/Inklusion für Italien birgt, auch. Allerdings hatte sie nicht die Zeit, um die Impulse der OMK/Inklusion im Feld zu implementierten. Dagegen stand die Mitte-Rechts-Regierung, die ab dem Jahr 2001 an der Macht war, den europäischen Vorgaben und Initiativen im sozialpolitischen Bereich skeptisch gegenüber, da sie diese als zentralistische Eingriffe in das dezentrale Feld bewertete, die aus ihrer Sicht nicht anschlussfähig an die bestehende Ordnung sind. Daher muss angenommen werden, dass der Einfluss der OMK/ Inklusion auf das staatliche Handeln im Untersuchungszeitraum abnahm und seit dem Jahr 2005 nur marginal war. Die ablehnende Haltung der Regierung wurde jedoch nicht von allen Akteuren und Organisationen des Feldes geteilt. Vielmehr sahen etliche NGOs – auch aufgrund der Erfahrungen mit den Strukturfonds – die EU als Möglichkeit an, die eigenen Handlungskapazitäten ausbauen zu können. Folglich kann erwartet werden, dass die OMK/Inklusion durchaus zu punktuellen Veränderungen im nichtstaatlichen Sektor führte. Diese Annahmen werden in vier Schritten geprüft werden: Zunächst werden das Feld und seine aktuellen Reformen untersucht (8.1). Gezeigt wird, dass das italienische Feld inhaltlich wie organisatorisch fragmentiert ist und die Reformen während der hier unter-
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Die OMK/Inklusion in Italien
suchten Zeitphasen unterschiedliche Richtungen einschlugen. Darauf aufbauend werden die Organisation (8.2) sowie die Umsetzung der OMK/Inklusion (8.3) in Italien betrachtet und geklärt, zu welchen Veränderungen der europäische Prozess beitragen konnte und welche Barrieren einen weiter reichenden Einfluss der OMK/Inklusion auf die aktuellen Entwicklungen in Italien verhinderten.
8.1 Soziale Eingliederung in Italien Nach der Typologie von Esping-Andersen (1999) zählt das italienische Sozialmodell zu den konservativen Wohlfahrtsstaaten. In Erweiterungen und Modifizierungen des Ansatzes (u. a. Ferrera 1996, Hohnerlein 1999: 64; Mutti 2000: 582f) wird es einem vierten (mediterranen) Regimetyp mit einem familiaristischen, rudimentären und fragmentierten sozialen Sicherungssystem zugeordnet. Gekennzeichnet ist das italienische Feld durch das Fehlen einer staatlichen Mindestsicherung auf der einen Seite und einem hohen Sozialschutz für ausgewählte (regionale) Berufsgruppen auf der anderen Seite. Die Armutsrate wie auch die regionalen Unterschieden sind daher traditionell in Italien sehr hoch (siehe Abbildung 11). Gleichwohl regte sich in Teilen der Bevölkerung Unmut über das bestehende Strukturen, die als unzureichend und ungerecht empfunden werden. Seit Ende der 1990er Jahren bemühten sich deshalb die damaligen Mitte-Links-Regierungen die nationalen Absicherungssysteme auf- und auszubauen und so den allgemeinen Lebensstandard zu heben bzw. das Wohlstandgefälle zwischen verschiedenen Erwerbsgruppen und zwischen den Regionen abzubauen (vgl. Ferrera/Sacchi 2005). Die OMK/Inklusion wurde somit in einer Zeit eingeführt, in der die Stärkung einer nationalen Sozialpolitik vorangetrieben wurde. Gleichwohl wird in den folgenden Abschnitt auch nachgewiesen, dass der Untersuchungszeitraum von zwei konträr verlaufenden Entwicklungen dominiert wurde. Hatte es bis zum Jahr 2001 Bestrebungen gegeben, den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu intensivieren, wurden nach einer Verfassungsreform und einem Regierungswechsel wieder die lokalen Kompetenzen und die Rolle der Familie betont. Zur Erläuterung dieser Annahmen werden zunächst die nationalen wie lokalen Leitbilder und Instrumente des Feldes untersucht (8.1.1). Auf diesem Abschnitt aufbauend werden die aktuellen Entwicklungen analysiert (8.1.2 und 8.1.3). Gezeigt wird, dass die öffentlichen Debatten und politischen Entwicklungen im Untersuchungszeitraum von zwei Wendepunkten bestimmt waren. Schließlich wird die zersplitterte Kompetenzverteilung unter den beteiligten Organisationen und Akteuren beleuchtet (8.1.4).
Soziale Eingliederung in Italien
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8.1.1 Die patriarchale Familie als Leitbild Das Feld der italienischen Sozialpolitik wird traditionell dominiert von einem familienkonservativen, erwerbsorientierten und subsidiären Gesellschaftsverständnis (vgl. Borghi/Van Berkel 2007: 87, Trifiletti 1999). Als zentrale Schutzinstanz gilt die patriarchale Ernährerfamilie, die den Einzelnen vor Armut und sozialer Ausgrenzung bewahren soll (vgl. Ostner/Saraceno 1998: 196). Des Weiteren versteht man sich als eine auf Arbeit gegründete Republik. In den Genuss einer kollektiven Absicherung sollen demnach nur die (meist männlichen) Erwerbstätigen mit ihren Familien kommen. Schließlich geht eine Mehrheit in der Gesellschaft davon aus, dass der Nationalstaat nur begrenzt fähig und legitimiert ist, den Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu organisieren. Als verantwortlich gelten vor allem die Familien, die Kirche, weitere nichtstaatlichen Organisationen und die lokalen Behörden. Ausgehend von diesen Leitbildern wird im Folgenden nachgewiesen, dass in Italien nur rudimentäre Maßnahmen für den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung existierten. Weiter wird gezeigt, dass in den Regionen die Leitbilder unterschiedlich akzentuiert waren und daher variierten. Schließlich wird im letzten Schritt aber auch herausgearbeitet, dass dieser Ansatz im Feld seit den 1990er Jahren umstritten war. Die gesellschaftlichen Leitbilder fanden ihren Niederschlag in einem rudimentären Set an nationalen Instrumenten zur Absicherung der Bürger, deren Niveau stark variierte. Das beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherungssystem konzentrierte sich auf die offiziell gemeldeten Arbeitnehmer. Allerdings schützte es nur bedingt vor materieller Bedürftigkeit, da maximal 50 % der letzten durchschnittlichen Vergütung gezahlt wurden. Daneben bestanden die Cassa Integrazione Guadagni (Lohnausgleichskassen). Sie wurden durch Arbeitgeberbeiträge sowie staatliche Mittel finanziert und waren ursprünglich dafür gedacht gewesen, kurzzeitig arbeitslosen oder unterbeschäftigten Erwerbsfähigen ein zeitlich beschränktes Einkommen zu sichern. Only the core industrial workforce was entitled to the most generous unemployment benefit guarantee by CIG (Cassa Integrazione Guadagni) which was initially designed as ‘shortterm’. (...) However, none of this applied to the large majority of the unemployed, which could only claim the ordinary unemployment benefit, provided the 2 years contribution requirement was met. (Barbier/Fargion 2004: 445)
Allerdings entwickelten sie sich im Lauf der Zeit durch eine „missbräuchlichklientelistische Verlängerung“ (Gohr 2001: 148) zu einer Dauerunterstützung für bestimmte Berufsgruppen auf hohem Niveau. Zusätzlich existierten noch auf Branchenebene weitere tariflich ausgehandelte Absicherungssysteme. Erwerbsfähige Erwerbslose ohne solche berufsbezogenen Absicherungen erhielten in der
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Die OMK/Inklusion in Italien
hier untersuchten Zeitperiode auf nationaler Ebene meist keine Unterstützung. Staatliche Fürsorgeleistungen konnten hier nur ältere Menschen (ab 65 Jahren) bzw. dauerhaft erwerbsunfähige Bedürftige in Form einer Sozial- bzw. eine Invalidenrente erhalten. Ein zentrales Merkmal des italienischen Sozialstaates bestand somit darin, dass für die Sicherung des Existenzminimums die Regionen zuständig waren. Die nationalen Sozialversicherungen schützten nur im begrenzten Umfang vor Armut bzw. verfügten nur bestimmte Branchen über hohen Sozialleistungen. Im Folgen ist nun zu klären, wie die Regionen mit ihrer Verantwortung umgingen, den Bürgern eine Existenzminimum zu gewähren. In den Regionen entwickelten sich auf Basis der gemeinsamen Leitbilder und der jeweiligen lokalspezifischen Geschichte eigene Vorstellungen, wie Armut und soziale Ausgrenzung bekämpft werden können. Gemäß der öffentlichen Wahrnehmung Norditaliens soll eine soziale Eingliederung vor allem durch die Unterstützung der männlichen, vollerwerbstätigen (Industrie-)Arbeitnehmer erreicht werden. Dieses Modell kommt dem konservativ- kooperatistischen Sozialmodell Deutschlands am nächsten, bei dem die Familie vor allem durch das Normalarbeitsverhältnis des Mannes sozial abgesichert wird und nur derjenige Hilfe empfangen soll, der zuvor gearbeitet hat. Als entscheidende Organisationen gelten die Sozialpartner, die das Niveau der Arbeitslosengelder aushandeln und deren Auszahlung und Verwaltung organisieren. Unterstützt werden sie hierbei von den lokalen Behörden, wohingegen dem Nationalstaat nur eine geringe Bedeutung zu geschrieben wird. Das Leistungsniveau der lokalen sozialen Sicherungssysteme ist hier dank der starken Wirtschaftszentren und eines gut institutionalisierten sozialen Dialogs vergleichbar mit den Standards Nordeuropas (vgl. Kazepov 1998: 393f). Von einer noch größeren Staatsferne gekennzeichnet sind die Leitbilder Süditaliens (vgl. Della Porta/Caiani 2007: 1, Leonardi 1995: 169). Sie basieren auf dem Prinzip der Selbsthilfe und der gegenseitigen Hilfe innerhalb von weitläufigen Familienstrukturen (vgl. Ostner/Saraceno 1998: 194). In the south, what is the state? You have the Mafia. (…) And Mafia was at the beginning just a movement for freedom. And the state as an institution is not inside the society. It is something outside. (I18)
Staatliche Sicherungssysteme existieren hier auf lokaler Ebene nur rudimentär, da die schlechte wirtschaftliche Situation, die staatskritische Haltung der Bevölkerung und das darauf aufbauende geringe Steuereinkommen, den finanziellen Spielraum der lokalen Behörden sehr eng gestalteten. Vielmehr sind neben der Familie die kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen die entscheidenden Stützen für Bedürftige. Das Zentrum Italiens stellt bei den regionalen Leitbildern eine Besonderheit dar. Denn im Gegensatz zu den anderen Gebieten werden hier staatliche Strukturen als essenziell für die sozialen Sicherungssysteme angesehen.
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Soziale Eingliederung in Italien
Soziale Ausgrenzung gilt als gesellschaftskollektives Problem. Die soziale Absicherung erfolgt hier nicht nur durch die sozialen Sicherungssysteme sondern auch durch staatliche und nichtstaatliche Maßnahmen und Hilfsprogramme, wobei das Leistungsniveau auf einem relativ hohen Niveau ist. Die entscheidenden Organisationen sind neben den lokalen Behörden die Sozialpartner und oftmals säkulare, lokale NGOs. Die Regionen entwickelten in den einzelnen Gebieten unterschiedliche Leitbilder, die zu verschiedenen Fürsorgesysteme führten, wodurch der kollektiv abgesicherte Lebensstandard besonders zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden divergierte. EU25
Deutschland
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Insgesamt
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Männer
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Frauen
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Bevölkerung insgesamt Kinder (0-17 Jahre) Über 18 Jahre
18-64 Jahre
Über 65 Jahre
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 10: Armutsrisiko für einzelne Bevölkerungsgruppen in Italien
Lange Zeit war der italienische Sozialstaat geprägt von einem Ausbau der branchenspezifischen Leistungssysteme, von dem jedoch nur bestimmte Berufsgruppen bzw. Regionen profitierten, und einer wachsenden Prekarisierung der übrigen Bevölkerungsgruppen führten. Gleichzeitig waren Armut und soziale Ausgrenzung aufgrund der regionalen wie nationalen Leitbilder kein Diskussionsthema auf nationaler Ebene (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 152).62 Erst in den 62
Ein Indiz hierfür ist auch darin zu sehen, dass kaum statistische Erhebungen für Gesamtitalien vorlagen (vgl. Kazepov 1998: 395; Trautmann 1997: 126).
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Die OMK/Inklusion in Italien
1990er Jahren gewannen Konzepte eines nationalen Kampfes gegen soziale Ausgrenzung an Bedeutung hinzu, was auch als eine „kopernikanische Revolution“ (Ferrera/Gualmini 2000: 367) bezeichnet wird. Largely marginal in the national debate and policy agenda for decades, the issue of poverty and social exclusion came to the political fore in the mid-1900s when the wider question of an overarching welfare state reform stated to be discussed as a consequences of the intersection between changing labour markets, family structures and demographic trends on the one hand and the now binding post Maastricht budgetary constraints on the other. (Ferrera/Sacchi 2005: 152)
Möglich wurde dies, da die damaligen Regierungen sozialpolitischen Ideen aufgeschlossen waren, die Probleme des Sozialstaates offensichtlicher wurden und bestimmte Fachkreise, die bereits zuvor die sozialen Probleme thematisiert hatten, in den damaligen Regierungen an Einfluss gewinnen konnten (vgl. Trautmann 1997: 126f). Die damaligen Regierungen problematisierten somit die bestehenden Leitbilder und den nationalen Handlungsansatz (vgl. Natali 2004: 1077) und argumentierten, dass die sozialen Sicherungssysteme durch die sich abzeichnenden demografischen, sozialen wie wirtschaftlichen Veränderungen an ihre Leistungsgrenzen stoßen werden und gleichzeitig das Armutsrisiko für breite Schichten in der Bevölkerung wachsen würde. Erste Vorschläge für eine grundlegende Sozialstaatsreform unterbreitete in den Jahren 1996 und 1997 die Commissione Onofri unter dem Vorsitz des Wirtschaftswissenschaftlers Paolo Onofri. Das Expertengremium hatte den Auftrag, eine umfassende Neuordnung der Wohlfahrtssysteme unter den Gesichtspunkten der ökonomischen Nachhaltigkeit und der sozialen Gleichheit zu erarbeiten (vgl. Rostagno/Utili 1998: 43ff). Sie schlug u.a. die Etablierung einer nationalen Mindestsicherung vor; auch sollte eine Armutspolitik künftig von der Familienpolitik getrennt werden. Schließlich legte sie ein Konzept zur föderalen Neugestaltung der sozialpolitischen Kompetenzen vor. Auf Basis des Papiers wurde im Jahr 1998 ein Mindesteinkommen in 39 Kommunen als Modellversuch eingeführt, bei dem sich der Staat und die Region die Finanzierung teilten (vgl. Borghi/Van Berkel 2007: 92f). Die italienische soziale Ordnung basierte bis zum Jahr 2005 auf den Prinzipien Familiarismus, Klientelismus und Regionalismus, wobei auf lokaler Ebene unterschiedliche Akzente gesetzt wurden. Seine Instrumente bestanden für den Untersuchungszeitraum aus einem rudimentären Sicherungssystem, dessen nationale Leistungen primär bereits Beschäftigten oder nichterwerbsfähigen Erwerbslosen zugutekamen und das zwischen einzelnen Berufsgruppen unterschied. Eine Mindestsicherung existierte, wenn überhaupt, nur auf regionaler Ebene, wobei ein Nord-Süd-Gefälle bestand. Aufbauend auf den fest institutionalisierten Leitbildern waren lange Zeit keine nationalen Diskussionen über
Soziale Eingliederung in Italien
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Armut und soziale Ausgrenzung zu verzeichnen. Erst seit den 1990er Jahren begannen die Regierungen, diese Probleme im nationalen Kontext wahrzunehmen und kritisch zu überdenken. Auch wurden in dieser Zeit erste Anläufe unternommen, die nationalen Maßnahmen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung auszubauen.
8.1.2 Erster Wendepunkt: Das Gesetz 328/2000 im Jahr 2000 Im Jahr 2000 wurde das Modell eines staatlich finanzierten Mindesteinkommens auf 267 Kommunen ausgedehnt. Darüber hinaus verabschiedete das Parlament im gleichen Jahr mit dem Gesetz 328/2000 eine umfassende Reform des Sozialstaates. Dieses sah vor, den sozialpolitischen Handlungsansatz auf nationaler Ebene grundlegend neu zu gestalten und auch die Kompetenzen im Feld neu zu ordnen. Zur Stärkung des Sozialschutzes war auf regulativer Ebene geplant, ein nationales Planungssystem einzuführen, bei dem auf den vier Ebenen (Staat, Region, Provinzen und Kommunen) Sozialpläne mit einer dreijährigen Laufzeit erstellt und untereinander koordiniert werden. This law has been the first in 100 years. (...) The new law was very ambitious, it promotes a system of public and private network of social services. The law was based of traditional system of planning in the steam of the law. The national government writes a program of social services every three years. In the framework of the national program, every region writes its program and by this program the single big municipality or a network of little municipalities defines their social planning according to the law (...). (I19)
Als ersten Schritt wurde im Frühling 2001 ein nationaler Sozialplan (2001-2003) von der damaligen Mitte-links-Regierung verabschiedet, in dem die geplanten nationalen Prioritäten für die nächsten drei Jahre dargelegt wurden: Unterstützung von Familien, Stärkung von Kinderrechten, Kampf gegen Armut, Unterstützung von abhängigen Personen (Behinderung) durch Heimservice, verstärkte Bemühungen zur Inklusion von bestimmten Gruppen (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 154f). Aber nicht nur die Arbeitsweise der staatlichen Stellen sollte radikal neu gestaltet werden, auch die staatlichen Kompetenzen sollten neu verteilt werden. So war vorgesehen, dass in der nationalen Administration ein größerer Personalstab zur Analyse und Bekämpfung von sozialen Problemen aufgebaut wird. Daneben sah das Reformkonzept vor, das föderale System beizubehalten, gleichzeitig aber die Kompetenzen des Bundes auszubauen. Jenem sollten eine Rahmengesetzgebungskompetenz und die Zuständigkeit für finanzielle Transferleistungen zugesprochen werden. Künftig sollten soziale Dienstleistungen auf der Basis nationaler Förderprogramme finanziert werden. Das Gesetz wurde bei seiner Verab-
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Die OMK/Inklusion in Italien
schiedung als eine grundlegende Innovation gewertet, mit dem von staatlicher wie nichtstaatlicher Seite große Erwartungen verbunden waren. And this is, in my opinion, a very good law, very comprehensive and articulated, and with the capacity to facilitate integration and subsidiary, both vertical and horizontal. That means between the different levels of government, from national to local government, as well as the integration of the different stakeholders: the civil society, the local governments and the representatives of the economy and the social interests. (I18)
Gerade die sozial engagierten Sozialpolitiker und die ihren Positionen nahestehenden Beamten hofften, mit ihm einen funktionierenden nationalen Sozialstaat aufbauen und damit den Lebensstandard landesweit auf einem hohen Niveau angleichen zu können. Die Reform scheiterte jedoch an zwei sich ergänzenden Faktoren: Erstens wurde im Frühling 2001 die Regierung abgewählt. Die neue Mitte-rechts-Regierung hatte wenig Interesse an dem geplanten nationalen Sozialschutzsystem, vielmehr favorisierte sie eine weitere Dezentralisierung der Sozialpolitik. Zweitens wurde im September 2001 die noch von der alten Regierung vorbereitete Verfassungsreform umgesetzt. This law [328/2000] received a very big consensus when it was voted on in November 2000. But the paradox has been that eight months after the law, the same parliament has voted on the new constitution that has moved a big part of the competencies from the state to the regions. So the most important tools, for example the national program of social services, has been [neglected] by the constitutional reform. And in fact, the last five years was a very strange period because all the actors, the national government, the regional actors, the private subject have discussed the same goals of the reform of 2000. (...) But (...) we have a secondary reform destroyed the most important tools of the first. (I19)
Durch die Verfassungsreform wurden die Gestaltungskompetenzen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung weitgehend auf die regionale Ebene verlagert und die Handlungsmöglichkeiten der nationalen Regierung stark begrenzt. Jener oblagen danach nur noch die formale Sicherung der sozialen Bürgerrechte, die Gestaltung der Sozialversicherungen und die Koordinierung der Regionen, ohne diesen Vorschriften machen zu können. We have the constitutional reform five years ago, a quasi-federalist reform. The regions have now the total competencies in legislation and in organisation of the social policy. These last five years have been very complicated to find a solution in the relationship between the national offices and regional new competencies. We have had more conflicts than cooperation. (I19)
Die Verfassungsänderung diente der neuen Regierung als Begründung, das Gesetz 328/2000 auslaufen zu lassen. Sie argumentierte, dass die sozialpolitischen Pläne der Vorgängerregierung nicht mehr mit der neuen Verfassung in Einklang zu bringen seien. Gleichwohl ging die Verfassungsreform dem neuen Kabinett
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nicht weit genug, sodass es eine weitere Reform zugunsten der Regionen anstrebte (vgl. eiroline 2002a, 2005a). Erklärt wird das Paradox, dass eine Regierung zwei widersprüchliche Reformen erarbeitet, von Ferrera und Sacchi (2005: 157) mit einer schlechten Abstimmung innerhalb der Mitte-Links-Regierung. Ferner deuten sie an, dass auch die Mitte-links-Regierung gespalten war bei der Frage nach einem starken Sozialstaat. Schließlich kann mit DiToritto (2005: 151) auf ein früheres Abkommen zwischen der Regierung und den Regionen bezüglich einer Neuordnung der Kompetenzen verwiesen werden. Die Regierung erklärte sich bereit, sozialpolitische Kompetenzen abzugeben, wohingegen die Regionen auf bestimmte Kompetenzen in der Arbeitsmarktpolitik verzichten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es seit Mitte der 1990er Jahre Reformbemühungen in Richtung einer nationalen Politik der sozialen Eingliederung gegeben hatte. Diese fanden jedoch im Jahr 2001 aufgrund der Verfassungsreform und des Regierungswechsels ein Ende.
8.1.3 Der zweite Wendepunkt: Das Weißbuch im Jahr 2003 Die im Jahr 2001 gewählte Mitte-rechts-Regierung setzte das Gesetz 328/2000 nicht weiter um. Vielmehr versuchte sie mit einem Weißbuch Libro Bianco sul Welfare Proposte per una Società Dinamica e Solidale63 aus dem Jahr 2003, die sozialpolitischen Diskussionen in die von ihr gewünschte Richtung zu lenken. Ein solcher inhaltlicher Bruch zwischen den Regierungen hat in dem politisch gespaltenen System Italiens Tradition. In Italy it is also a reflection of the polarisation of the political system. (...) So every Minster of welfare has the necessity to sign his reform. And this is understandable but a problem. (I19)
Das Weißbuch war dabei nicht als „closed package“ (eiroline 2003) gedacht, sondern sollte eine Diskussionsgrundlage bieten, auf deren Basis weitere Schritte geplant werden. Zentral waren in dem Papier zwei Prioritäten: Maßnahmen zur Abmilderung des demografischen Wandels und eine Stärkung der Familie (vgl. Ferrera/Gualmini 2004: 164f). Erklären lassen sich die Ziele damit, dass der demografische Wandel damals in den Medien diskutiert wurde. Ferner vertrat die Regierung ein konservatives Gesellschaftsbild, nach dem der Staat soziale Probleme am besten durch eine Familienpolitik löst. Ferner wollte sich die Regierung nur auf die Kernkompetenzen des Bundesstaates konzentrieren. 63
Weißbuch zum Wohlfahrtsstaat: Vorschläge für eine dynamische und solidarische Gesellschaft (eigene Übersetzung).
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Die OMK/Inklusion in Italien On the opposite side, the state creates a kind of box where several projects for family are managed directly by the national government. And this regards housing, children and no nursery, because nursery is a point of the system that is tributes to the regions. (I18)
Hinzu kam, dass das Ministerium für Arbeit und Soziales, die dem das Dokument erstellt wurde und das sich dafür verantwortlich zeichnete, nur einen begrenzten Gestaltungsraum hatte. Fragen bezüglich der Rente und Gesundheit wurden ausgeklammert, da hierfür ein anderes Ministerium zuständig war (das Ministerium für Gesundheit und Regionen) (vgl. eiroline 2003). Erreicht werden sollten u.a. die beiden Ziele, indem Maßnahmen gegen neue soziale Risiken (z.B. die wachsende Zahl an Pflegebedürftigen) eingeführt und die staatlichen Anreize zum Kinderkriegen erhöht werden (z.B. durch eine Steuererleichterung für Familien). Des Weiteren war auch vorgesehen, ein neues Mindesteinkommenssystem einzuführen (vgl. Sforza 2005). Dieses nachrangige Einkommen war als eine KoFinanzierung der regionalen Mindesteinkommen geplant, was besonders die reichen Regionen im Norden begünstigen würde, die eine solche Finanzierung voll ausschöpfen können (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 160; Sforza 2005: 6, Sacchi et al. 2002). Abmilderung des demografischen Wandels und Unterstützung der Familie Besserstellung von Familien bei der Besteuerung Erarbeitung einer neuen Balance von Flexibilisierung und Sicherheit (zusammen mit den Sozialpartnern und den NGOs) Erleichterung des Berufseinstiegs von Müttern nach der Geburt der Kinder Erleichterung des Zuganges zu einem Hauskredit für junge Menschen Bessere Hilfsmaßnahmen für Kinder und junge Menschen, z.B. mehr Geld für Kindergärten Stärkung der regionalen Mindesteinkommenssysteme durch eine Ko-Finanzierung Stärkung des nichtstaatlichen Engagements und des Ehrenamtes Quelle: Ministero del Lavoro e delle Politiche Sociali 2003 Abbildung 11: Zentrale Punkte des Weißbuches
Schließlich sollten die beiden Ziele mithilfe einer adaptierten Form der OMK erreicht werden, an der auch die Regionen und Kommunen beteiligt werden. In dem Koordinierungssystem sollten sich die einzelnen Ebenen, entsprechend ihrer Aufgaben und Kompetenzen, gegenseitig zuarbeiten und so die Arbeit der Beteiligten verbessern und effizienter gestalten. Die europäische Ebene wird in dem Weißbuch die Aufgabe zu geschrieben, gemeinsame Ziele und Indikatoren zu entwickeln, die von den unteren Ebenen aufgegriffen werden. Dabei sollte sie sich aber auch auf die Entwicklungen und Erfahrungen der unteren Ebene stüt-
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zen. Des Weiteren sollten hier durch Benchmarkingverfahren, Empfehlungen und Peer-Review Prozesse die nationalen Bemühungen kritisch hinterfragt und weitere Anstrengungen angeregt werden. Auf nationaler Ebene war vorgesehen, auf Basis der europäischen Vorgaben und der regionalen Erfahrungen allgemeine Makroziele zu entwickeln. Ferner sollten die aktuellen italienweiten Tendenzen untersucht und Probleme und Problemgruppen identifiziert werden. Schließlich galt es als Aufgabe der Regierung, dafür Sorge zu tragen, dass alle entscheidenden Organisationen an dem Verfahren teilnehmen können. Für die regionalen und kommunalen Ebenen wurde vorgeschlagen, dass die regionalen und kommunalen Behörden zusammen mit ihren nichtstaatlichen Partnern die aktuellen Probleme und mögliche Gegenmaßnahmen erörtern und diskutieren. Auf Basis dieser Gespräche sollten dann regionale bzw. kommunale Aktionspläne geschrieben werden, in denen das lokalspezifische Konzept gegen soziale Ausgrenzung dargelegt wird. Weiter war angedacht, dass die Regionen zusammen mit der Regierung die aktuellen Entwicklungen besprechen und an den NAP/ Inklusion mitwirken. Auch sollte es transregionale Benchmarkingprozesse geben, in denen positive und negative Beispiele im Kampf gegen soziale Ausgrenzung herausgearbeitet werden. Demzufolge sollte eine neue Form des Regierens im nationalen Feld eingeführt werden, bei dem die Souveränität der einzelnen Beteiligten gewahrt bleibt. Eine Offene Methode der Koordinierung galt somit als anschlussfähig an die bestehenden italienischen Strukturen und im Einklang mit den Regierungsplänen, die sozialpolitischen Kompetenzen weiter zu dezentralisieren. Die Regierung knüpfte aber nicht nur an sie an, sondern bezog sich auch auf das Gesetz 328/2000. In view of the current system of competences, no credible national plans can be worked out unless we respect our EU commitments (...). This principle – already surfaced in Law 328/2000, which provides for the adoption of regional plans and area plans – needs to be consistently implemented throughout the national territory. (Ministero del Lavoro e delle Politiche Sociali 2003: 29)
Die inhaltliche Ausrichtung des Gesetzes 328/2000 wurde zwar abgelehnt, wohl aber sei das Reformvorhaben der Prodi-Regierung mit seinem Handlungsansatz in die richtige Richtung gegangen. Die Vorgängerregierung habe nur die Kompetenzen des Zentralstaates überbetont. Die Mitte-rechts-Regierung entwarf somit verschiedene Reformansätze, mit dem sie soziale Ausgrenzung bekämpfen wollte. Gleichwohl wurde in dem Weißbuch nicht ausgeführt, wie die Maßnahmen finanziert werden können (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 159). What is happens recently is exactly a separation between the state and the regions in this way. As I said before the national fund for social policy was reduced. I am now preparing the report for the Commission. And this is more or less 50% with respect of the last year.
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Die OMK/Inklusion in Italien 50 % reduction of this fund that means that region and the local authorities saved less money. At the same time, you have reduced a general amount of money to the local authorities because of the financial law. And this is another reduction. (I18)
Vielmehr wurde in den folgenden Jahren das sozialpolitische Budget gekürzt. Auch wurden die Vorgaben und Ideen nie konkretisiert, bzw. wurde ihre Umsetzung nicht weiter verfolgt (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 159). Diese zaghafte bzw. ausbleibende Umsetzung des Weißbuchs lässt sich damit erklären, dass in der Mitte-rechts-Regierung der nationale Sozialstaat nur eine geringe Rolle spielte. Auch fehlte den sozialpolitischen Akteuren in den Ministerien das Durchsetzungspotenzial und der Mitte-Rechts-Koalition der politische Wille zur hochrangigen Einflussnahme. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass mit dem Weißbuch trotz einer formalen Bezugnahme eine inhaltliche Kehrtwende gegenüber dem Gesetz 328/2000 eingeleitet wurde. Die neue Regierung wollte vor allem die Familien und Regionen stärken, auch wenn die Maßnahmen nicht weiter verfolgt wurden.
8.1.4 Dezentrale Kompetenzverteilung In den italienischen Leitbildern dominierte die Vorstellung, dass die lokalen Ebenen und der nichtstaatliche Sektor – und hierbei besonders die Kirche und ihre caritativen Organisationen – für die soziale Sicherheit der Bürger verantwortlich seien. Die praktische Umsetzung dieser Vorstellungen kann als ein „doppeltes Defizit an Staatlichkeit“ (Ostner/Saraceno 1998: 196) bezeichnet werden, das im Untersuchungszeitraum weiter ausgedehnt wurde (vgl. Bilancia 2005: 170). Im Folgenden wird untersucht, über welche Kompetenzen die staatlichen und nichtstaatlichen Kräften verfügten. Dafür werden zunächst die Handlungsmöglichkeiten der Regierung analysiert. Anschließend wird die Stellung lokaler Ebenen und nichtstaatlicher Akteure und Organisationen beleuchtet. Es wurde bereits deutlich, dass der italienische Staat nur über begrenzte Kompetenzen im Bereich der Sozialpolitik verfügte. Nun ist zu untersuchen, für welche Aufgaben die nationale Regierung konkret die Verantwortung trug, inwieweit sie ihre Handlungsoptionen nutzte und wie sie intern die sozialpolitischen Kompetenzen verteilte. Bis zu der Verfassungsreform im Jahr 2001 hatten er und die Regionen konkurrierende Kompetenzen im Bereich der sozialen Sicherheit, d.h. die lokalen Ebenen konnten solange die sozialpolitischen Angelegenheiten regeln, bis eine nationale Gesetzgebung verabschiedet wurde. Mit der Reform wurde nun der Gestaltungsspielraum der Regionen ausgebaut, während dem Staat nur noch drei sozialpolitische Aufgaben zukamen (vgl. auch DiToritto 2005: 149-152): Erstens war er die Rahmenbedingungen für die Sozialversiche-
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rungen verantwortlich. Zweitens sollte er die Bürgerrechte sichern, d. h. er hatte für eine Garantie der sozialen Grundrechte auf regionaler Ebene Sorge zu tragen. (...) this is a very constitutional point, that the national government should determine the basic level of polity services. That means that in Sicily as well as in the Lombardy the citizens should have services that correspond to the basic rights. That means to guarantee accessibility to rights and resources. That state, regions and local authorities should determine this kind of basic level standard of the services, but this was not done. And it is the big problem now. (I18)
Schließlich war es seine Aufgabe, die Arbeit der Regionen zu koordinieren. Aber auch diese Neuordnung der Zuständigkeiten ging der Mitte-rechts-Regierung nicht weit genug. Vielmehr versuchte sie, die Handlungsspielräume der Regierung noch weiter zu beschneiden. Dabei verwies sie auch auf die OMK/Inklusion und führte an, dass das dort verankerte Prinzip der Subsidiarität nur mit einer weiteren Kompetenzverlagerung zugunsten der regionalen und kommunalen Ebenen erreicht werden könne.64 In ihrer Arbeit konzentrierte sie sich daher ausschließlich auf die erste Aufgabe. Es gab weder eine nationale Politik zur Stärkung der sozialen Bürgerrechte noch eine institutionalisierte Koordinierung der Arbeit der Regionen. Die traditionell marginale Rolle der Sozialpolitik auf nationaler Ebene zeigt sich aber nicht nur bei der Kompetenzverteilung. Sie wird auch in der Regierungsorganisation offensichtlich. So existierte bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts nur ein Sozialminister, dem kein eigenes Ministerium unterstand. Erst im Jahr 2001 wurde ein Ministerium für Arbeit und Soziales eingerichtet. Allerdings standen in dem neu gegründeten Amt die zweihundert Mitarbeiter des Sozialministeriums achttausend Beamten des Arbeitsministeriums gegenüber (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 155, 161). In dem Ministerium selbst wurde strikt zwischen der politischen Spitze und der technischen Verwaltungsebene differenziert. Während die politischen Pläne und Reformbemühungen in der Führungsebene – meist in Zusammenarbeit mit externen wissenschaftlichen Experten – erarbeitet wurden, hatten die unteren Ebenen eine ausführende Rolle. Die Verfassungsreform beschränkte nicht nur die Kompetenzen des Staates, sie regelte auch die Aufgaben der lokalen Ebenen neu. Wurden früher nur die Regionen als autonome Einheiten gewertet, halten diesen Status seit 2001 auch die Kommunen, Provinzen und Metropolstädte inne. Article 114 (Municipalities, Provinces, Metropolitan Cities, Regions, State): (1) The republic consists of municipalities, provinces, metropolitan cities, regions, and the state. (2) Municipalities, provinces, metropolitan cities, and regions are autonomous entities with their own statutes, powers, and functions according to the principles defined in the constitution. 64
Hierfür war auch eine weitere Verfassungsreform vorgesehen worden, die jedoch von einem öffentlichen Referendum verhindert wurde.
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Jeder dieser Ebenen kommen dabei besondere Aufgaben zu, die nun genauer untersucht werden. Besonders weit reichende Kompetenzen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung hatten im Untersuchungszeitraum die Regionen. Sie waren maßgeblich zuständig für die Organisation und Finanzierung einer regionalen Mindestsicherung. Ferner konnten sie eigene Maßnahmen gegen soziale Ausgrenzung auflegen und den Arbeitsmarkt mitgestalten (vgl. Barbieri et al. 2005). Für die OMK/Inklusion ist des Weiteren wichtig, dass sämtliche europäische Angelegenheiten in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fielen und die Regionen deshalb auf europäischer Ebene eine größere Rolle spielen als ihre Pendants in vielen europäischen Nachbarn (vgl. DiToritto 2005: 152). Eingeführt worden war dieser mit der Verfassungsreform weiter ausgebaute sozialpolitische Regionalismus bereits mit der Präsidentenverordnung 616 im Jahr 1977 (vgl. EAPN 1999: 55), die von Wissenschaftlern auch als „one of the great lost opportunites of Italian social policy against poverty” (Kazepov 1998: 402) gewertet wird. Denn damals wurde festgelegt, dass die Regionen maßgeblich für die Organisation und Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme verantwortlich sind. Für die Umsetzung der sozialpolitischen Maßnahmen waren dagegen in der Regel die Provinzen, Kommunen und Metropolstädte verantwortlich. Ihnen oblag es, die Vorgaben der höheren Ebenen auszuführen. Teilweise legten sie zusätzlich noch eigene Fürsorgeprogramme auf. Da eine Abstimmung zwischen und innerhalb der einzelnen Ebenen unerlässlich für die Sicherung eines einheitlichen Lebensstandards ist, richtete die damalige Mitte-links-Regierung in den 1990er Jahren Runde Tische ein. Hier trafen sich auch im Untersuchungszeitraum die Vertreter der Regierung, der lokalen Ebenen sowie der nichtstaatlichen Organisationen und diskutierten Fragen, die für alle Beteiligten von Belang waren, auch wenn die Anzahl an Zusammenkünften unter der Mitte-rechtsRegierung zurückging. Festgehalten werden kann für die hier untersuchte Zeitperiode, dass die Regionen das soziale Sicherungsniveau in ihrem Gebiet eigenverantwortlich gestalteten. Ausgeführt wurden die sozialpolitischen Maßnahmen größtenteils von den Kommunen, Provinzen und Metropolstädte, die auch eigene Programme auflegen konnten. Lange Zeit bestanden keine institutionalisierten Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Ebenen. Erst in den 1990er Jahren gab es erste Versuche, durch nationale Runde Tische die Arbeit der verschiedenen Akteure mit- und untereinander zu verknüpfen. Die nichtstaatlichen Beteiligten des italienischen Feldes können in vier verschiedene Gruppen aufgegliedert werden: Erstens gestalten die Sozialpartner die sozialen Rahmenbedingungen für die sozialversicherten Arbeitnehmer mit. Zweitens dominierten die katholische Kirche sowie ihr nahestehende caritative Organisationen im Untersuchungszeitraum den nichtstaatlichen Fürsorgebereich,
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auch wenn drittens in den letzten Jahrzehnten immer mehr säkulare NGOs gegründet wurden, die meist den lokalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. Schließlich werden wissenschaftliche Experten von der Regierung herangezogen, um den politischen Diskussionen entscheidende Impulse zu geben. Die Sozialpartner sind für die Organisation der Arbeitslosenversicherung verantwortlich. Auch handeln sie miteinander das Niveau der Leistungen aus. Da die Gewerkschaften besonders stark in den traditionellen Industriezentren des Nordens und im öffentlichen Dienst sind, genießen in diesen Bereichen die Arbeitnehmer einen gut ausgebauten Sozialschutz, der durchaus mit Deutschland und Frankreich vergleichbar ist. In den anderen Sektoren bestand dagegen im Untersuchungszeitraum oft nur eine marginale Absicherung. Zusätzlich trat die größte Gewerkschaft des Landes in der Vergangenheit in den sozialpolitischen Diskussionen oftmals als Sprachrohr der nichtkirchlichen NGOs auf, da diese auf nationaler Ebene im Vergleich zu den kirchlichen Organisationen relativ schwach waren und nur begrenzt Gehör fanden. Im nichtstaatlichen Kampf gegen soziale Ausgrenzung war die kirchennahe Caritas die mit Abstand größte und bedeutendste Wohlfahrtsorganisation. Ihr Wort hatte daher in den nationalen Diskussionen besonderes Gewicht. Säkulare Organisationen entwickelten sich erst langsam und vor allem im Zentrum und im Norden Italiens, wo auch die Gewerkschaften stark waren. Die finanzielle Ausstattung der meist lokalen Initiativen war in vielen Fällen äußerst gering, sodass sie nur punktuelle Aufgaben übernahmen. Auf regionaler Ebene arbeiteten die staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen teilweise eng zusammen. Auf nationaler Ebene bestand dagegen bis in die 1990er Jahren kein institutionalisierter Austausch zwischen dem nichtstaatlichen Sektor und der Regierung. Mit den Runden Tischen (siehe oben) wurde erstmals eine Kommunikationsplattform initiiert, bei der sämtliche Kräfte des Feldes zusammenkamen, auch wenn sich die NGOs durch diese Gespräche nur bedingt in die staatlichen Debatten einbringen können. One cannot develop civil society out of nothing when there is no culture of involvement the concept has to fail. (...) At least government, regions and NGOs started to talk to each other on the topic of welfare that is a success at least. (I12)
Ihre Vorschläge wurden bisher nur selten aufgegriffen. Hinzu kam, dass gerade die Mehrheit der lokalen und säkularen NGOs Probleme hatten, die Ressourcen aufzubringen, um an den Treffen teilzunehmen. Entscheidende Berater bei nationalen Reformen und Programmen waren daher nicht die Wohlfahrtsverbände, sondern wissenschaftliche Experten. Denn nicht selten wurden die Vorbereitungen und die Ausarbeitung von Reformplänen in akademische Beratergremien verlagert (so gesehen bei der Onofri-Kommission vgl. Ferrera/Gualmini
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2004). Mit diesem Vorgehen wollte die Regierung politische Aushandlungskonflikte innerhalb der Regierungs- und/oder Parlamentsausschüsse vermeiden. Ferner legitimierte sie durch die wissenschaftlichen Expertisen das eigene politische Handeln gegenüber den Wählern, da jene in der öffentlichen Wahrnehmung ein höheres Ansehen genossen als die politische Elite (vgl. Graziano 2004). Damit spielten die Sozialpartner und die Wohlfahrtsverbände zwar eine bedeutende Rolle im Bereich des Sozialschutzes und der Wohlfahrtsfürsorge, traditionell war der Informationsaustausch zwischen ihnen und den Regierungen jedoch gering. Vielmehr traten Wissenschaftler als externe Politikberater in Erscheinung, wenn es darum ging, neue Konzepte auszuarbeiten. In dem dezentralen Feld Italiens agierte eine Vielzahl an Akteuren und Organisationen, die über unterschiedliche Durchsetzungsmöglichkeiten verfügten. Im Vergleich zum zentralistischen Frankreich, aber auch dem föderalen Deutschland waren die Kompetenzen der Regierung hier am geringsten. Die eigentliche Gestaltungsgewalt besahen die lokalen Ebenen, insbesondere die Regionen. Eine weitere Besonderheit Italiens lag darin, dass die Kirche und ihre caritativen Organisationen den Bereich der nichtstaatlichen Wohlfahrtspflege lange Zeit dominierten. Dagegen waren säkulare NGOs meist regional gebunden und arbeiteten sich vor allem im Norden und im Zentrum. Schließlich sind wissenschaftlichen Experten zu nennen, die als Regierungsberater einen großen Einfluss auf die politischen Debatten haben.
8.1.5 Zwischenresümee: Ein fragmentiertes Feld Die OMK/Inklusion wurde im Jahr 2000 in einem stark fragmentieren Feld eingeführt, dessen patriarchale und dezentrale Leitbilder einer nationalen Politik der sozialen Eingliederung eher entgegenstanden. Gleichzeitig deuteten sich auch, dass die bisherigen Strukturen von Teilen der Bevölkerung in Frage gestellt wurden, weshalb die Gesellschaft auch gespalten war in Bezug auf die Frage, wie viel nationale Politik nötig sei, um Armut und soziale Ausgrenzung zu verhindern. Während die eine Seite die bisherigen Leitbilder zumindest in Teilen in Frage stellte und die Armutspolitik von der Familienpolitik trennen wollte, sah die Gegenseite in der Familie und die Regionen weiterhin die entscheidende Instanz im Kampf gegen soziale Ausgrenzung. Somit wurde auch deutlich, dass nationale Armutsdiskussionen immer mit der Kompetenzfrage verbunden waren (vgl. Barbier/Fargion 2004). So setzten sich die Mitte-rechts-Parteien für eine weitere Dezentralisierung ein, während die Mitte-links-Parteien zumindest teilweise eine Stärkung des nationalen Sozialstaates anstrebten. Die Konfliktlinien zeichneten sich auch in den Reformen und Maßnahmen ab. Hierbei vollzog sich
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eine formale Kontinuität bei inhaltlichen Brüchen. So führte die Mitte-linksRegierung in dem Feld erstmals vertikale wie horizontale Kommunikationsstrukturen ein. Die Mitte-rechts-Regierung bezog sich in ihrem Weißbuch zwar auf die Wohlfahrtsreform der Vorgängerregierung im Jahr 2001 und verpflichtete sich formal zu denselben Handlungsprinzipien. Gleichzeitig verfolgte sie aber inhaltlich eine grundlegend andere, konservative Ausrichtung. Trotz dieser inhaltlichen Differenzen wurden die beiden großen Reformpläne nach offizieller Darstellung von der Lissabonstrategie und ihrer sozialpolitischen Säule inspiriert. Im Folgenden ist zu klären, wie stark der Einfluss der OMK/Inklusion auf die italienische Politik und die unterschiedlichen Argumentationslinien tatsächlich ist.
8.2 Die Organisation der Offenen Methode der Koordinierung Die OMK/Inklusion ist nach meinem Ansatz zunächst ein externer Prozess. Einen Einfluss auf die nationalen Debatten und Entwicklungen kann sie nur haben, wenn ihre Ziele und Ergebnisse von den durchsetzungsstarken Akteuren und Organisationen aufgriffen werden, darauf aufbauend die institutionellen Strukturen verändert werden oder ihre Reformierung in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. In diesem Abschnitt wird nun untersucht, wie das Verfahren im italienischen Feld organisiert war und ob die nationalen Voraussetzungen für einen Erfolg der OMK/Inklusion gegeben sind. Dabei wird gezeigt, dass der europäische Prozess von der Regierung auf Basis der in der italienischen Bürokratie üblichen Organisationsprinzipien geregelt wurde. So wurden die einzelnen Aufgaben nicht an bestimmte Positionen, sondern an bestimmte Personen delegiert. Dies hatte zur Folge, dass die federführenden Beamten die Aufgaben mitnahmen, wenn sie den Arbeitsplatz wechselten, ohne dass gleichzeitig die folgenden Stelleninhaber involviert wurden. Ferner wurden Delegiertenstellen an externe Experten vergeben, was sich damit erklären lässt, dass Wissenschaftler als Regierungsberater Italien schon bei anderen europäischen Verfahren vertreten hatten und die dort gewonnenen Erkenntnisse in ihre Expertisen für die Regierung einfließen ließen – eine Vorgehensweise, die jedoch nur funktionieren kann, wenn die Wissenschaftler auch an den sozialpolitischen Debatten partizipieren. Auf diesen Annahmen aufbauend wird im Folgenden die These vertreten, dass die OMK/Inklusion von den federführenden Beamten durchaus als eine Chance für das eigene System wahrgenommen wurde, sie allerdings spätestens seit dem Jahr 2001 kaum bis gar nicht an den sozialpolitischen Debatten der Regierung beteiligt waren. Für den nichtstaatlichen Bereich und die lokalen Behörden wird nachgewiesen, dass diese Organisationen aufgrund von fehlenden Kommunikati-
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onsstrukturen kaum durch die Regierung in den Prozess eingebunden wurden. Gleichwohl wird sich auch zeigen, dass die NGOs und einige lokale Behörden selbst die Initiative ergriffen und an den nationalstaatlichen Stellen vorbei an der OMK/Inklusion partizipierten. Demgemäß wird in diesem Abschnitt angenommen, dass viele NGOs und auch einige kommunale Behörden die OMK/Inklusion als Chance für die eigene Arbeit verstanden und sich daher die entscheidenden Kompetenzträgern an den europäischen Maßnahmen beteiligten. Dafür wird zunächst auf die Rolle der Regierung und ihrer externen Berater bei der Organisation der OMK/Inklusion eingegangen (8.2.1). Anschließend werden die Einbindung der lokalen Behörden (8.2.2) und der nichtstaatlichen Organisationen und Akteure in den europäischen Prozess beleuchtet (8.2.3).
8.2.1 Schwaches Koordinationszentrum: Die Regierung Die Regierung war im Untersuchungszeitraum die zentrale Organisations- und Koordinationsstelle für die OMK/Inklusion im italienischen Feld. Intern wurde der Prozess allerdings gerade unter der Mitte-rechts-Regierung als eine bürokratische Übung der Verwaltung gewertet, bei der auf eine Beteiligung der politischen Spitze verzichtet wurde. In diesem Abschnitt wird herausgearbeitet, dass die federführenden Akteure spätestens seit 2001 nur im geringen Umfang in die sozialpolitische Arbeit der Regierung eingebunden waren und sich kaum mit den Experten im Sozialministerium koordinierten und austauschten. Dafür wird zunächst die Erstellung des NAP/Inklusion und die Vertretung des Aktionsprogramms untersucht. Anschließend werden die Delegationen des Sozialschutzkomitees und seiner Arbeitsgruppe für Indikatoren betrachtet. Die Verantwortung für die NAP/Inklusion und die Delegation des Aktionsprogramms wurde vom Jahr 2001 bis Ende des Jahres 2005 einige Beamte der Direzione Generale per l’Impiego, l’orientamento e la Formazione65 des Arbeitsministeriums übertragen. Federführend bei der Erarbeitung der Aktionspläne waren die Abteilungsleiterin sowie vier ihrer Mitarbeiter66. Der Leiterin war die Aufgabe im Jahr 2000 zugewiesen worden, als sie der Sozialabteilung im Arbeitsministerium vorstand und kein Sozialministerium existierte. Als sie im Jahr 2001 in die neue Abteilung wechselte, nahm sie die Kompetenzen mit. Beim ersten NAP/Inklusion versuchten die federführenden Akteure noch, eine interministerielle Arbeitsgruppe aufzubauen. Allerdings konnten keine festen aktiv genutzten Kommunikationsstrukturen installiert werden, was auf ein nur geringes Interesse vonseiten der Beamten aus den anderen Ministerien sowie auf die politischen Umbrüche im Jahr 65 66
Abteilung Arbeitsmarkt und berufliche Ausbildung. Einem Senior und einem Junior sowie zwei externen Beratern aus derselben Abteilung.
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2001 zurückzuführen ist. Der zweite NAP/Inklusion wurde daher auch in zwei Monaten ohne eingehende Abstimmung mit den Verantwortlichen des Sozialministeriums oder anderer Ministerien erarbeitet (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 162). Ihn erstellten damit Beamte, die nicht mehr direkt in die Sozialpolitik eingebunden waren. Auch die Beteiligung der übrigen Akteure des Feldes erfolgte gerade beim zweiten NAP/Inklusion vor allem über persönliche Kontakte ad hoc. In der Abteilung im Arbeitsministerium wurde nicht nur der NAP/Inklusion erstellt, dort arbeitete außerdem die Delegierte für das Aktionsprogramm. Diese Beamtin war aufgrund einer früheren Tätigkeit in der Sozialabteilung des Arbeitsministeriums zuständig für den Kontakt zwischen der Regierung und den NGOs auf nationaler Ebene. Allerdings stufte sie ihren eigenen Handlungsrahmen als beschränkt ein. Sie würde zwar mit den Nichtregierungsorganisationen Kontakt haben, gleichwohl könnte sie deren Position nur im begrenzten Maß in die staatlichen Diskussionen einbringen, da sie selbst kaum in die sozialpolitischen Prozesse eingebunden sei. Generell war das Aktionsprogramm in den auf nationaler Ebene relevanten Ministerien weitgehend unbekannt und wurde daher von den Beteiligten als unbedeutend für die italienische Sozialpolitik eingestuft. Im Sozialschutzkomitee wurde Italien von dem Verwaltungsdirektor einer Rentenversicherungsanstalt und einer Wissenschaftlerin vertreten, die nicht weisungsgebunden waren. Zusätzliche Stellvertreter wurden nicht berufen. Die Ernennung von regierungsexternen Delegierten war, so die befragten Mitglieder des Gremiums, zum einen historisch begründet, da der Vorläufer des Ausschusses als reines Expertengremium konzipiert war. Zum anderen hat es in Italien Tradition, dass Wissenschaftler als Regierungsberater bestimmte Posten übernehmen. Allerdings war dieses Vorgehen umstritten. What we tend to have in the SPC is that the entire administration nominates academics to be members of the SPC. That would be fine if the process of the SPC was to have an exchange about social policy issues, like a sociological expert committee. However, it is not. It supposed to be political actors. They can make contributions to the committee, which are fine, when it comes to actually supplying something or committing the Italian government to action or to undertake something, they do not have the authority! And this is a problem. The central government seems to be weak. (EU12)
Unsere Interviewpartner aus der Europäischen Kommission kritisierten an der italienischen Delegationswahl, dass mit solchen Mitgliedern keine national verbindlichen Konzepte erarbeitet werden können, da jene keine politische Verantwortung auf nationaler Ebene tragen. Ferner argumentierten die Experten aus dem nichtstaatlichen Sektor, dass eine solche Form der europäischen Partizipation nur einen Sinn für das nationale Feld mache, wenn die beteiligten wissenschaftlichen Experten auch als politische Berater in die Regierungsgeschäfte
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eingebunden werden. Ein erfolgreiches Beispiel sei die Mitgliedschaft des Arbeitsrechtsprofessors Biagi in dem Europäischen Beschäftigungsausschuss gewesen, da dieser gleichzeitig auch die Regierung bei allen wichtigen Arbeitsmarktreformen als politischer Berater unterstützt habe (vgl. auch Zirra/ Buchkremer 2007). Dagegen waren die Delegierten des SPC kaum in die politischen Debatten involviert. Lediglich die wichtigsten Gesichtspunkte wurden mit den betroffenen Ministerien besprochen, in vielen Fällen fand vor den Sitzungen keine Koordination statt. Die Repräsentanten vertraten ihre eigene Meinungen und weniger die Haltung der Regierung. In einem Interview äußerte ein italienischer Delegierter selbst Zweifel an Präsentation Italiens im Sozialschutzkomitee. Wir liefern Meinungen, die sich auf eine individuelle und subjektive Basis stützen, außer in den wichtigsten Sachen, wo man in Kontakt steht zum Ministerium für die Arbeit und Sozialpolitik oder zum Gesundheitsministerium. (I14, Übersetzung durch die Verfasserin)
Hinzu kam, dass der Einfluss der Delegierten auf die sozialpolitischen Entwicklungen im Lauf der Zeit noch abnahm. Denn während die sozialpolitische Spitze der Mitte-links-Regierung im SPC die Möglichkeit sah, dass sich mögliche externe Berater mit anderen austauschen, wurde das Gremium von der Mitterechts-Regierung abgelehnt. But the minister Mr. Maroni is a representative of the Lega Nord, and in that way of a party that is not much EU-oriented in the parliament. So I think that the commitment to work together with the EU-Commission is not so strong. (I19)
So wertete der damalige Sozialminister, der Mitglied der Lega Nord war (vgl. Radaelli/Franchino 2004: 948), einen transnationalen Austausch zu Fragen der sozialen Eingliederung als ein Eingriff in die Kompetenzen der Regionen, der nicht anschlussfähig an die bestehende italienische Ordnung sei. Außerdem würden vor allem die Mitgliedstaaten Nordeuropas den Prozess forcieren. Die südeuropäischen Staaten hätten hingegen keine Kapazitäten für diese Politikfelder zur Verfügung und nur einen geringen Bedarf an einem solchen europäischen Austauschprozess. Der berufliche Hintergrund des einen Delegierten als Direktor der Rentenversicherungsanstalt führte zusätzlich dazu, dass dieser die OMK zur Rente für relevanter als die OMK/Inklusion wertete. Der hier untersuchte Prozess hatte somit bei dem Delegierten selbst einen geringen Stellenwert. Der Delegierte für die Indikatorengruppe war Ökonom und in der Wirtschaftsabteilung im Büro des Premierministers angesiedelt. Er hatte zunächst bei der Erstellung des NAP/Beschäftigung mitwirkte. Als die Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, wurde er gefragt, ob er nicht daran teilnehmen wolle.
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Then when the indicator subgroup started as part of the social inclusion process the main economic advisor of the Labour minister asked me if I wanted to join the group and if I have skills to work on this issue because we were involved in the process of selecting the structure indicators. (I12)
Die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene beschrieb er als sehr gut; er habe viele Kontakte zu seinen Kollegen in den anderen Mitgliedstaaten. Allerdings war er auf nationaler Ebene nur bedingt in die sozialpolitischen Debatten eingebunden. Er war nicht weisungsgebunden. Daher sprach er sich nur selten mit anderen Mitarbeitern in der Regierung ab. Die Erkenntnisse aus den Diskussionen in der Arbeitsgruppe nutzte er primär für seine eigene Arbeit. Es zeigte sich, dass bei der Einführung der OMK/Inklusion an die bestehenden Organisationsprinzipien angeknüpft wurde. So wurden im Einklang mit den bürokratischen Gepflogenheiten die Aufgaben bezüglich der OMK/Inklusion an bestimmte Personen statt an bestimmte Positionen vergeben. Unter der Mittelinks-Regierung waren die federführenden Akteure noch entscheidende sozialpolitische Beamte bzw. Politikberater. Diese Verknüpfung von nationalen Kompetenzen und europäischer Beteiligung wurde nach dem Regierungswechsel abgeschwächt. Durch die Neuorganisation des Arbeitsministeriums wechselten die federführenden Beamten für den NAP/Inklusion und das Aktionsprogramm innerhalb des Ministeriums, sodass sie nun auf nationaler Ebene über keine sozialpolitischen Befugnisse mehr verfügten. Auch wurden die Kontakte der SPCDelegierten zu den politisch entscheidenden Stellen lockerer. Die Organisation der OMK/Inklusion innerhalb der Mitte-rechts-Regierung war somit geprägt von einer Dualität der Kompetenzen und von einer autonomen Abwicklung ihrer Instrumente durch einzelne Beamte und externe Berater. Eine Verknüpfung der europäischen Diskussionen zu den nationalen Reformen durch die beteiligten Akteure, wie sie etwa von Jacobsson (2004a: 88) oder Trubek und Trubek (2005b: 356ff) erwartet wird, existierte folglich nicht. Der Austausch zwischen den nationalen Experten und den an der OMK/Inklusion Beteiligten verlief, wenn überhaupt, auf der Basis von persönlichen Kontakten und äußerst sporadisch.
8.2.2 Die geringe Einbindung der lokalen Ebenen In Italien waren, wie bereits deutlich wurde, die lokalen Ebenen, insbesondere die Regionen, von großer politischer Bedeutung. Eine Einbindung der lokalen Sozialpolitiker wäre daher eine wichtige Bedingung, damit die OMK/Inklusion einen nachhaltigen Einfluss auf das Feld entwickeln kann. Ihre tatsächliche Beteiligung gerade an den NAP/Inklusion war jedoch umstritten. Vonseiten der
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nichtstaatlichen Akteure und Organisationen wurde der Regierung vorgeworfen, dass keine Einbindung bestehe (vgl. EAPN 2001). Yes and this is all about the OMC. Because it is the same with the regions and with the other stakeholders, there is no collaboration, there is no cooperation. There is no involvement. (I18)
Dagegen betonten die verantwortlichen Mitarbeiter im Arbeitsministerium, dass zwischen ihnen und den lokalen Behörden ein Austausch bestehe. So würden sie die Aktionspläne und einzelne Reformprojekte mit den lokalen Behörden diskutieren. Es gibt verschiedene Methoden: Offizielle wie den Runden Tisch für die regionale Koordination, wo die NAP/Inklusion mit den Regionen diskutiert werden. Daneben werden im Ministerium noch weitere Runde Tische eingerichtet, wo man die Regionen bezüglich einzelner Aktionen konsultiert, die man innerhalb im Rahmen des Plans realisieren möchte, und abklärt, welche Regionen bereit sind mitzumachen. (I13, Übersetzung durch die Verfasserin)
Dieser Widerspruch lässt sich auflösen, indem zwischen formal einberufenen und persönlichen Ad-hoc-Gesprächen differenziert wird: Für die Einbindung der lokalen Ebenen und des nichtstaatlichen Sektors wurde im Jahr 2000 ein Runder Tisch ins Leben gerufen, was nach Einschätzung von Beamten im Arbeitsministerium eine Innovation war. Allerdings nutzten die verantwortlichen Beamten das Kommunikationsinstrument kaum bzw. auf eine Weise, die eine wirkliche Einflussnahme der lokalen Behörden und der NGOs auf die Aktionspläne verhinderte. Beispielsweise legten die Beamten den zweite NAP/Inklusion dem Gremium zwar vor, dies geschah allerdings kurz vor dem Ende der Abgabefrist, sodass Kommentare der beteiligten Akteure nicht aufgenommen werden konnten (vgl. EAPN 2003: 15). Diese Einbindung kann somit als eine Formalität ohne praktische Wirkung bezeichnet werden. Indes bestanden darüber hinaus persönliche Kontakte zwischen den NAP-Verfassern im Ministerium und einzelnen lokalen Behörden (vgl. Ferrera/Sacchi 2005: 164f). Hier kam es zu teilweise regen Debatten über den NAP/Inklusion, die auch Berücksichtigung fanden. Problematisch an dieser Form der Partizipation ist freilich, dass die Kontakte maßgeblich von den Beziehungen und Kapazitäten der lokalen Ebenen abhängig waren. So verfügten die reichen Gegenden im Norden und im Zentrum über deutlich mehr personelle wie finanzielle Ressourcen als der Süden. Daneben nahmen einige interessierte Regionen und Kommunen an den Projekten des Aktionsprogramms teil. Sie sahen darin die Chance, ein besseres Verhältnis zu den lokalen NGOs aufzubauen, bzw. das Thema in ihrem Gebiet stärker problematisieren zu können.
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Zusammenfassend kann festgehalten werden: Es gab keine einheitliche und institutionalisierte Einbindung der lokalen Ebenen in die OMK/Inklusion durch die Regierung. So konnten sich die Regionen, Provinzen und Kommunen gerade ab dem Jahr 2001 nur auf Basis persönlicher Kontakte wirkungsvoll bei der Erstellung des NAP/Inklusion einbringen. Dafür partizipierten einige interessierte lokalen Behörden am Aktionsprogramm.
8.2.3 Unabhängig von der Regierung: Der nichtstaatliche Sektor Sowohl die Mitte-Links als auch die Mitte-Rechts-Regierungen betonten mehrfach, dass die Sozialpartner und die Wohlfahrtsverbände eine besondere Bedeutung für das Feld hätten (vgl. u.a. Minstero des Lavoro e delle Politiche Sociali 2003: 35). Daher könnte erwartet werden, dass sie besonders stark an einer Einbindung des nichtstaatlichen Sektors in die OMK/Inklusion interessiert waren. Indessen wird im Folgenden gezeigt, dass die NGOs gerade ab dem Jahr 2001 vor allem unabhängig von der Regierung an dem europäischen Verfahren partizipierten. Von den Regierungen wurden auch die nichtstaatlichen Organisationen primär über den im Jahr 2000 eingesetzten Runden Tisch in die Anfertigung des NAP/Inklusion eingebunden (siehe auch 8.2.2). Allerdings galt der Einfluss des Runden Tisches auf die Pläne auch hier gerade nach den Wahlen im Jahr 2001 als marginal (vgl. EAPN 2001). This is another point, which is connected to the OMC. It is a general assessment, another difference between the first and the second NAP. At the beginning of the first NAP, there was an interesting process to involve the national stakeholders. They were involved in debating the many issues of the NAP. In the second Action Plan, there was nothing. I mean just one meeting to present the guidelines and asking for written comments. [The social partners, die Verfasserin] refused to comment anything concerning the NAP because this was not a good system to be involved in the decisions. It was too late, it was without a real involvement, and it was just a way to declare to the Commission that they have some meetings but it was not a real participation. This was the big difference between the first and the second plan concerning the social partners. (I18)
Diese geringe Einbindung führte dazu, dass die NGOs die Pläne mehrheitlich negativ bewerteten bzw. die Sozialpartner ihre Mitarbeit einstellten (vgl. auch Ferrera/Sacchi 2005: 163). Für sie war der NAP/Inklusion ein Profilierungsbericht der Regierung gegenüber den europäischen Partnern. Die NGOs sowie die Sozialpartner waren demzufolge kaum an der Erstellung der NAP/Inklusion beteiligt. Allerdings partizipierte eine Vielzahl an Nichtregierungsorganisationen an dem Aktionsprogramm. Besonders die säkularen NGOs sahen in ihm eine Möglichkeit, das eigene Durchsetzungspotenzial im nationalen Feld – auch ge-
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genüber den kirchlichen Einrichtungen – zu erhöhen. Die beteiligten Organisationen gestalteten mithilfe des Programms eigene Projekte auf nationaler Ebene. Darüber hinaus nahmen sie an den Maßnahmen auf europäischer Ebene teil. Dies fand in der Regel ohne eine Zusammenarbeit mit der Regierung statt, die wichtigsten Partner waren vielmehr andere NGOs oder die lokalen Behörden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Regierung die NGOs und die Sozialpartner nur sehr sporadisch in die OMK/Inklusion einband. Eine aktiv genutzte Kommunikationsplattform in Form eines Runden Tisches konnte nicht institutionalisiert werden. Allerdings waren besonders die säkularen NGOs sehr aktiv an dem Aktionsprogramm beteiligt, von dem sie sich eine Stärkung der eigenen Kapazitäten erhofften.
8.2.4 Zwischenresümee: Fehlendes staatliches Interesse Die Organisation der OMK/Inklusion war auf staatlicher Seite geprägt von einer doppelten Differenzierung zwischen den nationalen Kompetenzträgern im Feld und den federführenden Akteuren der europäischen Prozesse. So war die Regierung bei den NAP/Inklusion und den damit verbundenen europäischen Debatten die zentrale Organisation, während die lokalen Ebenen und der nichtstaatliche Sektor, welche die entscheidenden nationalen Kompetenzen übernahmen, weitgehend außen vorblieben (1. Differenzierung). Aber auch innerhalb der Regierung waren mit der OMK/Inklusion gerade ab dem Jahr 2001 vor allem fachfremde einzelne Personen betraut, wohingegen das Sozialministerium maximal konsultiert wurde (2. Differenzierung). Ein Versuch der für die OMK/Inklusion verantwortlichen Beamten, eine Zusammenarbeit zu institutionalisieren, misslang. Auch die nichtstaatlichen Organisationen waren kaum an den Aktivitäten der Regierung zur OMK/Inklusion beteiligt. Dafür partizipierten gerade die NGOs und einzelne interessierte lokale Behörden durch das Aktionsprogramm – unabhängig von der Regierung – an dem Prozess. Sie nutzten die Fördergelder des Aktionsprogramms, um nationale wie transnationale Projekte zu starten und damit ihre Handlungsmöglichkeiten zu vergrößern und verbessern. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen kann festgehalten werden, dass der Governance-Ansatz des Verfahrens auf immanenten Problemen beruht, die in der bisherigen OMK-Debatte kaum beachtet wurden. Das Ziel der OMK/Inklusion bestand darin, möglichst viele Akteure am Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu beteiligen. Das italienische Feld scheint im Untersuchungszeitraum die besten Voraussetzungen für eine solche Form des Regierens zu bieten, denn die Kompetenzen waren auf viele, meist lokale oder nichtstaatliche Akteure und Organisationen verteilt. Allerdings wurde in meiner Studie deutlich, dass eine Einbindung
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all dieser potenziellen Beteiligten scheiterte. Trotz einiger Bemühungen durch die nationalen Beamten konnten keine Kommunikationsstrukturen aufgebaut werden. Demzufolge kann der Governance-Ansatz der OMK nur funktionieren, wenn an bestehende Kommunikationsstrukturen angeknüpft werden kann oder sämtliche Akteure und Organisationen den Willen zur Zusammenarbeit haben. Des Weiteren wurde auch offensichtlich, dass eine finanziell nicht geförderte Einbindung von möglichst vielen Akteuren und Organisationen an Grenzen stößt. So verfügten gerade die lokalen Behörden Süditaliens und die lokalen säkularen NGOs nur über begrenzte Ressourcen. Deshalb konnten sie sich eine Partizipation nur im geringen Maße erlauben, da sie ansonsten ihrer nationalen Zielsetzung nicht hätten nachkommen können.
8.3 Die Umsetzung des europäischen Verfahrens In der wissenschaftlichen Debatte und den politischen Dokumenten wird immer wieder auf die Bedeutung der EU für die italienische Politik verwiesen (vgl. Graziano 2004, Ferrera/Gualmini 2004, Quaglia 2004: 1106). Die europäischen Vorgaben und Strukturfonds hätten die nationalen Reformen gerade im Bereich des Arbeitsmarktes und des Staatshaushaltes maßgeblich geprägt. Gleichwohl zeigen einige Studien auch, dass der Einfluss der EU auf die italienische Politik vom Willen der jeweiligen Regierung abhängig und nicht immer von Erfolg gekrönt war (vgl. Radaelli/Franchino 2004: 944-949, Bull/Bauder 2004). Ferner arbeiteten Della Porta und Caiani (2007: 2) heraus, dass die politische Spitze weit weniger europaenthusiastisch war, als lange Zeit angenommen wurde. Im Einklang damit ergab meiner bisherige Analyse, dass die OMK/Inklusion gerade in der Berlusconi-Regierung nur einen geringen Stellenwert hatte. Durchgeführt wurde sie unter dieser Regierung größtenteils von einigen wenigen fachfremden Beamten und externen Beratern. In diesem Abschnitt werden nun die Auswirkungen der OMK/Inklusion in Italien untersucht. Aufbauend auf meinen bisherigen Ergebnissen wird nachgewiesen, dass der Prozess auf staatlicher Ebene nicht sein Potenzial entfalten konnte. Von der Mitte-links-Regierung war die OMK/ Inklusion noch als europäische Hilfestellung bei den Reformen des nationalen Sozialstaates verstanden worden, allerdings konnte sie ihr Angebot nicht mehr nutzen. Dagegen wurde das Verfahren von der Mitte-rechts-Regierung als ein marginaler Prozess gewertet, der nur dazu diente, die eigenen Reformpläne zu legitimieren, sich auf europäischer Ebene zu präsentieren, ohne dass tatsächlich Maßnahmen eingeleitet wurden. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass gerade säkulare NGOs und einige lokale Behörden von dem Aktionsprogramm profitieren konnten. Im vorangegangenen Abschnitt deutete sich bereits an, dass der
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nichtstaatliche Sektor und die lokalen Ebenen offen gegenüber dem europäischen Maßnahmen waren. Nachgewiesen wird nun, dass die an dem Aktionsprogramm beteiligten lokalen und nichtstaatlichen Organisationen die Maßnahmen nutzten, um ihr eigenes Handlungspotenzial zu stärken und eine neue Kommunikationsstruktur aufzubauen. Dafür wird zunächst auf die Ziele und die Indikatoren der OMK/Inklusion eingegangen (8.3.1) und herausgearbeitet, dass beide Instrumente mit großen Erwartungen verbunden waren. Allerdings nutzte die Mitte-rechts-Regierung die Ziele ausschließlich dafür, die eigenen Reformpläne zu legitimieren, wohingegen sie die Indikatoren als nicht anschlussfähig an den eigenen Handlungsansatz ablehnte. In einem weiteren Schritt wird auf die Erstellung des NAP/ Inklusion eingegangen (8.3.2) und dargelegt, dass diese trotz der politischen Ankündigungen und Konzepte keine Folgen für die staatlichen Debatten hatten. Anschließend werden die gegenseitigen Lernprozesse sowie die kritischen Analysen im Sozialschutzkomitee untersucht (8.3.3) und offengelegt, dass die Instrumente als nicht anschlussfähig an die feldspezifischen Strukturen galten. Weiter werden das Aktionsprogramm und einige ausgewählte Projekte daraus beleuchtet (8.3.5). Gezeigt wird, dass die Regierung das Aktionsprogramm vor allem nutzte, um ihr Verständnis von sozialer Eingliederung auf europäischer Ebene bekannt zu machen. Dafür nutzten zahlreiche NGOs das Programm, um die eigenen transnationalen und lokalen Netzwerke auszubauen und die eigene Handlungsfähigkeit auszubauen.
8.3.1 Strategische, einseitige Nutzung und fehlende Akzeptanz: Die Ziele und Indikatoren der OMK/Inklusion Ziele der OMK/Inklusion bieten den Regierungen die Möglichkeit, die eigenen Reformpläne kritisch zu reflektieren und auch die europäischen Vorgaben auszurichten. Zusätzlich verstärkt werden sollen die nationalen Reformbemühungen, indem sich die Regierungen selbst quantifizierbare Zielvorgaben setzen. Schließlich können die bisherigen Entwicklungen in einem Feld mithilfe der europäischen Indikatoren evaluiert und ggf. weitere Maßnahmen eingeleitet werden. Beide Instrumente und hierbei insbesondere die Indikatoren galten den sozial orientierten Beamten als besondere Chance für Italien. Sie hofften, mit ihrer Hilfe den in den 1990er Jahren eingeschlagen Reformweg weiterführen zu können. So hatten Ende der 1990er Jahre staatliche und nichtstaatliche Experten einen großen Bedarf an sozialpolitischen Indikatoren in Italien definiert, da die vorhandenen Statistiken nicht ausreichten, um die soziale Lage erfassen und analysieren zu können (vgl. Kazepov 1998). Da es mithilfe der Maastricht-
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kriterien geschafft worden war, die Staatsfinanzen zu evaluieren und dabei zu konsolidieren, wurden die Laeken-Indikatoren aber auch die Ziele von einigen an dem Prozess Beteiligten als eine Möglichkeit angesehen, den sozialpolitischen Debatten und Bemühungen neue Impulse zu geben. Yes, this was something that we wanted in the end of the 90s when the Lisbon process and the social inclusion process started. (...) If you believe in the process this is something that you need. The idea is that you have some indicator that guide your policy actions and this was one of the main problems for us, (...). (I12)
Allerdings wurden diese Erwartungen nicht erfüllt. Die Mitte-links-Regierung zeigte sich zwar interessiert an den Zielen und Indikatoren, jedoch muss offen bleiben, ob und wie sie sie genutzt hätte. Dagegen griff die Mitte-rechtsRegierung die Ziele nur auf, um die eigenen Reformpläne zu legitimieren, ohne jedoch tatsächlich eine Politik der sozialen Kohäsion im Sinne der europäischen Ziele anzustreben. Des Weiteren lehnte sie auf den Nationalstaat orientierte Indikatoren als nicht anschlussfähig an das eigene Feld ab. Zur Prüfung dieser Thesen wird zunächst die Nutzung der Ziele ab dem Jahr 2001 untersucht und anschließend auf die Implementierung der Indikatoren eingegangen. In dem Weißbuch der Mitte-rechts-Regierung wird darauf verwiesen, dass die Entwicklung gemeinsamer Ziele auf europäischer Ebene Teil seines geplanten neuen Regierungsansatzes ist (vgl. Ministero del Lavoro e delle Politiche Sociali 2003: 28, 37, 38). Gleichwohl ergaben meinen Interviews, dass die Regierung die europäischen Vorgaben in dem Weißbuch einseitig interpretierte und auf eine nationalspezifische Art und Weise auslegt. In Kapitel 5 wurde herausgearbeitet, dass die OMK/Inklusion auf inhaltlichen und organisatorischen Zielen beruhte (siehe 5.3.1 und 5.4). Nach Angaben meine Interviewpartner stand die Mitte-rechts-Regierung deren inhaltlicher Dimension kritisch gegenüber. Der universelle Ansatz galt als nicht anschlussfähig an die staatlichen Reformpläne, in deren Zentrum ausschließlich eine Stärkung der Familie nicht des Individuums, stand. Sie konzentrierte sich daher auf die organisatorischen Vorgaben. Dementsprechend kam die Regierung in dem Weißbuch zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen und noch weitere Dezentralisierungen notwendig sind, um den europäischen Prinzipien der vertikalen und horizontalen Subsidiarität zu genügen. In den NAP/Inklusion wurden die Vorgaben nur sehr allgemein aufgegriffen. Auch verzichteten die federführenden Beamten auf eine quantifizierte Zielsetzung, wie sie vom SPC gefordert wurde. Beispielsweise wurden im zweiten NAP/Inklusion einzig die Vorgaben der EBS quantifiziert, was auch von der Kommission kritisiert wurde (vgl. EAPN 2001, Europäische Kommission 2004: 42). Begründet wurde dies in meinen Interviews mit dem Hinweis, dass eine Umsetzung nicht gewährleistet werden könne.
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Die Ziele wurden demnach dann in dem Weißbuch aufgegriffen, wenn sie die Argumentation der Regierung unterstützten. Dagegen wurden die Indikatoren primär in den NAP/Inklusion genutzt, um die eigene Situation so positiv wie möglich darzustellen. Für die politischen Diskussionen und Maßnahmen im Feld galten sie als irrelevant. Dies lag daran, dass sie in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt waren und damit im Gegensatz zu den Maastrichtkriterien keinen öffentlichen Druck erzeugten. So everyone in Italy was speaking about the deficit of 3%, the debt of 60%. Thus, there was a general interest in these indicators because it was very important in order to enter the Euro area. However, this leading role in the social inclusion process was not there. (I12)
Auch war eine Zentralisierung der sozialpolitischen Indikatoren aus Sicht der Mitte-rechts-Regierung weder möglich noch sinnvoll. Dadurch würde der Staat in politischen Bereichen die Verantwortung übernehmen, in denen er keine Kompetenzen hatte. Vielmehr hielt sie die lokalen Behörden an eigene Indikatoren zu entwickeln, um die Situation in ihrer Gegend abzubilden. Nicht nur die Regierung, sondern auch die an der OMK/Inklusion beteiligten Beamten selbst standen diesem Handlungsansatz kritisch gegenüber und verwiesen auch seine Grenzen. Maybe we believe that indicator could play the main role in changing the policymaking at national level. I think that was a mistake in the sense that it is clear that it is not the same with the Maastricht process. Even because it is not clear what is the relation between the indicators and the policy. In a sense that you can have some policy that make lives much better for people but in terms of combating poverty and social exclusion it has no effect on the indicators. Then there is also a problem of the governments that they are sanctioned for something that they do not really control. (I12)
Die Laeken-Indikatoren könnten politischen Entwicklungen nicht in ihrer ganzen Mehrdimensionalität erfassen und seien deshalb für politische Einschätzungen nur bedingt geeignet. Innerhalb der Regierung wurden die Indikatoren daher nur von dem federführenden Beamten in der Verwaltung genutzt, der damit sein eigenes statistisches Wissen verbesserte, kaum aber mit den sozialpolitischen Beamten zusammenarbeitete. Sowohl die Ziele als auch die Indikatoren galten bei ihrer Einführung als Hoffnungsträger für die sozial ausgerichteten Akteure. Allerdings konnten sie von der Mitte-links-Regierung nicht mehr nachhaltig implementiert werden. Auch muss offen bleiben, ob sich jene im Feld hätte durchsetzen können. Dagegen nutzte die Mitte-rechts-Regierung beide Instrumente nur dann, wenn sie den eigenen Plänen dienlich waren, ohne dabei das eigene Handeln zu reflektieren oder tatsächliche Maßnahmen zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung auf nationaler Ebene einzuführen. Die organisatorischen Vorgaben vonseiten der EU
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wurden demnach ab dem Jahr 2001 so interpretiert, dass sie dem Ziel der Mitterechts-Regierung dienlich waren. Ansonsten fanden sie in der Regierung kaum Beachtung. Denn jene stand dem Instrument der Zielsetzung skeptisch gegenüber, da sie sie als eine zentralisierende Vorgabe ablehnte. Auch die Indikatoren hatten lediglich einen Einfluss auf einzelne Beamte. Von den entscheidenden Stellen in dem Ministerium wurden sie aus drei unterschiedlichen Gründen nicht aufgegriffen. Erstens waren sie in der Bevölkerung kaum bekannt und konnten im Gegensatz zu den Maastrichtkriterien keinen öffentlichen Handlungsdruck erzeugen. Zweitens wurden sie als ein Angriff auf die föderale Struktur angesehen. Drittens galten sie nur bedingt aussagekräftig. Primäres Ziel der Verwaltung war daher, mit dem Instrument auf europäischer Ebene gut dazu stehen, ohne die Daten für die nationale Arbeit zu nutzen.
8.3.2 Fehlendes Konzept und mangelndes Interesse: Die Nutzung der Aktionspläne Italien ist der einzige der drei hier untersuchten Staaten, dessen Regierung plante, die Aktionspläne als nationale Regierungsmittel zu nutzen. Sowohl die Mittelinks-Regierung als auch die Mitte-rechts-Regierung entwickelten Konzepte, wie mithilfe von lokalen und nationalen Plänen, die Arbeit der jeweiligen Ebene zielgerichteter wird und gleichzeitig die Maßnahmen und Vorhaben der einzelnen Ebenen besser miteinander koordiniert werden. Ferner war in beiden Reformplänen vorgesehen, die europäische Ebene einzubeziehen. Der erste NAP/Inklusion, der noch unter der Mitte-links-Regierung erstellt wurde, galt als Teil dieses neu einzuführenden Regierungsansatzes und war daher auch sehr ambitioniert (vgl. EAPN 2001). Auch wenn er sich hauptsächlich auf das Gesetz 328/2000 bezog und kaum weitere geplante Maßnahmen eingeführt wurden, war es doch das erste Mal, dass eine Regierung ernsthaft versuchte, die nationale Situation zu analysieren und ein Lösungskonzept darzulegen. The first one was an attempt to follow a multidisciplinary approach and to strengthen the integration between different issues and measures and policies. It was the first attempt for Italy and it also based on some interesting new experiences in the legal framework. I mean national law concerning the social inclusion policies. (I18)
Allerdings wurden sowohl diese Form der Berichterstattung nach dem Regierungswechsel nicht weiter verfolgt, weshalb offen bleiben muss, ob dieser Ansatz Erfolg gehabt hätte. Gemäß dem Weißbuch wollte die Mitte-rechtsRegierung ein Aktionsplan auf vier Ebenen einführen. So sollten in den nationalen Aktionspläne die regionalen Entwicklungen von der Regierung und den Re-
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gionen zusammengefasst und evaluiert werden. Darauf aufbauend sollten auf regionaler und kommunaler Ebene Pläne erstellt werden, wie dort zusammen mit den Sozialpartnern soziale Ausgrenzung kämpft werden soll (vgl. Ministero del Lavoro e delle Politiche Sociali 2003: 38). Die NAP/Inklusion sollten somit gemäß einer öffentlichen Verlautbarung zu einem Teil eines nationalen Monitoringprozesses werden. Meine Ergebnisse zeigen jedoch im Folgenden, dass es sich hierbei um ein theoretisches Vorhaben handelt, das mit der tatsächlichen Umsetzung der NAP/Inklusion nur bedingt übereinstimmt. Vielmehr wurden die Aktionspläne von einzelnen Beamten ohne Bezug zu den staatlichen Debatten erstellt. Zur Erläuterung dieser These werden zunächst die Erfahrungen der federführenden Beamten bei der Erstellung der NAP/Inklusion dargelegt. Anschließend wird untersucht, wie die nationalen Kompetenzträger in die Pläne eingebunden waren. Erstellt wurden sämtliche NAP/Inklusion von einigen wenigen Beamten im Arbeitsministerium, während sich andere Ministerien, die lokalen Ebenen oder die NGOs kaum an ihrer Erstellung beteiligten trotz diverser Vorstöße vonseiten der federführenden Beamten in diese Richtung (siehe Abbildung 13). Von den unmittelbar involvierten Beamten wurden die NAP/Inklusion zunächst als eine Chance wahrgenommen, dem Thema der sozialen Eingliederung auf nationaler Ebene mehr Gewicht zu verleihen. Sie hofften, mithilfe der NAP/Inklusion Reformen im Bereich der sozialen Eingliederung anregen zu können. Auch sahen sie in dem Instrument die strategische Möglichkeit, die Beamten aus den verschiedenen Ministerien an einen Tisch zu versammeln. Die NAP sind eine gute Sache, weil sie der Regierung Vorschriften machen können. (...) Wir in Italien haben tausende von Stellen in verschiedene Ministerien und jede Stelle kümmert sich um einen Teil des Ganzen. Auch die soziale Integration ist zerteilt in tausend Ämter und sie haben keine Chance sich auszutauschen. Die NAP sind ein guter Anlass, belastend, aber eine gute Sache. (I13, Übersetzung durch die Verfasserin)
Die engagierten Mitarbeiter des Arbeitsministeriums stießen jedoch gerade ab dem Jahr 2001 mit ihren Plänen sowohl in der Regierung als auch im Feld auf strukturelle wie inhaltliche Widerstände. Nach der Gründung des Sozialministeriums und den damit einhergehenden Veränderungen im Arbeitsministerium verfügten die federführenden Beamten über keine sozialpolitischen Kompetenzen mehr und waren kaum in die sozialpolitischen Planungen eingebunden. Dies führte dazu, dass sie nur geringe Anknüpfungspunkte an bestehende Diskussionen hatten, auf deren Basis sie in Abstimmung mit anderen ihre Pläne hätten entwickeln können. Umgekehrt waren die entscheidenden Kompetenzträger der Administration nicht an Erstellung der Aktionspläne beteiligt, weshalb der Prozess dort weitgehend unbekannt war.
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It is not known in parts of Italy, it is not known in some ministers of the national government, it is only known by the people who wrote the NAP. This is true, because when you go into the field and you ask the people, they do not know anything. The practitioners who are responsible for the policies, in many cases they do not know anything about the NAP. This makes the NAP only mandatory obligation documents that the state should write to the Commission. (EU15)
Daneben verhinderte die regionalisierte Struktur des Feldes nach Angaben von Kommissionsbeamten und den federführenden Beamten in meinen Gesprächen die Entwicklung eines durchsetzungsstarken Konzeptes. Denn die Regierung hatte in vielen Bereichen keine Kompetenzen und konnte den Regionen keine Vorgaben machen, weshalb die Beamten keinen Sinn darin sahen, hier einen nationalen Plan zu erstellen. Schließlich wurde auch von den engagierten Mitarbeitern des Arbeitsministeriums nicht bei allen Zielen der OMK/Inklusion ein Handlungsbedarf gesehen. So bestehe keine Notwendigkeit, einen gesamtgesellschaftlichen Dialog anzuregen, da dieses Ziel (Mobilisierung aller Akteure) bereits erreicht sei, vielmehr könnten andere Staaten hier von Italien lernen. Oft haben wir erweiterte Runden Tische, so auch für die NAP/Inklusion, an welchen die Gemeinden und die Provinzen teilnehmen, denn Italien ist besonders zerteilt in lokalen Ämter und kommunale Ämter. Wir haben festgestellt, dass dieses System sich auszahlt: ich [Beamtin im Arbeitsministerium, die Verfasserin] habe auch an den Peer-Review Seminaren der Europäischen Kommission teilgenommen und da haben wir gemerkt, dass der Wohlfahrtsstaat am besten funktioniert, wenn eine offene Koordination mit lokalen Institutionen besteht. In diesem Punkt sind wir in Italien schon ziemlich weit, denn unsere politische Struktur zwingt uns dazu. Jedes Mal, wenn wir eine Aktion starten wollen, haben wir Tische an denen sich die Betroffene, die lokalen Ämter, die NGOs versammeln: Diese Methode ist innovativ für andere Länder, für uns gehört sie zur Gewohnheit, mit all ihren Vor- und Nachteilen. (I13, Übersetzung durch die Verfasserin)
Die Wertschätzung des eigenen föderalen Staates war somit so fest institutionalisiert, dass sie trotz der Kritik durch die Gemeinsamen Berichte von den Mitarbeitern am NAP/Inklusion nicht in Frage gestellt wurde. Dieser Form der Umsetzung resultierte darin, dass die NAP/Inklusion der Mitte-rechts-Regierung ohne Folgen für die nationalen Debatten blieben und sie die nichtstaatlichen Akteure und die Kommission gerade im Vergleich zu dem Aktionsplan der Vorgängerregierung als unzureichend bewerteten. Denn in den Aktionsplänen, die unter der Mitte-rechts-Regierung entstanden, wurden weder nationale Konzepte erarbeitet noch ernsthaft geplante Maßnahmen vorgestellt (vgl. EAPN 2003: 10f). Vielmehr wurde aufgrund der bereits erläuterten Gründe keine der in diesen NAP/Inklusion angekündigten Reformen umgesetzt. The NAP has always been a more bureaucratic obligation than a real planning instrument for the government. NAP Inclusion is a bureaucratic exercise of compiling data and facts in a way that Italy looks good (I19)
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Die OMK/Inklusion in Italien
Der Bericht war eine bürokratische Übung, mit der sich die Regierung auf europäischer Ebene präsentierte und das eigene Handeln positiv darstellen wollte. Auch fällt bei einer Analyse des Weißbuchs auf, dass in dem Dokument ein polyzentrischer Governance-Ansatz definiert wird, der zwar auf den Bereich der sozialen Kohäsion bezogen ist, jedoch auch Elemente der Europäischen Beschäftigungsstrategie hat bzw. auf Erfahrungen mit der EBS verweist (vgl. Ministero del Lavoro e delle Politiche Sociali 2003: 28, 29). Dies kann als ein Indikator dafür gelten, dass auch die Verfasser des Weißbuches die OMK/Inklusion und ihre NAP/Inklusion nur begrenzt kannten und das nationale Modell vor allem auf der Basis ihrer Erfahrungen mit der EBS entwickelten.
K o m m i s s io n
K a b in e t t
NAP
B e a m te n d e r D i r e z io n e G e n e r a le p e r l ’I m p ie g o , l ’o r ie n ta m e n t o e la F o r m a z io n e A d h o c T re ffe n , w e n n ü b e rh a u p t
NGOs
M in is t e r o d e l la v o r o e d e ll e s o c ia l i
L o k a le n B e h ö r d e n u n d a n d e r e M i n is t e r ie n
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 12: Erstellung der Nationalen Aktionspläne in Italien
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Trotz der Ankündigungen im Weißbuch war der NAP/Inklusion im nationalen Feld unbedeutend, da Verantwortung für die Aktionspläne von den Kompetenzen im Feld getrennt wurde und die Entwicklung einer politisch bedeutsamen nationalen Strategie eher zweitrangig für die Berlusconi-Regierung war. Vielmehr wurden die Aktionspläne als ein Instrument wahrgenommen, um die eigene Politik auf europäischer Ebene in einem positiven Licht zu präsentieren.
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8.3.3 Weder gegenseitiges Lernen noch informeller Handlungsdruck: Benchmarking auf europäischer Ebene Die OMK/Inklusion macht nicht nur Vorgaben. Mithilfe der Gemeinsamen Berichte, der Peer-Review-Verfahren und der Bewährter Praxisbeispiele wurde so Behning (2004, 2006) erstmals ein transnationaler Informationsaustausch auf europäischer Ebene über sozialpolitische Fragen institutionalisiert. Durch diese Diskussionen und wechselseitigen Analysen kann ein Lernen der Systeme vonund miteinander vereinfacht und verstärkt werden – Lernmöglichkeiten, die auch von dem italienischen Weißbuch genannt und positiv hervorgehoben werden (vgl. Ministero del Lavoro e delle Politiche Sociali 2003: 28f). Ferner betonen gerade Jacobsson (2004a) und Zeitlin (2005a), dass durch diesen Austausch ein informeller Handlungsdruck entstehen kann, denn keiner der Akteure und Organisationen lässt sich gerne in den europäischen Gremien bzw. in öffentlichen Debatten kritisieren. Nachdem der schon mehrfach erwähnte Regierungswechsel bereits im Herbst 2001 stattfand, hatte die Mitte-links-Regierung kaum oder nur im begrenzten Maß die Möglichkeit, an den Instrumenten zu partizipieren. Daher muss offen bleiben, ob sie deren Impulse aufgegriffen hätte. In diesen Abschnitt wird dennoch gezeigt, dass unter der Mitte-rechts-Regierung weder transnationale Lernprozesse stattfanden, noch ein informeller Handlungsdruck festgestellt werden kann. Vielmehr wird deutlich, dass die Instrumente als marginale, unangenehme wie nutzlose Pflichterfüllungen wahrgenommen wurden. Dafür werden zunächst die Gemeinsamen Berichte, dann die Peer-Review-Verfahren und schließlich die bewährten Praxisbeispiele untersucht. Die Darstellung Italiens in den Gemeinsamen Berichten wurde besonders in den bilateralen Gesprächen zwischen einer italienischen Delegation und der Kommission geklärt. Für die Regierung waren die bei den Aktionsplänen federführenden Mitarbeiter beteiligt. Daneben nahmen auch einige Regionen und Sozialpartner an den Treffen teil. We [Beamte der Kommission, die Verfasserin] have a meeting with the ministry and of course with representatives from the regions, from social partners (...). The civil society organisations were less there (...). The social partners are the main trade unions and the employers’ associations. (EU14)
Die Beamten des Arbeitsministeriums sahen in dem Austausch eine Chance, den Standpunkt der Kommission kennen zu lernen, da sie ansonsten weitgehend aus den europäischen Debatten im SPC ausgeschlossen waren. Sie zeigten sich daher gegenüber der Kommission sehr interessiert an deren Sichtweise auf den italienischen Sozialstaat. Gleichwohl richteten die Beamten ihre Aufmerksamkeit bei den Gesprächen darauf, italienische Besonderheiten zu erklären und für eine gute
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Darstellung des eigenen Landes in den europäischen Dokumenten zu sorgen. Denn die Gemeinsamen Berichte wurden von ihnen und der politischen Führung als eine Möglichkeit gesehen, die eigene Politik auf europäischer Ebene in einem positiven Licht zu präsentieren. Für die nationalen Debatten waren sie dagegen ohne Bedeutung. Auch an dem Peer-Review-Verfahren nahmen für Italien die Federführenden der Aktionspläne teil. Allerdings empfanden sie das Verfahren vor allem als lästige Pflicht. Denn sie mussten sich bei den Analyseprozessen von den anderen Staaten kritische Fragen zur italienischen Sozialpolitik gefallen lassen, gleichzeitig konnten sie auf nationaler Ebene an den Sachverhalten wenig ändern. Eine wirkliche Reflexion der nationalen Situation und auch von eigenen Versäumnissen fand nicht statt, da alle Probleme und Misserfolge den (nicht anwesenden) politisch Verantwortlichen angelastet wurden. Die italienischen Beamten bewerteten das Verfahren demzufolge mehrheitlich als unangenehm und wirkungslos, da die national Verantwortlichen nicht an den Reviews beteiligt waren. Die bewährten Praxisbeispiele, die im NAP/Inklusion oder im Gemeinsamen Bericht genannt wurden, stellten meist lokale Projekte zum Thema Familie vor (z. B. Europäische Kommission 2004: 89). Das Instrument hatte für meine Interviewpartner keine große Bedeutung. Da die Sozialpolitik vor allem auf regionaler Ebene umsetzt wurde, sahen die beteiligten Beamten in einem solchen transnationalen Austausch wenig Nutzen für das italienische Feld. Vielmehr würden sich die national entscheidenden Akteure auf ein transregionales Lernen konzentrieren. In diesem Zusammenhang sahen meine Interviewpartner Italien auch als Vorreiter, von dem auch andere Staaten lernen könnten. Denn zwischen den Regionen bestehe schon seit langem ein sehr fruchtbarer Austausch. Auch dieses System der Peer-Reviews war in Italien schon vorhanden, (...). Es hat eine lange Tradition zu schauen, was die Regionen machen und die guten Erfahrungen werden dann auch in anderen Regionen aufgegriffen. Die Regierung sagte: Wenn die Emilia – Romagna eine gute Lösung für die Kinderkrippen gefunden hat, möchten wir, dass ihr darüber nachdenkt, ob das auch eine gute Lösung für die andere Regionen sein könnte. Eine gute Wohlfahrtspraxis ist immer etwas lokales, selbst wenn man sich immer ein wenig auf die mangelnde italienische Organisation verlassen muss. (I13, Übersetzung die Verfasserin)
Eine Notwendigkeit für einen Austausch an bewährten Praxisbeispielen wurde demzufolge vor allem auf regionaler Ebene gesehen. An einen transnationalen Austausch bestand wenig Interesse. Nach diesen Ergebnissen müssen die eingangs vorgestellten Annahmen für Italien zumindest ab dem Jahr 2001 relativiert werden. Es wurde deutlich, dass Italien entgegen der eigenen Ausführungen im Weißbuch weder die bewährten Praxisbeispiele noch die Ergebnisse der europäischen Benchmarking Prozesse oder der Peer-Review-Verfahren aufgriff, um von anderen zu lernen oder die
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eigene Situation zu hinterfragen. Vielmehr wurden diese drei Instrumente vor allem genutzt, um Italien auf europäischer Ebene in einem möglichst guten Licht darzustellen, bzw. sie galten als lästige Pflichterfüllung. Verstärkt wurde diese einseitige Nutzung durch den Umstand, dass die beteiligten Beamten zwar auf individueller Ebene an einem Austausch mit der Kommission interessiert waren, gleichwohl hatten sie keine sozialpolitischen Kompetenzen im nationalen Feld bzw. waren nur bedingt in die nationalen Prozesse eingebunden.
8.3.4 Nutzung des Aktionsprogramms durch den nichtstaatlichen Sektor Mit dem Aktionsprogramm sollten sowohl nichtstaatliche als auch staatliche Kräfte im Kampf gegen soziale Ausgrenzung unterstützt werden. Viele italienischen NGOs waren nach eigenen Angaben und nach Einschätzung der Kommission stark an dem Programm interessiert. The NGOs are interested in the action program that comes from the same institutional problem as the government’s and regions´ lack of coordination (...) (EU14)
Sie sahen darin eine Chance, die eigenen Kapazitäten zu verbessern. Im Folgenden wird daher nachgewiesen, dass sie mithilfe des Programms ihre Arbeit effizienter gestalten und Kontakte zu anderen NGOs und den lokalen Behörden aufbauen konnten. Vonseiten der Kompetenzträger in der nationalen Verwaltung herrschte dagegen kaum ein Interesse an den Maßnahmen. Sie verzichteten entweder auf eine Teilnahme oder sahen in den Maßnahmen eine Chance, auf europäischer Ebene ein Agenda Setting zu betreiben. Da das Programm erst im Jahr 2002 startete beziehen sich die folgenden Ausführungen ausschließlich auf die Mitte-Rechts-Regierung. Es werden exemplarisch drei Bereiche des Aktionsprogramms beleuchtet: Mit den transnationalen Projekten und Sensibilisierungsmaßnahmen (1) sowie der Einbindung in die europäischen Netzwerke (2) wird die Nutzung des Programms durch viele NGOs und einiger lokalen Behörden untersucht. Anschließend werden die Runden Tische und ein Peer-ReviewVerfahren (3) vorgestellt, wobei die Haltung der Regierung analysiert wird. Im Rahmen des Programms wurden sowohl transnationale Lernprojekte als auch nationale Sensibilisierungsprojekte gefördert. Mit den transnationalen Projekten sollte ein länderübergreifender Austausch zwischen den NGOs angeregt werden. Eine Vielzahl an italienischen NGOs bemühte sich hierbei um die Finanzierung von eigenen Projektideen. Denn sie sahen darin eine Möglichkeit, von NGOs aus anderen Staaten zu lernen und so die eigenen Fähigkeiten auszu-
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bauen. Beispielsweise wirkte der collegamento italiano di lotta alla povertà67 (CILAP), ein Netzwerk, in dem verschiedene NGOs zusammengeschlossen sind (siehe auch nächster Abschnitt), an einem transnationalen Lernprojekt zum Thema Indikatoren mit. Dabei wurde nach Angaben von Beteiligten das eigene Wissen über das Instrument vergrößert. Sie lernten, wie Indikatoren wirkungsvoll eingesetzt werden, um die eigene Arbeit und die der Regierung nachhaltig evaluieren zu können. Die neu gewonnenen Erkenntnisse versuchten sie später, an die anderen Mitglieder von CILAP zu vermitteln. Darüber hinaus konnten im Zuge des Projektes Kontakte zur Verwaltung auf nationaler Ebene geknüpft werden. Angeregt wurde ein Austausch zwischen den staatlichen wie nichtstaatlichen Indikatorenexperten. Offen blieb allerdings, ob die neu gewonnenen transnationalen bzw. nationalen Kontakte institutionalisiert und ausgebaut werden konnten. Die Sensibilisierungsprojekte ist dazu gedacht, das Thema sowie die OMK/Inklusion in den Staaten bekannter zu machen. In Italien fand ein Zusammenschluss von mehreren lokal organisierten NGOs und Behörden statt, die im Rahmen eines solchen Projektes das Thema analysieren wollten. In these days they are closing the program to hold 15 meeting in Italian cities to promote the strategy to fight the poverty involving more municipalities than the national government. (I19)
Hierbei entwickelten sich nach Angaben von Beteiligten interessante Diskussionen zwischen den lokalen Behörden und den NGOs. Allerdings konnte die Öffentlichkeit nur bedingt erreicht werden. Offen blieb auch, ob diese Kontakte institutionalisiert werden konnten. Die italienischen NGOs galten innerhalb der Kommission zusammen mit ihren regionalen Partnern sowohl bei den transnationalen wie auch den Sensibilisierungsprojekten als eifrige und erfolgreiche Antragsteller. Von Vorteil war nach Einschätzung von Kommissionsmitarbeitern für sie dabei, dass sie bereits zuvor durch die Strukturfonds Fördermittel von der Gemeinschaft erhalten hatten (vgl. auch Zerbinati 2004: 1006-1016). My impression is that it is a little bit linked to the local capacity, which the regional levels have developed through the managing of European structural funds. (...). So (...) one of the reason why they address our program is to get money, it is clear. (EU15)
Durch die Erfahrungen mit diesen Fonds wussten sie, dass eine Förderung bestand und wie sie eine Bewerbung erfolgsversprechend gestalteten. Viele italienische NGOs und die lokalen Stellen waren somit gegenüber der europäischen Ebene, auch aufgrund von früheren Erfahrungen, besonders aufgeschlossen. 67
Italienisches Netzwerk im Kampf gegen Armut.
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Auf Basis der durch das Aktionsprogramm geförderten europäischen Netzwerke sollte eine transnationale nichtstaatliche Vernetzung institutionalisiert werden. In Italien waren die nichtstaatlichen Organisationen vor allem über collegamento italiano di lotta alla povertà in diese europäischen Kommunikationsstrukturen eingebunden. CILAP war im Jahr 1992 als italienischer Ableger des European Anti-Poverty Network gegründet worden. Das Netzwerk war nach eigener Darstellung ein Zusammenschluss von lokalen NGOs im Zentrum und Süden des Landes. In seinem Vorstand arbeiteten ehrenamtlich einige Mitarbeiter der größeren Mitgliedsorganisationen; es gab keine Festangestellten. Entscheidend für die thematischen Diskussionen innerhalb CILAP waren daher auch die Interessen der engagierten Mitglieder. Gerade die aktiv in dem Netzwerk beteiligten Akteure und Organisationen partizipierten nach eigenen Angaben durch diese Verbindung regelmäßig und lebhaft an den Diskussionen auf europäischer Ebene, wodurch sie ihr Wissen über die EU und die anderen beteiligten Staaten vergrößern konnten. EAPN sorgte somit in Italien für eine Vernetzung der nichtstaatlichen Debatten (vgl. EAPN 2003). Allerdings stießen gerade die lokalen NGOs hierbei an ihre Kapazitätsgrenzen. There is a certain weakness of civil society organisations in general apart from the biggest trade unions which are extremely well coordinated (...), but grass root organisations in Italy are excluded from social government because they are too small. (EU14)
Da sie lediglich über eine begrenze Zahl an Mitarbeitern verfügten, konnten sie teilweise die Ergebnisse nur bedingt aufnehmen und umsetzen. Neben den europäischen Beziehungen und Projekten versuchte das Netzwerk von Beginn an dazu beizutragen, nationale wie regionale Kontakte zwischen den Behörden und den NGOs zu knüpfen. Auch auf nationaler Ebene haben wir als CILAP durch das Programm, die Möglichkeit gehabt, interessante Projekte durchzuführen. (I16, Übersetzung durch die Verfasserin)
Aufgrund der großen nationalen Herausforderungen, aber auch wegen der angesprochenen Kapazitätsprobleme wurde dieser Handlungsstrang innerhalb von CILAP in jüngster Zeit schrittweise verstärkt. Die europäischen Beziehungen traten gegenüber nationalen wie lokalen Projekten und Debatten in den Hintergrund. Dabei kamen sich die katholischen und laizistischen NGOs näher. Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit wurden gegenseitige Vorurteile abgebaut und eine gemeinsame Sprache gefunden. Ihre Ziele und Interessen waren nach Aussagen der Befragten nicht mehr derart divergent wie noch vor Jahren. CILAP war somit ein wichtiger Knotenpunkt auf vertikaler und horizontaler Kommunikationsebene im nichtstaatlichen Sektor.
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Die OMK/Inklusion in Italien
Die Regierung nahm an dem Instrument nur zögerlich teil. Die zwei Projekte, die von ihr ausgerichtet wurden, verwandte sie darauf, die italienischen Leitbilder auf europäischer Ebene zu präsentieren. So richtete Italien ein Peer-Review aus, bei dem es um eine Analyse von präventiven Maßnahmen gegen Risiken der sozialen Ausgrenzung von Familien ging. Diese Themenwahl zeigte noch einmal deutlich, wie fest verankert das Leitbild der Familie als entscheidende gesellschaftliche Stütze auch unter Sozialpolitikern war. An den Peer-Reviews anderer Staaten nahm die Mitte-rechts-Regierung nur sehr zögerlich teil. Daneben organisierte die Regierung im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaften im Herbst 2003 einen Runden Tisch in Turin. Auch hier lautete das Thema ‚Familie als sozialer Schutz’. Der Runde Tisch war auf europäischer Ebene umstritten. Viele teilnehmende NGOs verurteilten die von der Regierung gewählte thematische Ausrichtung als einseitig. Die italienische Regierung habe die patriarchale Ernährerfamilie als einzigen moralisch akzeptablen Sozialschutz dargestellt. Ja, also unter der italienischen Präsidentschaft war es so, dass ihr ganzes Programm auf Familie ausgerichtet war, deren Steckenpferd war: Wir wollen die traditionelle Familie als Lösung für soziale Eingliederung, und das hat man dann auch gesehen, da war dann die Marge, über das Programm zu diskutieren, sehr schmal, wohingegen die Briten nun sehr viel offener waren. (EU18)
Auch die Kommission stand den inhaltlichen Vorgaben der Ratspräsidentschaft skeptisch gegenüber. In den Augen der beteiligten Kommissionsbeamten waren diese nur bedingt anschlussfähig an die Diskussionen auf europäischer Ebene. Die Umsetzung des Aktionsprogramms zeigte, dass die NGOs die Projekte und Maßnahmen nutzten, um ihre Handlungskapazitäten zu steigern bzw. zu verbessern. Auch konnten sie mithilfe des Programms ihre Kontakte zu anderen NGOs und den lokalen Stellen ausbauen. Im Einklang mit den Ergebnissen von de la Porte (2005) kann festgehalten werden, dass die OMK/Inklusion über das Potenzial verfügte, den nichtstaatlichen Sektor zu stärken. Gleichzeitig wurden jedoch auch die Grenzen deutlich: So hingen die Projekte maßgeblich von den Kapazitäten der jeweiligen NGOs bzw. der lokalen Behörden ab. Gerade kleine NGOs konnten die Möglichkeiten oft nicht voll nutzen, da ihnen die Ressourcen fehlten. Weiter waren die Initiativen Einzelmaßnahmen, die nicht miteinander koordiniert waren. Es mangelte an flächendeckenden Kommunikationsstrukturen, auf die man aufbauen konnte. Des Weiteren konnten wegen dem begrenzten Interesse der Regierung nur einzelne Kontakte zwischen Regierungsbeamten und dem nichtstaatlichen Sektor aufgebaut werden. Schließlich wurde bei der Analyse des staatlichen Handelns noch einmal deutlich, dass die Regierung nur ein begrenztes Interesse an der OMK/Inklusion hatte bzw. dass sie ihren Gestaltungsspielraum für ein Propagieren der eigenen Leitbilder nutzte.
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8.3.5 Zwischenresümee: Zwischen Legitimation und tatsächlichem Handeln Auch in Italien zeigte sich, dass zwischen dem staatlichen und dem nichtstaatlichen Bereich differenziert werden muss. Die kognitiven, regulativen und strategischen Wirkungsmechanismen, wie sie u. a. von Jacobsson (2004a) und Zeitlin (2005a) angenommen wurden, riefen im italienischen Feld auf staatlicher Ebene entgegen der öffentlichen Verlautbarungen vonseiten der Regierung keine Reaktionen hervor. Weder kam es zu einem Wandel der Leitbilder noch zu einer Modifizierung des Handlungsansatzes. Auch wurden die Impulse der OMK/ Inklusion nicht für den Ausbau von regierungsinternen oder vertikalen und horizontalen Kommunikationsstrukturen im Feld verwendet. Vielmehr nutzte gerade die Mitte-rechts-Regierung das Verfahren strategisch, indem es zur Legitimation der eigenen nicht-verwirklichten Reformpläne auf die Ziele und Instrumente des Prozesses verwies. Einer erfolgreichen Umsetzung des Verfahrens standen damit auch in Italien institutionelle Barrieren im Weg. So waren die nationalen Experten insbesondere ab dem Jahr 2001 nur begrenzt an dem Verfahren beteiligt, während die federführenden Beamten und Delegierten nur bedingt in die sozialpolitischen, regierungsinternen Diskussionen eingebunden waren. Weiter lehnte die politische Spitze der Berlusconi-Regierung viele Instrumente des Verfahrens ab, da sie in ihren Augen auf einen zentralistischen Staat ausgerichtet waren und damit als nicht anschlussfähig an das dezentrale Sozialsystem Italiens mit seiner Fokussierung auf eine Familienpolitik galten. In Italien bestand somit die Tendenz, an den institutionalisierten Leitbildern und Strukturen festzuhalten und die OMK/Inklusion als unpassende Vorgabe abzulehnen. Dagegen konnte das Aktionsprogramm durchaus Impulse in die Arbeit und Kommunikationsstrukturen des nichtstaatlichen Sektors und teilweise der lokalen Behörden setzen. Nach meinen Ergebnissen beeinflusste die OMK/Inklusion zwar kaum die Leitbilder der beteiligten NGOs und lokalen Behörden. Wohl aber nutzten sie die Projekte des Programms, um die eigenen Handlungsfähigkeiten zu verbessern und dadurch effizienter zu arbeiten. Möglich wurde diese Einflussnahme dadurch, dass die nationalen Rahmenbedingungen die Impulse der OMK/Inklusion hier unterstützten. So werteten die NGOs und lokalen Behörden die Möglichkeiten des Programms als wichtig und nützlich. Das vierte Ziel der OMK/Inklusion – durch eine Mobilisierung aller Akteure den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu verbessern – stand im Einklang mit den Interessen und Vorstellungen des nichtstaatlichen Sektors. Auch war der Ansatz, dass die Organisationen zu bestimmten Fragestellungen Projekte entwickeln und diese finanziert bekommen, anschlussfähig an die Arbeitsweise der NGOs. Schließlich konnte bei dem Aktionsprogramm auf bestehende Strukturen zurückgegriffen werden. Denn seit den 1990er Jahren entstanden institutionalisierte
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Kontakte zu den europäischen Netzwerken und bereits zuvor arbeiteten die lokalen und die nicht-staatlichen Einrichtungen zusammen. Ferner hatten sowohl die nichtstaatlichen wie die lokalen Organisationen durch die europäischen Strukturfonds Erfahrungen mit europäischen Prozessen gesammelt und konnten auf dieses Wissen aufbauen.
8.4 Schlussfolgerungen In Italien findet der Kampf gegen soziale Ausgrenzung in einem fragmentierten und dezentralen Feld statt. Die institutionalisierten Leitbilder sind fokussiert auf die patriarchale Ernährerfamilie. Zentrale Kompetenzträger sind die lokalen Ebenen und der nichtstaatliche Sektor, der traditionell von der Kirche dominiert wird. Zwar versuchten die Mitte-Links-Regierungen in den 1990er Jahren, eine nationale Politik der sozialen Eingliederung einzuführen. Allerdings scheiterten diese Bemühungen an einer Verfassungsreform, bzw. erlangte im Jahr 2001 eine Regierung die Macht, die sich erneut auf die Rolle der Familie und Regionen konzentrierte. Letztere ließ die sozialpolitischen Reformen der Vorgängerregierung formal weiter bestehen, faktisch jedoch auslaufen. Ein zentrales Merkmal sämtlicher Reformpläne in den Jahren 2000 bis 2005 ist darin zu sehen, dass ein OMK-ähnliches Verfahren auf nationaler Ebene eingeführt werden sollte, auch wenn die verschiedenen Regierungen dabei unterschiedliche Interessen verfolgten. Die Mitte-links-Regierung wollte den allgemeinen Lebensstandard heben und das Nord-Süd-Gefälle abbauen, während die Mitte-rechtsRegierung in einem solchen weichen Koordinierungsverfahren eine Möglichkeit sah, die Regionen zu stärken. Gleichzeitig ergab jedoch meine Analyse, dass das Verfahren und seine Instrumente weitgehend von den nationalen Diskussionen auf staatlicher Ebene entkoppelt waren. Wenn überhaupt, wurden die europäischen Diskussionen bzw. die Reflexionsmöglichkeiten der OMK/Inklusion von einzelnen Beamten aufgegriffen, die jedoch im nationalen Feld nicht über die entsprechenden Durchsetzungsmöglichkeiten verfügten. Meine Resultate weisen somit darauf hin, dass die europäischen Vorgaben in den jeweiligen Kontext übertragen und entsprechend bewertet werden. Entscheidend ist daher nicht, wie von der Misfitthese unterstellt wird (vgl. Börzel/Risse 2003), dass ein Misfit zwischen der nationalen Situation und den europäischen Vorgaben messbar ist, sondern dass ein Misfit wahrgenommen wird, was in Italien jedoch mehrheitlich nicht der Fall war. Die Ergebnisse meiner Studie erscheinen wie ein Paradox: Auf der einen Seite gab es eine Bezugnahme auf die OMK/Inklusion in sämtlichen Reformplänen der Regierungen, auf der anderen Seite fehlte eine Einbettung des Prozesses in das Feld. Aufgelöst werden kann dieser Widerspruch mit
Schlussfolgerungen
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zwei Argumenten: Erstens gehen Ferrera und Sacchi (2005) davon aus, dass die OMK/Inklusion unter der Mitte-links-Regierung eine wichtige Einflussgröße hätten werden können. In ihren Augen waren erste Indizien dafür zu erkennen, dass die nationalen Barrieren unter der damaligen Regierung abgebaut worden wären. Für diese Position spricht aus meiner Sicht, dass diese Regierung sehr ambitionierte Reformpläne verfolgte. Offen bleibt allerdings, ob sie sich in dem fragilen politischen Feld gegen die regionalen wie politischen Widerstände hätte durchsetzen können. Zweitens lässt sich dieser Widerspruch im Bezug auf die Berlusconi-Regierung auflösen, wenn zwischen der OMK als abstraktem Regierungsansatz und der konkreten OMK/Inklusion unterschieden wird (vgl. auch Ferrera/Gualimini 2004). So griff die konservative Regierung die OMK auf abstrakter Ebene als Vorbild für eigene Reformpläne auf (wobei Elemente der EBS und der OMK/Inklusion zusammengenommen wurden). Das Ziel bestand darin, die eigenen Reformpläne mit einem Verweis auf die europäischen Vorgaben und die Erfahrungen auf europäischer Ebene zu legitimieren. Diese Bezugnahme auf die EU zur Rechtfertigung und Erklärung der eigenen Politik ist nach den Ergebnissen von Della Porta und Caiani (2007) eine für die italienischen Regierungen typische Verhaltensweise und vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Regierungen dazu tendieren, unangenehme Entscheidungen als europäische Sachzwänge zu rechtfertigen. Umgekehrt wurden die konkreten Ziele und Instrumente als europäische, zentralistische Vorgaben definiert, die nicht anschlussfähig an die nationalen und regionalen Strukturen und Leitbilder sind. Die Idee einer OMK als neuer Regierungsansatz wurde demnach in den politischen Plänen aufgegriffen, ohne dass dies Folgen für das sozialstaatliche Handeln gehabt hätte. Damit wird deutlich, dass die OMK/Inklusion zwar teilweise als Chance erkannt wurde, jedoch die Beharrungskräfte, die nationale Reformen blockieren, auch eine erfolgreiche Umsetzung der europäischen Impulse verhindern. Ferner zeigte sich, dass es für eine Analyse der OMK/Inklusion nicht ausreicht, die politischen Pläne und Verlautbarungen zu betrachten, sondern auch die tatsächlichen Maßnahmen und die Umsetzung der Reformpläne betrachtet werden müssen. Einen Einfluss hatte die OMK/Inklusion dagegen mit ihrem Aktionsprogramm auf den nichtstaatlichen Sektor, der sich meist ohne Hilfe der Regierung daran beteiligte. Die NGOs nutzten die Projekte, um das eigene Wissen über die EU wie auch die Instrumente der OMK/Inklusion und ihren nationalen Nutzen auszubauen. Darüber hinaus wurden mithilfe des Programms die nationalen Kommunikationsstrukturen zu interessierten lokalen Behörden verbessert. Die NGOs verwendeten somit die OMK/Inklusion, um die eigenen Handlungskapazitäten und Kommunikationsstrukturen auszubauen. Allerdings stieß auch hier das Verfahren keine vollkommen neuen Entwicklungen an, es wirkte vielmehr als Katalysator. Denn gab es bereits zuvor Kontakte zwischen den NGOs bzw.
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Die OMK/Inklusion in Italien
mit den lokalen Stellen, die im Zuge der OMK/Inklusion ausgebaut wurden. Ferner war es von Vorteil, dass die NGOs und die beteiligten lokalen Stellen seit den 1970er Jahren durch die Strukturfonds Erfahrungen mit den europäischen Wirkungsmechanismen sammeln konnten. Die Frage nach einer möglichen Europäisierung der italienischen Maßnahmen im Kampf gegen soziale Ausgrenzung muss für den staatlichen und den nichtstaatlichen Bereich differenziert beantwortet werden: Innerhalb der Regierung führte das Verfahren – wenn überhaupt – zu individuellen Lernerfahrungen nicht aber zu einem organisationalen Lernen, sodass die OMK/Inklusion keinen Einfluss auf die Arbeit der Regierung hatte. Dafür kam es zu einer Europäisierung der Rhetorik, da die Mitte-rechts-Regierung die eigenen Pläne mit einem Verweis auf die europäische Ebene legitimierte. Im nichtstaatlichen Sektor kann durchaus von einer Europäisierung gesprochen werden, da sich zahlreiche NGOs durch das Programm transnationale Kontakte aufbauten. Eine Prognose über die weitere Entwicklung der OMK/Inklusion ist in Italien nur bedingt möglich, da das Feld von häufigen Regierungswechseln geprägt ist. So war vom Frühling 2006 bis 2008 erneut eine Mitte-links-Regierung an der Macht, seit April 2008 ist jedoch wieder eine Mitte-rechts-Regierung im Amt.
9 Die Neuausrichtung der Offenen Methode der Koordinierung
Die OMK/Inklusion war seit dem Jahr 2005 in mehrfacher Hinsicht Veränderungen unterworfen. Geplant war, sie durch eine strukturelle Neuausrichtung effizienter zu gestalten (Europäische Kommission 2003b). Hierfür wurde der Prozess mit den anderen OMK-Prozessen im Bereich Sozialschutz synchronisiert und der gesamte Bereich stärker mit den beiden anderen Säulen des Lissabon-Prozesses abgestimmt. Parallel zu diesen strukturellen Reformbemühungen wurde die Frage diskutiert, ob eine inhaltliche Neuausrichtung der OMK/Inklusion notwendig ist. Im Folgenden wird argumentiert, dass sich die Einflusschancen des hier untersuchten Verfahrens durch ihre Modifizierung nicht erhöhen, da die Ziele des Prozesses nicht konkretisiert bzw. die Evaluierungsinstrumente nicht verbessert werden. Vielmehr kommt es zu einer noch stärkeren Verallgemeinerung der Vorgaben, indem der Prozess mit anderen sozialpolitischen OMK-Verfahren zusammengefasst wird. Zweitens wird die These vertreten, dass sich bei den Reformen die wirtschaftsorientierten Kräfte durchsetzen konnten und daher zu erwarten ist, dass die OMK/Inklusion künftig stärker als bisher auf wirtschaftspolitische Aspekte ausgerichtet sein wird. Im Folgenden werden zunächst die strukturellen Reformen vorgestellt und auf inhaltliche Debatte eingegangen (9.1). Die anschließende Diskussion zielt auf die Frage, welche Chancen und welche Risiken diese Veränderungen mit sich bringen können (9.2).
9.1 Synchronisierung und Straffung Nachdem im Dezember 2001 die OMK/Inklusion auf den Gipfeltreffen in Laeken in ihrer Grundstruktur fertig entwickelt worden war, begann bereits im darauf folgenden Jahr eine von der Kommission angestoßene Diskussion um mögliche Verbesserungen des Lissabon-Prozesses. Im Mai 2003 unterbreitete die Kommission dem Rat den Vorschlag, die drei OMK-Prozesse im Bereich Sozialschutz (Soziale Eingliederung, Rente sowie Gesundheit und Langzeitpflege) ab dem Jahr 2006 zusammenzufassen, was sie als eine Synchronisierung bezeichnete (vgl. Europäische Kommission 2003b: 261). Darüber hinaus empfahl die
290
Die Neuausrichtung der OMK/Inklusion
Kommission in dem Papier, die dritte Säule stärker mit den beiden anderen Bereichen des Lissabon-Prozesses zu koppeln, was auch Straffung bzw. Rationalisierung genannt wird (vgl. Marlier et al. 2007: 27). Dadurch könnten die Verfahren vereinfacht und Synergieeffekte genutzt werden. Der SPC begrüßte den Kommissionsvorschlag, mahnte jedoch an, dass der Charakter der einzelnen Prozesse gewahrt bleiben müsse (vgl. SPC 2003). Auf dem Ratstreffen im März 2005 kam es dann zu einer Neuausrichtung des Lissabon-Prozesses. Die Staatsund Regierungschefs beschlossen, ab dem Jahr 2006 die ersten beiden Säulen zusammenzuführen (vgl. Begg 2007: 1f). Dagegen sollten die drei OMKProzesse im Bereich Sozialschutz zwar zusammengefasst werden, gleichwohl aber von den beiden integrierten Prozessen getrennt bleiben (vgl. Rat 2005a). One specific development in 2006 was an attempt to reinforce the connection between growth and jobs, on the one hand, and the social cohesion dimension of the original Lisbon ‘approach’ on the other. (Begg 2007: 23)
Die Kommission erarbeitete auf Grundlage dieses Beschlusses ein Konzept über das weitere Vorgehen im Bereich Sozialschutz (vgl. Europäische Kommission 2005c), das im März 2006 vom Rat angenommen wurde. Demnach sollen eine „Definition eines integrierten, kohärenten Bündels gemeinsamer Ziele“ (Europäische Kommission 2003b: 13) und Indikatoren für die OMK-Prozesse Soziale Eingliederung, Rente, Gesundheit und Langzeitpflege entwickelt werden. Weiter wurde beschlossen, die drei OMK-Prozesse ab dem Jahr 2005 gemeinsam in Nationalen Strategieberichten und Gemeinsamen Berichten zu besprechen, wobei innerhalb der Dokumente die Prozesse separat voneinander dargelegt werden. Schließlich wurde festgelegt, dass der sozialpolitische Bereich zwar seine Eigenständigkeit beibehält, gleichwohl wird seine Umsetzung an die Zyklen der integrierten Leitlinien angepasst (vgl. Europäische Kommission 2005c: 706). Im Frühling 2006 wurden im Sozialschutzkomitee mit anschließender Billigung des Rats drei übergeordnete Ziele für sämtliche OMKs im Bereich Sozialschutz und Soziale Eingliederung (vgl. Rat 2006)68 und drei nur die OMK/Inklusion betreffende Ziele formuliert, die sich jedoch an den Bestehenden orientierten. Speziell für den Bereich Soziale Eingliederung gelten nun als Vorgaben:
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(1) Stärkung des sozialen Zusammenhalts, Gleichbehandlung von Männern und Frauen und Chancengleichheit für alle durch angemessene, zugängliche, finanziell tragfähige, anpassungsfähige und effiziente Sozialschutzsysteme und Maßnahmen für soziale Integration; (2) Förderung einer wirksamen Interaktion zwischen den Lissabon-Zielen "stärkeres Wirtschaftswachstum", "mehr und bessere Arbeitsplätze" und "größerer sozialer Zusammenhalt", unter Einbeziehung der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung; (3) Verbesserung von guter Governance, Transparenz und der Einbeziehung von Interessengruppen bei der Gestaltung, Umsetzung und Überwachung politischer Maßnahmen (vgl. Rat 2006).
Synchronisierung und Straffung
1.
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„Wahrung und Sicherung des Zugangs zu den für die Beteiligung an der Gesellschaft notwendigen Ressourcen, Rechten und Dienstleistungen für alle; Verhütung und Bekämpfung von Ausgrenzung und des Kampfs gegen alle Formen von Diskriminierung, die wiederum zu Ausgrenzungen führen; 2. Stärkung der aktiven sozialen Eingliederung aller, sowohl durch Förderung der Beteiligung auf dem Arbeitsmarkt als auch durch Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung; 3. Verbesserung einer soliden Koordinierung der Politik der sozialen Eingliederung, unter Einbeziehung aller Regierungsebenen und einschlägigen Akteure, darunter auch Menschen, die in Armut leben; einer effizienten und wirksamen Gestaltung dieser Politik und der Einbeziehung in alle relevanten Politikbereiche, einschließlich Wirtschafts-, Haushalts-, Bildungs- und Berufsbildungspolitik und Strukturfondsprogrammen (insbesondere ESF)“ (Rat 2006). In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass das Ziel Maßnahmen zugunsten der sozial am stärksten gefährdeten Personen weggefallen ist. Anstelle dessen wurde mit der Betonung des Diskriminierungsverbotes ein neuer Schwerpunkt festgelegt (vgl. Dieckhoff/Gallie 2007: 492), was ein traditionelles Handlungsgebiet der Gemeinschaft darstellt und dem allgemeinen Trend hin zu mehr Chancengleichheit entspricht. Des Weiteren wurde ein gemeinsamer Katalog an Indikatoren für die drei OMK-Verfahren im Bereich Sozialschutz entwickelt (Europäische Kommission 2006). Allerdings haben die für die OMK/Inklusion bestehenden 23 Indikatoren weiterhin Gültigkeit, da zahlreiche Regierungen ein Interesse daran haben, die Politikbereiche gesondert zu analysieren. Diese konnten sich damit gegenüber der GD Beschäftigung und Soziales durchsetzen, die in einem Positionspapier eine Reduzierung auf einige allgemeine Indikatoren vorgeschlagen hatte (vgl. Mabett 2004: 9f). Damit lässt sich sagen: Mit der Entwicklung des neuen Berichtswesens, der neuen Ziele und Indikatoren entstand ein neuer Rahmen für die OMK/Inklusion, die in einen breiteren Kontext eingebunden wurde. Jedoch lehnen sich die speziellen Ziele stark an die früheren Vorgaben an, bzw. bleiben die Indikatoren für die OMK/Inklusion bestehen, sodass man trotz der Reformen von einer hohen Kontinuität sprechen kann. Die strukturellen Veränderungen gingen mit einer inhaltlichen Debatte einher. So wurden der Lissabon-Prozess und damit auch die OMK/Inklusion einer von Beginn an geplanten Halbzeitbewertung unterzogen. Grundlage dafür war der Kok-Bericht (vgl. Marlier et al. 2007: 35). Die Expertengruppe rund um den ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten Wim Kok betonte in ihrem Bericht Jobs, Jobs, Jobs besonders die Notwendigkeit, mehr Beschäftigung in der EU zu schaffen (vgl. Kok et al. 2003). Aufbauend auf diesem Bericht ent-
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Die Neuausrichtung der OMK/Inklusion
schieden die Staats- und Regierungschefs im Jahr 2005, künftig den Schwerpunkt der neuen Lissabon-Agenda auf Wachstum und Beschäftigung zu legen. Die OMK/Inklusion galt dagegen nur noch als ein untergeordnetes Instrumentarium (vgl. Rat 2005a/b). Soziale Eingliederung blieb demnach zwar ein Bestandteil der Lissabonstrategie (vgl. Dieckhoff/Gallie 2007: 481), gleichzeitig wird der Kampf gegen soziale Ausgrenzung jetzt noch stärker als bisher im Kontext von Wirtschaftswachstum und der Beschäftigungsquote gesehen (vgl. Marlier et al. 2007: 6-8). Parallel zur Arbeit der Expertengruppe entwickelte die GD (Beschäftigung und Soziales) die Sozialagenda für die Jahre 2005 bis 2010 weiter. In ihrem Vorschlag sprach sie sich für eine Fortführung der bisherigen Maßnahmen aus, wobei künftig vor allem zwei Schwerpunkte verfolgt werden sollen (vgl. Europäische Kommission 2005a): Erstens soll das Vertrauen der Bürger in das europäische Sozialmodell gestärkt werden. Zweitens sollen die Bereiche Beschäftigung, Chancengleichheit und soziale Eingliederung weiter vorangetrieben werden (vgl. Marlier et al. 2007: 35), was von den Mitgliedstaaten auf dem Frühjahrsgipfel 2005 begrüßt wurde. Bezüglich der OMK/Inklusion ist in der Sozialagenda (2005-2010) geplant, ihre Instrumente auf ihre Wirksamkeit zu prüfen und effizienter zu gestalten. Ferner wird vorgesehen, die Mittel des Europäischen Sozialfonds künftig stärker für den Bereich soziale Eingliederung genutzt werden. Weiter ist eine zusätzliche Gemeinschaftsinitiative zur Sicherung eines Mindesteinkommens und zur Eingliederung von beschäftigungslosen Menschen angedacht. Trotz dieser sozialpolitischen Pläne weist die Sozialagenda auch Indizien einer inhaltlichen Verschiebung auf. So wird in dem Papier zwar nach wie vor betont, dass die Maßnahmen der Sozialagenda „eine Schlüsselrolle bei der Förderung der sozialen Dimension des Wirtschaftswachstums“ spielen (Europäische Kommission 2005a: 2). Jedoch soll die künftige europäische Sozialpolitik primär die allgemeinen Arbeitsmöglichkeiten verbessern und die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungssysteme stärken. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die inhaltlichen Debatten auf den beschäftigungspolitischen und wirtschaftlichen Nutzen von sozialer Eingliederung konzentrierten (vgl. Dieckhoff/Gallie 2007). Zwar wird weiterhin betont, dass die soziale Dimension für den Lissabon-Prozess von Bedeutung ist, jedoch finden eine Neugewichtung der drei Säulen und eine Neudefinition von sozialer Eingliederung statt, denen zufolge der Kampf gegen soziale Ausgrenzung vor allem den ersten beiden Säulen dienen soll.
Chancen und Risiken
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9.2 Chancen und Risiken Die Reformen waren ursprünglich von den meisten meiner Interviewpartner mit großen Erwartungen verbunden worden, in denen auch ihre teilweise ambivalente Haltung gegenüber der OMK/Inklusion zum Ausdruck kam. Denn sie erhofften sich von den Veränderungen auf der einen Seite eine Aufwertung des Verfahrens auf europäischer Ebene. Auf der anderen Seite versuchten sie auch, mit den Reformen den häufig als zu groß empfundenen Arbeitsaufwand zu reduzieren. Beide Erwartungen erfüllten sich nach den Angaben meiner Gesprächspartner jedoch nicht, vielmehr habe der Prozess durch die organisatorischen und inhaltlichen Veränderungen an Bedeutung verloren und wäre der Koordinierungsaufwand noch größer geworden. In meinen Interviews wurden die Reformen dementsprechend aus drei Perspektiven betrachtet: Erstens wird im Folgenden analysiert, welche Effizienzeffekte von den Reformprozessen erwartet und welche Erfahrungen gemacht wurden. Zweitens wird diskutiert, welchen Stellenwert der Bereich Sozialschutz und damit auch die OMK/Inklusion im Rahmen des modifizierten Lissabon-Prozesses nach Einschätzung meiner Interviewpartner einnehmen sollte und welchen er einnimmt. Abschließend wird gefragt, wie die Straffung bewertet wird. Die Diskussionen rund um die Reformprozesse richteten ihren Fokus erstens auf die Frage, ob die OMK/Inklusion dadurch effizienter wird. Da das Verfahren in allen drei hier untersuchten Staaten unter den Beamten nur einen begrenzten Stellenwert hatte und einige Beteiligte gerade in Deutschland enttäuscht von ihr waren bzw. nur eine geringe Meinung von ihr hatten, wurde eine Reduzierung des Arbeitsaufwandes begrüßt, da so eine Balance zwischen Nutzen und Aufwand wieder hergestellt werden könne. Sämtliche Interviewpartner wünschten sich demnach, dass der Arbeitsaufwand durch mögliche Synergieeffekte reduziert wird, auch wenn sich hierbei nationale Besonderheiten zeigten. So drängte gerade Deutschland erfolglos auf eine weitreichende Flexibilisierung (vgl. Bundesregierung 2005). Die Mitgliedstaaten sollten nach ihrem Dafürhalten mehr Entscheidungsspielraum bekommen, z. B. ob und wenn ja, wann sie NAPs schreiben. Allerdings war eine solche Forderung nicht durchsetzbar. Auch wurde bei der Organisation der ersten Nationalen Strategieberichte eher eine Ausweitung denn eine Reduzierung des Arbeitsaufwands festgestellt. Ob es da jetzt zu einer Zuspitzung (...) kommt, ist fraglich – also die Ergebnisse der letzten Jahre zeigten, dass dem eigentlich nicht so ist. Aufgrund der Nizza-Ziele [die modifizierten Ziele der OMK/Inklusion, die Verfasserin] gibt es eine Fülle von Themen, die angesprochen werden müssen. (D23)
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Die Neuausrichtung der OMK/Inklusion
Demzufolge hofften meine Interviewpartner, dass durch die Reformen der eigene Arbeitsaufwand gesenkt wurde. Die deutsche Bundesregierung ging dabei am weitesten, indem sie sich bemühte, die Verbindlichkeit der OMK/Inklusion zu lockern. Allerdings zeigten sich sämtliche Interviewpartner nach den ersten Erfahrungen mit der neuen OMK/Inklusion skeptisch, ob das reformierte Verfahren tatsächlich effizienter ist. Die zweite Frage zielt auf den Stellenwert der OMK/Inklusion in der reformierten Lissabonstrategie ab. Generell betonten alle Interviewpartner mit einem sozialpolitischen Hintergrund, dass das Verfahren gerade auf europäischer Ebene als Gegengewicht zu den anderen beiden Säulen wichtig sei und daher bestehen bleiben müsse. Nötig ist eine explizite Strategie zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit unter Wahrung des sozialen Zusammenhalts. Dies könnte ein Neuanfang für die Sozialpolitik sein. Dieser strategische Rahmen könnte von den Sozialpartnern in Zusammenarbeit mit der Kommission und den Regierungen der Mitgliedstaaten erarbeitet werden. Die soziale Dimension der Lissabon-Strategie ist ein Schlüsselfaktor für Wohlstand, Produktivität und soziale Eingliederung und sollte als solcher voll anerkannt werden; sie muss in den nächsten fünf Jahren der Strategielaufzeit aktualisiert werden. (EWSA 2004: 10)
Umstritten war jedoch, ob der Prozess gestärkt wird, wenn er zusammen mit den anderen OMK-Prozessen im Bereich Sozialschutz für sich alleine steht oder wenn er stärker mit den anderen beiden Säulen verknüpft wird. Ein Teil sprach sich im Einklang mit Zeitlin (2008) für eine Zusammenführung mit den anderen beiden Säulen aus. Incorporating key objectives and indicators from other sectoral policy co-ordination processes such as the OMC/SPSI into the Lisbon Strategy is not like adding unnecessary ornaments to a Christmas tree, as a widely used metaphor has suggested, but rather like equipping the cockpit of a high-speed aircraft with the full set of instrumentation systems needed to avoid flying blind. (Zeitlin 2008: 440)
Denn nur so könnten auf europäischer Ebene sozialpolitische Akzente gesetzt werden und die OMK/Inklusion mehr als eine „Feigenblattfunktion“ (D7) haben. Die Mehrheit meiner Interviewpartner befürwortete allerdings eine Differenzierung zwischen den Bereichen. Dahinter stand die These, dass nur eine eigenständige OMK/Inklusion wirkungsvoll sein könne. Und dann, wir haben wirklich stark darauf gedrängt, dass es diese Ziele zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung gibt, es war somit ursprünglich eine französische Forderung. Im letzten Jahr, im Jahr 2005, als die Strategie überarbeitet wurde, haben wir stark mit der luxemburgischen [Ratspräsidentschaft, die Verfasserin] gekämpft, damit diese Ziele trotzdem erhalten bleiben. (F4, Übersetzung die Verfasserin)
Chancen und Risiken
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Befürchtet wurde, dass bei einer Zusammenführung die ersten beiden Säulen die dritte dominieren und der Bereich Sozialschutz bedeutungslos wird. Weiter sind wir unsicher, da es jetzt diese komplette Ausrichtung auf Wachstum und Beschäftigung gibt, die dazu führt, dass es große Diskussionen gegeben hat, was den Sozialschutz angelangt: Inwieweit fährt man den Sozialschutz runter? Inwieweit wird er noch in dieser Neuausrichtung der Strategie noch verwendet? Welche Position hat er darin? (D23)
Die zweite Position konnte sich im SPC durchsetzen, weswegen sich das Gremium nach außen geschlossen für eine Differenzierung zwischen den ersten beiden Säulen und der Dritten aussprach. Gleichzeitig erklären meine Ergebnisse auch, warum die Bewertungen der Reformprozesse unter den SPC-Delegierten unterschiedlich ausfallen. Denn trotz des gemeinsamen Interesses an einer starken sozialen Dimension und der offiziellen Linie des SPC äußerten einige meiner Interviewpartner die Sorge, dass die OMK/Inklusion durch die Reform an Bedeutung verlieren wird. Maybe we had some big expectations that were not realized (...). After the renewal of the Lisbon strategy, it was really clear that the social cohesion side of the process failed to be one of the main ingredients of the European social cohesion. In addition, this is a failure. However, we thought at that time that poverty reaction could be at the centre of, not just at the policy making of the ministries for social affairs, but in the centre of the economic policies of the countries, so this was not. (I 12)
Dagegen werten es andere als Erfolg, dass der Bereich Sozialschutz eigenständig bestehen bleibt. Gleichwohl wird auch von ihnen kritisch angemerkt, dass der Fokus auf das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigungsquote starken OMKProzessen im Bereich Sozialschutz entgegensteht. Auch die Frage, wie das Verhältnis von OMK/Inklusion zu den anderen sozialpolitischen OMK-Prozessen sein soll, war umstritten. Wieder sah eine Minderheit in der Zusammenfassung eine Chance für die OMK/Inklusion. Ihr Zufolge, würden Synergieeffekte bestehen, durch die das Thema soziale Ausgrenzung noch einmal an Bedeutung dazu gewinnen würde. Die Mehrheit erwartet jedoch negative Auswirkungen von der Synchronisierung im Bereich Sozialschutz. Gerade weil die sozialen Sicherungssysteme in vielen Staaten strukturelle und finanzielle Probleme aufweisen und reformiert werden müssen, fürchteten viele Interviewpartner, dass sich die europäischen Debatten künftig vor allem auf die Finanzierbarkeit des Sozialschutzes konzentrieren und Fragen der sozialen Integration zweitrangig werden. When it comes to the streamlining process, the situations differ a bit since it is more difficult to reach an agreement within the SPC because some members would like to have fewer encounters less reports and Reviews. (F21)
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Die Neuausrichtung der OMK/Inklusion
Sozialpolitische Kritiker der Reformen erwarteten, dass der gesamte Bereich Sozialschutz künftig ausschließlich unter der Perspektive der Finanzierbarkeit diskutiert und die OMK/Inklusion primär als Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Integration in den Arbeitsmarkt verstanden wird. Allerdings konnten sie sich mit dieser Position weder auf nationaler Ebene noch im SPC durchsetzen. Denn die Mehrheit der Regierungen und die Europäische Kommission wollte und will die Synergieeffekte nutzen. Auch möchten sie im Kampf gegen soziale Ausgrenzung stärker als bisher die finanziellen Probleme der sozialen Sicherungssysteme berücksichtigen. Von den Synchronisierungskritikern wurde daher schon als Erfolg gewertet, dass die drei Prozesse getrennt in den gemeinsamen Dokumenten analysiert werden, auch wenn gerade von französischer Seite kritisch angemerkt wird, dass durch den Zusammenschluss die einzelnen Bereiche in den Dokumenten kürzer und oberflächlicher behandelt werden. Die französischen Beamten erwarteten daher, dass die europäischen Vorgaben und Handlungsanreize abgeschwächt werden. Damit ist zu sagen, dass es unter Sozialpolitikern Differenzen gab, wie die Verfahren im Bereich Sozialschutz organisiert werden sollen. Kritiker fürchten, dass die erfolgreiche Zusammenführung der drei sozialpolitischen OMK-Prozesse den Kampf gegen soziale Ausgrenzung schwächen wird. Die Reform der OMK/Inklusion ist geprägt von einem Richtungsstreit innerhalb der Kommission und den Regierungen, wie eine Balance zwischen einem ausreichenden Sozialschutz auf der einen Seite und der Finanzierbarkeit und der Wirtschaftlichkeit der Sozialpolitik auf der anderen Seite hergestellt werden kann. Die Streitlinien verlaufen hierbei allerdings nicht zwischen den europäischen und nationalen Organisationen, sondern innerhalb derselben (vgl. Palier 2004). Auf der Sorge aufbauend, dass der Kampf gegen soziale Ausgrenzung gegenüber den wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Bemühungen an Einfluss verlieren wird, sprach sich die Mehrheit der Sozialpolitiker für die Separierung der Prozesse aus, um so ihre Eigenständigkeit zu erhalten. Eingeschränkt wurden die Bemühungen des Gremiums jedoch von den Regierungen bzw. der Kommission, da die Mitglieder des SPC mehrheitlich weisungsgebunden sind und sich daher an den Richtungsvorgaben orientieren müssen. So konnten die Delegierten des SPC nicht verhindern, dass der Schwerpunkt bei der künftigen Lissabon-Strategie auf Wachstum und Beschäftigung liegt und der Bereich Sozialschutz tendenziell eher als zweitrangig definiert wird. Auch mussten sie hinnehmen, dass die sozialpolitischen OMK-Prozesse zusammengeführt wurden.
Kritische Prognose
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9.3 Kritische Prognose: Tendenz zur Verallgemeinerung und Ausrichtung auf wirtschaftliche Interessen Die Reformen der OMK/Inklusion können sowohl unter strukturellen als auch unter inhaltlichen Aspekten diskutiert werden. Strukturell waren die Veränderungen mit der Erwartung verbunden, das Verfahren zu stärken und gleichzeitig effizienter zu gestalten. Meine Ergebnisse weisen jedoch in die umgekehrte Richtung: Denn die Ziele und Instrumente der OMK/Inklusion wurden weder konkretisiert, noch eignen sie sich in ihrer modifizierten Form dazu, einen informellen Handlungsdruck aufzubauen. Vielmehr wurden sie mit den anderen beiden sozialpolitischen OMK-Prozessen zusammengeführt, was zur Folge hatte, dass sie nun auf sehr generellen Oberzielen beruht. Auch setzen sich die Berichte der OMK/Inklusion jetzt nicht nur mit dem Kampf gegen soziale Ausgrenzung, sondern auch mit Fragen der Rente und Krankenpflege auseinander. Daher kann erwartet werden, dass weniger Zeit und Ressourcen für die OMK/Inklusion bleiben, gleichzeitig aber auch der Zeitaufwand für die beteiligten Beamten gestiegen ist, da die verschiedenen Bereiche noch stärker als bisher koordiniert werden müssen. Im Einklang mit diesen Ausführungen kommt auch Zeitlin zu dem Ergebnis, dass beispielsweise die Einbindung der NGOs in die neue OMK/ Inklusion weit weniger gelingt als früher, da der Zeitrahmen enger wurde (vgl. Zeitlin 2008: 339f). Das Verfahren verfügt daher nach meinen Ergebnissen durch die Reform weder über ein größeres Wirkungspotenzial, noch konnte sie effizienter gestaltet werden. Damit verbunden ist auch die inhaltliche Neuorientierung. Meine Ergebnisse bestätigen die Befürchtungen von Sozialpolitiker, wonach der Prozess durch die Reformen künftig stärker als bisher eine wirtschaftliche Ausrichtung erfährt und primär unter dem Gesichtspunkt von Budgetrestriktionen diskutiert wird. Gerade bei der inhaltlichen Neugestaltung zeigt sich auch der begrenzte Handlungsspielraum der Sozialpolitiker. Denn aufgrund der Weisungsgebundenheit konnten sie nicht verhindern, dass die sozialpolitischen Bereiche zusammengefasst werden. Innerhalb der Lissabon-Strategie konnten sie sich zwar durchsetzen und verhindern, dass der Prozess mit den ersten beiden Säulen zusammengefasst wurde. Einen generellen Bedeutungsverlust konnten sie aber nicht verhindern. Allerdings deutet sich gerade in jüngster Zeit auch an, dass die europäische Bedeutung des SPC weiter zu genommen hat. Die nationalen wie europäischen Sozialpolitiker versuchen ihren verbliebenen Handlungsspielraum mithilfe des Gremiums sozialpolitische Impulse in die Debatten zur Lissabon-Strategie zu setzen. Hierfür arbeiten sie auch mit anderen Gremien zusammen bzw. unterstützen die Kommission bei der Ausarbeitung von neuen Konzepten zu einem sozialen Europa. Es scheint als ob die Bedeutung der europäischen Impulssetzung in die nationalen Reformdebatten zurückgeht, während
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Die Neuausrichtung der OMK/Inklusion
die Kopplung zu anderen europäischen Debatten wichtiger wird. Momentan tendiert die OMK/Inklusion dazu, das europäische Sprachrohr für die nationalen Sozialpolitiker zu werden.
10 Fazit
Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Feststellung, dass in den westeuropäischen Nationalstaaten durch den demografischen Wandel, den Abbau von politischen Grenzen innerhalb der EU, die wirtschaftlichen und technologischen Veränderungen und den daraus resultierenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt die sozialen Risiken steigen und die Sozialstaaten immer weniger in der Lage sind, eine umfassende Absicherung der Bevölkerung zu garantieren. Ohne eine Lösung der anstehenden Probleme wird jedoch nicht nur auf nationaler Ebene der soziale Friede gefährdet, die Entwicklungen können sich auch negativ auf die europäische Integration auswirken. Denn die Gefahr besteht, dass die zunehmenden sozialen Unsicherheiten den Ruf nach einem nationalen Protektionismus lauter werden lassen und das ehrgeizige Ziel der Staats- und Regierungschefs, „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“ (Europäischer Rat 2000a), gefährden. Eine europäische Lösung der sozialen Probleme erscheint daher notwendig, der Aufbau eines europäischen Sozialstaates aber unwahrscheinlich, da zum einen die Regierungen nicht bereit sind, in diesem Bereich weitere Kompetenzen abzugeben und zum anderen die nationalen Systeme nur bedingt kompatibel sind. Die Staats- und Regierungschefs entschieden sich deshalb im Jahr 2000, eine Offene Methode der Koordinierung im Bereich der sozialen Eingliederung einzuführen, mit deren Hilfe europäische Konzepte zur Lösung der anstehenden Probleme entwickelt werden sollen, deren Umsetzung jedoch allein in der Hand der Nationalstaaten liegt. Das Verfahren soll demnach dazu beitragen, europaweit die Probleme der nationalen Sozialstaaten zu bewältigen, den Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu stärken und so einen Schritt hin zu einem sozialen Europa zu gehen. In dieser Arbeit wurde nun für die Jahre 2000 bis 2005 untersucht, inwieweit die OMK/Inklusion in drei Sozialstaaten mit großen Beharrungsvermögen Erfolge erzielen konnte und ob sie somit den in sie gesetzten Erwartungen gerecht wurde. Das Ergebnis fiel eher ernüchternd aus, denn deutlich wurde, dass der Prozess zwar von einzelnen Organisationen in den drei hier untersuchten Staaten genutzt wurde, jedoch keinen Beitrag dazu leisten konnte, den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung umfassend und nachhaltig zu stärken und auszubauen. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und
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Fazit
die entscheidenden Faktoren herausgearbeitet, die in allen drei Staaten die Umsetzung der OMK/Inklusion im positiven wie im negativen Sinne beeinflussten. Dafür wird zunächst kurz noch einmal das theoretische Konzept rekapituliert, auf dessen Basis diese Studie durchgeführt wurde. Anschließend wird auf die europäische Ebene eingegangen und gezeigt, dass die OMK/Inklusion es nicht vermochte, die Konflikte zwischen einem europäischen Handlungsbedarf und dem nationalen Kompetenzegoismus aufzuheben. Vielmehr wurde das Dilemma in das Verfahren hineingetragen und verhindert, dass bindende und umfassende Impulse von der europäischen Ebene ausgehen. In einem weiteren Schritt werden die Ergebnisse der nationalen Fallstudien zusammengefasst und begründet, warum nach meinem Dafürhalten der Prozess nur unter bestimmten nationalen Voraussetzungen erfolgreich sein konnte. Abschließend wird diskutiert, inwieweit die vorliegenden Ergebnisse die Diskussion um ein soziales Europa bereichern und welche Zukunftstendenzen für die OMK/Inklusion ausgemacht werden können. Theoretisch gefasst wurde die Untersuchung mithilfe des organisationssoziologischen Feldbegriffs. Unter einem sozialen Feld wird ein sozial definierter Raum verstanden, in dem eine Anzahl an Akteuren und Organisationen auf Basis einer feldspezifischen Ordnung ein kollektives Problem bearbeitet. Die Felder gelten dabei als geschlossen und können daher durch ihre Umwelt nur irritiert, nicht aber gesteuert werden. Die OMK/Inklusion wird somit als ein feldübergreifendes Konstrukt verstanden, bei dem die Ziele, Debatten und Austauschprozesse des europäischen Feldes Irritationen in den nationalen Feldern auslösen können: Sie können erstens als Informationen genutzt werden, auf deren Basis die eigenen Reformpläne und Strukturen in Frage gestellt werden. Zweitens können die Ergebnisse aus den Debatten und die von der Kommission oder anderen Regierungen vorgetragene Kritik als Handlungsbedarf verstanden werden. Drittens können die europäischen Erkenntnisse als Argumente zur Stärkung der eigenen Position verwendet werden. Das europäische Feld kann somit die nationalen Entwicklungen durch Impulse irritieren. Damit dies geschieht, müssen seine Ziele und Instrumente auf der einen Seite so flexibel sein, dass sie an die sich wandelnden nationalen Herausforderungen angepasst werden können. Andererseits müssen sie auch institutionalisiert werden, da nur so ein Handlungsdruck auf die Akteure und Organisationen aufgebaut werden kann. Ausgehend von diesem organisatorischen Paradox wird in dieser Arbeit die These vertreten, dass die OMK/Inklusion ein sehr offenes Verfahren ist, das den Regierungen viel Handlungsspielraum lässt, da ihre Vorgaben vage sind und auf direkt vergleichende Instrumente verzichtet wurde. Es wird somit ein niedriger Institutionalisierungsgrad erwartet und angenommen, dass die europäischen Impulse nur aufgegriffen werden, wenn eine hohe intrinsische Motivation besteht. Gleich-
Fazit
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wohl besitzt die OMK/Inklusion aber auch das Potenzial, die sozialpolitischen Nichtregierungsorganisationen zu stärken. Die Irritationen können zur Folge haben, dass sich die nationalen Leitbilder verändern, die Handlungsstrategien reformiert werden oder die Kommunikationsstrukturen im Feld oder einer Organisation modifiziert werden. Hierbei handelt es sich aber um keinen automatischen Prozess. Vielmehr wurde in dieser Arbeit argumentiert und nachgewiesen, dass die OMK/Inklusion nur dann zu Veränderungen der nationalen Strukturen führen kann, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind: Das Verfahren kann nur dann erfolgreich Impulse setzen, wenn die nationalen Kompetenzträger bereit sind, die nationale Ordnung zu hinterfragen und die Vorgaben und Erkenntnisse aus der OMK/Inklusion als innovative Herausforderung werten. Die Auswirkungen der OMK/Inklusion auf die nationalen Felder werden demnach nur verständlich, wenn untersucht wird, welche Impulse von dem europäischen Feld ausgehen und wie diese auf nationaler Ebene verarbeitet werden. Das im Rahmen der OMK/Inklusion entstandene europäische Feld war im Untersuchungszeitraum geprägt sowohl den bestehenden europäischen Strukturen und einer daraus resultierenden Eigendynamik als auch von den nationalen Impulsen, welche die europäischen Prozesse beeinflussen nicht aber dominieren oder lenken können. Ferner zeigte sich, dass die bisher kaum problematisierte Kopplung zu anderen europäischen Feldern die Entwicklungen im europäischen Feld der OMK/Inklusion maßgeblich prägten. In sämtlichen Regierungen wie auch der Kommission wird seit Jahren über die Frage gestritten, wie viel Sozialpolitik möglich und nötig ist. Deshalb war es das gemeinsame Ziel sämtlicher an der OMK/Inklusion beteiligten Akteure und Organisationen, mithilfe des Verfahrens eine soziale Integration auf europäischer Ebene voranzutreiben und sich damit gegenüber wirtschaftlichen Kräften durchzusetzen. Die OMK/Inklusion wurde auf europäischer Ebene genutzt, um sozialpolitische Impulse in andere europäische Felder zu senden. Offen muss jedoch bleiben, wie diese dort aufgegriffen und verwendet wurden. Daneben spielten bei der konkreten Ausgestaltung der Instrumente nationale Vorbehalte gegenüber der EU sowie Erfahrungen mit weichen Regulierungsverfahren aus anderen Bereichen eine Rolle. Die einzelnen Instrumente waren ein Kompromiss zwischen der Kommission und solchen nationalen Kräften auf der einen Seite, die möglichst verbindliche Vorgaben und kritisch-bewertende Instrumente anstrebten, und jenen nationalen Beteiligten andererseits, die sich zwar auf den genannten Gründen bereit erklärten, an dem Prozess teilzunehmen, gleichzeitig aber ein wirkungsvolles Analyseinstrument der eigenen Sozialpolitik verhindern wollten. Die skeptischen Regierungen votierten auf Basis von früher gemachten Erfahrungen im europäischen oder im nationalen Kontext gegen solche Instrumente, die in den nationalen Debatten von der Öffentlichkeit und/oder der Opposition gegen sie verwendet
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werden können. Als Zugeständnis gerade an die Kommission waren sie im Gegenzug dazu bereit, einen zweiten Handlungsstrang aufzunehmen, mit dem vor allem der nichtstaatliche Sektor gestärkt wurde und dem sie nur eine untergeordnete Rolle zusprachen. Der erste Handlungsstrang umfasst solche Instrumente, die klassischerweise mit einer OMK in Verbindung gebracht werden: Gemeinsame Ziele, Indikatoren, Peer-Review-Verfahren und ein Berichtwesen. Das Ziel dieses Handlungsstranges bestand darin, dass die Regierungen von- und miteinander auf europäischer Ebene lernen und so die nationalen Reformbemühungen gestärkt werden. Allerdings ergab meine Analyse der einzelnen Instrumente auch deren Schwachstellen: So ließen die europäischen Ziele den Regierungen einen großen Entscheidungsspielraum. Innovativ war an ihnen, dass sie betonten, nur eine inklusiver Regierungsansatz könne dazu beitragen, soziale Ausgrenzung nachhaltig in einer Gesellschaft zu bekämpfen. Keine Einigkeit konnte in der Frage erzielt werden, was eine Politik der sozialen Eingliederung inhaltlich ausmacht. Es wurden nur verschiedene Gruppen benannt, die als besonders schutzwürdig galten. Ferner wurden verschiedene Themenfelder addiert, die Teil einer Politik der sozialen Eingliederung sein sollten, wobei den Regierungen die Möglichkeit gelassen wurde, nur solche Bereiche aufzugreifen, die den eigenen Handlungsansätzen und Problemen entsprechen. Im Rahmen der OMK/Inklusion wurde somit betont, dass soziale Eingliederung nur durch Anstrengungen von allen Akteuren und Organisationen erreicht werden kann und bestimmte Gruppen stärker von sozialer Ausgrenzung bedroht sind als andere. Unklar blieb jedoch im Untersuchungszeitraum, was eine Politik der sozialen Eingliederung konkret heißen soll. Weiter konnte innerhalb dieses Handlungsstranges kaum ein transnationaler Erfahrungsaustausch installiert werden, der dazu beitragen würde, dass die Regierungen konkrete Lösungskonzepte der anderen kennen lernen würden. Im Zentrum stand vielmehr ein generelles Kennenlernen. Schließlich konnte auch kein Handlungsdruck aufgebaut werden, denn einige Regierungen votierten gegen sämtliche Bestrebungen, die nationalen Reformen kritisch auszuwerten oder miteinander zu vergleichen. Die europäischen Ziele und Indikatoren waren qualitativ gehalten und bei den Evaluierungsverfahren wurde auf ein Ranking und das Instrument der Empfehlungen verzichtet. Der erste Handlungsstrang richtete sich folglich an die Regierungen, gleichzeitig ließ er ihnen bei der Nutzung und der Interpretation große Spielräume. Der andere Handlungsstrang war das Gemeinsame Aktionsprogramm zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung. Er richtete sich nicht nur an die Regierungen, sondern auch an nichtstaatliche Organisationen und in einzelnen Maßnahmen an die Mitarbeiter der europäischen Institutionen, an die von sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen sowie die lokalen Behörden. Sein Ziel lag darin, auf europäischer und nationaler
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Ebene das Wissen über soziale Ausgrenzung zu vergrößern, einen transnationalen Austausch zwischen den staatlichen und den nichtstaatlichen Organisationen anzuregen und dem Thema auf europäischer Ebene eine Plattform zu geben. Erreicht werden sollten diese Ziele vor allem durch einzelne Projekte, d.h. finanziert wurden hier vor allem problembezogene, zeitlich begrenzte Maßnahmen. Mit diesem Handlungsstrang wurde somit zum einen die soziale Integration auf europäischer Ebene vorangetrieben, zum anderen wurden bestimmte Projekte und Konferenzen finanziert, durch die die nationalen Bemühungen zur Stärkung von sozialer Eingliederung verbessert und unterstützt werden sollen. Nicht gefördert wurden dagegen re-distributive Maßnahmen auf nationaler Ebene. Mit dem Aktionsprogramm knüpften die Kommission und die Regierungen an ähnliche Programme aus den 1970er und 1980er Jahren an, weshalb dieser Handlungsstrang oft auch als deren Fortführung gewertet wurde. Die Impulse, die von der OMK/Inklusion an die nationalen Felder ausgehen, übertrafen demnach zum einen die in der OMK-Debatte definierten Erwartungen, da sie auch Projekte im nichtstaatlichen Bereich und auf europäischer Ebene finanzierten. Zum anderen blieben sie jedoch auch hinter den Erwartungen zurück, denn sie waren unverbindlich, vage und diffus in solchen Bereichen, die die Arbeit der Regierungen betreffen. Aufbauend auf diesen Ergebnissen ist nun zu fragen, wie die Impulse durch die Regierung und durch den nichtstaatlichen Sektor verarbeitet wurden. Die Untersuchung über die nationale Nutzung der europäischen Impulse bestätigte, die Annahme, dass die OMK/Inklusion auf eine national feldspezifische Weise genutzt wird. Ferner wurde deutlich, dass eine erfolgreiche Kopplung an bestimmte nationale Rahmenbedingungen geknüpft ist. Gemeinsam ist allen drei hier untersuchten Staaten, dass die OMK/Inklusion innerhalb der Regierung als administrativer Prozess organisiert wurde, an dem die politische Spitze kaum beteiligt war. Die bei der OMK/Inklusion federführenden Beamten betonten in meinen Interviews, dass das Verfahren für das nationale Feld nur von zweitrangiger Bedeutung war. Gleichzeitig sahen sie in ihm jedoch auch Chancen, die eigene Arbeit und die der Regierung insgesamt im Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu verbessern. Trotz dieser positiven Einschätzung war jedoch aufgrund der institutionellen Rahmenbedingungen nur in Frankreich eine erfolgreich institutionelle Kopplung möglich. Von essenzieller Bedeutung erwiesen sich insbesondere die organisationalen Rahmenbedingungen. Denn nur in Frankreich war die national zentrale Generaldirektion mit der Umsetzung des Verfahrens betraut. Dagegen behinderten in Deutschland und Italien die bestehenden Administrationsstrukturen in Kombination mit der Organisation der OMK/Inklusion eine wirkungsvolle Umsetzung des Verfahrens. In beiden Staaten gab es innerhalb der Regierung keine zentrale Kompetenzstelle im Kampf gegen soziale
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Ausgrenzung, vielmehr waren die Aufgaben auf verschiedene Ministerien und verschiedene staatliche Ebene verteilt. Somit existierten zahlreiche Kompetenzstellen, die teilweise um ihre Zuständigkeiten konkurrierten und nur bedingt miteinander zusammenarbeiteten. Darauf aufbauend hatten die bei der OMK/Inklusion federführenden Beamten kaum nationale Durchsetzungskompetenzen, während die zahlreichen nationalen Kompetenzträger nur indirekt bzw. kaum in den Prozess eingebunden waren. Gleichwohl zeigen sich auch zwischen den beiden dezentral organisierten Feldern Unterschiede: So waren die Beamten in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich und Italien weisungsgebunden, sodass die deutschen Kompetenzträger zumindest über die im Rahmen der OMK/Inklusion anstehenden Fragen unterrichtet wurden. In Italien kannten die nationalen Kompetenzträger dagegen das Verfahren gar nicht oder nur oberflächlich. Aufgrund dieser Ergebnisse wird auch verständlich, warum die OMK/ Inklusion die größten Einflusschancen auf die Politik in Frankreich hatte, in Deutschland innerhalb der Regierung zwar bekannt war, jedoch auf Vorbehalte stieß, während sie in Italien nur strategisch genutzt wurde und ohne praktische Folgen blieb. In Frankreich führte die OMK/Inklusion anfangs primär zu individuellen Lernprozessen innerhalb der federführenden Direktion. Die Administration nutzte die Erkenntnisse des europäischen Austausches, um das eigene Problembewusstsein zu schärfen, auch wenn viele Leitbilder als unantastbar galten. Auch verbesserte sie mithilfe des Prozesses die eigene Handlungsfähigkeit, indem sie die Erfahrungen aus den europäischen Debatten für die eigene Arbeit verwendeten. Schließlich wurden auf administrativer Ebene die Kontakte zwischen den Direktionen für die NAP/Inklusion ausgebaut und intensiviert, was auch auf den Druck der Kommission zurückzuführen ist, die am ersten NAP/Inklusion kritisiert hatte, dass dieser ohne eine interministerielle Abstimmung erstellt wurde. Später flossen diese Lernerfolge in die aktuellen Regierungsprojekte ein und mündeten in institutionellen Veränderungen. So wurde der soziale Kohäsionsplan im Jahr 2004 zwar vom Sozialminister und seinem engsten Mitarbeiterstab ohne Bezug auf die OMK/Inklusion entwickelt. Gleichzeitig wurde hierfür auch auf die Expertise der bei der OMK/Inklusion federführenden Direktion zurückgegriffen, die u.a. von dem europäischen Verfahren geprägt war. Noch deutlicher und stärker war der Einfluss der OMK/Inklusion auf die Entwicklung und Umsetzung eines neuen Budgetrechts, das im Jahr 2006 in Kraft trat. Hier konnten die Beamten die Erfahrungen bei der Entwicklung von europäischen Indikatoren verwenden, um rasch Indikatoren für das neue Recht zu entwickeln. Ferner nutzten sie den zweiten NAP/Inklusion, um auf administrativer und damit politisch unproblematischer Ebene eine Strategie zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung zu formulieren, die später bei der politisch brisanten Umsetzung des Bud-
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getrechts aufgegriffen wurde. Schließlich nahmen sie die Erfahrungen aus den europäischen Debatten zur Stärkung der eigenen Position in den regierungsinternen Debatten auf. Die Nutzung der OMK/Inklusion war deshalb auch ein Faktor, der dazu führte, dass der Bereich soziale Kohäsion bei der Implementierung des neuen Budgetrechts zum Vorbild für andere wurde. Somit fand eine Beeinflussung statt, welche der politischen Spitze im Feld oftmals gar nicht bewusst war. Denn jene sah in dem Verfahren vor allem eine Möglichkeit, die soziale Integration auf europäischer Ebene voranzutreiben und in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auch wurde an den bestehenden Leitbildern festgehalten und der Prozess auf Basis der bestehenden Aufgabenteilung organisiert. So kam es zwar zu einer Modifizierung des Governance-Ansatzes innerhalb der Regierung, im gesamten Feld wurden jedoch die bisher marginalisierten Akteure und Organisationen wie die lokalen Behörden weiterhin nicht an der Entwicklung von Regierungsprojekten beteiligt. Die Impulse der OMK/Inklusion wurden entsprechend von der federführenden Generaldirektion aufgegriffen und konnten dazu beitragen, den Handlungsansatz der Regierung zu verändern. In Deutschland entwickelten die federführenden Beamten aufbauend auf den Zielen und Erkenntnissen aus den Benchmarkingverfahren einen neuen Ansatz von sozialer Eingliederung, der über die bisherigen armutszentrierten Leitbilder hinausging. Beispielsweise wurde im zweiten Armuts- und Reichtumsbericht der eigene Ansatz in expliziter Anlehnung an das europäische Verfahren entwickelt. Allerdings konnten die Beamten ihre Erkenntnisse nur unzureichend in die staatlichen Debatten einbringen. Die Gründe lagen nicht nur in ihren mangelhaften Durchsetzungskompetenzen, sondern auch in einer Europaskepsis und einem fehlenden Problembewusstsein unter den meisten deutschen Sozialpolitikern und der übrigen Administration. Jene werteten die OMK/Inklusion als einen unverhältnismäßigen Eingriff in die eigenen Kompetenzen und als Gefahr für die eigenen Standards. Die OMK/Inklusion stieß jedoch nicht nur auf kognitiver Ebene ans Grenzen. So beurteilten sowohl die bei der OMK/Inklusion federführenden Beamten als auch die nationalen Kompetenzträger das auf nationaler Ebene bestehende Set an Instrumenten gegen soziale Ausgrenzung als ausreichend und sahen keinen Handlungsbedarf. Auch wurden die europäischen Impulse als nicht anschlussfähig an den deutschen Handlungsansatz gewertet. Schließlich zeigte meine Untersuchung auch, dass die OMK/Inklusion keinen Einfluss in die Governance-Struktur hatte. Für die Erstellung der NAP/Inklusion wurden zwar die Bundesländer, die kommunalen Spitzenverbände und nichtstaatliche Organisationen konsultiert und aktiv in die Erstellung eingebunden. Dies geschah jedoch größtenteils auf Basis von bestehenden Kontakten, sodass keine neuen Kommunikationsstrukturen aufgebaut wurden.
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Ähnlich wie in Deutschland, wenn auch aus anderen Gründen, kam es in Italien während der hier untersuchten Zeitperiode kaum zu einer Irritation der Diskussionen innerhalb der Regierungen durch den Prozess. Die Mitte-linksRegierung sah in dem Verfahren zwar eine Möglichkeit, den nationalen Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu stärken, allerdings konnte sie die Impulse in ihrer Regierungszeit (2000-2001) nicht mehr nachhaltig umsetzen. Auch muss offen bleiben, ob die Regierung ihre Reformpläne gegen den Widerstand der Regionen und der anderen politischen Kräfte hätte durchsetzen können. Später versuchten die an dem Verfahren beteiligten Beamten die Instrumente der OMK/Inklusion zu nutzen, um nationale Sozialpolitik zu stärken, nationale Kommunikationsstrukturen aufzubauen und das Wissen über den Prozess zu verbreiten. Diese Bemühungen waren jedoch nicht erfolgreich, denn die entscheidenden Stellen in der Regierung hatten kein Interesse bzw. wenig Wissen über das Verfahren. Diese Ergebnisse können auf den ersten Blick verwundern, denn die Regierung plante in ihrem Weißbuch aus dem Jahr 2003 ein transregionales Lernverfahren einzuführen, das die wohlfahrtsstaatlichen Bemühungen der verschiedenen Ebenen miteinander koordinieren sollte und sich nach Angaben der Regierung an der Offenen Methode der Koordinierung anlehnt. Gleichwohl waren diese Diskussionen nur von kurzer Dauer und das angedachte Lernverfahren wurde nicht weiter verfolgt. Um dieses Paradox zwischen marginaler Beachtung im Alltag und der expliziten Bezugnahme im Weißbuch verstehen zu können, muss zwischen einer OMK als abstraktem Handlungsansatz und dem konkreten Prozess unterschieden werden. Auf abstrakter Ebene wurde die OMK im Allgemeinen als Argument zur Legitimierung der eigenen Pläne aufgegriffen, wobei besonders ihr Polyzentrismus, ihr subsidiäres System sowie die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten als Vorbild für einen eigenen transregionalen Regierungsansatz hervorgehoben wurden. Der konkrete Prozess wurde dagegen als zentralistisches Verfahren gewertet, das nicht anschlussfähig an die nationale Ordnung ist. Hinzu kam, dass die Ausführungen in dem Weißbuch darauf hindeuten, dass die Vorlage für den Regierungsplan weniger die OMK/Inklusion, sondern vielmehr die Europäische Beschäftigungsstrategie war, denn in dem Regierungsdokument wird auf Instrumente (z.B. Empfehlungen) verwiesen, die es in der Europäischen Beschäftigungsstrategie, nicht aber in der OMK/Inklusion gibt. Das Verfahren konnte somit in Italien nicht die von einigen Wissenschaftlern erhoffte Wirkung erzielen und dazu beitragen, das Wohlstandsgefälle im Land und die hohe Armutsrate zu reduzieren. Die Regierungen nutzten die OMK/Inklusion somit jeweils vor dem Hintergrund der eigenen Problemwahrnehmung und Reformpläne auf Basis der bestehenden Kommunikations- und Entscheidungsprozesse. Auch im nichtstaatlichen Bereich wurde die OMK/Inklusion auf Basis der eigenen Leitbilder, Erfahrungen
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und Debatten evaluiert und organisiert. Weitgehend unbekannt war der Prozess im französischen nichtstaatlichen Sektor. Die NGOs bzw. NGO-Mitarbeiter, die ihn kannten, sahen seinen primären Nutzen in der Stärkung der europäischen Zivilgesellschaft. Dagegen werteten viele italienischen und deutschen NGOs das Programm als Lernchance, wobei sich die genauen Ziele unterscheiden: Während die deutschen Wohlfahrtsverbände und gemeinnützigen Vereine die OMK/Inklusion als eine Möglichkeit wahrnahmen, durch die sie die nationalen Leitbilder kritisch hinterfragen können, verstanden die italienischen NGOs das Verfahren als Chance, die eigene Handlungsfähigkeit zu steigern. Ausgehend von diesen Erkenntnissen überrascht nicht, dass die OMK/Inklusion vor allem die italienischen und die deutschen NGOs beeinflusste. In Italien wurde der Prozess aufgegriffen, um europäische und lokale Beziehungen zu anderen NGOs oder lokalen Behörden auf- und auszubauen. Ferner versuchten sie mithilfe von transnationalen Erfahrungsprojekten, den eigenen Handlungsansatz effizienter zu gestalten. In Deutschland nutzten zahlreiche NGOs die Definitionen, Modelle und Analysen der europäischen Ebene, um eigene Modelle und Konzepte von sozialer Eingliederung zu entwickeln und sich damit von der staatlichen und der öffentlichen Wahrnehmung abzugrenzen. Ferner wurden hier im geringen Maß im Rahmen des Aktionsprogramms Kontakte zu anderen NGOs bzw. zu einzelnen lokalen Behörden geknüpft. In Frankreich waren die Mitarbeiter der nationalen Netzwerke zwar stolz, dass gerade französische Initiativen die europäischen Netzwerke angeregt hatten, gleichzeitig wurde nur ein begrenzter Nutzen für die eigene Arbeit gesehen. Die französischen NGOs konzentrierten sich vor allem auf die nationalen Debatten, ohne Impulse von außen aufzugreifen. Denn das französische Sozialmodell galt oft als zu speziell, um mit anderen verglichen zu werden oder durch einen Austausch mit anderen Systemen verbessert werden zu können. Auch wurden europäische Einflüsse oft als Gefahr für die eigenen Standards gewertet. Trotz der Unterschiede stieß das Aktionsprogramm zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung in allen drei Staaten auf ähnliche Probleme: Erstens wurden immer nur einzelne Projekte gefördert, daher muss offen bleiben, ob die erreichten Lernresultate institutionalisiert werden konnten. Zweitens wurden die Lernerfahrungen nur von einzelnen Mitarbeitern gemacht. Teilweise war es schwer, die Ergebnisse in der eigenen Organisation zu verbreiten, noch problematischer war es, sie im nichtstaatlichen Sektor oder gar im Feld zu streuen. Drittens fehlten es oftmals gerade kleinen NGOs die notwendigen Ressourcen, um überhaupt an dem Programm teilnehmen zu können. Daher beteiligten sich vor allem größere Organisationen. Ferner wurde das Programm oftmals primär von der Führung der NGOs gebraucht, sodass es einen Einfluss in die politischen und grundsätzlichen Debatten und Planungen haben konnte, nicht jedoch in der tatsächlichen
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Arbeit genutzt wurde. Schließlich wurde offensichtlich, dass auch im nichtstaatlichen Sektor nicht-hinterfragbare Strukturen existieren. Beispielsweise wurden in keinem Feld die Beziehungen zur Regierung problematisiert oder als verbesserbar bezeichnet. Sowohl im staatlichen als auch im nichtstaatlichen Bereich wurde die Umsetzung von den feldspezifischen Strukturen beeinflusst, wobei sich zeigte, dass jede Organisation mit den nationalen Rahmenbedingungen anders umging und es daher keine „einen nationalen Weg“ der Implementierung gab. Dies führte dazu, dass zahlreiche deutsche NGOs die OMK/Inklusion nutzten, um die eigenen Leitbilder zu modifizieren. Dagegen wurden die Leitbilder der deutschen Regierung wie auch der französischen und der italienischen Regierung als Gegebenheiten angesehen. Der eigene Handlungsansatz wurde von der französischen Regierung und zahlreichen italienischen NGOs unter Zuhilfenahme der OMK/Inklusion verändert. Dagegen galten diesbezügliche Impulse weder für die deutsche noch für die italienische Regierung als anschlussfähig an die eigenen Vorstellungen und den eigenen Ansatz. Schließlich veränderten sich zwar die Kommunikationsstrukturen in allen drei Feldern durch die OMK/Inklusion, ein inklusiver Regierungsansatz konnte jedoch in keinem installiert werden. In Frankreich wurden vor allem die interministeriellen Kommunikationsstrukturen ausgebaut, während das Verfahren in Deutschland und Italien vor allem dazu beitrug, die Kontakte und Debattenstrukturen der NGOs zu verändern und auszubauen. Die OMK/Inklusion wurde in dieser Arbeit als Chance diskutiert, das soziale Europa zu stärken. Die Untersuchung ergab jedoch, dass das Verfahren auf europäischer und nationaler Ebene nur so stark sein kann, wie es gerade die Regierungen zulassen. Diese hatten in Lissabon im Jahr 2000 anerkannt, dass ein europaweites Problem besteht, gleichwohl waren einige von ihnen nach wie vor nicht bereit, deswegen eine europäische Zusammenarbeit und Kontrolle der nationalen Reformen anzustreben. Somit erscheinen weiche Regierungsformen wie die OMK/Inklusion ungeeignet, um die Blockaden einer sozialen Integration auf europäischer Ebene zu lösen. Auch können sie nur dann einen Beitrag zu einem sozialen Europa leisten, wenn die Regierungen dies geschlossen und nachdrücklich wünschen und auch bei der tatsächlichen Implementierung unterstützen. Ferner wurde deutlich, dass sich die Debatte um ein soziales Europa nicht darauf konzentrieren sollte, was wünschenswert und unter Idealbedingungen möglich sein kann. Sondern im Zentrum muss stehen, was unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, wenn die wissenschaftlichen Konzepte einen empirischen Erfolg haben sollen. Ferner wurde deutlich, dass die meisten Konzepte über die OMK oder ein soziales Europa nicht beachteten, dass die europäischen Initiativen nicht in der Weise umgesetzt werden, wie von ihren europäischen Konstruk-
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teuren vorgesehen. Vielmehr kann ein Erfolg von europäischen Konzepten und Maßnahmen nur verstanden werden, wenn die nationalen Einflussfaktoren bekannt sind. So wurde in dieser Arbeit deutlich, dass die in der wissenschaftlichen Debatte genannten Vorzüge von der politischen Seite mehrfach so nicht gesehen wurden, eher wurde das Verfahren vor dem Hintergrund von regierungsinternen Kompetenzstreitigkeiten und den bisherigen Erfahrungen mit der EU bewertet. Es galt daher oft als ein Versuch, in die sozialstaatlichen Kompetenzen einzugreifen und die nationale Sozialpolitik an die Belange des europäischen Binnenmarktes anzupassen. Darüber hinaus wurde offensichtlich, dass das Verfahren weniger offen ist als sein Name vermuten lässt. Die OMK/Inklusion war nicht kompatibel mit allen nationalen Administrationsstrukturen. Es zeigte sich, dass sie dort am besten umgesetzt wird, wo eine zentralistische Struktur besteht und einige wenige Akteure die Kompetenzen auf sich bündeln. Fragt man nach den Möglichkeiten die Erkenntnisse aus den nationalen Fallstudien zu verallgemeinern, so ist zu sagen, dass die drei hier untersuchten Staaten mit großen Beharrungskräften gelten. Daher kann nicht argumentiert werden, dass das Verfahren zwangsweise auch in anderen Staaten nicht erfolgreich war. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen jedoch, dass nicht von einem europaweiten Erfolg die Rede sein kann. Denn die OMK/Inklusion konnte nicht dazu beitragen, nationale Reformen anzustoßen und Reformblockaden aufzuheben, vielmehr behinderten die nationalen Barrieren auch eine erfolgreiche Implementierung des Verfahrens. Damit kann festgestellt werden, dass die OMK/Inklusion bis zum Jahr 2005 als ein Schritt auf der Suche nach Lösungen für die anstehenden sozialen Probleme gelten kann. Auch kann sie als ein Versuch bei den Bemühungen gewertet werden, ein soziales Europa zu stärken bzw. aufzubauen. In beiden Fällen muss sie jedoch als ein ausschlussreiches Experiment, nicht aber als die Lösung der Probleme verstanden werden. Diese Erkenntnisse beziehen sich auf ein sehr junges Verfahren und dessen erste Erfahrungen, weshalb sich abschließend die Frage stellt, welche Entwicklungstendenzen meine Studie offengelegt hat. Denn gegen die Ergebnisse könnte eingewandt werden, dass es sich um die Kinderkrankheiten eines doch sehr erfolgreichen Verfahrens handelt. Dem muss insofern zugestimmt werden, als meine Kenntnisse wie auch andere Studien darauf hindeuten, dass die Vorbehalte zumindest in Frankreich und Deutschland abgebaut wurden. Allerdings muss auch darauf verwiesen werden, dass dies im deutschen Feld bisher noch nicht dazu geführt hat, dass die Impulse nun im größeren Maße von der Regierung aufgegriffen werden. Gegen eine positive Entwicklung spricht weiter, dass sich Ermüdungserscheinungen breitmachen. So fragen sich u.a. die nichtstaatlichen Organisationen in Deutschland, ob sich der Aufwand rund um die NAP/ Inklusion überhaupt lohnt. Denkbar ist, dass sich bisher positiv gestimmte Orga-
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nisationen von dem Verfahren oder zumindest von bestimmten Teilen abwenden, bevor die Vorbehalte der Regierungen abgebaut werden können. Noch viel weit reichender ist jedoch eine andere Entwicklung. Bis zum Jahr 2005 nahmen viele Sozialministerien oder ähnliche bzw. benachbarte Behörden an dem Verfahren teil, um mithilfe der OMK/Inklusion die soziale Dimension auf europäischer Ebene zu stärken oder zumindest eine Schwächung zu verhindern. Es scheint, als ob die sozialpolitischen Kräfte diesen Kampf zumindest momentan verloren haben. Die soziale Dimension wurde in der neuen Lissabon-Strategie abgewertet, die OMK/Inklusion mit zwei anderen sozialpolitischen OMK-Prozessen zusammengefasst. Die Möglichkeiten, auf europäischer Ebene Konzepte und Erfahrungen zur sozialen Eingliederung auszutauschen, sind geringer geworden, und auch auf nationaler Ebene müssen die Debatten nun mit den Themen Rente und Krankheit koordiniert werden. Die OMK/Inklusion hat durch diese Reformen an Gewicht und an Bedeutung verloren. Daher besteht die Gefahr, dass sie trotz der endogen teilweise positiven Entwicklungen zu einem Alibi wird, mit dem gezeigt werden kann, dass die europäische Integration eine soziale Dimension hat, die jedoch tatsächlich kaum praktische Relevanz hat.
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Rechtsakte
75/458/EWG: Beschluß des Rates vom 22. Juli 1975 über das Programm von Modellvorhaben und Modellstudien zur Bekämpfung der Armut 31975D0458 77/779/EWG: Beschluß des Rates vom 12. Dezember 1977 zur Änderung des Beschlusses 75/458/EWG über das Programm von Modellvorhaben und Modellstudien zur Bekämpfung der Armut. Amtsblatt L 322 vom 17.12.1977, S. 28–29 (DA, DE, EN, FR, IT, NL) 80/1270/EWG: Beschluß des Rates vom 22. Dezember 1980 über eine ergänzende Aktion zur Bekämpfung der Armut. Amtsblatt Nr. L 375 vom 31/12/1980 S. 0068 – 0069 85/8/EWG: Beschluß des Rates vom 19. Dezember 1984 über gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut auf Gemeinschaftsebene Amtsblatt L 2 vom 3.1.1985 89/457/EWG: Beschluss des Rates vom 18. Juli 1989 über ein mittelfristiges Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung der in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht benachteiligten Personengruppen Amtsblatt L 224 vom 2.8.1989, S. 10–14 92/442/EWG Empfehlung des Rates vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes. Amtsblatt Nr. L 245 vom 26/08/1992 S. 0049 – 0052. Rechtssache C-106/96: Urteil des Gerichtshofes vom 12.Mai 1998. – Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.- Gemeinsames Aktionsprogramm gegen die soziale Ausgrenzung – Finanzierung – Gesetzliche Grundlage. Sammlung der Rechtsprechung 1998, Seite I-0272