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German Pages 269 Year 2007
Timo Waldhauser Business Development in Emerging Markets
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Internationalisierung und Management Herausgegeben von Professor Dr. Hans A. Wüthrich
Die Schriftenreihe präsentiert Ergebnisse der betriebswirtschaftlichen Forschung zu den Themengebieten Internationalisierung und Management. Im verbindenden Diskurs zwischen Theorie und Praxis verfolgt die Reihe das Ziel, Organisationen praxisnahe Lösungsansätze zu aktuellen Managementherausforderungen bereitzustellen und gleichzeitig einen Beitrag zur theoretischen Fundierung von Fragestellungen der Führungspraxis, nicht zuletzt im internationalen Kontext, zu leisten.
Timo Waldhauser
Business Development in Emerging Markets Das Beispiel der Versicherungsbranche in der Volksrepublik China
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hans A. Wüthrich
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität der Bundeswehr München, Neubiberg, 2006 Der Druck dieser wissenschaftlichen Arbeit ist aus Haushaltsmitteln der Universität der Bundeswehr München gefördert.
1. Auflage Februar 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Brigitte Siegel / Stefanie Loyal Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0604-1
Meinen Eltern gewidmet, die mir meine eigenen Wege ermöglicht haben und mit ihrer Liebe und Unterstützung immer für mich da sind.
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Geleitwort
Geleitwort Im Gegensatz zu Unternehmen haben Märkte keine Kultur, keine Führer und keine Emotionen; sie empfinden nicht Verzweiflung, Depression, Ablehnung oder Hoffnung. Sie kennen weder Erinnerungen noch Reue. Märkte haben keine Denkmodelle - Sie warten einfach darauf, dass die herrschenden Kräfte etwas hervorbringen. G. Foster und R. Kaplan
Der Ausdruck Emerging Market steht im wirtschaftlichen Kontext für einen aufstrebenden Markt. Dazu zählen große Staaten wie China, Indien, Indonesien aber auch kleinere Länder in Osteuropa wie Bulgarien und Rumänien. Die ökonomische Attraktivität der Emerging Markets liegt insbesondere in den im Vergleich zu den gesättigten Märkten hohen Wachstumsraten. Im Rahmen der Internationalisierungsbemühungen vieler Unternehmen genießen diese Märkte deshalb heute eine hohe Aufmerksamkeit. Bei der Erschließung wenden Organisationen oft die in den gesättigten Märkten (Muture Markets) bewährten Markteintrittsstrategien an, d.h. man versucht die erfahrensbasierten Erfolgsmuster zu multiplizieren. Hier setzt die Arbeit von Herrn Waldhauser ein. Er hinterfragt die Prämisse, dass Emerging Markets zwingend den Trittspuren der Industrieländer folgen müssen und stellt dieser linearen – der Entwicklungsleiter von Keni Ohmae – folgenden Logik interessante alternative Betrachtungen entgegen. Seine Schlussfolgerung lautet: Die Entwicklung von Emerging Markets kann als linearer Pfad oder mehrdimensionaler Raum gesehen werden. Drei Forschungsfragen stehen im Zentrum der Arbeit: • Wie beeinflusst der eigene Erfahrungshintergrund die Strategieentwicklung für einen Emerging Market? • Wie kann ein Unternehmen bei der Strategieentwicklung den Besonderheiten eines Emerging Market gerecht werden? • Bietet ein erweiterter strategischer Ansatz Möglichkeiten eines bedarfsgerechteren Angebots für die Bevölkerung in einem Emerging Market? Kern der Arbeit bildet die Herleitung einer Business Development Methodik für Emerging Markets. Die Operationalisierung der vorgeschlagenen Methodik erfolgt an-
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Geleitwort
hand der Versicherungsbranche in der VR China. Mit seiner generischen, konzeptionell durchdachten Methodik gelingt es dem Autor eine Lücke in der betriebswirtschaftlichen Forschung zu schließen und einen wertvollen Beitrag für das Internationale Management zu liefern. Ich wünsche dieser interessanten Arbeit die verdiente Verbreitung und Resonanz.
Univ.-Prof. Dr. Hans A. Wüthrich
Vorwort
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Vorwort Nachdem mit dem Abschluss dieser Arbeit auch ein Lebensabschnitt als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationales Management der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität der Bundeswehr München zu Ende geht, möchte ich all jenen von Herzen danken, die mich während dieser Zeit begleitet haben: • Meinem akademischen Lehrer, Herrn Univ.-Prof. Dr. Hans A. Wüthrich, der ein Fenster aufgestoßen hat und mich hinausschauen ließ. Hochachtungsvoll und voller Dankbarkeit blicke ich auf die Zeit der Zusammenarbeit zurück. • Herrn Univ.-Prof. Dr. Dr. Klaus Höher für die freundliche Übernahme des Koreferats und die anregenden Diskussionen zu dieser Arbeit. • Meinem Freund und Kollegen Herrn Dr. Dirk Osmetz, für die Tasse Kaffee im Herbst 2002 in Ludwigshafen, die so vieles verändert hat, und sein Engagement als kritischer Diskussionspartner, mit der er diese Arbeit in allen Phasen begleitet hat. • Frau M.A. Gabriele Kreuss für die gewissenhafte Endkorrektur und die aufmunternde Unterstützung. • Dem Lehrstuhlteam Internationales Management: Frau Olga Pusch, Herrn Dr. Karl Leutschaft und Herrn Dipl.-Kfm. Thomas Thym, für die Hilfe und die Freiräume, die sie mir ermöglichten. • Allen Interviewpartnern, die mir in interessanten Gesprächen mit ihren Erfahrungen die Faszination der Emerging Markets näher brachten. • Den Mitarbeitern der Allianz Insurance Company Guangzhou Branch, deren Freundlichkeit und Gastfreundschaft in mir einen prägenden Eindruck hinterließen. • And last but not least the wonderful lady who has been at my side and has given me so much support and happiness.
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Vorwort
Ich möchte all jenen danken, die hier nicht namentlich erwähnt sind und die doch ihren Anteil am Entstehen dieser Arbeit hatten. Wie oft waren es die kleinen aufmunternden Worte und Gesten, die über schwierige Phasen hinweghalfen und die so wichtig für den Erfolg dieser Dissertation waren.
Timo Waldhauser
Inhaltsübersicht
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Inhaltsübersicht Abbildungsverzeichnis……………………………………………………. XVII Tabellenverzeichnis…………………………………………………………XXI Abkürzungsverzeichnis………………………………………………….. XXIII
Teil A: Konzeption der Business Development Methodik………………….. 1 1 Motivation der Betrachtung von Emerging Markets………………………1 2 Betrachtungsweise von Emerging Markets………………………………. 38 3 Von Märkten zu Räumen…………………………………………………. 63
Teil B: Exemplifikation der Business Development Methodik…………... 115 4 Transfer des Tensors……………………………………………………… 119 5 Mutation des Tensors……………………………………………………... 150 6 Rückkopplung des Tensors………………………………………………. 190 7 Schlussbetrachtung……………………………………………………….. 197
Anhang A: Der Drache erwacht…………………………………………… 203 Anhang B: Forschungsmethodik……………………………………………214 Literaturverzeichnis………………………………………………………… 225
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ................................................................................. XVII Tabellenverzeichnis ........................................................................................XXI Abkürzungsverzeichnis...............................................................................XXIII
Teil A: Konzeption der Business Development Methodik .............................. 1 1 Motivation der Betrachtung von Emerging Markets ................................... 1 1.1 Das Ende der Triade? ........................................................................................................ 4 1.1.1 Die Macht der Triade! ................................................................................................... 6 1.1.2 Die Macht der Emerging Markets? ............................................................................. 10 1.1.3 Das Engagement in Emerging Markets....................................................................... 14 1.2 Die Hilfe der Wissenschaft .............................................................................................. 23 1.2.1 Das Design der internationalen Unternehmung .......................................................... 26 1.2.2 Das Management der internationalen Unternehmung................................................. 28 1.2.3 Das Management neuartiger Märkte ........................................................................... 29 1.3 Das Ziel und Vorgehen der Arbeit.................................................................................. 34
2 Betrachtungsweise von Emerging Markets ................................................. 38 2.1 Grundlagen der Betrachtung .......................................................................................... 39 2.1.1 Was wird beobachtet? ................................................................................................. 39 2.1.2 Wer beobachtet? ......................................................................................................... 41 2.1.3 Warum wird beobachtet? ............................................................................................ 45 2.2 Verständnis von Entwicklung ......................................................................................... 49 2.3 Alternative Betrachtungsweise von Emerging Markets ............................................... 57
3 Von Märkten zu Räumen .............................................................................. 63 3.1 Denken in Räumen ........................................................................................................... 65 3.1.1 Idee des Raums............................................................................................................ 65 3.1.2 Charakteristiken des Raums ........................................................................................ 68 3.2 Branchensegmentierung .................................................................................................. 74 3.2.1 Grundlagen der Segmentierung................................................................................... 75 3.2.2 Branchentensor............................................................................................................ 78
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Inhaltsverzeichnis
3.3 Expansion in Emerging Markets .................................................................................... 83 3.3.1 Etablierte Geschäftsfelder ........................................................................................... 84 3.3.2 Expansion in neue Märkte – Entwicklung als Linie ................................................... 86 3.3.3 Expansion in neue Räume ........................................................................................... 92 3.4 Business Development Methodik für Emerging Markets ............................................ 99
Teil B: Exemplifikation der Business Development Methodik................... 115 4 Transfer des Tensors.................................................................................... 119 4.1 Definition des Tensors.................................................................................................... 119 4.2 Übertragung des Tensors............................................................................................... 122 4.2.1 Die chinesische Ökonomie........................................................................................ 122 4.2.2 Von der eisernen Reisschüssel zur Versicherungspolice .......................................... 127 4.2.3 Der Schritt nach China .............................................................................................. 131 4.3 Evaluation der neuen Kategorien ................................................................................. 133 4.3.1 Unterschiede zu etablierten Märkten......................................................................... 134 4.3.2 Wettbewerbsvorteile.................................................................................................. 138 4.3.3 Zusammenfassung: Optionen des Transfers ............................................................. 147
5 Mutation des Tensors................................................................................... 150 5.1 Reflexion der Kategorien............................................................................................... 150 5.1.1 Die Dimension: Region ............................................................................................. 151 5.1.2 Die Dimension: Leistungsangebot ............................................................................ 157 5.1.3 Die Dimension: Zielgruppe ....................................................................................... 161 5.2 Evaluation der neuen Kategorien ................................................................................. 171 5.2.1 Region ....................................................................................................................... 172 5.2.2 Leistungsangebot....................................................................................................... 173 5.2.3 Zielgruppe ................................................................................................................. 174 5.3 Anpassung des Tensors .................................................................................................. 186
6 Rückkopplung des Tensors ......................................................................... 190 6.1 Lernen von China........................................................................................................... 191 6.2 Optionen der Rückkopplung......................................................................................... 194
7 Schlussbetrachtung ...................................................................................... 197
Inhaltsverzeichnis
XV
Anhang A: Der Drache erwacht .................................................................... 203 1 Der Höhepunkt des Reiches der Mitte ............................................................................ 203 2 Der lange Abstieg .............................................................................................................. 205 3 Der Wiederaufstieg ........................................................................................................... 208
Anhang B: Forschungsmethodik ................................................................... 214 1 Literaturrecherche ............................................................................................................ 214 2 Das Experteninterview...................................................................................................... 215
Literaturverzeichnis........................................................................................ 225
Abbildungsverzeichnis
XVII
Abbildungsverzeichnis Kapitel 1
Abbildung 1: Marktdurchdringung in Emerging Markets…………………………… 2 Abbildung 2: Weltmarktanteil der Triade-Länder 2004……………………………... 8 Abbildung 3: Weltweite Verteilung der Bevölkerung und des Einkommens 2004…. 9 Abbildung 4: Positive Wachstumsaussichten für Emerging Markets in den Jahren 2004 – 2014………………………………………………………… 12 Abbildung 5: Triade vs. Emerging Markets: Versicherungsprämie pro Einwohner in US-$..................................... 15 Abbildung 6: Triade vs. Emerging Markets: Versicherungsprämie pro Einwohner in % des Einkommens……… 16 Abbildung 7: Triade vs. Emerging Markets: Versicherungsprämie pro Einwohner in % des Einkommens nach Abzug der Ausgaben für Nahrungsmittel……………………………………………………… 18 Abbildung 8: Internationales Management………………………………………… 24 Abbildung 9: General Managementlehre des Internationalen Managements……….25 Abbildung 10: Inhaltliche Fragestellungen einer Strategie………………………….. 31 Abbildung 11: Einordnung der Strategieentwicklung für Emerging Markets………..32
Kapitel 2
Abbildung 1: Das Objekt der Beobachtung………………………………………… 40 Abbildung 2: Der Beobachter als Teil der Beobachtung…………………………… 42 Abbildung 3: Einkommensentwicklung pro Einwohner von 1600 bis 1998……… 52 Abbildung 4: Die Entwicklungsleiter der Emerging Markets……………………… 54 Abbildung 5: Vergleich des BIP pro Einwohner zwischen der VR China in den Jahren 1991 – 1999 und Japan in den Jahren 1950 – 1971………….. 57 Abbildung 6: Relativity, M. C. Escher……………………………………………... 61
XVIII
Abbildungsverzeichnis
Kapitel 3 Abbildung 1: Bezugsrahmen - Ebenen der Argumentation…………………………63 Abbildung 2: Bezugsrahmen - Ebenen der Argumentation…………………………71 Abbildung 3: Simplizität versus Komplexität……………………………………… 72 Abbildung 4: Branchentensor in der Telekommunikationsbranche……………….. 81 Abbildung 5: Branchentensor des Unternehmens………………………………….. 85 Abbildung 6: Erweiterung des Branchentensors…………………………………… 87 Abbildung 7: Verknüpfungen zu neuen Märkten………………………………….. 88 Abbildung 8: Branchentensor: Erweiterung der Kategorien……………………….. 93 Abbildung 9: Branchentensor: Erweiterung der Dimensionen……………………...94 Abbildung 10: Branchentensor: Neue Felder durch räumliches Denken…………… 97 Abbildung 11: Definition des Branchentensors……………………………………..100 Abbildung 12: Definition des Branchentensors – Beispiel………………………….101 Abbildung 13: Übertrag des Tensors auf den Emerging Market……………………101 Abbildung 14: Reflexion der Kategorien – Alternative Kategorien……………… 104 Abbildung 15: Reflexion der Kategorien – Potenzielle Kategorien……………….. 105 Abbildung 16: Reflexion der Kategorien – Alternative Kategorien – Beispiel…… 108 Abbildung 17: Adaption des Tensors……………………………………………… 108 Abbildung 18: Rückkopplung des Tensors………………………………………….109 Abbildung 19: Rückkopplung des Tensors – Beispiel……………………………... 110 Abbildung 20: Business Development Methodik………………………………….. 111
Kapitel 4 Abbildung 1: Bezugsrahmen - Ebenen der Argumentation………………………. 115 Abbildung 2: Schritt 1: Definition des Tensors…………………………………… 121 Abbildung 3: Entwicklung des BNE pro Einwohner in der VR China…………… 124 Abbildung 4: Bruttonationaleinkommen im Jahr 2004 in Mrd. US-$...................... 125 Abbildung 5: Meilensteine in der Entwicklung des chinesischen Versicherungsmarktes……………………………………………… 128
Abbildungsverzeichnis
XIX
Abbildung 6: Schritt 2: Übertrag des Tensors……………………………………. 131 Abbildung 7: Neue Geschäftsfelder………………………………………………. 133 Abbildung 8: Optionen des Transfers…………………………………………….. 147 Abbildung 9: Rote Ozeane versus Blaue Ozeane………………………………… 147
Kapitel 5
Abbildung 1: Die Suche in der Unendlichkeit der räumlichen Dimension……….. 151 Abbildung 2: Suche nach alternativen regionalen Kategorien……………………. 154 Abbildung 3: Suche nach alternativen Zielgruppenkategorien…………………… 160 Abbildung 4: Bruttonationaleinkommen pro Einwohner 2004…………………… 162 Abbildung 5: Nur die Spitze der Pyramide……………………………………….. 166 Abbildung 6: Einkommensverteilung in den USA und China……………………. 167 Abbildung 7: Suche nach alternativen Zielgruppenkategorien…………………….168 Abbildung 8: Wertematrix zur Evaluation von Geschäftsfeldern………………… 183 Abbildung 9: Wertematrix zur Evaluation von Geschäftsfeldern………………… 185 Abbildung 10: Schritt 6: Anpassung des Tensors………………………………….. 186 Abbildung 11: Optionen der Mutation…………………………………………….. 188 Abbildung 12: Blaue Ozeane versus Rote Ozeane………………………………… 188
Kapitel 6
Abbildung 1: Schritt 7: Rückkopplung des Tensors………………………………. 195
Kapitel 7
Abbildung 1: Bezugsrahmen - Ebenen der Argumentation………………………. 198 Abbildung 2: Business Development Methodik………………………………….. 199
XXI
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis Kapitel 1
Tabelle 1:
Das Design einer internationalen Unternehmung…………………… 26
Tabelle 2:
Das Management einer internationalen Unternehmung…………….. 28
Tabelle 3:
Ziel und Vorgehen der Arbeit……………………………………….. 37
Kapitel 2
Tabelle 1:
Mehrdimensionaler Vergleich zwischen China im Jahre 1999 und Japan im Jahre 1958……………………………………………….. 58
Kapitel 3
Tabelle 1:
Unendlichkeit des Branchentensors…………………………………. 96
Kapitel 4
Tabelle 1:
Produkt Know-how………………………………………………… 140
Tabelle 2:
Management Know-how…………………………………………… 142
Tabelle 3:
Service……………………………………………………………… 143
Tabelle 4:
Image………………………………………………………………. 145
Tabelle 5:
Innovationsfähigkeit……………………………………………….. 146
Tabelle 6:
Wettbewerbsvorteile……………………………………………….. 149
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis $
Dollar
IT
Information Technology
AIG
American International Group
IWF
Internationaler Währungsfonds
BIP
Bruttoinlandsprodukt
KPCh
Kommunistische Partei Chinas
BNE
Bruttonationaleinkommen Mio.
Millionen
Mrd.
Milliarde
NAFTA
North American Free
(ehemals Bruttosozialprodukt) Bspw.
Beispielsweise
Ca.
circa
CEO
Chief Executive Officer
CIA
Trade Agreement OECD
Organization for Economic Cooperation and Development
o. g.
oben genannte
PC
Personal Computer
PICC
People's Insurance Company of China
Pkw
Personenkraftwagen
S.
Seite
s.
siehe
SGE
Strategische Geschäftseinheit
SGF
Strategisches Geschäftsfeld
t
Tonne (= 1.000 Kilogramm)
Central Intelligence Agency
DSL
Digital Subscriber Line
DVD
Digital Versatile Disc
engl.
englisch
et al.
et alteri
EU
Europäische Union
GMD
Guomindang (Nationale Volkspartei)
Hrsg.
Herausgeber
http
Hyper Text Transfer Protocol
i. d. R.
in der Regel
int.
international
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
u.
und
Vgl.
Vergleiche
UN
United Nations
VR
Volksrepublik
UNCTAD
United Nations Confer-
vs.
versus
ence on Trade and Development
o. V.
ohne Verfasser
WTO
World Trade Organization
www
world wide web
UNDP
United Nations Development Programme
US
United States
z. B.
zum Beispiel
USA
United States of America
zit.
zitiert
usw.
und so weiter
1
Das Ende der Triade?
Teil A: Konzeption der Business Development Methodik
1 Motivation der Betrachtung von Emerging Markets „Why Europe was the past, the US is the present and a China-dominated Asia the future of the global economy.“ Financial Times 1
Schlagzeilen wie diese prophezeien eine Veränderung im Kräftegewicht der globalen Wirtschaft. Während die Weltwirtschaft zwei Jahrhunderte lang von Europa und seinem prosperierenden Ableger Nordamerika dominiert wurde,2 zeichnete sich mit dem auslaufenden 20. Jahrhundert eine Veränderung in diesem Kräftegewicht ab, die mit der Entwicklung Japans ab den 50er Jahren schon Realität geworden ist.3 War der Aufstieg Japans nur ein Vorbote einer größeren globalen Verschiebung?
Mit Korea, Taiwan, Thailand, Indonesien und Malaysia sind weitere asiatische Länder dem japanischen Wachstum gefolgt und haben ihre wirtschaftliche Unterentwicklung überwunden.4 Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Ende des Kalten Krieges haben sich auch die osteuropäischen Länder mit dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft neu positioniert. Während der 90er Jahre hat sich der Fokus von Investoren, Managern und Politikern aus den USA, Europa und Japan verstärkt auf die aufstrebenden Volkswirtschaften in Asien, Lateinamerika und Osteuropa gelegt. Für viele Unternehmen sind diese Emerging Markets die neuen Expansionsziele ihrer Geschäftstätigkeit geworden.5 Knut Bleicher listet die fortschreitende Internationalisierung und Globalisierung, die neue Ära der Ost-West-Beziehungen und das Pazifische Becken als zukünftiger Wirt-
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5
Wolf, M., 2003, S. 13. Vgl. Maddison, A., 1995, S. 20. Vgl. Maddison, A., 1995, S. 74. Die Zeit von 1950 - 1973 war global durch einen sehr starken wirtschaftlichen Aufschwung geprägt, der keine historischen Parallelen kennt und in allen Regionen beobachtet werden konnte. Das Wachstum war am stärksten in Europa und Asien, wobei die japanische Entwicklung eine Spitzenstellung einnahm [Vgl. Maddison, A., 1995, S. 73 - 78]. Vgl. Campos, J. / Root, H., 1996, S. 1. Einen beeindruckenden wirtschaftlichen Aufschwung vollzogen auch Singapur und Hongkong, die jedoch als Stadtstaaten einen Sonderstatus einnehmen. Vgl. Garden, J., 1997, S. 38.
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Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
schaftsraum als drei von zehn Mega-Trends auf, die das Umfeld maßgeblich prägen, in dem das Management der Zukunft sich bewähren muss.6 Doch wie sieht die momentane Situation in diesen viel versprechenden Märkten aus? Bei einem exemplarischen Blick auf die drei Branchen Telekommunikation, Versicherungen und Automobile zeigen sich gravierende Differenzen der Marktdurchdringung zwischen etablierten Märkten und Emerging Markets.
Marktdurchdringung in Emerging Markets P kw
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P kw V ersich erun ge n M o biltele fo ne
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Quelle: Eigene Darstellung nach SwissRe (Hrsg.), 2004, S. 33 – 42 u. o. V., 2004a. Kapitel 1 – Abbildung 1
Abbildung 1 zeigt die deutliche Differenz in der Marktdurchdringung zwischen den drei Blöcken der Triade und vier großen Emerging Markets.7 Die Durchdringung des
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Die anderen 7 Trends sind: 1. Starke Wachstumsimpulse und rezessive Einflüsse lösen einander ab; 2. Beachtliche Schwankungen von monetären Größen und wirtschaftlichen Werten; 3. Rasanter technologischer Fortschritt; 4. Neue Informations- und Kommunikationsprozesse verändern Wirtschaftsprozesse; 5. Bedeutende demografische Veränderungen; 6. Neue Werthaltung im sozialen Umfeld; 7. Erhaltung der Umwelt wird zum zentralen Anliegen [Vgl. Bleicher, K., 2004, S. 33 – 34]. Die Marktdurchdringung wird gemessen in Mobiltelefone pro 1000 Einwohner, Pkws pro 1000 Einwohner bzw. Versicherungsprämie pro Einwohner. Die Ordinate zeigt die relative Durchdringung im Verhältnis zum Land mit der stärksten Durchdringung an. Das Land mit den meisten Pkws, Mobiltelefonen bzw. Versiche-
Das Ende der Triade?
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Markets mit Personenkraftwagen, Versicherungen oder Mobiltelefonen ist in den meisten der dargestellten Emerging Markets verschwindend gering in Relation zu den Blöcken der Triade. Während es in den USA 482 Pkw je 1000 Einwohner gibt, sind es in China nur 15. Der durchschnittliche Japaner gibt US-$ 3.771 im Jahr für Versicherungen aus, der durchschnittliche Inder US-$ 16. Über 700 Mobiltelefonen pro 1.000 Einwohner in der EU stehen 24 in Indonesien gegenüber.8 Die Produkte und Dienstleistungen der aufgezeigten Branchen scheinen die Masse der Menschen in den Emerging Markets nicht zu erreichen. Warum nicht? Was sind die Unterschiede zwischen der Triade und den Emerging Markets? Werden die Unternehmen diesen Unterschieden gerecht? Für die Strategieplanung von Unternehmen mit einem internationalem Anspruch wirft diese exemplarische Betrachtung zwei Fragen auf:
1. Welche Motivation liegt einem Markteintritt in einem Emerging Market zu Grunde? 2. Welche Produkte und Dienstleistungen werden den Bedürfnissen der potentiellen Kunden gerecht?
Das nächste Kapitel widmet sich der ersten Frage und beleuchtet, warum sich die Aufmerksamkeit vieler Unternehmen den Emerging Markets zuwendet, welche Rolle diesen Ländern in der Gegenwart aber auch in der Zukunft zukommt und was ihre wirtschaftliche Attraktivität ausmacht.
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rungsprämien wird als Säule dargestellt, die auf der Ordinate einen Betrag von 100 % hat. Die Werte der anderen Länder werden dann in Relation zu diesen 100 % ermittelt. So hat z. B. Japan mit US-$ 3.771 an Versicherungsprämien pro Einwohner die höchste Marktdurchdringung mit Versicherungen. Dieser Wert wird in der Grafik mit 100 % dargestellt. Die EU hat mit 2.030 US-$ und China mit 36 US-$ pro Einwohner 54 % bzw. 1 % des japanischen Wertes, welches durch die entsprechenden Balken dargestellt wird. Pkws pro 1000 Einwohner: USA (482), EU (453), Japan (411), Brasilien (131), Indien (5), China (15) und Indonesien (13). Mobiltelefone pro 1000 Einwohner: USA (530), EU (701), Japan (574), Brasilien (181), Indien (6), China (139) und Indonesien (24) [Vgl. o. V., 2004a]. Versicherungsprämien pro Einwohner in US-$: USA (3638), EU (2030), Japan (3771), Brasilien (83), Indien (16), China (36) und Indonesien (15) [Vgl. SwissRe (Hrsg.), 2004a, S. 33 – 42].
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Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
1.1 Das Ende der Triade? „Beachte immer, dass nichts bleibt, wie es ist, und denke daran, dass die Natur immer wieder ihre Formen wechselt.“ Marc Aurel9
Bevor im Weiteren die Bedeutung der aufstrebenden Volkswirtschaften generalisierend diskutiert wird, soll exemplarisch ein Emerging Market betrachtet werden, dessen Name bewusst erst später genannt wird: Beispiel Die Landwirtschaft stellt die stärkste wirtschaftliche Aktivität dar und beschäftigt 90 % der werktätigen Bevölkerung. Die Bewirtschaftungstechniken sind unter Nutzung der einfachsten Werkzeuge im Vergleich mit Europa primitiv und unwirtschaftlich.10 Unterschiede ergeben sich aus Bodenbeschaffenheit, Klima und Weltanschauung. Während in den nördlichen Provinzen nur für den eigenen Bedarf produziert wird, herrscht im Süden die für den Überseehandel produzierende Plantagenwirtschaft vor, von wo Tabak, Weizen und Baumwolle über die Meere verschifft werden. Für das Handelskonzept Europas dient das Land als Rohstoffquelle und Marktgelegenheit. Die Weite des Territoriums und eine ungehinderte Vermehrung der Bevölkerung erweitern das Käuferreservoirs, das auf Produktionsgüter aus Europa angewiesen bleibt.11 Das produzierende Gewerbe besteht überwiegend aus kleinen Betrieben, die nur eine Handvoll Mitarbeiter beschäftigen. Die eingesetzten Technologien sind veraltet und die Produktivität dementsprechend gering.12 Dennoch schrecken spekulative Kapitalgeber aus Europa nicht vor Investitionen zurück.13 Das Beispiel liegt schon einige Jahre zurück und die Hoffnungen der Investoren wurden nicht enttäuscht. Der Emerging Market hat eine phantastische Entwicklung vollzogen: Die Vereinigten Staaten von Amerika.
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Zitiert nach o. V., 2006. Vgl. Jones, M., 1988, S. 17 – 18. Vgl. Sautter, U., 1991, S. 52. Vgl. Jones, M., 1988, S. 17. Vgl. Mobius, M., 1995, S. 13.
Das Ende der Triade?
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Der Blick zurück in die Vergangenheit des 18. Jahrhunderts zeigt, dass der Grundgedanke der neu entstehenden Märkte eine lange Geschichte hat. Die Dynamik der Evolution verurteilt jede Unterscheidung zwischen entwickelten und entstehenden Märkten zu einer Momentaufnahme. Welche Entwicklung bringt diese Dynamik mit sich, wenn wir den Blick von der Vergangenheit in die Zukunft richten: Szenario Stellen wir uns im folgenden Szenario die Deutschen zu Beginn des 22. Jahrhunderts vor: Sie leben in einer Mischung aus Freilichtmuseum, Freizeitpark, Naturschutzgebiet und Club Med. Die Chinesen und ihre asiatischen Nachbarn sind Deutschlands beste und gut zahlende Kunden, die sich in Deutschland vom Tempo ihres seit über einer Generation andauernden Aufschwungs erholen wollen. Sie sind so viele, dass Deutschland gut davon leben kann. Sie sehnen sich nach Orten, die sich nicht ständig wandeln. Der Reformprozess in Deutschland, der zur Jahrtausendwende begann, war lange in einer verbissenen Debatte stecken geblieben. Erst nachdem Westdeutschland ebenso gründlich deindustrialisiert worden war wie der Osten, nachdem der Sozialstaat Konkurs angemeldet hatte und endgültig klar war, dass man Autos und andere Maschinen nur noch in Asien bauen kann, ging es wieder bergauf. Die letzten Deutschen hatten eingesehen, dass Forschung und Entwicklung sich nur noch in hoch spezialisierten Nischen lohnt, was zwar viel Geld, aber nur wenigen Arbeit brachte, und dass die schlanken deutschen Konzernzentralen Wachstum nur noch im Ausland schaffen. Erst danach war der Weg frei für Innovationen. Der Aufstieg des neuen Deutschlands begann. Die Deutschen konzentrierten sich auf die Stärken, die ihnen keiner streitig machen kann: ihre mittelalterlichen Städte, ihre vielfältige Kultur und ihre schöne Natur. Sie widmen sich diesen Aufgaben mit der ihnen eigenen, selbstzweiflerischen Gründlichkeit und haben es dabei wieder zur Weltspitze gebracht. Ihre historischen Erlebnisparks sind auf Monate ausgebucht, ebenso wie ihre Wälder und historischen Städte. Es kann sich niemand mehr vorstellen, dass es je Menschen gegeben hat, die für den Bau von Hochhäusern in München gestimmt haben. Hochhäuser brauchen die Deutschen nicht mehr, denn dazu hat Deutschland nicht genug Einwohner. Nur die pittoreske Frankfurter Skyline wurde erhalten. Sie wird von Chinesen, Malaysier und Thailändern mit Freude betrachtet. Frankfurt ist niedlich gegenüber der Vierzig-Millionen-Metropole Shanghai.
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Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
Deutschland ist zum beliebtesten Reiseziel von Millionen chinesischer Urlauber geworden. Deutsche Beamte wachen mit denkmalpflegerischer Strenge und einem riesigen Verwaltungsapparat über die Lübecker Altstadt, den hessischen Apfelwein, den Nürnberger Christkindlmarkt und darüber, dass der Originalzustand des Rheins nicht verändert wird. Im Hamburger Hafen liegen die Schiffe, die China im 19. Jahrhundert das Fürchten gelehrt haben. Und ein Darsteller Wilhelms II. und Tausende Statisten spielen zweimal täglich den kolonialen Aufbruch der Deutschen nach China nach. Deutschland ist so erfolgreich, dass in China eine kleine, aber nicht ganz zu vernachlässigende Zahl von Schulabgängern das Fach Germanistik studiert und von einem Job im Kulturmanagement träumt. Die Beschäftigung mit den alten Schriften zeigt ihnen ein Gegenbild ihrer eigenen Gesichte.14 Das von Frank Sieren entworfene Zukunftsbild ist sicherlich überzogen und möchte provozieren, aber es drückt eine Bewegung im globalen Kräftegleichgewicht aus, die schon heute erkennbar ist. Die Welt hat sich in der Vergangenheit geändert und sie wird sich auch in der Zukunft ändern. Neue Märkte sind entstanden, und es wäre fahrlässig, sich an das bestehende zu klammern und davor zurückzuschrecken, den Status Quo zu hinterfragen. Emerging Markets sind Ausdruck dieser Veränderung und verdienen deshalb eine nähere Betrachtung. Dies soll dieses Kapitel leisten, indem zunächst der Blick von der Vergangenheit und Zukunft wieder auf die Gegenwart gerichtet wird.
1.1.1 Die Macht der Triade! Seit der Postulierung der Triade mit den drei bestimmenden Wirtschaftsblöcken USA, Europa und Japan durch Kenichi Ohmae sind zwanzig Jahre vergangen. Ohmae prognostizierte das Entstehen eines neuen Unternehmenstyps, dessen Hauptmerkmal eine starke Position in den Triaderegionen ist.15 In diesen Regionen sollte es zu einer Ho-
14 15
Vgl. Sieren, F., 2005, S. 357 – 360. Vgl, Ohmae, K., 1985, S. 1. Kenichi Ohmae verwendet in seinen Veröffentlichungen den Begriff Triade für unterschiedliche Länder-Cluster. Ursprünglich spricht er von den USA, Japan und Europa [Vgl. Ohmae, K., 1985, S. 143], während er in späteren Veröffentlichungen von den USA, Japan und Westeuropa spricht [Vgl. Ohmae, K., 1987, S. 10]. Andere Autoren definieren die Triade als die drei großen Handelsblöcke USA, EU und Japan [Vgl. Rugman A. / Hodgetts R., 2003, S. 69]. In einigen Diskussionen werden statt der USA die drei Länder der NAFTA (USA, Kanada und Mexiko) unter der Bezeichnung Nordamerika als ein Pfeiler der
Das Ende der Triade?
7
mogenisierung der Nachfrage kommen, durch die Angleichung der Kaufkraft, der Durchsetzung des Lebensstils einer Wohlstandsgesellschaft und der Entwicklung eines gemeinsamen Marktes von „Triade-Bürgern“.16 In der Triade sollten sich die wichtigsten Märkte konzentrieren und aus ihr heraus die zukunftweisenden Innovationen entstehen.17 Alle betrieblichen Funktionen mussten auf die Triade ausgerichtet werden. Die herausragende Stellung der Triade hat sich in den vergangenen Jahren bestätigt und ist bis heute nicht überholt, trotz einer Vergrößerung der internationalen Geschäftstätigkeit und einer steigenden Bedeutung insbesondere von asiatischen Länder wie der VR China, Taiwan und Südkorea als Exporteure und Importeure. Dies wird bei einem Blick auf die ausländischen Direktinvestitionen und den Außenhandel deutlich.18 Ausländische Direktinvestitionen Unternehmen aus den drei Triaderegionen sind für den Großteil der ausländischen Direktinvestitionen und des internationalen Handels verantwortlich.19 Während die ausländischen Direktinvestitionen sich in den 90er Jahren mehr als verdreifacht haben und die Allokation auf die Zielländer großen Veränderungen unterworfen war, hat sich die Grundstruktur der Kapitalherkunft der Investitionsflüsse nicht verschoben. Der Anteil der Triade an dem weltweiten Gesamtvolumen der ausgehenden Direktinvestitionen ist wie in Abbildung 2 dargestellt fast unverändert um die 85 % geblieben.20 Ein großer Teil dieser Direktinvestitionen ist innerhalb der Triade geflossen.21 Dies zeigt, dass sich die internationalen Finanzströme und Investitionen auf die wirtschaftlich starken
15 16 17 18
19 20
21
Triade gesehen [Vgl. Rugman A. / Hodgetts, R., 2003, S. 69]. In der weiteren Diskussion werden unter der Triade die drei Blöcke Nordamerika, Westeuropa und Japan verstanden, soweit es nicht anders angegeben ist. Vgl. Rugman A. / Hodgetts R., 2003, S. 69. Vgl. Ohmae, K., 1985, S. 35 ff. Vgl. Ohmae, K., 1985, S. 143. Direktinvestitionen und Außenhandel können als die beiden zentralen Säulen der Internationalisierung angesehen werden. Unter Direktinvestitionen werden grenzüberschreitende Investitionen verstanden, die darauf abzielen, einen dauerhaften Einfluss auf eine Unternehmung in einem anderen Land zu erzielen [Vgl. Kutschker M. / Schmid S., 2005, S. 80]. Vgl. Rugman A. / Hodgetts, R., 2003, S. 69. Vgl. UNCTAD (Hrsg.), 2003, S. 3 - 7. Während die weltweiten Direktinvestitionen im Jahre 2000 einen Höchststand erreicht haben, sind sie in den drei folgenden Jahren um mehr als die Hälfte gefallen. Mitverantwortlich für den deutlichsten Abstieg seit drei Jahrzehnten waren ein schwaches Wirtschaftswachstum und einstürzende Aktienmärkte. Nach diesen drei Jahren mit rückläufigen Investitionen gab es 2004 wieder einen leichten Aufschwung, der hauptsächlich von den Entwicklungsländern getragen wurde. Damit stieg der weltweite Anteil der Entwicklungsländer an den eingehenden Direktinvestitionen auf 36 %; den höchsten Stand seit 1997 [Vgl. UNCTAD (Hrsg.), 2003, S. 3 - 7 u. UNCTAD (Hrsg.), 2005, S. 3 - 7]. Vgl. Rugman A. / Hodgetts R., 2003, S. 76 - 78.
8
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
Länder der Triade konzentrieren, die sowohl die Hauptquelle als auch die Hauptdestination der Investitionen sind.22
Weltmarktanteil der Triade Länder 2004
23
Ausgehende Direktinvestitionen
Export
Triade 85%
Triade 67%
Quelle: Eigene Darstellung nach UNCTAD, 2005, S. 303 u. WTO, 2005, S. 6. Kapitel 1 – Abbildung 2
Export Im Außenhandel hat die Triade ebenfalls ein Übergewicht. Obwohl ab den 90er Jahren ein zurückgehender Anteil Westeuropas und Japans zu Gunsten Mexikos, der osteuropäischen und asiatischen Länder beobachtet werden kann - wobei insbesondere die wachsende Bedeutung Chinas hervorsticht - stammen immer noch 67 % aller Exporte aus Nordamerika, Europa oder Japan.24 Einkommen Während die dominante Stellung der Triade in den Bereichen der Direktinvestitionen und des Außenhandels langsam kleiner wird und sich einzelne Schwellenländer den etablierten Handelsblöcken annähern,25 zeigt sich die Kluft bei einer Betrachtung des Einkommens pro Einwohner deutlicher.
22 23
24 25
Vgl. UNCTAD (Hrsg.), 2005, S. 303. Unter der Triade sind in dieser Darstellung die regionalen Blöcke Nordamerika, Europa und Japan zusammengefasst. Vgl. World Trade Organization (Hrsg.), 2005, S. 11. So stammen zum Beispiel nur noch 31 % der asiatischen Exporte aus Japan [Vgl. World Trade Organization (Hrsg.), 2005, S. 11].
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Das Ende der Triade?
Weltweite Verteilung der Bevölkerung und des Einkommens 2004
26
Quelle: Eigene Darstellung nach Weltbank (Hrsg.), World Development Report 2006. Kapitel 1 – Abbildung 3
Abbildung 3 stellt mit Hilfe der schwarzen Balken die Einwohnerzahl der Regionen Nordamerika, Europa, Japan, Lateinamerika, Afrika, Osteuropa und Asien dar. Der asiatische Kontinent ragt deutlich heraus, getrieben von den bevölkerungsreichen Ländern Indien und China. Die schraffierten Balken verdeutlichen das Bruttoinlandsprodukt. Hier dominieren Europa und Nordamerika; es folgen mit einem deutlichen Abstand Japan und Asien und in weiterer Distanz Lateinamerika, Osteuropa und Afrika. Die herausgehobene Stellung der Triade ist bei dieser Betrachtung nicht deutlich erkennbar, was sich aber bei einem Blick auf das BIP pro Einwohner ändert, das durch die grauen Balken dargestellt wird. Nordamerika, Japan und Europa bilden eine Klasse für sich, die das Einkommen aller anderen Regionen deutlich überragt. 75 % des weltweiten BIP verteilen sich auf Nordamerika, die Europäische Union und Japan.27 Wenn weiter in Betracht gezogen wird, dass sich diese 75 % des Einkommens 26
27
Für eine übersichtlichere grafische Darstellung wurde von der Definition der Triade abgewichen. Der Triadeblock USA wurde um Kanada und der Block EU um die europäischen Länder Island, Norwegen und die Schweiz erweitert. Vgl. Weltbank (Hrsg.), 2004, S. 252 - 253.
10
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
auf weniger als 15 % der Weltbevölkerung konzentrieren und damit im Umkehrschluss das verbleibende Viertel auf die Masse der Weltbevölkerung von über 5 Mrd. Menschen verteilt ist, wird die Sonderstellung der Triade besonders deutlich. Die durchschnittliche Kaufkraft pro Einwohner beträgt in den Triade-Ländern ca. das 25fache der übrigen Welt. 28 Dies veranschaulicht, wie sehr sich diese Länder von dem Rest der Welt abheben und eine exklusive Konsumentenklasse bilden. Diese Dominanz legt eine Konzentration auf die Länder der Triade nahe. Gründe, die gegen eine Ausklammerung der Schwellenländer aus der wirtschaftlichen Betrachtung sprechen, sollen im folgenden Abschnitt diskutiert werden.29
1.1.2 Die Macht der Emerging Markets? Die drei Blöcke der Triade dominieren die Gegenwart – doch wie sieht die Zukunft aus? Die Unternehmensstrategie hat die Aufgabe, über die Gegenwart hinaus zu blicken, um Veränderungen der Umwelt flexibel zu begegnen und die Erfolgspotenziale des Unternehmens für die Zukunft zu sichern.30 Dabei stellt sich die Frage, welchen Beitrag die Länder außerhalb der Triade für die langfristige Existenzsicherung des Unternehmens leisten können. Eine breite Konsumentenschicht von hunderten von Millionen Menschen entwickelt sich in Lateinamerika, Afrika, Osteuropa und Asien. Globale Konzerne werden diese Märkte langfristig in ihre Überlegungen mit einbeziehen müssen.31 Seit den 80er Jahren steigt das Bewusstsein, dass Märkte in Schwellenländern ein attraktives Potential bieten können. In einer ersten Phase waren überwiegend Konsumartikelhersteller, wie z. B. Coca-Cola, in diesen Märkten erfolgreich. Unternehmen, die hochwertigere Güter wie Finanzdienstleistungen oder Computer verkaufen, haben sich bei dem Engagement außerhalb der Triade zurückgehalten.32 Doch die Entwicklungs- und Schwellenländer bieten branchenübergreifend ein großes Potenzial. Es gab nachvollziehbare Gründe für die Ausklammerung dieser Länder aus der Internationalisierungsstrategie des eigenen Unternehmens: Der Großteil des Einkommens muss für Nahrung und Un28 29
30 31 32
Vgl. Weltbank (Hrsg.), 2004, S. 252 - 253. Ohmae sprach bei seiner Theorie der Triade nicht von einer Ausklammerung der Entwicklungsländer, sondern von einer Konzentration auf die Triade, weil dies den damaligen Realitäten entsprach. Er empfahl jedem Triadeunternehmen mit einigen ausgewählten Entwicklungsländern zu kooperieren und dort Aktivitäten aufzubauen. Er sah jedoch kein großes Potential der Entwicklungsländer [Vgl. Ohmae, K., 1985, S. 173 – 188]. Vgl. Kreikebaum, H., 2003, S. 25. Vgl. Prahalad C. / Lieberthal K., 2003, S. 109. Vgl. Letelier M. / Flores F. / Spinosa, C., 2003, S. 77.
Das Ende der Triade?
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terkunft aufgewendet werden und Korruption, Analphabetismus, schlechte Infrastruktur, Währungsschwankungen und Bürokratie sollen ein profitables Geschäft in diesen Ländern unmöglich machen.33 Weltweit arbeiten Länder an der Verbesserung ihrer politischen, juristischen und Verwaltungsstrukturen, um die Investitionsanreize für ausländische Firmen zu erhöhen. Obwohl die Fortschritte sehr unterschiedlich sind, hat sich bei der Risikobeurteilung von low und middle income countries die Gesamtsituation in den letzten zehn Jahren verbessert.34 Eine Auswirkung hiervon ist das antizipierte Kreditrisiko in Emerging Markets, welches im Vergleich zu den Industrieländern gesunken ist.35 Zwar ist das Risiko immer noch höher als in der Triade, aber viele der großen Nicht-Triade-Länder weisen eine hohe volkswirtschaftliche und politische Stabilität auf.36 Viele produzierende Unternehmen haben bereits zur Kostenreduktion Teile ihrer Produktion in Schwellenländer verlegt. Der Wettbewerbsvorteil dieser Maßnahmen wird mittelfristig jedoch schrumpfen, wenn Konkurrenten diese Bewegung nachvollziehen. Die frühe Präsenz in diesen Ländern kann jedoch darüber hinaus die Grundlage eines bleibenden Wettbewerbsvorteils sein: Die Bildung langfristiger Partnerschaften. Diese Vernetzung bietet die Möglichkeit zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil, wenn mit der Entwicklung vom Produktionsstandort zum Markt die nächste Stufe beschritten wird. Viele Nicht-Triade-Länder bieten mit einem hohen Wachstumspotenzial Perspektiven für die Zukunft.37 Die großen Märkte beginnen auf der Stelle zu treten. Während in den 5 Jahren 1999 – 2004 die USA noch ein durchschnittliches, jährliches Wirtschaftswachstum von 2,8 % vorweisen konnten, wuchs Japan nur um 1,1 %, Großbritannien um 2,5 % und Deutschlands Wirtschaftskraft um 1,2 %.38 In vielen Branchen kämpfen die Unternehmen in der Triade auf gesättigten Märkten, was zu sinkenden Preisen und immer niedrigeren Gewinnmargen führt.39 Dagegen bieten sich insbesondere in Lateinamerika, Osteuropa und Asien stark wachsende Volkswirtschaften mit einer jungen Bevöl33 34
35 36
37 38 39
Vgl. Prahalad C. / Hammond A., 2002, S. 48. Political Risk Services, ein Unternehmen, das sich auf die Analyse von Länderrisiken spezialisiert hat, berichtet, dass sich im Zeitraum von 1993 bis 2003 die Risikobewertung von low und middle income countries von 59 auf 64 verbessert hat [Vgl. World Business Council for Sustainable Development (Hrsg.), 2004a, S. 12]. Vgl. Bremner B. / Engardio P., 2004, S. 62. Der Deutsche Bank Eurasia Group Stability Index, dessen Bewertung sich aus verschiedenen Messkriterien zusammensetzt, die von harten ökonomischen Daten wie Wachstum und Investitionen bis schwer quantifizierbaren Faktoren wie Unzufriedenheit der Jugend und Korruption reichen, bewertet die großen NichtTriade-Länder China, Indien, Brasilien und Mexiko mit einer hohen Stabilität [Vgl. Bremmer, I., 2005, S. 53]. Vgl. Boston Consulting Group (Hrsg.), 2004, S. 7 - 8 u. 21 - 23. Vgl. Weltbank (Hrsg.), 2005b. Vgl. Sieren, F., 2005, S. 35.
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Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
kerung und einem großen Nachholbedarf an Gütern und Dienstleistungen an:40 Seit den frühen 90er Jahren waren Nicht-Triade-Länder die weltweit am schnellsten wachsenden Märkte für die meisten Produkte und Dienstleistungen.41 China mit 8,0 %, die Ukraine mit 5,5 % oder Indien mit 5,8 % verfügen über eine Größe und Wachstumsraten, welche ihnen das Potenzial für Märkte der Zukunft geben.42 Abbildung 4 stellt dar, wie Emerging Markets mit hoher Geschwindigkeit weiter wachsen. Während die Volkswirtschaften der Industrienationen ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von weniger als 3 % in den Jahren 2004 – 2014 haben, werden für Emerging Markets Zuwachsraten von ca. 5 % geschätzt. Insbesondere Asien wird mit einem Wachstum von über 6 % hervorstechen.43
Positive Wachstumsaussichten für Emerging Markets in den Jahren 2004 - 2014
44
Industrieländer Emerging Markets Mittlerer Osten Afrika Osteuropa Lateinamerika Asien 0,0%
1,0%
2,0%
3,0%
4,0%
5,0%
6,0%
7,0%
Quelle: Swiss Re (Hrsg.), 2004b, S. 17. Kapitel 1 – Abbildung 4
Ein Großteil der Bevölkerung außerhalb der Triade verfügt über ein Jahreseinkommen, welches sie als Konsumenten auf den ersten Blick unattraktiv erscheinen lässt. Der
40 41 42
43 44
Vgl. World Business Council for Sustainable Development (Hrsg.), 2004a, S. 12. Khanna, T. / Palepu, K. / Sinha, J., 2005, S. 64. Vgl. Weltbank (Hrsg.), 2005b. Die Angaben beziehen sich auf das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in den 5 Jahren 1999 – 2004. Vgl. Swiss Re (Hrsg.), 2004b, S. 16. Angaben in prozentualem, jährlichem Wachstum des BIP.
Das Ende der Triade?
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erste Eindruck, dass die Einwohner der so genannten „Dritten Welt“ kein Geld haben, verflüchtigt sich bei einem zweiten Blick. Während der einzelne nur über eine sehr geringe Kaufkraft verfügt, multipliziert die Masse der Menschen die aggregierte Kaufkraft in beachtenswerte Höhen. Die Armen von Rio de Janeiro verfügen z. B. über eine jährliche Kaufkraft von US-$ 1,2 Mrd.45 Dabei kosten identische Produkte für Einwohner ärmerer Gebiete oft mehr als für Konsumenten der wohlhabenderen Bevölkerungsschichten. So bezahlen z. B. die Bewohner in den Slums von Bombay das 53-fache für einen Kredit, das 37-fache für Wasser, das 10-fache für Medikamente und das 1,8-fache für ein Telefongespräch.46 Den 75 - 100 Millionen Menschen, die weltweit über eine jährliche Kaufkraft von über US-$ 20.000 verfügen, stehen 4 Mrd. mit einer Kaufkraft von unter US-$ 1.500 gegenüber. Die neun Länder China, Indien, Brasilien, Mexiko, Russland, Indonesien, Türkei, Südafrika und Thailand repräsentieren 70 % dieser Bevölkerung.47 Um die ökonomisch attraktiven Länder aus der Masse der Nicht-Triade-Länder herauszuheben, soll im Folgenden der Begriff Emerging Markets verwendet werden für Länder: • mit niedrigem oder mittlerem Einkommen nach der Definition der Weltbank,48 • die ein marktwirtschaftliches System haben oder es implementieren und • deren wirtschaftliche Wachstumsaussichten über dem Weltdurchschnitt liegen. Eingangs wurde die Frage gestellt, welche Motivation Emerging Markets für einen Markteintritt bieten. Große Bevölkerung, ein realisiertes und prognostiziertes Wirtschaftswachstum über dem Durchschnitt der Industrieländer und die Verbesserung der juristischen und administrativen Strukturen stellen starke Anreize für den Markteintritt internationaler Unternehmen dar.49
45 46 47 48
49
Vgl. Prahalad, C. / Hammond, A., 2002, 50. Vgl. Prahalad, C. / Hammond, A., 2002, S. 52. Vgl. Prahalad, C., 2005, S. 3-12. Die Weltbank verwendet in ihrer Länderklassifikation die Unterscheidung zwischen low income (z. B. Indien), lower middle income (z. B. China), upper middle income (z.B. Brasilien) und high income countries (z. B. Saudi-Arabien). Dabei werden als high come countries Länder mit einem BIP pro Einwohner von US-$ 10.066 oder mehr definiert [Vgl. Weltbank, 2005c]. Die konkrete Entscheidung über einen Markteintritt in einen Emerging Market kann selbstverständlich nur nach einer Berücksichtung der Unternehmens-, Landes-, Branchen-, Markt- und Konkurrenzspezifischen Besonderheiten getroffen werden.
14
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
Welche Motivation liegt einem Markteintritt in einem Emerging Market zu Grunde? • Große Bevölkerungen, • hohes Wirtschaftswachstum, • verbesserte juristische und administrative Strukturen.
Doch für die großen Konzerne ist das Engagement in Emerging Markets keine digitale Entscheidung: Ja oder nein? Viele Unternehmen aus der Triade sind in den Märkten Lateinamerikas, Osteuropas und Asiens schon lange präsent.50 Deshalb soll im Folgenden der Blick genauer auf die Art des Engagements gerichtet werden.
1.1.3 Das Engagement in Emerging Markets Die exemplarische Betrachtung der Branchen Automobil, Telekommunikation und Versicherungen am Anfang des Kapitels zeigte, dass die Marktdurchdringung der angebotenen Produkte in Emerging Markets niedriger als in den Ländern der Triade ist.51 Produkte und Dienstleistungen, welche in den etablierten Märkten die Masse der Bevölkerung erreichen, werden in Emerging Markets nur von einer Minderheit nachgefragt. Die Mehrheit der Bevölkerung kann mit diesem Angebot nicht erreicht werden. In diesem Kapitel soll am Beispiel der Versicherungsbranche diese große Diskrepanz genauer hinterfragt werden. In den Industrieländern gab jeder Einwohner im Jahr 2003 durchschnittlich US-$ 2.765 für Versicherungen aus. Die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben flossen dabei in der Schweiz (US-$ 5.660), Großbritannien (US-$ 4.059) und Japan (US-$ 3.771).
50
51
So sind z. B. nach Angaben auf den eigenen Websites (19.07.2005) alle DAX 30 Unternehmen mit ihren Produkten oder Dienstleistungen in Emerging Markets vertreten. s. S. 2.
15
Das Ende der Triade?
Triade vs. Emerging Markets: Versicherungsprämie pro Einwohner in US-$
4.000 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 USA
EU
Japan
Brasilien
Indien
China
Indonesien
Quelle: Eigene Darstellung nach SwissRe, 2004a, S. 33 - 42.52 Kapitel 1 – Abbildung 5
Die durchschnittlichen Ausgaben in den Emerging Markets beliefen sich im Jahr 2003 auf lediglich US-$ 59 pro Kopf. Die Unterschiede sind dabei gravierend, so gab in Ländern wie Pakistan und Bangladesh jeder Einwohner nur US-$ 3 bzw. 2 für Versicherungen aus. Abbildung 5 stellt die Versicherungsprämien pro Einwohner der drei Triade Regionen exemplarisch den Ländern Brasilien, Indien, China und Indonesien gegenüber. Dabei wird der extreme Unterschied deutlich, der zwischen der Triade und Emerging Markets bei der Versicherungsdichte besteht. Bei der Betrachtung dieser gravierenden Differenzen zwischen der Triade und Emerging Markets lassen sich sehr schnell Erklärungen finden, welche die Normalität dieses Zustandes belegen könnten. Diese Antworten sind auf den ersten Blick sehr einleuchtend und können mit einem Absolutheitsanspruch in den Raum gestellt werden, der von jeder weiteren Betrachtung ablenkt. Doch im Folgenden werden die Ausrufezeichen der Eindeutigkeit mit einem Fragzeichen ergänzt und die schnellen Antworten mit einem zweiten Blick betrachtet.
52
Die dargestellten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2003.
16
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
Die Menschen geben weniger aus, weil sie weniger haben! - ? Es scheint offensichtlich, dass Menschen, die weniger Einkommen haben, auch weniger Geld ausgeben. Eine mögliche Ursache für die Lücke bei den Ausgaben zwischen der Triade und den Emerging Markets könnte eine dementsprechende Einkommenskluft sein. Damit ließe sich die wesentlich niedrigere Pro-Kopf-Abdeckung mit Versicherungen in den Emerging Markets mit dem niedrigeren Einkommen pro Einwohner dieser Länder erklären Diese Ursache kann jedoch ausgeklammert werden, wenn nicht mehr die absoluten Versicherungsprämien pro Einwohner verglichen werden, sondern die Versicherungsprämien relativ zum Einkommen. Wie viel Prozent seines Einkommens gibt der durchschnittliche Einwohner für Versicherungen aus? Abbildung 6 verdeutlicht, dass sich bei der relativen Betrachtung der Abstand zwischen Triade und Emerging Markets deutlich verringert. Dennoch besteht immer noch ein großer Abstand und der durchschnittliche Anteil, den ein Einwohner der Triade für Versicherungen ausgibt, ist mehr als das 3-fache eines Einwohners der ausgewählten Emerging Markets.
Triade vs. Emerging Markets: Versicherungsprämie pro Einwohner in % des Einkommens 12,0%
10,0%
8,0%
6,0%
4,0%
2,0%
0,0% USA
EU
Japan
Brasilien
Indien
China
Indonesien
Quelle: Eigene Darstellung nach SwissRe, 2004a, S. 33 - 42.53 Kapitel 1 – Abbildung 6
Doch auch für diese Differenz lässt sich schnell eine Erklärung finden. 53
Die dargestellten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2003.
Das Ende der Triade?
17
Arme Menschen haben keine Finanzmittel für Versicherungsprodukte! - ? Das arme Menschen ihre Ausgaben anders verteilen als wohlhabende Konsumenten erscheint offensichtlich. Menschen, die an ihrem Existenzminimum leben, wenden ihre gesamten Einnahmen für das zum täglichen Überleben Notwendige auf und haben kein Geld zur Verfügung für Produkte oder Dienstleistungen, die darüber hinausgehen. Bevor das vorhandene Geld für Wohlstandsartikel ausgegeben werden kann, müssen als erstes die Grundbedürfnisse befriedigt sein. Ein Erklärungsmodell hierfür bietet die Bedürfnisstruktur der Nachrage von Maslow.54 Nach der Argumentation von Maslow stehen an erster Stelle die physiologischen Bedürfnisse, bevor die Erfüllung anderer Begehren relevant wird. Bei dem Menschen dominiert das Bedürfnis nach Nahrung, wenn dieses vorherrschend ist, werden alle anderen Bedürfnisse in den Hintergrund gedrängt. Das Bewusstsein wird fast vollständig vom Hunger erfüllt. Alle Ressourcen werden in den Dienst der HungerBefriedigung gestellt und alle Handlungen werden vollständig von dem Zweck determiniert, den Hunger zu stillen. Das Interesse an weiteren Gütern oder Dienstleistungen wird vergessen oder bestenfalls zweitrangig.55 In Ländern wie China, Indonesien oder Indien, in denen über 50 % der Bevölkerung von weniger als US-$ 2 am Tag leben müssen,56 steht für viele Menschen die tägliche Befriedigung der Grundbedürfnisses nach Nahrung im Vordergrund. Ökonomisch wird dies durch das Engelsche Gesetz ausgedrückt, welches auf die Schlussfolgerung hinausläuft: Je ärmer eine Familie ist, einen desto größeren Anteil von den Gesamtausgaben muss sie zur Beschaffung von Nahrungsmitteln aufwenden.57 Der Engel-Koeffizient drückt den Anteil des Einkommens aus, der für Nah-
54
55 56
57
Abraham Harold Maslow (* 1. April 1908 in Brooklyn (New York), † 8. Juni 1970) war Psychologe. Er gilt als der wichtigste Gründungsvater der Humanistischen Psychologie und ist insbesondere durch die Verfechtung der Hierarchie menschlicher Bedürfnisse bekannt geworden. Sein Werk ist jedoch weitreichender, insofern Maslow die Wissenschaft vom Menschen insgesamt neu orientieren wollte. Durch mehr als 100 Beiträge in Buch- und Aufsatzform beeinflusste er nicht nur die akademische Psychologie nachhaltig, sondern auch angrenzende Bereiche wie Erziehung und Management [Vgl. o. V., 2005b]. Vgl. Maslow, A., 1978, S. 74 - 78. Nach Angaben der Weltbank leben in China 52,6 % (18,8 %), in Indien 86,2 % (44,2 %), in Indonesien 55,3 % (7,7 %) und in Brasilien 26,5 % (11,6 %) der Bevölkerung von weniger als US-$ 2 pro Tag (in Klammern der Bevölkerungsanteil, der mit weniger als einem US-$ pro Tag auskommen muss) [Vgl. Weltbank (Hrsg.), 2002]. Das Gesetz ist nach dem deutschen Statistiker Ernst Engel benannt (1821 - 1896) und kann wie folgend formuliert werden: Der Anteil der Nahrungsmittel an den gesamten Konsumausgaben nimmt mit deren Zunahme ab [Vgl. Stobbe, A., 1991, S. 552 - 553].
18
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
rungsmittel ausgeben wird. Er liefert Aussagen über die Nachfragestruktur eines Landes und ist gleichzeitig ein Wohlstandsindikator.58 Wenn aus dem durchschnittlichen Einkommen pro Einwohner mit Hilfe des EngelKoeffizienten der Ausgabenanteil für Nahrungsmittel herausgerechnet und das verbleibende Einkommen den Versicherungsprämien gegenüberstellt wird, ergibt sich folgendes Bild:
Triade vs. Emerging Markets: Versicherungsprämie pro Einwohner in % des Einkommens nach Abzug der Ausgaben für Nahrungsmittel 16,0% 14,0% 12,0% 10,0% 8,0% 6,0% 4,0% 2,0% 0,0% USA
EU
Japan
Brasilien
China
Indonesien
Quelle: Eigene Darstellung nach SwissRe, 2004a, Seale, J. et al., 2003, National Bureau of Statistics of China, 2004, Ministry of Public Management of Japan, 2004. Kapitel 1 – Abbildung 7
Bei den Emerging Markets besteht bei den Ausgaben für Versicherungsleistungen auch nach Herausrechnung der Nahrungsmittelausgaben noch eine signifikante Lücke zu den Triade-Ländern. Während die dargestellten Triade-Blöcke nach der Befriedigung ihres Nahrungsmittelbedarfs59 zwischen 10 – 15 % für Versicherungsleistungen
58 59
Vgl. Hu A., 2003, S. 52. Der Engel-Koeffizient gibt an, welcher Anteil am Gesamteinkommen für Nahrungsmittel ausgegeben wird. Bei den Triade-Ländern ist davon auszugehen, dass mit diesen Ausgaben nicht nur das physiologische Nahrungsbedürfnis im maslow’schen Sinne gedeckt wird, sondern auch höher liegende Bedürfnisse wie gesunde, schmackhafte und prestigeträchtige Ernährung erfüllt werden.
Das Ende der Triade?
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ausgeben,60 liegt diese Spanne in den Emerging Markets mit 3 – 6 % deutlich niedriger. Eine mögliche Ursache für diese Lücke könnte sein:
Es besteht kein Bedarf für Versicherungen! - ? Nach der Befriedigung der physiologischen Bedürfnisse treten sehr schnell weitere Bedürfnisse hervor (Sicherheit, Stabilität, Schutz, Angstfreiheit, Ordnung, Gesetz, Schutzkraft), die Maslow als Sicherheitsbedürfnisse katalogisiert. Wie bei der Befriedigung der physiologsichen Bedürfnisse setzt der Mensch auch bei den Sicherheitsbedürfnissen alle Kräfte und Ressourcen zu deren Befriedigung ein, bevor weitere Bedürfnisse für ihn relevant werden.61 Menschen haben das Bedürfnis nach Sicherheit. Dabei sind insbesondere Bevölkerungsschichten, welche ein niedriges Einkommen haben, verstärkt Risiken ausgesetzt. Das niedrige Einkommen bedeutet eine geringe Möglichkeit zum Sparen und Akkumulieren von Vermögenswerten. Dies wiederum reduziert ihre Fähigkeit, mit Krisensituationen umzugehen.62 Das Bedürfnis nach Sicherheit kann auf unterschiedliche Weise befriedigt werden. Ausbildung oder Fähigkeiten können das Individuum absichern. Der Staat kann für die Bürger mit Sozialsystemen Vorsorge treffen oder gesellschaftliche Strukturen wie enge familiäre Bindungen können dem Einzelnen Sicherheit bieten. Informelle Versicherungen durch gruppenbasierte Mechanismen informeller Risikoteilung involvieren die Mitglieder einer Gemeinde oder eines größeren Familienverbundes. Wenn ein Mitglied des Verbundes in eine Notlage gerät, helfen die anderen durch Transferleistungen aus. Diese informellen Netzwerke sind in Nicht-Triade-Ländern verbreitet, sind aber weit von einer befriedigenden Risikoabsicherung entfernt. Eine genaue Messung, wie effektiv diese informellen Netzwerke arbeiten, ist schwierig, doch es gibt Indikatoren, dass wiederum die Bevölkerungsschichten mit einem niedrigen Einkommen im Schadensfall auch durch informelle Netzwerke schlechter abgesichert sind als wohlhabende Haushalte. Diese informellen Netzwerke sind ein Faktor
60
61 62
Der für die EU ermittelte Durchschnittswert enthält große Schwankungen der Einzelwerte, die von Großbritannien mit 16 % über Deutschland mit 8 % bis zu Litauen mit 2,5 % reichen. Vgl. Maslow, A., 1978, S. 79. Vgl. United Nations (Hrsg.), 2001, S. 135.
20
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
für die Differenz der Versicherungsabdeckung zwischen der Triade und Emerging Markets, doch sie alleine können das Sicherheitsbedürfnis nicht befriedigen.63 Die staatlichen Sicherungsnetze sind in Emerging Markets weit von den Standards der Triade-Länder entfernt. Auch wenn die Staatsausgaben für soziale Sicherungssystem zwischen den Emerging Markets stark variieren64 und einzelne Länder beachtliche Fortschritte vorweisen können,65 sind die staatlichen Sicherungssystem in der Regel doch lückenhaft. Die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung können die staatlichen Systeme in den meisten Fällen nicht erfüllen und der Einzelne ist in vielen Fällen auf seine eigene Absicherung angewiesen.66 Kann die Familie und der Staat das Bedürfnis nach Sicherheit nicht voll abdecken, dann sind Versicherungen ein mögliches Angebot, um diese Lücke zu schließen, wofür Einwohner der Triade einen wesentlich höheren Teil ihres Einkommens aufwenden. Da in Emerging Markets kein geringer Bedarf67 an zusätzlicher Absicherung besteht, könnte es an einem fehlenden Angebot liegen, den vorhandenen Bedarf zu befriedigen.
Besteht kein befriedigendes Angebot? Prinzipiell ist jedes Risiko versicherbar, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß auf Grund einer historischen Schadensgeschichte berechnet werden kann. Doch in der Praxis gibt es nur gering entwickelte Versicherungsmärkte außerhalb der Triade.68 Durchschnittlichen Versicherungsprämien pro Einwohner von US-$ 2.967 in den Industrieländern stehen nur US-$ 69 in Emerging Markets gegenüber.69 Das Angebot an Versicherungsleistungen kann durch äußere Rahmenbedingungen beschränkt sein. Politische oder juristische Systeme können eine unternehmerische Tätigkeit verhindern oder stark einschränken. Diese Faktoren erklären möglicherweise eine Differenz zwischen Bedarf und Angebot, werden aber bei der weiteren Betrach-
63 64 65 66 67
68 69
Vgl. United Nations (Hrsg.), 2001, S. 143 - 145. Vgl. United Nations (Hrsg.), 2001, S. 148. Vgl. Kripalani, M., 2005, S. 100 – 101. Vgl. Blume, G., 2005, S. 21. In der weiteren Diskussion wird zwischen Bedarf und Nachfrage unterschieden. Ein Bedarf nach einem Produkt besteht dann, wenn das Produkt Bedürfnisse eines Kunden befriedigen könnte. Darüber hinaus geht die Nachfrage nach einem Produkt, die erst dann besteht, wenn der Kunde zur Befriedigung seines Bedürfnisses danach strebt, das Produkt zu erwerben. Vgl. United Nations (Hrsg.), 2001, S. 143. Vgl. Swiss Re (Hrsg.), 2005, S. 9. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2004.
Das Ende der Triade?
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tung als temporäre Faktoren nur am Rande behandelt. Politische und rechtliche Restriktionen können ursächlich für eine Differenz zwischen Bedarf und Angebot sein, werden diese Differenz aber nicht eliminieren. Da in Emerging Markets kein geringerer Bedarf als in den Triade-Ländern herrscht, verdient die Angebotsseite eine genauere Betrachtung. Die Frage nach den Produkten, Dienstleistungen und Kundengruppen scheint in den etablierten Märkten wesentlich exakter beantwortet als in den aufstrebenden Emerging Markets.
Welche Produkte und Dienstleistungen werden den Bedürfnissen der potentiellen Kunden gerecht? Mit ihren Produkten und Dienstleistungen erreichen viele Unternehmen nur eine kleine Bevölkerungsgruppe in Emerging Markets. Es besteht das Problem, dass die Unternehmen mit ihren gegenwärtigen Strategien den Bedarf des Großteils der Bevölkerung nicht befriedigen können. Die Frage nach Leistungsangebot und Zielgruppe in Emerging Markets konnte noch nicht zufrieden stellend beantwortet werden.
Diese für die Versicherungsbranche bestehende Diskrepanz lässt sich auch für andere Branchen aufzeigen. So besteht in der Telekommunikationsbranche auch in Emerging Markets ein Bedarf nach Kommunikation. Viele Familien sind zerrissen; während die ältere Generation in den ländlichen Gebieten geblieben ist, sind die Jüngeren auf der Suche nach Arbeit in die Stadt gezogen. Dennoch bleiben die engen familiären Bande und das Bedürfnis nach Kommunikation erhalten. Auf Seiten der Anbieter sind bereits deutliche Änderungen im Angebot erkennbar, um diesen speziellen Bedürfnissen in Emerging Markets gerecht zu werden und die Lücke zu verkleinern.70 Auch für die Automobilbranche ist erkennbar, dass besonders in den Ländern außerhalb der Triade eine Nachfrage nach Mobilität besteht, die in den nächsten Jahren noch stärker steigen wird.71 Trotz der Erfolge der Automobilindustrie in Märkten wie Chi-
70 71
Vgl. Reinhardt, A., 2005, S. 20 –21 u. White, D., 2003, S. 8. Vgl. World Business Council for Sustainable Development, 2004b, S. 8.
22
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
na,72 wurde noch nicht das Angebot bereitgestellt, um den Bedarf der breiten Masse in Emerging Markets nach Mobilität zu befriedigen.73 Branchenübergreifend können diese Unterschiede zwischen der Triade und Emerging Markets beobachtet werden. Da wie in der Versicherungsbranche auch in anderen Branchen von einem Bedarf in den Ländern jenseits der Triade auszugehen ist, hat das Angebot in vielen Fällen diesen Bedarf noch nicht befriedigt. Mit der offenen Frage, welche Produkte und Dienstleistungen ein Unternehmen für welche Kundengruppen in Emerging Markets anbieten soll, wird im nächsten Kapitel ein Blick auf die zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Ansätze und deren Hilfestellungen für eine Unternehmensentwicklung in einem Emerging Market geworfen.
72
73
Die Zahl der verkauften Fahrzeuge ist von 1,4 Millionen im Jahr 1995 auf geschätzte 5 Millionen im Jahr 2005 gestiegen. China war 2001 bereits weltweit der 7. größte Markt für Kraftfahrzeuge [Vgl. KPMG (Hrsg.), 2003, S. 4 – 5]. Vgl. Bergmann, F., 2004, S. 242 – 249.
23
Die Hilfe der Wissenschaft
1.2 Die Hilfe der Wissenschaft “Die Theorie wird leicht mit den vergangenen und den zukünftigen Problemen fertig; vor den gegenwärtigen ist sie machtlos.” La Rochefoucauld74
Die wissenschaftliche Antwort auf die Frage nach dem Leistungsangebot und der Zielgruppe für Emerging Markets ist im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre im Kontext des „Internationalen Managements“75 zu suchen. Die Anzahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema sind allein im deutschen Sprachraum unübersehbar und kaum ein anderes Themengebiet hat in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit erfahren wie das der Internationalisierung.76 Abbildung 8 stellt dar, wie sich die Veröffentlichungen zum Internationalen Management in die drei Themenblöcke Theorie der internationalen Unternehmenstätigkeit, Betriebliche Teildisziplinen und General Managementlehre einordnen lassen.77 Die Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit liefern neben Erklärungen nach dem „Warum?“ (Kausalität) der Internationalisierung auch Begründungen für das „Wie?“ (Modalität), dem „Wann?“ (Temporalität) und dem „Wo?“ (Lokalität).78 Die abgeleiteten Erklärungen können ein Internationalisierungspotenzial für ein Unternehmen begründen.79
74 75
76 77
78 79
Zitiert nach Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 371. Unter Management wird das „Nachhaltige Lenken, Gestalten und Entwickeln produktiver sozialer Systeme“ verstanden [Vgl. Ulrich, 1970, S. 166 – 178 u. Bleicher, 2004, S. 60 - 64]. International wird im Sinne des Dudens verstanden als: „über den Rahmen eines Staates hinausgehend“ [Duden (Hrsg.), 2001, S. 452]. Vgl. Perlitz, M., 2004, S. 19. Die Abbildung illustriert die thematische Dreiteilung des Themengebiets „Internationales Management“ ohne ein Urteil über die Gewichtung oder den Umfang der einzelnen Teilgebiete abzugeben. In der Abbildung werden die drei Teilgebiete des Internationalen Managements zur vereinfachenden Illustration als drei gleichgroße Stücke eines Kuchens dargestellt. Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 371. Vgl. Perlitz, M., 2004, S. 66.
24
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
Internationales Management
80
Theorie der internationalen Unternehmenstätigkeit
Betriebliche Teildisziplinen General Managementlehre
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 1 – Abbildung 8
Die Betrieblichen Teildisziplinen beschäftigen sich mit der Ausgestaltung der verschiedenen Funktionsbereiche im internationalen Kontext, so z. B. Internationales Marketing, Internationale Finanzierung, Internationale Personalpolitik usw., geben aber keine ganzheitlichen Antworten auf Probleme der internationalen Unternehmensführung.81 Die General Managementlehre des Internationalen Managements verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der neben der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre auch angrenzende Gebiete, wie z. B. die Soziologie, die Politologie, die Sinologie, die Japanologie oder Rechts- und andere Gesellschaftswissenschaften betrachtet. Der Sinn des Forschungsgebiets des Internationalen Managements wird in der funktions- und einzelwissenschaftliche übergreifenden Erfassung komplexer Tatbestände bei Auslandsentscheidungen von Unternehmen gesehen.82 Dabei können die funktionsübergreifenden Thematiken wiederum in drei Bereiche unterteilt werden:
80
81
82
Diese Bereiche wird von den meisten Standardwerken zum Internationalen Management abgedeckt [Vgl. Perlitz, M., 2005; Scherm E. / Süß, S., 2001; Dülfer, E., 1999; Welge, M. / Holtbrügge, D., 2003; Rugman, A. / Hodgetts, R., 2003], während andere die Betrieblichen Teildisziplinen ausklammern [Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005] oder sich auf diese konzentrieren [Vgl. Breuer, W. / Gürtler, M., 2003]. Wissenschaftliche Vertreter der verschiedenen Funktionsbereiche sehen teilweise mit diesem Ansatz im Internationalen Management nur eine Ausdehnung der jeweiligen Funktionsbereiche um internationale Aspekte und bezweifeln deswegen die Notwendigkeit einer eigenständigen Disziplin des Internationalen Managements [Vgl. Perlitz, M., 2004, S. 20]. Vgl. Perlitz, M., 2004, S. 21.
25
Die Hilfe der Wissenschaft
General Managementlehre des Internationalen Managements Theorie der internationalen Unternehmenstätigkeit
Kultur der internationalen Unternehmung Betriebliche Teildisziplinen
Strategie der internationalen Unternehmung Struktur der internationalen Unternehmung
Quelle: Eigene Darstellung83 Kapitel 1 – Abbildung 9
Abbildung 9 illustriert, wie sich die General Managementlehre als Teilgebiet des Internationalen Managements in die drei Themenbereiche Struktur, Strategie und Kultur des internationalen Managements unterteilen lässt. Veröffentlichungen zur Struktur der internationalen Unternehmung verfolgen das grundlegende Ziel, durch die Wahl einer geeigneten Organisationsform die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmung im Rahmen einer sich global entwickelnden Wirtschaft sicherzustellen. Dabei müssen Koordinations- und Kommunikationsprobleme sowie die Unternehmensziele berücksichtigt werden, ohne regional bedingte Restriktionen in einigen Ländern zu verletzen.84 Die zunehmende Internationalisierung von Unternehmen war ein wesentlicher Grund dafür, dass kulturelle Fragestellungen vermehrt in den Blickpunkt des Interesses von Praktikern und Wissenschaftlern rückten. Die Konfrontation mit Kulturen weit entfernter Regionen führte immer mehr vor Augen, dass Kultur einen Einfluss auf das Verhalten in und von Unternehmungen haben kann. Manche Autoren sehen sogar die
83
84
Die Strukturierung und Terminologie dieser Unterteilung orientiert sich an dem Neuen St. Galler Management Modell der Hochschule St. Gallen [Vgl. Rüegg-Stürm, J., 2003, S. 36 – 63]. Vgl. Perlitz, M., 2005, S. 598. Es ist anzumerken, dass Perlitz bei seiner Gliederung das Internationale Organisations- und Kooperationsmanagement unter Internationale betrieblichen Teilpolitiken einordnet.
26
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
Kultur der internationalen Unternehmung als die zentrale Einflussgröße der internationalen Geschäftstätigkeit.85 Antworten auf die Frage nach Leistungsangebot und Zielgruppe sollte die Strategie der internationalen Unternehmung geben,86 wobei sich die Theorien zu diesem Bereich in drei Abschnitte unterteilen lassen. Das in diesen Abschnitten von der Wissenschaft zur Verfügung gestellte Instrumentarium soll in den nächsten Unterkapiteln registriert und darauf hin sondiert werden, ob es einen Beitrag zur Beantwortung der Frage nach der Bestimmung von Leistungsangebot und Zielgruppe in einem Emerging Market leisten kann.
1.2.1 Das Design der internationalen Unternehmung Der erste Themenkomplex über Fragen der Strategie der internationalen Geschäftstätigkeit befasst sich mit dem Aufbau einer internationalen Unternehmung und der Expansion in neue Länder. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die behandelten Fragestellungen und die offerierten Instrumente.
Das Design einer internationalen Unternehmung
Selektion In welche Länder gehe ich?87
•
Geografische Marktpräsenzstrategien
•
Basale Marktpräsenzstrategien
•
Diversifikationsstrategien
•
Ausgleichsbasierte Marktpräsenzstrategien
•
Attraktivitätsorientierte Marktpräsenzstrategien
•
Checklistenverfahren
•
Punktbewertungsverfahren
•
Portfolioverfahren
•
Nutzwertanalyse
•
Verfahren der aspektweisen Eliminierung
•
Sequenzielle Bewertungsverfahren
etc.
85 86 87
Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 664. Vgl. Rüegg-Stürm, J., 2003, S. 37. Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 914 – 950 u. Perlitz, M., 2004, S. 177 u. Scherm E. / Süß, S., 2001, S. 108 – 118 u. Welge, M. / Holtbrügge, D., 2003, S. 89 - 98.
27
Die Hilfe der Wissenschaft
Timing Wann gehe ich in die Länder?88
•
First Mover Strategy
•
Follower Strategy
•
Wasserfallstrategie
•
Sprinklerstrategie
•
Kombinierte Wasserfall-Sprinklerstrategie
etc.
Eintritt Wie gehe ich in die Länder?
89
•
Export
•
Lizenzierung
•
Joint-Venture
•
Franchising
•
Vertragsfertigung
•
Strategische Allianz
•
Minderheitsbeteiligung
•
Neugründung
•
Akquisition
•
Fusion
etc. Kapitel 1 – Tabelle 1
Die Anzahl der aufgelisteten Instrumente, Verfahren und Handlungsoptionen soll eine Impression über die Vielfalt der theoretische Hilfestellungen für den Weg in einen neuen Markt geben. Das Design der internationalen Unternehmung umfasst auch die Fragen der Selektion, des Timings und des Eintritts in Emerging Markets, wofür die aufgelisteten Instrumente reichhaltige Gestaltungshilfen geben. Die Frage, wie in den Emerging Markets Leistungsangebot und Zielgruppe bestimmt werden, wird jedoch mit diesen Hilfestellungen nicht beantwortet. Deshalb wird der nächste Themenkomplex betrachtet, der einen Schritt weitergeht.
88
89
Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 958 – 969 u. Scherm E. / Süß, S., 2001, S. 142 – 146 u. Welge, M. / Holtbrügge, D., 2003, S. 126 - 127. Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 820 - 913 u. Perlitz, M., 2004, S. 182 - 187 u. Scherm E. / Süß, S., 2001, S. 133 – 139 u. Welge, M. / Holtbrügge, D., 2003, S. 99 – 124.
28
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
1.2.2 Das Management der internationalen Unternehmung Der Frage, wie Aktivitäten in verschiedensten Länder bestmöglich verteilt und koordiniert werden können, widmet sich ein weiterer Komplex des Internationalen Managements.90
Das Management einer internationalen Unternehmung •
Zentralisierung
•
Dezentralisierung
•
Standardisierung
Allokation -
•
Differenzierung
Wie verteile ich die Tätigkeiten
•
Internationale Strategie
und Ressourcen auf die Länder?91
•
Multinationale Strategie
•
Globale Strategie
•
Transnationale Strategie
•
Konfiguration der Wertschöpfung
•
Aufbau von Überschussressourcen
Koordination -
•
Flexibilisierung von Ressourcen
Wie koordiniere ich die Tätigkei-
•
Strukturelle Koordinationsstrategie
•
Technokratische Koordinationsstrategie
•
Personenorientierte Koordinationsstrategie
ten zwischen den Ländern?
92
Kapitel 1 – Tabelle 2
Dieser Theoriekomplex gibt nach dem Eintritt in einen Emerging Market Hilfestellung, wie dieser in die internationalen Unternehmensaktivitäten eingebunden werden kann. Dabei bewegen sich alle genannten Strategieansätze im Spannungsfeld zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit des Neuen Marktes von der Internationalen Organi-
90
91 92
Dabei wird unter Koordination die wechselseitige Abstimmung von Elementen eines Systems zwecks Optimierung des Systems verstanden; dies bedeutet also im Kontext des Internationalen Managements die Abstimmung zwischen den einzelnen Einheiten einer internationalen Unternehmung [Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 987]. Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 970 – 986 u. Scherm E. / Süß, S., 2001, S. 146 – 153. Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 987 – 1037 u. Scherm E. / Süß, S., 2001, S. 184 – 206 u. Welge, M. / Holtbrügge, D., 2003, S. 128 - 144.
29
Die Hilfe der Wissenschaft
sation. Aber welche Potentiale hat dieser Markt, wenn ich ihn unabhängig betrachte und wie könnten diese Potenziale erschlossen werden? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, muss der Blick wieder von der Ganzheit der Elemente auf das Einzelne gehen.
1.2.3 Das Management neuartiger Märkte Wenn es sich bei einem Emerging Market nicht nur um einen neuen Markt im LänderPortfolio des Unternehmens handelt, sondern auch um einen neuartigen Markt, der sich in seiner Struktur von den bisherigen Märkten deutlich unterscheidet, muss das Internationale Management diesen Besonderheiten gerecht werden. Bei der Suche nach Leitlinien für die Strategieentwicklung in neuartigen Märkten bietet die Literatur nur wenig Hilfestellungen. Wie Kutschker / Schmid zeigen, liegt dies auch an dem individuellen Charakter von einzelnen Ländern, Branchen und Unternehmen.93 Der Blick von der länderübergreifenden Allokation und Koordination hinein in das einzelne Land verlässt scheinbar wieder den Bereich des Internationalen und kehrt zurück in den Kontext des „Strategischen Managements“.
Exkurs Strategie: Was ist Strategie? „Der General, der eine Schlacht gewinnt, stellt vor dem Kampf im Geiste viele Berechnungen an. Der General, der verliert, stellt vorher kaum Berechnungen an. So führen viele Berechnungen zum Sieg und wenig Berechnungen zur Niederlage – überhaupt keine erst recht!“94
So schrieb es SunZi in seinem Klassiker „Die Kunst des Krieges“ in China vor über 2500 Jahren. Allgemein anerkannt gilt die Krieglehre als eine wesentliche Quelle des strategischen Denkens.95 Genauso wie die „Kunst des Krieges“ prägt
93 94
95
Vgl. Kutschker, M/ Schmid, S., 2004, 954. SunZi, 1988, S. 24 – 25. Der Chinesische Name wiedergegeben. Vgl. Wüthrich, H., 1991, S. 17.
(SunZi) wird in der Literatur auch häufig als Sun Tzu
30
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
auch das Werk „Vom Kriege“ des preußischen Offiziers Carl V. Clausewitz heute noch das strategische Denken weit über den militärischen Kontext hinaus.96 Unter der zunehmenden Umfelddynamik, mit der sich immer mehr Unternehmen konfrontiert sahen, fand das strategische Denken ab den 60er Jahren Eingang in die Managementlehre.97 In den Anfangsjahren der betriebswirtschaftlichen Strategieentwicklung stand der Aspekt der Planung im Zentrum, der Prämisse folgend, dass die zukünftigen Entwicklung exakt analysiert und vorausberechnet werden könnten. Es stellte sich jedoch heraus, dass derartige Planungssysteme der zunehmenden Umweltdynamik nicht gerecht wurden.98 Die Idee der Strategie entwickelte sich über die Idee der langfristigen und vorausschauenden Planung hinaus zu einem flexiblen Orientierungsrahmen, der für höherwertige Lösungen geplante und sich ergebende Handlungen vereinigt.99 Dabei werden die Grenzen der vorausschauenden Planung akzeptiert und ein bewusster Handlungsraum für intuitive Lösungen eröffnet. Strategie wird als eine Synthese von vorausgeplanter Aktion und flexibler Reaktion gesehen.100 Dies führt zu einer dynamischen Strategie, welche sich in ständiger Interaktion mit der Umwelt weiterentwickelt. In der Betriebswirtschaftslehre und der Unternehmenspraxis wird der Begriff heute in vielfältigster und unterschiedlichster Weise verwendet.101 In der weiteren Argumentation wird Strategie verstanden als: Vorausschauende Interaktionen zur Erreichung eines ganzheitlichen und langfristigen Ziels.
Nach dem Neuen St. Galler Management-Modell muss eine Strategie in inhaltlicher Hinsicht Auskunft zu den fünf folgenden Themenkomplexen geben:102 Die Strategie muss Klarheit über die relevanten Anspruchsgruppen und über die Anliegen und Bedürfnisse geben, die ein Unternehmen befriedigen will. Dazu gehört die Identifikation der Zielgruppen und Zielmärkte auf der Abnehmer- und Zulieferseite.
96 97 98 99 100 101 102
Vgl. Oetinger, B. v. / Ghyczy, T. / Bassford, C., 2004, S. IX. Vgl. Wüthrich, H., 1991, S. 19. Vgl. Pümpin, C. / Amann, W., 2005, S. 12 – 14. Vgl. Mintzberg, H., 1994, S. 23 – 29 und Wüthrich, H., 1991, S. 249 – 253. Vgl. Minzberg, H., 1994, S. 23 – 29. Vgl. Gilles, J., 2003, S. 25. Vgl. Rüegg-Stürm, J., 2003, S. 39 – 41.
31
Die Hilfe der Wissenschaft
Es muss das Leistungsangebot definiert werden und der Nutzen, der damit bei den Zielgruppen gestiftet werden soll. Bei der Bestimmung des Fokus der Wertschöpfung muss geklärt werden, auf welchen Teil der Gesamtwertschöpfung des Leistungsangebots sich das Unternehmen konzentrieren will, d. h. welchen Teil der Wertschöpfungskette103 es abdecken will.
Inhaltliche Fragestellungen einer Strategie Anspruchsgruppen: Anliegen, Bedürfnisse und Kommunikationsformen
Kooperationsfelder
Leistungsangebot
Grundlegende Stossrichtung Kernkompetenzen
Fokus der Wertschöpfung
Quelle: Rüegg-Stürm, J., 2003, S. 40. Kapitel 1 – Abbildung 10
Daraus ergeben sich Kooperationsfelder, die Notwendigkeit für die Wahl von Kooperationspartnern und die Gestaltung der Zusammenarbeit mit diesen. Schließlich stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten und Kernkompetenzen notwendig sind und aufgebaut werden müssen, damit sich das Unternehmen durch einen abschirmbaren Wettbewerbsvorteil profilieren kann. Diese fünf Themenkomplexe sind eng miteinander vernetzt und können nicht streng sequentiell sondern nur parallel abgearbeitet werden
103
Nach Porter ist jedes Unternehmen eine Ansammlung von Tätigkeiten, durch die sein Produkt entworfen, hergestellt, vertrieben, ausgeliefert und unterstützt wird. Diese Tätigkeiten lassen sich in einer Wertschöpfungskette darstellen. Die Wertschöpfungskette zeigt den Gesamtwert und setzt sich aus Wertaktivitäten und Gewinnspanne zusammen. Wertaktivitäten sind die physisch und technologisch unterscheidbaren, von einem Unternehmen ausgeführten Aktivitäten. Sie sind daher die einzelnen Bausteine des Wettbewerbsvorteils [Vgl. Porter, M., 2000, S. 67 – 70].
32
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
Bei dem vermuteten Problem, dass Unternehmen aus der Triade bei ihrem Engagement in Emerging Markets mit ihrem Angebot den Bedarf nicht voll befriedigen können, liegen die ersten beiden Punkte der Anspruchsgruppen und des Leistungsangebots im Blickfeld, weil diese beiden Parameter Angebot und Bedarf definieren. Deshalb wird sich die weitere Betrachtung darauf konzentrieren. Die Entwicklung einer Strategie für einen ausländischen Markt und ganz besonders für einen Emerging Market steht jedoch vor besonderen Herausforderungen, die in der Fremdheit des Umfeldes begründet liegen.104 Damit liegt die Strategieentwicklung für Emerging Markets thematisch wie in der folgenden Abbildung dargestellt in einer Schnittmenge zwischen dem Strategischen Management und dem Internationalen Management.105 Einordnung der Strategieentwicklung für Emerging Markets
Strategisches Management
Strategie für Emerging Markets
Internationales Management
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 1 – Abbildung 11
Diese Schnittmenge ist unter Berücksichtigung der Überschneidung von Fragestellungen des Internationalen Managements und des Strategischen Managements bisher nur sehr zurückhaltend in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen behandelt worden. Bei den vorhandenen Veröffentlichungen werden die besonderen Bedingungen in Emerging Markets unter partiellen Gesichtspunkten betrachtet.106
104
105
106
Vgl. Dülfer, E., 1999, S. 185. Dülfer definiert als Fremdheitsgrad „den subjektiv empfundenen Mangel des Entscheidungsträgers an Informationen, der daraus resultiert, dass dieser die inhaltlichen Auswirkungen von Umwelteinflüssen in den Konsequenzen seiner Entscheidungsalternativen nicht erkennen kann; und zwar, weil er die entsprechenden Umwelt-Elemente nicht zu interpretieren weiß“ [Dülfer, E., 1999, S. 185]. Die Abbildung stellt die Felder des Strategischen und Internationalen Managements und eine gemeinsame Schnittmenge dieser Felder dar, in der sich Fragen der Strategieentwicklung für Emerging Markets ansiedeln lassen. Die schematisierende Darstellung trifft keine relationale Aussage zur Größe der Felder oder der Schnittmenge. Siehe z. B. Proff, H., 2004, u. Zschiedrich, H. / Schmeisser, W. / Hummel, T. (Hrsg.), 2004.
Die Hilfe der Wissenschaft
33
Die Strategien für Emerging Markets müssen für ein fremdes politisches, ökonomisches, kulturelles und technologisches System konzipiert werden.107 Der erste Schritt, die Definition der Anspruchsgruppen, die ein Unternehmen zu befriedigen anstrebt, erfolgt aus dem vertrauten System hinaus in das fremde System hinein. Die besonderen Herausforderungen und Fragestellungen, die dabei für die Strategieentwicklung entstehen, sind noch nicht systematisch dargestellt worden.
1. Wie beeinflusst der eigene Erfahrungshintergrund die Strategieentwicklung für einen Emerging Market? 2. Wie kann ein Unternehmen bei der Strategieentwicklung den Besonderheiten eines Emerging Markets gerecht werden? 3. Bietet ein erweiterter strategischer Ansatz Möglichkeiten eines bedarfsgerechteren Angebots für die Bevölkerung in einem Emerging Market?
Diese Arbeit widmet sich diesen in der Schnittmenge zwischen dem „Internationalen Management“ und dem „Strategischen Management“ liegenden Fragestellungen.
107
Vgl. Dülfer, E., 1999, S. 194.
34
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
1.3 Das Ziel und Vorgehen der Arbeit “Strategy isn’t beating the competition; it’s serving the customers real needs.” Kenichi Ohmae108
Ausgehend von den aufgeworfenen Forschungsfragen vorfolgt die Arbeit eine dreistufige Zielsetzung.
Wie beeinflusst der eigene Erfahrungshintergrund die Strategieentwicklung für einen Emerging Market? Der erste Schritt der Argumentation soll aufzeigen, wie bei der Analyse von Emerging Markets antizipierte Entwicklungstrends mit historisch bekannten Entwicklungen zirkulär verknüpft sind. Dieser Zirkelschluss von Bekanntem und Antizipiertem mündet in einer dominierenden linearen Entwicklungslogik, welche die Strategieentwicklung für Emerging Markets determiniert. Das Bewusstsein über die Dominanz der linearen Logik soll eine Reflexion der zugrunde liegenden Prämissen ermöglichen und den Zugang zu einer alternativen Denkweise eröffnen, die Entwicklung als räumliche Bewegung sieht.
Wie kann ein Unternehmen bei der Strategieentwicklung den Besonderheiten eines Emerging Markets gerecht werden? Die abstrakte Idee einer räumlichen Entwicklung für Emerging Markets soll im nächsten Schritt auf eine für Unternehmen praktikable Größe komprimiert werden. Das Ziel ist die Konzeption einer Business Development Methodik, die das Potenzial des räumlichen Denkens in alternative Strategieoptionen transferieren kann.
108
Ohmae, K., 1988, S. 149.
Das Ziel und Vorgehen der Arbeit
35
Bietet ein erweiterter strategischer Ansatz Möglichkeiten eines bedarfsgerechteren Angebots für die Bevölkerung in einem Emerging Market? Die entwickelte Business Development Methodik für Emerging Markets soll am Beispiel der Versicherungsbranche in der VR China erläutert werden. Ziel dieses Schrittes ist, die Idee der räumlichen Entwicklung über die methodologische Konzeption hinausgehend an die Praxis heranzutragen. Unter Nutzung der Business Development Methodik sollen alternative Strategieoptionen aufgezeigt werden, welche als Impuls für eine Unternehmensentwicklung dienen können, die Angebot und Bedarf in der VR China weiter zusammenführt. Diese drei Schritte, welche von der Abstraktion über die Methodologie zur Anwendung gehen, sollen zu folgendem Ziel der Arbeit zusammengefasst werden.
Ziel dieser Arbeit ist • die Einführung der Logik räumlicher Entwicklung, • die Konzeption einer Business Development Methodik, die den abstrakten Gedanken räumlicher Entwicklung auf eine pragmatische Ebene komprimiert, und • die Exemplifikation der entwickelten Business Development Methodik anhand der Versicherungsbranche in der VR China.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der methodologischen Ebene, welche durch das Beispiel der Versicherungsbranche in der VR China illustriert wird. Das Ziel ist nicht die Entwicklung anwendungsbereiter Strategien oder Geschäftsmodelle für den chinesischen Markt. Der Zielsetzung folgend unterteilt sich die Arbeit in zwei Teile: Teil A widmet sich den ersten beiden Punkten der Zielsetzung und betrachtet dazu Emerging Markets länder- und branchenübergreifend. Als Zugang zu möglichen Alternativen der Strategieentwicklung in Emerging Markets wird in Kapitel 2 zuerst hinterfragt, mit welcher Betrachtungsweise Emerging Markets analysiert und welches Verständnis von Entwicklung daraus abgeleitet wird. Dabei wird die dominierende Logik einer linearen Entwicklung aufgezeigt und ihr ein alternatives Verständnis von räumlicher Bewegung gegen-
36
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets
übergestellt. Die Idee der Bewegung im Raum spannt den abstrakten Rahmen für die weitere Argumentation. Kapitel 3 führ die Strukturierungshilfe des Branchentensors ein und komprimiert die abstrakte Idee der räumlichen Bewegung auf eine pragmatische Größe. Auf dieser Ebene wird die Business Development Methodik entwickelt, die als theoretisches Ergebnis länder- und branchenübergreifend auf Emerging Markets angewendet werden kann. Teil B nimmt das theoretische Ergebnis der Business Development Methodik auf und exemplifiziert es anhand der Versicherungsbranche in der VR China. In Kapitel 4 wird die Ausgangssituation der Versicherungsbranche in der VR China beschrieben und es wird betrachtet, welche Optionen sich einem Unternehmen bei dem Transfer seiner Geschäftsmodelle aus den Heimatmärkten eröffnen. Kapitel 5 geht einen Schritt weiter und versucht eine Adaption der Branchensegmentierung an die Besonderheiten der VR China. Diese Mutation des Bestehenden zeigt Geschäftsfelder auf, die in den etablierten Märkten nicht existieren. In Kapitel 6 werden die Möglichkeiten einer Rückkopplung der neu entdeckten Geschäftsfelder auf andere Märkte angedeutet, um die Innovationspotentiale der VR China in die globale Geschäftstätigkeit einzubinden. Kapitel 7 resümiert den Gang der Arbeit und die erzielten Ergebnisse mit einem Ausblick auf weitere Möglichkeiten.
Die folgende Tabelle fasst das Ziel und Vorgehen der Arbeit zusammen. In der ersten Spalte sind die zugrunde liegenden Forschungsfragen aufgeführt. Die zweite Spalte stellt diesen den Teil bzw. das Kapitel gegenüber, in dem die Frage behandelt wird, und die dritte Spalte gibt die jeweilige Zielsetzung wieder.109
109
Die zuvor ausformulierten Fragestellungen und Zielsetzungen werden in der Tabelle aufgrund der besseren Visualisierung verkürzt wiedergegeben.
37
Das Ziel und Vorgehen der Arbeit Ziel und Vorgehen der Arbeit
Frage
Kapitel
Ziel 1.
Motivation der Betrachtung von Emerging Markets Teil A Wie beeinflusst der eigene Erfahrungshintergrund Strategien für Emerging Markets?
Konzeption
2.
der
Betrachtungsweise
Sensibilisierung für die Logik
Business
von
räumlicher Entwicklung
Development
Emerging Markets
Methodik Wie kann ein Unternehmen den
3.
Besonderheiten eines Emerging
Von Märkten
Markets gerecht werden?
zu Räumen
Konzeption einer Business Development Methodik
4. Transfer des Tensors 5.
Bietet ein erweiterter strategischer Ansatz Möglichkeiten eines be-
Teil B
darfsgerechteren Angebots?
Exemplifikation der
Mutation
Exemplifikation der Business
des
Development Methodik
Tensors
Business Development
6.
Methodik
Rückkopplung des Tensors
7. Schlussbetrachtung
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 1 – Tabelle 3
38
Betrachtungsweise von Emerging Markets
2 Betrachtungsweise von Emerging Markets „Jedes Ding hat drei Seiten: eine, die Du siehst, eine, die ich sehe, und eine, die wir beide nicht sehen.“ Chinesisches Sprichwort
Bei der Strategieentwicklung für einen Emerging Market ist der Stratege aus der Triade vor die Herausforderung gestellt, ein fremdes Umfeld zu analysieren und für dieses die Anspruchsgruppen und das Leistungsangebot zu definieren. In diesem Kapitel soll ein Blick auf die Emerging Markets geworfen und mögliche Entwicklungen und Veränderung dieser Länder diskutiert werden. Dabei werden mit dem zweiten und dritten Abschnitt zwei alternative Verständnisse von Entwicklung einander gegenübergestellt, die entscheidend eine Analyse der strategischen Ausgangslage und mögliche Schlussfolgerungen für das eigene Leistungsangebot beeinflussen können. Vor der Suche nach möglichen Antworten für eine Anspruchsgruppe und ein Leistungsangebot, soll einen Augenblick innegehalten und überlegt werden, wie unsere Beobachtung dieser Länder zustande kommt. Es ist sinnvoll, vor der weiteren Beschäftigung mit den Inhalten möglicher Antworten zuerst zu hinterfragen, wie wir zu diesen Antworten mit ihren Inhalten gelangen. Also vor der Betrachtung der Frage: „Was ist die Antwort?“, die Beantwortung der Frage: „Wie kommen wir auf die Antwort?“110
110
Vgl. Philipp, A., 2000, S. 13.
39
Grundlagen der Betrachtung
2.1 Grundlagen der Betrachtung „Es gibt einen sehr guten Ausspruch, wonach Dreiecke, wenn sie einen Gott erfunden hätten, ihn dreiseitig gemacht hätten.” Baron de Montesquieu111
Erster Schritt einer Strategieentwicklung ist eine Analyse der strategischen Ausgangslage (des Ist-Zustandes). Dabei werden regelmäßig die Umwelt (politisch, ökonomisch, sozial und technologisch), die Branche, die Konkurrenten, der Markt, die Kunden und das eigene Unternehmen eingehend betrachtet.112 Sie sind die Objekte der Beobachtung.
2.1.1 Was wird beobachtet? Die Objekte der Beobachtung (oder auch Erkenntnisobjekte) waren seit Jahrhunderten der Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Seit René Descartes113 erkenntnistheoretischem Realismus wurde das Subjekt vom Objekt der Beobachtung streng getrennt und die Souveränität der Vernunft wurde zum Grundprinzip der modernen Naturwissenschaften erhoben. Der analytische Verstand sollte die Welt der Objekte und die damit verbundene Wahrheit erkennen und beschreiben. Die Objektivität wurde zum Grundstein der wissenschaftlichen Methode.114 Bei der Strategieentwicklung für einen Emerging Market ist dieses Land mit der entsprechenden Branche, den Konkurrenten und den potenziellen Kunden das Objekt, welches objektiv analysiert werden soll.
111 112
113
114
Zitiert nach Barrow, J., 2002, S. 229. Vgl. für Konzepte zur Analyse der strategischen Ausgangslage Rüegg-Sturm, J., 2003; Porter, M., 2000, S. 28 – 36; David, F., 2003, S. 82; Minzberg, H., 1994, S. 35 – 90; Proff, H., 2004, S. 24 – 34; Lynch, R., 2003, S. 81 – 198. René Descartes (1596 – 1650). Der französische Philosoph und Mathematiker wurde an der Jesuitenschule in La Flèche ausgebildet. Nachdem Descartes einige Jahre mit juristischen und medizinischen Studien verbracht hatte, ging er 1618 auf Reisen und beschäftigte sich mit den Arbeiten Galileis. 1618 trat er in den Militärdienst ein, der ihn auch nach Deutschland führte. Hier fasste er den Entschluss, eine einheitliche Naturwissenschaft auf mathematischer Basis zu errichten. Er entwickelte seine Philosophie in Konfrontation mit der mittelalterlichen Philosophie. Er forderte die Gelehrten auf, sich von vorgefassten und überlieferten Ansichten, vom Glauben an die Autorität zu befreien. Der Erkenntnisprozess muss nach Descartes mit dem Zweifel beginnen, aber man darf nicht an der Tatsache des Zweifels selbst zweifeln. Cogito ergo sum (ich denke, also bin ich), sagte Descartes. Klarheit und Zerlegbarkeit, das sind nach Descartes die Wahrheitskriterien [Vgl. o. V., 2005c]. Vgl. Winter, W., 1999, S. 28 – 30.
40
Betrachtungsweise von Emerging Markets
Beispiel Abbildung 1 stellt exemplarisch das Objekt „China“ dar. Die dunkle Färbung symbolisiert das Unwissen über dieses Objekt, das erst durch die Analyse erhellt werden soll.
Das Objekt der Beobachtung
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 2 – Abbildung 1
Diese strikte Trennung zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Beobachtung prägt das wissenschaftliche Denken bis in unsere Tage, wird aber seit dem letzten Jahrhundert immer stärker in Frage gestellt.115 Bereits 1710 hat der irische Bischof George Berkeley116 mit seiner Frage, „... ob der im einsamen Wald umstürzende Baum auch dann ein Geräusch verursacht, wenn niemand da ist, es zu hören?“117, die Unabhängigkeit von Beobachtung und Beobachter hinterfragt.
115
116
117
In seiner Entwicklung erfuhr der Rationalismus eine zweite Zäsur durch die Einführung des Kritischen Rationalismus durch Karl Popper (1902 – 1994). Popper relativiert den Absolutheitsanspruch wissenschaftlicher Erkenntnis und setzt anstatt der Verifikation wahrer Aussagen in den Mittelpunkt die Falsifikation und Eliminierung falscher Aussagen. Doch auch er geht von einer vom Beobachter unabhängigen objektiven Realität aus [Vgl. Winter, 1999, S. 33]. George Berkeley (1685 – 1753) wurde in Irland geboren. Er begann 1700 sein Studium am Trinity College Dublin. Nach seiner Promotion wurde er 1717 Senior Fellow. Wie es für britische Akademiker eine übliche Praxis war, wurde er 1710 zum anglikanischen Priester geweiht. George Berkeley war einer der berühmtesten britischen Philosophen des 18. Jahrhunderts. Er ist bekannt für sein Motto: „esse os percipi“, „sein ist empfangen“. Er war ein Idealist: Alles, was existiert, ist Verstand oder hängt für seine Existenz vom Verstand ab. Er war ein Immaterialist: Materie existiert nicht. Er akzeptierte die scheinbar skandalöse Position, dass physische Objekte nur aus Ideen bestehen. Er schrieb sowohl über Mathematik, Newton’sche Mechanik, Ökonomie and Medizin als auch über Philosophie [Vgl. o. V., 2005a]. Zit. nach Philipp, A., 2000, S. 40.
Grundlagen der Betrachtung
41
Ab dem 19. Jahrhundert wurde die Unfehlbarkeit der alten Überzeugungen immer mehr erschüttert, und der relative Charakter des Wissens rückte in den Blickpunkt. Es entstand ein Bewusstsein, dass der Vorgang des Verstehens dem Wesen der Wirklichkeit etwas hinzufügt und so eine Lücke zwischen der wirklichen und wahrgenommenen Welt aufreißt.118 Vor ca. 35 Jahren begannen dann Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen, voneinander unabhängig diese Gedanken zu vertiefen und die Elemente einer interdisziplinären Theorie zu entwickeln, welche die Trennung von Subjekt und Objekt aufhebt und den Beobachter als Teil der Beobachtung sieht.119 Damit stellt sich nicht nur die Frage, was beobachtet wird, sondern auch:
2.1.2 Wer beobachtet? Durch die Einführung des Subjekts als Teil der Beobachtung, wird dieses aus einem passiven Status in einen aktiven Status erhoben. Bevor ein Beobachter eine Wahrnehmung aufnehmen und als Aussage formulieren kann, wird er sie in seinen konzeptuellen Rahmen einordnen.120 Die Informationen, die wir aus unserer Umwelt erhalten, werden durch unser Vorverständnis auf bekannte oder unbekannte Art verzerrt.121 Auch das Bewusstsein, über die Umwandlung der absoluten Realität in eine subjektiv wahrgenommene Wirklichkeit, ermöglicht nicht die Umkehrung dieses Vorgangs. Das Bild der absoluten Realität kann aus unserer Wahrnehmung nicht wieder gewonnen werden.122
118 119
120 121 122
Vgl. Barrow, J., 2002, S. 230. Vgl. Winter, W., 1999, S. 16. Wolfgang Winter hat die verschiedenen Theorieblöcke Radikaler Konstruktivismus, Kybernetik zweiter Ordnung, Kalkül der Form, Autopoiesis und Sprache unter der Theorie des Beobachters zusammengefügt. Auf die Autopoiesis wird in der weiteren Diskussion nicht eingegangen. Sie kann zwar nicht als Synonym für den Radikalen Konstruktivismus gesehen werden, aber die für die weitere Diskussion relevanten Aussagen können sowohl mit den philosophischen Argumenten des Radikalen Konstruktivismus als auch mit den biologischen Argumenten der Autopoiesis begründet werden [Vgl. Winter, W., 1999, S. 50 – 51]. Da das weitere Ziel die Anwendung der Beobachtertheorie ist, wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit auf eine weitere Ausführung verzichtet. Eine Einführung findet sich bei Winter, W., 1999, S. 58 – 72. Vgl. Chalmers, A., 2001, S. 13. Vgl. Barrow, J., 2002, 235. Vgl. Barrow, J., 2002, S. 239. Der Mathematiker John Barrow vergleicht diesen Prozess der subjektiven Wahrnehmung mit einer Codierung. Während sich bei einigen mathematischen Codierungen Operationen in eine Richtung sehr einfach ausführen lassen, sind sie in die umgekehrte Richtung praktisch undurchführbar [Vgl. Barrow, J., 2002, S. 235 – 241].
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Betrachtungsweise von Emerging Markets
Beispiel Als ich im Januar 2005 wenige Tage nach meiner Ankunft in der VR China an einem Zeitungsstand vorbeikam und mich in Begleitung eines chinesischen Kollegen befand, fragte ich diesen, ob man dort auch internationale Zeitungen kaufen könnte. Nach einem kurzen Blick zeigte er mir die englischsprachige Ausgabe des chinesischen „China Daily“. Nach seinem Verständnis gab es keinen Mangel an internationalen Zeitungen. Mir fällt es heute schwer, mehr als zwei Zeitungen aufzuzählen, die es an diesem Kiosk gab, weil in meiner Wahrnehmung kein Bewusstsein für die Vielfalt der chinesischen Zeitschriften und deren Namen vorhanden war. Ohne Probleme könnte ich hingegen Dutzende internationale Zeitungen nennen, die es an diesem und anderen Kiosken nicht gab. Meinem chinesischem Kollegen würde es wahrscheinlich genau anders ergehen, indem er zahlreiche verfügbare nationale Zeitungen aufzählen könnte.
Der Beobachter als Teil der Beobachtung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Philipp, A., 2000, S. 14. Kapitel 2 – Abbildung 2
Grundlagen der Betrachtung
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Abbildung 2 stellt dar, wie Wahrnehmungen (graue Pfeile) von dem Objekt der Beobachtung an den Beobachter fließen. Diese Informationen werden durch den konzeptuellen Rahmen des Beobachters verzerrt und auf seine subjektive Wahrnehmung weitergeleitet, welche durch die weiße Fläche Chinas dargestellt wird. Beispielhaft habe ich die Zeitung „China Daily“ wahrgenommen und zusätzlich das Fehlen der „Financial Times“ und der „International Herald Tribune“ bemerkt, weil sie in meiner Vorstellungswelt (in meinem Kopf) vorhanden waren. Das wahrgenommene Nicht-Vorhandensein ist in der Abbildung durch einen gestrichelten Rahmen dargestellt.
Ich konnte das Fehlen einer Zeitung nur erkennen, weil sie in meiner Vorstellung existierte. Hätte ich keine Vorstellung von ihr, hätte ich auch nicht ihr Fehlen bemerkt. Die Fragzeichen stehen für die Nicht-Wahrnehmung von weiteren chinesischen Zeitungen, die es an dem Kiosk gab, welche aber nicht zu meinem konzeptuellen Rahmen passten. Während der durch die grauen Pfeile dargestellte Beobachtungskreislauf unbewusst stattfindet, markieren die gestrichelten Linien den Ausschnitt der subjektiven Wahrnehmung. Der Beobachter sieht nur die weiß dargestellte Fläche, die von ihm selber miterschaffen wurde, während ihm die absolute Wirklichkeit (graue Fläche) nicht zugänglich ist.123
Die Suche nach einer Antwort auf die Frage nach der Einheit von Beobachter und Beobachtetem124 wurde maßgeblich durch den Physiker und Philosophen Heinz von Foerster125 geprägt. Heinz von Foerster folgerte, dass ein Wissenschaftler, der sein Themengebiet betritt, auch über sich selber Rechenschaft ablegen muss, weil er Teil seines Themas wird. Es 123
124 125
Die Argumentation geht von der Existenz einer absoluten Wirklichkeit aus, die jedoch niemals einem beobachtenden Subjekt zugänglich ist. Diese Sichtweise orientiert sich an der Position Ernst v. Glaserfelds [Vgl. Glaserfeld, E. v., 2003b, S. 23] und steht im Widerspruch zu der Auffassung anderer Konstruktivisten wie z. B. Heinz v. Foerster [Vgl. Foerster, H. v. / Pörksen, B., 2003, S. 26]. Vgl. Winter, W., 1999, S. 132. Heinz von Foerster (1911 – 2002), geboren in Wien. Diplomingenieur in Technischer Physik der Technischen Hochschule Wien, 1935. Dr. phil. (Physik) der Universität Breslau, 1944. In den USA seit 1949, an der Universität von Illinois in Urbana: 1951 bis zur Pensionierung (1975) Inhaber der Lehrkanzel für Schwachstromtechnik; 1962 – 1975 Professor für Biophysik; 1958 – 1975 Leiter des Biologischen ComputerLaboratoriums [Vgl. Watzlawick, P. (Hrsg.), 2003, S. 316 – 317].
44
Betrachtungsweise von Emerging Markets
geht also nicht nur um die Beobachtung des Objekts sondern auch um die Beobachtung des Subjekts, welches mit dem Objekt zu einer Einheit wird.126 „Eine Beobachtung braucht, so wird einem klar, einen Beobachter. Die Wahrnehmung der Welt verlangt nach einem Menschen, der diese wahrnimmt.“127
Hierdurch entsteht ein zirkuläres Verhältnis von Beobachter und Beobachtetem. Der Beobachter beeinflusst seine Beobachtung und wird von seiner Beobachtung beeinflusst. Ohne eine Selbstreflexion und eine Hinterfragung des Ziels und Zwecks der Beobachtung bleiben dem Beobachter seine blinden Flecken verborgen:128 „Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen. Wir sind blind gegenüber unserer eigenen Blindheit.“129
Das Bewusstsein darüber, dass er selber ein Teil des Systems ist, welches er beobachtet, und die Bereitschaft über die eigenen Ziele und Zwecke der Beobachtung zu reflektieren, schafft auch ein Bewusstsein gegenüber dem eigenen limitierten Blickwinkel – der eigenen Blindheit. „Dass wir sehen, dass wir nicht sehen, heißt nicht, dass wir jetzt sehen.“130
Bei der Strategieentwicklung für einen Emerging Market wird durch unsere subjektive Beobachtung auch unser Handeln von den eigenen Prämissen geprägt. Bei auftretenden Problemen werden reflexhaft bewährte Lösungsmuster aus der Erinnerung hervorgeholt, die sich bereits bei ähnlich empfundenen Problemen bewährt haben.131 Wenn z. B. der europäische Beobachter auf die VR China blickt, kann er auf Grund seines eigenen Hintergrunds zu der Beobachtung gelangen, dass dort eine große Nachfrage nach Mobilität besteht, die noch nicht befriedigt ist. Aus dem eigenen Erfahrungsschatz tauchen jetzt sofort Lösungsmuster für dieses erkannte Problem auf: Fahrrad, Motorrad, Auto, Bus, Zug, U-Bahn usw. Diese Lösungen sind schnell bei der Hand, weil sie in der eigenen Vorstellungswelt schon einmal erfolgreich auf ähnliche Probleme angewandt wurden. Die vorhandene Erfahrungswelt bestimmt die erkannten
126 127 128 129 130 131
Foerster, H. v., 1993, S. 65. Foerster, H. v., 2003, S. 116. Vgl. Foerster, H. v., 2003, S. 114 – 118. Foerster, H. v., 2003, S. 116. Foerster, H. v., 2003, S. 116. Vgl. Wüthrich, 2003, S. 101.
Grundlagen der Betrachtung
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Probleme und Lösungen, diese prägen die Handlungen, die Handlungen bestimmen die weiteren Beobachtungen, welche wieder Teil der eigenen Erfahrungswelt werden. Die subjektive Wahrnehmung hat nicht nur die Funktion eines Filters, der die Anzahl der objektiven Wahrheiten reduziert und verfeinert, sondern sie hat auch eine kreative Funktion. Die subjektive Wirklichkeit wird nicht nur entdeckt sondern auch erschaffen. Zwischen dem nach Erkenntnis Suchenden und der Erkenntnis entsteht ein Kreislauf. Welche Schlussfolgerungen aus dieser Zirkularität für die Zielsetzung von Beobachtungen zu ziehen sind, diskutiert der folgende Abschnitt.
2.1.3 Warum wird beobachtet? Eine philosophische Argumentation132, die von dem österreichischen Philosophen Ernst von Glaserfeld133 geprägt war, sieht Erkenntnissuche nicht als Weg, um eine absolute Realität zu entdecken, sondern als eine Denkweise, die helfen soll, mit einer unzugänglichen Realität und einer individuell erschaffenen Wirklichkeit fertig zu werden.134 Es soll ein Modell des Wissens sein ohne das Ziel, eine reale Welt zu beschreiben,135 das auf den beiden Grundprinzipien fußt: „ a)
b)
Wissen wird nicht passiv aufgenommen, weder durch die Sinnesorgane noch durch Kommunikation. Wissen wird vom denkenden Subjekt aktiv aufgebaut.“136
Damit wird die Existenz einer objektiven Wahrheit in Frage gestellt. Jede Wahrheit ist abhängig von ihrem Beobachter und jeder Beobachter hat eine andere Wahrheit. Das Ziel der Erkenntnissuche ist nicht mehr die absolute Wahrheit, sondern eine eigene
132
133
134 135 136
Der Begriff des Radikalen Konstruktivismus wird in dieser Arbeit nicht verwendet, weil unter dieser Bezeichnung verschiedene Denkrichtungen zusammengefasst werden, die eine gemeinsame Grundhaltung aber auch einzelne Unterscheidungen haben [Vgl. Foerster, H. v. / Pörksen, B., 2003, S. 45]. So wehrt sich z. B. Heinz von Foerster dagegen, sich dieser Kategorisierung zu unterwerfen. Auf die Behauptung, er sei doch Konstruktivist, kommt von ihm die Antwort: „Nein, ich bin Wiener, das ist die einzige Zuschreibung und Bestimmung meiner Position, die ich akzeptieren muss“ [Foerster, H. v. / Pörksen, B., 2003, S. 43]. Ernst von Glaserfeld kam 1917 in München als Österreicher auf die Welt, ging in Italien und der Schweiz in die Schule, war kurz Mathematikstudent in Zürich und Wien und überlebte den Zweiten Weltkrieg als Farmer in Irland. 1948 wurde er Mitarbeiter am Kybernetik-Institut in Mailand. 1963 erhielt er einen Forschungskontrakt von der U.S. Air Force im Bereich der maschinellen Sprachanalyse und übersiedelte dann, 1966, mit seinem Team nach Georgia. Seit 1970 lehrt er kognitive Psychologie an der University of Georgia [Vgl. Watzlawick, P. (Hrsg.), 2003, S. 317]. Vgl. Glaserfeld, E. v., 1996, S. 50 – 51. Vgl. Glaserfeld, E. v., 1996, S. 57. Glaserfeld, E. v., 1996, S. 96.
46
Betrachtungsweise von Emerging Markets
Realität, die kompatibel137 zu der absoluten Realität138 ist, in dem Sinne, dass die darauf aufbauenden Handlungen funktionieren. Bei der Erkenntnissuche wird die absolute Realität nur durch ihre Grenzen erkannt, an die man stoßen kann. „Eine Hypothese als falsch erwiesen zu haben, ist der Höhepunkt des Wissens“139
Mit dem Erkennen von Grenzen können Wege zu einem Ziel gefunden werden, das wir uns in unserer Erlebniswelt gewählt haben. Es ermöglicht keine Schlüsse über die Anzahl alternativer Wege und Ziele, die mit einem anderen Erlebnishintergrund wählbar wären.140 Es geht nicht um das Finden einer absoluten Wahrheit – es geht allein um das Funktionieren.141 Das Ziel der Suche ist der „Gangbare Weg“142. Glaserfeld verwendet zur Illustration das Bild des blinden Wanderers: „Ein blinder Wanderer, der den Fluss jenseits eines nicht allzu dichten Waldes erreichen möchte, kann zwischen den Bäumen viele Wege finden, die ihn an sein Ziel bringen. Selbst wenn er tausendmal liefe und alle die gewählten Wege in seinem Gedächtnis aufzeichnete, hätte er nicht ein Bild des Waldes, sondern ein Netz von Wegen, die zum gewünschten Ziel führen, eben weil sie die Bäume des Waldes erfolgreich vermeiden. Aus der Perspektive des Wanderers betrachtet, dessen einzige Erfahrung im Gehen und zeitweiligen Anstoßen besteht, wäre dieses Netz nicht mehr und nicht weniger als eine Darstellung der bisher verwirklichten Möglichkeiten an den Fluss zu gelangen. Angenommen der Wald verändert sich nicht so schnell, so zeigt das Netz dem Waldläufer, wo er laufen kann; doch von den Hindernissen, zwischen denen alle diese erfolgreichen Wege liegen, sagt es ihm nichts, als dass sie eben sein Laufen hier und dort behindert haben.“143
Die absolute Realität des Waldes wird dem blinden Waldläufer niemals zugänglich sein. Er wird nie das Grün der Bäume sehen, die Büsche und Sträucher, die Äste oder die Spuren der Tiere. Seine Realität ist das Netz von Wegen, welches er im Gedächtnis 137
138
139 140 141 142 143
Glaserfeld verwendet hier den Begriff der „Viabilität“, der als ursprüngliche Bedeutung die „Gangbarkeit“ eines Weges hat und dann in der Entwicklungsgeschichte für die Überlebensfähigkeit von Arten, Individuen und Mutationen verwendet wurde [Vgl. Glaserfeld, E. v., 2003a, S. 18]. Während Ernst von Glaserfeld von der Existenz einer „absoluten Wirklichkeit“ ausgeht, die jedoch nur durch ihre Grenzen zugänglich ist [Vgl. Glaserfeld, E. v., 2003b, S. 23] lehnt Heinz von Foerster die Existenz einer „äußeren Realität“ ab [Vgl. Foerster, H. v. / Pörksen, B., 2003, S. 26]. Warren McCulloch zit. nach Glaserfeld, E. v., 2003b, S. 23. Vgl. Glaserfeld, E. v., 2003b, S. 23. Vgl. Foerster, H. v. / Pörksen, B., 2003, S. 32. Glaserfeld, E. v., 2003b, S. 23. Glaserfeld, E. v., 2003a, S. 19.
Grundlagen der Betrachtung
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hat und welches ihm geholfen hat, den Fluss zu erreichen. Seine Realität ist somit eine Konstruktion, die aus seinen Erfahrungen und Erlebnissen entstanden ist. Er wird niemals den Wald erkennen können, aber er kann einen gangbaren Weg finden. Bei der Betrachtung eines Emerging Markets gewinnen wir ein Bild, welches aus unserer Erlebniswelt entsteht. Die eigene Realität setzt sich aus Information zusammen, die aus Fernsehen, Büchern, Zeitungen, Gesprächen, Reisen, Beobachtungen gewonnen und in die eigene bestehende Erlebniswelt eingeordnet werden. Die absolute Realität wird dabei nur in dem Augenblick zugänglich sein, wenn wir an ihre Grenzen stoßen und die eigene Realität soweit anpassen müssen, dass wieder ein gangbarer Weg entsteht. Bei der Beschäftigung mit dem Thema der Unternehmensentwicklung in Emerging Markets kann der Autor die Fragestellung nicht objektiv untersuchen, sondern er ist ein Teil der Betrachtung. Deshalb erhebt die zu entwickelnde Methodik nicht den Absolutheitsanspruch, für jeden Anwender besser zu sein als bereits vorhandene Methoden. Vielmehr ist es ein Angebot an den Leser, ihm bei der Suche nach alternativ gangbaren Wegen zu seinen Zielen zu helfen. Dabei wird nicht der Weg beschrieben, sondern eine mögliche Methodik, nach diesen neuen Wegen zu suchen. Schlechtere sollen nicht durch bessere Alternative ersetzt sondern der Raum der Möglichkeit erweitert werden. „Handle stets so, dass weitere Möglichkeiten entstehen.“144
Die Schlussfolgerungen aus diesem Abschnitt für den weiteren Gang der Arbeit sind:
1. Durch die Zirkularität zwischen Beobachter und Beobachtung wird Realität nicht passiv aufgenommen sondern vom denkenden Subjekt aktiv aufgebaut. 2. Ziel der Untersuchung ist nicht das Finden einer objektiven Wahrheit sondern das Funktionieren der entwickelten Methodik.
144
Foerster, H. v., 2003, S. 60.
48
Betrachtungsweise von Emerging Markets
Wie sich die Zirkularität von Beobachter und Beobachtung auf die Analyse von Emerging Markets auswirkt und wie der Standpunkt des Beobachters die Konklusionen beeinflusst, wird im folgenden Kapitel betrachtet.
Verständnis von Entwicklung
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2.2 Verständnis von Entwicklung “Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?” “Das hängt zum großen Teil davon ab, wohin du möchtest“, sagte die Katze145
Bei der Betrachtung von Emerging Markets können unterschiedliche Blickwinkel eingenommen werden, die mitbestimmend für die weitere Herangehensweise sind. Der erste Blickwinkel drückt sich schon stark in der Namensgebung „Emerging Market“ aus: Ein „aufkommender“, „entstehender“ oder „sich entwickelnder Markt“. Dies impliziert einen aktuell stattfindenden Prozess, bei dem sich ein Land in einer Entwicklung von einem Urzustand X in einen Endzustand „Markt“ befindet. Wie Entwicklung betrachtet werden kann, soll im folgenden Kapitel untersucht werden. Als erstes stellt sich die Frage, wie sich die Entwicklung eines Landes beurteilen lässt? Was zeichnet ein entwickeltes Land aus, was einem nicht entwickelten Land fehlt? Verschiedene Institutionen wie die Weltbank, die Vereinten Nationen, der IWF oder die OECD klassifizieren Länder nach ihrem Entwicklungsstand und ordnen diesen verschiedene Kategorien zu. Wobei meistens der Gesamteindruck der Länder entscheidend für die Einordnung ist, ohne dass klare Kriterien benannt werden.146 Doch aus welchen Eindrücken setzt sich ein Gesamteindruck zusammen? Oder was beobachtet der Beobachter für seinen Gesamteindruck? Bei der Beurteilung des Entwicklungsstand eines Landes können verschiedene Indikatoren als Grundlage einer Einstufung verwendet werden:147 • Wirtschaftliche Indikatoren (z. B. BNE pro Einwohner, Sparquote, Arbeitslosenquote, Arbeitsproduktivität, Energieverbrauch, Bedeutung einzelner Wirtschaftssektoren), • Sozio-Demografische Indikatoren (z. B. Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Bevölkerungswachstum), • Sozio-Kulturelle Indikatoren (z. B. Alphabetisierung, Einschulungsrate, Schulbesuchsrate, gesellschaftliches Rollenverständnis), 145 146
147
Aus „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll [Carroll, L., 1973, S. 67]. Nur die Weltbank benennt mit dem Bruttosozialprodukt pro Kopf das Kriterium, nach dem Länder klassifiziert werden. IWF und UN nehmen aufgrund des Gesamteindrucks der Länder eine Einteilung vor [Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 200]. Vgl. Hemmer, H. R., 1988, S. 32 – 37.
50
Betrachtungsweise von Emerging Markets
• Infrastrukturelle Indikatoren (z. B. Schulsystem, Verkehrssystem, Gesundheitssystem, Finanzsystem), • Politische Indikatoren (Regierungssystem, Pressefreiheit, politische Stabilität). Neben der Verwendung von Einzelindikatoren finden sich auch verschiedene Ansätze für Gesamtindikatoren, die verschiedene Einzelindikatoren in sich vereinigen:148 • Ökosozialprodukt: Erweiterung des Bruttosozial- und Bruttoinlandsprodukts um den Naturverbrauch. • UNDP-Index für menschliche Entwicklung (Human Development Index): Darstellung der Entwicklungsstufe durch die Aggregation der vier Kennzahlen: BIP pro Einwohner nach Kaufkraft, Lebenserwartung, Analphabetenrate, Einschulungsrate. • UNDP-Entbehrungsindex (Capability Poverty Measure): Soll als Index für Armut und soziale Unterversorgung den Bevölkerungsanteil erfassen, dem grundlegende Voraussetzungen für die Entfaltung seiner produktiven Kräfte fehlen. Dies wird durch die Parameter Anteil der untergewichtigen Kinder, Geburten ohne fachliche Betreuung und weibliche Analphabetenrate gemessen. • Nationaler Vermögensbestand: Misst das Vermögen eines Landes bestehend aus menschengemachtem Sachkapital (z. B. Maschinen, Gebäude, Straßen), menschlichen Ressourcen (Arbeitskraft, Ausbildung) und Naturvermögen (Rohstoffe, Land, Wasser, Wald). • Ökologischer Fußabdruck: Ermittlung der Fläche, die jeder Bewohner der Erde dauerhaft für die Aufrechterhaltung eines bestimmten Lebensstils braucht, durch die tatsächliche und rechnerische Flächennutzung für alle Kategorien des Endverbrauchs (z. B. Wohnen, Arbeiten, Straßen, Waldfläche für die Speicherung von Kohlendioxid). Wie die Vielfalt der Einzel- und Gesamtindikatoren zeigt, gibt es keinen eindeutigen Maßstab für Entwicklung. Der Beobachter bestimmt, was er sehen und messen möchte. Trotz aller Kritik an einer einseitigen Betrachtungsweise149 wird in vielen Fällen 148 149
Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 201 – 203. Das Wachstum kann aus verschiedenen Gründen als unvollkommener Indikator für die Wohlfahrtssteigerung angeführt werden: a) Nur Güter, die über Märkte gehandelt werden, werden erfasst. Die Aktivitäten der Schattenwirtschaft sind nicht berücksichtigt. b) Die Bewertung der Güter mit Marktpreisen gibt nur unvoll-
Verständnis von Entwicklung
51
zur Beurteilung von Entwicklung auf das Bruttosozial- oder Bruttoinlandsprodukt zurückgegriffen.150 Wie könnte ein Entwicklungspfad gemessen an dieser ökonomischen Größe aussehen? Im Jahre 1600 entfielen 66 % des weltweiten Bruttosozialprodukts auf Asien. Allein China produzierte 50 % mehr Güter und Dienstleistungen als Westeuropa, 10 mal mehr als Japan und 146 mal mehr als Nordamerika.151 Bei dem weltweiten Einkommen pro Einwohner gab es keine drastischen Unterschiede zwischen einem Afrikaner, einem Amerikaner, einem Asiaten oder einem Europäer.152 Mit dem Einsetzen der Industrialisierung im 19. Jahrhundert haben die Länder Nordamerikas und Westeuropas einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung vollzogen. So hat sich die durchschnittliche Kaufkraft pro Einwohner in den Vereinigten Staaten von 1820 bis 1998 mehr als verzwanzigfacht. Ähnlich, wenn auch in abgeschwächter Form, verlief die Entwicklung in Westeuropa und zeitlich versetzt in Japan. 153 Abbildung 3 verdeutlicht die langfristige Einkommensentwicklung pro Einwohner unterteilt nach verschiedenen Regionen. Die Einkommen Westeuropas, der heutigen USA, Japans, Lateinamerikas, Asiens und Afrikas sind ausgehend vom Jahre 1500 bis zum Jahr 1700 fast deckungsgleich. Ab 1820 / 1870 beginnt sich die Entwicklung Europas und insbesondere Nordamerikas von den anderen Regionen abzuheben. Das japanische Einkommen schließt sich dieser Differenzierung ab 1950 an. Während diese drei Regionen in der Entwicklung der Jahre 1950, 1973 und 1998 steil noch oben schießen, haben die anderen Regionen eine deutlich schwächere oder gar keine positive Entwicklung. Das lateinamerikanische Einkommen bleibt signifikant hinter den drei Triade-Blöcken zurück. Für Asien ist eine leichte Aufwärtsbewegung erst ab dem Jahr
150 151
152
153
kommen die Wertschätzung wieder, wenn die Märkte unvollkommen sind. c) Die Eigenleistung der privaten Haushalte wird nicht berücksichtigt. d) Die Einkommensverteilung wird nicht explizit deutlich. e) Bestand an nicht erneuerbaren Ressourcen wird nicht deutlich. f) Die Gesamtausstattung mit Infrastruktur wird nicht erfasst. g) Die Leistungen der öffentlichen Haushalte werden nach ihren Kosten und nicht nach ihrem Nutzen bewertet. [Vgl. Majer, H., 1992, S. 31 – 32]. Darüber hinaus ist das Bruttosozialprodukt auf der Grundlage der ökonomischen Aktivitäten konzipiert und deshalb kein vollständiger Indikator für die Lebensqualität, welche über die ökonomische Tätigkeit hinausgeht [Vgl. Majer, H., 1992, S. 97]. Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 201. Vgl. Maddison, A., 2001, S. 262. Die Angaben beziehen sich auf das Einkommen pro Einwohner berechnet nach der lokalen Kaufkraft in internationalen $ im Jahre 1990. Maddison gibt seine Zahlen in 1990 international Geary-Khamis Dollars an und benutzt ein eigens Berechnungsverfahren, welches sich nicht ohne Anpassung mit anderen Quellen vergleichen lässt. Zur Darstellung langfristiger Entwicklungstendenzen sind seine umfangreichen Berechnungen gut geeignet. Vgl. Maddison, A., 2001, S. 264. Das Einkommen pro Einwohner betrug in Westeuropa: 894, Osteuropa: 516, Nordamerika: 400, Lateinamerika: 437, Japan: 520, China: 600, Indien: 550, Afrika: 400. Die Angaben beziehen sich auf das Einkommen pro Einwohner berechnet nach der lokalen Kaufkraft in internationalen $ im Jahre 1990. Vgl. Maddison, A., 2001, S. 264. Die Angaben beziehen sich auf das Einkommen pro Einwohner berechnet nach der lokalen Kaufkraft in internationalen $ im Jahre 1990.
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Betrachtungsweise von Emerging Markets
1973 erkennbar und das afrikanische Einkommen erscheint von 1500 bis 1998 fast unverändert.
Einkommensentwicklung pro Einwohner von 1500 bis 1998
154
30000
25000
20000
15000
10000
5000
0 1500
1700 Westeuropa
1820 USA
1870 Japan
1913
1950
Lateinamerika
1973 Asien
1998 Afrika
Quelle: Eigene Darstellung nach Maddison, A., 2001, S. 26. Kapitel 2 – Abbildung 3
Das heutige durchschnittliche Einkommen pro Einwohner eines Nigerianers entspricht ungefähr dem eines Westeuropäers aus dem Jahre 1600 und beträgt nur noch 1/40 des Durchschnittseinkommens eines US-Amerikaners:155 Eine Erfolgsgeschichte der westlichen Welt.156 Die wirtschaftlich erfolgreichen Länder der Triade werden bei der Einteilung nach ihrem Entwicklungsstand häufig als Industrieländer oder als entwickelte Marktwirtschaften bezeichnet.157 Der Großteil der Länder Lateinamerikas, Osteuropas, Afrikas und Asiens fällt in die Gruppen der Transitionsländer, Schwellenländer oder Entwicklungs154 155
156
157
Dargestellt in internationalen $ nach lokaler Kaufkraft. Vgl. CIA (Hrsg.), 2006. Die Angaben beziehen sich auf lokale Kaufkraft im Jahre 2005. Bei einem absoluten Vergleich in US-$ beträgt das Verhältnis zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen in Nigeria und den USA 1 : 121 [Vgl. Weltbank, 2004, S. 252]. Der wirtschaftliche Aufschwung Japans hatte seine Wurzeln in der Übertragung der Macht auf eine westlich geprägte Bourgeoisie, die höhere Wachstumsraten als andere asiatische Länder erzielte durch gewaltige Investitionen in Bildung, Reform der staatlichen Institutionen nach westlichem Vorbild und Förderung der Industrie [Vgl. Maddison, A., 1995, S. 64]. Die Klassifikation des IWF benutzt die Bezeichnung Industrieländer und die der Vereinten Nationen entwickelte Marktwirtschaften [Vgl. Kutschker, M./ Schmid, S., 2005, S.196].
Verständnis von Entwicklung
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länder.158 Während jede der drei letzt genannten Bezeichnungen den Zustand eines Prozesses impliziert, vermitteln die Bezeichnungen Industrieland oder entwickelte Marktwirtschaft einen statischen Eindruck. Die Semantik vermittelt die Impression, dass sich die Emerging Markets auf einem Entwicklungspfad befinden, an dessen Ende die Industrieländer stehen, welche diesen Weg schon vorangegangen sind. Diese Denkhaltung suggeriert einen linearen Aufholprozess, bei dem sich die Schemen der Marktevolution aus den entwickelten Marktwirtschaften in den Emerging Markets wiederholen werden.159 Die Handlungsstrategien aus dieser Betrachtung legen nahe, die Entwicklung der Emerging Markets zu beobachten und entsprechend ihrer Einkommensentwicklung die entsprechenden Produkte anzubieten, die aus dem Entwicklungspfad der Industrieländer schon zur Verfügung stehen: Bis zu einem BIP von $ 1.500 pro Kopf werden Fahrräder nachgefragt, zwischen $ 1.500 und $ 3.000 liegt der Schwerpunkt auf Motorrädern, ab $ 3.000 steigt die Nachfrage nach Straßen- und Schienennetzen sowie nach Kommunikations- und Finanzprodukten und nach Konsumgütern wie Kühlschränken, Fernsehern und den ersten Kleinwagen, ab $ 5.000 können Autos, Flughäfen und Hochgeschwindigkeitszüge angeboten werden,160 ab $ 10.000 befinden sich die Länder nach Ohmae dann im $ 10.000-Club des globalen Konsumenten, der ein identisches Nachfrageverhalten in Amerika, Europa oder Asien hat.161 Ohmae spricht von einer Entwicklungsleiter, die von den Emerging Markets erklommen werden kann.162 Abbildung 4 stellt - symbolisiert durch die Nationalflaggen - die USA und Deutschland dar, die bereits die höchste Stufe der Leiter erreicht haben und sich im $ 10.000-Club befinden. Die Emerging Markets Brasilien, China und Indien sind gestaffelt nach ihrem Einkommen pro Einwohner auf den verschiedenen Stufen der Leiter, in dem Bemühen, die höheren Sprossen zu erklimmen. Diese Denkhaltung schlägt sich auch in den Unternehmensstrategien für Emerging Markets nieder. Es drückt sich in einer passiven Haltung aus, bei der gewartet wird, bis durch das wirtschaftliche Wachstum ein immer größer werdender Teil der Bevöl-
158
159 160
161 162
Während der IWF und die Vereinten Nationen die Unterscheidungen Transistions- oder Entwicklungsländer benutzen, unterteilt die OECD nach Schwellen- oder Entwicklungsländern [Vgl. Kutschker, M. / Schmid, S., 2005, S. 196]. Vgl. Arnoldt, D. / Quelch, J., 1998, S. 9. Vgl. Ohmae, K., 1996a, S. 38 - 41. Die Zahlen beziehen sich auf das Einkommen pro Einwohner gemessen in lokaler Kaufkraft. Vgl. Ohmae, K., 1996b, S. 13 - 14. Vgl. Ohmae, K., 1996a, S. 38 - 41.
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Betrachtungsweise von Emerging Markets
kerung die Einkommensgrenze überschreitet, ab der das eigene Produkt attraktiv ist.163 Damit wird das eigene Angebot als fixiert gesehen, zu welchem die Konsumenten sich hin entwickeln müssen.164
Die Entwicklungsleiter der Emerging Markets
165
$ 10.000
$ 7.500
$ 5.000 $ 4.000
$ 3.000 $ 2.000
$ 1.000
Quelle: Eigene Darstellung nach Ohmae, K., 1996b, S. 13 - 14. Kapitel 2 – Abbildung 4
Diese lineare Entwicklungslogik ist mit dem so oft gebrauchten Begriff der Globalisierung entstanden. Das Zusammenwachsen der Welt findet statt, seit Menschen begonnen haben, Waren und Dienstleistungen auszutauschen. Diese Entwicklung hat in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen; sie war aber kein neues Phänomen. Neu ist die Annahme, dass sich alle Kulturen und Gesellschaften auf demselben Entwicklungspfad befänden. Die Gesellschaften seien auf diesem Weg unterschiedlich weit vorangeschritten und bewegten sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, aber eines
163 164
165
Vgl. Proff, H., 2004, S. 39 – 40. Der Preis des eigenen Angebots kann mit einer größer werdenden Konsumentenschicht in dem jeweiligen Markt durch Produktivitätsfortschritte gesenkt werden, wodurch sich wiederum die Konsumentenschicht vergrößert. Das angebotene Produkt oder die Dienstleistung wird dadurch jedoch nicht verändert [Vgl. Proff, H., 2004, S. 39 – 40]. Die Angaben beziehen sich auf das BNE pro Einwohner gemessen in lokaler Kaufkraft im Jahr 2004. Dargestellt sind die Länder USA ($ 41.400) und Deutschland ($ 27.950), welche bereits die $ 10.000 Stufe überschritten haben, und Brasilien ($ 8.020), China ($ 5.530) und Indien ($ 3.100), die sich auf den Stufen der Leiter befinden [Vgl. Weltbank (Hrsg.), 2006, S. 292 - 293].
Verständnis von Entwicklung
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Tages würden sie Mitglieder im „Globalen Club“ werden, der wie ein großes Amerika eingerichtet und ausgestattet ist.166 Aus diesem Blickwinkel haben die entwickelten Länder die Leiter schon erklommen und auf ihrem Weg nach oben die notwendigen Produkte für jede Einkommensstufe entworfen. Damit muss aus den fertigen Produktlösungen nur die der Einkommensstufe genügende ausgewählt und angeboten werden. Dies ist jedoch nur ein Übergangsstadium zu der höchsten Stufe, bei der das Nachfrageverhalten den Ländern der Triade entsprechen wird. Die Logik dieses Fortschritts ist die von den Naturwissenschaften ausgeliehene Idee der Annäherung zu einem Gleichgewicht. Nur dieses Gleichgewicht als gemeinsames Ziel lässt Aussagen über Fort- und Rückschritte zu.167 Die Vorstellung dieses einzigen Konvergenzpunktes hat eine beruhigende Wirkung, weil sie die Unsicherheiten der Zukunft etwas eindämmt. Doch ob dieses Gleichgewicht der großen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und historischen Vielfalt gerecht wird, muss hinterfragt werden. Für die westliche Welt ist dieses gesellschaftliche Gleichgewicht vielleicht eine reizvolle Vorstellung, da es zunächst bloß eine Fortsetzung der akzeptierten Wirtschaftslogik und Lebensweise darstellt und deshalb in greifbarer Nähe scheint.168 Die globale Wirtschaft wächst ohne Zweifel schnell zusammen. Doch von einer bevorstehenden Vereinheitlichung der Welt kann nicht gesprochen werden – die Vielfalt der Kulturen und die Renaissance der Religionen wird immer deutlicher. Für den überwiegenden Teil der Menschheit ist diese Entwicklungslogik vielleicht weniger ansprechend. Im historischen Bewusstsein zahlreicher Kulturen ist Internationalisierung eng mit Kolonialismus, Fremdherrschaft und politischen Wirren verbunden.169 Die globale Ökonomisierung nach westlichem Bauplan kann, aus der Sicht anderer Kulturen, nicht nur als eine Form der Selbstbegünstigung sondern auch als eine Leugnung ihrer kulturellen Identität und Eigendynamik gesehen werden.170 Gesellschaften möchten sich nicht mehr von einer bestimmten Kultur über den Weg in die eigene Zukunft belehren lassen, sondern ihre eigene Entwicklung finden.171
166 167 168 169 170 171
Vgl. Oetinger, B. v., 2004a. Vgl. von Ghyczy, T. v., 2004. Vgl. von Ghyczy, T. v., 2004. Vgl. Sachsenmaier, D., 2004. Vgl. Ghyczy, T. v., 2004. Vgl. Sachsenmaier, D., 2004.
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Betrachtungsweise von Emerging Markets
Doch wie kann eine Vorstellung von Entwicklung aussehen, wenn man sich von der Vorstellung des linearen Aufstiegs auf der einen Leiter lösen möchte?
57
Alternative Betrachtung von Emerging Markets
2.3 Alternative Betrachtungsweise von Emerging Markets „We live in a monopolar world, but this state can’t last forever.” Tom Clissold172
Die zukünftige Entwicklung von Emerging Markets kann wie jeder Zukunftstrend nur schwierig prognostiziert werden. Dabei bilden historische Erfahrungen aus der Entwicklung anderer Länder oft einen hilfreichen Denkrahmen. So werden auch für die Entwicklung der VR China immer wieder Parallelen in der Vergangenheit gesucht, die Pessimisten können auf das Beispiel Brasiliens verweisen173 und die Optimisten ziehen die Entwicklung Japans als Trendindikator heran.174
Vergleich des BIP pro Einwohner zwischen der VR China in den Jahren 1991 – 1999 und Japan in den Jahren 1950 – 1971 $10.000 $8.000 $6.000
Japan
China
$4.000 $2.000 $0 1
3
5
7
9
11
13
15
17
19
21
Jahre
Quelle: Eigene Darstellung nach Maddison, A., 2001, S. 304. Kapitel 2 – Abbildung 5
Bei einer zweidimensionalen Betrachtung mit den Dimensionen Zeit und einer weiteren Variablen wie z. B. Einkommen pro Einwohner oder BIP werden schnell Parallelen und ähnlich verlaufende Trends erkannt. 172 173 174
Clissold, T., 2004, S. 305. Vgl. Segal, G., 1999, S. 28. Vgl. Berger, R., 2004, S. 99. Der Begriff Optimist bezieht sich auf die Prognose einer steigenden Bedeutung der chinesischen Volkswirtschaft. In dem angegebenen Interview werden nicht die für deutsche Unternehmen positiven Aspekte eines wachsenden Marktes sondern insbesondere die negativen Auswirkungen einer steigenden Konkurrenz durch chinesische Hersteller thematisiert.
58
Betrachtungsweise von Emerging Markets
Abbildung 5 zeigt die Entwicklung des Einkommen pro Einwohner gemessen in lokaler Kaufkraft der VR China und Japans ab Überschreitung der $ 2.000 Linie. Die Entwicklung in der VR China in den Jahren 1991-1999 verlief fast deckungsgleich mit der Entwicklung Japans in den Jahren 1950 –1958. Mit der Entwicklung der japanischen Wirtschaft im Hinterkopf kann dieses Entwicklungsmuster bei einer zweidimensionalen Betrachtung schnell auf Prognosen der zukünftigen chinesischen Entwicklung übertragen werden. Doch sobald die Betrachtung auf eine mehrdimensionale Ebene gehoben wird, offenbaren sich deutliche Unterschiede, die eine Vergleichbarkeit der Entwicklungslinien verbieten.
Mehrdimensionaler Vergleich zwischen China im Jahre 1999 und Japan im Jahre 1958
BIP pro Einwohner (in 1990 int. $)
Bevölkerung (in Mio.)
CO2-Emission (in Mio. t Karbon Dioxide)
China
1999
3.259
1.253
3.317
Japan
1958
3.290
92
181
Quelle: Eigene Darstellung nach Maddison, A., 2001, S. 292 – 304 und World Resources Institute (Hrsg.), 2004. Kapitel 2 – Tabelle 1
Die statische Betrachtung der VR China im Jahre 1999 und Japans im Jahre 1958 anhand von nur drei Variablen zeigt, dass die Situation, die bei der Analyse des BIP pro Einwohner ähnlich erschien, bei einer mehrdimensionalen Betrachtung grundlegende Unterschiede aufzeigt. Bei einem ähnlichen Einkommen pro Einwohner hatte China eine mehr als 13 mal so große Bevölkerung und einen 18 mal höheren Schadstoffausstoß. Die Ergänzung um weitere Kriterien wie Energie- und Wasserverbrauch, Bildungsniveau oder landwirtschaftlich genutzte Fläche würde die Vergleichbarkeit weiter erschweren.175 Darüber hinaus bestimmen unterschiedliche und nur schwer quantifizierbare Faktoren wie Religion und Wertesystem das jeweilige Verständnis von Entwicklung. 175
Die geplante Erweiterung der Tabelle um weitere Faktoren war auf Grund des Fehlens von Daten für Japan im Jahr 1958 nicht möglich.
Alternative Betrachtung von Emerging Markets
59
Die zwei Dimensionen einer bedruckten Seite Papier verhindern eine Darstellung dieser mehrdimensionalen Entwicklung. Bei etwas zeichnerischem Geschick könnte eine Darstellung behelfsmäßig auf drei Dimensionen erweitert werden. Doch spätestens ab der vierten Dimension sind die Grenzen unseres räumlichen Vorstellungsvermögens überschritten, was die Vorstellung mehrdimensionaler im Vergleich zu zweidimensionalen Entwicklungen erheblich erschwert. Bei der Suche nach Produkten, die einen Mehrwert für die Bevölkerung schaffen, sollte hinterfragt werden, ob Produktlösungen, die in den USA, Europa oder Japan ab einer Einkommensgrenze von $ 3.000, $ 4.000 oder $ 5.000 pro Einwohner erfolgreich waren, sich auch auf das China, Indien oder Brasilien zu Beginn des 21. Jahrhunderts übertragen lassen. Alternative Entwicklungsmöglichkeiten öffnen sich, bei einem Lösen von der Prämisse, dass Emerging Markets zwingend den Trittspuren der Industrieländer auf der Leiter folgen müssen. Die erste Abweichung kann sich ergeben, wenn der Fortschritt in Emerging Markets ältere Generationen einer Technologie überspringt. So zeichnet sich z. B. in der Telekommunikationsindustrie ab, dass afrikanische Länder die Festnetztechnologie auslassen und direkt in die Mobilfunktechnologie einsteigen.176 In China fanden mehrere solcher Entwicklungssprünge statt: Der Transrapid fuhr in Shanghai, bevor der traditionelle Eisenbahnverkehr modernisiert worden war. Die Bevölkerung wechselte vom Fernsehen zur DVD, ohne die Stufe Video zu berücksichtigen.177 Bei einer solchen Entwicklung kann der technologische Stand in Industrieländern sogar von Emerging Markets überholt werden. So war z. B. Ungarn das Land mit dem ersten voll digitalen Telekommunikationsnetzwerk.178 Auch wenn Emerging Markets größere Schritte machen, folgen sie bei diesen Beispielen jedoch dem Entwicklungspfad der Industrieländer. Hierbei sind Erfahrungen und Handlungsmuster aus der Vergangenheit ein wertvoller Grundstock für eine Optimierung und die Generierung besserer Lösungen. Doch auf der Suche nach neuen Lösungen können vorhandene Muster auch eine Beschränkung darstellen. Hamel und Prahalad haben als eine wichtige Eigenschaft für die Antizipation zukünftiger Entwicklungen in einer Industrie die Fähigkeit des Vergessens alter
176 177 178
Vgl. Reinhardt, A., 2004, S. 19 oder White, D., 2003, S. 8. Vgl. Erling, J., 2004, S. 55. Vgl. Arnold, D. / Quelch, J., 1998, S. 16.
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Betrachtungsweise von Emerging Markets
Handlungsmuster aufgezeigt: Nur wenn alte Handlungsmuster vergessen werden, kann die Handlungsvielfalt in einem neuen Umfeld erkannt werden.179 Es zeichnen sich Herausforderungen ab, in denen eine Optimierung des Bestehenden nicht mehr die beste Lösung zu sein scheint. Wenn China in den nächsten Jahren bei der Entwicklung des durchschnittlichen Einkommens möglicherweise Bulgarien überholt,180 ist es fraglich, ob eine Entwicklung hin zu über 250 Personkraftwagen je 1.000 Einwohner wie in Bulgarien bei einer Betrachtung aller Faktoren für die chinesische Bevölkerung einen Mehrwert schaffen könnte.181 Wenn alle Entwicklungsländer der Welt demselben Pfad folgen, der die reichen Nationen zu ihrem Wohlstand gebracht hat, werden die globalen Ressourcen bald erschöpft sein.182 Was ist jedoch, wenn dieser Pfad der Entwicklung nicht als fest zementiert vorausgesetzt wird? Muss sich Entwicklung auf einer determinierten Linie bewegen? Gibt es nur Variationen bei der Position auf der Linie? Wenn diese Fragen bejaht werden, finden sich die Lösungen für jede Entwicklungsstufe im Erfahrungsschatz der höchst entwickelten Entität wieder. Wenn diese Frage jedoch verneint wird, können Entwicklungen auch different verlaufen. In diesem Falle wäre die Übertragung der eigenen Entwicklungshistorie mit den entsprechenden Produktlösungen eine Beschränkung der Handlungsfreiheit. Entwicklung ist kein lineares Auf- oder Abstiegen auf einer Leiter, sondern eine Bewegung in einem n-dimensionalen Raum, in dem sich Auf und Ab nicht immer trennen lassen.183 Die Geschichte der Menschheit kennt wie unser Universum keinen privilegierten Punkt, an dem alle Entwicklungen zusammenlaufen, sondern ein permanentes Zusammenspiel zentripetaler und zentrifugaler Kräfte in einem Raum der Möglichkeiten.184 179 180
181
182 183
184
Vgl. Hamel, G. / Prahalad, C., 1995, S. 104 ff. Im Jahre 2004 stand dem chinesischen Einkommen pro Einwohner nach lokaler Kaufkraft von $ 5.530 ein Einkommen von $ 7.870 in Bulgarien gegenüber [Vgl. Weltbank (Hrsg.), 2006, S. 292]. Im Jahre 2003 stand einer Quote von 261 Personkraftwagen je 1.000 Einwohner in Bulgarien ein Verhältnis von 15 je 1.000 in der VR China gegenüber [Vgl. o.V., 2004a]. Vgl. Annan, K., 2001, S. 84. Ausgehend von den Raumkonzepten der Wirtschaftsgeografie und der Physik hat die Alternative Wirtschaftstheorie von Höher-Lauster-Straub ein ökonomisches Raumkonzept entwickelt. Der ökonomische Raum wird dabei als ein abstrakter Raum verstanden, der durch die für die wirtschaftliche Tätigkeit des jeweiligen ökonomischen Systems relevanten Dimensionen aufgespannt wird [Vgl. Hartmann, T., 2005, S. 77 – 78]. Durch ein quantitatives Beschreibungsverfahren ist es gelungen, mit empirischen Eingangsdaten sinnvolle ökonomische Aussagen über eine mehrdimensionale Entwicklung zu treffen [Vgl. Benker, F., 2004, S. 134]. Vgl. Ghyczy, T. v., 2004.
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Alternative Betrachtung von Emerging Markets
M. C. Eschers Zeichnung „Relativity“ verdeutlicht die Abhängigkeit jeder Entwicklung vom gewählten Maßstab. Bei einer fokussierten Betrachtung einer Treppe ist oben und unten scheinbar eindeutig. Es gibt einen klaren Auf- oder Abstieg. Wenn der Blick jedoch auf den gesamten Raum ausgedehnt wird, verschwindet diese Eindeutigkeit. Ein Aufstieg auf einer Treppe ist unter einer anderen Perspektive eine Seitwärtsbewegung oder ein Abstieg. Welche Person befindet sich am höchsten? Welche Figuren steigen auf und welche steigen ab? Wo ist oben und wo ist unten?
Relativity, M. C. Escher
Kapitel 2 – Abbildung 6
Relativ zu einer einzelnen Treppe lassen sich diese Fragen beantworten. Doch bei der Betrachtung der ganzen Zeichnung geht diese Eindeutigkeit verloren. Keine Person ist am höchsten oder am niedrigsten. Sie haben nur ihre Position im Raum. Es kann nicht mehr von Aufwärts- oder Abwärtsbewegung gesprochen werden. Es bleiben nur noch Bewegungen im Raum. Zusammenfassend kann für die Betrachtung von Emerging Markets festgehalten werden:
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Betrachtungsweise von Emerging Markets
Entwicklung von Emerging Markets kann als linearer Pfad oder mehrdimensionaler Raum gesehen werden.
Doch wie kann Entwicklung als mehrdimensionaler Raum erfasst werden? Das folgende Kapitel versucht sich an dem gedanklichen Sprung von der Linie zum Raum.
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Branchensegmentierung
3 Von Märkten zu Räumen “Innovation heißt, leere Räume zu suchen.” Bolko von Oetinger185
Bolko von Oetinger186 gab mit seiner Diskussion über die Renaissance des Raumes den Impuls für eine neue strategische Perspektive. Diese Stimulation aufnehmend eröffnet das folgende Kapitel die Suche nach alternativen Strategieoptionen für Emerging Markets auf der abstrakten Ebene des räumlichen Denkens.
Bezugsrahmen - Ebenen der Argumentation
Abstrakte Ebene
Räumliches Denken
Methodologische Ebene
Praktische Ebene
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 1
Abbildung 1 visualisiert die Ebenen dieser Arbeit. Die Argumentation beginnt auf einer abstrakten Ebene. Nachdem das vorangegangen Kapitel als Alternative zum linearen Entwicklungsdenken eine räumliche Betrachtung aufgezeigt hat, wird als erster Schritt der Gedanke und das Verständnis von Raum hinterfragt. Was ist Raum? Welche Möglichkeiten und Grenzen bietet ein Denken in Räumen? Der nächste Schritt versucht, die Ergebnisse dieser Überlegungen für eine betriebswirtschaftliche Anwendung nutzbar zu machen. Dazu verlässt die Argumentation die 185 186
Oetinger, B. v., 2004b, S. 42. Bolko von Oetinger ist Direktor des Strategieinstituts und Senior Vice President der Boston Consulting Group Deutschland. Er lehrt an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar als Honorarprofessor [Vgl. Oetinger, B. v., 2004b, S. 34].
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Von Märkten zu Räumen
abstrakte und begibt sich auf eine methodologische Ebene. Die Erkenntnisse der abstrakten Überlegungen werden auf die Fragestellung der Unternehmensentwicklung in Emerging Markets konkretisiert und in einer Methodik zusammengefasst. Diese Methodik ist ein Hilfsmittel für die Strategieentwicklung, das sich länder- und branchenübergreifend auf Emerging Markets anwenden lässt. Auf einer praktischen Ebene wird dann die konzipierte Methodik anhand der Versicherungsbranche in der VR China exemplifiziert. Die Ergebnisse jeder Ebene können isoliert betrachtet und genutzt werden. Ein Verständnis der Vorgehensmotivation und -logik ist jedoch nur unter Einbeziehung der höheren Ebenen möglich. Der Gedanke des Raumes umschließt und durchdringt alle weiteren Überlegungen.
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Branchensegmentierung
3.1 Denken in Räumen “The Earth is a place. It is by no means the only place. It is not even a typical place. No planet or star or galaxy can be typical, because the Cosmos is mostly empty. The only typical place is within the vast, cold, universal vacuum, the everlasting night of intergalactic space.” Carl Sagan187
Dem Gedanken einer linearen Entwicklung folgend, können Emerging Markets in Kategorien von Märkten - also wohl abgegrenzten Transaktionsgebieten - betrachtet werden, um Gebiete für neue Geschäfte zu entdecken. Wenn jedoch die Entwicklung von Emerging Markets als mehrdimensional betrachtet wird, muss der eigene konzeptionelle Rahmen dieser dimensionalen Erweiterung folgen, indem bei der Suche nach neuen Geschäftsmöglichkeiten in Kategorien von Räumen gedacht wird, in denen noch gar keine wirtschaftliche Transaktion stattgefunden hat. Die Idee des Raums kann den Impuls für Innovation und Wachstum enthalten, der über eine konventionelle Betrachtung der Märkte hinausgeht.188
3.1.1 Idee des Raums Was ist Raum? Im alltäglichen Gebrauch verstehen wir unter diesem Begriff ein Zimmer eines Gebäudes, ein Umfeld, wie z. B. den städtischen Raum, den für einen Zweck zur Verfügung stehenden Platz, wie z. B. den Raum, den ein Thema einnimmt, ein bestimmtes Gebiet in der Geografie oder das Kurzwort für Weltraum.189 Über den Raum gibt es keine einheitliche Theorie oder Definition. Seit der Antike versuchen Wissenschaftler den Raum zu definieren und sein „Wesen“ zu erforschen, was zu einer Reihe von philosophischen, mathematischen, physikalischen und geometrischen Theorien geführt hat. 190
187 188 189 190
Zitiert nach Brody, D. / Brody A., 1996, S. 184. Vgl. Oetinger, B. v., 2004b, S. 34. Vgl. o. V., 2004f. Vgl. Mümken, J., 1997, S. 31.
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Von Märkten zu Räumen
In der Mathematik ist ein Raum eine mit einer Struktur versehene Menge und es finden sich je nach den Bedingungen und Vorgaben verschiedene Ausprägungen des Raums, wie z. B. der Metrische Raum, der Vektorraum oder der Euklidische Raum.191 Der physikalische Begriff des Raums orientiert sich an dem was messbar oder berechenbar ist, der Prämisse der Physik folgend, die Natur anhand von mathematischen Modellen zu beschreiben. Außerhalb der messbaren Welt macht die Physik keine Aussagen zum Raum.192 Der Raumbegriff hat sich im Laufe der Fortentwicklung der Physik stark gewandelt. In der klassischen Mechanik gilt die Raumdefinition von Isaac Newton, der Raum sei dreidimensional und absolut, unveränderlich und unbeeinflussbar von den physikalischen Vorgängen, die sich in ihm abspielen. Die Entdeckung, dass die Lichtgeschwindigkeit für alle Beobachter gleich ist, erforderte die Modifikation des Raumbegriffs. Albert Einstein verknüpfte in seiner Speziellen Relativitätstheorie Raum und Zeit zu der Raumzeit. Damit ist der absolute Raum dem vom Beobachter abhängigen Raum gewichen. Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie wird die Unabhängigkeit des Raums von den physikalischen Vorgängen, die sich in ihm ereignen, aufgehoben.193 Für unser tägliches Leben gibt die Physik befriedigende Antworten, dennoch gibt es ungeklärte Phänomene, wie z. B. die Struktur des Universums: Dehnt es sich immer weiter aus oder gibt es Effekte, die dies verhindern? Die philosophischen Fragen, die sich aus den physikalischen Theorien ergeben, sind noch nicht verarbeitet.194 Die philosophische Behandlung des „Raums“ in den zweitausend Jahren der abendländischen Philosophiegeschichte ist ein faszinierendes geisteswissenschaftliches Schauspiel. Ein einfacher Grund kann erklären, dass die Konzeption des Raums - mehr noch als die der Zeit - immer neue ideengeschichtliche Aspekte aufreißt: Die Zeit ist eindimensional, der Raum vieldimensional. Er umfasst alles Seiende der physisch konstituierten Welt. Die Zeit kann nur das Dasein des Seienden umgreifen, nicht das Seiende selbst. Der Raum hat eine Tiefe, die Zeit nicht.195 Bei den verschiedenen Problemstellungen des Raumes geht es um die Fragen der (Un-)Endlichkeit, Dimensionalität und Geometrie und um die Veränderbarkeit und Beweglichkeit des Raums. Das Verhältnis zwischen Mensch und Raum ist der Fokus vieler Betrachtungen.196
191 192 193 194 195 196
Vgl. o. V., 2004g. Vgl. Marti, O., 2000, S. 78. Vgl. o. V., 2004h. Vgl. Marti, 2000, O., S. 133. Vgl. Conrad-Martius, H., 1958, S. 13. Vgl. Mümken, J., 1997, S. 31.
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Der Raum bietet unerschöpfliche Aspekte unter denen er gesehen werden kann. Je nach Jahrhundert wird er unter einer anderen Facette erfasst, wobei es doch immer um den gleichen Raum geht, der jeweils unter einem neuen Erkenntnisblickwinkel betrachtet wird. In den zeitgeschichtlich abgewandelten Aspekten finden sich immer neue Seiten des so komplexen, vielschichtigen und vielfältigen Wesen des Raumes. Beim Einblick in die philosophischen Raumauffassungen einer geschichtlich zusammenfassbaren Zeitperiode treten neben der einen, für diese Zeit charakteristischen Sichtweise, meist auch noch andere auf. 197 Die jeweiligen Theorien des Raumes sind eine Reflexion des Weltbilds und der wissenschaftlichen Erkenntnisordnung der jeweiligen Epoche. Die Widerspieglung von religiösen und weltlichen Anschauungen in den jeweiligen Bildern von dem Raum macht deutlich, dass das Verständnis des Raums gesellschaftlichen Wahrnehmungskategorien unterworfen ist – wir leben in einem Raum, der mit Mythen, Bildern, Erfahrungen und Vorstellungen belegt ist.198 Es können drei mögliche Grundkonzeptionen festgestellt werden, die sich im Großen und Ganzen zu allen Zeiten nebeneinander wieder finden.199 1. Eine Denkhaltung, welche den Raum als hierarchisch gestaffelte kosmische Größe mit Zentrum und Peripherie und deshalb von endlicher Quantität sieht. 2. Die Vorstellung, dass der Raum ein absolutes, in sich durchgehend gleich gestaltetes, kontinuierliches, unendliches Ganzes ist. 3. Die Konzeption, dass es einen an sich zu erfassenden Raum, sei es im unendlichen oder im endlichen Sinne, überhaupt nicht gibt, sondern nur ein relativ aufeinander bezogenes Gesamtgebilde gegebener Orte. Im Weiteren soll keine abschließende Beurteilung über das Wesen des Raumes getroffen werden, die sich in die philosophische Diskussion einmischt. Deshalb dienen die Überlegungen über das Wesen des Raums nicht der Entität Raum an sich, sondern der Suche nach Möglichkeiten, die Idee des Raums als Denkhaltung auf wirtschaftliche Überlegungen zu übertragen. Der Raumbegriff hat in den letzten Jahrzehnten im ökonomischen Denken zunehmend an Bedeutung verloren: Schnellere Verkehrsmittel und bequemere Kommunikationstechnik haben die Welt zu einem globalen Dorf schrumpfen lassen. Entfernungen wer197 198 199
Vgl. Conrad-Martius, H., 1958, S. 13 - 14. Vgl. Mümken, J., 1997, S. 31. Vgl. Conrad-Martius, H., 1958, S. 13 - 14.
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Von Märkten zu Räumen
den unwichtiger und Räume lösen sich in virtuellen Netzwerken auf oder definieren sich vollkommen neu. Doch das wachsende Interesse in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Geschichts- und Literaturwissenschaft, der Anthropologie, Soziologie und Geografie erneuert die Bedeutung des räumlichen Denkens. 200
3.1.2 Charakteristiken des Raums Die umfassendste Bedeutung des Wortes Raum ist: Weite, Leere. Diese Bedeutung kommt aus den germanischen Sprachen.201 Die Idee des Raums bringt drei Charakteristika mit sich: Unendlichkeit, Allgemeinheit und inhaltlicher Bezug. In der Antike wurde schon die Unmöglichkeit erkannt, den Raum endlich zu denken: Nur das Leere könnte das Seiende begrenzen; da aber das Leere undenkbar ist, muss das Seiende unbegrenzt und unendlich sein.202 Jeder endliche Raum müsste eine Grenze haben und hinter dieser Grenze würde wieder ein Raum entstehen, der über die Endlichkeit hinausgeht. Die Unendlichkeit des Raums entsteht durch unser Unvermögen, eine raumlose Welt zu denken.203 Für unsere praktische Ausnutzung zerlegt sich der Raum in Stücke, die als Einheiten betrachtet werden und von Grenzen eingerahmt sind204 - Wie weit wir auch denken, überall denken wir räumlich.205 Der Raum unterscheidet sich von allen anderen Eigenschaften der Dinge dadurch, dass er allgemein ist - er ist nicht sinnlich wahrnehmbar. Es gibt keine Abstufungen der Qualität, wie das hell und dunkel von Farben oder das hoch und tief von Tönen. 206 Von diesem allgemeinen Raum sind alle einzelnen Räume Stücke, die eine Art Einzigartigkeit haben betreffend ihrer Lage im Raum.207 Alle diese Räume haben jedoch die gleichen Eigenschaften; es gibt keine Untergattungen oder verschiedenen Arten von
200 201
202 203 204
205 206 207
Vgl. Oetinger, B. v., 2004b, S. 34. Im Gotischen gibt es das Wort rûm mit der substantivischen Bedeutung: Platz, Raum; und adjektivisch: breit, geräumig. Im Altnordischen bedeutet rûm: freier Platz, womit schon die Vorstellung der Abgrenzung verbunden ist. [Vgl. Ratzel, F., 1907, S. 1]. Vgl. Ratzel, F., 1907, S. 2. Vgl. Ratzel, F., 1907, S. 4. Vgl. Simmel, G., 1968, S. 465. Simmel sieht die Grenzen gleichzeitig als Ursache und Wirkung der Zerlegung des Raums. Er vergleicht die Grenze eines sozialen Raums mit dem Rahmen eines Kunstwerkes, der zwei Funktionen ausübt, die eigentlich eins sind: Das Kunstwerk gegen die umgebende Welt ab- und es gleichzeitig in sich zusammenzuschließen. Vgl. Ratzel, F., 1907, S. 4. Vgl. Ratzel, F., 1907, S. 3 - 4. Vgl. Simmel, G., 1968, S. 462.
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Räumen. Der Raum ist immer dasselbe, die Verschiedenheit wird durch die Dinge bestimmt, die in ihm sind. Nur die Inhalte unterscheiden sich, nicht die Räume.208 Die vielfache Bedeutung des Raums in der deutschen Sprache, die auch die Bedeutung im Sinne von Zimmer oder Kammer (engl. = room) umfasst,209 legt die Vorstellung nahe, sich den Raum leer vorstellen zu können. Doch zu der Vorstellung des Raums als ein leeres Gefäß gehört zwingend die Idee einer Umfassung, einer Grenze, die sich nicht wegdenken lässt. Sobald diese Grenze aber gedacht wird, hat der Raum einen Bezug zu einem Inhalt. Wenn man sich ein Zimmer mit dem Boden, den Wänden und der Decke vorstellt, entstehen vor dem geistigen Auge die Möbel für das Zimmer, wenn man sich einen Swimmingpool vorstellt, sieht man das Wasser und wenn man an den Weltraum denkt, erscheint das Glitzern der Sterne. Wenn man den Versuch macht, sich einen solchen Raum leer vorzustellen, muss man erst an die Gegenstände denken, die man herausnimmt.210 Dies bedeutet, dass in der Vorstellung die Grenzen des Raums seine Inhalte bestimmen. Der Raum stellt eine Anschauungsform dar, an deren Grenzen wir nie kommen können, solange wir anschauend denken. Durch die Beobachtung eines kleinen Ausschnitts des Raums können wir auf das Ganze schließen. Jede neue Entdeckung bezieht sich nicht auf neue Räume, sondern nur auf neue Grenzen, die gezogen werden und neue Inhalte, mit denen der Raum gefüllt wird.211 Wenn zwei Gruppen innerhalb bestimmter Raumgrenzen isoliert nebeneinander existieren, so erfüllt jede Gruppe ihren Raum. Zwischen diesem Raum und dem nächsten Raum der nächsten Gruppe existiert kein weiterer Raum oder positiv gesprochen: Es existiert dort nichts. In dem Moment, in dem diese beiden Gruppen in Interaktion treten, erscheint ein Raum zwischen ihnen, der sich abgrenzt und von ihnen erfüllt und belebt wird.212 Der Raum ist ein Konstrukt, welches erst durch das Ziehen von Grenzen durch den Betrachter mit Inhalten gefüllt wird.213 Die weitere Diskussion versteht unter dem Begriff des Raums ein unendliches, vieldimensionales, in sich durchgehend gleich gestaltetes, kontinuierliches Ganzes, dessen Unterteilung durch die Grenzziehung des Betrachters bestimmt wird. 208 209
210 211 212 213
Vgl. Ratzel, F., 1907, S. 3 - 4. Die treffende englische Übersetzung für den hier verwendeten Raumbegriff wäre „space“. Mit den Bedeutungen Raum, Leerfeld, Abstand oder Weltraum liegt hier die Konnotation stark auf der Eigenschaft der Weite und hat keinerlei Bezug zu der Enge eines Zimmers oder einer Kammer. Vgl. Ratzel, F., 1907, S. 3. Vgl. Ratzel, F., 1907, S. 4 - 5. Vgl. Simmel, G., 1968, S. 461 - 462. Vgl. Oetinger, B. v., 2004b, S. 38.
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Von Märkten zu Räumen
Welche Bedeutung kann dieses Denken für Unternehmen haben? Oft werden die Räume, in denen alle wirtschaftlichen Aktivitäten stattfinden, als stabil angesehen. Die wirtschaftliche Dynamik wird alleine von der Zeit bestimmt: Um die Zeit gibt es einen harten Wettbewerb, der die Geschwindigkeit in allen Bereichen zunehmen lässt. Doch eine Trennung von Raum und Zeit ist nicht so einfach möglich; sie hängen sehr eng zusammen und prägen sich gegenseitig. Jede Entwicklung findet in Räumen statt. Im Vergleich zu der Zeit bietet der Raum für das strategische Denken ein größeres Repertoire an Möglichkeiten. Die Zeit verläuft eindimensional und sequenziell und die Geschwindigkeit ist der einzige Hebel in der Hand des Strategen zur Nutzung der Zeit. Unternehmerische Räume bieten dagegen mehrere Dimensionen in denen sich alles gleichzeitig ereignet. Die Wirtschaft entfaltet sich nie in einem sondern immer in mehreren Räumen. Im Gegensatz zur Entwicklung der Zeit können Räume ausgewählt werden. So können Manager entscheiden, in welchen Räumen sie produzieren und ihre Zulieferer suchen wollen, in welchen Räumen sie die sozialen Beziehungen zu ihren Kunden und Mitarbeitern gestalten wollen. Manager entscheiden permanent, wo sie die Grenzen ihres Geschäfts sehen, ob sie diese Grenzen erweitern oder verengen sollen. Mit diesen Entscheidungen legen sie die Räume fest, in denen sie tätig werden.214 Die Definition der Räume in denen ein Unternehmen tätig wird, kann durch eine Branchensegmentierung geschehen, die aufzeigt, in welchen Bereichen die bisherige Wertschöpfung ein Angebot erbracht hat und welche Segment nicht bearbeitet wurden. Für die Segmente gibt es häufig unterschiedliche Abnehmerwertketten, die unterschiedliche Anforderungen an die Wertschöpfung eines Unternehmens stellen.215 Der Idee des räumlichen Denkens folgend ist aber vor der Betrachtung der Inhalte die Definition oder auch Begrenzung der Segmente entscheidend, weil diese ausschlaggebend für die Inhalte ist.
Der Raum ist ein Konstrukt, welches erst durch das Ziehen von Grenzen durch den Betrachter mit Inhalten gefüllt wird.216
214 215 216
Vgl. Oetinger, B. v., 2004b, S. 36. Vgl. Porter, M., 2000, S. 305. Vgl. Oetinger, B. v., 2004b, S. 38.
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Branchensegmentierung
Wie ein Unternehmen diese Grenzen ziehen kann, um damit sein Tätigkeitsfeld zu definieren, wird im folgenden Kapitel betrachtet. Damit verlässt die Arbeit, wie in Abbildung 1 dargestellt, die abstrakte und begibt sich auf die methodologische Ebene. Auf dieser wird der Gedanke des Raums mit Hilfe des noch zu erläuternden Branchentensors auf ein pragmatisches Niveau komprimiert. Dieser Schritt kann irritieren, indem er versucht, die Unendlichkeit des Raums in eine endliche Struktur zu pressen und einer komplexen Welt mit einer simplen Methodik gerecht zu werden.
Bezugsrahmen - Ebenen der Argumentation
Abstrakte Ebene
Räumliches Denken
Methodologische Ebene
Branchentensor
Praktische Ebene
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 2
Die Branche, in der ein Unternehmen seine Produkte und Dienstleistungen anbietet, ist ein komplexes System.217 Die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Lieferanten, Abnehmern, Konkurrenten, staatlichen Stellen, Umwelteinflüssen und anderen Ele217
Unter einem System wird eine Ganzheit verstanden, die aus Elementen besteht. Elemente sind die materiellen und immateriellen Komponenten eines Systems, die im wechselseitigen Zusammenwirken ein System konstituieren. Als komplex wird ein System bezeichnet, - wenn zwischen den Elementen eines Systems untereinander nicht überschaubare Beziehungen und Wechselwirkungen bestehen, - wenn sich diese Beziehungen und Interaktionen aufgrund eines Eigenverhaltens der Systemelemente und verschiedener Rückkopplungen in nicht berechenbarer Entwicklung befinden und - wenn aus diesen Beziehungen und Interaktionen Ergebnisse resultieren, die emergent sind, d. h. nicht auf einzelne Elemente zurückgeführt werden können, sondern aus dem Zusammenwirken der Systemelemente hervorgehen. [Vgl. Rüegg-Stürm, J., 2002, S. 18 – 19].
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Von Märkten zu Räumen
menten lassen sich nicht linear kausal darstellen und berechnen. Die Unkalkulierbarkeit von Ursachen und Wirkungen impliziert eine Handlungsunfähigkeit des einzelnen Akteurs, deren Akzeptanz in einer fatalistischen Haltung enden würde. Ein Modell, welches versucht, die Komplexität einer Branche zu erfassen, müsste selber einen ebenso hohen Grad an Komplexität aufweisen und wäre damit keine Gestaltungshilfe. Jeder Versuch eines gestalterischen Einflusses muss simplifizieren. Der Preis der Handlungsfähigkeit ist die Reduktion von Komplexität.218 Diese Simplifizierung folgt dem in Kapitel 2.1.3 gesetzten Anspruch nach funktionierenden Lösungen, welche zur Erreichung einer Handlungsfähigkeit bewusst Elemente und Wechselbeziehungen aus der Betrachtung ausklammern. Dabei besteht die Gefahr einer Trivialisierung des System. Die Illusion einer klar determinierten und berechenbaren Welt.219 Die Herausforderung jeder Strukturierung besteht im Oszillieren zwischen den beiden Polen Komplexität und Simplizität.220
Simplizität versus Komplexität
Strukturierung Simplizität
Komplexität Reflexion
Funktionsfähigkeit Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 3
218
219
220
Diese Aussage widerspricht nicht dem Potenzial von Strategien der Komplexitätserhöhung. Wenn z. B. in einem komplexen System eine Struktur A in eine Struktur B verändert wird, kann B relativ zu A eine höhere Komplexität haben. Im absoluten Vergleich zu dem System reduzieren jedoch sowohl Struktur A als auch B Komplexität. Vgl. für die Grenzen von klaren Handlungsmustern, Strukturen und Prozessen Wüthrich, H. / Osemtz, D. / Kaduk, S., 2006, S. 25 – 29. Der Dualismus von Komplexität und Simplizität wurde einer Argumentation des Mathematikers und Physikers John Barrow entnommen, welcher ihn jedoch vor einem anderen Hintergrund angewandt hat. Er hat beobachtet, dass einem einfachen und klar strukturierten Weltverständnis von Physikern ein ungeordnetes und komplexes Weltverständnis von Sozialwissenschaftlern oder Biologen gegenübersteht. Dies führt er auf verschiedene Zielsetzungen zurück. Während Physiker an den Naturgesetzen interessiert sind, erforschen Sozialwissenschaftler die Auswirkungen dieser Gesetzte, welche wesentlich komplexer sein können als die ihnen zugrunde liegenden Naturgesetzte [Vgl. Barrow, J., 2002, S. 248 – 258].
Branchensegmentierung
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Abbildung 3 stellt dar, wie die Komplexität durch Strukturierung simplifiziert wird. Gleichzeitig ist aber eine Reflexion der Strukturen notwendig, um nicht ein Gefangener im eigenen Käfig zu werden.221 Ziel dieser permanenten oszillierenden Bewegung zwischen den beiden Polen Simplizität und Komplexität ist die Funktionsfähigkeit der eigenen Handlungen. Die vorangegangenen Abschnitte haben mit der Reflexion der Betrachtung von Emerging Markets die bestehende Strukturierung von Entwicklung hinterfragt und die Komplexität erhöht. Die folgenden Abschnitte werden die konträre Bewegung durchführen und durch Strukturierung simplifizieren - mit dem Ziel einer höheren Funktionsfähigkeit.
221
Vgl. Wüthrich, H. / Osmetz, D. / Kaduk, S., 2006, S. 155 – 176.
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Von Märkten zu Räumen
3.2 Branchensegmentierung “Markets aren’t mature, sometimes minds are.” Jack Welch222
Das Tätigkeitsfeld eines Unternehmens wird als Branche bezeichnet.223 Eine auf den ersten Blick eindeutig unterscheidende Unterteilung, wie z. B. die Automobil-, Finanzdienstleitungs- oder Unterhaltungselektronikbranche, erweist sich schon auf einen zweiten Blick wesentlich unschärfer. Sind Porsche und Volkswagen in derselben Branche tätig? Gehört das Finanzierungsangebot für ein Auto in die Automobil- oder Finanzdienstleistungsbranche? Die Grenzen einer Branche sind häufig nicht eindeutig definierbar und können einer permanenten Veränderung unterliegen. Durch die Entwicklung von neuen Produktvarianten, die zusätzliche Funktionen erfüllen, werden die Grenzen der Branche produktseitig erweitert. Genauso können neue Abnehmer zu einer Branche hinzu stoßen oder alte Abnehmer abwandern.224 Eine Branche ist ein amorphes Gebilde, dessen Grenzen durch die Definitionen des Betrachters bestimmt werden. Im Bewusstsein, dass eine trennscharfe Definition nicht möglich ist, wird im Weiteren unter einer Branche ein Raum verstanden, in dem ähnliche oder eng verwandte Leistungen an Abnehmer verkauft werden. Branchensegmentierung ist die Aufgliederung einer Branche zur Entwicklung einer Wettbewerbsstrategie.225 Segmentierung kommt immer dann zur Anwendung, wenn ein komplexes Analyseobjekt durch seine Zerlegung besser verstanden und gezielter bearbeitet werden soll,226 und bildet damit einen entscheidenden Aspekt der Unternehmensstrategie. Das Ziel besteht darin, Wettbewerbsunterschiede im gesamten Wettbewerbsumfeld zu erfassen. Branchen müssen zur Formulierung einer Wettbewerbstrategie segmentiert werden, weil die Verschiedenheit der Abnehmer Wettbewerbsvorteile für ein Unternehmen eröffnen kann. Die Attraktivität eines angebotenen Produkts kann für verschiedene Branchensegmente sehr verschieden sein. Aus dieser unterschiedlichen strukturellen 222 223 224 225 226
Welch, J., 2003, S. 477. Oder in der englischsprachigen Literatur als „industry“. Vgl. Porter, M., 2000, S. 308. Vgl. Porter, M., 2000, S. 305. Vgl. Müller-Stewens, G. / Lechner, C., 2001, S. 125 – 126.
Branchensegmentierung
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Attraktivität und mannigfachen Voraussetzung für Wettbewerbsvorteile zwischen Produkten und Abnehmern einer Branche entstehen Branchensegmente.227
3.2.1 Grundlagen der Segmentierung Bei der Segmentierung sind alle Bemühungen auf die Identifikation von Produkt- und Kundengruppen zu richten, mit denen sich ein nachhaltiger wirtschaftlicher Vorteil gegenüber den Wettbewerbern erzielen lässt.228 Jede potenzielle Variante einer Branche sollte ermittelt und daraufhin geprüft werden, wie sie sich in Bezug auf Struktur oder Wertkette von anderen unterscheidet.229 Aufgrund der unendlichen Zahl von Faktorkombinationen lässt sich der Segmentierungsprozess nur schwer optimieren.230 Zur Durchführung einer Branchensegmentierung lassen sich verschiedenste Segmentierungsvariablen verwenden, um Unterschiede zwischen Produktvarianten und Abnehmern zu erfassen. Die einzelnen Variablen sollen nicht als fixes Gerüst einer Branchensegmentierung gesehen werden, sondern als mögliche Dimensionen.231 Dabei lassen sich als mögliche Arten von Segmentierungsvariablen unterscheiden:232 • Leistungsangebot, • Abnehmertyp, • Vertriebskanäle, • Geografischer Standort der Abnehmer, • Technologie und Verfahren, • Wertschöpfungsstufe. Die weitere Argumentation orientiert sich an der von Michael Porter entwickelten Methodik zur Branchensegmentierung, die sich auf die vier erst genannten Arten von Segmentierungsvariablen konzentriert und darunter alle möglichen Dimensionen subsumiert.233
227 228 229 230 231
232 233
Vgl. Porter, M., 2000, S. 308. Vgl. Oetinger, B. v., 1993, S. 347. Vgl. Porter, M., 2000, S. 313 f. Vgl. Tilles, S., 1993, S. 354. Einige Autoren sehen die Segmentierungsvariablen für eine Branchensegmentierung als konstant an, so z. B. Abell, der von einer grundsätzlich dreidimensionalen [Vgl. Abell, D., 1980, S. 169 - 173] oder Ansoff der von einer vierdimensionalen Segmentierung ausgeht [Vgl. Ansoff, I. / McDonnell, E., 1990, S. 55 - 56]. Vgl. Porter, M., 2000, S. 314. Vgl. Porter, M., 2000, S. 313 – 314. „Michael E. Porter, Professor an der Harvard Business School, entwickelte dort das anerkannte Graduiertenprogramm über Branchen- und Wettbewerbsanalyse, das zum meistbe-
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Von Märkten zu Räumen
Leistungsangebotssegmente Zur Ermittlung des Leistungsangebots sollten alle physisch unterschiedlichen Produkttypen und alle Dienstleistungen, die von einer Branche angeboten werden oder potenziell angeboten werden könnten, isoliert werden.234 Dabei sollte zwischen Leistungsangeboten unterschieden werden, die wichtige Strukturunterschiede widerspiegeln. Abnehmersegmente235 Zur Ermittlung von Abnehmersegmenten sind alle unterschiedlichen Typen von Endabnehmern, an die eine Branche verkauft oder verkaufen könnte, auf wichtige Struktur- und Wertkettenunterschiede zu prüfen. Dabei sollen die Abnehmersegmente Kategorien mit Kunden bilden, die dieselben Bedürfnisse repräsentieren.236 Vertriebskanalsegmente Für die Bestimmung der vertriebskanalbezogenen Segmente sollten alle bestehenden und denkbaren Kanäle, durch die ein Produkt seinen Endabnehmer erreichen kann, ermittelt werden.237 Geografische Segmente Der geografische Standort kann sowohl die Bedürfnisse der Abnehmer als auch die Kosten ihrer Belieferung beeinflussen und damit entscheidend die zur Erreichung der Abnehmer notwendige Wertkette bestimmen.238 Ein geografisches Segment wird durch eine unterscheidbare wirtschaftliche Einheit bestimmt, wie z. B. ein Land. Wenn jedoch zwei Länder sehr ähnliche Wirtschafts- und Wettbewerbsbedingungen haben, sollten sie zu einer Region zusammengefasst werden.239
234
235
236 237 238 239
legten Wahlfach in der Geschichte der Harvard Business School wurde. Porter ist Berater führender Unternehmen aus der ganzen Welt.“ [Porter, M., 2000, S. S. 2]. Bei der Definierung des Leistungsangebots ist entscheidend, sich von der bestehenden Produktlinie zu lösen und auch potenzielle Leistungsangebote zu betrachten. Deshalb wird auch in einigen Segmentierungsansätzen die Dimension „Produkt“ bewusst vermieden [Vgl. Ansoff, I. / McDonnell, E., 1990, S. 55 - 56]. Abgrenzung zwischen Branchen- und Marktsegmentierung: Die Branchensegmentierung dient der Aufgliederung einer Branche zur Entwicklung einer Wettbewerbsstrategie. Dabei kann die Segmentierung der Abnehmer eine Variable sein, wenn sie die Wettbewerbsstruktur wesentlich beeinflusst. Die Branchensegmentierung ist ein Teil der Strategieentwicklung. Die Marktsegmentierung dient zum gezielten Ansprache der Zielgruppen im Rahmen der Marketingpolitik. Sie befindet sich damit nicht mehr auf der strategischen Ebene und ist der funktionalen Teilpolitik des Marketing zuzuordnen. Die Segmentierung der Abnehmer auf der Ebene der Marktsegmentierung kann wesentlich differenzierter sein als auf der Ebene der Branchensegmentierung. Vgl. Ansoff, I. / McDonnell E., 1990, S. 56. Vgl. Porter, M., 2000, S. 321. Vgl. Porter, M., 2000, S. 322. Vgl. Ansoff, I. / McDonnell E., 1990, S. 56.
Branchensegmentierung
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Jede dieser Kategorien kann eine oder mehrere Segmentierungsvariablen bilden, oder aber auch für die Segmentierung der Branche nicht von Bedeutung sein, weil sie keinen wesentlichen Einfluss auf die Wettbewerbsstruktur hat.
Beispiel Ein Telekommunikationsunternehmen kann bei der Bestimmung seines Tätigkeitsfeldes unter Berücksichtigung der Sichtweisen Leistungsangebot, Abnehmer, Vertriebswege und Geografie seine Branche nach folgenden Variablen segmentieren: • Leistungsangebot, • Abnehmertyp, • Abnehmergröße, • Distributionsweg und • Region. Diese Unterscheidungsvariabeln können einen ersten Rahmen zur Branchenbestimmung und damit zur Definition der betrieblichen Tätigkeit bilden, der im Weiteren verdichtet und spezifiziert werden muss.
Wichtig bei der Definition von Segmentierungsvariablen ist eine Betrachtung, die über die gegenwärtig offensichtlichen Faktoren hinausgeht. Einige Variablen sind auf Grund von Branchenkonventionen oder Konkurrentenverhalten leicht erkennbar. Die geografische Einteilung orientiert sich häufig an den Vorgaben von Wirtschaftsverbänden oder staatlichen Stellen. Die zweckmäßige Branchensegmentierung sollte die für die Struktur oder die Wertkette wichtigen Unterschiede zwischen Produkten, Abnehmern, Vertriebskanälen oder geografischen Regionen berücksichtigen, unabhängig davon, ob diese allgemein anerkannt werden. Neue Segmentierungsmöglichkeiten eröffnen oft die größte Möglichkeit zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen, weil ein Unternehmen die wirklichen Abnehmerbedürfnisse dann besser befriedigen kann.240
240
Vgl. Porter, M., 2000, S. 323 - 324.
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3.2.2 Branchentensor Nach der Identifizierung der einzelnen Segmentierungsvariablen ist die nächste Aufgabe, diese zu einer umfassenden Branchensegmentierung zusammenzustellen. Eine große Anzahl verschiedener Segmentierungsvariablen kann die Entwicklung sinnvoller Segmente zu einem schwierigen Prozess machen. Segmentierungsvariablen Der erste Schritt zu einer Verdichtung der relevanten Variablen besteht in einem Signifikanztest, bei dem jede Variable auf ihren Einfluss hin überprüft wird. Nur die Variablen mit einem bedeutenden Einfluss auf die Wettbewerbsvorteile oder Branchenstruktur sollen für die weitere strategische Analyse berücksichtigt werden. Die weiteren nicht berücksichtigten Variablen lassen sich für die Optimierung der funktionalen Teilpolitiken verwenden.241
Beispiel Die Analyse kann ergeben, dass die Segmentierungsvariable „Distributionsweg“ in der Telekommunikationsbranche die Branchenstruktur nicht wesentlich beeinflusst. Innerhalb der Branchensegmente kann die Distribution ein wichtiges Glied in der Wertschöpfungskette sein, um einen Wettbewerbsvorteil herauszuarbeiten. Sie beeinflusst die Wettbewerbsstruktur jedoch nicht so entscheidend, dass sie die Grundlage eines eigenen Branchensegments bildet. Somit wird der Distributionsweg aus der weiteren Branchensegmentierung als Variable herausgenommen.
In einem zweiten Schritt werden die Beziehungen zwischen den Segmentierungsvariablen überprüft. Die Zahl der Variablen lässt sich durch die Zusammenfassung von stark korrelierenden Variablen reduzieren, wenn eine Variable ein Surrogat für die Wirkung der anderen ist. Dies muss bei korrelierenden Variablen nicht zwangsläufig der Fall sein, weshalb die Ursachen der Korrelation hinterfragt werden müssen. Wenn der Zusammenhang aus einer unreflektierten historischen Business-Logik resultiert, können sich hier Chancen für noch nicht erschlossene Branchensegmente eröffnen.
241
Vgl. Porter, M., 2000, S. 325 - 328.
Branchensegmentierung
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Wenn auch für die Zukunft ökonomische Gründe auf eine enge Korrelation hindeuten, können die betroffenen Variablen auf eine reduziert werden.242
Beispiel Die Analyse ergibt, dass es eine Korrelation zwischen dem Abnehmertyp und der Größe bzw. dem Umsatzvolumen des Abnehmers gibt. Die beiden Variablen geben eine gleiche Aussage wieder. Deshalb muss untersucht werden, ob sich die beiden Variablen wechselseitig beeinflussen oder ob eine Variable ursächlich für die Ausprägung der zweiten ist. In diesem Beispiel ist der Abnehmertyp ursächlich für die Größe des Abnehmers, weshalb die Abnehmergröße aus der weiteren Analyse als Variable herausgenommen wird. Damit baut die Branchensegmentierung auf drei Variablen auf, welche die drei Dimensionen der Branche darstellen: • Leistungsangebot, • Abnehmertyp und • Region.
Kategorien Die verbliebenen signifikanten Variablen der Anzahl n bilden einen n-dimensionalen Branchentensor.243 Der dritte Schritt besteht in der Festlegung der Anzahl der Kategorien für jede Segmentierungsvariable. Dabei sollen jene Kategorien widergespiegelt werden, die signifikante Struktur- und Wettbewerbsunterschiede erkennen lassen. Der Drang zu einer exakten Differenzierung muss hier gegen das praktische Bedürfnis nach einer überschaubaren Zahl von Segmenten abgewogen werden,244 die strategische Entscheidungen noch nachvollziehbar und umsetzbar machen.245
242 243
244 245
Vgl. Porter, M., 2000, S. 325 - 328. Michael Porter spricht bei seiner Branchensegmentierung von einer Branchensegmentierungsmatrix [Vgl. Porter, M., 2000, S. 325]. In dieser Arbeit wird der Begriff des Tensors verwendet, um die unbestimmte Dimensionalität zu betonen. Während in der Mathematik unter einer Matrix eine zweidimensionale Anordnung von Zahlen verstanden wird, kann ein Tensor über n Dimensionen verfügen. Dabei ist eine Matrix ein Spezialfall eines zweidimensionalen Tensors [Vgl. Meschkowski, H. / Laugwitz, D. (Hrsg.), 1972, S. 167 u. 254]. Vgl. Porter, M., 2000, S. 326. Vgl. Ansoff, I. / McDonnell E., 1990, S. 56.
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Von Märkten zu Räumen
Beispiel Die verbliebenen drei Variablen des Telekommunikationsunternehmens können zur Definition seiner Branchenzugehörigkeit wie folgend kategorisiert werden: • Leistungsangebot o Festnetz o Mobilfunknetz o
Endgeräte
• Abnehmertyp o Regierung o Unternehmen o Privatkunden • Region o Deutschland o Frankreich o
England
Felder Wenn jede der n Dimensionen246 in k Kategorien unterteilt wird, ergibt sich ein Tensor mit f Feldern. n
f (n, k n ) = ∏ k i = k1 * k 2 * ...* k n−1 * k n i =1
Jedes dieser Felder247 bildet ein Branchensegment ab, in dem das Unternehmen tätig ist oder tätig sein könnte. Die Branchensegmentierung soll potenzielle Segmente und nicht nur die augenblicklich besetzten aufzeigen.248 Sie spannt ein Spektrum an Möglichkeiten auf, in dem sich das Unternehmen in der weiteren Analyse bewegen kann. Dabei ist der Tensor ein Hilfsmittel der Analyse, das die Anzahl der Optionen systematisch visualisiert. 246
247
248
Jede der n Variablen bildet eine Dimension der Matrix. Im Weiteren werden die Bezeichnungen Variable und Dimension deshalb synonym verwendet. Im Weiteren werden die Bezeichnungen Branchensegment, Segment, Feld oder Strategisches Geschäftsfeld (SGF) synonym benutzt. Dabei bezeichnen diese drei Begriffe einen Raum, der keine Beziehung zur organisatorischen Struktur des Unternehmens haben muss. Es besteht die Möglichkeit, dass eine organisatorische Strategische Geschäftseinheit (SGE) deckungsgleich mit einem SGF ist, dies muss jedoch nicht zwingend der Fall sein. Es kann auch eine SGE zwei Felder bearbeiten oder ein Feld kann von einem Unternehmen nicht bearbeitet werden [Vgl. Ansoff, I. / McDonnell E., 1990, S. 49 - 52]. Vgl. Porter, M., 2000, S. 332.
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Branchensegmentierung
Beispiel In dem Beispiel aus der Telekommunikationsbranche ergibt sich ein Tensor mit 27 Feldern. Jede der ausgewählten Regionen bietet nach dieser Segmentierung acht potenzielle Branchensegmente, die sich aus den Kombination des Leistungsangebots und der Abnehmergruppen ergeben. 3
f (3, k n ) = ∏ k i = 3 * 3 * 3 = 27 i =1
Abbildung 4 illustriert den für die Telekommunikationsbranche aufgespannten Tensor. Auf der Abszisse wird die Dimension Zielgruppe mit den drei Kategorien Regierung, Unternehmen und Privatkunden abgebildet. Die Dimension Leistungsangebot wird mit den drei Kategorien Festnetz, Mobilfunknetz und Endgeräte auf der Ordinate dargestellt. Die Regionen bilden die dritte Dimension. Symbolisiert durch die Nationalflaggen werden die drei Kategorien Deutschland, Frankreich und Großbritannien dargestellt.
Branchentensor in der Telekommunikationsbranche
249
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 4
Der durch die drei Dimensionen gebildete Raum wird durch die Kategorien in 27 Felder unterteilt. So bilden z. B. die Kategorien vom Betrachter aus gesehen rechts / oben / vorne das Feld Privatkunden / Endgeräte / Deutschland. 249
Die grafische Darstellung der Branchenmatrix ist in diesem Beispiel durch die Begrenzung auf drei Dimensionen möglich. Grundsätzlich sind der Anzahl der Dimensionen keine Grenzen gesetzt, wenn jede Dimension wesentlichen Einfluss auf die Wettbewerbsstruktur hat. Die Möglichkeiten einer grafischen Darstellung sollte die Auswahl der Variablen nicht beeinflussen oder künstlich reduzieren. Die weitere Analyse und Anwendung der Branchenmatrix ist auch bei vier oder mehr Dimensionen möglich. Zur übersichtlicheren Darstellung wurde das dreidimensionale Beispiel gewählt.
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Von Märkten zu Räumen
Die fünf Schritte zur Definition der Branchensegmentierung und des Branchentensors werden im Folgenden zusammengefasst. Die sequentielle Darstellung ist eine idealtypische Vorgehensweise, die bei der Anwendung eine Iteration erfordern kann. Dabei ist insbesondere ein Abwägen zwischen dem Grad der Differenzierung bei der Definition der Variablen bzw. Kategorien und der Handhabbarkeit der daraus entstehenden Anzahl von Feldern bei der folgenden Analyse notwendig. Zusammenfassung der Branchensegmentierung Die Schritte zur Segmentierung der Branche und Erstellung des Branchentensors lassen sich wie folgend zusammenfassen:250 1. Die möglichen Variablen aus den Bereichen Leistungsangebote, Abnehmer, Vertriebskanäle und Geografie bestimmen. 2. Anhand des Signifikanztests die Variablen bezüglich eines wesentlichen Einflusses auf die Wettbewerbsstruktur prüfen und die Anzahl durch die Streichung nicht wesentlicher Variablen verringern. 3. Mit dem Korrelationstest die Anzahl der Variablen durch die Zusammenfassung korrelierender Variablen weiter reduzieren. 4. Für jede Variable die Kategorien mit einem signifikanten Einfluss auf die Wettbewerbsstruktur bestimmen. 5. Anzahl der Segmentierungsfelder errechnen.
250
Vgl. Porter, M., 2000, S. 332.
Business Development Methodik für Emerging Markets
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3.3 Expansion in Emerging Markets „Als Alexander von Humboldt mit seinem Gefährten Alexandre Aimé Goujaud Bonpland im Juni 1799 von La Coruña aus nach Lateinamerika in See stach, hielten sie jenen denkwürdigen Augenblick fest, in dem die Küste der Alten Welt aus ihrem Horizont verschwand und sie auf das offene Meer hinausfuhren. Es war ein Moment der Erschütterung, in dem Sentiment, Anhänglichkeit an das Altvertraute, die Furcht vor etwas ganz anderem und Neuem sich vermischten. Atlantiküberquerungen waren noch immer hochriskant, nicht Routine, deren Ende man absehen, sondern ein Abenteuer, in dem man umkommen konnte. Humboldt durchlebte noch einmal jenen Moment, den vor ihm schon ganze Generationen von Seefahrern erlebt hatten, jene Überschreitung einer Schwelle, von wo aus es kein Zurück mehr gibt, wo alles offen ist und nur derjenige eine Chance hat, dessen Sinne hellwach sind. Alexander von Humboldt war kein Abenteurer, sondern ein Mensch von geradezu unstillbarer und animalischer Neugier und schier unerschöpflicher Arbeitskraft. Alles war wohl vorbereitet und durchdacht, das Schiff bis zur letzten Kammer vollgestopft mit wissenschaftlichen Papieren, Atlanten, Messgeräten, man war bereit, für lange Zeit unter größten Strapazen ein Stück neuer Welt zu erkunden, erstmals zu erfassen und zu vermessen. Die Expedition kehrte von ihrer Reise durch sieben Länder Südamerikas, Kubas und Nordamerikas nach mehr als fünf Jahren zurück. Mit der Auswertung der mitgebrachten Sammlungen, Beobachtungen und Messergebnissen waren die Wissenschaften das ganze 19. Jahrhundert über beschäftigt – und sind es zum Teil bis heute.“ Karl Schlögel251
Genau wie Alexander von Humboldts Entdeckungsreise stellt auch die Expansion in Emerging Markets einen Aufbruch aus einer bekannten Welt in neue Räume dar. Auch wenn die Risiken nicht direkt miteinander vergleichbar sind, haftet beiden Unternehmungen eine hohe Unsicherheit an. Der Mut, bekannte Ufer hinter sich lassen, und die Neugier nach dem Neuen muss mit analytischem und konzeptionellem Geschick verbunden werden.
251
Schlögel, K., 2003, S. 19.
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Von Märkten zu Räumen
Bevor der Blick sich auf die neuen Ufer der Emerging Markets richtet, werden die bekannten Räume betrachtet, aus denen das Unternehmen aufbricht: seine etablierten Geschäftsfelder.
3.3.1 Etablierte Geschäftsfelder Die verschiedenen Branchensegmente unterscheiden sich in ihrer Attraktivität. Verschiedene Quellen bestimmen die Wettbewerbsvorteile und unterschiedliche Kompetenzen sind für eine erfolgreiche Positionierung notwendig. Die Vielzahl der Segmentierungsfelder, welche durch den Branchentensor gebildet werden, eröffnen zwei strategische Schlüsselfragen:252 1. In welchen Segmenten soll ein Unternehmen den Wettbewerb aufnehmen? 253
2. Mit welcher Strategie soll das Unternehmen in den ausgewählten Segmenten den Wettbewerb aufnehmen? In dem Branchentensor muss zwischen denjenigen Feldern unterschieden werden, in denen das Unternehmen bereits aktiv ist und den weiteren Feldern. Bei den aktiven Feldern liegt der Fokus auf der zweiten Schlüsselfrage; in der weiteren Optimierung der Wertschöpfungskette, zur Steigerung des Wertes für den Kunden oder zur Senkung der Kosten. Die Branchensegmente, in denen das Unternehmen nicht aktiv ist, können in Felder unterschieden werden, die von Konkurrenzunternehmen besetzt sind oder in denen noch kein Unternehmen tätig ist. Diese unbesetzten Felder werden in vielen Fällen undurchführbare Kombinationen von Segmentierungsvariablen abbilden, können aber auch Chancen darstellen, die noch nicht von Konkurrenzunternehmen erkannt wurden. Für die weitere Argumentation soll zwischen folgenden Begriffen unterschieden werden: 254
252
253 254
Die beiden Schlüsselfragen ergeben sich aus dem Branchentensor und sind deckungsgleich mit den 5 inhaltlichen Fragestellungen an eine Strategie (s. Kapitel 1.2.3). Abhängig von den Dimensionen des Tensors wird die erste Frage i. d. R. die Anspruchsgruppe und das Leistungsangebot bestimmen, die zweite Frage muss dann den Fokus der Wertschöpfung, die Kooperationsfelder und die Kernkompetenzen definieren. Vgl. Porter, M., 2000, S. 333. Diese Definition weicht von der Unterscheidung Porters ab. Er spricht von leeren Feldern bei undurchführbaren Kombinationen von Segmentierungsvariablen, die aus der weiteren Betrachtung ausgeschlossen werden
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Business Development Methodik für Emerging Markets
• Aktive Felder: Es existiert ein Leistungsangebot des eigenen Unternehmens. • Offene Felder: Es existiert kein Leistungsangebot des eigenen Unternehmens. • Besetzte Felder: Es existiert ein Leistungsangebot anderer Unternehmen. • Unbesetzte Felder: Es existiert kein Leistungsangebot. Beispiel Das Telekommunikationsunternehmen hat sich auf das Leistungsangebot eines Mobilfunkbetreibers konzentriert. Es stellt keine Endgeräte her und betriebt auch kein Festnetz. In Deutschland bietet es seine Leistungen der Regierung, Unternehmen und Privatpersonen an. In Frankreich und Großbritannien konzentriert sich das Angebot auf Unternehmen und Privatkunden. Damit ist das Unternehmen in 7 von 27 potenziellen Geschäftsfeldern aktiv. 20 offene Felder werden von dem Unternehmen nicht bearbeitet.
Branchentensor des Unternehmens
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 5
Die dunkelgrauen Felder in der obigen Abbildung deuten die Felder an, in denen das Unternehmen aktiv ist. Die durchsichtigen Felder stellen offene Branchensegmente dar. In diesem Beispiel wird davon ausgegangen, dass alle offenen Felder von Konkurrenzunternehmen besetzt sind (was aus der Grafik nicht erkennbar ist).
können. Felder, die durchführbar sind, in denen aber kein Konkurrent tätig ist, werden nicht explizit betitelt. Sie stellen Potenziale dar, die genau geprüft werden sollten [Vgl. Porter, M., 2000, S. 327].
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Von Märkten zu Räumen
3.3.2 Expansion in neue Märkte – Entwicklung als Linie Bei dem Engagement in Emerging Markets lässt sich die Branchensegmentierung als Strukturierungshilfe grundsätzlich übertragen. Der Branchentensor mit der Identifikation der aktiven und offenen Felder dient dabei als Basis der weiteren Betrachtung. Welche Auswirkungen hat die geografische Ausdehnung der Geschäftstätigkeit auf den Branchentensor? Dies wird entscheidend durch die Denkhaltung beeinflusst, mit der der Betrachter Emerging Markets sieht. Ist Entwicklung ein linearer Pfad oder ein mehrdimensionaler Raum? Sind Emerging Markets neue Märkte oder neue Räume? In diesem Abschnitt sollen die Auswirkungen auf den Branchentensor betrachtet werden, wenn der Denkhaltung einer linearen Entwicklung gefolgt wird, mit der Prämisse, dass Emerging Markets derselben Business Logik wie etablierte Märkte unterliegen. Wenn ein Unternehmen in eine neue Region expandiert, die signifikante Struktur- und Wettbewerbsunterschiede aufweist, wird die geografische Segmentierungsvariable um eine Kategorie erweitert. Hierbei sind die Struktur- und Wettbewerbsunterschiede wesentlich; es existiert kein Automatismus, der jeweils ein Land mit einer Kategorie gleichsetzt. Wenn z. B. ein Unternehmen seine Geschäftstätigkeit von Deutschland auf Österreich ausdehnt, bedeutet dies nicht automatisch den Eintritt in neue Branchensegmente. Wenn die regionalen Unterschiede des neuen Ziellandes jedoch eine neue Kategorie legitimieren, erweitert sich der bestehende Branchentensor. Falls die Variabel k1 die Anzahl der geografischen Kategorien angibt, erweitert sich der Tensor um fneu neue Felder.
k1neu = k1alt + 1 n
f neu (n, k n ) = ∏ k i = k 2 * ... * k n−1 * k n i =2
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Business Development Methodik für Emerging Markets
Beispiel Das beschriebene Unternehmen plant, seine Geschäftstätigkeit auf Südafrika auszudehnen. Der bestehende Branchentensor erweitert sich dadurch um 9 Felder, die sich durch die Multiplikation der 3 Leistungsangebotskategorien mit den 3 Abnehmerkategorien ergeben. 3
f neu (3, k n ) = ∏ k i = 3 * 3 = 9 i =2
Erweiterung des Branchentensors
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 6
Abbildung 6 illustriert, wie die regionale Dimension um die Kategorie „Südafrika“ erweitert wird, die durch die Nationalflagge symbolisiert wird. Die neu entstandenen Felder sind im Hintergrund des bestehenden Branchentensors dargestellt. Vor dem Markteintritt handelt es sich bei den neuen Marktsegmenten um offene Felder, die von dem Unternehmen noch nicht besetzt sind. Das Unternehmen muss jetzt entscheiden, in welchen dieser neuen Segment es aktiv werden will. Dabei stellt sich die Frage nach der Attraktivität dieser Segmente und der Verflechtung mit bereits bearbeiteten Segmenten.255
255
Vgl. Porter, M., 2000, S. 334 - 342.
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Von Märkten zu Räumen
Branchensegmente sind oft auf eine Weise miteinander verknüpft, die sich erheblich auf die Auswahl zukünftiger Segmente auswirkt. Segmente sind verflochten, wenn sich Synergien zwischen den Wertketten erzielen lassen. Solche Verflechtungen können auch zwischen geografischen Bereichen auftreten.256 Ein Unternehmen wird bei dem Markteintritt in ein neues Land versuchen, die Segmente mit Priorität zu besetzen, in denen sich Verflechtungen zu den bereits bearbeiteten Segmenten ergeben. Dies ist der Versuch, die vorhandenen Erfahrungen in einer bestimmten Leistungsangebotskategorie oder einer Abnehmerkategorie aus den aktiven Geschäftsfeldern in die neuen zu übertragen. Bei einem Markteintritt in ein neues Land bietet die Auswahl von Branchensegmenten, zu denen Verknüpfungen aus bereits bestehenden Segmenten hergestellt werden können, einen Vorteil gegenüber unverknüpften Segmenten. Es besteht bereits ein Know-how, welches in den unverknüpften Segmenten erst aufgebaut werden müsste.
Beispiel: In dem Beispiel des Telekommunikationsunternehmens hat sich das Unternehmen bei der Leistungserstellung auf das Betreiben eines Mobilfunknetzes konzentriert. In allen drei bereits bearbeiteten Regionen werden Abnehmer im Unternehmens- und Privatkundensegment angesprochen. In Deutschland wird zusätzlich die Regierung als Abnehmer bedient.
Verknüpfungen zu neuen Märkten
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 7
256
Vgl. Porter, M., 2000, S. 336.
Business Development Methodik für Emerging Markets
89
Die dunkelgrauen Felder in Abbildung 7 stellen die Felder dar, in denen das Unternehmen bereits aktiv ist. Durch die vorhandene Expertise in der Kategorie „Mobilfunknetz“ lassen sich Verflechtungen (durch Pfeile dargestellt) zu den Mobilfunknetz-Segmenten in der Region Südafrika herstellen, die in der Abbildung hellgrau unterlegt sind. In dem dargestellten Beispiel hat das Unternehmen damit zu drei der neun neuen Felder Verknüpfungen.
Entscheidender als die Verflechtungen zu den vorhandenen Feldern ist jedoch die Attraktivität der neuen Segmente. Diese ist abhängig von der Größe und dem Wachstums des Segments und seiner strukturellen Attraktivität.257 Bei der strukturellen Attraktivität ist die Konkurrenzsituation in dem Branchensegment von entscheidender Bedeutung: Ist das Segment bereits von Konkurrenzunternehmen besetzt? Wenn bereits Konkurrenzunternehmen in dem Segment tätig sind, besteht die Möglichkeit, den Wettbewerb mit diesen einzugehen, um eigene Marktanteile zu gewinnen. Das eintretende Unternehmen kann seine Erfahrungen aus den etablierten Märkten nutzen, um einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu erzielen. Damit beginnt ein Verdrängungswettbewerb, der von vielen als der Ursprung der Strategie angesehen wird: Die Suche nach Wettbewerbsvorteilen gegenüber der Konkurrenz, um das Überleben des eigenen Unternehmens sicherzustellen.258 Doch expandieren nicht viele Unternehmen gerade in die Emerging Markets, um dem starken Verdrängungswettbewerb in den Heimatmärkten auszuweichen? Bei der Betrachtung von Branchen können zwei verschiedene Arten von Räumen unterschieden werden. Das eine sind die heute existierenden Branchensegmente - die definierten Felder des Branchentensors aus den etablierten Märkten. In diesen Feldern sind die Grenzen klar definiert und allgemein akzeptiert. Unternehmen müssen ihre Konkurrenten übertreffen, um sich einen größeren Anteil an der existierenden Nachfrage zu sichern. Wenn mehr und mehr Wettbewerber in dieses Feld vordringen, sinken das Wachstum und die Renditen. Die Strategie in diesen Branchen konzentriert sich auf das Übertreffen der Konkurrenz. Chan Kim und Renée Mauborgne habe diese 257
258
Vgl. Porter, M., 2000, S. 334. Für Porter bestimmen fünf Kräfte die strukturelle Attraktivität einer Branche und eines Branchensegments: 1. Rivalität unter den bestehenden Unternehmen; 2. Bedrohung durch neue Konkurrenten; 3. Bedrohung durch Ersatzprodukte oder – dienste; 4. Verhandlungsstärke der Lieferanten; 5. Verhandlungsstärke der Abnehmer [Vgl. Porter, M., 1980, S. 3 - 33]. Vgl. Henderson, B., 1991, S. 139 – 143. Bruce. D. Henderson vergleicht den Konkurrenzkampf von Unternehmen mit der biologischen Evolution der Arten. Seine Argumentation basiert auf der Beobachtung aus der Biologie, dass keine zwei Spezien koexistieren können, die ihren Lebensunterhalt in der gleichen Weise bestreiten. Die Spezies wird sich durchsetzen, welche einen Vorteil gegenüber der anderen Art entwickelt.
90
Von Märkten zu Räumen
Räume als „Rote Ozeane“ bezeichnet, in denen das Wasser von dem harten Konkurrenzkampf bereits blutig rot gefärbt ist. In Fortführung dieser Terminologie sollen im Weiteren besetzte Branchensegmente, in denen ein Leistungsangebot anderer Unternehmen existiert, als „Rote Ozeane“ bezeichnet werden. 259
Beispiel Der linearen Entwicklungslogik folgend bietet die Region Südafrika dem Telekommunikationsunternehmen neun potenzielle neue Branchensegmente, die überprüft werden können, ob es sich bei ihnen um Rote Ozeane handelt. In dem beschriebenen Beispiel sind bereits alle Felder von konkurrierenden Unternehmen besetzt und damit Rote Ozeane. Das Unternehmen untersucht, ob es einen Wettbewerbsvorteil gegenüber diesen Konkurrenten aufbauen kann, welcher einen Markteintritt legitimiert, und betrachtet anschließend die Attraktivität der verschiedenen Segmente. Unter den Prämissen einer linearen Entwicklungslogik, welche den Branchentensor um eine regionale Kategorie erweitert, kann das Unternehmen jetzt seine Entscheidung treffen - oder es kann noch einmal einen Schritt zurück gehen.
Die anderen Räume sind alle Branchen, die heute noch nicht existieren – der unbekannte und noch nicht definierte Raum. Die Nachfrage muss nicht erkämpf sondern erst noch erschaffen werden. Diese Kreation kann auf zwei Wegen geschehen: Der erste ist die Erschaffung vollständig neuer Branchen, was nur in seltenen Fällen gelingt, wie z. B. ebay mit den Online-Auktionen. Der zweite ist die Erschaffung einer neuen innerhalb einer existierenden Branche durch die Veränderung der bestehenden Grenzen,260 wie z. B. der Pianohersteller Yamaha innerhalb der stagnierenden Pianobranche ein Segment für digitale Technologie erschuf, mit der Pianos ausgestattet werden konnten.261 In Übernahme der Terminologie von Chan Kim und Renée Mau259 260 261
Vgl. Kim C. / Mauborgne, R., 2004, S. 77. Vgl. Kim C. / Mauborgne, R., 2004, S. 77 - 78. Yamaha hatte 1987 40 % Marktanteil des weltweiten Pianomarktes, doch die jährlichen Umsätze der Branche fielen pro Jahr um 10 %. Yamaha konzentrierte sich nicht darauf, in diesem stagnierenden Markt der Konkurrenz weiteren Marktanteil abzunehmen, sondern suchte nach neuen Segmenten. Bei der Betrachtung des Marktes stellte sich heraus, dass der Großteil der 40 Mio. Pianos auf der Welt ungenutzt herumstanden, weil die Besitzer nicht die Zeit aufbringen konnten oder wollten, um das schwierige Pianospiel zu erlernen.
Business Development Methodik für Emerging Markets
91
borgen werden unbesetzte Branchensegmente, in denen noch kein Leistungsangebot anderer Unternehmen existiert, als „Blaue Ozeane“ bezeichnet. Diese Unterscheidung zwischen Roten und Blauen Ozeanen eröffnet zwei verschiedene Wege des strategischen Denkens.262 Eine an Roten Ozeanen orientierte Strategie orientiert sich an dem Aufbau von Wettbewerbsvorteilen gegenüber der Konkurrenz, mit dem Ziel, diese zu schlagen. Strategie fokussiert sich auf Konkurrenz und Wettbewerb.263 Dabei geht ein wichtiger Aspekt der Strategie verloren: Der Fokus auf die Bedürfnisse der Kunden; das Auffinden und Entwickeln neuer Märkte in Räumen, wo es noch keine Konkurrenz gibt.264 Die Suche nach Blauen Ozeanen folgt einer subtileren strategischen Denkrichtung: Den Wettbewerb, wann immer und wo immer es möglich ist, vermeiden;265 SunZis antikem Grundsatz folgend: „In all deinen Schlachten zu kämpfen und zu siegen, ist nicht die größte Leistung. Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen:“266
Eine an Blauen Ozeanen orientierte Strategie löst sich von dem Fokus des Wettbewerbs mit der Konkurrenz und konzentriert sich auf die Identifizierung und Befriedigung von unentdeckten Bedürfnissen, die Räume eröffnen, in denen der Wettbewerb irrelevant ist.267 Emerging Markets versprechen die Chance einer solchen konkurrenzlosen Situation, wenn auch nur zeitlich begrenzt, bevor Konkurrenzunternehmen folgen oder lokale Anbieter in den Wettbewerb eintreten. Der Eintritt in einen Emerging Market unter der Prämisse einer linearen Entwicklungslogik bietet einem Unternehmen die Möglichkeit eines unbesetzten Segments, wenn auch dieser Vorteil wahrscheinlich nur von kurzer Dauer ist.
262
263 264 265 266 267
Doch Musik hören war genauso populär wie zuvor. So entwickelte Yamaha eine technologische Komponente mit der ein Piano aufgerüstet werden kann, um aufgezeichnete Stücke abzuspielen. Das neue Erweiterungsprodukt entwickelte sich zu einem Wachstumssegment, welches die Branche neu belebte [Vgl. Ohmae, K., 1988, S. 151 – 153]. Die beiden strategischen Denkansätze sollen im Folgenden nicht als einander gegenseitig ausschließende Alternativen gesehen werden, sondern als einander ergänzend. Die Begrifflichkeit folgt dabei der von Chan Kim und Renée Mauborgen entwickelten Terminologie [Vgl. Kim C. / Mauborgne, R., 2004, S. 76 - 84]; der Grundgedanke wurde jedoch schon 1988 von Kenichi Ohmae entwickelt [Vgl. Ohmae, K., 1988, S. 149 – 156]. Vgl. Ohmae, K., 1988, S. 149. Vgl. Ohmae, K., 1988, S. 149 – 150 u. Kim, C. / Mauborgne, R., 2004, S. 80. Vgl. Ohmae, K., 1988, S. 149. SunZi, 1988, S. 35. Vgl. Kim, C. / Mauborgne, R., 2004, S. 81.
92
Von Märkten zu Räumen
Dieser Abschnitt hat die Veränderung des Branchentensors bei einem Eintritt in einen Emerging Market unter einer linearen Entwicklungslogik beschrieben. Doch wird diese Logik einer Suche nach Blauen Ozeanen gerecht? Entspricht der Transfer des Tensors den Bedürfnissen der neuen Region? Ist der Rahmen, in dem diese Entscheidung getroffen wird, noch der richtige? Haben sich durch den Eintritt in einen Emerging Market nicht Parameter verändert? Der nächste Abschnitt soll die Erweiterung des lineare Denkens zu einem räumlichen Denken beschreiben und dabei nach Antworten für die aufgeworfenen Fragen suchen.
3.3.3 Expansion in neue Räume Besonders Emerging Markets fordern und fördern das Hinterfragen bestehender Denkweisen und Handlungsmuster, um neue Räume zu erschaffen und Blaue Ozeane zu erschließen.268 Wie oben festgestellt, ist das Denken eines endlichen Raums unmöglich. Wie weit wir auch denken, immer denken wir räumlich.269 Demgegenüber stellt der Branchentensor eine endliche Größe dar, womit er die Möglichkeit schafft, die Idee des Raums zu operationalisieren. Nur die Schaffung einer endlichen Zahl von Feldern kann die Grundlage für einen weiteren Entscheidungsprozess schaffen. Doch die Prämisse dieser Vereinfachung ist die Reduzierung des unendlichen auf einen endlichen Raum. Dies hat zur Folge, dass neben der endlichen Zahl an Feldern, die durch den Branchentensor abgebildet werden, noch eine unendliche Zahl von Feldern existiert, die durch die Definition der Variablen und Kategorien aus unserem Blickwinkel gelöscht wurden. Der Umfang des Branchentensors definiert sich über die Segmentierungsvariablen und den zugeordneten Kategorien. Durch die endliche Zahl der Variablen und Kategorien wird ein weites Spektrum an alternativen Möglichkeiten ausgeblendet. Deshalb bieten sich sowohl auf der Ebene der Segmentierungsvariablen als auch auf der Ebene der Kategorien Möglichkeiten zur Definition neuer Felder an. Diese Erweiterung der Variablen oder Kategorien kann in zwei verschiedene Richtungen erfolgen.
268 269
Vgl. Prahalad, C., 2005, S. 45 – 46. Vgl. Ratzel, F., 1907, S. 5.
93
Business Development Methodik für Emerging Markets
Exogene Unendlichkeit Die erste und offensichtlichere ist die Unendlichkeit nach außen. Einer bestimmten Anzahl von Variablen oder Kategorien können weitere hinzugefügt werden. Die Anzahl der Segmentierungsvariablen und damit die Anzahl der Dimensionen des Tensors ist nur durch die eigene Vorstellungskraft begrenzt. Es können beliebig viele neue Dimensionen addiert werden. Ähnliche Möglichkeiten, wenn auch in begrenztem Umfang, bieten die Kategorien. Wie sich in der Unendlichkeit des Universums dem Beobachter immer neue Entdeckungen eröffnen, ohne dass eine finale Begrenzung erkennbar ist, bietet auch der Branchentensor hinter jeder Grenze neue Räume, in denen sich Variabeln und Kategorien entdecken lassen.270 Die Suche nach diesen Räumen in der exogenen Unendlichkeit des Tensors soll im Weiteren als teleskopische Suche bezeichnet werden. Beispiel In dem Beispiel der Telekommunikationsbranche besteht der Branchentensor aus 3 Variablen mit jeweils 3 bis 4 Kategorien. Die Anzahl der Kategorien kann für jede Dimension erweitert werden. In der Dimension „Region“ könnte, wie geschehen mit „Südafrika“, ein Land hinzugeführt werde, die Dimension „Leistungsangebot“ könnte um die Kategorie „Online Provider“ erweitert werden.
Branchentensor: Erweiterung der Kategorien
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 8
270
Die Unendlichkeit des Universums dient an dieser Stelle als Metapher - basierend auf der eigenen Wahrnehmung - ohne Anspruch, damit einen Beitrag zu der naturwissenschaftlichen Fragestellung nach Endlichkeit oder Unendlichkeit des Universums zu leisten [Vgl. Brody, D. / Brody, A., 1997, S. 143 – 180].
94
Von Märkten zu Räumen
Die Unendlichkeit der Kategorien wird in Abbildung 8 durch die für jede Dimension nach außen gerichteten Pfeile symbolisiert.
Branchentensor: Erweiterung der Dimensionen
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 9
Darüber hinaus können mit der Anzahl der Variablen auch die Dimensionen des Tensors erhöht werden, so könnte z. B. eine vierte Dimension „Vertriebsweg“ hinzugefügt werde. Abbildung 9 deutet an, wie eine vierte Dimension den existierenden Branchentensor multiplizieren würde. Die nach außen gerichteten Pfeile symbolisieren dabei die Möglichkeit weiterer Dimensionen, welche wiederum eine Multiplikation mit sich bringen würden.271
271
Die Darstellung mehr als dreidimensionaler Räume stößt an grafische Grenzen. In der Abbildung wird eine mögliche vierte Dimension dadurch dargestellt, dass der vorhandene dreidimensionale Tensor mit der Anzahl der neuen Kategorien (hier 4) der vierten Dimension multipliziert wird. Der Inhalt des dunkelgrauen Kreises stellt die Felder des vierdimensionalen Raums dar. Die nach außen gerichteten Pfeile symbolisieren die Möglichkeit, in eine fünfte Dimension vorzustoßen, indem der gesamte vorhandene Tensor (der dunkelgraue Kreis) mit den neuen Kategorien der fünften Dimension multipliziert würde, welche dann wiederum von einem unendlichen Raum umgeben wäre.
Business Development Methodik für Emerging Markets
95
Endogene Unendlichkeit: Während die Weiten des Weltraums den Gedanken für die exogene Unendlichkeit liefern, bieten die Forschungsergebnisse der Nanophysik den Impuls für die Idee einer Unendlichkeit nach innen: Wenn ein Stück Festkörper immer weiter zerlegt wird, bis es nur noch eine Ausdehnung von wenigen Atomdurchmessern hat, dann zeigen sich oft ganz neue Materialeigenschaften. Die Untersuchung dieser kleinsten „Nanostrukturen“ ist ein rasant voranschreitendes Forschungsgebiet.272 Bei der Zerkleinerung des Bekannten werden Dinge sichtbar, die vorher für den Betrachter nicht erkennbar waren. Für den Branchentensor bedeutet dies, dass nicht nur die Erweiterung des Tensors nach außen neue Felder eröffnet, sondern auch die immer weitere Zerkleinerung. Eine vorhandene Variable oder Kategorie kann durch zwei oder mehrere neue Variablen oder Kategorien ersetzt werden. Die Suche in dieser endogenen Unendlichkeit des Tensors soll im Folgenden als mikroskopische Suche bezeichnet werden.
Beispiel: Der bestehende Tensor könnte nach innen erweitert werden, indem z. B. die Abnehmerkategorie „Unternehmen“ durch die beiden neuen Kategorien „Industrie“ und „Kleine und Mittlere Unternehmen“ ersetzt wird. Eine neue Dimension könnte entstehen, wenn die Variable „Leistungsangebot“ durch die beiden neuen Variablen „Art der Leistungserstellung“ und „Inhalt der Leistungserstellung“ ersetzt wird.
Die Kombination dieser Möglichkeiten eröffnet vier Optionen für die Erweiterung des Branchentensors. Tabelle 1 fasst zusammen, wie Variablen und Kategorien jeweils den Zugang zu einer exogenen und endogenen Unendlichkeit bieten. Die exogene Unendlichkeit ist dabei in beiden Fällen die Erweiterung nach außen, die den existierenden Variablen bzw. Kategorien neue hinzufügt. Die endogene Unendlichkeit eröffnet sich innerhalb des Bestehenden. Eine existierende wird dabei in mehrere neue Variablen bzw. Kategorien zerlegt.
272
Vgl. Hövel, H., 2004.
96
Von Märkten zu Räumen
Unendlichkeit des Branchentensors
Exogene Unendlichkeit
Endogene Unendlichkeit
Variablen
Kategorien
Neue Dimension
Neue Kategorie
Zwei oder mehr neue Dimensionen für
Zwei oder mehr neue Kategorien für
die Auflösung einer alten Dimension
die Auflösung einer alten Kategorie
Kapitel 3 – Tabelle 1
Was bedeutet die Unendlichkeit des Branchentensors für den Eintritt in Emerging Markets? Der Sinn des Branchentensors besteht in der Strukturierung und auch Vereinfachung der unendlichen Möglichkeiten, um die eigene Tätigkeit definieren zu können. Der durch den Branchentensor - wie durch jede andere Strukturierung- gestiftete Nutzen kann jedoch zum Nachteil werden, wenn sich die Umweltbedingungen verändern. Der Eintritt in einen Emerging Market kann die Umwelt in dem Maße verändern, dass eine einfache lineare Erweiterung des Tensors viel weiter reichende Möglichkeiten verdeckt. Die Betrachtung der Entwicklung als Raum schafft das Bewusstsein für die unendliche Zahl der Möglichkeiten und kann den Blick für neue Geschäftsfelder öffnen.
Beispiel Ein Beispiel aus der Telekommunikationsbranche für die Erschließung neuer Geschäftsfelder in einem Emerging Market liefert die Vodacom Company, ein Joint Venture zwischen Vodafone und Telkom SA, welche ein Geschäftsmodell entworfen hat, um Telekommunikationsdienstleistungen in armen Gemeinden Südafrikas anzubieten. Was mit einer Regierungsauflage für die Genehmigung der Geschäftstätigkeit in lukrativeren Segmenten begann, hat sich zu einem profitablen Geschäfts mit hohen Wachstumsaussichten entwickelt. Die Geschäftsidee entstand aus der Auswertung der Aktivität der existierenden Kunden. Dabei wurde realisiert, dass die Kunden, welche ihr Telefon in großem Umfang benutzten, es wahrscheinlich auf Gesprächsbasis an Freunde und Nachbarn verliehen. Diese Auswertung führte zur Identifizierung der cleveren Kleinunternehmer, deren Rekrutierung und der Eröffnung mobiler Telefonkioske mit einem Franchisesystem. Da in weiten Teilen Afrikas das Festnetz nicht ausgebaut
97
Business Development Methodik für Emerging Markets
ist und viele Einwohner sich kein eigenes Mobiltelefon leisten können,273 bieten die mobilen Telefonzellen, welche das Mobilfunknetz nutzen, für weite Bevölkerungsschichten die einzige Möglichkeit, ihren Kommunikationsbedarf zu befriedigen. Die mobilen Telefonkioske waren 2003 profitabel und erwirtschafteten einen Umsatz von US-$ 129,5 Mio. Das Geschäftsmodell soll auf weitere Regionen und Länder ausgedehnt werden.274 Übertragen auf den Branchentensor würde dies die Erweiterung des Tensors um Kategorien und Felder bedeuten, die in etablierten Märkten nicht existieren. Nur die Erweiterung der eigenen Geschäftsstruktur entsprechend den Bedürfnissen des neuen Marktes hat die zusätzlichen Geschäftsfelder erschaffen.
Branchentensor: Neue Felder durch räumliches Denken
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 10
Durch das Engagement in dem südafrikanischen Markt erweitert sich nicht nur die regionale Dimension um eine Kategorie und der Tensor um 9 Felder, wie bei der linearen Entwicklung, sondern der Tensor verändert sich zusätzlich in der 273 274
Vgl. White, D., 2003, S. 8 und Reinhardt, A., 2004, S. 19. Vgl. World Business Council for Sustainable Development (Hrsg.), 2004a, S. 42 – 44.
98
Von Märkten zu Räumen
Leistungsangebotsdimensionen, welche um die Kategorie „Mobile Telefonzellen“ erweitert wird. Die Expansion eröffnet drei zusätzliche Felder in der südafrikanischen Region und 9 Felder in den anderen regionalen Regionen. Diese neuen Segmente werden in Abbildung 10 unterhalb des existierenden Branchentensors dargestellt. Dies erhöht die Anzahl der neuen Felder von 9 auf 21. Von den zusätzlichen 12 Feldern bietet eines die Aussicht auf ein profitables Geschäft (Mobile Telefonzellen, Privatkunden, Südafrika), welches bei einer linearen Entwicklung nicht erkannt worden wäre.
Die Betrachtungen dieses Abschnitts lassen sich wie folgend zusammenfassen:
1. Die gezogenen Grenzen der Branchensegmentierung können bei einem Engagement in Emerging Markets potenzielle Geschäftsfelder verdecken. 2. Ein Bewusstsein für die Unendlichkeit der räumlichen Entwicklung und eine Reflexion der gezogenen Grenzen kann neue Geschäftsfelder erschaffen.
Im nächsten und abschließenden Abschnitt des Theorieteils dieser Arbeit werden die Idee des räumlichen Denkens, die Operationalisierung mit Hilfe des Branchentensors und die Suche nach neuen Räumen bei der Expansion in Emerging Markets zu einer methodischen Schrittfolge zusammengefasst.
Business Development Methodik für Emerging Markets
99
3.4 Business Development Methodik für Emerging Markets „Handle stets so, dass weitere Möglichkeiten entstehen.“275 Heinz v. Foerster
Dieser Abschnitt betrachtet, wie räumliches Denken und die Methodik der Branchensegmentierung für die Unternehmensentwicklung in Emerging Markets genutzt werden können. Dabei wird eine Vorgehenslogik vorgestellt, die das Potenzial zur Identifizierung neuer Geschäftsfelder erweitert. Die Zielrichtung ist dabei nicht das Finden einer besten oder idealen Lösung, sondern das Sichtbarmachen der Handlungsvielfalt, die einer räumlichen Entwicklung gerecht wird. Die Anzahl der Handlungsoptionen für den Verantwortungsträger soll durch diese Methodik vergrößert werden, aus denen dann Entscheidungen hervorgehen können. Das Vorgehen wird dabei als sequenzielle Schrittfolge aufgebaut, die ihren Ausgangspunkt in der bestehenden Branchenstrukturierung der etablierten Märkte hat.
1. Schritt: Definition des Tensors Ausgangsbasis der Unternehmensentwicklung in Emerging Markets ist die Geschäftstätigkeit in den etablierten Märkten, die mit Hilfe des Branchentensors276 definiert und strukturiert werden soll. Die Entwicklung des Branchentensors erfolgt dabei in fünf Stufen: 1. Die möglichen Variablen aus den Bereichen Leistungsangebote, Abnehmer, Vertriebskanäle und Geografie bestimmen. 2. Anhand des Signifikanztests die Variablen bezüglich eines wesentlichen Einflusses auf die Wettbewerbsstruktur prüfen und die Anzahl durch die Streichung nicht wesentlicher Variablen verringern.
275 276
Foerster, H. v., 2003, S. 60. Diese Arbeit verwendet den Begriff des Tensors zur Betonung der unbestimmten Dimensionalität. In der Mathematik wird unter einem Tensor eine Anordnung von Zahlen verstanden, die über n Dimensionen verfügen kann. Ein null-dimensionaler Tensor wird als Skalar bezeichnet und besteht aus einer Zahl. Die Spezialfälle eines ein-dimensionalen bzw. zwei-dimensionalen Tensors werden als Vektor bzw. Matrix bezeichnet [Vgl. Meschkowski, H. / Laugwitz, D. (Hrsg.), 1972, S. 167 u. 254].
100
Von Märkten zu Räumen
3. Mit dem Korrelationstest die Anzahl der Variablen durch die Zusammenfassung korrelierender Variablen weiter reduzieren. 4. Für jede Variable die Kategorien mit einem signifikanten Einfluss auf die Wettbewerbsstruktur bestimmen. 5. Anzahl der Segmentierungsfelder errechnen.
Definition des Branchentensors
Variable B
Variable C (Region) Kategorie Bn
Kategorie B1
Mature Market
Kategorie A1
Kategorie A2
Kategorie An
Variable A
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 11
In der Grafik ist ein Branchentensor dargestellt, dessen drei Variablen A, B und C die drei Dimensionen determinieren. Jede Dimension besteht aus einer endlichen Anzahl von Kategorien, die von 1 bis n durchnummeriert sind, wobei n für die endliche Anzahl der Kategorien in der jeweiligen Dimension steht. Die Variable C eröffnet in der dargestellten Abbildung die regionale Dimension mit der einen Kategorie „Mature Markets“.
Beispiel Beispielsweise kann ein Telekommunikationsunternehmen seinen Branchentensor wie in Abbildung 12 dargestellt definiert haben:
101
Business Development Methodik für Emerging Markets Definition des Branchentensors - Beispiel
Variable Zielgruppe Variable C (Region) Kategorie Großkunden Deutschland
Kategorie Privatkunden
Kategorie Mobilfunk
Kategorie Festnetz
Variable Leistungsangebot
Kategorie Geräte
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 12
2. Schritt: Übertrag des Tensors auf den Emerging Market Der bestehende Branchentensor wird anschließend auf den Emerging Market übertragen. Bei dem Übertrag des Tensors auf einen Emerging Market wird in Abbildung 13 die regionale Dimension, welche durch die Variable C bezeichnet ist, um die Kategorie Emerging Market erweitert. Damit eröffnen sich neue Felder, deren Anzahl durch die Kategorien in den Dimensionen A und B bestimmt wird.
Übertrag des Tensors auf den Emerging Market
Variable C (Region)
Variable B
Emerging Market
Kategorie Bn
Kategorie B1
Mature Market
Kategorie A1
Kategorie A2
Kategorie An
Variable A
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 13
102
Von Märkten zu Räumen
Beispiel Das Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche kann sich regional ausdehnen und seinen in Abbildung 12 dargestellten Tensor auf die Region Südafrika übertragen.
3. Schritt: Evaluation der neuen Kategorie Durch die Erweiterung des Branchentensors um eine regionale Kategorie sind neue Felder entstanden,277 in denen das Unternehmen noch nicht aktiv ist. Jedes dieser Felder eröffnet eine potenzielle Möglichkeit für zukünftige Geschäftstätigkeit. Bei der Evaluation dieser Felder wird zwischen Roten und Blauen Ozeanen unterschieden.278 Rote Ozeane: Bei einer Aufnahme der Geschäftstätigkeit in besetzten Feldern muss sich das Unternehmen dem Wettbewerb mit Konkurrenzunternehmen stellen, die bereits in diesem Segment aktiv sind. Dabei ist die entscheidende Legitimation für den Eintritt in ein solches Segment ein Wettbewerbsvorteil, den das Unternehmen gegenüber dieser Konkurrenz hat oder aufbauen kann.279 Wenn das Feld die notwendige Attraktivität280 hat und das Unternehmen über einen Wettbewerbsvorteil verfügt, stellt ein Eintritt in dieses Geschäftsfeld eine Option dar. Falls kein Vorteil gegenüber der Konkurrenz aufgebaut werden kann, sollte eine Aktivität in diesem Feld nicht in Betracht gezogen werden. Blaue Ozeane: Bei unbesetzten Feldern sollte geprüft werden, warum kein Konkurrenzunternehmen das Segment besetzt hat. Es kann sich bei diesem Segment um eine 277
278
279
280
Die Anzahl der neuen Felder kann in Abhängigkeit von der Anzahl der Variablen und der Anzahl der Kategorien pro Variable berechnet werden. Die Terminologie „Rote Ozeane“ und „Blaue Ozeane“ wurde von Kim / Mauborgne übernommen, zur Unterscheidung zwischen unentdeckten Märkten (Blauen Ozeanen) und besetzten Märkten, in denen die Auseinandersetzung mit der Konkurrenz im Vordergrund steht (Roten Ozeanen) [Vgl. Kim C. / Mauborgne, R., 2004, S. 77 – 78]. Die Analyse der Bestimmung von Erfolgspotenzialen bzw. Wettbewerbsvorteilen soll nicht Schwerpunkt dieser Arbeit sein und nicht im Detail behandelt werden. Folgende Theorien und Konzepte bieten Erklärungs- oder Gestaltungshilfe für diese Fragestellung: Theorie der komparativen Kosten, Theorie der Faktorausstattung, Theorie der technologischen Lücke, Internationale Lernkurven-Theorie, Theorie des intrasektoralen Handels, Monopoltheorie, Theorie der Überschusstechnologie, Theorie der Internalisierung, Eklektische Theorie, Globalisierungsmodell von Porter, Diamant-Modell, Ansoff-Matrix, Produkt-Portfolio-Analyse [Vgl. Perlitz, M., 2004, S. 153]. Aus den aufgelisteten Theorien lassen sich folgende internationale Wettbewerbsvorteile ableiten (ohne einen Anspruch auf Vollzähligkeit zu erheben): Vorteile (1) in der Produkttechnologie, (2) in der Verfahrenstechnologie, (3) in der Managementtechnologie, (4) in der Rohstoffversorgung, (5) in der Beschaffung sonstiger Ressourcen (z. B. Humankapital, Finanzen), (6) die sich aus dem Inlandsmarkt ergeben, (7) des Standortes des Inlandsunternehmens, (8) aus der Kapazitätsauslastung [Vgl. Perlitz, M., 2004, S. 162]. Die Attraktivität eines Branchensegments kann über die drei Kriterien Marktgröße, Marktwachstum und strukturelle Attraktivität des Segments bestimmt werden [Vgl. Porter, M, 2000, S. 334 – 336].
Business Development Methodik für Emerging Markets
103
undurchführbare Kombination von Segmentierungsvariablen handeln; in diesem Fall ist das Feld nicht attraktiv und kann aus der weiteren Betrachtung ausgeschlossen werden.281 Unbesetzte Felder, die durchführbar aber noch von keinem Konkurrenten besetzt sind, weil z. B. das Know-how nicht vorhanden ist oder der Zugang verwehrt war, stellen eine Chance dar.282. Das Unternehmen muss prüfen, ob es die Kompetenz hat, Werte für die Kunden und die Shareholder in diesen Feldern zu schaffen.
Optionen des Transfers Die neuen Felder, die sich als Optionen darstellen, werden als „Optionen des Transfers“ bezeichnet und in Blaue und Rote Ozeane unterschieden. Sie können durch eine breitere Analyse der strategischen Ausgangslage, welche neben der Betrachtung der Branche eine Analyse der Umwelt, des Marktes, der Konkurrenz und des eigenen Unternehmens umfassen sollte,283 zu strategischen Optionen284 ausgebaut werden. Die weitere Betrachtung wird sich jedoch auf die Identifikation von optionalen Geschäftsfeldern konzentrieren.285 Der linearen Entwicklungslogik folgend kann die Übertragung des Branchentensors auf neue Märkte und die Evaluation der neuen Felder Optionen für neue Geschäftsfelder aufzeigen. Um die potenzielle Anzahl der Möglichkeiten zu erweitern, muss jedoch über die Transferierung der bestehenden Branchensegmentierung hinausgegangen und eine mögliche Mutation des Branchentensors betrachtet werden.
Beispiel Für das Telekommunikationsunternehmen entstehen bei dem Transfer des Tensors auf die Region Südafrika 6 neue Segmente, die jedoch alle schon von konkurrierenden Unternehmen besetzt sind. Damit hat der Transfer keine Blauen
281
282 283 284
285
Unter undurchführbar werden Kombinationen verstanden, bei denen Angebot und Bedarf nicht zusammen kommen, wie z. B. der Verkauf von Rückversicherungen an Privatkunden oder Heizungssystemen in Zentralafrika. Vgl. Porter, M., 2000, S. 327. Vgl. Wüthrich, H., 2005. Eine strategische Option muss die Anforderungen an eine Strategie erfüllen und Auskunft zu fünf Themenkomplexen geben: (1) Anspruchsgruppen, (2) Leistungsangebot, (3) Fokus der Wertschöpfung, (4) Kooperationsfelder und (5) Kernkompetenzen [Vgl. Rüegg-Stürm, J., 2002, S. 40 - 41]. Vgl. für weiterführende Literatur zur Analyse der strategischen Ausgangslage z. B. Rüegg-Stürm, J., 2003, S. 28 – 79; Johnson, G. / Scholes, K. / Whittington, R., 2005, S. 59 – 232; Lynch, R., 2003, S. 81 – 350; David, F., 2003, S. 78 – 155.
104
Von Märkten zu Räumen
sondern nur Rote Ozeane erschaffen, in denen sich das Unternehmen dem Wettbewerb stellen kann.
4. Schritt: Reflexion der Kategorien Ausgangspunkt einer möglichen Mutation des Branchentensors ist eine Reflexion der Kategorisierung, welche die Unendlichkeit des Raums auf eine endliche Zahl von Feldern reduziert. Dieser Reduktion lagen die Umweltbedingungen im Ursprungsmarkt des Unternehmens zugrunde. Bei einem Engagement in einen Emerging Market können die gewählten Kategorien potenzielle Geschäftsmöglichkeiten ausklammern, wenn sich dieser in seiner Struktur gravierend von den etablierten Märkten unterscheidet, für welche der Branchentensor konzipiert wurde. Eine Reflexion der Kategorien erweitert den Blick wieder von der Endlichkeit der Felder auf die Unendlichkeit der Möglichkeiten.
Reflexion der Kategorien – Alternative Kategorien Kategorie A? Kategorie A?
Kategorie A? Kategorie A2
Kategorie A1 Kategorie A? Kategorie A?
Kategorie A? Kategorie A?
Kategorie A?
Kategorie A? Kategorie An
Kategorie A?
Kategorie A? Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 14
Dabei werden für jede Dimension des Tensors die gewählten Kategorien mit einer mikroskopischen Betrachtung nach weiteren, nicht sichtbaren Alternativen untersucht, die innerhalb der definierten Kategorien liegen, und mit einer teleskopischen Betrachtung nach nicht sichtbaren Alternativen außerhalb der definierten Kategorien.
105
Business Development Methodik für Emerging Markets
Die Reflexion der Kategorien kann neben den definierten Kategorien weitere potenzielle Kategorien sichtbar machen. Abbildung 14 illustriert, wie zusätzliche zu den drei definierten Kategorien A1, A2 bis An noch weitere alternative Kategorien sichtbar werden. Dabei eröffnet eine mikroskopische Betrachtung innerhalb der Kategorie A1 zwei alternative und innerhalb der Kategorie An eine alternative Kategorie. Eine teleskopische Betrachtung außerhalb der definierten Kategorien findet acht weitere Alternativen. Diese alternativen Kategorien sind danach zu bewerten, ob die neuen Bedingungen des Emerging Markets eine solche Kategorisierung rechtfertigen. Alle potenziellen Kategorisierungen, für die nicht die Bedingungen des Emerging Market ursächlich sind und die keinen signifikanten Wettbewerbsunterschied ausmachen, sind zu verwerfen. In Abbildung 15 hat beispielsweise die Bewertung der elf alternativen Kategorien ergeben, dass zehn von ihnen nicht ursächlich den Bedingungen des Emerging Markets geschuldet sind oder keinen signifikanten Wettbewerbsunterschied im Vergleich zu den vorhandenen Kategorien eröffnen. Eine alternative Kategorie wurde mit der Bezeichnung A3 als neue potenzielle Kategorie definiert.
Reflexion der Kategorien – Potenzielle Kategorien
Kategorie A2
Kategorie A1
Kategorie A3 Kategorie An
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 15
Dieses Vorgehen wird für alle Dimension des Tensors wiederholt und die neuen Kategorien, welche nach der ersten Bewertung verblieben sind, werden im folgenden Schritt einer tieferen Evaluation unterzogen.
106
Von Märkten zu Räumen
Beispiel Reflexion der Kategorien – Alternative Kategorien - Beispiel
Netzbetreiber Festnetz Call by Call
ContentProvider
IT-Produkte
Home-Banking
DSLTelefonie
Mobilfunk
OnlineProvider Organizer Mobiltelefone Geräte Telefone
Mobile Telefonzellen
Multimedia IT-Sicherheit Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 16
Bei dem Telekommunikationsunternehmen ergibt die Reflexion der Kategorien in der Dimension Leistungsangebot eine Vielzahl von Alternativen, die in grauer Schrift dargestellt sind. Die mikroskopische Suche macht innerhalb der Kategorien „Festnetz“ und „Geräte“ alternative Kategorisierungen sichtbar. Außerhalb des Bestehenden eröffnet die teleskopische Suche weitere Alternativen wie z. B. DSL-Telefonie, Online-Provider oder IT-Sicherheit. Die Bewertung der Alternativen ergibt in dem Beispiel, dass nur für die neue Kategorie „Mobile Telefonzellen“ die Besonderheiten des südafrikanischen Markets ursächlich sind, weshalb sie als neue potentielle Kategorie definiert wird (dargestellt durch den gestrichelten Kreis).
Business Development Methodik für Emerging Markets
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5. Schritt: Evaluation der alternativen Kategorien Die in Schritt 4 entstandenen Kategorien werden unterschieden, ob sie Rote oder Blaue Ozeane eröffnen. Bei Roten Ozeanen sind die potenziellen Felder bereits von konkurrierenden Unternehmen besetzt. Ein Eintritt ist dann legitim, wenn das Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dieser Konkurrenz besitzt oder aufbauen kann. Wenn ein solcher Wettbewerbsvorteil nicht erkennbar ist, sollte die neue Kategorie verworfen werden. Die Blauen Ozeane sind zu hinterfragen, ob das Unternehmen dort Werte für Kunden und Shareholder schaffen kann. Wenn ein Engagement für diese beiden Anspruchsgruppen attraktiv ist, kann die Dimension um diese neue Kategorie erweitert werden.
Beispiel Das neue Angebot „Mobile Telefonzellen“ eröffnet Blaue Ozeane, in denen noch kein anderer Anbieter tätig ist. In den entstehenden Feldern kann das Unternehmen Werte für Kunden schaffen, die es mit den bisherigen Angeboten nicht erreichen konnte. Das Bedürfnis nach Kommunikation von weiten Bevölkerungsschichten ist nicht befriedigt, weil sie sich kein eigenes Mobiltelefon leisten können. Die „Mobilen Telefonzellen“ eröffnen die Möglichkeit, diesen Bedarf mit einem profitablen Geschäftsmodell anzusprechen.286
6. Schritt: Adaption des Tensors Nach der Reflexion und Evaluation der Kategorien muss der Tensor entsprechend der neu entstandenen Kategorien angepasst werden.287 Der adaptierte Tensor definiert die Felder, welche sich dem Unternehmen in dem neuen Emerging Market eröffnen. Diese Felder stellen Optionen für eine Geschäftstätigkeit des Unternehmens dar, die durch den Transfer und die Mutation des Tensors entstanden sind.
286 287
Vgl. World Business Council for Sustainable Development (Hrsg.), 2004a, S. 42 – 44. Falls sich aus der Reflexion und Evaluation keine neuen Kategorien ergeben haben, bleibt die Matrix unverändert und die folgenden Schritte 6 und 7 müssen nicht vollzogen werden.
108
Von Märkten zu Räumen
Adaption des Tensors Variable B Variable C (Region) Kategorie Bn Kategorie B1
Emerging Market
Kategorie A1
Kategorie A2
Kategorie A3
Kategorie An
Variable A
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 17
Optionen der Mutation Die durch die Mutation des Tensors entstandenen neuen Felder werden als „Optionen der Mutation“ bezeichnet und wie die Optionen des Transfers in Blaue und Rote Ozeane unterschieden. Während ein der linearen Entwicklungslogik folgender Transfer des Tensors auf Emerging Markets den Zugang zu Roten Ozeanen eröffnet, in denen bereits weitere Unternehmen im Wettbewerb stehen oder bald stehen werden, bietet die Mutation ein größeres Potenzial für die Entdeckung Blauer Ozeane. Der räumlichen Entwicklungslogik folgend werden die vorgegebenen Entwicklungspfade zur Suche nach unentdeckten Räumen verlassen. Während die Optionen des Transfers und der Mutation die Basis für die Unternehmensentwicklung innerhalb des Emerging Market bilden, können sie zusätzlich noch Möglichkeiten über diese Region hinaus eröffnen.
Beispiel Die neue Kategorie „Mobile Telefonzellen“ in der Dimension „Leistungsangebot“ eröffnet für die Region Südafrika zwei neue Felder. Durch die Innovation des Angebots an „Mobilen Telefonzellen“, die diese neuen Felder definieren, hat das Unternehmen Geschäftsfelder neu erschaffen, in denen sich noch kein Wettbewerber befindet. Es handelt sich deshalb um Blaue Ozeane.
109
Business Development Methodik für Emerging Markets
7. Schritt: Rückkopplung des Tensors Die Hinterfragung der bestehenden Prämissen bei einem Engagement in Emerging Markets vermag neue Lösungen und Optionen zu eröffnen. Die Struktur der Branche kann durch diese Infragestellung bestehender Weisheiten fundamental verändert werden. Die Innovationen und das Aufbrechen bestehender Strukturen in einem Emerging Market könnte Hebel für die Veränderung und Neuerung in Märkten mit ähnlichen Merkmalen sein. Emerging Markets können auch eine Innovationsquelle für Geschäftsmodelle sein, deren Wirkung weit über ihre Grenzen hinaus zurück auf die etablierten Märkte reicht. 288
Rückkopplung des Tensors
Variable B
Emerging Market
Kategorie Bn Kategorie B1
Mature Market Kategorie A1
Kategorie A2
Kategorie A3
Kategorie An
Variable A Variable C (Region)
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 18
Nachdem durch die Mutation des Tensors für den Emerging Market neue Segmente entstanden sind, kann der veränderte Tensor auf die alten geografischen Regionen zurück transferiert werden. Abbildung 18 illustriert diese Rückkopplung. Dabei werden durch die neue Kategorie der Dimension A in dem etablierten Markt neue Felder eröffnet, die in der Abbildung durchsichtig dargestellt sind.
288
Prahalad, C., 2005, S. 45 - 49.
110
Von Märkten zu Räumen
Beispiel
Rückkopplung des Tensors - Beispiel
Variable Zielgruppe
Südafrika
Kategorie Großkunden
Deutschland
Kategorie Privatkunden Kategorie Mobilfunk
Kategorie Festnetz
Kategorie Geräte
Variable Kategorie Leistungsangebot Mobile Telefonzellen Variable Region
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 19
In dem dargestellten Beispiel wird die Dimension „Leistungsangebot“ durch die Rückkopplung auch in dem Heimatmarkt um die Kategorie „Mobile Telefonzellen“ erweitert. Dadurch entstehen zwei neue Felder, die initiiert durch eine Veränderung in Südafrika auch im Heimatmarkt Deutschland neue Optionen eröffnen. Ob diese Felder die Basis für eine tragfähiges Geschäftsmodell bieten, welches Werte für Kunden und Shareholder schafft, müsste in einem nächsten Schritt evaluiert werden.
111
Business Development Methodik für Emerging Markets
Zusammenfassung Die sieben Schritte des Business Development in einem Emerging Market lassen sich grafisch zu folgendem Prozess zusammenfassen:
Business Development Methodik Mature Market
Emerging Market
Transfer Definition des Tensors
Übertrag des Tensors
Reflexion der Kategorien
Evaluation der neuen Kategorien
Evaluation der neuen Kategorie
Optionen d. Transfers
Adaption des Tensors
Optionen d. Mutation
Mutation
Rückkopplung Optionen d. Rückkopplung
Rückkopplung des Tensors
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 3 – Abbildung 20
Ausgangsbasis sind die Mature Markets, in denen das Unternehmen bereits tätig ist, und Ziel ist ein Emerging Market, in den expandiert werden soll. Die linke Seite der Abbildung steht für die Mature Markets und die rechte Seite für den Emerging Market, jeweils überschrieben durch einen grauen Kasten. Die Business Development Methodik unterteilt sich in die drei Phasen Transfer, Mutation und Rückkopplung, welche sich wiederum in jeweils einen oder drei Schritte zergliedern. Die einzelnen Schritte sind als graue Blockpfeile dargestellt. Das Ziel jeder Phase ist die Generierung von Optionen, die durch die schwarzen Kästchen symbolisiert werden. Die erste Phase des Transfers richtet sich von den etablierten auf die neuen Märkte. Die obere Reihe der grauen Blockpfeile symbolisiert die ersten drei Schritte der Business Development Methodik: Definition des Tensors, Übertrag des Tensors und Eva-
112
Von Märkten zu Räumen
luation der neuen Kategorien. Das Ziel dieser Phase ist die Generierung von Optionen in dem Emerging Market, die als Optionen des Transfers bezeichnet sind. Die zweite Phase der Mutation nimmt die Ergebnisse des Transfers auf und richtet sich zur Schaffung zusätzlicher Optionen wiederum auf den Emerging Market. Die Mutation unterteilt sich dabei in die drei dargestellten Schritte. Die dritte Phase der Rückkopplung baut auf der Mutation auf, richtet sich aber anders als die beiden ersten Phasen in die umgekehrte Richtung: Von dem Emerging Market ausgehend auf die Mature Markets. Das Ziel ist dabei die Generierung von Optionen in den etablierten Märkten. Die drei Phasen der Business Development Methodik schaffen drei Arten von Optionen:
Optionen des Transfers Durch den Transfer der Branchensegmentierung auf den Emerging Market eröffnen sich neue, potenzielle Geschäftsfelder, die den Feldern in den etablierten Märkten entsprechen. Durch die Möglichkeiten der Verknüpfung und des Wissenstransfers aus den Mature Markets289 bietet sich die Möglichkeit einer schnellen Konzeption eines Geschäftsmodells zur Erschließung dieser Segmente, weshalb diese Felder die Chance auf einen schnellen Markteintritt bieten. Durch die Nähe zu den etablierten Märkten ist jedoch auch mit der Präsenz oder dem zeitnahen Folgen konkurrierender Unternehmen zu rechnen, was die Wettbewerbsintensität dieser Segmente erhöht und die Attraktivität senkt.
Optionen der Mutation Die Erweiterung des Tensors kann neue Geschäftsfelder eröffnen, die für das Unternehmen noch nicht existent waren. Bei einem Eintritt in diese Felder kann deshalb nur in einem geringeren Umfang auf bestehendes Know-how zurückgegriffen werden und die Anforderungen an konzeptionelle Neuentwicklungen
289
Unter Mature Markets werden in Abgrenzung zu den Emerging Markets die Länder verstanden, die „High Income Countries“ nach der Definition der Weltbank sind und marktwirtschaftliche Strukturen haben. Im weiteren werden die Ausdrücke „Mature Markets“ und „etablierte Märkte“ synonym verwendet.
Business Development Methodik für Emerging Markets
113
sind höher. Ein Engagement in diesen Feldern erfordert eine höhere Innovationsleistung und einen größeren zeitlichen Ansatz. Durch die Eröffnung neuer Felder ist jedoch die Chance der Entdeckung Blauer Ozeane größer, in denen das Unternehmen ohne den Druck der Konkurrenz agieren kann.
Optionen der Rückkopplung Die Rückkopplung des veränderten Tensors auf die etablierten Märkte eröffnet weitere potenzielle Geschäftsfelder. Ob diese Felder, deren Entstehung durch die Mutation des Tensors unter den veränderten Bedingungen des Emerging Markets angestoßen wurde, unter den Bedingungen etablierter Märkte Geschäftsmöglichkeiten eröffnen, muss wieder im Einzelfall geprüft werden. Bei einer positiven Perspektive kann auf die gemachten Erfahrungen aus den Emerging Markets zurückgegriffen werden. Die neu entdeckten Felder können wiederum Blaue Ozeane eröffnen. Durch die Erfahrungen in dem Emerging Market hat das Unternehmen Kompetenzen aufbauen können, die ihm auch bei eintretender Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil bieten. In der zeitlichen Reihenfolge wird die Rückkopplung erst nach der Geschäftsentwicklung in Emerging Markets attraktiv, um auf den dortigen Erfahrungen aufbauen zu können. Dadurch stellen die Optionen der Rückkopplung nach den Optionen des Transfers und der Mutation den letzten Schritt dar. Die Möglichkeit zur Generierung zusätzlicher Optionen mit Hilfe der vorgestellten Business Development Methodik soll im zweiten Teil der Arbeit am Beispiel der Versicherungsbranche in der VR China illustriert werden.
115
Definition des Tensors
Teil B: Exemplifikation der Business Development Methodik Von einer länder- und branchenübergreifenden Betrachtung von Emerging Markets kommend konzentriert sich der zweite Teil dieser Arbeit auf die Versicherungsbranche in der Volksrepublik China.
Bezugsrahmen - Ebenen der Argumentation
Abstrakte Ebene
Methodologische Ebene
Praktische Ebene
Räumliches Denken
Branchentensor / Business Development Methodik
Versicherungsbranche in der VR China
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Abbildung 1
Abbildung 1 stellt dar, wie dieser Argumentationsschritt die methodologische Ebene verlässt und deren Ergebnisse auf einer praktischen Ebene am Beispiel der Versicherungsbranche in der VR China verdichtet. Kaum ein Tag vergeht ohne Schlagzeilen und Berichte zum Thema China: Dem neuen Giganten im Osten, der zukünftigen Supermacht, den unvorstellbaren Marktchancen und der Gefahr einer weltweiten Dominanz durch das Reich der Mitte.290 Dies ist kein neuartiges Phänomen der Gegenwart. Seit vor 700 Jahren die ersten Ausländer über China berichtet haben, entstand in der westlichen Welt eine Sehnsucht nach den unbeschreiblichen Möglichkeiten und Reichtümern des fernen Ostens. Im 13. Jahrhundert berichtete Marco Polo voller Ehrfurcht über seine China-Reisen und im 18. Jahrhundert betrachtete das Britische Empire China als das äußerste Ziel seiner maritimen Handelsrouten. In den folgenden 200 Jahren ist der Glaube an das chinesi290
Vgl. Pilny, K., 2005, S. 10.
116
Transfer des Tensors
sche Potenzial gestiegen und erreichte seinen Höhepunkt im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, als 300 Milliarden US-$ an ausländischem Kapital in das Land flossen. Keinem anderen Emerging Market wird eine solche Aufmerksamkeit entgegengebracht.291 Das dynamische Wachstum seiner Wirtschaft hat China in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Während vor einigen Jahren die Beschäftigung mit dem Reich der Mitte noch Spezialisten vorbehalten war, setzt sich heute eine breite Öffentlichkeit mit dem riesigen Reich im fernen Osten auseinander. Täglich finden sich Meldungen über die wirtschaftliche oder politische Entwicklung in der Tagespresse und zahlreiche Titelseiten, Leitartikel und Sonderausgaben spiegeln die wachsende Bedeutung Chinas wieder.292 Als Chinas Führer Deng Xiaoping im Februar 1997 starb, übergab er seinen Nachfolgern ein verwandeltes China. Was er Reformen nannte, war in Wirklichkeit eine Revolution. Er hatte den maoistischen Staat niedergerissen und ein neues China geschaffen.293 Das unter ihm und seinen Nachfolgern294 Entstandene, kann aus westlicher Sicht als die Geburt einer Weltmacht bezeichnet werden.295 Doch das moderne China kann nicht verstanden werden ohne die Kenntnis seiner tiefen Vergangenheit.296 Bei einem Blick zurück auf die chinesische Geschichte wird verständlich, warum es aus chinesischer Sicht keine Geburt ist - sondern eine Wiedergeburt.297 China war während der längsten Zeit seiner über zweitausendjährigen Kaisergeschichte das Gravitationszentrum Ostasiens298 und das technologisch und organisatorisch fortschrittlichste Land der Erde.299 Vor etwa 200 Jahren setzte durch inneren Zerfall und ausländische Aggressionen der Abstieg des chinesischen Reichs ein, der das Land und seine Bevölkerung unzähligen Leiden und Erniedrigungen aussetzte. Wenn China jetzt in den Kreis der Weltmächte aufsteigt, kehrt es damit nach einer
291
292
293 294
295 296 297 298 299
Vgl. Studwell, J., 2003, S. IX. Studwell pointiert diese Obsession für China mit dem Begriff und gleichzeitigem Titel seines Buches: „The China Dream”. So ziert z. B. der chinesische Drache mehrfach die Titelseite des „Spiegels“ [Vgl. Der Spiegel, Nr. 42/ 11.10.04 und Nr. 32/ 8.8.05]. Die „Wirtschaftswoche“, „McK Wissen“ und der „Harvard Business Manager“ widmen ganze Ausgaben dem Thema China [Vgl. Wirtschaftswoche, Sonderheft China, 1/ 2004 und Mck Wissen 10, 3. Jahrgang, September 2004 und Harvard Business Manager, Chance China, 3/ 2004]. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 309. 1997 folgte Jiang Zemin und 2003 Hu Jinatao an der Spitze des Staates [Vgl. Seitz, K., 2003, S. 331 u. Sieren, F., 2005, S. 273]. Vgl. Titel des Spiegels vom Oktober 2004 [Vgl. Der Spiegel, Nr. 42 / 11.10.04]. Vgl. Rodzinski, W., 1987, S. 7. Vgl. Hsü, I., 2000, S. VII. Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 9. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 23.
Definition des Tensors
117
langen Abwesenheit wieder an seinen alten Platz zurück.300 Eine ausführlichere Beschreibung der historischen Entwicklung und des Wiederaufstiegs Chinas findet sich in Anhang A. Bei dieser langen Rückkehr hat China viel vom Westen gelernt. Doch dabei ging es niemals um ein Nachahmen, sondern um die Nutzung des fremden Wissens zur Modernisierung Chinas unter Bewahrung der eigenen Identität. „Chinas Lehren dienen als innere Substanz, die Lehren des Westens zu praktischen Zwecken.“301 Dieser Leitsatz aus dem Ende des 19. Jahrhunderts beeinflusst das chinesische Denken bis heute.302 Die Synthese von internationalem Know-how und chinesischen Bedürfnissen stellt für die Versicherungsbranche eine Herausforderung dar. Die nächsten Kapitel werden mit der Anwendung der Business Development Methodik auf die Volksrepublik China einen Schritt in diese Richtung gehen. Die in den Business Development Prozess einfließenden Informationen stammen aus einem breiten Literaturangebot zur Volksrepublik China und Experteninterviews mit Praktikern. Dazu wurden Personen befragt, die praktische Erfahrung mit der Unternehmensentwicklung in Emerging Markets haben. Dem Ansatz der qualitativen Sozialforschung folgend war das Ziel der Interviews nicht die Gewinnung generalisierender Aussagen, sondern die Herausarbeitung von Typologien oder Typisierungen.303 Für diese Arbeit wurde als Experte angesprochen, wer • jeweils mindestens ein halbes Jahr in einem Mature Market und einem Emerging Market gelebt hat und • unternehmensintern oder in beratender Funktion professionell tätig ist. In einem systematisierendem Zugriff kann zwischen einer zentralen und einer Randstellung von Experteninterviews im Forschungsdesign unterschieden werden. In dieser Arbeit nehmen die Experteninterviews eine Randstellung ein, weil sie explorativfelderschließend eingesetzt werden und Informationen, Denkanstöße und Hintergrundwissen liefern, um die rational hergeleiteten Überlegungen zu unterstützen.304 300
301 302 303 304
Vgl. Mahbubani, Kishore, 2005, S. 49 – 54. So versieht z. B. Konrad Seitz sein Buch über den chinesischen Aufstieg zu einer Weltmacht auch mit dem Untertitel: „Eine Weltmacht kehrt zurück“ [Seitz, K., 2003]. Staiger, B., 1997, S. 9. Vgl. Staiger, B., 1997, S. 8 – 9. Vgl. Lamnek, S., 1989, S. 91. Vgl. Meuser, M. / Nagel, U., 2005, S. 76.
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Transfer des Tensors
Für die empirische Erhebung wurden im Zeitraum von Mai bis September 2005 17 Interviews durchgeführt. Jedem Gesprächspartner wurde Anonymität zugesichert, weshalb in dieser Arbeit keine namentliche Zitation verwendet wird.305 Die Interviews orientierten sich an den folgenden Leitfragen, die je nach Branchenzugehörigkeit und Erfahrung an den Interviewpartner angepasst wurden. Kunden • Wie unterscheiden sich Kunden in Etablierten und Emerging Markets? • Wie beurteilen Sie die Reife der Kunden? • Was sind die Hauptrisiken Ihrer Kunden? • Welches ist Ihre Zielgruppe? • Gibt es unterhalb der Mittelschicht in Emerging Markets eine kommerziell attraktive Zielgruppe? Transfer • Welchen Wettbewerbsvorteil hat Ihr Unternehmen gegenüber der lokalen Konkurrenz? • Welche Fähigkeiten hat Ihr Unternehmen, die neu für den Markt sind? • Wo sind Grenzen des Transfers von etablierten Märkten in Emerging Markets? Rückkopplung • Was mussten Sie in dem Emerging Market neu lernen? • Was konnten Sie aus dem Emerging Market in andere Regionen übertragen? Eine ausführliche Darstellung der Forschungsmethodik findet sich in Anhang B. Die erste Phase der Business Development Methodik wird mit dem Transfer des Tensors auf die Volksrepublik China im folgenden Kapitel dargestellt.
305
Die Transkriptionen der Interviews bilden eine Anlage zu dieser Arbeit, die den Gutachtern vorliegt. Für weitere Erläuterung der Interviews steht der Autor auf Nachfrage gerne zur Verfügung.
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Definition des Tensors
Teil B: Exemplifikation der Business Development Methodik Von einer länder- und branchenübergreifenden Betrachtung von Emerging Markets kommend konzentriert sich der zweite Teil dieser Arbeit auf die Versicherungsbranche in der Volksrepublik China.
Bezugsrahmen - Ebenen der Argumentation
Abstrakte Ebene
Methodologische Ebene
Praktische Ebene
Räumliches Denken
Branchentensor / Business Development Methodik
Versicherungsbranche in der VR China
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Abbildung 1
Abbildung 1 stellt dar, wie dieser Argumentationsschritt die methodologische Ebene verlässt und deren Ergebnisse auf einer praktischen Ebene am Beispiel der Versicherungsbranche in der VR China verdichtet. Kaum ein Tag vergeht ohne Schlagzeilen und Berichte zum Thema China: Dem neuen Giganten im Osten, der zukünftigen Supermacht, den unvorstellbaren Marktchancen und der Gefahr einer weltweiten Dominanz durch das Reich der Mitte.290 Dies ist kein neuartiges Phänomen der Gegenwart. Seit vor 700 Jahren die ersten Ausländer über China berichtet haben, entstand in der westlichen Welt eine Sehnsucht nach den unbeschreiblichen Möglichkeiten und Reichtümern des fernen Ostens. Im 13. Jahrhundert berichtete Marco Polo voller Ehrfurcht über seine China-Reisen und im 18. Jahrhundert betrachtete das Britische Empire China als das äußerste Ziel seiner maritimen Handelsrouten. In den folgenden 200 Jahren ist der Glaube an das chinesi290
Vgl. Pilny, K., 2005, S. 10.
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Transfer des Tensors
sche Potenzial gestiegen und erreichte seinen Höhepunkt im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, als 300 Milliarden US-$ an ausländischem Kapital in das Land flossen. Keinem anderen Emerging Market wird eine solche Aufmerksamkeit entgegengebracht.291 Das dynamische Wachstum seiner Wirtschaft hat China in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Während vor einigen Jahren die Beschäftigung mit dem Reich der Mitte noch Spezialisten vorbehalten war, setzt sich heute eine breite Öffentlichkeit mit dem riesigen Reich im fernen Osten auseinander. Täglich finden sich Meldungen über die wirtschaftliche oder politische Entwicklung in der Tagespresse und zahlreiche Titelseiten, Leitartikel und Sonderausgaben spiegeln die wachsende Bedeutung Chinas wieder.292 Als Chinas Führer Deng Xiaoping im Februar 1997 starb, übergab er seinen Nachfolgern ein verwandeltes China. Was er Reformen nannte, war in Wirklichkeit eine Revolution. Er hatte den maoistischen Staat niedergerissen und ein neues China geschaffen.293 Das unter ihm und seinen Nachfolgern294 Entstandene, kann aus westlicher Sicht als die Geburt einer Weltmacht bezeichnet werden.295 Doch das moderne China kann nicht verstanden werden ohne die Kenntnis seiner tiefen Vergangenheit.296 Bei einem Blick zurück auf die chinesische Geschichte wird verständlich, warum es aus chinesischer Sicht keine Geburt ist - sondern eine Wiedergeburt.297 China war während der längsten Zeit seiner über zweitausendjährigen Kaisergeschichte das Gravitationszentrum Ostasiens298 und das technologisch und organisatorisch fortschrittlichste Land der Erde.299 Vor etwa 200 Jahren setzte durch inneren Zerfall und ausländische Aggressionen der Abstieg des chinesischen Reichs ein, der das Land und seine Bevölkerung unzähligen Leiden und Erniedrigungen aussetzte. Wenn China jetzt in den Kreis der Weltmächte aufsteigt, kehrt es damit nach einer
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293 294
295 296 297 298 299
Vgl. Studwell, J., 2003, S. IX. Studwell pointiert diese Obsession für China mit dem Begriff und gleichzeitigem Titel seines Buches: „The China Dream”. So ziert z. B. der chinesische Drache mehrfach die Titelseite des „Spiegels“ [Vgl. Der Spiegel, Nr. 42/ 11.10.04 und Nr. 32/ 8.8.05]. Die „Wirtschaftswoche“, „McK Wissen“ und der „Harvard Business Manager“ widmen ganze Ausgaben dem Thema China [Vgl. Wirtschaftswoche, Sonderheft China, 1/ 2004 und Mck Wissen 10, 3. Jahrgang, September 2004 und Harvard Business Manager, Chance China, 3/ 2004]. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 309. 1997 folgte Jiang Zemin und 2003 Hu Jinatao an der Spitze des Staates [Vgl. Seitz, K., 2003, S. 331 u. Sieren, F., 2005, S. 273]. Vgl. Titel des Spiegels vom Oktober 2004 [Vgl. Der Spiegel, Nr. 42 / 11.10.04]. Vgl. Rodzinski, W., 1987, S. 7. Vgl. Hsü, I., 2000, S. VII. Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 9. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 23.
Definition des Tensors
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langen Abwesenheit wieder an seinen alten Platz zurück.300 Eine ausführlichere Beschreibung der historischen Entwicklung und des Wiederaufstiegs Chinas findet sich in Anhang A. Bei dieser langen Rückkehr hat China viel vom Westen gelernt. Doch dabei ging es niemals um ein Nachahmen, sondern um die Nutzung des fremden Wissens zur Modernisierung Chinas unter Bewahrung der eigenen Identität. „Chinas Lehren dienen als innere Substanz, die Lehren des Westens zu praktischen Zwecken.“301 Dieser Leitsatz aus dem Ende des 19. Jahrhunderts beeinflusst das chinesische Denken bis heute.302 Die Synthese von internationalem Know-how und chinesischen Bedürfnissen stellt für die Versicherungsbranche eine Herausforderung dar. Die nächsten Kapitel werden mit der Anwendung der Business Development Methodik auf die Volksrepublik China einen Schritt in diese Richtung gehen. Die in den Business Development Prozess einfließenden Informationen stammen aus einem breiten Literaturangebot zur Volksrepublik China und Experteninterviews mit Praktikern. Dazu wurden Personen befragt, die praktische Erfahrung mit der Unternehmensentwicklung in Emerging Markets haben. Dem Ansatz der qualitativen Sozialforschung folgend war das Ziel der Interviews nicht die Gewinnung generalisierender Aussagen, sondern die Herausarbeitung von Typologien oder Typisierungen.303 Für diese Arbeit wurde als Experte angesprochen, wer • jeweils mindestens ein halbes Jahr in einem Mature Market und einem Emerging Market gelebt hat und • unternehmensintern oder in beratender Funktion professionell tätig ist. In einem systematisierendem Zugriff kann zwischen einer zentralen und einer Randstellung von Experteninterviews im Forschungsdesign unterschieden werden. In dieser Arbeit nehmen die Experteninterviews eine Randstellung ein, weil sie explorativfelderschließend eingesetzt werden und Informationen, Denkanstöße und Hintergrundwissen liefern, um die rational hergeleiteten Überlegungen zu unterstützen.304 300
301 302 303 304
Vgl. Mahbubani, Kishore, 2005, S. 49 – 54. So versieht z. B. Konrad Seitz sein Buch über den chinesischen Aufstieg zu einer Weltmacht auch mit dem Untertitel: „Eine Weltmacht kehrt zurück“ [Seitz, K., 2003]. Staiger, B., 1997, S. 9. Vgl. Staiger, B., 1997, S. 8 – 9. Vgl. Lamnek, S., 1989, S. 91. Vgl. Meuser, M. / Nagel, U., 2005, S. 76.
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Transfer des Tensors
Für die empirische Erhebung wurden im Zeitraum von Mai bis September 2005 17 Interviews durchgeführt. Jedem Gesprächspartner wurde Anonymität zugesichert, weshalb in dieser Arbeit keine namentliche Zitation verwendet wird.305 Die Interviews orientierten sich an den folgenden Leitfragen, die je nach Branchenzugehörigkeit und Erfahrung an den Interviewpartner angepasst wurden. Kunden • Wie unterscheiden sich Kunden in Etablierten und Emerging Markets? • Wie beurteilen Sie die Reife der Kunden? • Was sind die Hauptrisiken Ihrer Kunden? • Welches ist Ihre Zielgruppe? • Gibt es unterhalb der Mittelschicht in Emerging Markets eine kommerziell attraktive Zielgruppe? Transfer • Welchen Wettbewerbsvorteil hat Ihr Unternehmen gegenüber der lokalen Konkurrenz? • Welche Fähigkeiten hat Ihr Unternehmen, die neu für den Markt sind? • Wo sind Grenzen des Transfers von etablierten Märkten in Emerging Markets? Rückkopplung • Was mussten Sie in dem Emerging Market neu lernen? • Was konnten Sie aus dem Emerging Market in andere Regionen übertragen? Eine ausführliche Darstellung der Forschungsmethodik findet sich in Anhang B. Die erste Phase der Business Development Methodik wird mit dem Transfer des Tensors auf die Volksrepublik China im folgenden Kapitel dargestellt.
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Die Transkriptionen der Interviews bilden eine Anlage zu dieser Arbeit, die den Gutachtern vorliegt. Für weitere Erläuterung der Interviews steht der Autor auf Nachfrage gerne zur Verfügung.
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Definition des Tensors
4 Transfer des Tensors Die Illustration der Business Development Methodik am Beispiel der Versicherungsbranche in der VR China gliedert sich in die sieben Schritte des Business Development Prozesses. Der erste Schritt ist die Definition der bestehenden Branchensegmentierung in den etablierten Märkten und die Übertragung auf die VR China.
4.1 Definition des Tensors
Mature
Emerging
Transfer Definition
Mutation
Rückkopplung
Die Versicherungsbranche306 lässt sich nach den drei Variablen Leistungsangebot, Zielgruppe und Region definieren. Dabei kann das Leistungsangebot in die drei Kategorien Lebens-, Kranken- und Schadensversicherung 307 unterteilt werden. Lebensversicherungen bezahlen Leistungen an designierte Nutznießer im Todesfall des Versicherten. Die Leistungen sind dafür gedacht, die Bestattungskosten, Arztrechnungen und andere Kosten zu tragen, die durch den Todesfall entstehen. Die Lebensversicherung kann auch gestaltet werden, um periodische Einkommenszahlungen an die Hinterbliebenen zu leisten. Unter Lebensversicherungen fallen auch Pensionspläne, die mit regelmäßigen Rentenzahlungen im Alter verbunden sind.308 306
307
308
Die Segmentierung der Versicherungsbranche konzentriert sich hier auf die privatwirtschaftlichen Versicherungsunternehmen und klammert das Angebot an staatlichen Versicherungen aus, obwohl dieses Angebot natürlich einen maßgeblichen Einfluss auf die Attraktivität verschiedener Branchensegmente haben kann. Die Unterteilung in die vier großen Bereiche Life, Health, Property und Liability findet sich in allen Einteilungen wieder [Vgl. Williams, C. Jr. / Smith, M. / Young, P., 1998, S. 394]. Dabei können diese Bereiche je nach Autor zusammengefasst werden. So ist z. B. die Bündelung von Life & Health [Vgl. Rejda, G., 2003, S. 24] oder Property & Liability [Vgl. Vaughan, E. / Vaughan, T., 1995, S. 63] üblich. Vgl. Rejda, G., 2003, S. 24.
120
Transfer des Tensors
Krankenversicherungen decken die Kosten zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und Arbeitskraft sowie den durch die Krankheit bedingten Einkommensausfall.309 Unter Sachversicherung310 können die Versicherungen zusammengefasst werden, die nicht unmittelbar aus einem Personenschaden des Versicherungsnehmers resultieren. Darunter werden die Sachversicherungen im engeren Sinne, bei der Sachwerte Gegenstand der Versicherung sind, und Vermögensversicherungen, bei der sich der Versicherungsschutz auf ein Vermögen als Ganzes bezieht (z. B. Haftpflichtversicherungen), subsumiert. Die Anspruchsgruppen können in die drei Kategorien Firmen-, Gewerbe- und Privatkunden unterteilt werden. Unter Firmenkunden werden große Unternehmen verstanden, die sich durch Risikomanagement absichern wollen.311 Bei Gewerbekunden handelt es sich um kleine und mittlere Unternehmen sowie Gewerbetreibende, die durch eine definierte Mitarbeiter- oder Umsatzgrenze von den Firmenkunden abgegrenzt werden. Als Privatkunden werden Einzelpersonen oder private Haushalte betrachtet.312 Die regionale Dimension wird in der Regel nach den einzelnen Ländern kategorisiert, weil die staatlichen Rahmenbedingungen einen maßgeblichen Einfluss auf die Versicherungsbranche und die Wettbewerbsbedingungen haben.313 In diesem Beispiel soll vereinfachend zur besseren Übersichtlichkeit von einem Versicherungsunternehmen ausgegangen werden, welches bisher nur in seinem Heimatmarkt Deutschland aktiv war. Der Branchentensor des skizzierten Unternehmens stellt sich wie folgend dar:
309 310 311 312 313
Vgl. Schierenbeck, H., 1994, S. 416. Vgl. Schierenbeck, H., 1994, S. 589 u. 683 u. 699. Vgl. Rejda, G., 2003, S. 245 – 308. Vgl. Rejda, G., 2003, S. 111 – 244. Banken und Versicherungen unterliegen einer besonderen staatlichen Kontrolle, weil ein öffentliches Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Finanzsystems grundlegend für eine funktionierende Volkswirtschaft ist und der einzelne Kunde die Qualität des ihm angebotenen Produkts nicht selbstständig wie bei einem Konsumgut bewerten kann [Vgl. Williams, C. Jr. / Smith, M. / Young, P., 1998, S. 435 – 436].
Definition des Tensors
121
Schritt 1: Definition des Tensors
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Abbildung 2
Der in Abbildung 2 dargestellte Branchentensor simplifiziert den Raum der Möglichkeiten auf eine pragmatische Größe. Die Geschäftsfelder lassen sich mit den drei gewählten Dimensionen Leistungsangebot, Zielgruppe und Region definieren. In einer anderen Branche oder bei einer anderen Beurteilung können diese Dimensionen reduziert oder auch erweitert werden, z. B. mit den Variablen Vertriebskanal oder Technologie.314 Diese Branchestrukturierung bildet die Basis für die Erweiterung des Geschäfts auf neue geografische Märkte. Nachfolgend soll die Ausdehnung der Geschäftstätigkeit auf die VR China betrachtet werden.
314
In dem abgebildeten Beispiel der Versicherungsbranche wurde ein dreidimensionaler Tensor auch aus Gründen der Anschaulichkeit gewählt, da eine grafische Darstellung von vier oder mehr Dimensionen wesentlich schwerer nachvollziehbar ist. Für den Grundgedanken der Methodologie ist die Anzahl der gewählten Dimensionen nicht von Bedeutung.
122
Transfer des Tensors
4.2 Übertragung des Tensors
Mature
Emerging
Transfer Übertrag
Mutation
Rückkopplung
Mit einem der größten Wachstumspotentiale in der globalen Finanzwirtschaft hat China für die Versicherungsbranche eine besondere Anziehungskraft.315 Die beiden nächsten Abschnitte verdeutlichen mit einer Betrachtung der chinesischen Ökonomie und Branchensituation, warum der Transfer in das Reich der Mitte attraktive Optionen eröffnen kann.
4.2.1 Die chinesische Ökonomie Politisch ist China in den Kreis der Weltmächte zurückgehrt. Doch wie hat sich dieser Aufstieg auf das Einkommen seiner Bevölkerung ausgewirkt?
Entwicklung des Volkseinkommens Mao starb am 9. September 1976. Als er 27 Jahre vor seinem Tod die Volksrepublik China ausrief, übernahm er eines der ärmsten Länder der Welt. China verwandelte sich unter seiner Regierung von einem Agrarstaat zu einer industriellen Macht, die Lastwagen, Traktoren, Flugzeuge und Schiffe produzierte und in den Rang der Nuklearmächte aufstieg.316 An der bitteren Armut der Bevölkerung hatte sich jedoch nur wenig geändert. Der Aufbau einer Schwerindustrie wurde mit großen Opfern erkauft. 28 % der Chinesen
315 316
Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 2. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 221.
Übertragung des Tensors
123
lebten unter dem Existenzminimum als Mao Zedong starb.317 Während das BIP in den Jahren 1952-75 um durchschnittlich 6,7 % wuchs, konnte der private Konsum pro Einwohner nur um 2,2 % gesteigert werden.318 Die Schwerindustrie wurde in gigantische Staatsunternehmen zusammengefasst, die ihre Ineffizienz offenbarten, als sie sich nach der wirtschaftlichen Öffnung in den 90er Jahren dem Wettbewerb stellen mussten.319 Doch Maos schweres Erbe trug bereits den Keim des kommenden wirtschaftlichen Erfolgs in sich.320 Er hatte durch seine Kampagnen321 sowohl die alte konfuzianische Ordnung322 wie auch den Glauben an den Kommunismus zerstört. Mao wollte bei der ungebildeten Bauernbevölkerung alle alten Werte auslöschen und ein weißes Blatt schaffen, auf dem die kommunistische Gesellschaft aufgebaut werden konnte – Tabula rasa. Er hinterließ dieses weiße Blatt, doch von seinem Nachfolger Deng Xiaoping wurde Strich für Strich eine neue Wirtschaftsordnung darauf skizziert – der Kapitalismus.323 Unter der Regierung von Deng Xiaoping (1978 – 1997) setzte ein phänomenaler Aufschwung ein, der China zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt machte. Schritt für Schritt gab Deng den Bürgern geschäftliche Freiheiten zurück und führte das Land auf den Weg zu einer Marktwirtschaft.324 Deng Xiaopings wesentlicher Beitrag zur ökonomischen Entwicklung bestand nicht in dem, was er tat, sondern in den Dingen, aus denen er sich heraushielt.325 Durch die Dezentralisierung der Entscheidungsfindung und einem Rückzug von staatlichen Interventionen in das tägliche Leben der Bürger konnte die Effektivität deutlich gesteigert werden: Unter der von Mao geprägten Planwirtschaft war in den Jahren 1973-1975 eine Investition von US-$ 5,49 nötig, um den jährlichen Output um einen US-$ zu erhöhen – von 1992 bis 1995 war 317 318 319 320
321
322
323 324 325
Vgl. Seitz, K., 2003, S. 221 - 222. Vgl. Dernberger, R., 1999, S. 47. Vgl. Schüler, M., 1997, S. 29. Die Zuordnung einzelner Epochen zu einzelnen Personen wie Mao Zedong oder Deng Xiaoping geschieht alleine aus Gründen der Vereinfachung und Übersichtlichkeit mit dem Bewusstsein, dass die Politik und die wirtschaftliche Entwicklung nicht das alleinige Produkt dieser Personen ist. Als oberste politische Führer hatten sie mit Sicherheit Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung, aber das Ausmaß dieses Einflusses soll nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Die landesweiten Massenkampagnen der Mao-Ära erstreckten sich von 1949 – 1976. Eine Beschreibung aller Kampagnen der Mao-Zeit findet sich bei Seitz [Vgl. Seitz, K., 2003, S. 159 - 214] oder Duckett [Vgl. Duckett, J., 2003, S. 483 - 485]. Während unter der maoistischen Herrschaft die konfuzianisch geprägte Gesellschaftsstruktur zerstört wurde, finden sich konfuzianische Tugenden wie Tabufreiheit, Unternehmertum, Leistungswille, Sparsamkeit und Kooperativität auch im modernen China wieder und haben einen wesentlichen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg [Vgl. Weggel, O., 1996, S. 308 - 310]. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 224. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 233. Vgl. Studwell, J., 2003, S. 26.
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Transfer des Tensors
nur noch eine Investition von US-$ 1,38 notwendig. Der größte Fortschritt war die Verbesserung der durchschnittlichen Lebensqualität. Während der private Pro-KopfKonsum in der Mao-Ära nur um 2,2 % pro Jahr stieg, waren es unter der Regierung von Deng Xiaoping 7,3 %.326 Vertreter der chinesischen Regierung verweisen mit Stolz auf diese beeindruckende Erfolgsbilanz: Ein durchschnittliches wirtschaftliches Wachstum von 9,7 % in den 20 Jahren von 1978 bis 1998.327
328
6000
5000
4000
3000
2000
1000
20 04
20 02
20 00
19 98
19 96
19 94
19 92
19 90
19 88
19 86
19 84
19 82
19 80
0 19 78
BNE pro Einwohner nach Kaufkraft in int. $
Entwicklung des BNE pro Einwohner in der VR China
Jahr
Quelle: Eigene Darstellung nach Weltbank (Hrsg.), 2002, 2004, 2005a und 2006. Kapitel 4 – Abbildung 3
Die wirtschaftliche Entwicklung der Volksrepublik China von 1949 bis heute ist beeindruckend und kann als eine der wichtigsten Entwicklungen des 20. Jahrhunderts angesehen werden.329 Doch die Frage ist: Wo steht China heute in der Weltwirtschaft? Bei einer Betrachtung des BNE in US-$ liegt die chinesische Volkswirtschaft weltweit auf dem 6. Rang.330
326 327 328
329 330
Vgl. Dernberger, R., 1999, S. 49. Vgl. Hu, A., 2003, S. 50. Darstellung in lokaler Kaufkraft gemessen in int. $. Die Weltbank benutzt für die Schätzungen die Weltbank Atlas Methode [Vgl. Weltbank (Hrsg.), 2005c]. Vgl. Dernberger, R., 1999, S. 44. Der Platz der chinesischen Volkswirtschaft in der Welt wird je nach den verwendeten Zahlen unterschiedlich angegeben. China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft hinter den USA, wenn das BIP umgerechnet auf die
125
Übertragung des Tensors Bruttonationaleinkommen im Jahr 2004 in Mrd. US-$
12.150,9
USA 4.749,9
Japan Deutschland
2.489,0
Großbritannien
2.016,4
Frankreich
1.858,7
China
1.676,8
Italien
1.503,6 905,6
Kanada 0
2.000
4.000
6.000
8.000
10.000
12.000
14.000
Quelle: Eigene Darstellung nach Weltbank (Hrsg.), 2006 Kapitel 4 – Abbildung 4
Ein BNE, das mit dem Italiens oder Frankreichs vergleichbar ist, aber nur ca. ein Drittel des japanischen ausmacht, deutet auf einen lukrativen Markt hin, dämpft jedoch auch zu euphorische Töne. Die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Der rasante Aufstieg der chinesischen Wirtschaft in den vergangenen 25 Jahren mit durchschnittlichen Wachstumsraten von über 8 % ist eine beeindruckende Tatsache.331 Die politischen und wirtschaftlichen Leistungen, die hinter diesem Aufschwung stehen, werden von niemandem in Frage gestellt. Während bei einem Blick in die Zukunft die Meinungen stark auseinander gehen, stimmt fast jeder damit überein, dass die chinesische Wirtschaft zu schnell wächst und das Wachstumstempo der vergangenen Jahre in der Zukunft nicht wird halten können.332 Ein Teil des vergangenen Wachstums ist auf die strukturellen wirtschaftlichen Reformen zurück zu führen, aber ein anderer starker Treiber war ein Investmentboom, der mit leicht vergebenen Krediten finanziert wurde. Auf der einen Seite hat dies die
331 332
lokale Kaufkraft (Purchasing Power Parity) zu Grunde gelegt wird. Diese Zahlen sind jedoch für die Beurteilung der internationalen Bedeutung nicht sehr aussagekräftig und werden schnell voreilig verwendet [Vgl. z. B. Cox, M. / Koo, J., 2003, S. 2]. Bei der Umrechung des BIP in US-$ belegte China im Jahr 2004 den 6. Platz hinter den USA, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Vgl. Spatafora, N., 2004, S. 82. Vgl. The Economist (Hrsg.), 2004b, S. 67 - 69.
126
Transfer des Tensors
Nachfrage nach Rohstoffen steigen lassen, so dass China heute schon ein Hauptverbraucher von Öl, Stahl und Zement ist und die Weltmarktpreise noch oben schossen.333 Auf der anderen Seite hat die schnelle Ausdehnung der Produktionskapazitäten zu einem Überangebot an Fertigprodukten geführt.334 Selbst die Vertreter der chinesischen Regierung sprechen von einem Abkühlen des Wachstums und reduzieren die Wachstumsziele.335 Die Schlüsselfrage ist: Wird sich das chinesische Wachstum langsam verringern oder gibt es einen Crash?336 Für die kurzfristige Entwicklung stehen zwei mögliche Szenarien im Fokus der Diskussion:337 Eine weiche Landung, bei der sich das Wachstum langsam auf 7 % reduziert und damit genug neue Jobs entstehen, um die Entlassungen der großen Staatsbetriebe aufzufangen, oder eine harte Landung, bei der das Wachstum abrupt deutlich unter 7 % fällt, was zu sozialen Spannungen in China führen und deutliche Auswirkungen auf die asiatischen Nachbarländer und die Weltwirtschaft haben würde.338 Doch selbst eine solche harte Landung muss langfristig nicht das Ende des Booms bedeuten.339 An dieser Stelle sollen nicht die Eintrittswahrscheinlichkeiten möglicher Szenarien im Detail diskutiert werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert unter der Voraussetzung weiterer Strukturreformen ein durchschnittliches Wachstum von 7,6 % bis zum Jahre 2020.340 Dies würde bedeuten, dass China Frankreich, Großbritannien und Deutschland überholen und nach den USA und Japan die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde werden könnte. Dieser prosperierenden Zukunftsperspektive stehen jedoch in der Gegenwart noch gravierende Probleme und Risiken gegenüber: Überbevölkerung, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Ungleichheit, moralisches Vakuum, Korruption, marodes Finanz-
333 334 335
336 337 338
339 340
Vgl. Bremner, B. / Roberts, D. / Balfour, F., 2004, 28 - 32. Vgl. The Economist (Hrsg.), 2004a, S. 14 - 15. Vgl. Rede von Ma Kai, Minister der staatlichen Entwicklungs- und Reformkommission, auf dem 10. Nationalen Volkskongress am 6. März 2004 [Vgl. Ma Kai, 2004]. Vgl. The Economist (Hrsg.), 2004b, S. 67 – 69. Vgl. The Economist (Hrsg.), 2004b, S. 67 - 69. Vgl. Bremner, B. / Roberts, D. / Balfour, F., 2004, S. 28 - 32. Wohl alle China-Analysten sind sich über die Notwendigkeit relativ hoher Wachstumsraten zur Bewältigung der enormen strukturellen Anpassungsprobleme und für den Abbau regionaler Entwicklungsdefizite einig [Vgl. Schüler, M., 2004a, S. 40]. Vgl. The Economist (Hrsg.), 2004b, S. 67 – 69. Vgl. Spatafora, N., 2004, S. 82.
Übertragung des Tensors
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system und Kriegsgefahr.341 Wenn China diese nationalen und internationalen Herausforderungen meistert, hat es alle Voraussetzungen, um seine beeindruckende Erfolgsgeschichte fortzusetzen.342
China ist rein quantitativ gesehen einer der größten Märkte der Welt, dessen Bedeutung mit hoher Wahrscheinlichkeit zunehmen wird.
Der nächste Abschnitt soll den Blick von der gesamtwirtschaftlichen Situation auf die Entwicklung der Versicherungsbranche in der Volksrepublik China richten.
4.2.2 Von der eisernen Reisschüssel zur Versicherungspolice Die politische Entwicklung der letzten 30 Jahre und der wirtschaftliche Aufschwung haben auch für die Finanz- und Versicherungsbranche tief greifende Änderungen mit sich gebracht. Von allen Branchen besteht im Finanzsektor die größte Lücke zwischen der aktuellen Situation und den zukünftigen Erwartungen ausländischer Investoren.343 Für die meisten der ausländischen Firmen ist China aus globaler Perspektive gemessen an den Umsatzzahlen ein winziger Markt. Selbst für das führende ausländische Versicherungsunternehmen, die American International Group (AIG), trug China im Jahre 2003 nur 3 % zu den ausländischen Neuversicherungsprämien im Lebensversicherungsgeschäft bei. 344 Demgegenüber steht eine euphorische Erwartung über die zukünftige Entwicklung: Viele Unternehmen und Analysten sehen in China in der nahen Zukunft einen der bedeutendsten Versicherungsmärkte der Welt.345 Die wirtschaftliche Öffnung der VR China und die Reformpolitik seit 1979 hat auch der Versicherungswirtschaft neues Leben eingehaucht. Seit 1949 war die Versicherungsbranche nationalisiert und unter der Federführung der People’s Insurance Company of China (PICC) monopolisiert. Während der politischen Wirren der 60er und 341 342 343 344 345
Vgl. Seitz, K., 2003, S. 443 - 447 u. Vgl. Engardio, P., 2005, S. 41. Vgl. Lieberthal, K., 2003, S. 42. Vgl. Economist Intelligence Unit (Hrsg.), 2004, S. 66. Vgl. Economist Intelligence Unit (Hrsg.), 2004, S. 66. Vgl. Economist Intelligence Unit (Hrsg.), 2004, S. 67 u. Binder, S. / Bowers, T. / Yung, W., 2004, S. 87 u. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 20.
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Transfer des Tensors
70er Jahre war das Versicherungsgeschäft vollständig ausgesetzt. In den Städten garantierten die Arbeitseinheiten der Staatsbetriebe allen Einwohnern Rente, Krankenund Unfallversicherung: Die „eiserne Reisschüssel“, welche ein Leben lang gefüllt wurde. Auf dem Lande sorgten die so genannten Barfußärzte für eine primitive Gratisbetreuung der Bauern. Der Staat nahm dem Einzelnen die Verantwortung für seine Versorgung ab.346 Die Einführung der Marktwirtschaft hat diese sozialen Netze von Maoismus und Planwirtschaft zerrissen.347 Im Jahre 1980 wurde das Versicherungsgeschäft wieder aufgenommen; Wettbewerb war bis zur Gründung eines zweiten Versicherungsunternehmens348 im Jahre 1986 gänzlich unbekannt. Auch danach befanden sich alle Anbieter in staatlichen Besitz. Mit der AIG trat 1992 das erste internationale Versicherungsunternehmen wieder in den chinesischen Markt ein,349 dem schrittweise weitere Unternehmen folgten.350
Meilensteine in der Entwicklung des chinesischen Versicherungsmarktes Einstellung der Versicherungswirtschaft (1959)
1950
1960
Gründung der People’s Insurance Company of China (PICC) (1949)
Wiederaufnahme der Versicherungswirtschaft (1980)
1970
Markteintritt des ersten ausländischen Versicherers (AIG) (1992)
1980
Lizenzierung des ersten landesweiten Wettbewerbers (Aufhebung des Monopols) (1989)
1990
WTO Beitritt (2001)
2000
Einrichtung der China Insurance Regulatory Commision (CIRC) (1998)
Quelle: Eigene Darstellung nach Swiss Re (Hrsg.), 2004b, S. 23. Kapitel 4 – Abbildung 5
Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember 2001 stellte einen Meilenstein in der Öffnung des Versicherungsmarktes dar. Die VR China sicherte
346 347 348 349 350
Vgl. Blume, G., 2005, S. 21 u. Muscat, S., 2004b, S. 15 u. Li, S., 2004, S. 103. Vgl. Blume, G., 2005, S. 21. Xinjiang Corps Insurance Company. 1989 folgte die Gründung der Ping An Insurance Company. Damals regional beschränkt auf Shanghai. Vgl. Swiss Re (Hrsg.), 2004b, S. 22.
Übertragung des Tensors
129
im Zuge der Beitrittsverhandlungen zu, den Marktzugang durch die Entfernung regulatorischer Hindernisse zu vereinfachen. 351 Abbildung 5 fasst die Meilensteine in der Entwicklung des chinesischen Versicherungsmarktes zusammen. Dabei wird deutlich, wie jung die Entwicklung ist und Ansätze eines Marktes erst seit der Aufhebung des Monopols im Jahr 1989 existieren. Mit einem Gesamtvolumen von US-$ 52,5 Mrd. hatte die VR China 2004 einen Weltmarktanteil von 1,61 % und ist global der elftgrößte Versicherungsmarkt.352 Seit 1980 wuchs die chinesische Versicherungsbranche jährlich um 35 %. Die Versicherungsprämien pro Einwohner als Indikator der Versicherungsdichte stieg von US-$ 0,06 im Jahre 1980 auf US-$ 40,2 im Jahre 2004. Doch selbst nach dieser dynamischen Wachstumsperiode ist China im internationalen Vergleich unterversichert. Die Versicherungsdichte pro Einwohner von US-$ 40,2 beträgt nicht einmal 1/12 des weltweiten Durchschnitts.353 Für hohe Wachstumsraten wurden von vielen Unternehmen niedrige Gewinnmargen oder in vielen Fällen sogar Verluste in Kauf genommen. Auch wenn von den Unternehmen in der Regel keine zuverlässigen Gewinnzahlen veröffentlicht werden, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Branchenrentabilität der Versicherungsbranche in China deutlich unter dem internationalen Durchschnitt liegt. Der Preiskampf wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen, durch den Markteintritt weiterer lokaler und internationaler Unternehmen sowie durch Liberalisierung der Preisregulation seitens der Behörden.354 Der Markt wird deutlich von den lokalen Anbietern dominiert. Im Lebensversicherungssegment haben die chinesischen Gesellschaften einen Marktanteil von 97 %, wovon die drei größten Unternehmen355 mehr als 90 % auf sich vereinigen.356 Noch deutlicher sieht die Situation im Nicht-Lebensversicherungsgeschäfts aus, wo die ausländischen Anbieter nur einen Marktanteil von ca. 1 % erreichen konnten.357
351 352
353 354
355 356 357
Vgl. Swiss Re (Hrsg.), 2004b, S. 22. Vgl. Swiss Re (Hrsg.), 2005, S. 35. Die zehn größten Versicherungsmärkte sind (in Klammern der Weltmarktanteil): USA (33,84 %), Japan (15,18 %), Großbritannien (9,09 %), Frankreich (6,00 %), Deutschland (5,88 %), Italien (3,97 %), Kanada (2,15 %), Südkorea (2,12 %), Niederlande (1,81 %) und Spanien (1,72 %). Vgl. o.V., 2004d u. Swiss Re (Hrsg.), 2005, S. 40. Vgl. Economist Intelligence Unit (Hrsg.), 2004, S. 67, KPMG (Hrsg.), 2005, S. 4 u. 14 und Chen, D., 2004, S. 3. China Life, Ping An und China Pacific Life. Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 5. Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 17.
130
Transfer des Tensors
Im Firmenkundengeschäft handelt es sich bei einem Großteil der Kunden ausländischer Versicherungen ebenfalls um große multinationale Unternehmen, die ihr Risikomanagement bevorzugt mit international aufgestellten Versicherungsunternehmen abwickeln.358 Im Privatkundengeschäft ist der durchschnittliche Kunde ausländischer Versicherungen:359 • 25 bis 50 Jahre alt, • Unternehmer oder leitender Angestellter mit Familie, • Versicherungsnehmer mit mindestens einer jährlichen Prämie von US-$ 300, • lebt in einer der reichen Großstädte wie Shanghai, Peking, Guangzhou oder Shenzhen und • hat ein jährliches Einkommen von mehr als US-$ 6.000. Die ausländischen Versicherungsunternehmen unterliegen auch nach dem WTOBeitritt noch sehr starken Auflagen seitens der Regulierungsbehörden über die Art ihrer Geschäftstätigkeit. Trotz der graduellen Liberalisierung sind die Bestimmungen in der Finanzbranche enger als in den meisten anderen Branchen. Die Regulatoren der Regierung haben Wege gefunden, die Aktivitäten ausländischer Unternehmen zu beschränken, auch wenn der Markt schon offiziell geöffnet wurde. Der Markteintritt, regionale Ausdehnungen und angebotene Produkte unterliegen langwierigen und teilweise nur schwer durchschaubaren Genehmigungsverfahren. Die ausländischen Versicherer arbeiten innerhalb des vorgegebenen Rahmens. Die Reformpolitik Pekings, die auf eine weitere Öffnung und Liberalisierung des Marktes hinauszielt, wird von den ausländischen Unternehmen generell befürwortet, wenn auch vielen das Tempo nicht schnell genug erscheint. Den ausländischen Firmen wird kein wesentlich größerer Handlungsspielraum gegeben werden, bis die Regierung sicher ist, dass die lokalen Unternehmen dem zunehmenden Wettbewerbsdruck standhalten können.360 Doch trotz der regulatorischen Beschränkungen und des zunehmenden Konkurrenzdrucks blicken die meisten ausländischen Unternehmen optimistisch in die Zukunft, da die Branche wegen der weiteren Wachstumsaussichten Umsatzsteigerungen verspricht, ohne Marktanteile von Konkurrenten erkämpfen zu müssen. Prognostizierte wirtschaftliche Wachstumsraten von 8 %, die Unterversicherung im internationalen Vergleich und eine individuelle Sparquote von über 40 %, welche die 358 359 360
Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 17. Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 9. Vgl. Economist Intelligence Unit (Hrsg.), 2004, S. 70 u. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 11 u. 16.
Übertragung des Tensors
131
Chinesen als eines der sparsamsten Völker der Welt auszeichnet, bilden eine solide Basis für einen weiteren Aufschwung der Versicherungsbranche.361 Treiber des Wachstums werden die zunehmende Vermögensakkumulation, eine alternde Gesellschaft, das zunehmende Bildungsniveau und die Entwicklung des Bankensektors sein.362 Dies alles vor dem Hintergrund maroder und weiter zerfallender staatlicher sozialer Sicherungs- und Pensionssysteme, welche die Sicherheitsbedürfnisse der chinesischen Gesellschaft nicht mehr decken können.363
4.2.3 Der Schritt nach China Die Größe des chinesischen Marktes ist branchenübergreifend eine starke Motivation für ein Engagement im Reich der Mitte. In der Versicherungsbranche bietet China wegen einer im internationalen Vergleich niedrigen Versicherungsdichte hohe Wachstumsraten und gute Gründe für eine Expansion.364 Durch den Schritt nach China verändert sich der Branchentensor. Ausgehend von dem in den etablierten Märkten definierten Tensor wird die regionale Dimension um die neue Kategorie „China“ erweitert.
Schritt 2: Übertrag des Tensors
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Abbildung 6 361 362 363
364
Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 4 u. Binder, S. / Bowers, T. / Yung, W., 2004, S. 83 u. Li, S., 2004, S. 103. Vgl. Chen, D., 2004, S. 7 u. Swiss Re (Hrsg.), 2004b, S. 37 u. Orr, G., 2004, S. 106 - 109. Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 4 u. Binder, S. / Bowers, T. / Yung, W., 2004, S. 83 u. The Economist (Hrsg.), 2004d, S. 20 - 22 u. Li, S., 2004, S. 102 – 105. Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 20 u. Economist Intelligence Unit (Hrsg.), 2004, S. 79 u. Binder, S. / Bowers, T. / Yung, W., 2004, S. 83.
132
Transfer des Tensors
Abbildung 6 illustriert die Veränderung. Mit dem Übertrag der in Deutschland bestehenden Branchensegmentierung auf die neue Region China ist der Tensor für die nächsten Schritte des Prozesses definiert. Die neue regionale Kategorie „China“ eröffnet neue Felder, deren Potenziale im nächsten Schritt evaluiert werden.
133
Evaluation der neuen Kategorien
4.3 Evaluation der neuen Kategorien
Mature
Emerging
Transfer Evaluation
Mutation
Rückkopplung
Die geografische Expansion der Geschäftstätigkeit nach China hat neun neue Geschäftsfelder entstehen lassen, welche in den Dimensionen „Leistungsangebot“ und „Zielgruppe“ den Segmenten in den etablierten Märkten entsprechen.
Neue Geschäftsfelder
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Abbildung 7
Bei der Evaluation dieser neu entstandenen Felder muss zwischen Roten und Blauen Ozeanen unterschieden werden. Während in den Roten Ozeanen der Fokus der Strategie auf der Etablierung eines Wettbewerbsvorteils gegenüber der Konkurrenz liegen wird, bieten Blaue Ozeane ohne den Druck konkurrierender Unternehmen die Chance zur Konzentration auf die Wertschöpfung für die Kunden.365
365
Vgl. Ohmae, K., 1988, S. 149.
134
Transfer des Tensors
Wie in den etablierten Märkten366 sind auch in der VR China alle neun Segmente, die aus der Kombination der drei Zielgruppen- mit den drei Leistungsangebotskategorien entstehen, bereits von lokalen oder internationalen Anbietern besetzt.367 Die Anzahl der Anbieter liegt mit 29 Lebensversicherungs- und 29 Nicht-Lebensversicherungsgesellschaften368 noch deutlich unter der Zahl der konkurrierenden Unternehmen in etablierten Märkten. So konkurrieren z. B. auf dem amerikanischen Markt über 1200 Lebensversicherungsunternehmen um ihre Marktanteile.369 Doch auch in der VR China ist bereits ein heftiger Konkurrenzkampf entbrannt, der sich in sinkenden Preisen und Margen niederschlägt; und immer neue lokale und internationale Anbieter drängen auf den Markt.370 Keines der neun Segmente bietet Möglichkeiten, diesem Konkurrenzkampf auszuweichen. Es handelt sich bei allen neun Feldern um Rote Ozeane, in denen sich das Unternehmen wie in den etablierten Märkten mit der Konkurrenz auseinandersetzen muss. Doch in der Art des Wettbewerbs gibt es zwischen den Triademärkten und der VR China erhebliche Unterschiede.
4.3.1 Unterschiede zu etablierten Märkten Versicherungsbewusstsein Ein wesentlicher Unterschied zwischen etablierten Märkten und der VR China im Speziellen und Emerging Markets im Allgemeinen ist das Versicherungs- und Risikobewusstsein der Kunden. „In China insurance was not known 20 years ago for example and this is for an emerging market, especially for China, a new thing. Insurance was and is not that understood like in an established market, and insurance awareness must still be much improved. And another specialty for example for the Chinese market is that whenever people mention insurance they automatically think into investment. That means the customers are more in a mindset by the different thinking in the beginning of the introduction of insurance in China. They were educated that insurance was an instrument of investment. Normally they ask the question: I give so much, how much can you return to me? I think the insurance awareness in western coun-
366 367 368 369
370
Vgl. Rejda, G., 2003, S. 111 – 510 u. Williams, A. / Smith, M. / Young, P., 1998, S. 506 – 650. Vgl. Chen, D., 2004, S. 3 –32 u. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 9 – 19. Vgl. Swiss Re (Hrsg.), 2004b, S. 24. Die Zahlen beziehen sich auf den August 2004. Ende 2000 gab es in den USA 1268 private Anbieter von Lebensversicherungen [Vgl. Rejda, G., 2003, S. 513]. Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 14.
Evaluation der neuen Kategorien
135
tries is more established, is more rightly understood that this protection is for unforeseeable occurrences.”371
Der Gedanke ist in China noch nicht sehr ausgeprägt, für den Transfer eines Risikos und eines möglichen zukünftigen Schadens eine Prämie zu bezahlen. Es gibt nur eine geringe Einsicht, dass die Prämie dafür bezahlt wird, dass die Versicherung das Risiko übernimmt und damit verhindert, dass der Versicherungsnehmer im Schadensfall vor finanziellen Verpflichtungen steht, denen er alleine nicht nachkommen kann.372 Es gibt innerhalb der Segmente Unterschiede in der Ausprägung des Risikobewusstseins. Generell ist es bei den Industriekunden am stärksten ausgeprägt, und hier insbesondere bei den ausländischen Kunden und den chinesischen Kunden mit internationaler Geschäftstätigkeit. Privatkunden haben ein schwächer ausgeprägtes Risikobewusstsein.373 Der durchschnittliche chinesische Kunden verbindet mit Versicherungen den Gedanken eines Investments, bei dem er zu einem späteren Zeitpunkt seine eingezahlten Prämien mit einer Rendite ausgezahlt bekommt, und nicht eines Instruments des Risikomanagements.374 Eine Ursache hierfür ist das Bildungsniveau. Die Versicherungsdurchdringung und -dichte eines Landes hat eine hohe Korrelation mit dem Bildungsniveau.375 Auch wenn China in den letzten Jahrzehnten im Bildungssektor große Fortschritte gemacht hat und die durchschnittlichen Ausbildungsjahre pro Person von einem Jahr im Jahre 1950 auf gegenwärtig 7.1 Jahre gesteigert wurden, liegt die durchschnittliche Ausbildungszeit noch deutlich unter einem Wert von 13 bis 14 Jahren, wie er in Europa oder Amerika üblich ist.376 Ein zweiter Grund für das niedrige Versicherungsbewusstsein ist die Erfahrung der Menschen mit der Versicherungswirtschaft. Im Vergleich zu der über 100-jährigen Geschichte der Versicherungsbranche in den USA oder Deutschland, entwickelt sich
371 372
373 374 375
376
Interviewpartner 15, 2005, S. 1. Vgl. Interviewpartner 9, 2005, S. 1 u. Interviewpartner 14, 2005, S. 1 u. Interviewpartner 17, 2005, S. 1 u. Interviewpartner 7, 2005, S. 1 - 2. Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 1 u. Interviewpartner 2, 2005, S. 1. Vgl. Interviewpartner 9, 2005, S. 1. Vgl. Chen, D., 2004, S. 8. Unter Versicherungsdurchdringung wird der Anteil der Versicherungsprämien am BIP verstanden und unter Versicherungsdichte die Versicherungsprämien pro Einwohner [Vgl. Chen, D., 2004, S. 8]. Vgl. Hu, A., 2003, S. 50.
136
Transfer des Tensors
in der VR China eine konkurrierende Versicherungswirtschaft erst seit weniger als 20 Jahren.377 Diese beiden Ursachen für das wenig ausgeprägte Versicherungsbewusstsein der chinesischen Kunden werden sich in den nächsten Jahren stark reduzieren.378 Der dritte Grund für die Unterschiedlichkeit ist jedoch tiefer verwurzelt: Die chinesische Kultur unterstützt nicht den Gedanken der Risikovorsorge. „People are habited to speak about the fortune, about future, about perspectives, great things. People do not intend to talk about risks in the future, risks that can happen to him or her. […] this is not superstition but is something linked with oriental culture. People don’t want to talk about some unhappy things, which maybe seem impossible to him or her.”379
Die chinesische Kultur unterstützt die Konzentration auf positive zukünftige Entwicklungen und nicht die Auseinandersetzung mit möglichen Unglücksfällen. Dies nicht zu unterschätzende Phänomen ist tief in der chinesischen Gesellschaft verwurzelt.380 Das Bewusstsein für den Gedanken des Risikotransfers wird sich in der VR China mit dem steigenden Bildungsniveau, der internationalen Öffnung und dem zunehmenden Engagement ausländischer Anbieter weiter entwickeln. Hierbei wird es sich aber um einen langfristigen Prozess handeln, der nur sehr langsam breite Bevölkerungsschichten erfassen wird.
Vertrauen Ein weiterer Unterschied zwischen etablierten Märkten und Emerging Markets ist das Vertrauen in die Versicherungs- und Finanzwirtschaft.381 „Die Frage ist natürlich: Wo haben die Kunden Vertrauen? Sie müssen sehen, dass in sehr vielen dieser Länder Bank- und Finanzsysteme alle Dekaden kollabiert sind. Wenn die Finanzsysteme nicht kollabiert sind, sind die Währungen kollabiert. Also alles, was man sich jahrelang erspart hat, fällt dann weg.“382
377 378 379 380 381 382
Vgl. Interviewpartner 15, 2005, S. 1 u. Interviewpartner 17, 2005, S. 2 u. Swiss Re (Hrsg.), 2004b, S. 23. Vgl. Hu, A., 2003, S. 50 u. Interviewpartner 13, 2005, S. 3. Interviewpartner 15, 2005, S. 2. Vgl. Interviewpartner 17, 2005, S. 2. Vgl. Interviewpartner 2, 2005, S. 1. Interviewpartner 10, 2005, S. 2.
Evaluation der neuen Kategorien
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Die Versicherungswirtschaft in China hat ein besonders negatives Image, das über ein allgemeines Misstrauen in das Finanzsystem hinausgeht. Die lokalen Versicherungsgesellschaften haben mit kaum ausgebildeten und schlecht bezahlten Vertretern, mangelhafter Beratung und fahrlässigen oder auch vorsätzlichen Fehlinformationen ihre Versicherungspolicen an die unerfahrenen Kunden verkauft. Viele versprochene Leistungen wurden im Schadensfall nicht erbracht.383 Dementsprechend schlecht ist das Image der Branche, und da Versicherungen keine Sachgüter verkaufen, sondern ein Versprechen auf eine zukünftige Leistung, ist das Vertrauen der chinesischen Kunden in die Versicherungsunternehmen nicht hoch entwickelt. „And the people here have a very bad feeling towards the insurance industry. I think the most important problem or the worst problem is the image of the insurance industry.”384
Kombiniert mit dem nur schwach ausgeprägten Risikobewusstsein ist das schlechte Image der Versicherungsunternehmen ein großes Hindernis für das Erreichen der Zielgruppen. Wenn es gelingt, diese Hürden zu überwinden, gibt es einen weiteren deutlichen Unterschied zwischen den chinesischen Kunden und den Kunden in etablierten Märkten.
Preissensitivität „Im Endeffekt läuft es im chinesischen Markt immer auf eines hinaus und das ist der Preis. Entschieden wird über Preis.“385
Der Preis hat im chinesischen Markt branchenübergreifend eine hohe Bedeutung bei der Entscheidung der Konsumenten über die Wahl des Anbieters.386 „Sie kennen es wahrscheinlich schon, die Chinesen schauen sehr stark aufs Geld, egal, wie die Qualität ist, Hauptsache es ist billig.“387
Eine Hauptursache hierfür ist die mangelnde Wahrnehmung möglicher Qualitätsunterschiede durch die chinesischen Kunden, welche als Versicherungsunternehmen in vie383 384 385 386 387
Vgl. Li, S., 2004, S. 104. Interviewpartner 17, 2005, S. 1. Interviewpartner 3, 2005, S. 1. Vgl. Interviewpartner 16, 2005, S. 1. Interviewpartner 1, 2005, S. 1.
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Transfer des Tensors
len Fällen nur die staatlichen Anbieter kennen, deren Qualität in Service und Schadensregulierung weit unter dem internationalen Standard liegt. Diese starke Preissensitivität der Nachfrage gibt branchenübergreifend den lokalen Anbietern einen Vorteil, welche in den meisten Fällen günstiger als die internationalen Konkurrenten anbieten. Erstens können sie oft zu geringeren Kosten produzieren und zweitens haben sie in vielen Fällen nicht den Druck der Kapitalgeber auf eine im internationalen Vergleich angemessene Kapitalrendite. Insbesondere für die eng mit dem Staat verbundenen Unternehmen ist die Umsatzentwicklung wichtiger als der Gewinn. Unterstützt wird dies durch eine großzügige Finanzierung seitens der staatlich kontrollierten Banken.388 Es zeichnet sich jedoch in vielen Branchen eine Trendänderung ab.389 “The Chinese suppliers probably reach about 90 % or 80 %, but they are selling at 50 % in price. So it looks very attractive, because you pay 50 % and you get 80 %. But one of these days everybody wants to have 100 %, then everybody has to pay the price for 100 %.”390
In Emerging Markets gleichen sich die Ansprüche an Qualität und Service sehr schnell den etablierten Märkten an, wenn die entsprechenden Angebote auf dem Markt sind, die Kunden die Differenzen selber erleben können und dadurch die entsprechenden Begehrlichkeiten geweckt werden.391 Hier bietet sich auch einer der ersten Punkte, an denen ausländische Anbieter einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren lokalen Konkurrenten aufbauen könnten.
4.3.2 Wettbewerbsvorteile Da es sich bei allen neun Segmenten in der chinesischen Region um Rote Ozeane handelt, die bereits von Konkurrenzunternehmen besetzt sind, besteht keine Möglichkeit mehr, in diesen Feldern einen first mover advantage zu erzielen. Ein Eintritt in diese Segmente ist nur attraktiv, wenn das Unternehmen über einen Wettbewerbsvorteil verfügt, mit dem es sich von der Konkurrenz abheben kann.
388 389 390 391
Vgl. Bremner, B., 2005, S. 24. Vgl. Interviewpartner 1, 2005, S. 1 u. Interviewpartner 6, 2005, S. 6. Interviewpartner 6, 2005, S. 6. Vgl. Interviewpartner 13, 2005, S. 2.
Evaluation der neuen Kategorien
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Für ausländische Unternehmen zeichnen sich auf dem chinesischen Versicherungsmarkt segmentsübergreifend mögliche Ansätze für den Aufbau eines Differenzierungsmerkmals gegenüber der lokalen Konkurrenz ab.
Technologie / Produkt Know-how Branchenübergreifend ist ein deutlicher Vorteil der ausländischen Firmen in der VR China die fortschrittlichere Technologie bzw. das überlegene Produkt Know-how.392 „Das wichtigste ist natürlich immer die Technologie. Für die meisten Produktbereiche ist meistens die westliche Qualität einfach noch besser. Das heißt, man muss natürlich die Technologie einsetzen. Man kann hier nicht mehr mit veralterter Technologie Geld machen. Das können die Chinesen besser. Man muss hier schon mit der aktuellsten Technologie arbeiten, und dann aber auch versuchen, die Qualitätsstandards einzuführen. Das ist natürlich schwierig, weil es vom Personal abhängt. Das dauert eine Weile, bis man das erreichen kann. Aber nur über die Qualität kann man hier den Unterschied machen.“393
Was im produzierenden Gewerbe die Technologie ist, ist in der Versicherungsbranche das Produkt Know-how. In der Anzahl und Ausgestaltung der Versicherungsangebote liegen der chinesische Markt und die lokalen Anbieter noch unter dem Standard etablierter Märkte.394 „Ganz klar für mich ist einfach Know-how. Was hier fehlt ist ganz klar das Knowhow.“395
Doch auch wenn das Produkt Know-how der offensichtlichste Vorteil ist, der sehr schnell aus den etablierten Märkten nach China transferiert werden kann, sind die Möglichkeiten einer Abschirmbarkeit gegenüber der Konkurrenz nur von kurzfristiger Dauer. „Because Chinese, I don’t know, they are learning very fast. They are so fast. They had learned, how to do it. So they preferred, to do it on their self.”396
392 393 394
395 396
Vgl. Interviewpartner 3, 2005, S. 1. Interviewpartner 1, 2005, S. 6. Vgl. Interviewpartner 14, 2005, S. 2 u. Interviewpartner 2, 2005, S. 2 u. Interviewpartner 12, 2005, S. 2 u. Interviewpartner 13, 2005, S. 5. Interviewpartner 9, 2005, S. 2. Interviewpartner 16, 2005, S. 9.
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Transfer des Tensors
Insbesondere in der Versicherungsbranche kann das Produkt leicht kopiert werden. Die chinesischen Wettbewerber holen sehr schnell auf und der Vorsprung der ausländischen Anbieter auf diesem Feld wird sich weiter verkleinern.397 „Was Wissenstransfer angeht: Es wird jetzt nicht darum gehen, wer hat das bessere Hausratsversicherungskonzept oder so was. D. h. also hier ist genügend Fachwissen auch vorhanden, das jetzt hier in der chinesischen Versicherungswirtschaft Aktuare mehr und mehr eingeführt werden. Also auch hier ist jetzt das versicherungstechnische Fachwissen nicht der Bereich, wo wir [... ]groß glänzen können, sollen oder müssen. Sicherlich gibt es in einigen Bereichen, gerade im Industrieversicherungssegment, ein paar Segmente, wo das lokale Know-how nicht so gut ist [...], hier z. B. Produkthaftpflicht oder einige technische Versicherungsrisiken. Aber das ist eine Sache, die ist sehr schnell kopierbar.“398
So bietet das vorhandene Produkt Know-how in internationalen Unternehmen einen Wissensvorsprung, der schnell in den chinesischen Markt transferiert werden kann. Doch dieses Know-how bietet keine Grundlage für einen langfristigen Wettbewerbsvorteil, weil es nicht gegenüber der Konkurrenz abschirmbar ist.
Produkt Know-how
Wettbewerbsvorteil
Aufbau
Abschirmbarkeit
Produkt Know-how
Kurzfristig
Gering
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Tabelle 1
Tabelle 1 fasst die Beurteilung des Wettbewerbsvorteils Produkt Know-how mit den beiden Kriterien Aufbau und Abschirmbarkeit zusammen. Aufbau gibt wieder, welchen zeitlichen Ansatz die Etablierung des Wettbewerbsvorteils benötigt. Für das Produkt Know-how wird dies als kurzfristig möglich bewertet. Abschirmbarkeit beschreibt die Möglichkeiten des Unternehmens, einen einmal aufgebauten Vorteil vor Nachahmung durch die Konkurrenz zu schützten. Die Abschirm-
397 398
Vgl. Interviewpartner 14, 2005, S. 2. Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 5.
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barkeit des Produkt Know-hows wird wegen der schnellen Kopierbarkeit als gering eingestuft.
Management Know-how „Das eine ist das Know-how von dem Produkt, das zweite ist management-skill, Management-Technik, weil mein Eindruck ist: In einer traditionellen chinesischen Firma ist die Management-Technik nicht so entwickelt. D. h. die efficiency von einer ausländischen Firma ist sehr hoch, viel höher als von einer chinesischen Firma.“399
Neben dem überlegenen Produkt Know-how war der am häufigsten genannte Punkt für einen Wettbewerbsvorteil ausländischer Unternehmen in der VR China das weiter entwickelte Management Know-how. Vielen chinesischen Unternehmen fehlen die notwendigen Planungs- und Managementkapazitäten, um die vorhandenen Ressourcen strukturiert und zielgerichtet einzusetzen.400 „Aber gerade in China, wo wir sagen, dass früher die Planwirtschaft dominierte, haben die Leute keinerlei Ahnung vom Plan. Das muss jetzt wirklich von modernen Systemen gelernt werden: Planmäßig zu arbeiten, systematisch Sachen aufzubauen.“401
Dieser Vorsprung in der Fähigkeit strukturierten Arbeitens, welcher sich in überlegene Prozesse überträgt, kann zu Effizienzvorsprüngen gegenüber der lokalen Konkurrenz ausgebaut werden. Ein Wettbewerbsvorteil durch überlegenes Prozess Know-how lässt sich kurz- bis mittelfristig durch den Transfer aus den etablierten Märkten und die Ausbildung lokalen Personals aufbauen, kann jedoch auch von der Konkurrenz durch Abwerbung der qualifizierten Mitarbeiter kopiert werden.402
399 400
401 402
Interviewpartner 12, 2005, S. 2. Vgl. Interviewpartner 12, 2005, S. 2, Interviewpartner 5, 2005, S. 7, Interviewpartner 10, 2005, S. 3, Interviewpartner 17, 2005, S. 6, Interviewpartner 2, 2005, S. 2, Interviewpartner 14, 2005, S. 2, Interviewpartner 16, 2005, S. 7, Interviewpartner 6, 2005, S. 3 u. Interviewpartner 8, 2005, S. 3. Interviewpartner 5, 2005, S. 7. Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 15.
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Transfer des Tensors
Management Know-how Wettbewerbsvorteil
Aufbau
Abschirmbarkeit
Management Know-how
Mittelfristig
Mittel
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Tabelle 2
Service „You have to look at the history. Customer service in the communist regime does not exist. Everybody wear blue, so I mean no real going and tailoring to the customer. So a lot of the companies are bringing that extra: Care.“403
Durch die lange Monopolisierung des chinesischen Markets und den Staat als einzigen Anteilseigner waren die chinesischen Unternehmen lange Jahre nicht gezwungen, sich im Wettbewerb um die Gunst der Kunden zu behaupten. Der Kunde stand nie im Mittelpunkt ihrer Bemühungen. “If you look at developing countries: That history of government backing of those big players is quite strong. In terms of concentration in customers service it is somehow weak. Consumers want to give other players a try of. They can receive better services.”404
Mit einer wirklichen Konzentration auf die Bedürfnisse der Kunden können sich die ausländischen Unternehmen in der Servicequalität deutlich von den lokalen Konkurrenten abheben. Aus dem Wettbewerb in den etablierten Märkte sind die Unternehmen gezwungen, den Kunden in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zu stellen. Wenn die Übertragung dieser Haltung auf den chinesischen Markt gelingt, stellt dies einen nur schwer kopierbaren Wettbewerbsvorteil dar.405 “So it’s pretty much moving the care, the hospitality the Chinese have, which is in their culture, incorporating it into the business.”406
Während die Rückstande im Produkt und Management Know-how schon in den Fokus der chinesischen Unternehmen gerückt sind und sie starke Anstrengungen zum Schlie403 404 405 406
Interviewpartner 4, 2005, S. 2. Interviewpartner 11, 2005, S. 6. Vgl. Interviewpartner 4, 2005, S. 2 u. Interviewpartner 17, 2005, S. 6. Interviewpartner 4, 2005, S. 2.
143
Evaluation der neuen Kategorien
ßen dieser Lücke unternehmen, ist die Diskrepanz beim Service noch eindeutiger und bietet ausländischen Unternehmen eine große Chance.407 “This might be a secret of success, about the service.”408
Durch die Transferierung des kundenorientierten Ansatzes aus den etablierten Märkten und die Schulung der chinesischen Mitarbeiter kann sich ein junges Unternehmen mit der Qualität des Services von der lokalen Konkurrenz abheben. Dieser Vorsprung ist dann nur schwer kopierbar. Selbst wenn die Wettbewerber den Wettbewerbsvorteil rational erkennen, wird es für sie nur langfristig möglich sein, in einer etablierten Organisation diesen Service-Gedanken zu implementieren.409
Service
Wettbewerbsvorteil
Aufbau
Abschirmbarkeit
Service
Mittelfristig
Hoch
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Tabelle 3
Image Ein weiterer Wettbewerbsvorteil kann aus dem mangelnden Vertrauen der Kunden in die Versicherungsbranche erwachsen. „The funny thing about the Chinese population is that many Chinese people don’t really trust their own national companies. Most Chinese people don’t take pride in their own national monopolists, say PICC or PingAn. […]. Because I think that is also related to the image problem. I think people in this country think foreign companies are more trustworthy than those corrupt state owned enterprises. It’s
407 408 409
Vgl. Li, S., 2004, S. 104. Interviewpartner 16, 2005, S. 6. Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 9.
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Transfer des Tensors
not corrupt, but many people really think. I think they really think about corruption, when the insurance industry is mentioned.”410
Das unseriöse Geschäftsgebaren vieler chinesischer Versicherungsanbieter hat das Renommee der Branche und der großen lokalen Anbieter schwer beschädigt, so dass viele Konsumenten das Vertrauen in die einheimischen Unternehmen verloren haben. Auch wenn die Markennamen westlicher Versicherungen in China weitgehend unbekannt sind, haben sie zumindest keine negatives Image und den Vorteil, als ausländische Marken und Anbieter wahrgenommen zu werden.411 Insbesondere deutsche Firmen genießen in China einen Ruf hoher Seriosität. “I think the first advantage is the reputation. Chinese people regard the German companies as very honest, very credible partners. People like to do business especially with German companies. For example for the insurance companies people like to put money there. They know they can get the money back when something happened. Yes, that’s the most important thing.”412
Der unbefleckte Markenname kann zum Aufbau einer vertrauensvollen Kundenbeziehung genutzt werden, die sich durch Transparenz der Leistungen von der Willkür der lokalen Wettbewerber abhebt. Während bei den chinesischen Unternehmen oft persönliche Beziehungen die Leistungen der Versicherungen bestimmten, besteht eine Möglichkeit zur Differenzierung in klaren vertraglichen Regelungen, welche die versprochenen und wirklich erbrachten Leistungen in Einklang bringen.413 „Ja oder Nein. Es sorgt einfach für Klarheit, und Klarheit schafft Vertrauen, und Vertrauen ist Kultur, und Vertrauen ist das Produkt. Da sehe ich einfach den großen Vorteil.“414
Im Vergleich zum Produkt und Prozess Know-how ist der Aufbau einer vertrauensvollen Kundenbeziehung und eines positiven Images das langwierigste Vorhaben, bietet jedoch die Möglichkeit zum Aufbau eines Wettbewerbsvorteils, der langfristig abschirmbar ist. „Das wird dann die eigentliche Trumpfkarte sein und nicht das kurzfristig billigere Produkt. Weil ein Preis kann jederzeit von jedem unterschritten werden, aber ein Image und eine Beziehung zu einem Stakeholder, sei es jetzt Kunde, Gesell410 411 412 413 414
Interviewpartner 17, 2005, S. 6. Vgl. Interviewpartner 4, 2005, S. 6, Interviewpartner 2, 2005, S. 2 u. Interviewpartner 16, 2005, S. 10. Interviewpartner 8, 2005, S. 3. Vgl. Interviewpartner 13, 2005, S. 6 und Interviewpartner 7, 2005, S. 7. Interviewpartner 13, 2005, S. 6.
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Evaluation der neuen Kategorien
schaft, Behörde, Shareholder; diese Sachen können nicht oder nur sehr schwer kopiert werden. Das sind dann nach meiner Ansicht die wahren Wettbewerbsvorteile, d. h. das Image und die Beziehungen zu den Stakeholdern.“415
Image
Wettbewerbsvorteil
Aufbau
Abschirmbarkeit
Image
Langfristig
Hoch
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Tabelle 4
Innovationsfähigkeit Eine Schwäche der chinesischen Unternehmen hat ihre Wurzeln bereits im Ausbildungssystem der Schulen und Universitäten: Das autoritäre Lehrer-SchülerVerständnis fördert sehr stark die Vermittlung von Fachwissen, unterstützt aber nicht die Kreativität der Schüler. Dies setzt sich an den Universitäten fort, wo die Studenten nicht zum Entwickeln eigener Lösungen sondern zum Auswendiglernen vorgegebenen Wissens gefördert werden.416 Dieses Verständnis drückt sich auch in den Unternehmen aus, welche von einem starken hierarchischen Verständnis geprägt sind. Der Vorgesetzte wird als eine Autorität gesehen, dessen Urteil nicht hinterfragt wird. Der Untergebene führt die Weisungen seines Vorgesetzten aus und sieht es nicht als seine Verantwortung, abweichende Ansichten zu thematisieren. Dadurch wird die Entwicklung neuer Lösungsansätze, die sich bottom-up entwickeln könnten, in vielen Fällen unterdrückt. Während chinesische Unternehmen eine große Neugier und Lernfähigkeit nach außen zeigen und die Ansätze ausländischer Unternehmen intensiv beobachten und mit gro-
415 416
Interviewpartner 7, 2005, S. 7. Vgl. Interviewpartner 5, 2005, S. 8 u. Einhorn, B., 2005, S. 79.
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Transfer des Tensors
ßer Geschwindigkeit nachahmen können,417 wird das Kreativpotenzial der eigenen Mitarbeiter oft nicht genutzt, wodurch selten eigene innovative Lösungen entstehen.418 Ein Unternehmen, welches die Mitarbeiter ermutigt, sich aktiv in die Entwicklung neuer Lösungen einzubringen und die kritische Diskussion des Bestehenden zulässt, kann ein Innovationspotenzial entwickeln, welches es von der Konkurrenz abhebt. Der Aufbau einer solchen Innovationskultur ist ein sehr langwieriges Ziel, kann aber ein Wettbewerbsvorteil sein, der nur schwer kopierbar ist. „Kultur ist nichts, was man befiehlt, auch Tafeln an der Wand haben wenig Aussagekraft. Es ist eine Sache, die gelebt wird und auch hier: Leben ist nicht an einer geraden Schnur gezogen. Es muss sich entwickeln, und es gibt Ausschläge nach links, es gibt Ausschläge nach rechts, nur je mehr wir dieses Leben leben lassen, desto konsistenter kann es sich entwickeln.“419
Innovationsfähigkeit
Wettbewerbsvorteil
Aufbau
Abschirmbarkeit
Innovationsfähigkeit
Langfristig
Hoch
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Tabelle 5
Das folgende Kapitel stellt die durch den Transfer des Tensors in die VR China entstandenen Optionen zusammenfassend dar.
417 418 419
Vgl. Interviewpartner 13, 2005, S. 9 u. Interviewpartner 16, 2005, S. 9. Vgl. Williamson, P. / Zeng, M., 2004, S. 86. Interviewpartner 7, 2005, S. 12.
147
Evaluation der neuen Kategorien
4.3.3 Zusammenfassung: Optionen des Transfers Eine Evaluation der durch den Transfer des Branchentensors auf die VR China neu entstandenen Felder bringt folgende Ergebnisse: 1. Durch die lineare Erweiterung des Branchentensors sind 9 neue potenzielle Geschäftsfelder entstanden. Die Erweiterung des Branchentensors um die Kategorie „China“ in der Dimension „Region“ hat neun neue Segmente entstehen lassen, die potenzielle Geschäftsfelder darstellen. Dabei wurden die beiden Dimensionen „Leistungsangebot“ und „Zielgruppe“ unverändert auf die neue regionale Kategorie „China“ transferiert; weshalb die neu entstandenen Geschäftsfelder als „Optionen des Transfers“ bezeichnet werden. Optionen des Transfers Optionen des Transfers
9 Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Abbildung 8
2. Bei allen Felder handelt es sich um Rote Ozeane, die bereits von Konkurrenzunternehmen besetzt sind.
In allen der neu entstandenen Geschäftsfelder stehen bereits Unternehmen im Wettbewerb miteinander und es bieten sich keine Möglichkeit eines first mover advantages. Rote Ozeane versus Blaue Ozeane
Optionen des Transfers
Rote Ozeane
9
9
Blaue Ozeane
0
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Abbildung 9
148
Transfer des Tensors
3. Felderübergreifend bestehen für ausländische Unternehmen Wettbewerbsvorteile, mit denen sie sich von der Konkurrenz differenzieren können.
Für die Roten Ozeane muss das Unternehmen zur Differenzierung gegenüber der Konkurrenz über einen Wettbewerbsvorteil verfügen. Für ausländische Unternehmen bestehen feldübergreifend verschiedene Vorteile. Diese unterscheiden sich in dem notwendigen Zeitansatz zum Aufbau des jeweiligen Differenzierungsmerkmals und in der Abschirmbarkeit. Dabei bieten die Differenzierungsmerkmale, welche den längsten Zeitansatz zum Aufbau benötigen, auch die besten Voraussetzungen zur Verteidigung. Der Wettbewerb in Emerging Markets im Allgemeinen und in China im Speziellen ist geprägt von einem kurzfristigen Planungshorizont. Dies betrifft das Nachfragverhalten der Kunden, welche sich auf Produkte konzentrieren, die ihnen einen Mehrwert in den nächsten Jahren oder sogar nur Monaten geben, wie auch der Unternehmen.420 „They only think, how to make it successful today, but they lacked the idea, how to make sure, that it continue to be successful in hundred of years. This is true for large company and even for smaller companies.”421
Geprägt durch eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung mit hohen Wachstumsraten wird ein sehr starker Fokus auf die Realisierung kurzfristig erreichbarer Erfolge gelegt.422 Dabei werden auf volkswirtschaftlicher wie auch auf Unternehmensebene oft die langfristigen Konsequenzen nicht berücksichtigt.423 Ein Unternehmen, welches es schafft, kurzfristige und langfristige Ziele in Einklang zu bringen, kann Wettbewerbsvorteile aufbauen, die in der Zukunft von der Konkurrenz nur sehr schwer imitierbar sind. Während viele lokale Unternehmen sich stark auf die Verbesserung ihres Produkt- und Management Know-hows konzentrieren, finden Felder wie Service, Image und Innovationsfähigkeit nur zurückhaltend Beachtung. Die Konzentration auf diese Themen verspricht keine kurzfristigen Erfolge, kann aber langfristig den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen. 424
420 421 422 423 424
Vgl. Interviewpartner 2, 2005, S. 1. Interviewpartner 16, 2005, S. 8. Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 15. Vgl. Interviewpartner 5, 2005, S. 8. Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 9.
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Evaluation der neuen Kategorien Wettbewerbsvorteile
Wettbewerbsvorteil
Aufbau
Abschirmbarkeit
Produkt Know-how
Kurzfristig
Gering
Management Know-how
Mittelfristig
Mittel
Service
Mittelfristig
Hoch
Image
Langfristig
Mittel
Innovationsfähigkeit
Langfristig
Hoch
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 4 – Tabelle 6
Im weiteren Verlauf der Evaluation müsste jetzt die Attraktivität der neun Branchensegmente untersucht werden, um anschließend mit einer Analyse der strategischen Ausgangslage zu einer Entscheidung zu kommen, in welchen Segmenten der Wettbewerb aufgenommen werden soll. Diese detaillierte Analyse wird hier jedoch nicht dargestellt werden, sondern der Fokus soll mit dem nächsten Schritt auf der Mutation des Tensors und der Suche nach Blauen Ozeanen liegen.
150
Mutation des Tensors
5 Mutation des Tensors Nachdem mit dem Transfer des Tensors die eigenen Geschäftsfelder definiert, auf den chinesischen Markt übertragen und evaluiert wurden, ergaben sich daraus Optionen für neue Geschäftssegmente. Ausgangsbasis für die Betrachtung der potentiellen Geschäftsfelder war jedoch immer die Struktur des Branchentensors in den etablierten Märkten. Diese ursprüngliche Definition hat die Räume festgelegt in denen sich die Überlegungen über neue Geschäftsmöglichkeiten bewegten. Die nächste Phase der Mutation des Tensors versucht, aus diesen vordefinierten Räumen auszubrechen und in neue Räume vorzudringen, die sich durch die Andersartigkeit des Emerging Markets eröffnen können. Dabei beginnt die Suche nach neuen Räumen mit der Hinterfragung der alten Grenzen.
5.1 Reflexion der Kategorien Mature
Emerging
Transfer
Mutation Reflexion
Rückkopplung
Die Definition der Variablen und Kategorien determiniert die Form des Tensors und die Räume, in denen ein Unternehmen nach Geschäftsmöglichkeiten sucht. Diese Begriffsbildung bestimmt aber auch, welche Räume für den Betrachter in der Unendlichkeit verborgen bleiben. Der Eintritt in einen neuen und in seiner Struktur andersartigen Markt offeriert die Chance, die Grenzen der eigenen Definition zu reflektieren, nach alternativen Räumen zu suchen und neue Felder zu entdecken. Nach dem Transfer des Branchentensors auf die neue Region China entspricht die Segmentierung dem Heimatmarkt. Ausgangsbasis für eine Mutation des Tensors ist die Hinterfragung der bestehenden Kategorisierung. Dabei kann sich das Vorgehen an den drei Dimensionen Leistungsangebot, Zielgruppe und Region orientieren.
151
Reflexion der Kategorien
5.1.1 Die Dimension: Region Wenn über die Region „China“ gesprochen wird, erscheint diese Bezeichnung zunächst eindeutig. Doch diese scheinbare Unmissverständlichkeit kann sich bei einem tieferen Blick trüben. Mit der Bezeichnung der Kategorie „China“ wurde in der regionalen Dimension aus der unendlichen Zahl der Alternativen eine mögliche Unterscheidung ausgewählt, doch welche alternativen räumlichen Kategorien, die nicht bezeichnet wurden, verbergen sich außer- und innerhalb des Begriffs „China“?
Die Suche in der Unendlichkeit der räumlichen Dimension
China
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 1
Abbildung 1 stellt mit der grauen Fläche dar, wie der Begriff „China“ etwas bezeichnet, dessen Begrenzung nicht eindeutig ist. Die graue Fläche verschwimmt an den Rändern und verschiedene Unterscheidungen sind möglich. In Form einer Ellipse lässt sich eine Grenze ziehen, die unterschiedet was graue Fläche ist und was nicht graue Fläche ist. 425 Der Begriff „China“ ist ähnliche wie die graue Fläche: Verschiedenste Unterscheidungen können determiniere, was ein- oder ausgeschlossen ist. 425
„Triff eine Unterscheidung“ [Spencer-Brown, G., 1997, S. 3]. Dies ist die erste Anweisung von SpencerBrown an einen Beobachter. Wer unterscheidet kann beobachten und wer beobachtet unterscheidet [Vgl. Winter, W., 1999, S. 88]. Unsere gesamte Wahrnehmung ist ein Treffen von Unterscheidungen. Wenn wir „Arbeiten“ unterscheiden wir es von „Freizeit“, wenn wir „Schlafen“ unterscheiden wir es von „Wach sein“ und wenn wir „Sprechen“ unterscheiden wir es von „Schweigen“ [Vgl. Osmetz, D., 2003, S. 40]. Eine Unterscheidung ist der Ursprung aller Beobachtung: Dies bedeutet in Spencer-Browns Worten, „dass ein Universum zum Dasein gelangt, wenn ein Raum getrennt oder geteilt wird.“ Die Unterscheidung (distinction) spaltet einen Raum in eine Innenseite (marked state) und eine Außenseite (unmarked state). Mit dieser Unterscheidung des marked state vom unmarked state kann nun der marked state bezeichnet werden. Diese zwei Schritte von Unterscheiden und Bezeichnen (indication) ermöglichen erst die Beobachtung [Vgl. Philipp, A., 2000, S. 48 – 49]. „Beobachten heißt unterscheiden und bezeichnen.“ [Simon, F. B., 1993, S. 45]. Alle Wahrnehmung eines Beobachters lässt sich zurückführen auf Grenzziehungen, eine Unterscheidung zwischen der Innen- und der Außenseite sowie der Bezeichnung der Innenseite [Vgl. Simon, F. B., 1993, S. 45].
152
Mutation des Tensors
Die teleskopische Suche nach alternativen Kategorien Im allgemeinen Verständnis wird mit China der Nationalstaat der VR China gleichgesetzt, wobei der Begriff auch weiter gefasst werden kann. So schließt aus chinesischem Verständnis China auch die Insel Taiwan mit ein und im westlichen Sprachgebrauch wird unter der Bezeichnung „Greater China“ die VR China, Hongkong und Taiwan verstanden.426 Unter China kann auch die VR China ausschließlich Hongkong verstanden werden, welches politisch Teil der VR China ist, administrativ aber unter dem Motto „Ein Land – zwei Systeme“ eine große Unabhängigkeit aufweist.427 Bei der Suche außerhalb der Region „Greater China“ erscheinen die angrenzenden asiatischen Länder, die durch nationalstaatliche Grenzen bereits definiert sind. Unübersichtlicher stellt sich die Suche nach alternativen Kategorien innerhalb des Begriffs „China“ dar.
Die mikroskopische Suche nach alternativen Kategorien „Insgesamt haben deutsche Unternehmen bisher vorwiegend Shanghai im Auge gehabt. Das war eigentlich gleichzusetzen: Geschäfte in China gleich Geschäfte in Shanghai.“428
Unter der Bezeichnung China versteckt sich eine Vielzahl an regionalen Kategorien und potenziellen Geschäftsfeldern, in denen ein Unternehmen tätig werden könnte. China ist in vielerlei Hinsicht ein zerrissenes Land. Besonders deutlich wird dies in regionalen Unterschieden: Der Osten unterscheidet sich vom Westen, ein prosperierender Küstenstreifen von dem unterentwickelten Hinterland und die Städte von den Dörfern.429 Welches China wird bezeichnet? Die Kommunistische Partei unterstreicht aus politischen Gründen die Homogenität Chinas: 95 % der Bevölkerung gehören zur Ethnie der Han-Chinesen und sind vereinigt durch eine gemeinsame Schrift und Kultur. Viele Anthropologen und Demografen sind jedoch wegen der großen regionalen Unterschieden in Sprache, Temperament, Einkommen, Kultur, Klima, Ernährung, Demografie und Geschichte anderer Meinung und kommen zu dem Schluss: Es gibt nicht ein China. Nur eine differenzierende Betrachtung wird der Vielfältigkeit der re-
426 427 428 429
Vgl. Seitz, K., 2003, S. 427 u. Erling, J., 2004, S. 59. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 421. Interviewpartner 3, 2005, S. 4. Vgl. Hein, C., 2005, S. 13.
Reflexion der Kategorien
153
gionalen Unterschiede gerecht und eröffnet den Blick auf die mannigfachen Möglichkeiten.430 Im Fokus der meisten Unternehmen liegen die drei urbanen ökonomischen Kraftzentren des Landes, die im Folgenden als Städte der 1. Schicht bezeichnet werden. Diese drei Großregionen liegen alle im östlichen Küstenstreifen Chinas. Peking im Norden. Shanghai mit dem Yangtze-Delta im Osten und das Perlflussdelta mit den beiden Metropolen Guangzhou und Shenzhen im Süden.431 Das Durchschnittseinkommen liegt in diesen drei Ballungsräumen weit über dem nationalen Durchschnitt.432 Shanghai als reichste Stadt Chinas ist das Zentrum der chinesischen Versicherungsbranche, in dem sich auch die meisten ausländischen Unternehmen angesiedelt haben. Peking und das Perlflussdelta sind als politischer Mittelpunkt bzw. als exportwirtschaftlicher Drehpunkt ebenfalls beliebte Standorte. Fast alle ausländischen Versicherer konzentrieren ihre Präsenz auf einen oder mehrere dieser Großräume. Obwohl die staatliche Limitierung von ausländischen Versicherern auf 15 definierte Städte aufgehoben wurde, hat kein Anbieter in mehr als 4 Städten Niederlassungen und die meisten konzentrieren sich gegenwärtig auf eine Region.433 Bei einem Blick über die Versicherungsbranche hinaus auf die verarbeitende Industrie ist schon eine weitergehende Entwicklung erkennbar. Während sich auch hier in der Anfangsphase die meisten Unternehmen auf diese drei Großräume konzentriert haben, verlassen jetzt immer mehr Unternehmen diese Standorte und wandern in Städte der 2. Schicht. Hierbei handelt es sich um weitere Millionenstädte in der Nähe der drei Großräume wie etwa Tianjin, Nanjing und Suzhou oder um prosperierende Städte im Landesinneren wie etwa Chongqin oder Chengdu. Die verbesserte Infrastruktur dieser Städte und insbesondere die steigenden Lohnkosten in den Metropolen sind die Ursachen dieser Bewegung.434 Langfristig wird sich diese Bewegung fortsetzen und auch auf die Städte der 3. Schicht übertragen, wenn die Lohnkosten und der Wettbewerbsdruck in den Städten der 2. Schicht zugenommen haben. Das Einkommensgefälle zwischen der Küste und
430 431 432 433 434
Vgl. Lague, D., 2006, S. 9 u. Interviewpartner 4, 2005, S. 5. Vgl. Interviewpartner 4, 2005, S. 5. Vgl. Schüler, M. / Nowak, C., 2004, S. 567/33. Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 10. Vgl. Roberts, D., 2005, S. 28 – 30 u. Interviewpartner 3, 2005, S. 4 u. Interviewpartner 6, 2005, S. 9.
154
Mutation des Tensors
den Städten im Landesinneren wird sich dabei verringern und die Serviceindustrie wird der verarbeitenden Industrie folgen.435 Getrennt von den Städten sind die ländlichen Gebiete zu betrachten, welche vom explosiven wirtschaftlichen Aufschwung nicht im selben Ausmaß profitieren konnten. Die Einkommensschere zwischen Stadt und Land ist immer weiter auseinander gegangen. Das niedrige Einkommen pro Einwohner, die schlechte Infrastruktur und die geringe Bevölkerungsdichte lassen ein unternehmerisches Engagement in diesen Gegenden nicht attraktiv erscheinen.436 Der Großteil der Versicherungsgesellschaften hat bisher die ländlichen Gebiete vermieden, weil sie dort keine Aussichten für ein profitables Geschäfts sehen. Vereinzelte Angebote im Bereich der Landwirtschaftsversicherung sind regional und vom Volumen her sehr begrenzt.437 „Wichtigste Erkenntnis: Es gibt keinen einheitlichen Markt, keine 1,3 Milliarden Kunden. China teil sich auf in Dutzende von Teilmärkten mit unterschiedlichen Besonderheiten, von der Sprache bis zur Kultur.“438
Suche nach alternativen regionalen Kategorien
Greater China
Ostasien Shanghai Peking Städte der 2. Schicht
Perlflussdelta Ländliche Gebiete
China = VR China Hongkong
Städte der 3. Schicht
Asien
Taiwan
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 2
Abbildung 3 stellt die Ergebnisse der Suche nach alternativen regionalen Kategorien dar. Außerhalb des Kreises sind die Ergebnisse der teleskopischen und innerhalb des Kreises die der mikroskopischen Suche abgebildet. Diese Alternativen müssen jetzt
435 436 437 438
Vgl. Interviewpartner 3, 2005, S. 4 u. Interviewpartner 6, 2005, S. 9. Vgl. Blume, G., 2004, S. 24 - 25. Vgl. Interviewpartner 15, 2005, S. 5. Erling, J., 2004, S. 59.
Reflexion der Kategorien
155
danach bewertet werden, ob sie für eine Geschäftstätigkeit einen signifikanten Unterschied mit sich bringen würden.
Alternative Unterscheidungen bewerten Die alternativen Kategorien außerhalb der VR China stellen keine neue Möglichkeiten dar und werden deshalb nicht weiter betrachtet. Dasselbe gilt für die Region Hongkong, welche von vielen Unternehmen als eigenständige regionale Kategorie betrachtet wird und auch weiterhin wegen ihrer administrativen Eigenständigkeit getrennt von dem Rest der VR China gesehen wird.439 Bei einem Engagement in der VR China bieten sich einem Unternehmen weit mehr als nur eine geografische Kategorie. Die Vielzahl der Provinzen, Regionen und Städte soll für die weitere Betrachtung zu folgenden Kategorien zusammengefasst werden. • Shanghai, • Peking, • Perlflussdelta, • Städte der 2. Schicht, • Städte der 3. Schicht, • Ländliche Gebiete. Die Städte der 1. Schicht Shanghai, Peking und das Perlflussdelta mit Guangzhou und Shenzhen stellen drei getrennte Märkte dar, in denen sich durch den wirtschaftlichen Aufschwung ein Großteil der Industrie konzentriert und sich eine gebildete und wohlhabende Mittelschicht etabliert hat.440 Das hohe Einkommens- und Bildungsniveau sowie die räumliche Konzentration machen diese Regionen sehr attraktiv. Demgegenüber steht eine starke Konkurrenz lokaler und internationaler Anbieter.441 Als Städte der 2. Schicht werden Städte verstanden, wenn sie im Einzugsbereich der drei o. g. Megastädte liegen oder mehr als eine Millionen Einwohner haben. Sie stan439 440 441
Vgl. Pak-Man Shuen, A., 2005, S. 38 – 41. Vgl. Enright, M., 2005, S. 18. Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 10.
156
Mutation des Tensors
den bisher nicht im Blickpunkt der Investoren und nur wenige ausländische Versicherungsanbieter sind bisher hierher vorgestoßen, was zu einer deutlichen einfacheren Konkurrenzsituation als in den Städten der 1. Schicht führt.442 Die Städte der 2. Schicht können zunehmend vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren und verfügen über eine gebildete Bevölkerungsschicht, welche den Zielgruppen in den drei großen Ballungszentren entspricht.443 Die Städte der 3. Schicht sind wegen ihrer Größe nicht so attraktiv wie die Städte der beiden ersten Schichten. Die Nachfrage nach Finanzprodukten ist nur schwach entwickelt und wenn es eine attraktive Zielgruppe gibt, wird sich der Aufbau eines rentablen Vertriebs durch das geringere Volumen als wesentlich schwieriger erweisen.444 Die ländlichen Gebiete unterscheiden sich in ihrer Struktur grundsätzlich von den anderen genannten Kategorien. Mit 800 Millionen Menschen leben über 60 Prozent der chinesischen Bevölkerung auf dem Land, womit fast jeder siebte Mensch auf der Welt ein chinesischer Bauer ist.445 Doch ihr verfügbares Einkommen pro Einwohner beträgt nur ungefähr ein Drittel der Stadtbewohner.446 Vom wirtschaftlichen Aufschwung profitierten auch die ländlichen Gebiete, doch ihre Entwicklung blieb weit hinter den Städten zurück. Von einem niedrigeren Ausgangsniveau sind die Einkommen auf dem Lande nur mit der halben Geschwindigkeit wie die städtischen Einkommen gestiegen.447 Die Errungenschaften der Modernisierung erreichten die ländlichen Gebiete nur selten. Die Landbevölkerung fühlt sich heute als die Verliererin der Wirtschaftsreformen.448 Das Sozialsystem berücksichtigt nur die Städter; Krankheit oder Unfall bedeutet in vielen Fällen auf dem Lande den finanziellen Ruin.449 “Farmers are not included in Chinese social security system. Only urban dwellers are enjoying pension, state house insurance and other social insurance. […]. So this 800 million population are left alone. And if they are sick, they go to hospital and pay, they will be on their own. If they retire, they have to rely on their children. There is no pension plan. There is no health insurance. Then you don’t talk
442 443 444
445 446 447 448 449
Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 11. Vgl. Roberts, D., 2005, S. 28 – 29. Die Unterteilung der Städte und Schichten kann noch weiter verfeinert werden, so wird auch von Städten der 4. Schicht gesprochen [Vgl. Lague, D., 2006, S. 10]. Im Weiteren wird jedoch eine Kategorisierung in drei Schichten verwendet, weil zwischen diesen signifikante Unterschiede bestehen, die bei einer weiteren Unterteilung nicht mehr erkennbar sind. Vgl. Blume, G., 2004, S. 24. Vgl. Schüler, M., 2004b, S. 566 / 32. Vgl. Murphy, D., 2004, S. 29 – 32. Vgl. Muscat, S., 2004a, S. 15. Vgl. Blume, G., 2005, S. 21 u. Muscat, S., 2004b.
Reflexion der Kategorien
157
about life insurance or the other insurance. So this is a blank market, really. I think, yes, this is a huge market.”450
Der Bedarf in den ländlichen Gebieten nach Versicherungsschutz ist gewaltig und die chinesische Regierung hat dies als eine ihrer großen Herausforderungen erkannt: „Because the central government has realized that the basic problem this country is facing is from the countryside. It’s a problem of countryside. It’s a problem of agriculture. It’s a problem of the farmers. […] If they are not able to get these three problems fixed, then they are losing the ground for existence. So therefore the central government pays strong attention to how to solve these problems. What are the major problems? For example medical insurance, for example pension, for example agriculture insurance; these are of crucial importance for the central government. But the local insurance companies are not willing to do that, because they are not making profit.”451
Das niedrige Einkommen pro Einwohner und die geringe Bevölkerungsdichte machen eine profitable Distribution von Versicherungen in den ländlichen Gebieten sehr schwer und noch hat kein lokaler oder internationaler Anbieter sich in diese regionale Kategorie vorgewagt.452 Diese sechs regionalen Kategorien werden im nächsten Schritt der Business Development Methodik danach betrachtet, ob sie für ein Unternehmen optionale Geschäftsfelder eröffnen können. Doch vorher sollen die weiteren Dimension des Tensors reflektiert werden.
5.1.2 Die Dimension: Leistungsangebot Die Dimension „Leistungsangebot“ setzt sich aus den drei Kategorien „Lebensversicherung“, „Krankenversicherung“ und „Sachversicherung“ zusammen.
Die teleskopische Suche nach alternativen Kategorien Die drei o. g. Bezeichnungen können unter dem Terminus „Versicherung“ subsumiert werden. Die triviale Feststellung, dass das Leistungsangebot der Versicherungsbranche aus Versicherungen besteht, ermöglicht den Blick über diese Begrenzung hinaus. 450 451 452
Interviewpartner 16, 2005, S. 6. Interviewpartner 15, 2005, S. 5. Vgl. Interviewpartner 15, 2005, S. 5 u. Interviewpartner 16, 2005, S. 6 und Interviewpartner 7, 2005, S. 4.
158
Mutation des Tensors
Dieser Ansatz wird international von Versicherungsunternehmen bereits verfolgt, die mit Bankprodukten oder Vermögensverwaltung in Geschäftsbereiche außerhalb des Versicherungsgeschäfts diversifizieren.453 Dabei sollen hier nicht die Chancen und Risiken einer Allfinanzstrategie erörtert sondern eine Besonderheit Chinas im Vergleich zu etablierten Märkten hervorgehoben werden. Risikobewusstsein und –management ist in China weit geringer entwickelt als in etablierten Märkten.454 Der wirtschaftliche Aufschwung des Landes hat viele unternehmerische Erfolgsgeschichten mit sich gebracht. Neben den großen Staatsbetrieben etablierten sich auch zahlreiche Unternehmen in privatem Besitz, die sich in Branchen wie Haushals- und Unterhaltungselektronik, Telekommunikationsausrüstung und Informationstechnologie ihren Platz in den Weltmärkten eroberten.455 Der chinesische Elektronikhersteller TCL, der das deutsche Unternehmen Schneider Elektronik aufgekauft hat und weiter auf den europäischen Markt vordringt,456 der Haushaltsgerätehersteller Haier, welcher den amerikanischen Markt für kleine Kühlschränke erobert hat,457 der Computerhersteller Lenovo mit seinem Kauf der PC Sparte von IBM, der Energiekonzern CNOOC, Huwai Technologies oder der Stahlkonzern Shanghai Baosteel haben weit über ihren Heimatmarkt heraus an Bedeutung gewonnen.458 Doch diese Erfolgsgeschichten sind nur die eine Seite des Aufschwungs. Über die vielen gescheiterten Unternehmen wird nur wenig geschrieben. Es standen die Chancen im Vordergrund und nicht die Risiken. Selbst hinter der erfolgreichen Fassade vieler großer Unternehmen verbergen sich viele ungelöste Probleme und Risiken.459 Ein großer Teil des Aufschwungs wurde mit Krediten finanziert, für deren Vergabe nicht eine fundierte Risikoanalyse der Banken ausschlaggebend war, sondern der Wille der offiziellen Stellen, das Wachstum voranzutreiben.460 Viele chinesische Unternehmen haben den Aufstieg an die internationale Spitze geschafft, doch jetzt stehen sie vor der Herausforderung, ihre Position auch zu behaupten. Zur Etablierung der eigenen Stellung wird ein professionelles Risikomanage-
453 454 455 456 457 458 459
460
Vgl. Scholzen, J., 2005, S. S. 40. Vgl. Interviewpartner 9, 2005, S. 1 und 7, 2005, S. 1. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 464. Vgl. Einhorn, B., 2003, S. 24 – 26. Vgl. Zeng, M. / Williamson, P., 2003, S. 95. Vgl. Balfour, F., 2005, S. 52 u. Zeng, M. / Williamson, P., 2003, S. 95. Vgl. Studwell, J., 2003, S. 226 – 228, The Economist (Hrsg.), 2005, S. 53 – 54 u. Enright, M., 2005, S. 16 – 20. Vgl. Bremner, B., 2005, S. 24.
Reflexion der Kategorien
159
ment461 notwendig sein. Das interne Know-how auf diesem Themengebiet ist bei einem Großteil der chinesischen Unternehmen noch nicht vorhanden und die Nachfrage nach externem Wissen und Dienstleistungen wird steigen.462 Versicherungen sind aus Sicht ihrer Kunden eine mögliche Technik im Rahmen des Risikomanagements, stellen aber nur ein Ausschnitt in einem größeren Prozess dar. Internationale Versicherungsunternehmen verfügen über ein Know-how, welches über den reinen Abschluss eines Versicherungsvertrages hinausgeht und auch die Aufgaben des Risikomanagements abdeckt: Die Identifikation, Evaluation, Kontrolle und Finanzierung potenzieller Schäden.463 Dies eröffnet die Möglichkeit, einem wachsenden Bedarf an Risikomanagement und einem fehlenden Know-how vieler lokaler Unternehmen die eigene Kompetenz auf diesem Gebiet gegenüberzustellen und als Beratungsdienstleistung anzubieten. Neben diesem Blick über das Produkt „Versicherung“ hinaus, wird im nächsten Schritt betrachtet, ob sich innerhalb der bestehenden Leistungsangebote alternative Möglichkeiten finden lassen.
Die mikroskopische Suche nach alternativen Kategorien Die bestehenden Versicherungsprodukte lassen sich alle unter eine der drei bezeichneten Kategorien „Lebensversicherung“, „Krankenversicherung“ oder „Sachversicherung“ subsumieren.464 Für die VR China sind keine Besonderheiten erkennbar, die Möglichkeiten für grundlegend neue Kategorien an Versicherungen eröffnen würden. Die mikroskopische Suche macht in der Dimension Leistungsangebot keine Alternativen sichtbar, die eine neue Kategorisierung rechtfertigen würden.
461
462
463 464
Unter Risikomanagement wird ein Prozess verstanden, der potenzielle Schäden für eine Organisation identifiziert und angemessene Techniken für die Handhabung dieser Schadenspotenziale auswählt [Vgl. Rejda, G., 2003, S. 38]. Vgl. Interviewpartner 16, 2005, S. 8 u. Interviewpartner 9, 2005, S. 3. Beispielsweise erlitt die erfolgreiche chinesische Brauerei „Tsingtao Beer“ einen schweren Rückschlag durch den plötzlichen Tod ihres CEOs. Es gab keinerlei Nach- oder Notfallplanung, die eine Kontinuität der Geschäftstätigkeit für einen solchen Unglücksfall sicherstellen konnte [Vgl. Interviewpartner 16, 2005, S. 8]. Vgl. Rejda, G., 2003, S. 39 u. Interviewpartner 9, 2005, S. 3. Vgl. für die Vielzahl an bestehenden Versicherungsprodukten z. B. http://www.gothaer.de oder http://www.allianz.de oder http://www.mannheimer.de .
160
Mutation des Tensors
Alternative Unterscheidungen bewerten
Suche nach alternativen Leistungskategorien Sachversicherung
Vermögensverwaltung Lebensversicherung Risk ManagementBeratung
Rückversicherung
Banking
Krankenversicherung
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 3
Die teleskopische Suche hat außerhalb der Unterscheidung „Versicherung“ Möglichkeiten für weitere Kategorien aufgezeigt. Die Alternativen „Rückversicherungen“, „Vermögensverwaltung“ und „Banking“ sind jedoch bereits aus den etablierten Märkten bekannt und nicht den Besonderheiten der VR China geschuldet sind. Deshalb sollen diese Möglichkeiten hier nicht weiter betrachtet werden. Die Unterscheidung „Risk Management Beratung“ ist den Besonderheiten der VR China geschuldet, wo viele Unternehmen im Gegensatz zu den etablierten Märkten nicht das interne Know-how haben, um die eigenen Risiken professionell zu handhaben. Dies bietet Möglichkeiten für das Leistungsangebot eines Versicherungsunternehmens, die im Weiteren genauer betrachtet werden sollen. Die mikroskopische Suche hat keine weiteren Alternativen aufgezeigt. Für die Dimension Leistungsangebot entstehen damit die folgenden Kategorien: • Lebensversicherung, • Krankenversicherung, • Sachversicherung, • Risk Management Beratung.
Reflexion der Kategorien
161
Im nächsten Abschnitt soll der Blick vom Angebot auf die Abnehmer gerichtet und die dritte und letzte Dimension des Tensors betrachtet werden.
5.1.3 Die Dimension: Zielgruppe Die Dimension „Zielgruppe“ wird in die drei Kategorien „Firmenkunden“, „Gewerbekunden“ und „Privatkunden“ unterteilt.
Die teleskopische Suche nach alternativen Kategorien Die drei definierten Kategorien systematisieren die potenziellen Kunden der Privatwirtschaft. Eine teleskopische Suche muss über die gezogenen Grenzen hinaus schauen und mögliche Kategorien suchen, die jenseits der definierten Bereiche liegen und von der bestehenden Kategorisierung ausgeklammert wurden. Alle drei Kategorien umfassen Kunden des privaten Sektors. Der öffentliche Sektor ist nicht erfasst und liegt außerhalb der definierten Zielgruppen. Eine teleskopische Suche kann die bestehende Fokussierung auf den Privatsektor erweitern und den öffentlichen Sektor in die Betrachtung miteinbeziehen. Die mikroskopische Suche nach alternativen Kategorien Nach dem teleskopischen Blick nach außen wendet sich die mikroskopische Suche in das Innere der bestehenden Kategorien. Dabei werden die drei bestehenden Kategorien der Dimension „Zielgruppe“ nacheinander betrachtet. In der Gruppe der Firmenkunden können in ihrem Nachfragverhalten unterschieden werden: Ausländische Firmen oder Firmen mit ausländischer Beteiligung und chinesische Firmen.465 Nach ihren Sicherheitsbedürfnissen können bei den Gewerbekunden genauer spezifiziert werden: Büros, Geschäfte, produzierende Betriebe und Restaurants. Das Einkommen der Privatkunden ist in letzten 20 Jahren rapide gestiegen. Gemessen an seinem Bruttonationaleinkommen hat sich China in den Kreis der größten Volkswirtschaften eingereiht und kann in seiner Bedeutung mit Ländern wie Deutschland, Großbritannien oder Frankreich verglichen werden.466 Bei Betrachtung des BNE
465 466
Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 1. Vgl. Weltbank (Hrsg.), 2006.
162
Mutation des Tensors
pro Einwohner fallen jedoch die deutlichen Unterschiede auf, die von einer Gleichsetzung Chinas mit diesen Ländern abhalten. Während das chinesische Nationaleinkommen sich in einer Größenordnung mit Frankreich und Italien befindet, ist das Einkommen pro Einwohner der chinesischen Bevölkerung zwar doppelt so groß wie bspw. das von Indien aber nicht einmal 1/37 des USamerikanischen.467 Abbildung 3 illustriert, dass Chinas Einkommen pro Einwohner nur ein kleiner Bruchteil der Industrieländer ist. Aus dieser Perspektive verbietet sich jede Gleichsetzung Chinas mit den Volkswirtschaften der Triade.
Bruttonationaleinkommen pro Einwohner 2004
41.400
USA
37.180
Japan 30.120
Deutschland
33.940
Großbritannien
30.090
Frankreich 1.290
China
26.120
Italien
28.390
Kanada 0
5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000 40.000 45.000
Quelle: Eigene Darstellung nach Weltbank (Hrsg.), 2006 Kapitel 5 – Abbildung 4
Eine Betrachtung der Einkommensverteilung erfordert, ebenso wie bei der Einkommensentwicklung, eine Unterscheidung zwischen der Periode bis zum Tode Maos und der Reformperiode unter Deng Xiaoping (ab 1978). In den 70er Jahren war die VR China wirtschaftlich eine der egalitärsten Gesellschaften der Welt.468 Vor 1978 war China ein Land, das bei einem sehr niedrigen Einkommen pro Einwohner eine sehr
467
468
Dieser Vergleich bezieht sich auf das Einkommen in US-$. Bei einer Berücksichtigung der lokalen Kaufkraft würde das chinesische Einkommen pro Einwohner auf 4390 $ steigen und wäre damit ungefähr 1/8 des amerikanischen. Vgl. Lin, B., 2003, S. 105.
Reflexion der Kategorien
163
ausgeglichene Einkommensverteilung hatte. Der GINI-Koeffizient469 als Aussagegröße für die Gleichmäßigkeit der Einkommensverteilung belegte mit 28,8 eine hohe Einkommensgleichheit im internationalen Vergleich (0 = vollständige Gleichheit, 100 = vollständige Ungleichheit). Diese Gleichartigkeit war im Sinne der KPCh, die mit ihrer Ideologie der Tradition folgte: Sorge Dich nicht wegen Knappheit, sondern nur wegen Ungleichheit.470 Die Chinesen lebten in einem Zustande geteilter Armut.471 Mit Beginn des Reformprozesses hat in China die Entwicklung sozialer Schichten begonnen, die auf wirtschaftlichen Grundlagen basieren.472 Während sich das durchschnittliche Einkommen zwischen 1978 und 2000 mehr als vervierfacht hat, ist China von einem der wirtschaftlich egalitärsten zu einem der ungleichsten Länder Asiens geworden.473 Heute ist China mit einem GINI-Koeffizienten von 45 weit entfernt von einer gleichmäßigen Einkommensverteilung.474
Chinas Einkommensdistribution unterscheidet sich grundlegend von den Ländern der Triade.
Welche Implikationen diese Differenziertheit für die Zielgruppen der Versicherungsbranche habe kann, verdeutlicht sich bei einer Reflexion, welche Unterscheidung dem Begriff „Privatkunde“ zu Grunde liegt. Im Verständnis der Versicherungsbranche konzentriert sich die Kategorie Privatkunde auf die Mittelklasse. „Sie müssen aber davon ausgehen: Wer versichert sich in Emerging Markets? Es ist nur die Mittelschicht. Es gibt eine sehr, sehr reiche Schicht, die sich weniger
469
470 471 472 473 474
Heute haben z. B. Dänemark, Schweden oder Japan mit einem GINI-Koeffizienten von 24 – 25 die gleichmäßigste Einkommensverteilung, während Südafrika und Brasilien mit einem Wert von 57 – 60 eine sehr ungleiche Verteilung haben [Vgl. UNDP (Hrsg.), 2005]. Der GINI-Koeffizient ist benannt nach dem italienischen Statistiker Corrado Gini (1884 – 1965). Eine genaue Erläuterung findet sich z. B. bei Külp, B., 1994, S. 9 – 12 u. Bohnet, A., 1999, S. 56 – 58. Vgl. Zhao, R., 2003, S. 171. Vgl. Dernberger, R., 1999, S. 46. Vgl. Heberer, T., 1993, S. 11. Vgl. Hanser, A., 2004, S. 13 - 19. Vgl. UNDP (Hrsg.), 2005.
164
Mutation des Tensors
versichert, weil sie es gar nicht braucht. Es gibt eine wachsende Mittelschicht, die sehr oft im Ausland ausgebildet ist und hervorragend informiert ist.“475
Reiche Personen werden nicht als Zielgruppe betrachtet, weil deren Vermögen groß und diversifiziert genug ist, um Risiken auch ohne Versicherungsschutz tragen zu können. Arme Haushalte werden nicht betrachtet, weil keine Vermögenswerte zum Absichern vorhanden sind, die einen Bedarf rechtfertigen würden, sowie kein ausreichendes Einkommen für Prämienzahlungen gesehen wird.476 Doch gerade der Begriff der „Mittelschicht“, auf die sich nicht nur die Versicherungsbranche konzentriert,477 lohnt einer etwas genaueren Betrachtung.
Die Mittelschicht Für die Zuordnung zu einer sozialen Klasse spielt neben dem Einkommen der Beruf, der Bildungsstand, politischer oder wirtschaftlicher Einfluss oder das Wohngebiet eine Rolle.478 Die Unterteilung kann je nach Kategorisierung von zwei bis zu neun Klassen reichen.479 Eine gängige Differenzierung unterscheidet zwischen Unterschicht, Mittelschicht und Oberschicht, die durch weitere Abstufungen differenziert werden können (z. B. obere Mittelschicht).480 Die Definitionen und Abgrenzungen der verschiedenen Klassen sind sehr unterschiedlich und unscharf, doch einige grobe Eingrenzungen lassen sich übereinstimmend finden: Die relativ kleine Oberklasse setzt sich aus der sozialen Elite und Personen mit einem weit überdurchschnittlichen Vermögen oder Einkommen zusammen, die eine dementsprechend hohe Kaufkraft haben.481 Die Mittelklasse fasst die Personen zusammen, die in der Regel über eine fundierte Ausbildung verfügen und es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht haben. Sie umfasst in den Industrieländern die Mehrheit der Bevölkerung.482 In der Kombination aus dem verfügbaren Einzeleinkommen und der Anzahl der Haushalte verfügt diese Klasse über eine erhebliche Kaufkraft. Die erste Erwähnung der Bezeichnung „middle-class“ wird auf das Jahr 1812 datiert. Der Ausdruck wurde in Europa in den Anfangsjahren der industriellen Revolution geprägt, zur Bezeichnung der Bevölkerungsschicht zwischen dem Adel und der Arbei475 476 477 478 479 480 481 482
Interviewpartner 10, 2005, S. 1. Vgl. Interviewpartner 14, 2005, S. 2, Interviewpartner 11, 2005, S. 5 u. Interviewpartner 10, 2005, S. 1. Vgl. Erling, J., 2005, S. 54 – 61. Vgl. Kotler, P., 1997, S. 173. Vgl. o.V., 2004b. Vgl. Genkova, P., 2004. Vgl. Kotler, 1997, S. 176. Vgl. Kotler, 1997, S. 176 oder o. V., 2004c.
Reflexion der Kategorien
165
terklasse. Es gab auch zuvor Bürger in einer solchen Mittelposition, die als Händler, Anwälte oder Ärzte arbeiteten – aber es existierte noch nicht das spätere „SelbstBewusstsein“. Dieses entstand erst durch die industrielle Revolution und brachte eine gemeinsame Identität für die Mittelklasse mit sich. Gleichzeitig mit der Anzahl stieg auch die soziale Bedeutung. Die Umwälzungen und Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts hat das Klassenbewusstsein der Mittelklasse in einem Gesellschaftsbewusstsein aufgehen lassen.483 Aus einer Minderheit, die zwischen der kleinen Schicht des Adels und dem Großteil der Bevölkerung lag, ist die Mehrheit der Bevölkerung geworden. Die Masse, auf welche die Wertschöpfung aller Massenhersteller ausgerichtet ist. Bei der Marktbearbeitung in Emerging Markets werden diese Klassen mit ihren unterschiedlichen Einkommensstrukturen wieder erkannt. So hat sich in China eine Oberschicht herausgebildet, die sich die Güter, die für die wohlhabenden Käufer in den Industrieländern konzipiert wurden, leisten können. Etwa 10 – 13 Millionen Chinesen als potentielle Konsumenten locken Luxusanbieter wie Louis Vuitton, Prada, Armani, Dior oder Ferrari ins Land.484 Auch eine neue Mittelschicht hat sich in China herausgebildet, die eine starke Nachfrage nach einem eigenen Haus, einem privaten Pkw, Finanzprodukten, Reisen, Wohnungseinrichtung, DVDs, Mobiltelefonen und digitaler Fototechnik entwickelt hat – Produkte, die schon für die Konsumenten der Mittelschicht in den Industrieländern entwickelt wurden. Der Kampf um diese neu entstandene Mittelschicht ist groß – 48 Millionen Haushalte gehören schon dazu, mit schnell wachsender Tendenz. Bis zum Jahre 2012 soll diese Schicht auf 125 Mio. Familien mit insgesamt 300 Millionen Personen anwachsen.485 Die chinesische Mittelschicht definiert sich über dieselben Kriterien wie in den Industrieländern: Bildung, Beruf und Einkommen. Nur in einem wesentlichen Punkt gibt es einen Unterschied: Die chinesische Mittelschicht stellt nicht die Mitte der Bevölkerung dar. Während die Produkte für die Mittelschicht in den Industrieländern für die Masse der Bevölkerung konzipiert sind, erreichen sie in China und anderen Emerging Markets nur eine kleine, privilegierte Bevölkerungsschicht.486 Der erste Impuls zur Entdeckung der Bevölkerungsmehrheit in Emerging Markets unterhalb der Mittelschicht als potentielle Kunden ging von einem 1998 veröffentlichten 483 484 485 486
Vgl. King R. / Raynor, J., 1981, S. 44 - 76. Vgl. The Economist (Hrsg.), 2004c, S. 65 u. Xu, X., 2004, S. 34. Vgl. Erling, J., 2004, S. 55 – 56. Vgl. Prahalad, C. / Lieberthal, K., 2003, S. 109 - 111.
166
Mutation des Tensors
Artikel von C. K. Prahald und Kenneth Lieberthal aus.487 Nach ihrer Aussage gingen in den 80er Jahren viele internationale Unternehmen mit einer imperialistischen Denkhaltung in Emerging Markets und unterstellten, dass die großen Emerging Markets neue Märkte für ihre alten Produkte wären. In den Folgejahren haben viele Unternehmen erkannt, dass Emerging Markets zur Erschließung ihres großen Potenzials neue Denkweisen erfordern. Dennoch wurde bei der Analyse dieser Märkte der potenzielle Kunde mit dem Kunden in Europa oder Nordamerika assoziiert. Die aufsteigende Mittelklasse in diesen Ländern, die von ihren Bedürfnissen den Kunden in der Triade entsprach, repräsentierte jedoch nur eine kleine Oberschicht in den Emerging Markets.488
Nur die Spitze der Pyramide Verfügbares Einkommen
Heimatmarkt
Emerging Market
Notwendiges Einkommen für das Leistungsangebot
Bevölkerung
Bevölkerung
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 5
Die Einkommensstruktur in den Ländern der Triade kann vereinfachend mit der Form eines Diamanten verglichen werden: Eine kleine Oberschicht bildet die Spitze des Diamanten, die breite Mitte repräsentiert die Mittelschicht, welche sich wieder zu einer schmalen Unterschicht verjüngt. Produkte, welche für die Mittelschicht und Oberschicht konzipiert sind, erfassen den Diamanten fast vollständig. Die Einkommens487
488
C. K. Prahalad ist Professor für Corporate Strategy und International Business an der Universität von Michigan in Ann Arbor. Kenneth Lieberthal ist Professor für Political Science und Business Administration ebenso an der Universität von Michigan. [Vgl. Prahalad, C. / Lieberthal K., 2003, S. 110]. Vgl. Prahalad, C. / Lieberthal K., 2003, S. 109 – 111.
167
Reflexion der Kategorien
struktur in einem Emerging Market hat eher die stilisierte Form einer Pyramide: Eine sehr schmale Oberschicht, eine etwas breitere Mittelschicht und eine sehr breite Basis unterhalb dieser Mittelschicht.489 In der Anlehnung an das Bild der Pyramide wird im Weiteren für die Bevölkerungsschicht unterhalb der Mittelklasse der Terminus „Basisklasse“ verwendet. Damit soll in der Analyse die negative Konnotation des gängigen Begriffs „Unterklasse“ vermieden werden. Der Diamantenstruktur entsprechend impliziert „Unterklasse“ eine Minderheit, die von der Mehrheit der Mittelklasse überdeckt wird. „Basisklasse“ suggeriert eine fundamentale Bedeutung, welche der Einkommenspyramide in Emerging Markets gerechter wird. Ein Transfer von Produkten oder Dienstleistungen, die für die Bevölkerungsmehrheit in etablierten Märkten entworfen wurden (die dunkle Fläche des Diamanten), auf einen Emerging Market erfasst nur eine kleine Oberschicht (die Spitze der Pyramide). Die große Bevölkerungsmehrheit hat nicht das verfügbare Einkommen zur Anschaffung dieser Produkte.490
Einkommensverteilung in den USA und China
100% 90%
Anteil der Bevölkerung
80% 70% 60% 50%
USA
40%
China
30% 20% 10% 0% < 10.000
10.000-39.999 40.000-100.000
> 100.000
Einkommen pro Einwohner (in US-$ pro Jahr)
Quelle: Eigene Darstellung nach Weltbank (Hrsg.), 2002 u. 2004 und o. V., 2004e, S. 73. Kapitel 5 – Abbildung 6
489 490
Vgl. Prahalad, C., 2005, 109 – 111. Vgl. Prahalad, C. / Lieberthal K., 2003, S. 110 – 112 u. Prahalad, C. / Hammond, A., 2002, S. 48 – 49.
168
Mutation des Tensors
Wenn die amerikanische Bevölkerung in die vier Einkommenskategorien < US-$ 10.000, US-$ 10.000 – 39.999, US-$ 40.000 – 100.000 und US-$ > 100.000 unterteilt wird, die beiden mittleren Kategorien als Mittelklasse definiert werden und ein Unternehmen Produkte für diese beiden Kategorien anbietet, erfasst es über 80 % der amerikanischen Bevölkerung. Wenn dieselbe Segmentierung auf den chinesischen Markt übertragen wird, fallen nur ca. 6 % der Bevölkerung in die beiden mittleren Kategorien. Im Umkehrschluss klammert eine Nichtbetrachtung der unteren Einkommenskategorie ca. 11 % der Amerikaner aus der weiteren Betrachtung aus, während es in China mit ca. 94 % den Großteil der Bevölkerung übersieht. Diese gravierenden Unterschiede rechtfertigen eine Reflexion der gewählten Kategorisierung.
Alternative Unterscheidungen bewerten Die Suche nach alternativen Kategorien für die Dimension Zielgruppe hat über die drei bestehenden Kategorien hinaus verschiedene Alternativen hervorgebracht. Suche nach alternativen Zielgruppenkategorien
Chinesische Firmenkunden Ausländische
Restaurants Büros Gewerbekunden Produzierende Geschäfte Betriebe
Oberklasse Privatkunden Mittelklasse Basisklasse
Öffentlicher Sektor
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 7
Die teleskopische Suche hat außerhalb der bestehenden Kategorien den öffentlichen Sektor als alternative Kategorie sichtbar gemacht. Viele staatliche Projekte, die versicherbar wären, werden in China jedoch nicht versichert, sondern eventuelle Risiken werden durch den Staat direkt getragen. Der öffentliche Sektor bildet eine theoretische Zielgruppe, die jedoch in der Praxis insbesondere für ausländische Unternehmen keine
Reflexion der Kategorien
169
konkrete Option darstellt und deshalb an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden soll.491 Die mikroskopische Suche im Inneren der bestehenden Kategorien hat für die Zielgruppen Firmen- und Gewerbekunden Alternativen ergeben: „Ausländische Firmenkunden“ und „Chinesische Firmenkunden“ bzw. „Büros“, „Geschäfte“, „Produzierende Betriebe“ und „Restaurants“. Diese detaillierten Klassifizierungen erlauben eine genauere Ansprache der Kunden, bringen aber keinen wesentlichen Unterschied der Wettbewerbsstruktur mit sich. Die neuen Unterscheidungen können ein Instrument zur Marktsegmentierung sein, bieten aber keine Möglichkeit zur Erschließung neuer Geschäftsfelder. Deshalb werden sie für die Branchensegmentierung nicht weiter betrachtet. Die Reflexion der Kategorie „Privatkunden“ ergab, dass diese durch die drei neuen Kategorien „Oberklasse“, „Mittelklasse“ und „Basisklasse“ ersetzt werden kann. Dabei liegt der neuen Bezeichnung „Mittelklasse“ dieselbe Unterscheidung zugrunde wie der alten Bezeichnung „Privatkunden“. Mit anderen Worten: Demselben Inhalt wird nur ein neues Etikett gegeben. Doch dieses neue Etikett macht nicht nur deutlich, was der Inhalt ist sondern auch, was er nicht ist. In diesem durch die Unterscheidung ausgeschlossenen Außenraum werden mit „Oberklasse“ und „Basisklasse“ zwei weitere Kategorien aufgezeigt. Die „Oberklasse“ definiert sich in einem Emerging Market über dieselben Kriterien wie in den etablierten Märkten: Als eine kleine Oberschicht mit einem weit überdurchschnittlichen Vermögen oder Einkommen.492 Die Versicherungsbranche kann für diese Zielgruppe keinen Mehrwert schaffen, weil deren Vermögen eine eigenständige Risikodiversifikation erlaubt und sie nicht auf die Dienstleistungen einer Versicherung angewiesen sind.493 Weil sich hier keine grundlegenden Unterschiede zwischen China und den etablierten Märkten erkennen lassen, soll die „Oberklasse“ auch für die Regionen der VR China nicht als Kategorie in der Dimension Zielgruppe betrachtet werden. Die Kategorie „Mittelklasse“ hat in ihrer Struktur ebenfalls große Ähnlichkeiten zwischen der VR China und den etablierten Märkten.
491 492 493
Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 4 –5. Vgl. Kotler, P., 1997, S. 176. Vgl. Interviewpartner 11, 2005, S. 5, Interviewpartner 14, 2005, S. 2 u. Interviewpartner 10, 2005, S. 1.
170
Mutation des Tensors
„Die Leute leben in den internationalen Wirtschaftzentren nicht so viel anders, wenn die in Emerging Markets liegen oder wenn die in den Mature Markets liegen. Also ich glaube, das Leben zwischen Boston, Mailand, München und Shanghai ist für die Leute, die bei einer Bank arbeiten als Investmentbanker, nicht so dramatisch anders.“494
Diese Kategorie entspricht der bisherigen Kategorie „Privatkunden“, zu der Ende 2003 ca. 48 Millionen Haushalte mit einem durchschnittliches Einkommen von ca. € 3000 gehörten. Nach den geschätzten Wachstumsraten würde die chinesische Mittelschicht 2012 mit ungefähr 300 Millionen Menschen die Einwohnerzahl der USA übertreffen.495 Dieses Volumen und Wachstumspotential macht sie zu einer sehr attraktiven Zielgruppe für die Versicherungsbranche. Die Kategorie „Basisklasse“ existierte in dem bisherigen Branchentensor nicht. In den etablierten Märkten bildet die Mittelschicht die Masse der Bevölkerung, die den Großteil des Volkseinkommens auf sich vereint. In der VR China bildet die Bevölkerungsklasse unterhalb der Mittelschicht die Bevölkerungsmehrheit, die zwar nur über ein sehr geringes Einkommen pro Einwohner verfügt, aber wegen der großen Anzahl über ein sehr hohes aggregiertes Einkommen. Dieser große Unterschied zwischen den etablierten Märkten und der VR China spricht gegen einen vorschnellen Ausschluss dieser Gruppe und rechtfertigt eine genauere Betrachtung. Damit entstehen für die weitere Analyse in der Dimension Zielgruppe die folgenden Kategorien: • Firmenkunden, • Gewerbekunden, • Mittelklasse, • Basisklasse.
494 495
Interviewpartner 10, 2005, S. 4. Vgl. Erling, J., 2004, S. 56.
171
Evaluation der neuen Kategorien
5.2 Evaluation der neuen Kategorien
Mature
Emerging
Transfer
Mutation Evaluation
Rückkopplung
Die Reflexion der Kategorien hat die aus den etablierten Märkten transferierten Kategorien hinterfragt und Alternativen aufgezeigt, die den Besonderheiten des Emerging Market China gerecht werden. Im nächsten Schritt werden diese alternativen Möglichkeiten daraufhin überprüft, ob sie eine konkrete Option für ein Geschäftsfeld darstellen. Dabei wird als erstes zwischen Roten und Blauen Ozeanen unterschieden. Wenn die Felder der neuen Kategorie Rote Ozeane sind, muss das Unternehmen über einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz verfügen, um einen Eintritt in diese Geschäftsfelder zu legitimieren.496 Diese Segmente stellen eine zusätzliche Option dar, werden aber nicht eingehender betrachtet, da der Fokus der Methodik auf der Identifizierung unerschlossener Felder liegt. Wenn die neue Kategorie solche Felder eröffnet, sind keine Konkurrenten vorhanden, an denen sich das Unternehmen messen kann. Diese Blauen Ozeane werden daraufhin untersucht, ob das Unternehmen in ihnen Werte für die Kunden und die Shareholder schaffen kann und sie damit eine konkrete Option darstellen. Die Vorgehensweise orientiert sich erneut an den drei Dimensionen Region, Leistungsangebot und Zielgruppe.
496
Vgl. Perlitz, M., 2004, S. 162 – 181.
172
Mutation des Tensors
5.2.1 Region In der Dimension „Region“ wurde die Kategorie „China“ durch die sechs neuen Kategorien „Shanghai“, „Peking“, „Perlflussdelta“, „Städte der 2. Schicht“, „Städte der 3. Schicht“ und „Ländliche Gebiete“ ersetzt. All diese Kategorien sind durch eine mikroskopische Suche aus der alten Kategorie „China“ heraus neu entstanden.
Blaue Ozeane versus Rote Ozeane In den drei großen und wirtschaftlich starken Ballungsregionen „Peking“, „Shanghai“ und „Perlflussdelta“ sind bereits inländische und ausländische Versicherungsanbieter im Markt vertreten und liefern sich einen zunehmend härteren Wettbewerb.497 In den Städten der 2. und 3. Schicht herrschen fast ausschließlich die lokalen Anbieter vor und nur vereinzelte ausländische Unternehmen haben sich regional begrenzt in diese Felder begeben. Mit einem zunehmend härteren Wettbewerb in den großen Ballungsräumen ist jedoch kaskadenartig mit einem verstärkten Engagement in den Städten der 2. und anschließend 3. Schicht zu rechnen.498 Der Wettbewerb in diesen Feldern ist gegenwärtig weniger intensiv als in den drei großen Ballungszentren,499 aber unbesetzte Felder bieten sich hier nicht. In den ländlichen Gebieten ist der Konkurrenzdruck wesentlich geringer und in weiten Teilen des Landes verfügt nur der ehemalige staatliche Monopolanbieter mit seinen zwei Gesellschaften China Life und PICC über ein Netzwerk oder ist dabei, es aufzubauen.500 Die Felder jenseits der drei großen Ballungsräume eröffnen Chancen, dem Konkurrenzdruck zumindest temporär auszuweichen. Die neuen räumlichen Kategorien bieten jedoch keine Möglichkeit zur Entdeckung neuer Geschäftsfelder. Damit sind trotz unterschiedlicher Intensität der Konkurrenzsituation die Felder als Rote Ozeane zu betrachten, wenn nicht eine andere Dimension einen Blauen Ozean eröffnet. Die Beurteilung, ob ein Unternehmen in diesen Segmenten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz aufbauen kann, welcher einen Eintritt in eines der neu ent497 498 499 500
Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 6. Vgl. KPMG (Hrsg.), 2005, S. 11 u. Interviewpartner 6, 2005, S. 9. Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 4. Vgl. Interviewpartner 15, 2005, S. 4 u. PICC (Hrsg.), 2005.
173
Evaluation der neuen Kategorien
standenen Felder legitimiert, wird an dieser Stelle nicht nachvollzogen, da der Fokus auf der Suche nach Blauen Ozeanen liegt.
=>
Region: vorherrschend Rote Ozeane
5.2.2 Leistungsangebot In der Dimension „Leistungsangebot“ wurden die drei Kategorien „Lebensversicherung“, „Krankenversicherung“ und „Sachversicherung“ um die vierte Kategorie „Risk Management Beratung“ ergänzt.
Blaue Ozeane versus Rote Ozeane Beratungsleistungen für die Aufgabe des Risk Managements werden international bereits von spezialisierten Beratungsunternehmen angeboten, die ihre Präsenz auch auf den chinesischen Markt ausgedehnt haben.501 Eine Entdeckungsmöglichkeit für einen Blauen Ozean bietet die Kategorie „Risk Management Beratung“ daher nicht mehr. Ein Engagement in diesen Feldern würde zu einer Auseinandersetzung mit konkurrierenden Unternehmen führen. Besonders gefährlich an diesem Konkurrenzkampf wäre, dass die konkurrierenden Unternehmen in der Kategorie „Risk Management Beratung“ gleichzeitig Intermediäre für die anderen Versicherungskategorien wären. So könnte ein Engagement in den von ihnen besetzten Geschäftsfelder zu einem Nachteil in den Geschäftsfeldern des Versicherungsgeschäftes führen, in denen das Unternehmen auf die Vermittlungsfunktion dieser Broker bzw. Beratungsunternehmen angewiesen ist. Da die durch die Kategorie „Risk Management Beratung“ eröffneten Felder bereits etablierte Geschäftsfelder sind und keine „Blaue-Ozean“ Strategie ermöglichen, sollen sie an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden.
=>
501
Leistungsangebot: vorherrschend Rote Ozeane
Vgl. z.B. Marsh (http://www.marshriskconsulting.com) oder Aon (http://www.aon.com).
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Mutation des Tensors
5.2.3 Zielgruppe In der Dimension „Zielgruppe“ sind die beiden Kategorien „Firmenkunden“ und „Gewerbekunden“ unverändert geblieben. Die Kategorie „Privatkunden“ wurde durch die beiden Kategorien „Mittelklasse“ und „Basisklasse“ ersetzt. Dabei liegt der neuen Bezeichnung „Mittelklasse“ dieselbe Unterscheidung zugrunde wie der alten Bezeichnung „Privatkunden“. Die Kategorie „Basisklasse“ ist durch die Mutation neu entstanden. Blaue Ozeane versus Rote Ozeane Die Konzentration auf eine kleine wohlhabende Bevölkerungsschicht in Emerging Markets kann auch in der Finanzbranche beobachtet werden. Während in den etablierten Märkten die große Mehrheit der Bevölkerung Zugang zu verzinsten Sparkonten, Hypotheken, Konsumentenkrediten, Versicherungen und Überweisungsmöglichkeiten hat, bleibt der Mehrheit in Emerging Markets diese Möglichkeiten verschlossen.502 Unter dem Schlagwort „microfinance“ hat sich eine Geschäftsidee entwickelt, die dieser Diskrepanz gerecht werden will: Finanzdienstleistungen für die Armen, bei denen die Transaktionsbeträge auf winzige Größen herunter gebrochen werden.503 Die ersten Ansätze konzentrieren sich auf das Bankgeschäft und hier insbesondere die Kreditvergabe. Die ersten Erfolg versprechenden Beispiele aus Bangladesch, Indien, Lateinamerika und Afrika haben ein erstes Fragezeichen hinter die noch vor wenigen Jahren zementierte Aussage gesetzt, dass mit den Armen kein profitables Geschäft zu machen sei.504 Mit den ersten positiven Ergebnissen hat sich der Gedanke des „microfinance“ von dem Kreditgeschäft über weitere Bankdienstleistungen auf das Versicherungsgeschäft übertragen. Bisher bieten jedoch nur sehr wenige Institutionen Versicherungen an und dies auch nur regional begrenzt.505 Für die VR China sind noch keine Geschäftstätigkeiten nenenswerten Umfangs in der Zielgruppe „Basisklasse“ erkennbar. Die Felder dieser Zielgruppe sind „Blaue Ozeane“, in denen sich noch keine Konkurrenz bewegt.
=>
502 503 504
505
Zielgruppe „Basisklasse“: vorherrschend Blaue Ozeane
Vgl. Easton, T., 2005, S. 3. Vgl. Easton, T., 2005, S. 3 - 5. Vgl. Karweil, C., 2004, S. 51 u. Prahalad, C., 2005, S. 289 – 318 u. World Business Council for Sustainable Development (Hrsg.), 2004a, S. 35 u. Easton, T., 2005, S. 6 – 8. Vgl. Easton, T., 2005, S. 12 u. Interviewpartner 10, 2005, S. 2.
Evaluation der neuen Kategorien
175
Werte für die Kunden Damit diese „Blauen Ozeane“ für eine unternehmerische Tätigkeit interessant sind, muss das Unternehmen über die Fähigkeiten und Ressourcen verfügen, um Werte für die Zielgruppe zu schaffen. Die Menschen unterhalb der Mittelklasse sind auch wie die anderen Zielgruppen Risiken ausgesetzt: Krankheiten und Unfälle, Alter, Verbrechen und lokale Gewalt, Arbeitslosigkeit und andere Arbeitsmarktrisiken oder Ernteausfälle und Lebensmittelpreisschwankungen. Dabei sind arme Haushalte diesen Risiken stärker ausgesetzt als wohlhabende Familien. Viele Menschen leben in einem Umfeld, welches durch schlechte infrastrukturelle und hygienische Bedingungen ihr Krankheits- oder Unfallrisiko erhöht. Die Kriminalität ist in den Wohnvierteln der finanziell besser gestellten oft geringer als in den ärmeren Gebieten einer Stadt. Schwankungen der Beschäftigung und Entlassungen treffen am schnellsten die gering qualifizierten Angestellten, die häufig aus den ärmeren Bevölkerungsschichten kommen.506 Die stärkere Aussetzung gegenüber diesen Risiken wird verstärkt durch die geringere Fähigkeit, die Risiken im Schadensfall zu bewältigen. Ein geringes Einkommen bietet weniger Möglichkeit zur Akkumulation von Vermögenswerten, die eventuelle Krisensituation abfedern könnten.507 Die Kombination aus einer hohen Aussetzung gegenüber Risiken und der geringen Fähigkeiten zur Bewältigung eventuell entstehender Schäden führt zu einem hohen Bedarf dieser Zielgruppe an zusätzlichen Instrumenten des Risikomanagements, der jedoch für die drei definierten Kategorien des Leistungsangebots differenziert betrachtet werden muss. Ein sehr großer Bedarf besteht für die Angebote der Lebens- und Krankenversicherung. Von den 1,3 Milliarden Einwohner Chinas sind nur 163 Millionen Mitglieder einer Rentenversicherung und nur 124 Millionen krankenversichert. Die Geringqualifizierten unterhalb der Mittelschicht stehen in den meisten Fällen ohne jede Absicherung da.508 Das „System der eisernen Reisschüssel“, welches in den Städten früher eine lebenslange Versorgung garantierte, löst sich mit dem Übergang in eine Marktwirtschaft immer weiter auf und der Familienverbund kann eine Versorgung im Alter nicht immer sicher stellen.509
506 507 508 509
Weltbank (Hrsg.), 2001, S. 137 – 138. Weltbank (Hrsg.), 2001, S. 135. Die Zahlen beziehen sich auf den Mai 2005 [Vgl. Blume, G., 2005, S. 21]. Vgl. Blume, G., 2005, S. 21 u. French, H., 2006, S. 4.
176
Mutation des Tensors
Die chinesische Gesellschaft altert rapide. Der Anteil der über 60-Jährigen war im Jahre 2000 10 % (129 Millionen). Nach Schätzungen der Weltbank wird ihr Anteil bis 2020 auf 16 % (230 Millionen) und 2040 auf 25 % (379 Millionen) steigen.510 Damit ständen 2040 nur noch zwei Personen im arbeitsfähigen Alter einer Person im Rentenalter gegenüber, verglichen mit einem Verhältnis von 6,4 zu 1 im Jahre 2000. Während eine alternde Bevölkerung in den entwickelten Ländern der Normalfall ist, könnte China das erste große Land sein, welches einen alten Bevölkerungsdurchschnitt hat, bevor es einen wirtschaftlichen Wohlstand entwickeln konnte.511 Weder das staatliche Pensionssystem noch die traditionelle Versorgung der Alten durch die Jungen in der Familie kann diesen Bedarf an Altersversorgung voll decken. Bei der Krankenversicherung ist die Situation jetzt schon problematisch. Das chinesische Gesundheitsministerium räumt ein, dass fast 50 % der Bevölkerung sich im Krankheitsfall keinen Arztbesuch leisten können.512 Viele Menschen meiden jeden Arztbesuch wegen der entstehenden Kosten.513 Weniger stark entwickelt ist der Bedarf für ein Angebot an Sachversicherungen. Hier kann ein Versicherungsbedarf erst dann entstehen, wenn es Vermögenswerte gibt, die zerstört oder beschädigt werden können. Da die Bevölkerungsschicht unterhalb der Mittelklasse i. d. R. noch keine Vermögenswerte aufbauen kann, kann ein Angebot an Sachversicherungen nur einen geringen Nutzen stiften.514 Abschließend kann festgestellt werden, dass Versicherungen einen hohen Wert für die Bevölkerungsschicht unterhalb der Mittelklasse schaffen können.
=>
Wert für die Kunden
Hoch
Werte für die Shareholder Nach der Überlegung, ob ein Versicherungsunternehmen Werte für Kunden unterhalb der Mittelschicht schaffen kann, ist als nächstes zu hinterfragen, ob ein Angebot an diese Zielgruppe auch Werte für die Shareholder schaffen kann. Bevor dieser Frage510 511 512 513 514
Vgl. Chen, D., 2004, S. 15. Vgl. The Economist (Hrsg.), 2004d, S. 21. Vgl. Blume, D., 2005, S. 21. Vgl. The Economist (Hrsg.), 2004d, S. 21. Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 3.
Evaluation der neuen Kategorien
177
stellung jedoch inhaltlich nachgegangen wird, soll die Grundhaltung reflektiert werden, mit der die Zielgruppe der Armen betrachtet werden kann. Viele Unternehmen verschließen nicht die Augen vor den Bedürftigen, die sich die kommerziellen Angebote nicht leisten können, und beteiligen sich in vielfältigen Projekten.515 Auch in der Finanzbranche haben sich zahlreiche staatliche und nichtstaatliche Organisationen mit einer philanthropischen Motivation für die Bedürftigen im Bereich „microfinance“ engagiert. Der Grundgedanke ist dabei, dass die beteiligten Unternehmen und Organisationen ihren finanziellen Einsatz als eine Spende sehen und die entstehenden Verluste in Kauf nehmen.516 Die Reichweite eines solchen Engagements hängt dabei von der Spendenbereitschaft der beteiligten Parteien ab, die permanent neues Kapital zur Deckung der Verluste bereitstellen müssen. Eine andere Grundhaltung ist ein Ansatz, bei der ein Angebot an diese Zielgruppe als Geschäft gesehen wird. Die Mitglieder der Zielgruppe werden dabei nicht als Spendenempfänger sondern als Kunden bzw. Geschäftspartner angesprochen, für die das Unternehmen durch seine Produkte einen Mehrwert schafft und dafür einen Gewinn erwirtschaftet.517 Diese Denkhaltung würde ein potenzielles Engagement unter zwei Aspekten grundlegend verändern: 1. Während bei einem karitativen Ansatz die Verluste von vornherein in Kauf genommen werden und der Aspekt der Profitabiliät keine Aufmerksamkeit bekommt, könnte ein geschäftsorientierter Ansatz nur mit einer Aussicht auf Gewinnerzielung gestartet werden und die Frage der Profitabilität wäre von zentraler Bedeutung. 2. Während ein karitativer Ansatz permanent auf neues Kapital angewiesen wäre, könnte ein profitabler Ansatz das bestehende Geschäft aus eigener Kraft finanzieren und würde damit die temporären Grenzen karitativer Projekte aufheben.518
515 516 517 518
Vgl. Porter, M. / Kramer, M., 2002, S. 57 – 59 u. Jayne, V., 2004, S. 34 – 36, Crampton, T., 2006, S. 15 – 16. Vgl. Interviewpartner 10, 2005, S. 2 u. Easton, T., 2005, S. 6. Vgl. Easton, T., 2005, S. 6 u. Letelier, M. / Flores, F. / Spinosa, C., 2003, S. 78. Vgl. World Business Council for Sustainable Development (Hrsg.), 2004a, S. 10 - 11.
178
Mutation des Tensors
Die folgende Betrachtung soll den karitativen Denkansatz ausklammern sich dem Kontext der Arbeit entsprechend auf die Generierung neuer Geschäftsmöglichkeiten konzentrieren, die Werte für Kunden und Shareholder schaffen. Damit entsteht die zentrale Frage, ob ein Angebot an diese Zielgruppe profitabel sein kann.519 „Also derzeit sehe ich keine Möglichkeit, Versicherungen / Finanzprodukte profitabel an weite Schichten in den Emerging Markets anzubieten.“520
Während der Bedarf der Zielgruppe an Versicherungsleistungen unumstritten ist, herrscht ein ähnlicher Konsens über die Problematik oder gar Unmöglichkeit eines profitablen Geschäftsmodells.521 Die Prämieneinnahmen pro Versicherungspolice müssten bei dieser Zielgruppe verglichen zur Mittelklasse sehr niedrig sein. Während sich ein profitables Verhältnis von Prämieneinnahmen zu Auszahlungen kalkulieren ließe, stellen die Verwaltungskosten ein großes Problem dar. Der Aufwand für Verkauf der Policen, Schadensregelung und Service könnte sehr schnell Prämien in einer Höhe erforderlich machen, die von der Zielgruppe nicht mehr bezahlbar sind.522 So liegt das Kernproblem zur Kreierung eines profitablen Geschäftsmodells in der Reduktion des Verwaltungskostenanteils pro Police. Zwei mögliche Ansatzpunkte wären: 1. Technologieeinsatz: Alle gegenwärtigen Ansätze des „microfinance“ sind gegenwärtig noch sehr personalintensiv und von der Struktur eher wie das Privatkundengeschäft für wohlhabende Kunden als das Massengeschäft für die Mittelklasse. Ermöglicht wird dies gegenwärtig durch zahlreiche hoch motivierte Mitarbeiter, die bereit sind, für niedrige Löhne überdurchschnittlich lang zu arbeiten. Ein nachhaltiges Geschäftsmodell kann nicht auf dieser Freiwilligkeit aufgebaut werden.523 Der Einsatz von moderner Technologie bietet einen starken Hebel zur Reduzierung der Kosten und zur Überwindung der großen räumlichen Entfernungen.524
519
520 521
522 523 524
Ein Vorwurf dem sich ein Unternehmen ausgesetzt sehen könnte, welches ein profitables Geschäft mit Armen betreibt, ist der des unethischen Verhaltens [Vgl. Easton, T., 2005, S. 6]. Eine Diskussion über diesen Vorwurf soll hier nicht nachvollzogen werden, weil dies den Umfang dieser Arbeit sprengen würde. Der Autor sieht keine ethische Problematik in dem Verkauf von Produkten an Arme, welche für diese und die Shareholder des Unternehmens Werte schaffen. Interviewpartner 10, 2005, S. 2. Vgl. Interviewpartner 16, 2005, S. 2 – 3, Interviewpartner 7, 2005, S. 4, Interviewpartner 5, 2005, S. 3 u. Interviewpartner 12, 2005, S. 2. Vgl. Interviewpartner 16, 2005, S. 3. Vgl. Easton, T., 2005, S. 12. Vgl. Prahalad, C., 2005, S. 30 u. Easton, T., 2005, S. 12.
Evaluation der neuen Kategorien
179
2. Economies of Scale: Der zweite starke Hebel kann der Aufbau von Skaleneffekten sein. Nur durch eine große Zahl von abgeschlossenen Verträgen kann es gelingen, den Fixkostenanteil um das notwendige Maß zu reduzieren und einen bestenfalls minimalen Profit pro Police auf eine für die Shareholder attraktive Größe zu multiplizieren.525 Doch auch mit dem Einsatz dieser Hebel sind die Möglichkeiten zur Kreierung eines profitablen Geschäftsmodells nur sehr schwer abschätzbar. Einzelne Beispiele außerhalb Chinas aus dem Bankgeschäft haben gezeigt, dass es keine Unmöglichkeit ist.526 Eine Übertragung dieser Erfolgsgeschichten auf die Versicherungsbranche und die VR China stände jedoch noch vor großen Problemen. Weil eine finale Beurteilung der Erfolgsaussichten die Möglichkeiten dieser theoretischen Betrachtung sprengt, soll an dieser Stelle nicht weiter vor sondern stattdessen ein Schritt zurückgegangen werden: Bevor eine abschließende Beurteilung gegeben wird, ob die Felder dieser Zielgruppe Shareholder Value schaffen können, soll noch ein zusätzlicher Aspekt betrachtet werden, der die VR China deutlich von den etablierten Märkten in Europa oder Nordamerika unterscheidet: Die Rolle der Regierung. Der Staat spielt für die Versicherungsbranche in allen Ländern eine wichtige Rolle. Er legt die Rahmenbedingungen fest, in denen sich Versicherer bewegen, und bestimmt durch seine staatlichen Versorgungsleistungen an die Bürger, welcher zusätzliche Bedarf für eine private Absicherung offen bleibt. Unter diesem Blickwinkel ist die Position des Staates in der VR China für die private Versicherungswirtschaft förderlich, weil die staatliche Fürsorge wesentlich geringer ausgeprägt ist als in entwickelten Märkten.527 In China und in anderen Emerging Markets haben der Staat bzw. die Regierungsstellen darüber hinaus einen noch wesentlich stärkeren Einfluss als in den etablierten Märkten.528 Sie regeln, welche Versicherungen verpflichtend sind, und schaffen dadurch für viele Produkte erst die Nachfrage.529 Sie bestimmen, welche Produkte nur chinesischen Anbietern vorbehalten bleiben und entscheiden in komplizierten und langwierigen Genehmigungsverfahren für jedes einzelne Unternehmen über jede Produkteinführung bzw. -änderung oder regionale Expansion.530 525 526 527 528 529 530
Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 4. Vgl. Easton, T., 2005, S. 6 – 8 u. Yunus, M., 2003, S. 235 – 243 u. Karweil, C., 2004, S. 36. Vgl. Interviewpartner 10, 2005, S. 4 –5. Vgl. Interviewpartner 11, 2005, S. 1 u. Interviewpartner 1, 2005, S. 7. Vgl. Interviewpartner 14, 2005, S. 1. Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 4 - 5
180
Mutation des Tensors
„Kein großes ausländisches Unternehmen - sei es in der Stahl-, Chemie-, Pharma-, Banken- oder Versicherungsbranche - kann sich in China in eine Richtung bewegen, mit der die Regierung nicht einverstanden wäre.“531
Dies bedeutet, dass in China jedes Geschäftsfeld nicht nur unter dem Blickwinkel beurteilt werden muss, ob das Unternehmen dort Werte für die Kunden und die Shareholder schaffen kann, sondern ob es auch Werte für die Regierung schafft oder vernichtet.
Werte für die Regierung Die chinesische Regierung steht vor gewaltigen Herausforderungen. Der Erfolg des wirtschaftlichen Aufschwungs hat lange ökologische und soziale Probleme in den Hintergrund treten lassen, die jetzt immer offensichtlicher werden.532 Die Kommunistische Partei formulierte als Ziel für die Zeit bis 2020 die Entwicklung Chinas zu einer Gesellschaft mit „umfassend bescheidenem Wohlstand“, nachdem das Ziel des „bescheidenen Wohlstands“, welches sich die Partei bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gesetzt hatte, als erreicht angesehen wird. Deng Xiaoping übersetzte den poetischen Ausdruck xiaokang, der das Konzept einer idealen Gesellschaft mit Wohlstand für alle Bürger ausdrückt,533 in eine ökonomische Größe und legte 1984 fest, dass ein BIP pro Einwohner von US-$ 800 erreicht werden sollte. Seitens der Regierung wurde dieses Ziel 1991 mit der Bestimmung von 16 Messkriterien weiter spezifiziert.534 Diese Ziele wurde im Jahr 2000 als fast erreicht angesehen. Bei den Einkommen konnten nur die ländlichen Regionen die anvisierte Marke nicht erreichen. Als neues Ziel wurde die Erreichung eines BIP pro Einwohner von US-$ 3.000 bis zum Jahre 2020
531 532 533 534
Sieren, F., 2005, S. 269 – 270. Vgl. Interviewpartner 5, 2005, S. 10 – 11. Vgl. Hale, D. / Hale, H., 2003, S. 39. Die Kriterien waren: 1. BIP pro Einwohner von 2500 Yuan. 2. Verfügbares Einkommen pro Einwohner von 2.400 Yuan in den Städten. 3. Pro-Kopf-Nettoeinkommen von 1.200 Yuan für Bauern. 4. Pro-KopfWohnfläche von 12 qm in den Städten. 5. Pro-Kopf-Wohnfläche in Stahl- und Holzbauweise von 15 qm auf dem Lande. 6. Täglich 75 g Protein pro Kopf. 7. Pro Kopf 8 qm gepflasterte Straße. 8. Zugang über Schnellstraßen zu 85 % der administrativen Dörfer. 9. 50 % des Engelskoeffizienten (Verhältnis von Einkommen und Konsum). 10. Alphabetenrate von 85 % bei Erwachsenen. 11. Lebenserwartung von 70 Jahren. 12. Kindersterblichkeit von 3,1 %. 13. Anteil der Ausgaben für Bildung und Freizeit am Haushalt bei 11 %. 14. 100 % Verfügbarkeit von TV-Anlagen. 15. 15 % Waldfläche. 16. Grundversorgung im Gesundheitswesen in allen Gemeinden [Vgl. Institut für Asienkunde (Hrsg.), 2002, S. 1386].
Evaluation der neuen Kategorien
181
gesetzt, so dass China das Niveau eines Landes mit mittlerem Einkommen nach Weltbank-Klassifikation erreicht.535 Trotz der Erfolge wurden seitens der Regierung aber auch die Unzufriedenheit der Bevölkerung und die strukturellen Probleme eingestanden. Das Einkommen der Bauern erhöht sich nur langsam, die Sozialabsicherung ist nicht fest verankert, die Entwicklung der verschiedenen Gebiete ist ungleichmäßig und das Einkommensgefälle innerhalb der Gesellschaft ist groß.536 Der gegenwärtige Zustand kann aufgrund der Einkommensverteilung als ein Zustand zwischen Überleben und Wohlstand interpretiert werden.537 Wenn es auch nicht explizit hervorgehoben wurde, so wird doch erkennbar, dass sich in der chinesischen Führung ein neues Verständnis von Entwicklung durchgesetzt hat, das Wirtschaft und Soziales gleichermaßen betont. Durch ein ausgewogenes Konzept sollen die Probleme gelöst werden, die im Verlaufe des weiteren schnellen Wachstums entstehen werden. Hierunter werden besonders die Kluft zwischen Stadt und Land, die regionalen Ungleichgewichte, die hohe Arbeitslosigkeit und die fehlende soziale Sicherung verstanden.538 Die sozialen Differenzen zwischen Arm und Reich, zwischen Ost und West und zwischen Stadt und Land führen zu Spannungen, welche die Kommunistische Partei in ihrer Existenz bedrohen können.539 Die Legitimation der Regierung beruht auf ihrer Fähigkeit, neben der Steuerung und Generierung weiteren Wirtschaftswachstums auch eine friedliche und stabile innere Ordnung zu schaffen, unter der sich die Wirtschaft weiter entfalten kann.540 Ein Pfeiler dieser sozialen Stabilität ist eine Alters- und Krankenversorgung, die nicht große Teile der Bevölkerung ausschließt.541 Die Lücken in der medizinischen Absicherung beruhen nicht auf einem Mangel an Ärzten oder Krankenhäusern, sondern an einer fehlenden finanziellen Absicherung zur Übernahme der Behandlungskosten.542 Wie bei der Alterssicherung fehlen der Regie535 536 537 538
539 540 541 542
Vgl. Institut für Asienkunde (Hrsg.), 2002, S. 1386. Vgl. Institut für Asienkunde (Hrsg.), 2004, S. 241. Vgl. Hu A., 2003, S. 52. Vgl. o. V., 2004n, S. 241. Mit dem Machtwechsel an die neue Führung unter Präsident und Parteichef Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao hat sich der Fokus von spektakulären Wachstumsraten auf den sozialen Ausgleich verschoben [Sieren, F., 2005, S. 273]. Vgl. Hein, C., 2005, S. 13 u. Blume, K., 2005, S. 21. Vgl. Wasserstrom, J., 2004, S. 29. Vgl. Blume, K., 2005, S. 21 u. Interviewpartner 5, 2005, S. 11 u. The Economist (Hrsg.), 2004d, S. 21. Vgl. The Economist (Hrsg.), 2004d, S. 21.
182
Mutation des Tensors
rung die Ressourcen, dieses Problem alleine zu bewältigen. Die durch die Staatsbetriebe garantierte lebenslange Rundumversorgung in den Städten hat sich als nicht tragfähig erwiesen.543 Die chinesische Regierung hat ein sehr hohes Interesse an ausländischem Know-how zur Lösung dieser Probleme und würde jedes Engagement einer Versicherung zum Angebot einer Lebens- oder Krankenversicherung an diese Zielgruppe begrüßen und unterstützen.544
=>
Regierung
Positiv
Damit würde ein Angebot an diese Zielgruppe einen hohen Wert für die potentiellen Kunden und die Regierung schaffen, doch der geschaffene Wert für die Shareholder ist noch fraglich und soll deshalb noch einmal genauer betrachtet werden.
Werte für die Shareholder – eine zweite Betrachtung Der Shareholder Value wurde bisher in dem Dualismus Gewinn oder kein Gewinn beurteilt. Dabei wurde unterstellt, dass Geschäftsfelder, in denen Unternehmen Gewinne erwirtschafteten, den Shareholder Value steigern und Geschäftsfelder, in denen keine Gewinne erwirtschaftet werden können, Shareholder Value vernichten. Dieser Unterteilung folgt eine klassische Aufgabenteilung, nach der Unternehmen Profite erwirtschaften müssen und Non-Profit Organisationen Bedürftige unterstützen und dabei selber auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Während die Grundannahme, dass Unternehmen Profite erwirtschaften müssen, um Werte für ihre Anteilseigner zu schaffen, nicht angetastet wird, soll hinterfragt werden, ob jedes Geschäftsfeld Profite erwirtschaften muss, um Shareholder Value zu schaffen. Wenn der Dualismus Profit versus Non-Profit aufgehoben wird, kann dazwischen eine dritte Form der Organisation platziert werden: Die Non-Loss Organisation.545 Sie hat nicht das Ziel, den Shareholder Value zu steigern wie die Profit-Organisation, aber auch nicht die Möglichkeit, Shareholder Value durch den permanenten Bedarf von neuem Kapitel zu vertilgen, sondern die Auflage, zur Erreichung ihrer Ziele keinen Shareholder Value zu vernichten. 543 544 545
Vgl. Blume, K., 2005, S. 21 u. Interviewpartner 5, 2005, S. 3 Vgl. Interviewpartner 7, 2005, S. 4 u. Interviewpartner 15, 2005, S. 5. Vgl. Yunus, M., 2003, S. 206 – 208.
183
Evaluation der neuen Kategorien
Die Shareholder würden auf die Steigerung ihres Kapitals verzichten, um dadurch die Verfolgung anderer Ziele zu subventionieren. Die Non-Loss Geschäftseinheit müsste kostendeckend arbeiten und alle Kosten bis auf die kalkulatorischen Eigenkapitalkosten erwirtschaften und dadurch - im Gegensatz zu einer Non-Profit Organisation - unabhängig von permanenten Kapitalzuflüssen sein.546 Neben dem Schaffen von Werten für die Kunden, welches für alle Geschäftseinheiten die grundlegende Legitimation ihrer Existenz ist, müssen sich alle Geschäftseinheiten in der VR China neben der Zielgröße Schaffung von Shareholder Value auch an der Zielgröße Schaffung von Werten für die Regierung messen lassen. Jedes Geschäftsfeld wird beurteilt, ob ein Engagement dort für die Shareholder Werte schaffen würde (Profit), keine Werte vernichten würde (Non-Loss) oder Werte vernichten würde (Non-Profit) und ob die Tätigkeit für das Kreieren von Werten für die Regierung negative, neutrale oder positive Auswirkungen hätte. Aus der Kombination dieser beiden Achsen ergeben sich neun mögliche Gesamtbeurteilungen für die Geschäftsfelder.
Wertematrix zur Evaluation von Geschäftsfeldern Shareholder Value
Profit
Non-Loss
Loss
Werte für die Regierung Negativ
Neutral
Positiv
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 8
546
Vgl. Easton, T., 2005, S. 6.
184
Mutation des Tensors
Die hellgrauen Felder werden als unattraktiv angesehen und umfassen alle Kombinationen, die Werte für die Shareholder (Non-Profit) oder die Regierung (Negativ) vernichten, sowie das mittlere Feld, welches weder für die Shareholder noch für die Regierung Werte schafft. Als attraktiv werden die dunkelgrauen Felder beurteilt, welche für die Shareholder (Profit) und / oder für die Regierung (Positiv) Werte schaffen. Das Feld in der rechten oberen Ecke stellt eine Win-Win-Win Situation dar, bei der für die Kunden, die Shareholder und die Regierung Werte geschaffen werden können. Die Regierung und die Shareholder hätten ein Interesse an einem Engagement des Unternehmens in diesem Feld. Das mittlere Feld in der oberen Reihe (Profit / Neutral) schafft Werte für die Kunden und die Shareholder. Für die Regierung werden keine Werte geschaffen. Während die Shareholder ein Interesse an einem Engagement in diesem Feld hätten, gibt es keine Anreize für die Regierung und es besteht die Gefahr, dass sie insbesondere ausländischen Unternehmen den Zugang zu diesem Feld verweigert. Das mittlere Feld in der rechten Reihe (Non-Loss / Positiv) schafft Werte für Kunden und Regierung. Während die Regierung ein Interesse an dem Engagement des Unternehmens hätte, besteht für die Shareholder kein originäres Interesse, da sie auf die Rendite ihres eingesetzten Kapitals verzichten müssten. Bei einer isolierten Betrachtung würde nur das rechte obere Feld ein Engagement gestatten, welches sich auf die Unterstützung der Shareholder und der Regierung stützen könnte. Eine vernetzte Betrachtung der Felder erweitert die Möglichkeiten.547 „… the regulators will work on that foreign insurance companies can work in this field. But without license in other areas foreign insurance companies will not come.”548
Bei einer vernetzten Betrachtung mehrerer Felder ist eine Kombination möglich, bei der Werte für alle beteiligten Parteien geschaffen werden können. Das Unternehmen engagiert sich in einem (Non-Loss / Positiv) Feld und schafft Werte für die Regierung, dafür unterstützt die Regierung den Eintritt des Unternehmens in ein (Profit / Neutral) Feld, in dem Werte für die Shareholder geschaffen werden können. Insgesamt entsteht durch das Engagement eine Win-Win-Win-Situation für Kunden, Shareholder und Regierung. 547 548
Vgl. Interviewpartner 5, 2005, S. 3 – 4 u. Interviewpartner 7, 2005, S. 4. Interviewpartner 15, 2005, S. 5.
185
Evaluation der neuen Kategorien
Wertematrix zur Evaluation von Geschäftsfeldern Shareholder Value
subventioniert
Profit Non-Loss sekundiert Loss
Werte für die Regierung Negativ
Neutral
Positiv
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 9
Der Eintritt in das Non-Loss / Positiv Feld sekundiert den Eintritt in das Profit / Neutral Feld, und dieses wiederum subventioniert durch die Schaffung von Shareholder Value den verzichteten Shareholder Value der Non-Loss Aktivitäten. Mit dieser erweiterten Betrachtung können die Felder der Zielgruppe indirekt Shareholder Value schaffen, indem sie als eine Non-Loss Aktivität den Eintritt des Unternehmens in Profit-Felder sekundieren. Bei einer Nutzung technologischer Möglichkeiten zur Reduktion der variablen Kosten und dem Aufbau von Economies of Scale zur Reduktion des Fixkostenanteils pro Police besteht darüber hinaus die Möglichkeit, ein Engagement in den Feldern dieser Zielgruppe zu einer Profit Aktivität zu entwickeln.
=>
Shareholder Value
Profit oder Non-Loss
Die Evaluation der neuen Kategorien hat die entstandenen Felder in Rote oder Blaue Ozeane unterschieden und die Blauen Ozeane auf die Möglichkeit untersucht, in ihnen Werte für die Kunden und die Shareholder zu schaffen. Im nächsten Schritt wird der Tensor an die neuen Kategorien angepasst und zusammengefasst, welche zusätzlichen Optionen die Mutation hervorgebracht hat.
186
Mutation des Tensors
5.3 Anpassung des Tensors
Mature
Emerging
Transfer
Mutation Anpassung
Rückkopplung
Nach der Evaluation der neuen Kategorien in den drei Dimensionen des Branchentensors besteht der nächste Schritt in der Anpassung des Tensors gemäß der neuen Kategorisierung.
Schritt 6: Anpassung des Tensors
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 10
Durch die Reflexion der Kategorien in Schritt 4 wurde die Dimension Leistungsangebot um die Kategorie „Risk Management Beratung“ erweitert, in der Dimension Zielgruppe wurde die Kategorie „Privatkunden“ durch die beiden Kategorien „Mittelklasse“ und „Basisklasse“ ersetzt und in der Dimension Region ist die Kategorie „China“ in sechs neuen regionalen Kategorien aufgegangen. Durch diese Erweiterung der Kategorien hat sich die Anzahl der Felder des Tensors von 9 auf 96 erhöht:
187
Anpassung des Tensors n
f (n, k n ) = ∏ k i = k1 * k 2 * ...* k n−1 * k n i =1
n=3
(3 Dimensionen: Region, Leistungsangebot und Zielgruppe) k1 = 6 (6 Kategorien der Dimension Region) k2 = 4 (4 Kategorien der Dimension Leistungsangebot) k3 = 4 (4 Kategorien der Dimension Zielgruppe) 3
f (3, k n ) = ∏ ki = 6 * 4 * 4 = 96 i =1
Diese 96 Felder stellen Optionen für eine Geschäftstätigkeit in der VR China dar, die im folgenden Kapitel noch einmal zusammengefasst werden sollen.
Zusammenfassung: Optionen der Mutation Die Mutation hat den durch den Transfer nach China entstandenen Tensor aufgenommen, die bestehenden Kategorien reflektiert, die neuen Möglichkeiten evaluiert und dadurch folgende Ergebnisse erbracht:
1. Durch die Mutation des Branchentensors sind 96 potenzielle Geschäftsfelder entstanden.
Die Mutation hat alle Dimensionen des Tensors um zusätzliche Kategorien erweitert, die den Besonderheiten der VR China geschuldet sind. In der Dimension „Region“ wurde die bestehende Kategorie durch sechs neue Kategorien ersetzt. Dadurch sind die neun Optionen des Transfers in den neu entstandenen Optionen der Mutation aufgegangen.
188
Mutation des Tensors
Optionen der Mutation Optionen der Mutation
96
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 11
2. 24 Felder sind Blaue Ozeane und von keinem Konkurrenzunternehmen besetzt.
Die neue Kategorie „Basisklasse“ in der Dimension „Zielgruppe“ hat 24 Felder eröffnet, die noch von keinem Konkurrenzunternehmen besetzt sind und deshalb Blaue Ozeane bilden, in denen das Unternehmen mit einer neuen Kombination aus Angebot und Bedarf neue Werte für Kunden und Shareholder schaffen kann.
Blaue Ozeane versus Rote Ozeane Optionen der Mutation
Rote Ozeane
72
96
Blaue Ozeane
24
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 5 – Abbildung 12
Die restlichen 72 Felder des Tensors sind Rote Ozeane, in denen bereits Unternehmen miteinander im Wettbewerb stehen. In diesen Feldern kann das Unternehmen zusätzliche Werte für Kunden und Shareholder schaffen, wenn es einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz aufbauen kann.
Anpassung des Tensors
189
Die Mutation eröffnet eine Optionsvielfalt, die deutlich über die durch den Transfer des bestehenden Tensors eröffneten Optionen hinausgeht. Ob sich diese Optionen zu rentablen Geschäftsmodellen ausbauen lassen, muss für jeden Einzelfall geprüft werden und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu negativen Ergebnissen führen. Doch aus der neu entstandenen Vielfalt der Möglichkeiten können sich auch Geschäftsmodelle ergeben, die über das bestehende hinausgehen und das Unternehmen in neue Räume vorstoßen lassen. Diese Einzelfallprüfung kann an dieser Stelle nicht nachvollzogen werden, da sie eine unternehmensspezifische Prüfung erfordern würde. Stattdessen wird in einem letzten Schritt angedeutet, welche Möglichkeiten Emerging Markets wie China eröffnen, die über ihre regionalen Grenzen hinausgehen.
190
Rückkopplung des Tensors
6 Rückkopplung des Tensors Durch den Transfer des Tensors wurde der in den etablierten Märkten bestehende Tensor auf die VR China übertragen und anschließend mit der Mutation des Tensors den Besonderheiten der chinesischen Region angepasst. Die Rückkopplung des Tensors eröffnet abschließend die Möglichkeit, neue Geschäftsfelder, deren Entstehung durch die Mutation in China angestoßen wurde, auch auf andere Märkte zu übertragen. Die Potenziale von Emerging Markets für die gesamte globale Geschäftstätigkeit werden schrittweise bewusst. Anfänglich standen die Möglichkeiten als billige Produktionsstandorte im Vordergrund, die es erlaubten, die Kosten der bestehenden Wertschöpfung zu reduzieren. Dieselben Produkte konnten zu günstigeren Preisen auf den Weltmärkten verkauft werden.549 Das Emerging Markets nicht nur Preise verändern sondern auch Impulsgeber für neue Produkte und ganze Branchensegmente sein können, wird in einem zweiten Schritt sichtbar: • Die niedrige Kostenstruktur ermöglicht das profitable Ansprechen neuer Zielgruppen.550 • Andersartige Ansprüche und ein großer Bedarf stimulieren eine Neukonzeption von Produkten und Geschäftsmodellen.551 • Immer mehr Unternehmen verlagern ihre globalen Forschungs- und Entwicklungszentren nach Asien oder Osteuropa.552 Wie China die Branchenstruktur über seine Grenzen hinausgehend verändern kann, betrachtet der folgende Abschnitt.
549 550
551
552
Vgl. Farell, D., 2004, S. 82 – 83. Farell strukturiert das globale Potenzial in die fünf Schritte: 1. Enter New Markets; 2. Move Production Abroad; 3. Disaggregate the Value Chain; 4. Reengineer the Value Chain; 5. Create New Markets [Vgl. Farell, D., 2004, S. 87 – 89]. Die Nachfrage von ca. 1 Mrd. neuer Kunden in Asien und Südamerika verändert z. B. die High-TechBranche. Andersartige Bedürfnisse an die Benutzerfreundlichkeit, Widerstandsfähigkeit, Energieversorgung und Preise waren der Impuls für neues Design, Technik und Geschäftsmodelle [Vgl. Hamm, S., 2004, S. 54 – 55]. Vgl. Prestowitz, C., 2005, S. 135 – 149.
Lernen von China
191
6.1 Lernen von China Der Gedanke, dass Amerika, Europa und Japan etwas von China lernen können, ist historisch betrachtet nicht neu. “So foreigners indeed learned from China in history. Foreigners learned how to make silk, how to make porcelain, how to make powder, the fire powder is also invented by Chinese, most important is paper. Paper is invented by China. So yes, there was exchange. Foreigners learned from China.”553
Während gegenwärtig Technologie und Innovation meistens von den Ländern der Triade nach China übertragen werden,554 ist das Wissen für viele Jahrhunderte in die entgegengesetzte Richtung geflossen. Die Europäer haben die technologischen Errungenschaften der chinesischen Kultur bereitwillig aufgenommen und weiterentwickelt.555 Demgegenüber waren die Chinesen, in der Annahme ihrer kulturellen Überlegenheit, nicht an neuem Wissen von außerhalb interessiert.556 Diese Überheblichkeit und Lernunwilligkeit war der Beginn eines langen Abstieges, der China Jahrhunderte später in eine Situation der technologischen Unterlegenheit gegenüber den westlichen Ländern brachte.557 In der chinesischen Historie war der Glaube an die eigene Überlegenheit die Wurzel zu Stillstand und späterem Niedergang. Dieses Beispiel kann sich für die Länder der Triade wiederholen, wenn aus dem Gefühl der eigenen ökonomischen und technologischen Dominanz heraus China nur als Lernender, nicht aber auch als Lehrender gesehen wird. „Grundsätzlich kann man von allen Märkten lernen. Aber das ist auch, glaube ich, eine grundsätzliche Einschätzung, die eigentlich auch jeder in sich tragen sollte: Man kann nicht nicht lernen, man kann nur nicht lernen wollen.“558
553 554 555 556 557 558
Interviewpartner 16, 2005, S. 11. Vgl. Interviewpartner 1, 2005, S. 6 u. Sieren, F., 2005, S. 251. Vgl. Seitz, K., 2003, 27 – 31. Vgl. Spence, J., 2001, S. 151 – 158. Vgl. Seitz, K., 2003, 17 – 22 u. Interviewpartner 16, 2005, S. 11. Interviewpartner 7, 2005, S. 16.
192
Rückkopplung des Tensors
Innovation “You are tempted to feel free, more free about thinking outside the box.”559
China wie auch andere Emerging Markets bieten Unternehmen aus etablierten Märkten eine Quelle der Innovation. Geschäftsmodelle in Ländern der Triade sind oft viele Jahre gewachsen. Während viele vorhandene Strukturen und Prozesse als selbstverständlich betrachtet und nicht mehr hinterfragt werden, fordert das Fehlen dieser Strukturen und deren Neuentwicklung in Emerging Markets eine Reflexion der Grundlagen heraus.560 „Was mich einfach beeindruckt hat, war dieses offen sein für alles Neue. Das ist wesentlich stärker ausgeprägt. Es ist in diesen Wachstumsmärkten eine wesentlich stärkere Bereitschaft da, dazu zu lernen, offen zu sein, zuzuhören und Dinge auch aufzunehmen.“561
Die Notwendigkeit eröffnet auch die Bereitschaft zur Neukonzeption. Dieser Druck zur Innovation kann in China oder anderen Emerging Markets Lösungen hervorbringen, die sich auch auf die erstarrten etablierten Märkte übertragen lassen und dort neue Geschäftsfelder und -modelle eröffnen. „Weil hier die Versicherungswirtschaft nicht so etabliert ist, wie in den etablierten Märkten, ist auch hier die Bereitschaft, sich etwas Neues anzuschauen, viel größer. In etablierten Märkten ist eher der Ansatz: Das klappt hier nicht, weil wir das schon seit 100 Jahren so machen. Hier gibt es zwar auch die Aussage: Das klappt hier nicht! Aber nicht, weil wir das schon seit 100 Jahren so machen, sondern weil ich dies glaube. Es ist viel mehr eine Suche danach, was könnte hier funktionieren. Das führt einfach dazu, dass wir irgendwann, gerade im Vertriebsbereich, weniger im Produktbereich aber im Vertriebsbereich, hier plötzlich proven business models etabliert haben, wo dann in 3 - 5 Jahren Deutschland kommt und sagt: Mensch, was macht ihr denn da in China, was macht ihr denn da in Indien? Das wollen wir uns auch einmal anschauen, wie wir Versicherungsprodukte in Deutschland vertreiben können.“562
559 560 561 562
Interviewpartner 11, 2005, S. 10. Vgl. Interviewpartner 11, 2005, S. 10. Interviewpartner 13, 2005, S. 9. Interviewpartner 7, 2005, S. 16 – 17.
Lernen von China
193
Neben dem Drang zur Innovation und Entwicklung neuer Lösungen bietet China auch ein Umfeld, in dem einmal bestehende Lösungen mit hoher Geschwindigkeit angepasst und weiterentwickelt werden.
Flexibilität „Bewegung, Bewegung, das ist so was, wovon die anderen lernen können.“563
Geprägt durch die unruhige Geschichte und die permanente Veränderungen hat China in der jüngeren Vergangenheit niemals ein stabiles Umfeld für eine private oder geschäftliche Entwicklung geboten. Ein erfolgreiches Agieren in diesem System hat die Flexibilität zur ständigen Anpassung an neue Umweltbedingungen zur Notwendigkeit gemacht.564 „Chinese have a good point. Chinese are very flexible. They are very flexible. This is something; flexibility could be very good in service, in serving the clients, because nowadays you really need flexibility, both in management and serving the clients. We are talking about customized, personalized service; it requires a very huge flexibility. Not only in dealing with the customer, also in delivering and distribute your service.”565
Diese Flexibilität bietet in China die Grundlage auf veränderte Umweltbedingungen schneller zu reagieren, als in etablierten Märkten mit ihren festgefahrenen Strukturen. Damit können China und andere Emerging Markets bei einem internationalen Unternehmen als Frühwarnsystem und Vorreiter von Veränderungen dienen. China und andere Emerging Markets bieten Unternehmen ein Umfeld, in dem sie gezwungen sind, ihre Prozesse und Entscheidungen einer beschleunigten Umwelt anzupassen. Diese Erfahrungen können rücktransferiert die Wettbewerbsstärke des Unternehmens in den etablierten Märkten steigern und es für einen zunehmenden global vernetzten und dynamischen Konkurrenzkampf stärken.566 „I think China is a very dynamic environment. A German company can learn how to deal with the dynamic environment. Because I believe Germany in the future will also change from stable to dynamic, so that means the German companies can build the capabilities to deal with more dynamic global business.”567
563 564 565 566 567
Interviewpartner 5, 2005, S. 9. Vgl. Interviewpartner 5, 2005, S. 9 u. Interviewpartner 1, 2005, S. 8. Interviewpartner 16, 2005, S. 11. Vgl. Interviewpartner 2, 2005, S. 2 Interviewpartner 8, 2005, S. 4.
194
Rückkopplung des Tensors
6.2 Optionen der Rückkopplung
Mature
Emerging
Transfer
Mutation
Rückkopplung Rückkopplung
Rückkopplung und Transfer von Wissen und Erfahrungen aus Emerging Markets zurück in etablierte Märkte finden bereits statt, z. B. werden Innovationen der Wertschöpfungsaktivitäten Distribution oder Service, die in Osteuropa oder Asien entstanden sind, nach Deutschland übertragen.568 Eine Schritt auf eine neue Ebene wäre darüber hinaus der Transfer neu entdeckter Geschäftsfelder aus Emerging Markets. Wenn sich durch die Mutation des Tensors in dem Emerging Market Kategorien verändert haben und dadurch neue Felder entstanden sind, verändert sich bei einer Rückkopplung auf alle regionalen Kategorien der gesamte Tensor. Damit entstehen in anderen Emerging Markets sowie in Mature Markets neue potenzielle Geschäftsfelder. Der in der Region China mutierte Tensor kann zur Multiplikation der entstandenen Optionen auf Regionen rückgekoppelt werden, in denen das Unternehmen bereits aktiv ist. Dabei liegt der erste Blick auf anderen Emerging Markets. Die Chance, dass die durch die Besonderheiten der VR China neu entstandenen Felder auch in anderen Regionen neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen, ist in anderen Emerging Markets besonders hoch, auf Grund ähnlicher ökonomischer, demografischer oder sozialer Charakteristika. Weniger offensichtlich sind die Chancen, die sich durch die Rückkopplung des Tensors auf die Mature Markets ergeben, die sich in ihrer Struktur deutlicher von der VR China unterscheiden. Viele durch die Rückkopplung in den etablierten Märkten entstandenen Felder werden keine Möglichkeiten für rentable Geschäftsmodelle eröffnen, 568
Vgl. Interviewpartner 13, 2005, S. 1 u. Interviewpartner 10, 2005, S. 7. So wurde z. B. ein SMS-System für die Kundeninformation in der Versicherungsbranche aus Indonesien weltweit übertragen [Vgl. Interviewpartner 10, 2005, S. 7].
Optionen der Rückkopplung
195
weil die speziellen Charakteristika der VR China, die zur Entdeckung dieser Felder geführt haben, in einem Mature Market nicht gegeben sind. Doch auch wenn die Quantität der entstehenden Optionen in den Mature Markets geringer sein wird, kann eine erfolgreiche Rückkopplung und ein dadurch entstehendes Geschäftsfeld in einem Mature Market Auswirkungen haben, die in ihrer Signifikanz die entwickelten Optionen in Emerging Markets übersteigen und die gesamte Branche verändern. Die Branchenstruktur in ihrer bisherigen Form ist durch die Mature Markets determiniert und auf Emerging Markets transferiert. Wenn eine in Emerging Markets mutierte Struktur auf Mature Markets rückgekoppelt wird, ist aus einer Bewegung in eine Richtung ein Kreislauf geworden, der die gesamte Branche erfassen kann.
Schritt 7: Rückkopplung des Tensors
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 6 – Abbildung 1
Durch die Rückkopplung auf andere regionale Kategorien eröffnen sich durch die neuen Kategorien „Basisklasse“ in der Dimension „Zielgruppe“ und „Risk Management Beratung“ in der Dimension „Leistungsangebot“ pro regionaler Kategorie sieben neue Segmente, die als potenzielle Geschäftsfelder evaluiert werden können.569
569
Die sieben neuen Segmente sind je regionaler Kategorie die Zielgruppen / Leistungsangebots Kombinationen: Firmenkunden / Risk Management Beratung, Gewerbekunden / Risk Management Beratung, Mittelklasse / Risk Management Beratung, Basisklasse / Risk Management Beratung, Basisklasse / Lebensversicherung, Basisklasse / Krankenversicherung, Basisklasse / Sachversicherung.
196
Rückkopplung des Tensors
Die neue Kategorie „Risk Management Beratung“ erschließt in Mature und Emerging Markets Segmente, die über das originäre Versicherungsgeschäft hinausgehen und eine Diversifikationsstrategie ermöglichen. Die Attraktivität einer solchen Option muss für jede Region / Zielgruppen Kombination einzeln evaluiert werden. Durch die Kategorie „Basisklasse“ in der Dimension „Zielgruppe“ eröffnete Felder bieten interessante Optionen in Emerging Markets, deren Einkommensstruktur eine Pyramidenform wie in der VR China hat und die dadurch über eine große Basisklasse unterhalb der Mittelschicht verfügen. Eine Multiplikation über mehrere Emerging Markets kann die Economies of Scale schaffen, die zur Generierung eines rentablen „Profit-“ Geschäftes in diesen Segmenten notwendig sind.570 Die Rückkopplung des Tensors bietet die Möglichkeit, China und andere Emerging Markets über ihren Wert als regionaler Absatzmarkt hinaus als Inspirations- und Innovationsquelle für die gesamte internationale Unternehmung zu nutzen. Basis für die Erschließung dieses Potenzials ist die Abkehr von einem linearen Entwicklungsdenken, nach dem Emerging Markets einem von den Industrieländern vorgegebenem Pfad folgen, hinzu einem räumlichen Denken: Jede regionale Entwicklung ist eine mehrdimensionale Suche, die zur Entdeckung neuer Räume führen kann, welche für andere Regionen in ihrer bisherigen Entwicklung nicht sichtbar waren.
570
Vgl. Prahalad, C., 2005, S. 47 – 48.
Schlussbetrachtung
197
7 Schlussbetrachtung Das abschließende Kapitel dieser Arbeit beginnt mit einem Blick zurück zum Anfang: Was war die Motivation und das Ziel dieser Arbeit? [ 1 Motivation der Betrachtung von Emerging Markets ] Das Problem Mit ihren Produkten und Dienstleistungen erreichen viele Unternehmen nur eine kleine Bevölkerungsgruppe in Emerging Markets. Es besteht das Problem, dass die Unternehmen mit ihren gegenwärtigen Strategien den Bedarf des Großteils der Bevölkerung nicht befriedigen können. Die Frage nach Leistungsangebot und Zielgruppe in Emerging Markets konnte noch nicht zufrieden stellend beantwortet werden.
Die Fragen • Wie beeinflusst der eigene Erfahrungshintergrund die Strategieentwicklung in einem Emerging Market? • Wie kann ein Unternehmen bei der Strategieentwicklung den Besonderheiten eines Emerging Markets gerecht werden? • Bietet ein erweiterter strategischer Ansatz Möglichkeiten eines bedarfsgerechteren Angebots für die Bevölkerung in einem Emerging Market?
Das Ziel Ziel dieser Arbeit war • die Einführung der Logik räumlicher Entwicklung, • die Konzeption einer Business Development Methodik, die den abstrakten Gedanken räumlicher Entwicklung auf eine pragmatische Ebene komprimiert, und • die Exemplifikation der entwickelten Business Development Methodik anhand der Versicherungsbranche in der VR China.
198
Schlussbetrachtung
Der Bezugsrahmen Zur Erreichung dieser Zielsetzung hat die Arbeit den in Abbildung 1 skizzierten Bezugsrahmen aufgespannt, der sich von der abstrakten Ebene des räumlichen Denkens zur methodologischen Ebene der Business Development Methodik bewegte. Die entwickelte Methodik wurde auf der praktischen Ebene anhand der Versicherungsbranche in der VR China exemplifiziert.
Bezugsrahmen - Ebenen der Argumentation
Abstrakte Ebene
Methodologische Ebene
Räumliches Denken
Branchentensor / Business Development Methodik
Praktische Ebene
Versicherungsbranche in der VR China
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 7 – Abbildung 1
Wie beeinflusst der eigene Erfahrungshintergrund die Strategieentwicklung in einem Emerging Market? [ 2 Betrachtungsweise von Emerging Markets] Antworten • Zirkularität zwischen Beobachter und Beobachtung. • Ziel der Untersuchung ist das Funktionieren und nicht die Wahrheit. • Entwicklung von Emerging Markets kann als linearer Pfad oder mehrdimensionaler Raum gesehen werden.
199
Schlussbetrachtung
Wie kann ein Unternehmen bei der Strategieentwicklung den Besonderheiten eines Emerging Markets gerecht werden? [ 3 Von Märkten zu Räumen] Antworten • Denken in Räumen: Der Raum ist ein Konstrukt, welches erst durch das Ziehen von Grenzen durch den Betrachter mit Inhalten gefüllt wird. • Die gezogenen Grenzen der Branchensegmentierung können bei einem Engagement in Emerging Markets potentielle Geschäftsfelder verdecken. • Ein Bewusstsein für die Unendlichkeit der räumlichen Entwicklung und eine Reflexion der gezogenen Grenzen kann neue Geschäftsfelder erschaffen. Ergebnis
Business Development Methodik Emerging Market
Mature Market
Transfer Definition des Tensors
Übertrag des Tensors
Reflexion der Kategorien
Evaluation der neuen Kategorien
Evaluation der neuen Kategorie
Optionen d. Transfers
Adaption des Tensors
Optionen d. Mutation
Mutation
Rückkopplung Optionen d. Rückkopplung
Rückkopplung des Tensors
Quelle: Eigene Darstellung Kapitel 7 – Abbildung 2
Die Business Development Methodik bietet bei einem Engagement in Emerging Markets eine Strukturierungshilfe für die Hinterfragung des eigenen Tätigkeitsfeldes und die Adaption an die Besonderheiten eines neuartigen Marktes und eröffnet damit das Potenzial, Angebot und Bedarf weiter zusammenzuführen.
200
Schlussbetrachtung
Bietet ein erweiterter strategischer Ansatz Möglichkeiten eines bedarfsgerechteren Angebots für die Bevölkerung in einem Emerging Market? Antworten [ 4 Transfer des Tensors] • Ein der linearen Entwicklungslogik folgender Transfer der Branchensegmentierung der Versicherungsbranche auf die VR China lässt 9 neue potentielle Geschäftsfelder entstehen. • Bei allen Feldern handelt es sich um Rote Ozeane, die bereits von der Konkurrenz besetzt sind.
[ 5 Mutation des Tensors] • Eine der räumlichen Entwicklungslogik folgende Mutation des Branchentensors erschafft 96 neue potentielle Geschäftsfelder. • 24 Felder sind Blaue Ozeane und von keinem Konkurrenzunternehmen besetzt. • Die Mutation des Tensors hat die Anzahl der Optionen gesteigert und mit der Entdeckung Blauer Ozeane neuartige Möglichkeiten eröffnet.
[ 6 Rückkopplung des Tensors] • Die Rückkopplung des Tensors bietet die Möglichkeit, China und andere Emerging Markets als Inspirations- und Innovationsquelle für die gesamte internationale Unternehmung zu nutzen.
Schlussbetrachtung
201
Die Grenzen und Möglichkeiten der Business Development Methodik „Wenn man schaut, dann sieht man etwas, aber zuerst muss man schauen.“571
Ausgehend von der Logik des räumlichen Denkens entwickelte diese Arbeit eine Methodik zur Identifikation von alternativen Geschäftsfeldern in Emerging Markets, die an der Versicherungsbranche in der Volksrepublik China exemplifiziert wurde. Die Exemplifikation diente der Illustration der Methodik und besaß nicht den Detaillierungsgrad zur Generierung entscheidungsreifer Strategieoptionen. Die Anwendung zeigt für die Versicherungsbranche in der VR China potentielle Geschäftsfelder auf, die über einen Transfer des Bestehenden hinausgehen und den regionalen Besonderheiten gerecht werden. Die Evaluation dieser Felder zur Entscheidungsvorbereitung für einen Markteintritt würde den theoretischen Rahmen dieser Arbeit sprengen. Eine weitergehende Entwicklung von Geschäftsmodellen und eine Konfiguration der Wertschöpfungskette ist nicht mehr Teil der vorgestellten Methodik und muss in nachfolgenden Schritten erbracht werden. Im Zentrum der Arbeit steht die Business Development Methodik an sich, die keinen Automatismus zur Verfügung stellt, welcher durch Abarbeiten neue Lösungen kreiert. Sie bietet aber einer Strukturierungshilfe zur Bewegung im Raum der unendlichen Alternativen. Dem Anwender wird mit der aufgezeigten Schrittfolge und dem Branchentensor ein Bezugsrahmen zur Verfügung gestellt, der eine systematische Suche nach alternativen Geschäftsfeldern in Emerging Markets ermöglicht. Dabei stellt die Arbeit die Neuartigkeit von Emerging Markets im Vergleich zu den etablierten Märkten der Triade in den Mittelpunkt und versucht, dieser Andersartigkeit durch eine systematisch Hinterfragung der bestehenden Branchenstrukturierung gerecht zu werden. Die Methodik bietet dabei den Rahmen der Suche, doch die kreative Eigenleistung zur Reflexion der eigenen Grenzen und zur Entdeckung neuer Räume muss der Betrachter immer wieder aufs Neue erbringen. Durch die Rückkopplung mit den bestehenden Märkten wird ein einseitiges Transferdenken im Verhältnis von Mature zu Emerging Markets zu einer zirkulären Betrachtung erweitert. Das Innovationspotential von Emerging Markets wird systematisch auf die etablierten Märkte weitergeleitet und jede Region kontinuierlich mit Veränderungen konfrontiert, an denen sich die bestehenden Strukturen messen lassen müssen.
571
Foerster, H. v. zitiert nach Wüthrich, H. / Osmetz, D. / Philipp, A., 2002, S. 30.
202
Schlussbetrachtung
Die vorgestellte Business Development Methodik fasst die Vielfältigkeit dieser Herausforderungen zu einer anwendungsorientierten Vorgehensweise zusammen. Die Strukturiertheit der Methodik, die eine Einsatz in der Praxis ermöglicht, ist auch gleichzeitig ihre Begrenztheit. Der unendliche Raum wird stark simplifizierend in eine Schrittfolge und einen Branchentensor gepresst. Der Leser ist deshalb dazu eingeladen, nicht nur die Grenzen der bestehenden Branchensegmentierung mit Hilfe der Methodik zu hinterfragen sondern auch die Methodik an sich zu reflektieren. Die Idee des räumlichen Denkens bietet einen abstrakten Bezugsrahmen zur Dekonstruktion der vorgestellten Methodik und der Anpassung an veränderte Umweltbedingungen. Die Möglichkeiten des räumlichen Denkens und die Operationalisierung mit Hilfe des Branchentensors gehen dabei weit über Emerging Markets hinaus. Eine Rückkopplung des mutierten Tensors kann die Innovationen aus den neuen zurück auf die alten Märkte tragen und die gesamte Branchenstruktur verändern. Das räumliche Denken ist nicht auf die geografische Dimension begrenzt, in denen Emerging Markets definiert werden. Jeder neuartige Raum, welcher durch politische, soziale oder technologische Veränderungen eröffnet wurde, kann Impulse für die Reflexion der Branchenstruktur in allen Dimensionen geben und neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen. Eine neue Zielgruppe kann z. B. nicht nur die Dimension Zielgruppe verändern sondern auch Impulse für neue Räume in den Dimensionen Leistungsangebot, Region oder Distributionsweg geben. Das Erkennen dieser Vielfalt richtet den Blick vom Bestehenden auf das Mögliche und von den gegenwärtigen auf die zukünftigen Märkte, welche die Zukunft des Unternehmens bestimmen werden. „Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst.“572
572
Foerster, H. v. zitiert nach Foerster, H. v. / Pörksen, B., 2003, S. 36.
Der Drache erwacht
203
Anhang A: Der Drache erwacht Vor 600 Jahren stand China auf dem Höhepunkt seiner Macht.573 Der Glanz des Kaisers strahlte über ganz Asien: Von Japan und Korea im Nordosten über Südostasien bis hin nach Südindien, den Persischen Golf und die ostafrikanische Küste hatten sich Staaten und Städte unter die Oberhoheit des Kaisers gestellt. Ein von China organisiertes Handelsreich umspannte die Meere: Das Japanische und Ostchinesische Meer im Norden, das Südchinesische Meer und den Indischen Ozean im Süden.574
1 Der Höhepunkt des Reiches der Mitte Das chinesische Handelsreich beruhte nicht - wie die späteren Kolonialreiche der Europäer - auf Eroberung und Unterjochung, sondern auf der Anerkennung des Universalkaisers und damit dem Zugang zum lukrativen Handel mit China und der Teilhabe an seiner überlegenen Kultur.575 China war über den größten Teil der letzten zwei Jahrtausende nicht nur das bevölkerungsreichste Land und die größte Volkswirtschaft der Erde, sondern auch die technologisch fortgeschrittenste Nation.576 Doch Anfang des 15. Jahrhunderts stoppte China den Seehandel abrupt – die Schiffe und alle Unterlagen über die Reisen wurden zerstört. China kehrte der Welt den Rücken und zog sich auf sich selbst zurück. Das chinesische Reich verschwand von den Weltmeeren in dem Augenblick als die europäischen Mächte mit der Entdeckung der Ozeane begannen.577 Die Gründe für diese abrupte Isolation liegen bis heute im Dunkeln.578 Die ersten Europäer gelangten im 16. Jahrhundert auf dem Seeweg nach China. Für rund drei Jahrhunderte gelang es China, den europäischen Begehren nach Handelsrechten nur beschränkt stattzugeben, indem es die Erlaubnis für isolierte Handelsnie573
574 575 576
577 578
Vgl. Seitz, K., 2003, S. 18. Während bei einer ersten Betrachtung das Chinesische Reich sich zu einem späteren Zeitpunkt - im 16. Jahrhundert - einer gewaltigen Machtausdehnung und eines überquellenden kulturellen Lebens rühmen konnte, hatte es zu diesem Zeitpunkt seinen politischen Zenit überschritten. Das lockere Gewebe der Ming-Dynastie befand sich bereits in der Auflösung [Vgl. Spence, J., 2001, S. 17 – 23]. Als Höhepunkt der kulturellen Blüte und des technologischen und sozialen Fortschritts kann das Zeitalter der SongDynastie (960-1279) angesehen werden [Vgl. Fairbank, J., 1992, S. 88 u. Seitz, K., 2003, S. 33]. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 18. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 18 -19. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 23. Als Indikatoren des technologischen Vorsprungs lassen sich die Erfindung und Verbreitung des Papiers, des Buchdruckes, des Magnetkompasses und des Schießpulvers in China anführen, lange bevor diese Errungenschaften in Europa in Gebrauch waren. Insbesondere in der Agrartechnik war der chinesische Vorsprung am größten und dauerhaftesten [Vgl. Seitz, K., 2003, S. 28 – 29]. Vgl. Fairbank, J., 1992, S. 138 - 139 u. Seitz, K., 2003, S. 18 –22. Vgl. Staiger, B., 1997, S. 5.
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Der Drache erwacht
derlassungen in Macao und später in Kanton (Guangzhou) erteilte. In seinem traditionellen Überlegenheitsgefühl betrachtete das Reich der Mitte andere Völker als nicht gleichwertig und bewertete die Europäer auf traditionelle Weise als untertänige Tributhändler.579 China sah sich als die einzige Hochkultur der Welt und glaubte, alles Nötige selbst im Überfluss zu haben.580 Als eine britische Gesandtschaft sich Ende des 18. Jahrhunderts weigerte, vor dem Kaiser die zeremonielle Unterwürfigkeitsgeste zu vollziehen, den Kotau, bahnte sich der unausweichliche Konflikt zwischen dem Reich der Mitte und den Europäern an.581 Das Ersuchen der Briten nach Einrichtung einer diplomatischen Vertretung in Peking, Aufhebung der Beschränkungen des Handelssystems und Öffnung weiterer Häfen für den internationalen Handel wurde vom Kaiser und seinen Ministern mit gleich bleibender Freundlichkeit samt und sonders abgelehnt.582 Für die Chinesen war der Handelsaustausch mit den Barbaren eine Gunst, die man diesen gewährte, da sie ja auf die Produkte der chinesischen Zivilisation angewiesen waren. China selbst hatte seiner Meinung nach alles, was es brauchte, und benötigte keinen Außenhandel. Der Forderung der Briten, die auf der Ansicht beruhte sie hätten ein Recht auf den offenen Handel, war aus chinesischer Sicht eine Unverschämtheit und indiskutabel. Von völliger Ignoranz zeigte der Vorschlag eines Gesandtenaustauschs – dem die Prämisse zu Grunde lag, dass es zwischen dem Kaiser des Himmels und dem britischen König Beziehungen von Gleich zu Gleich geben könnte.583 Der Kaiser ließ den britischen König in einem Edikt wissen, dass China seinen Außenhandel nicht auszuweiten gedenke, da es von anderen Ländern nichts benötige. Dem britischen Gesandten blieb nichts anderes übrig als China auf dem angegebenen Landweg nach Kanton wieder zu verlassen.584 Als der Kaiser das Angebot des britischen Königs zurückwies, stand China auf dem Höhepunkt seiner Macht in Asien. Die Fläche des Reiches war größer als jemals zuvor, doch dieser Höhepunkt der Macht war das Endstadium. Seit 500 Jahren stand die 579 580 581
582 583 584
Vgl. Staiger, B., 1997, S. 5. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 20. Vgl. Spence, J., 2001, S. 156 – 157, Seitz, K., 2003, S. 86 – 87 u. Staiger, B., 1997, S. 5. Der britische Gesandte Lord Mccartney weigerte sich 1793 vor dem Kaiser Qianlong den Kotau auszuführen – den dreimaligen Kniefall, jeweils verbunden mit einem dreimaligen sich zur Erde werfen. In seinem Großmut gegenüber den unwissenden Barbaren willigte der Kaiser schließlich ein, dass der britische Gesandte nur das Knie beugte, wie es im britischen Hofzeremoniell üblich war [Vgl. Seitz, K., 2003, S. 86 – 87]. Vgl. Spence, J., 2001, S. 157. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 86. Vgl. Spence, J., 2001, S. 157.
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chinesische Zivilisation im Wesentlichen still. Über die neuen Entwicklungen in Europa herrschte in China vollständige Unwissenheit. China ahnte nichts von der wissenschaftlichen und der beginnenden industriellen Revolution. Bei allem äußeren Glanz war das Reich der Mitte bereits weit hinter Großbritannien zurückgefallen.585 Als ungefähr 50 Jahre später britische Kanonenboote vor der Mündung des Perlflusses auftauchten und die Briten sich den Zugang zum chinesischen Markt mit Gewalt eröffneten, hatte das Reich der Mitte ihnen wenig entgegenzusetzen.586
2 Der lange Abstieg Der Opiumkrieg mit Großbritannien setzte zu den inneren Gründen des Niedergangs einen mächtigen Stoß von außen. Das Trauma des Sturzes in Armut, Schande und Demütigung durch die Ausländer sind unauslöschlich in die Gedächtnisse der Chinesen eingebrannt.587 Die hundert Jahren nach dem Opiumkrieg waren geprägt von inneren Unruhen588 und ausländischen Invasionen. Nach den Engländern sicherten sich auch andere Mächte in einem imperialen Wettlauf ihre Konzessionsgebiete, Einflusszonen und kolonialen Stützpunkte – die Franzosen, Russen, Japaner und Deutschen teilten sich China auf. Chinas Küste wurde vom äußersten Südwesten bis zur nördlichen Mandschurei von ausländischen Mächten beherrscht, die geöffneten Flusshäfen zogen sich weit in das 585 586
587 588
Vgl. Seitz, K., 2003, S. 89 - 90. Vgl. Fairbank, J., 1992, S. 198 – 201 u. Spence, J., 2001, S. 191 - 198. Der Opiumkrieg (1839-1842) war eine Folge der Notwendigkeit für Großbritannien, den Dreieckshandel zwischen London, Kanton und Indien im Gleichgewicht zu halten. Die Befriedigung des englischen Teedurstes musste damit erkauft werden, dass an China im Gegenzug Waren verkauft wurden. Neben Silber gab es eine Ware, die immer gefragter wurde: Opium. Als die chinesische Regierung gegen den Opiumhandel vorging, entsandten die Engländer eine Flotte und zwangen die Chinesen mit militärischer Gewalt zur Unterzeichnung des Vertrages von Nanjing, der Entschädigungszahlungen, die Abtretung der Insel Honkong und die Öffnung von fünf Vertragshäfen für den Außenhandel festlegte. Der erzwungene Vertrag veränderte das chinesische Handels- und Gesellschaftssystem nachhaltig [Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 17 – 18 u. Spence, J., 2001, S. 191 – 201]. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 96 –100. Unruhen und Bauernaufstände hatten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert erheblich zugenommen. Unter den hunderten Rebellionen nehmen aber der Taiping-Aufstand (1851-1864) und der Boxeraufstand (1900 – 1901) eine Sonderstellung ein. Der Taiping-Aufstand wurde ausgelöst durch eine Mischung aus sozialen Missständen und einem religiös-ideologischem Sendungsbewusstsein. Er endete in 15 Jahren Mordbrennerei und Hungersnot und kostete schätzungsweise 20 Millionen Chinesen das Leben [Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 19 – 20 u. Fairbank, J., 1992, S. 206 – 209]. Die Folgen von Naturkatastrophen und Hungersnöten gegen Ende des 19. Jahrhunderts und die Rücksichtslosigkeit der europäischen Kolonialtruppen wirkten zusammen beim Boxeraufstand. Die Wut der zumeist nur lose organisierten kampfbereiten Massen richtete sich gegen den Kaiser, seine Regierung und die Ausländer. Als die Boxer Peking weitgehend kontrollierten und den deutschen Baron Clemens von Ketteler erschossen, sahen sich die ausländischen Mächte zum Handeln gezwungen. Ersatztruppen aus England, Deutschland, Frankreich, Österreich-Ungarn, Italien, Russland, den USA und Japan schlugen den Aufstand nieder [Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 36 – 37].
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Innere Chinas hinein und ganze Provinzen wurden zu Einflussgebieten einzelner Mächte erklärt. Banken, Reedereien, Bergwerke und Eisenbahnen wurden von ausländischem Kapital beherrscht. Der Überseetransport, der Großteil der Küstenschifffahrt und die Binnenschifffahrt auf dem Jangtse war in der Hand der Kolonialmächte. Selbst die Zollhoheit hatten die Chinesen verloren.589 In einer Gesellschaft, in der die moralische Stellung die Bedeutung der rechtlichen überragte, waren Vertrauensverlust, Erniedrigung, individueller und kollektiver Gesichtsverlust und ein Gefühl des Scheiterns das Ende einer Dynastie.590 Der Kaiser hatte nicht mehr die Kraft, Chinas Würde und Souveränität zu schützen. Nach chinesischem Verständnis hatte der Himmel seinen Auftrag an die Dynastie zurückgezogen.591 Trotz letzter Reformversuche stand das regierende System den oppositionellen Kräften letztlich hilflos gegenüber; den Schlusspunkt bildete eine Meuterei des Militärs. Als der Hof im Februar 1912 die Abdankung des sechsjährigen Knabenkaisers erklärte, ging nicht nur eine Dynastie zu Ende, sondern eine zweitausendjährige chinesische Kaisergeschichte.592 Der Abgang des Kaisertums hinterließ im Zentrum des chinesischen Staates ein kritisches Vakuum, das in Ermangelung besonders befähigter Führer von verschiedenen Gruppen mit rivalisierenden Ideologien und Forderungen ausgefüllt wurde. Es folgten Bürgerkrieg und eine Zeit geistiger Wirren, die das chinesische Volk nach härter trafen. Doch inmitten dieses Chaos lebten die Träume von der Stärke und Größe Chinas fort.593 Mit dem Untergang des Kaiserreichs fiel die Macht teils an die Eliten in der Provinz und teils an die Hunderte von Militärführern, die mit ihren persönlichen Truppen über ihre Reiche herrschten. Für China brach eine Periode politischer Unsicherheit und beispielloser intellektueller Selbstprüfung und Suche an. Eine derartige intellektuelle Aktivität wie während der so genannten „Bewegung des Vierten Mai“594 hatte China seit 2000 Jahren nicht mehr erlebt.595 589 590 591 592
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Vgl. Seitz, K., 2003, S. 106 –110. Vgl. Fairbank, J., 1992, S. 232 – 234. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 115. Vgl. Spence, J., 2001, S. 325 – 332. Der Abdankung des Kaisers war am 1. Januar 1912 die Ausrufung der Republik durch Sun Yatsen vorausgegangen, die jedoch niemals Wirklichkeit wurde, sondern direkt im Chaos und Bürgerkrieg unterging [Vgl. Seitz, K., 2003, S. 118 – 121]. Vgl. Spence, J., 2001, S. 179. Unter der Bezeichnung „Bewegung des Vierten Mai” wurden ganz neue Entwicklungen unter den Intellektuellen zusammengefasst, die sich während des Ersten Weltkriegs anzubahnen schienen, womit die geistigliterarisch-politischen Strömungen der Zeit zwischen 1915 und 1925 angesprochen sind. Die Bezeichnung selbst geht auf Ereignisse im Mai des Jahres 1919 zurück. Der enorme Anstieg der Studentenzahlen und ins-
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Unter den vielen, von den Denkern des Vierten Mai sondierten Möglichkeiten befanden sich auch die Lehren des marxistischen Sozialismus, die einige der klügsten Köpfe anzogen. So kam es 1920 zur Gründung der Kommunistischen Partei Chinas. Als Gegenpol stand den Kommunisten die Nationale Volkspartei unter der Führung Chiang Kai-Sheks gegenüber – die Guomindang.596 In den folgenden 30 Jahren waren die Kommunisten und Nationalisten wechselhaft und auch manchmal gleichzeitig Feinde und Verbündete. Die Bündnisse erwuchsen aus der Verzweiflung über Chinas Zersplitterung und der Hoffnung, die für eine dauerhafte Wiedervereinigung erforderlichen Kräfte mobilisieren zu können. In schnellen Siegen wurden die lokalen Kriegherren entmachtet und der Kampf gegen den gemeinsamen Feind geführt: Die Japaner. Aus der Vielzahl der Kolonialmächte bildete sich Japan als größte externe Bedrohung Chinas heraus,597 das teilweise weite Teile Nordund Ostchinas besetzt hatte und einem brutalen Besatzungsregime unterwarf.598 Japan war während der dreißiger Jahre für China zugleich Ansporn zu nationaler Erneuerung und schlimmster Feind. Gegensätzliche Fernziele, tiefe sozialpolitische Meinungsverschiedenheiten und konträre Persönlichkeiten ließen kein Bündnis zwischen Kommunisten und Guomindang lange andauern und machten diese zu verbitterten Feinden. Chinas Kommunisten wurden von Chiangs Truppen aus ihrer größten Basis vertrieben und zogen sich auf dem Langen Marsch nach Norden zurück.599 Der einjährige, über 10.000 Kilometer lange Marsch wurde zum Mythos der chinesischen Revolution. Während des Langen Marsches stieg Mao Zedong zum Führer der Partei auf und es bildete sich eine Führungselite, die ihr Leben lang an der Macht blieb.600
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besondere der Auslandsstudenten hatten das geistige Klima verändert. Auf diesem Wege waren neue Ideen nach China gekommen und namentlich die staatliche Peking-Universität war zum Zentrum der geistigen und kulturellen Auseinandersetzung geworden. Von dort ging am 4. Mai 1919 eine Großdemonstration aus, die sich gegen die japanfreundliche Politik der Pekinger Regierung wendete. Eine landesweite Protestbewegung war die Folge, die Kaufleute, Arbeiter und Intellektuelle erfasste. Die chinesische Geschichtsschreibung lässt mit diesem Ereignis die Zeitgeschichte beginnen. Die wesentlichen modernen, politischen und literarischgeistigen Strömungen nahmen ihren Ausgang von der „Bewegung des Vierten Mai“. Allen Strömungen dieser Zeit blieb ein Impuls eigen: Das Nationale [Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 48 – 49]. Vgl. Spence, J., 2001, S. 335 - 336. Vgl. Spence, J., 2001, S. 336. Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 63. Vgl. Spence, J., 2001, S. 529 - 543. Die Verbrechen der Besatzungszeit sind bis heute eine schwere Belastung für das chinesisch-japanische Verhältnis [Vgl. Pilny, K., 2005, S. 241 – 245]. Vgl. Spence, J., 2001, S. 336 - 337. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 129 - 130. „Der Lange Marsch, bei dem die Hauptkräfte der Roten Armee innerhalb von 12 Monaten, von Oktober 1934 bis Oktober 1935, elf Provinzen durchquert und etwa 12 500 km zurückgelegt hatten und bei dem von den ursprünglich 90 000 am Ende nur noch 7 000 Mann mit Mao Zedong in Nord-Shaanxi ankamen, dieser Lange Marsch war auch in politischer Hinsicht von überragender Bedeutung.
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Von ihrer neuen Basis aus konnten die Kommunisten die Öffentlichkeit für sich gewinnen, die des ewig gleichen Schauspiels mörderischer Bruderkrieg müde geworden war. Es zeigte sich, dass der nationale Gedanke lebendig geblieben war, trotz der unsäglichen Leiden zahlloser Chinesen während der langen Jahre der Zersplitterung.601 Mit dem Kriegseintritt der Amerikaner in den Zweiten Weltkrieg änderte sich das Gleichgewicht auch in China, welches massive militärische Unterstützung im Kampf gegen die Japaner erhielt. Diese Hilfe wurde jedoch nur der Guomindang zuteil. Die Kommunisten mussten sich mit selbst gefertigten und erbeuteten Waffen behelfen. Sie machten aus der Not eine Tugend und perfektionierten sich in der Guerillakriegsführung.602 Als die Japaner 1945 kapitulierten, setzte zwischen den Kommunisten und der Guomindang ein Wettlauf um die von Japan besetzten Gebiete und wenig später ein offener Bürgerkrieg ein. Trotz anfänglicher Erfolge der Guomindang behalten die Kommunisten die Oberhand und im Dezember 1949 flieht Chiang Kaishek von Kanton mit dem Rest seiner Truppen nach Taiwan. Der 23-jährige Kampf der beiden Parteidiktaturen war entschieden – Mao rief im Oktober 1949 in Peking die Volksrepublik China aus.603
3 Der Wiederaufstieg Die Ordnung im Lande nach dem Bürgerkrieg wiederherzustellen, war keine rein militärische Aufgabe, sondern erforderte darüber hinaus eine umfassende Umstrukturierung der Bürokratie und des Regierungssystems, die Eingliederung der KPCh in dieses System, die Dämpfung der Inflation, die Durchsetzung einer grundlegenden Bodenreform und die Ausschaltung der innenpolitischen Opposition. Chinas Führer versuchten, die erste Stufe ihrer Strategie für das Wirtschaftswachstum in die Tat umzusetzen. Ihr Fünfjahresplan stützte sich bewusst auf die Erfahrungen der Sowjetunion und wollte den vorgesehenen Ausbau der Schwerindustrie in erster Linie mit Hilfe eines von der chinesischen Landwirtschaft erwarteten Überschusses realisieren.604
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Die KPCh hatte nicht nur bewiesen, dass sie der GMD standhalten konnte, sondern sie ging aus dem Langen Marsch zwar personell geschwächt, aber ideell gefestigt und geeint hervor. Der Lange Marsch wurde zu einem propagandistischen Erfolg, und die Helden dieser äußersten Anstrengungen blieben das folgende halbe Jahrhundert die bestimmenden Gestalten in Chinas Politik.“ [ Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 62]. Vgl. Spence, J., 2001, S. 337. Vgl. Spence, J., 2001, S. 523 - 524. Vgl. Seitz, K., 2003, S.140 - 141 u. 161. Vgl. Spence, J., 2001, S. 524 - 525.
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Die Erfolge Anfang der 50er Jahre waren beeindruckend. Die Industrieproduktion wuchs jährlich im Durchschnitt um 18 %. Doch bald schon merkte eine Führungsriege um Mao, dass sich im Laufe des wirtschaftlichen Aufbaus und der politischen Konsolidierung ein riesiger Partei- und Kaderapparat herausbildete, der die überkommenen Ansätze der Massendemokratie immer mehr in den Hintergrund drängte. Es wurde zusehends deutlicher, dass die Revolution langfristig nur erfolgreich bleiben könnte, wenn der alte Kreislauf durchbrochen und der Wiederaufbau einer Elitenwirtschaft verhindert würde. Es war eine Abwendung vom sowjetischen Entwicklungsmodell, als die Partei Kollektivierung und Massenmobilisierung voran stellte. Nicht mehr die wirtschaftliche Entwicklung hatte erste Priorität, sondern die Beziehung zwischen Partei und Volk. Statt materieller Anreize sollten revolutionärer Elan und das „richtige“ Bewusstsein die Entwicklung vorantreiben.605 Da nach Maos Ansicht nicht der vorsichtige Pragmatismus der zentralen Planer sondern nur die Freisetzung aller menschlichen Willenskräfte den wirtschaftlichen Durchbruch bringen konnte, wurde die ländliche Bevölkerung in riesigen Kommunen606 zusammengefasst und der „Große Sprung nach vorn“ mit dem Ziel proklamiert, durch Beseitigung der alten Unterschiede von Geschlecht, Alter, Fähigkeit und Beruf das menschliche Leben und die Wirtschaft gleichermaßen zu aktivieren – der Weg zur endgültigen kommunistischen Gesellschaft. Ein phantastischer Traum – der für Millionen Menschen in einer Katastrophe endete, als auf die Euphorie der Hunger folgte.607 Naturkatastrophen und Planungsfehler führten bald zu einer drastischen Unterversorgung.608 In den Jahren 1958 - 1960 verloren 20 – 30 Millionen Menschen ihr Leben durch Unterernährung und Hunger. Die Politik der Kommunistischen Partei hatte zu einer der größten menschlichen Katastrophen geführt.609 Das Ansehen von Staat und Partei war auf einen seit 1949 nicht dagewesenen Tiefpunkt gesunken.610 Als im Laufe des Jahres 1960 die Katastrophe in ihrem schrecklichen Ausmaß offenbar wurde, zog sich Mao aus der Politik zurück. Pragmatiker wie Deng Xiaoping übernahmen die Führung und machten sich daran, die am Boden liegende Wirtschaft 605
Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 77 - 81. Dieser politische Richtungswechsel war innerhalb der KPCh heftig umstritten und setzte sich erst nach langen innerparteilichen Kämpfen durch [Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 77 – 81]. 606 In den so genannten Volkskommunen ( / renmin gongshe) wurden 99 % der ländlichen Bevölkerung zusammengefasst. In diesen nach militärischen Prinzipien organisierten Großkollektiven wurde das gesamte Leben der Mitglieder geregelt [Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 81]. 607 Vgl. Spence, J., 2001, S. 526 u. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 81. 608 Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 81. 609 Vgl. Fairbank, J., 1992, S. 368. 610 Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 82.
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wieder in Gang zu bringen.611 Die Partei ging daran, sich neu zu organisieren, die zentrale Kontrolle wieder zu straffen und das wirtschaftliche Geschehen in berechenbare Bahnen zurückzuführen.612 Die Ziele der neuen Führung waren nicht sozialistische Transformation sondern Ordnung, Stabilität und Wirtschaftswachstum. Nichts kennzeichnet den Geist der Partei in dieser Zeit besser, als der berühmt gewordene Ausspruch Deng Xiaopings:613 „Es kommt nicht darauf an, ob eine Katze schwarz oder weiß ist, solange sie Mäuse fängt, ist sie eine gute Katze.“614 Mit Hilfe der eingeleiteten Maßnahmen konnte sich das Land von seiner wirtschaftlichen Notlage erholen.615 Doch im Sommer 1966 zog Mao in seinen letzten großen revolutionären Kampf: Die große proletarische Kulturrevolution. Die Kulturrevolution war kein bloßer persönlicher Machtkampf, sondern der verzweifelte Versuch des alternden Mao, „seine“ Revolution zu retten - gegen die Angst, die von ihm bewirkte Revolution werde am Ende nichts anderes bewirken, als die alte privilegierte Klasse durch eine neue Ausbeuterklasse zu ersetzen.616 Nachdem er sich der Unterstützung der Armee versichert hatte, startete Mao die Kulturrevolution, um seine eigene Position in der Partei wieder zu stärken.617 Die Konkurrenten wurden nicht durch innerparteiliche Säuberungen beseitigt - wie Stalin es getan hatte - sondern mit einem inszenierten Volksaufstand. Mao beschloss, die Massen ins Spiel zu bringen und die Jugend zum Sturm gegen die Hauptquartiere aufzurufen.618 Damit Schüler und Studenten sich an der Kulturrevolution beteiligen konnten, wurden Schulen und Universitäten geschlossen und es sollte Jahre dauern, bis viele Ausbildungsstätten ihren Betrieb wieder aufnahmen.619 Massenmobilisierungen und ein zum Teil grotesker Terror der jungen Kader richtete sich gegen die bisherigen Entscheidungsträger und Repräsentanten. Die Revolution sollte durch ihre permanente Erneuerung unsterblich gemacht werden.620 Der revolutionäre Aufstand entartete sehr bald in einen Bürgerkrieg aller gegen alle und stürzte die Städte in Chaos und Anarchie. Wie 611 612 613 614 615 616
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Vgl. Seitz, K., 2003, S. 192. Vgl. Spence, J., 2001, S. 526. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 193. Deng Xiaoping, 1962 zitiert nach Seitz, K., 2003, S. 193. Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 82. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 197 - 198. Neben diesen Motiven Maos kamen in der Kulturrevolution weitere Impulse zum Tragen, die sich gegenseitig verstärkten und auch wieder behinderten [Vgl. Spence, J., 2001, S. 711]. Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 89. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 194. Erst 1970 nahmen die Universitäten den Unterricht wieder auf, doch auch dann nur in sehr reduzierter Form. Die Studentenzahlen betrugen nur noch ein Drittel der Zahl der Studierenden vor der Kulturrevolution. Viele Studenten waren für das Studium ungeeignet. Das akademische Leben war tot [Vgl. Seitz, K., 2003, S. 209]. Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 89.
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auch der „große Sprung nach vorne“ scheiterte die Kulturrevolution auf das Furchtbarste und warf China um Jahre zurück.621 Mao gab der Armee den Befehl, die Ordnung mit Waffengewalt wieder herzustellen. Er hatte der Jugend das Recht auf Rebellion gegeben – jetzt entzog er es ihr wieder. Als die Massen sich ein letztes Mal gegen den Verrat an ihrer Revolution aufbäumten, schoss die Armee die Rebellen gnadenlos nieder. Millionen von Schülern und Studenten wurden in die abgelegenen Gebiete des Nordens und Westens geschickt, damit sie von den Bauern umerzogen wurden. Das Land hatte einen furchtbaren Preis dafür gezahlt, dass Mao wieder der absolute Herrscher wurde.622 Die letzten Jahre der Mao-Ära war eine bleierne Zeit. Die revolutionäre Begeisterung der so schrecklich verratenen Menschen war erloschen. Traumatische Erinnerungen und Furcht vor der andauernden Repression, Misstrauen gegeneinander, Gleichgültigkeit, Hoffnungslosigkeit und Zynismus waren in der Gesellschaft verankert.623 In dieser Phase der Ernüchterung schwenkte die chinesische Außenpolitik radikal um und kehrte von einer ideologischen zu einer traditionellen Interessenpolitik zurück.624 In den 60er Jahren hatten die Führer der Kulturrevolution sowohl der Sowjetunion als auch den Westmächten entschlossen den Rücken gekehrt. China sollte aus eigenen Kräften eine neue Gesellschaft aufbauen, die von der Kraft des maoistischen Gedankenguts durchdrungen ist. Diese Abkapselung ließ sich nicht länger durchhalten und die Isolation gegenüber dem Ausland wurde gelockert.625 1971 begann mit der Einladung des amerikanischen Tischtennis-Teams die so genannte Ping-Pong-Politik. Spätestens mit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon im folgenden Jahr wurde die lange geheim gehaltene Öffnung offensichtlich. Mit der Übernahme des bis dahin von Taiwan gehaltenen Sitzes im UN-Sicherheitsrat und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den wichtigsten Staaten der westlichen Welt gehörte die außenpolitische Isolation Chinas endgültig der Vergangenheit an.626
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Seitz, K., 2003, S. 199. Zahlen können nur schwer die Schäden der Kulturrevolution wiedergeben, die tief unter die Oberfläche der chinesischen Gesellschaft gehen. Die nachhaltige Zerstörung alles Individuellen, Verletzungen, Erniedrigungen und seelische Qualen, der Aufstand der Kinder gegen die Eltern, der Schüler gegen die Professoren und der Jungen gegen die Alten haben viele individuelle Leben und die alte konfuzianische Gesellschaftsordnung zerstört [Vgl. Fairbank, J., 1992, S. 401 – 404, Seitz, K., 2003, S. 208 – 209 u. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 90]. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 207 – 208. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 207 – 208 u. Spence, J., 2001, S. 728 – 729. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 211. Vgl. Spence, J., 2001, S. 733. Für die Aufrechterhaltung der Autarkie und die weitere Erschließung der chinesischen Ölfelder war der Import westlicher Technologie notwendig [Vgl. Spence, J., 2001, S. 738 – 739]. Vgl. Schmidt-Glintzer, H., 2004, S. 91 – 92.
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Im September 1976 starb Mao. Nach einem zweijährigen parteiinternen Machtkampf um die Nachfolge wurde Deng Xiaoping der neue Herrscher Chinas.627 Deng war ein Überlebender des Langen Marsches und stieg unter Mao in die höchsten Parteikreise auf, fiel jedoch zweimal in Ungnade und wurde zur Umerziehung in die Verbannung geschickt, aus der er immer wieder an die Spitze zurückkehrte.628 Unter seiner Führung wurde der Klassenkampf für beendet erklärt und die Arbeit der Partei auf ein neues, zentrales Ziel ausgerichtet: Den Aufbau der Wirtschaft statt des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft.629 Deng Xiaoping hatte keinen Masterplan, jedoch einen starken Sinn für die Realitäten in China630 - Pragmatismus war der erste Grundsatz der Deng’schen Reformen. Er hatte sich nur sehr wenig mit wirtschaftstheoretischen Fragen befasst, jedoch mit psychologischen Einblicken in die menschliche Natur: Man muss Menschen durch materielle Leistungsanreize motivieren, wenn man die Wirtschaft ankurbeln will. Der zweite Grundsatz war die Gradualität: Nicht der Big Bang sondern das tastende und experimentierende Vorgehen – Schritt für Schritt. Das dritte grundlegende Element war die Dezentralisierung: Die Provinzen, Landkreise und Dörfer erhielten Freiräume zum Experimentieren. Stellte sich etwas als erfolgreich heraus, wurde es zum nationalen Programm erhoben.631 Der zweite Pfeiler der Reformen war die Öffnung nach außen. Importe, Auslandsinvestitionen, wissenschaftlicher Austausch und Tourismus waren von Anfang an eine zentrale Konstante.632 Die Reformen Deng Xiaopings lösten einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung aus, der Euphorie und Ängste weit über China hinaus auslöste. 633 Als Deng Xiaoping im Februar 1997 starb, übergab er seinen Nachfolgern ein verwandeltes China. Was er Reformen nannte, war in Wirklichkeit eine Revolution. Er hatte den maoistischen Staate niedergerissen und ein neues China geschaffen.634 Das unter
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Mao bestimmte zu seinem direkten Nachfolger Hua Guofeng, der sich jedoch politisch nicht durchsetzen konnte [Vgl. Weggel, O., 1989, 306 – 309]. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 230 - 231. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 230 - 232. Vgl. Hsü, I., 2000, S. 841. Vgl. Seitz, K., 2003, S. 233 - 234. Vgl. Seitz, K., 2003, S, 257. Vgl. Schüler, M., 2004a, S. 40 – 47 u. Wolf, M., 2003, S. 13. Vgl. Seitz, K., 2003, S, 309.
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ihm und seinen Nachfolgern635 Entstandene kann aus westlicher Sicht als die Geburt einer Weltmacht bezeichnet werden.636
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1997 folgte Jiang Zemin und 2003 Hu Jintao an der Spitze des Staates [Vgl. Seitz, K., 2003, S. 331 u. Sieren, F., 2005, S. 273]. Vgl. Titel des Spiegels vom Oktober 2004 [Vgl. Der Speigel, Nr. 42/11.10.04].
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Anhang B: Forschungsmethodik Die in den Business Development Prozess einfließenden Informationen stammen aus zwei Quellenbereichen. Der erste Bereich ist das breite Literaturangebot zur Volksrepublik China und der zweite Bereich Experteninterviews mit Praktikern.
1 Literaturrecherche Das dynamische Wachstum seiner Wirtschaft hat China in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Während vor einigen Jahren die Auseinandersetzung mit dem Reich der Mitte noch Spezialisten vorbehalten war, beschäftigt sich heute eine breite Öffentlichkeit mit dem riesigen Reich im fernen Osten. Dies schlägt sich im Literaturangebot nieder. Täglich finden sich Meldungen über die wirtschaftliche oder politische Entwicklung in der Tagespresse und zahlreiche Titelseiten, Leitartikel und Sonderausgaben spiegeln die wachsende Bedeutung Chinas wieder.637 Die ausgewertete Literatur lässt sich in drei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe bilden Artikel und Aufsätze aus der Tagespresse, Wirtschafts- und wissenschaftlichen Zeitschriften. Hier findet sich ein breites Angebot an Berichten über die politische, soziale und wirtschaftliche Situation und Entwicklung in der VR China, sowie zahlreiche Beispiele über die Tätigkeit einzelner Branchen und Unternehmen.638 Die zweite Gruppe besteht aus veröffentlichte Studien und Analysen von internationalen, nationalen und nicht staatlichen Organisationen sowie privaten Firmen, die ein
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So ziert z. B. der chinesische Drache mehrfach die Titelseite des „Spiegels“ [Vgl. Der Spiegel, Nr. 42/ 11.10.04 und Nr. 32/ 8.8.05] und die „Wirtschaftswoche“, „McK Wissen“ und der „Harvard Business Manager“ widmen ganze Ausgaben dem Thema China [Vgl. Wirtschaftswoche, Sonderheft China, 1/ 2004 und Mck Wissen 10, 3. Jahrgang, September 2004 und Harvard Business Manager, Chance China, 3/ 2004]. Es wird hier nicht der Versuch unternommen, zwischen wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Zeitschriften zu differenzieren. Da die Arbeit den Weg zu neuen Optionen für eine Unternehmensentwicklung ebnen möchte, wurde bewusst auf ein breites Spektrum an Sichtweisen und Quellen zurückgegriffen, welche über die rein wissenschaftliche Literatur hinausgehen. Beispiel für ausgewertete Zeitschriften sind: brandeins, Business Week, California Management Review, China Aktuell, China Business Review, Economist, Far Eastern Economic Review, Financial Times, Foreign Affairs, Handelsblatt, Harvard Business Manager, Harvard Business Review, Manager Magazin, McK Quarterly, McK Wissen, Sloan Management Review, Wirtschaftswoche.
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reichhaltiges Datenmaterial zur volkswirtschaftlichen und branchenspezifischen Situation zur Verfügung stellen.639 Als drittes verhalfen Monographien zu einem breiteren Verständnis über die chinesische Geschichte, Kultur und Wirtschaft.640 Dabei gaben insbesondere Veröffentlichungen zur wirtschaftlichen Situation und Prognosen der zukünftigen Entwicklung interessante Einzelmeinungen wieder, die jedoch immer in den Kontext eingeordnet werden müssen.641 Insgesamt gibt das umfassende Literaturangebot ein breites Bild über die VR China wieder. Um darüber hinaus tiefer gehende Einblicke zu erhalten, wurde auf empirisch gewonnene Informationen zurückgegriffen.
2 Das Experteninterview Basierend auf der oben geschilderten Quellenlage wird mit Hilfe von Interviews das zugängliche Datenmaterial erweitert. Die Interviews sollen einen unmittelbaren Zugang zu dem Untersuchungsgegenstand ermöglichen. Dazu wurden Personen befragt, die praktische Erfahrung mit der Unternehmensentwicklung in Emerging Markets haben.
Die Auswahl Dem Ansatz der qualitativen Sozialforschung folgend war das Ziel der Interviews nicht die Gewinnung generalisierender Aussagen, sondern die Herausarbeitung von Typologien oder Typisierungen.642 Für die Befragung wurden diejenigen Personen als Experten verstanden, welche selbst Teil des Handlungsfeldes sind, das den Forschungsgegenstand ausmacht und nicht Experten, die von außen Stellung zum Handlungsfeld nehmen.643 Ob jemand als Experte angesehen wird, ist in erster Linie abhängig vom jeweiligen Forschungsinteresse – Experte ist also ein relationaler Status, welcher in gewisser Weise vom Forscher be639
640 641 642 643
Beispielsweise wurden Veröffentlichungen von folgenden Firmen und Institutionen ausgewertet: Asian Development Bank, Boston Consulting Group, IWF, KPMG, Merill Lynch, National Bureau of Statistics of China, OECD, SwissRe, UNCTAD, Weltbank, WTO. Beispielsweise von Heberer, T., Schmidt-Glintzer, H., Spence, J. D. und Weggel, O. Beispielsweise von Chang, G., Seitz, K., Sieren, F. und Studwell, J. Vgl. Lamnek, S., 1989, S. 91. Vgl. Meuser, M. / Nagel, U., 2005, S. 73.
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grenzt auf eine spezifische Fragestellung verliehen wird.644Als Experte kann definiert werden, wer • über ein spezielles Wissen verfügt, das sich auf sein berufliches und professionelles Handlungsfeld bezieht645 und • in irgendeiner Weise Verantwortung für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung trägt.646 Für diese Arbeit wurde als Experte angesprochen, wer • jeweils mindestens ein halbes Jahr in einem Mature Market und einem Emerging Market gelebt hat und • unternehmensintern oder in beratender Funktion professionell tätig ist. In einem systematisierendem Zugriff kann zwischen einer zentralen und einer Randstellung von Experteninterviews im Forschungsdesign unterschieden werden. In dieser Arbeit nehmen die Experteninterviews eine Randstellung ein, weil sie explorativfelderschließend eingesetzt werden und Informationen, Denkanstöße und Hintergrundwissen liefern, um die rational hergeleiteten Überlegungen zu unterstützen.647 Für die empirische Erhebung wurden im Zeitraum von Mai bis September 2005 17 Interviews durchgeführt. 12 Interviewpartner648 sind in der Finanzdienstleistungsbranche tätig und 5 arbeiten in beratender Funktion. Die Staatsangehörigkeit verteilte sich auf 7 Deutsche, 6 Chinesen, 2 Kanadier, einem Hongkong Chinesen und einer Singapur Chinesin. Berufserfahrung649 in Mature Markets hatten 12 Personen in Deutschland, 4 in Singapur, 3 in Kanada, und jeweils eine Person in Österreich, den USA, 644 645
646 647 648
649
Vgl. Meuser, M. / Nagel, U., 2005, S. 73 u. Bogner, A. / Menz, W., 2005, S. 45 - 46. Bogner, A. / Menz, W., 2005, S. 46. Die Definition von Bogner / Menz wurde wegen ihrer schwer zugänglichen Formulierungsweise nicht vollständig übernommen, spiegelt sich aber in der oben gewählten Definition wieder: „Der Experte verfügt über technisches, Prozess- und Deutungswissen, das sich auf sein spezifisches professionelles oder berufliches Handlungsfeld bezieht. Insofern besteht das Expertenwissen nicht aus systematisierten, reflexiv zugänglichem Fach- oder Sonderwissen, sondern es weist zu großen Teilen den Charakter von Praxis- oder Handlungswissen auf, in das verschiedene und durchaus disparate Handlungsmaximen und individuelle Entscheidungsregeln, kollektive Orientierungen und soziale Deutungsmuster einfließen. Das Wissen des Experten, seine Handlungsorientierungen, Relevanzen usw. weisen zudem – und das ist entscheidend - die Chance auf, in der Praxis in einem bestimmten organisationalen Funktionskontext hegemonial zu werden, d. h., der Experte besitzt die Möglichkeit zur (zumindest partiellen) Durchsetzung seiner Orientierungen. Indem das Wissen des Experten praxiswirksam wird, strukturiert er die Handlungsweisen anderer Akteure in seinem Aktionsfeld in relevanter Weise mit.“ [Bogner, A. / Menz, W., 2005, S. 46]. Vgl. Meuser, M. / Nagel, U., 2005, S. 73. Vgl. Meuser, M. / Nagel, U., 2005, S. 76. Bei den 17 interviewten Personen handelte es sich um 2 Frauen und 15 Männer. Aus Gründen der Leserfreundlichkeit wird im Weiteren die männliche Form verwendet. Es wurden hierbei nur Aufenthalte mit einer Mindestdauer von drei Monaten berücksichtigt und keine kürzeren Dienstreisen.
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Australien, Großbritannien oder Hongkong. In Emerging Markets hatten 15 Personen Erfahrungen in der VR China, 2 in Indien und jeweils eine Person in Saudi-Arabien, Thailand, Laos, Indonesien, Polen, Rumänien, Kroatien oder Südkorea.650 Die Interviews dauerten 20 bis 90 Minuten und wurden auf Deutsch oder Englisch durchgeführt. Mit Einverständnis des Interviewpartners wurde das Gespräch aufgezeichnet, ihm anschließend die Transkription zugesandt und Korrekturwünsche eingearbeitet.651 Jedem Gesprächspartner wurde Anonymität zugesichert, weshalb in dieser Arbeit keine namentliche Zitation verwendet wird.652 Die insgesamt heterogene Auswahl (Nationalität, Branchenzugehörigkeit) ermöglicht die Untersuchung einer breiten Streuung von Akteuren, die mit ihrem Handeln direkt mit der Unternehmensentwicklung in Emerging Markets in Verbindung stehen und über die Erfahrung für einen Vergleich zwischen Mature Markets und Emerging Markets verfügen. Der unterschiedliche Erfahrungshorizont ließ eine Befragung, basierend auf einem schriftlich zu beantwortenden Fragebogen, als wenig praktikabel erscheinen.653 Mit besonderem Augenmerk sollten doch insbesondere verschiedene Blickwinkel auf die Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung von Geschäftsmodellen aus Entwickelten Märkten in Emerging Markets betrachtet werden. Als Erhebungsmethode wurde deshalb das Leitfrageninterview zur Befragung der Akteure angewendet.654
Das Leitfrageninterview Das Leitfrageninterview eröffnet bei dieser Untersuchung die Möglichkeit, in der Interviewsituation auf Grund des engen Zeitbudgets der Interviewpartner nach einer kurzen Erläuterung des Forschungsgegenstandes in ein Experteninterview überzugehen.
650
651
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Saudi-Arabien und Südkorea fallen nach der Definition dieser Arbeit nicht unter den Begriff Emerging Markets, weil sie von der Weltbank als High-Income Economies eingestuft werden. Sie wurden in der Auflistung nicht den Mature Markets zugeordnet, weil sie sich bezüglich der marktwirtschaftlichen Strukturen noch sehr stark von den Volkswirtschaften der Triade unterscheiden. Es gab bei keinem Interviewpartner wesentliche Änderungswünsche, die eine Auswirkung auf die Auswertungsergebnisse gehabt hätten. Zwei Personen waren mit der Aufzeichnung des Gesprächs nicht einverstanden. In ihrem Fall beruht die Auswertung auf den während und direkt nach dem Interview angefertigten Notizen. Die Transkriptionen der Interviews bilden eine Anlage zu dieser Arbeit, die den Gutachtern vorliegt. Für weitere Erläuterung der Interviews steht der Autor auf Nachfrage gerne zur Verfügung. Vgl. Friedrich, J., 1980, S. 209 ff. u. Schnell, R. / Hill, P. / Esser, E., 1993, S. 325 ff. Vgl. Schnell, R. / Hill, P. / Esser, E., 1993, S. 390 - 392.
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Diese Interviewform lässt den Befragten möglichst frei zu Wort kommen, um einem offenen Gespräch nahe zu kommen. Es ist aber konzentriert auf eine zentrale Problemstellung, die von dem Interviewer eingeführt wird und auf die er immer wieder zurückkommt. 655 Wie auch im quantitativen Ansatz üblich, bereitet sich der Forscher656 durch Literaturstudium und eigene Erkundungen im Untersuchungsfeld auf seine Studie vor. Aus den gesammelten Informationen filtert der Forscher für ihn relevant erscheinende Aspekte des Problembereichs heraus, die in einem Interviewleitfaden zusammengestellt und im Gesprächsverlauf angesprochen werden. Der Leitfaden ist als Gedächtnisstütze und Orientierungsrahmen in der allgemeinen Sondierung zu sehen.657 Die Konzeptgenerierung durch den Befragten steht zwar immer im Vordergrund, wird jedoch in ein bereits bestehendes Konzept eingearbeitet. Methodologisch gesehen bildet das Leitfrageninterview eine Kombination aus Induktion und Deduktion.658 Wichtig für die Interviewführung ist das Merkmal der Offenheit. Der Interviewte soll ohne vorher vorgegebene Antwortalternativen frei antworten können. Dies hat die entscheidenden Vorteile:659 • Die Möglichkeit der Überprüfung, ob der Interviewer vom Befragten überhaupt verstanden wurde. • Der Befragte kann seine ganz subjektiven Perspektiven und Deutungen offen legen. • Der Befragte kann selbst Zusammenhänge und größere kognitive Strukturen im Interview entwickeln. Dies alles begründet eine stärkere Vertrauensbeziehung zwischen dem Interviewer und dem Interviewten. Der Befragte soll sich ernst genommen und nicht ausgehorcht fühlen. Alle Erfahrungen mit dieser Methode zeigen, dass der Interviewte deshalb in der Regel ehrlicher, reflektierter, genauer und offener ist, als bei einem Fragebogen oder einer geschlossenen Umfragetechnik.660
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657 658 659 660
Vgl. Mayring, P., 1990a, S. 46. Mayring benutzt nicht den Ausdruck „Leitfadeninterview” sondern spricht vom „Problemzentrierten Interview”. Diese Terminologie findet sich auch bei Lamnek wieder [Vgl. Lamnek, S., 1989, S. 74 – 78]. Während es sich bei größeren Forschungsvorhaben bei dem Forscher und den Interviewern um verschiedene Personen handeln kann, werden in dieser Arbeit die beiden Begriffe synonym verwendet. Vgl. Lamnek, S., 1989, S. 74 - 77. Vgl. Lamnek, S., 1989, S. 74. Vgl. Mayring, P., 1990a, S. 47. Vgl. Mayring, P., 1990a, S. 47. In der Fachliteratur wird zwischen offenen und geschlossenen Fragen unterschieden: „Offenheit respektive Geschlossenheit einer Frage bezeichnet den Spielraum, der dem Antwortenden gelassen wird. Die offene Frage enthält keine festen Antwortkategorien. Die befragte Person kann ihre
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Nach der Entwicklung eines vorläufigen Interviewleitfadens wurde dieser einem Pretest unterzogen, welcher der Kontrolle und Überarbeitung der zuvor entwickelten Leitfragen diente. Dabei wurden die Leitfragen unter dem Aspekt geprüft, ob die gestellten Fragen den ausgewählten Personen eine offene Antwort ermöglichen, die zur Beantwortung der Problemstellung geeignet ist. Die Interviews orientierten sich an den folgenden Leitfragen, die je nach Branchenzugehörigkeit und Erfahrung an den Interviewpartner angepasst. Kunden: • Wie unterscheiden sich Kunden in Etablierten und Emerging Markets? • Wie beurteilen Sie die Reife der Kunden? • Was sind die Hauptrisiken Ihrer Kunden? • Welches ist Ihre Zielgruppe? • Gibt es unterhalb der Mittelschicht in Emerging Markets eine kommerziell attraktive Zielgruppe? Transfer: • Welchen Wettbewerbsvorteil hat Ihr Unternehmen gegenüber der lokalen Konkurrenz? • Welche Fähigkeiten hat Ihr Unternehmen, die neu für den Markt sind? • Wo sind Grenzen des Transfers von etablierten Märkten in Emerging Markets? Rückkopplung: • Was mussten Sie in dem Emerging Market neu lernen? • Was konnten Sie aus dem Emerging Market in andere Regionen übertragen?
Die Auswertung Die Auswertung der transkribierten Interviews erfolgt durch die Kategorisierung der einzelnen Aussagen. Dabei wird die Strukturierung durch die Fragestellungen des Interviewleitfadens geprägt. Die formale Strukturierung erfolgt dabei ausschließlich
Antwort vollständig selbstständig formulieren, und der Interviewer hat die Aufgabe, die Äußerungen der Auskunftsperson so genau wie möglich zu notieren; diese werden erst später bei der Auswertung bestimmten Kategorien zugeordnet. Bei der geschlossenen Frage werden dem Befragten zugleich auch alle möglichen oder zumindest alle relevanten Antworten – nach Kategorien geordnet – vorgelegt. Die Aufgabe besteht lediglich darin, dass er aus diesen Antwortmöglichkeiten „seine“ Antwort auswählt.“ [Atteslander, P., 1991, S. 179].
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nach thematischen Kriterien.661 Die Sequenz der Äußerungen fließt nicht in die Analyse ein. Damit folgt die Auswertung der Idee der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse, indem das Material in Einheiten zerlegt wird, die nacheinander bearbeitet werden. Die Basis bildet dabei die deduktiv durch den Interviewleitfaden herangetragenen Kategorien.662 Neben den theoretisch hergeleiteten Kategorien bildeten sich durch die Durchführung und Auswertung der Interviews auch induktiv neue Kategorien, die eine methodische Idealisierung aufhoben und einen zirkulären Prozess in Gang setzten, der methodisch als Problem verstanden663 oder inhaltlich als Chance gesehen werden kann. Dadurch hatte der Auswertungsprozess Elemente der „Grounded Theory“, indem während der Datensammlung theoretische Konstrukte verfeinert und verknüpft wurden, so dass sich Erhebung und Auswertung überschneiden.664 Dies folgt dem Verständnis der qualitativen Forschung als zirkulärem Prozess. Was bedeutet, dass keine feste, vorab definierte Abfolge von Forschungsschritten durchlaufen wird, sondern immer wieder von der Auswertungs- in die Erhebungsphase gewechselt werden kann, falls es sich für die Theoriegenerierung als erforderlich erweist. Es stellten sich während der Arbeit Aspekte als relevant heraus, die in der vorangegangenen Auswertung nicht systematisch berücksichtigt wurden. Diese Lücken konnten durch das Zurückgehen auf frühere Kodierungsstufen gefüllt werden, d. h. eine nochmalige Durchsicht des Datenmaterials hinsichtlich des hinzugekommenen Aspektes.665 Die Zirkularität des Forschungsprozesses resultiert aus der (Selbst-) Reflexion des Forschers, welche ein ständiges Wechselspiel zwischen Forscher-Subjekt, befragter Person und dem Gegenstand der Forschung beinhaltet.666 Damit entstanden in einem iterativen Prozess Kategorien, die teils deduktiv an die Interviews herangetragen und teils induktiv aus diesen abgeleitet wurden. Die Kategorisierung ermöglicht eine Vergleichbarkeit zwischen den Interviews, in der die Hauptherausforderung der Auswertung liegt.667 Die inhaltlichen Passagen aus den Interviews 661 662 663 664 665
666 667
Vgl. Mayring, P., 1990b, S. 83 – 85. Vgl. Mayring, P., 1990a, S. 86 – 88. Vgl. Meuser, M / Nagel, U., 2005, S. 90. Vgl. Mayring,P., 1990a, S. 77 – 78. Vgl. Steinke, I., 1999, S. 40 – 41. Dabei kann der zirkuläre Forschungsprozess in der qualitativen Forschung, vom linearen Prozess abgegrenzt werden, der einer festen Abfolge von Forschungsschritten folgen würde und beispielsweise folgende Schritte umfassen würde: Ausgehend von einer Theorie werden Hypothesen gebildet, aus denen relevante Variablen operationalisiert und mit bestimmten Methoden untersucht werden. Die Festlegung der Methoden und der Stichproben erfolgt dabei vorab. Der Datenerhebung folgt die Auswertung, an die sich die Interpretation und der Vergleich mit der Hypothese anschließen [Vgl. Steinke, I., 1999, S. 40]. Vgl. Steinke, I., 1999, S. 42. Vgl. Fielding, N. / Thomas, H., 2002, S. 137.
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wurden den entsprechenden Themenüberschriften zugeordnet und Redundanzen entfernt. Einige Passagen wurden auch mehreren Überschriften zugeordnet. Diese Aussagen wurden dann verkürzt und zusammengefasst.668 Diese Reduktion und Verallgemeinerung wird in der Darstellung der Ergebnisse durch das Aufführen von Zitaten und Beispielen ausgeglichen, welche die individuellen Erfahrungen und Meinungen der Befragten veranschaulichen.
Qualitätssicherung Die Qualität qualitativer Forschung bemisst sich nach deutlich anderen Kriterien als den klassischen Gütekriterien der quantitativen Forschung.669 Im Weiteren soll die Gültigkeit der erzielten Ergebnisse speziell für die qualitative Forschung betrachtet werden.670 Von den klassischen drei Gütekriterien der quantitativen Forschung – Objektivität, Reliabilität und Validität – sind die beiden ersteren für die qualitative Forschung zu verwerfen.671 Der Anspruch auf Objektivität kann nicht aufrechterhalten werden, wenn von einer Zirkularität zwischen dem Subjekt und Objekt der Beobachtung ausgegangen wird.672 Der Anspruch auf Reliabilität wird zurückgewiesen, da eine Erhebungssituation wie ein Interview als singuläres, lebensgeschichtliches Ereignis verstanden wird.673 Anstelle der Objektivität und Reliabilität erhält das Kriterium der Validität eine besondere Aufmerksamkeit – wenngleich in spezifisch qualitativer Interpretation.674 Dies folgt dem Leitgedanken, dass ebenso wie die Methoden dem untersuchten Gegenstand angemessen sein sollten, die zu ihrer Überprüfung verwendeten Kriterien und Prüf-
668 669 670
671 672 673 674
Vgl. Mayring, P., 1990b, S. 55 – 59. Vgl. Mayring, P., 1990b, S. 94 – 95 u. Lamnek, S., 1988, S. 140 – 141. Vgl. Steinke, I., 1999, S. 43. Unter der Fülle von Kriterien für die Bewertung qualitativer Forschung lassen sich drei Grundpositionen ausmachen: (1) Kriterien in Anlehnung an Kriterien außerhalb der qualitativen Forschung, (2) Kriterien speziell für die qualitative Forschung und (3) generelle Zurückweisung von Kriterien [Vgl. Vgl. Steinke, I., 1999, S. 43]. Vgl. Vgl. Mayring, P., 1990b, S. 94 – 95 u. Steinke, I., 1999, S. 43. Vgl. Kapitel 2.1. Vgl. Kaduk, S., 2002, S. 76. Vgl. Kaduk, S., 2002, S. 76.
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schritte den eingesetzten Methoden gerecht werden müssen.675 Dabei sind die zwei wichtigsten Gütekriterien kommunikative und argumentative Validierung.676 Unter kommunikativer Validierung wird die Übereinstimmung in der Auswertung zwischen Interpreten und Befragtem oder mit anderen Forschern verstanden.677 Die Validierung mit Hilfe der Befragten konnte nur sehr unsystematisch erreicht werden, da eine vollständige kommunikative Validierung dieselbe Anzahl an Folgeinterviews bedurft hätte, was sich wegen der geografischen Entfernungen aus finanziellen Gründen und wegen der nicht zumutbaren Zeitbelastung für die Interviewpartner nicht hätte realisieren lassen. Die kommunikative Validierung fand im Rahmen intensiver Diskussionen mit Doktorandenkollegen und Forschern aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen statt, welche sich auf die Auswertung, Verdichtung und Interpretation des Materials bezogen. Die argumentative Validierung ist das Vehikel des Validierungsprozesses, indem die Vorannahmen offen gelegt werden und die Interpretation im gemeinsam geteilten Vorwissen von Interpret und Leser verankert wird.678 Der Validierung liegt das Kernkriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit zu Grunde. Anders als bei den quantitativen Methoden, die Anspruch auf intersubjektive Überprüfbarkeit erheben, können in der qualitativen Sozialforschung keine identischen Replikationen der Untersuchung realisiert werden.679 Stattdessen wird die Nachvollziehbarkeit sichergestellt durch:680 • die Dokumentation des Forschungsprozesses, • die Offenlegung des Vorverständnisses des Forschers, • die Begründung der Vorgehensweise. Die Dokumentation des Forschungsprozesses und die Begründung der Vorgehensweise werden in diesem Kapitel dargestellt. Das Vorverständnis des Forschers wird im Kapitel 2.1 bei der Darstellung der Theorie des Beobachters und der erkenntnistheoretischen Grundhaltung des Konstruktivismus verdeutlicht.
675 676
677 678 679 680
Vgl. Flick, U., 1992, S. 13. Vgl. Lamnek, S., 1988, S. S. 151 – 154. Neben der kommunikativen und argumentativen Validierung führt Lamnek noch die Möglichkeiten der ökologischen und kumulativen Validierung sowie die Validierung an der Praxis auf. Vgl. Lamnek, S., 1988, S. 152 – 153. Vgl. Lamnek, S., 1988, S. 153. Vgl. Steinke, I., 1999, S. 207 - 208. Vgl. Steinke, I., 2000, S. 323 ff.
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Das bisher nicht angesprochene Kriterium der Repräsentativität wird im Rahmen qualitativer Forschung anders interpretiert als bei quantitativer Forschung. Stichprobentheoretische Überlegungen im wahrscheinlichkeits-theoretischen Sinne spielen im qualitativen Interview nur eine untergeordnete Rolle, weil die qualitative Forschung keine generalisierenden Aussagen anstrebt. Es geht um Typisierung oder Typologien.681 Es ergibt sich eine Problematik aus der Verlagerung des Erkenntnisinteresses: Die Auswahl der zu Befragenden kann sich auf das angestrebte Ziel einer Studie, nämlich einer Rekonstruktion von Typen von Bedeutungsstrukturierungen zu einem speziellen Themenbereich insofern negativ auswirken, als einzelne typische Deutungsmuster keine Berücksichtigung finden. Das Ziel qualitativer Forschung ist im Gegensatz zur quantitativen Methodologie, nicht die Häufigkeit bestimmter Deutungsmuster sondern ein möglichst zutreffendes Set der relevanten Deutungsmuster in einer sozialen Situation herauszufinden. Dieses Ziel wäre gefährdet, wenn eine Personengruppe, die ein spezielles Deutungsmuster vertritt, nicht erfasst würde.682 In dieser Arbeit kam die Varietät der Interviewpartner als Auswahlkriterium zur Anwendung, indem bei der Nationalität eine heterogene Zusammensetzung angestrebt wurde. Die Erkenntnisse aus den Interviews sind in die Analyse der Versicherungsbranche in der Volksrepublik China eingeflossen. Doch bevor Gegenwart und Zukunft im Mittelpunkt der Betrachtung stehen wird der Blick zurück in die Vergangenheit gerichtet, die untrennbar mit diesen verbunden ist.
681 682
Vgl. Lamnek, 1989, S., 91. Vgl. Lamnek, 1989, S., 91.
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