Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (1936-1938)
 9783465032823, 3465032829 [PDF]

  • 0 0 0
  • Gefällt Ihnen dieses papier und der download? Sie können Ihre eigene PDF-Datei in wenigen Minuten kostenlos online veröffentlichen! Anmelden
Datei wird geladen, bitte warten...
Zitiervorschau

A

MARTIN HEIDEGGER



MARTIN HEIDEGGER

GESAMTAUSGABE

BEITRAGE ZUR PHILOSOPHIE

III. ABTEILUNG: UNVEROFFENTLICHTE ABHANDLUNGEN

VORTRAGE - GEDACHTES

(VOM EREIGNIS)

BAND 65 BEITRAGE ZUR PHILOSOPHIE

,. 'I

(Vom Ereignis)

.

1

i

Jf3{{

rm

VITTORIO KLOSTERMANN

FRANKFURT AM MAIN

VITTORIO KLOSTERMANI'i

FRANKFURT AM MAIN

Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann

INHALT

1. VORBLICK

@ Vittorio Klostermann· Frankfurt am Main· 1989

Satz und Druck: Poeschel & Schulz-Schomburgk, Eschwege

Aile Rechte vorbehalten . Printed in Germany

Der offentliche Titel: Beitrage zur Philosophie und

die wesentliche Dberschrift: Vom Ereignis 1. Die »Beitrage« fragen in einer Balm". . .

3

4

2. Das Sagen vom Ereignis als die erste Antwort auf

die Seinsfrage 3. Vom Ereignis 4. Vom Ereignis 5. Fur die Wenigen - Fur die Seltenen 6. Die Grundstimmung 7. Vom Ereignis 8. Vom Ereignis 9. Durchblick 10. Vom Ereignis 11. Das Ereignis - das Dasein - der Mensch 12. Ereignis und Geschichte 13. Die Verhaltenheit 14. Philosophie und Weltanschauung 15. Die Philosophie als »Philosophie eines Volkes« 16. Philosophie 17. Die Notwendigkeit der Philosophie 18. Die Ohnmacht des Denkens 19. Philosophie (Zur Frage: wer sind wir?) 20. Der Anfang und das anfangliche Denken 21. Das anfangliche Denken (Entwurf)

6

9

10

11

20

23

27

29

30

31

32

33

36

42

43

45

47

48

55

56

22. Das anfangliche Denken

56

VI

Inhalt

Inhalt

23. Das anfiinglichc Denken. Warum das Dellken aus

dem Anfang? 24. Der verirrte Anspruch an das anfiingliche Denken 25. Geschichtlichkeit und Sein 26. Philosophie als Wissen 27. Das anfiingliche Denken (Begriff) 28. Die UnermeBlichkeit des anfanglichen Denkens als

des endlichen Denkens 29. Das anfiingliche Denken (Die Frage nach dem

Wesen) 30. Das anfiingliche Denken (als Besinnung) 31. Der Stil des anfiinglichen Denkens 32. Das Ereignis. Ein entscheidender Durchblick nach

der Vollziehung von Anklang und Zuspiel 33. Die Seynsfrage 34. Das Ereignis und die Seinsfrage 35. Das Ereignis 36. Das Erdenken des Seyns und die Sprachc 37. Das Seyn und seine Erschweigung (die Sigetik) 38. Die Erschweigung 39. Das Ereignis 40. Das denkerische Werk im Zeitalter des Obergangs 11. Jedes Sagen des Seyns halt sich in Worten und

Nennungen 42. Von »Sein und Zeit« ZUlli »Ereignis« 43. Das Seyn und die Entscheidung 44. Die» Entscheidungen« 45. Die »Entscheidung« 46. Die Entscheidung (Vorbegriff) 47. Das Wesen der Entscheidung: Sein oder Nichtsein

VII

48. In welchem Sinne die Entscheidung zum Seyn selbst

gehort 102

49. Wamm mussen Entscheidungen fallen? 103

57

60

61

62

63

II. DER ANKLANG

50. Anklang 51. Der Anklang 52. Die Seinsverlassenheit 53. Die Not 54. Seinsverlassenheit 55. Anklang 56. Das Wahren der Seinsverlassenheit in der verborge­ nen Weise der Seinsvergessenheit 57. Die Geschichte des Seyns und die Seinsverlassenheit 58. Was die drei Verhiillungen der Seinsverlassenheit

sind und wie sie sich zeigen 59. Das Zeitalter der volligen Fraglosigkeit und Ver­ zauberung 60. Woher die Notlosigkeit als die hochste Not? 61. Machenschaft 62. Die zur Seinsverlassenheit gehorige Verstellung

ihrer selbst durch die Machenschaft und das

»Erlebnis« 63. Er-leben 64. Machenschaft 65. Das Unwesen des Seyns 66. Machenschaft und Erlebnis 67. Machenschaft und Erlebnis 68. Machenschaft und Erlebnis 69. Das Erlebnis und »die Anthropologie«

65

66

66

69

69

72

73

77

78

78

79

80

83

83

84

87

90

96

100

101

I

107

108

110

112

113

114

116

119

120

124

125

126

129

129

130

130

131

131

133

134

VIII

Inhalt

Inhalt

IX

70. Das Riesenhafte 71. Das Riesenhafte

135 138

90. Yom ersten zum anderen Anfang. Die Verneinung

178

91. Yom ersten zum anderen Anfang

179

7Q,. Der Nihilismus 73. Die Seinsverlassenheit und »die Wissenschaft« 74. Die »totale Mobilmachung« als Folge der urspriing­ lichen Seinsverlassenheit

138 141

92. Die Auseinandersetzung des ersten und anderen Anfangs

186

93. Die groBen Philosophien

187

143

94. Die Auseinandersetzung des anderen Anfangs

188

75. Zur Besinnung auf die Wissenschaft 76. Satze iiber »die Wissenschaft« 77. experiri - experientia - experimentum »Experiment« ­ E(UtEtela - Erfahrung - Versuch

144 145

95. Der erste Anfang

188

78. experiri (EIJ.:ltELela) -» erfahren« 79. Exakte Wissenschaft und Experiment 80. experiri - experientia - experimentum­ »Experiment«

161 164

96. Die anfangliche Auslegung des Seienden als

159

84. Das Seiende 85. Die urspriingliche Zueignung des ersten Anfangs bedeutet das FuBfassen im anderen Anfang 86. Was die Geschichte der Metaphysik als noch Unge­ hobenes und von ihr selbst nicht Erkennbares bereit­ steilt und so: zuspielt 87. Die Geschichte des ersten Anfangs (die Geschichte der Metaphysik) 88. In den Umkreis dieser Aufgabe gehoren die »ge­ schichtlichen« Vorlesungen 89. Der Dbergang zum anderen Anfang

189

97. Die Probleme< der >Logikx1) 'tOU o'V'to~ hat gemaB seiner

heit (OUOLa) ist das d'Vm, das Sein, geahnt als das irgendwie MaBgabe fUr die EMmfLovLu den Charakter des {tELOV und

Andere, das sich in der ouoLa nicht voll erfiillt. Deshalb wird {tEO~, vgl. Aristoteles.

versucht, im Weitersehreiten auf demselben Wege, d. h. des Die Frage nach dem Seienden als solchem (im Sinne der Fassens der Anwesung, iiber die Seiendheit hinauszugehen: Leitfrage), die Ontologie, ist somit notwendig Theo-logie. E1tEXEL'Va 'tij~ OUOLU~ (vgl. Die metaphysischen Grundstellun­ 9. Mit dieser Entfaltung des ersten Endes des ersten Anfangs

gen des abendHindischen Denkens (Metaphysik). Dbungen (mit der platoniseh-aristotelisehen Philosophie) ist die Mog­

Wintersemester 1937/38). Aber weil die Frage nur steht naeh lichkeit gegeben, daB sie dann, und in ihrer Gestalt fortan

dem Seienden und seiner Seiendheit, kann sie auf das Seyn die griechisehe Philosophie iiberhaupt, den Rahmen und

selbst und von diesem her nie stoBen. Das E1tEXEL'Va kann des­ den Begriindungsbereich fiir den jiidisch (Philo) christlichen

halb nur als etwas bestirnmt werden, was die Seiendheit nun­ (Augustinus) Glauben hergibt; ja von da aus gesehen sogar

mehr als solche in ihrem Bezug zum Mensehen (EMmfLo'VLu) als Vorlaufer des Christentums ausgegeben bezw. als »Hei­

kennzeichnet, als das uyaM'V, das Taugliche, alle Tauglichkeit dentum« fiir iiberwunden gehalten werden kann.

Begriindende, also als Bedingung des» Lebens «, der 'IjJ'Ux1) und somit deren Wesen selbst. Damit ist der Schritt getan zum 10. Aber nicht nur das Christentum und seine» Welt«deutung »Wert«, zum »Sinn«, zum »Ideal«. Die Leitfrage nach dem hat hier seinen Rahmen und die Vorzeichnung der Verfas­ Seienden als solchem ist bereits an ihrer Grenze und zugleich sung gefunden, sondern aIle naehehristliche, gegenehrist­ an der Stelle, wo sie zuriickfallt und die Seiendheit nicht ur­ liehe und unchristliche abendlandische Auslegung des Sei­ spriinglicher mehr begreift, sondern be-wertet, derart, daB enden und des Menschen innerhalb desselben. Das E1tEXEL'VU die Wertung selbst als das Hochste ausgegeben wird. 'tij~ OUOLU~ als uyuMv (das heiBt: die grundsiitzliche Verleug­ 6. In eins damit werden nun auch die Beziige der [Ma selbst nung des Weiter- und urspriinglicher Fragens nach dem zur 'IjJ'Ux1) deutlich und maBgebend: Seienden als solchem, d. h. naeh dem Sein) ist das Urbild fUr a) als dllo~ zum [IlEL'V und 'VOEL'V - 'Voi)~ aIle Auslegung des Seienden und seiner Bestimmung und b) als XOL'VO'V und XOL'Vw'VLa zum llLaMyEo{tm und Myo~

Gestaltung im Rahmen einer »Kultur«; die Absehatzung ./ e) als uyuM'V - xaAO'V zum EI.,>W~.

nach Kultur-werten; die Deutung des» Wirklichen« auf sei­ nen »Sinn«; nach »Ideen« und die Messung an Idealen, 7. Weil so in der 'IjJ'Ux1) das Wesen des Seienden versammelt ist, das Bilden einer lllEu, Anschauung vom Seienden im Gan­ ist die 'ljJux1) selbst die Ul.,>x1) t;wij~ und t;wf) die Grundgestalt des Seienden. zen, »der Welt«, d. h. Weltanschauung. Wo» Weltanschau­ ung« herrseht und das Seiende bestimmt, ist Platonismus 'ljJ ux1) ist hier und auch bei Aristoteles nieht Subjekt, und demnaeh ist mit diesem Bezug des ovals OUOLa Wesentliches ungeschwacht und unerkannt am Werk; urn so hartnackiger gesetzt: dort, wo der Platonismus durch die neuzeitliehe Umdeutung a) das Seiende als solches ist irnmer das Gegeniiber, Gegen­der lMa hindurchgegangen ist. -stand, 11. Die erste spatere Fassung und die angemessenere des Pla­ tonismus (die Lehre von den Ideen als der Seiendheit des b) das Wem-gegenuber selbst das stiindig Anwesende und Seienden) ist nicht der »Idealismus«, sondern der »Realis­ Vorhandene und Seiendste und der Seinsbefragung Un­ bediirftige. mus«; res: die Sache, das Ding; die realitas als Sachheit,

gig

III. Das Zuspiel

essentia, der echte mittelalterliche »Realismus«; universale macht das ens qua ens aus. 12. Durch den Nominalismus aber wird als eigentliche realitas Sachheit des Einzelnen, Dieses, angesprochen und demge­ maB realitas fiir die Auszeichnung des Einzelnen, das nach­ ste hier und jetzt Vorhandensein, die existentia, in An­ spruch genommen; das Merkwiirdige: »Realitat« wird jetzt der Titel fiir »Existenz«,» Wirklichkeit«, »Dasein«. 13. Entsprechend wird aufgrund verschiedener Beweggriinde das Einzelne, die Einzelseele und der Einzelmensch, das »Ich« als das Seiendste, Realste erfahren und so erst das ego cogito - ergo sum moglich; hier das »Sein« dem indivi­ duum zugesprochen; wobei zu beachten, daB der Satz ei­ gentlich meint: die GewiBheit des mathematischen Bezugs von cogitare und esse; der Ursatz der Mathesis. 14. Die lMu meint jetzt nicht mehr das universale als solches im griechischen Sinne des eIlIo~ der Anwesung, sondern das im percipere des ego gefaBte perceptum, »perceptio« in der Zweideutigkeit unseres Wortes »Vor-steIlung«; in dieser Weite genommen ist gerade auch das Einzelne und Ver­ anderliche ein perceptum, lllEu als perceptum: die Idee in der Riickstrahlung; tllEu als dllo~: die Idee im Aufschein der Anwesung. Und erst in der Auslegung der lMu als perceptio wird der Platonismus zum »Idealismus«, d. h. die Seiend­ heit des Seienden wird jetzt (esse = verum esse = certum esse = ego percipio, cogito me cogitare) zur Vorgestelltheit, das Seiende wird »idealistisch« gedacht, und demzufolge bei Kant dann die »Ideen« gerettet, aber als Vorstellungen und Prinzipien der »Vernunft« als der menschlichen Ver­ nunft. Von hier der Schritt zum absoluten Idealismus. Der Be­ griff der »Ideen« bei Hegel (vgl. unten), das absolute Sich­ selbsterscheinen des Absoluten als absolutes Wissen. Damit die Moglichkeit, Plato neu zu begreifen und die griechische Philosophie als die Stufe der Unmittelbarkeit anzusetzen.

110. Die lllEu, der Platonismus und der Idealismus

gi3

(vgl. iiber »Idealismus«: Dbungen Sommersemester 1937 »Nietzsches metaphysische Grundstellung. Sein und Schein«; iiber Nominalismus: Dbungen Wintersemester 1937/38 »Die metaphysischen Grundstellungen des abend­ landischen Denkens (Metaphysik) «)

* Hegels Begriff der Idee

und die erste Moglichkeit einer philosophischen Geschichte

der Philosophie von ihrem ersten Ende her

In diesem Begriff sind aIle wesentlichen Bestimmungen ihrer Geschichte urspriinglich vollendet enthalten: 1. Idee als Erscheinen 2. Idee als die Bestimmung des WiBbaren als solchen (des

Wirklichen)

3. Idee als die Allgemeinheit des »Begriffes« 4. Idee vor-gestellt im Vor-steIlen, Denken des »Absoluten«;

Philo, Augustinus

5. Idee das im cogito me cogitare (SelbstbewuBtsein) GewuBte (Descartes) ." 6. Idee als perceptio, das stufenweise sich entfaltende Vorstel­

len, einig mit dem Willen, perceptio und appetitus (Leib­

niz)

7. Idee als das Unbedingte und »Prinzip« der Vernunft (Kant) 8. AIle diese Bestimmungen urspriinglich geeinigt im Wesen

des sich vermittelnden absoluten Wissens, das sich als VoIl­

endung nicht nur jeder Gestalt des BewuBtseins, sondern

selbst der bisherigen Philosophie weiB.

9. Was nach Hegel kommt, ist philosophisch gesehen iiberall

Riickfall und Abfall in Positivismus und Lebensphilosophie

oder Schulontologie, wissenschaftlich gesehen Verbreitung

und Richtigstellung vieler Kenntnisse iiber die Idee und

214

III. Das Zuspiel

ihrer Geschichte; aber auch in dieser gelehrten Betrachtung sind noch immer, wenngleich oft kaum kenntlich, Hegel­ sche Gesichtspunkte leitend, ohne daB sie ihre metaphysi­ sche Tragkraft zu entfalten vermochten. Aus diesen triiben Quellen schopft dann die heutige »Philosophie« ihre »Ideen«-»begriffe« (vgl. Die Griindung, 193. Das Da-sein und der Mensch, besonders S. 314 f.). 10. Wei! Hegel mit dieser Begriindung der »Idee« als Wirk­ lichkeit des Wirklichen die ganze bisherige, auch vorplato­ nische Geschichte der Philosophie in eine Zusammengeho­ rigkeit versammelte und dieses Wissen sich als absolutes Sichselbstwissen in seinen Stufen und Stufenfolgen begriff, kam er in den Besitz einer aus dem Wesen der Seiendheit (Idee) entspringenden Notwendigkeit, dergemaB die Stufen der Geschichte der Ideen sich aufstufen muBten. Mit anderen Worten, seine aus seinem Fragen gesehene Geschichte der Philosophie war die erste philosophische Geschichte der Philosophie, die erste angemessene Ge­ schichtsbefragung, aber auch die letzte und letztmogliche zugleich dieser Art. Was hier im Ganzen nachkommt, ist wichtige Gelehrten­ arbeit, aber im Grunde, d. h. philosophisch, ein ratloses und zerfahrenes Gestammel, das seine Einheit nur bezieht aus der Aufeinanderfolge der Philosophen und ihrer Schriften oder »Probleme «.

Was zum Begriff des» Idealismus« gehort*

1. Ll)ea als Anwesung des Was und ihre Bestiindigkeit (dies aber gerat unbegriffen in Vergessenheit und wird miBdeu­ tet zum ens entium als aeternum!); 2. das VOELV (A6yo~), aber noch nicht festgemacht im »Ich«, sondern 'ljJuxi], ~CJ)i]; * vgl. Ubungen Sommersemester 1937 »Nietzsches metaphysische Grund­ stellung. Sein und Schein«, Erscheinung - Schein

110. Die LMa, der Platonismus und der Idealismus

215

3. gleichwohl damit vorgezeichnet: das perceptum, das Vor­

-gestellte, Vor-sich-bringbare, Anwesende, eines percipere,

das ist ego percipio als cogito me cogitare; das Sich-mit­ vorstellen als das, dem vor-gestellt wird, in dessen Sicht und

Angesicht das Aussehen er-scheint;

4. Vorgestelltheit als Gegen-standlichkeit und »Selbst«-(Ich)

gewiBheit als Grund der Gegenstandlichkeit, d. h. der Sei­

endheit (Sein undDenken).

*

15. 1m Sinne des streng geschichtlichen Begriffes des »Idealis­ mus« war Plato niemals »Idealist«, sondern »Realist«, d. h. aber nicht, daB er die AuBenwelt an sich nicht leugnet, sondern die LllEa als das Wesen des ov, als realitas der res lehrte. Aber der »Idealismus« freilich ist, gerade als neu­ zeitlicher, Platonismus, insofern auch fur ihn die Seiendheit aus dem »Vorstellen« (VOELV), d. h. in Verkoppelung mit Aristotelischen AnstoBen aus dem A6yo~ als IlLavOELo{}m be­ griffen werden muB, d. h. aus dem Denken, das nach Kant ist das Vor-stellen von etwas im Allgemeinen (Kategorien und Urteilstafel; Kategorien und das Sichselbstwissen der Vernunft bei Hegel). Dberhaupt: maBgebend fur die ganze Geschichte der abendlandischen Philosophie, Nietzsche in- ./ begriffen: Sein und Denken. Obzwar Nietzsche das Seiende als Werden erfahrt, bleibt er mit dieser Auslegung als Geg­ ner innerhalb des uberlieferten Rahmens, das Seiende wird nur anders ausgelegt, aber die Seinsfrage als solche nie gestellt. 16. Bedenken wir, daB die Herrschaft des Platonismus in den verschiedenen Richtungen und Gestalten nun auch die Auf­ fassung der vorplatonischen Philosophie leitet (und zwar gerade bei Nietzsche), dann wird deutlich, welche Bedeu­ tung der entscheidenden Auslegung des ovals Ll)ea zu­ kommt und damit der Frage: was hier eigentlich vor sich ging.

216

III. Das Zuspiel

17. Es gilt in diesen Dberlegungen nicht eine Geschichte des Platonismus im Sinne einer Abfolge von Lehrmeinungen als Abwandlungen der platonischen Lehre, sondern einzig die Geschichte der Leitfragenbehandlung unter der wesent­ lichen Herrschaft des Platonismus mit der Aufgabe des Zu­ spiels- vom ersten zum anderen Anfang. Platonismus hier­ nach der Begriff von derjenigen Frage nach dem Sein, die nach der Seiendheit des Seienden fragt und das so gefaBte Sein in den Bezug stellt zum Vor-stellen (Denken). Sein und Denken der Titel fiir die Geschichte des Denkens inner­ halb des ersten und anderen Anfangs. 18. Wesentlich erganzt wird diese Geschichte durch die Her­ ausstellung der Geschichte der Probleme< der >Logik«< (Gesamtausgabe Band 45)

*

uber »Das Seyn« vgl. Uberlegungen II, IV, V, VI, VII

115. Die Leitstimmung des Sprungs Der Sprung, das Gewagteste im Vorgehen des anfanglichen Denkens, laBt und wirft alles Gelaufige hinter sich und erwar­ tet nichts unmittelbar yom Seienden, sondem erspringt allem zuvor die Zugehorigkeit zum Seyn in dessen voller Wesung als Ereignis. Der Sprung erscheint so im Schein des Ruck.sichts­ losesten und doch ist er gerade gestimmt von jener Scheu (vgl. Vorblick., 5. Fur die Wenigen - Fur die Seltenen, S. 14 ff.), in der der Wille der Verhaltenheit sich ubersteigt zur Instandig­ keit des Ausstehens der femsten Nahe der zogemden Versa­ gung. Der Sprung ist das Wagnis eines ersten Vordringens in den Bereich der Seinsgeschichte.

116. Die Seinsgeschichte Mit dem Anheben der Bereitschaft fur den Obergang aus dem Ende des ersten Anfangs in den anderen Anfang tritt der Mensch nicht etwa nur in eine noch nicht gewesene »Periode«, sondem in einen ganz anderen Bereich der Geschichte. Das ..;' Ende des ersten Anfangs wird noch in langer Zeit ubergreifen in den Obergang, ja sogar in den anderen Anfang. Der Obergang selbst wird, so gewiB die Endgeschichte wei­ terlauft und nach den Begebenheiten gemessen »lebendiger« und »rascher« und verwirrter denn je, das Fragwurdigste blei­ ben und vor allem das Unkenntlichste. Der Mensch wird sich, wenige und sich nicht Kennende, in den Zeit-Spiel-Raum des Da-seins vorbereiten und auf eine Nahe zum Seyn sammeln, die allen »Lebensnahen« befremdlich bleiben muB. Die Seyns­ geschichte kenot in langen Zeitraumen, die ihr nur Augen­ blicke sind, seltene Ereignisse. Die Ereignisse als solche: die Zuweisung der Wahrheit an das Seyn, der Einsturz der Wahr­

228

IV. Der Sprung

heit, die Verfestigung ihres Unwesens (der Richtigkeit), die Seinsverlassenheit des Seienden, die Einkehr des Seyns in seine Wahrheit, die Entfachung des Herdfeuers (der Wahrheit des Seyns) als der einsamen Stiitte des Vorbeigangs des letzten Gottes, das Aufblitzen der einmaligen Einzigkeit des Seyns. Wiihrend die Zerstorung der bisherigen Welt als Selbstzersto­ rung ihre Triumphe hinausschreit ins Leere, sammelt sich das Wesen des Seyns in seine hochste Berufung: als Er-eignung dem Entscheidungsbereich liber die Gottheit der Gotter den Grund und den Zeit-Spiel-Raum, d. h. das Da-sein, in der Ein­ maligkeit seiner Geschichte zuzueignen. Das Seyn als das Er-eignis ist der Sieg des Unumgiinglichen in der Bezeugung des Gottes. Ob das Seiende aber sich in die Fuge des Seyns fligt; ob dem Menschen statt der Verodung in einer fortschreitenden Fortdauer die Einzigkeit des Untergangs gewiihrt ist? Der Untergang ist die Sammlung aller GroBe in den Augenblick der Bereitschaft zur Wahrheit der Einzigkeit und Einmaligkeit des Seyns. Der Untergang ist die innigste Niihe zur Verweigerung, in der sich das Ereignis dem Men­ schen schenkt. Der Eintritt des Menschen in die Seinsgeschichte ist unbere­ chenbar und unabhangig von allem Fortschritt oder Nieder­ gang der »Kultur«, solange die »Kultur« selbst die Verfesti­ gung der Seinsverlassenheit des Seienden bedeutet und die zunehmende Verfilzung des Menschenwesens in seinem »An­ thropologismus« betreibt oder gar den Menschen noch einmal in die christliche Verkennung aller Wahrheit des Seyns zuriick­ driickt.

117. Der Sprung Die »fundamentalontologische« Besinnung (Grundlegung der Ontologie als we Dberwindung) ist der Ubergang aus dem Ende des ersten Anfangs zum anderen Anfang. Dieser Dber­ gang aber ist zugleich der Anlauf fUr den Sprung, durch den

117. Der Sprung

229

allein ein Anfang und zumal der andere, als stiindig iiberholter vom ersten, anfangen kann. Hier im Dbergang bereitet sich die urspriinglichste und des­ halb geschichtlichste Entscheidung vor, jenes Entweder - Oder, dem keine Verstecke und Bezirke des Ausweichens bleiben: entweder dem Ende verhaftet bleiben und seinem Auslauf und d. h. erneuten Abwandlungen der »Metaphysik«, die immer grober und grund- und zielloser werden (der neue »Biologis­ mus« und dgl.), oder den anderen Anfang anfangen, d. h. zu seiner langen Vorbereitung entschlossen sein. Nun aber muB, da der Anfang nur im Sprung geschieht, auch diese Vorbereitung schon ein Springen sein und als vor­ bereitend zugleich herkommend und abspringend aus der Aus­ einandersetzung (Zuspiel) mit dem ersten Anfang und seiner Geschichte. Das ganz Andere des anderen Anfangs gegen den ersten HiBt sich verdeutlichen durch ein Sagen, das scheinbar nur mit einer Umkehrung spielt, wiihrend in Wahrheit sich alles wandelt. 1m ersten Anfang wird das Sein (die Seiendheit) erdacht (durch das VOELV und AE"{ELV), ersehen und in das Offene seines Waltens gesetzt, damit das Seiende selbst sich zeige. In der Folge dieses Anfangs wird dann das Sein (die Seiendheit) die iJl1:6{l-EOL~, genauer das aVU1t6il'E'toV, in dessen Licht alles Seiende / und Nicht-seiende anwest. Und so waltet das Seyn um des Sei­ enden willen. Dieser Grundbezug aber erfiihrt nun zwei Deu­ tungen, die sich dann verkoppeln und vermischen: das »Sein« als summum ens wird causa prima des Seienden als ens crea­ tum; das Sein als essentia, idea wird das a priori der Gegen­ stiindlichkeit der Gegenstiinde. Das Sein wird das Gemeinste und Leerste und Bekannteste und zugleich das Seiendste als jene Ursache, »das Absolute«. In allen Abwandlungen und Verweltlichungen der abend­ liindischen Metaphysik ist dieses wieder zu erkennen: das Sein im Dienste des Seienden, auch wenn es als Ursache scheinbar die Herrschaft hat.

230

231

IV. Der Sprung

118. Der Sprung

1m anderen Anfang aber ist das Seiende, damit es die Lich­ tung, in die es hereinsteht, zugleich trage, welche Lichtung west als Lichtung des Sichverbergens, d. h. des Seyns als Ereignis. 1m anderen Anfang wird alles Seiende dem Seyn geopfert, und von da aus erhalt erst das Seiende als solches seine Wahr­ heit. Das Seyn aber west als das Ereignis, die Augenblicksstatte der Entscheidung iiber Nahe und Feme des letzten Gottes. Bier ist in der unumganglichen Gewohnlichkeit des Seien­ den das Seyn das Ungewohnlichste; und diese Befremdung des Seyns ist nicht eine Erscheinungsweise desselben, sondem es selbst. Der Ungewohnlichkeit des Seyns entspricht im Griindungs­ bereich seiner Wahrheit, d. h. im Da-sein, die Einzigkeit des Todes. Der furchtbarste Jubel muB das Sterben eines Gottes sein. Nur der Mensch »hat« die Auszeichnung, vor dem Tod zu ste­ hen, weil der Mensch instandig ist im Seyn: Der Tod das hoch­ ste Zeugnis des Seyns. 1m anderen Anfang muB die Wahrheit des Seyns gewagt werden als Griindung, Erdenkung des Da-seins. Nur im Da-sein wird dem Seyn jene Wahrheit gegriindet, in der alles Seiende nur umwillen des Seyns ist, des Seyns, das als Wegspur des letzten Gottes aufleuchtet. Durch die Griindung des Da-seins verwandelt sich der Mensch (Sucher, Wahrer, Wachter). Diese Verwandlung schafft den Raum der anderen Notwen­ digkeiten der Entscheidung iiber Nahe und Feme der Gotter.

bestimmung des Seyns nicht doch ein Seiendes leitend bleiben? Doch was heif3t hier leitend? DaB wir an einem vorgegebenen Seienden das Sein als dessen Allgemeinstes abheben, das ware nur ein Nachtrag in der Erfassung. Die Frage bliebe, warum uns das Seiende und in welchem Sinne »seiend« ist. Immer zuvor ist ein Entwurf, und die Frage bleibt nur, ob der Entwer­ fende als Werfer selbst in die Wurfbahn, die eroffnende, ein­ -springt oder nicht (vgl. Das Zuspiel, Der erste Anfang); ob cler Entwurf selbst als Geschehnis aus dem Ereignis erfahren und bestanden wird oder ob, was im Entwurf aufscheint, nur als das Aufgehende (